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Document 61993CC0470
Opinion of Mr Advocate General Léger delivered on 28 March 1995. # Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe Köln e.V. v Mars GmbH. # Reference for a preliminary ruling: Landgericht Köln - Germany. # Free movement of goods - Measures having an effect equivalent to quantitative restrictions - Presentation of a product likely to restrict freedom to fix retail prices and mislead the consumer. # Case C-470/93.
Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 28. März 1995.
Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe Köln e.V. gegen Mars GmbH.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Landgericht Köln - Deutschland.
Freier Warenverkehr - Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen - Ausstattung eines Erzeugnisses, die die freie Gestaltung der Wiederverkaufspreise beschränken und für den Verbraucher irreführend sein könnte.
Rechtssache C-470/93.
Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 28. März 1995.
Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe Köln e.V. gegen Mars GmbH.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Landgericht Köln - Deutschland.
Freier Warenverkehr - Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen - Ausstattung eines Erzeugnisses, die die freie Gestaltung der Wiederverkaufspreise beschränken und für den Verbraucher irreführend sein könnte.
Rechtssache C-470/93.
Sammlung der Rechtsprechung 1995 I-01923
ECLI identifier: ECLI:EU:C:1995:87
Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 28. März 1995. - VEREIN GEGEN UNWESEN IN HANDEL UND GEWERBE KOELN E.V. GEGEN MARS GMBH. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: LANDGERICHT KOELN - DEUTSCHLAND. - FREIER WARENVERKEHR - MASSNAHMEN MIT GLEICHER WIRKUNG WIE MENGENMAESSIGE BESCHRAENKUNGEN - AUSSTATTUNG EINES ERZEUGNISSES, DIE DIE FREIE GESTALTUNG DER WIEDERVERKAUFSPREISE BESCHRAENKEN UND FUER DEN VERBRAUCHER IRREFUEHREND SEIN KOENNTE. - RECHTSSACHE C-470/93.
Sammlung der Rechtsprechung 1995 Seite I-01923
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1 Bekanntlich stellen seit dem Urteil Keck und Mithouard vom 24. November 1993(1) die unterschiedslos geltenden nationalen Regelungen, "die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten", keine Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung im Sinne des Urteils Dassonville(2) dar, "sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren"(3). Dagegen fallen die Regelungen, die an den Absatz der Waren bestimmte Bedingungen knüpfen (wie etwa hinsichtlich ihrer Bezeichnung, ihrer Form, ihrer Abmessungen, ihres Gewichts, ihrer Zusammensetzung, ihrer Aufmachung, ihrer Etikettierung und ihrer Verpackung), in den Anwendungsbereich des Artikels 30 EG-Vertrag(4).
2 Worauf erstreckt sich der Begriff "Verkaufsmodalitäten"?
3 Umfasst er auch Regelungen auf dem Gebiet der Werbung? Betrifft die Regelung für die auf der Verpackung des vermarkteten Erzeugnisses stehende Werbung ein unter Randnummer 15 dieses Urteils Keck und Mithouard fallendes Merkmal des Erzeugnisses oder eine Verkaufsmodalität im Sinne der Randnummer 16 dieses Urteils?
4 In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Hünermund u. a., die zum Urteil vom 15. Dezember 1993 führte(5), hatte Generalanwalt Tesauro geahnt, daß diese Unterscheidung, auf den Bereich der Werbung angewandt, zu Auslegungsschwierigkeiten führen würde, die nur von Fall zu Fall ausgeräumt werden könnten(6).
5 Dies wird durch die Ihnen vom Landgericht Köln zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage veranschaulicht.
6 Die Mars GmbH vertreibt in Deutschland Eiskremriegel der Marken Mars, Snickers, Bounty und Milky Way, die sie aus Frankreich einführt, wo sie zum Zweck des europaweiten Vertriebs rechtmässig hergestellt und in einheitlicher Ausstattung verpackt werden.
7 Die Verpackung trägt den Aufdruck "+ 10 %".
8 Der Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe, ein Verein zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, hat die Mars GmbH nach § 3 des deutschen Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) auf Unterlassung verklagt. Diese Vorschrift bestimmt:
"Wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs über geschäftliche Verhältnisse, insbesondere über die Beschaffenheit, den Ursprung, die Herstellungsart oder die Preisbemessung einzelner Waren ... oder des gesamten Angebots, über Preislisten, über die Art des Bezugs oder die Bezugsquelle von Waren, ... über den Anlaß oder den Zweck des Verkaufs oder über die Menge der Vorräte irreführende Angaben macht, kann auf Unterlassung der Angaben in Anspruch genommen werden."
9 Der Verein macht zwei Gründe geltend:
1) Diese Aufmachung führe den Verbraucher in die Irre, der erwarte, daß der Preis, zu dem die Ware angeboten werde, der gleiche sei wie der der Ware in der früheren Aufmachung.
2) Der Aufdruck "+ 10 %" erwecke den Eindruck, das Produkt sei um den farblich gekennzeichneten Teil der neuen Verpackung vergrössert worden. Die optische Hervorhebung des Aufdrucks "+ 10 %" gehe weit über den Grössenzuwachs hinaus, auf den er hinweise.
10 Das Landgericht Köln legt Ihnen die Frage vor, ob es nach dem Grundsatz des freien Warenverkehrs zulässig ist, den Vertrieb von "Ice Cream Snacks", die in einem Mitgliedstaat rechtmässig hergestellt und in der in der Klageschrift beschriebenen Aufmachung in den Verkehr gebracht worden sind, in dieser Aufmachung aus den beiden vom Kläger des Ausgangsverfahrens angeführten Gründen zu verbieten.
11 Ich werde nacheinander zwei Punkte prüfen. Stellt das Verbot des Vertriebs der Eiskremriegel mit dem Werbeaufdruck "+ 10 % Eiskrem" auf der Verpackung ein Hindernis für den Handel zwischen Mitgliedstaaten dar, und fällt es in den Anwendungsbereich des Artikels 30 EG-Vertrag? Wenn dies der Fall ist, ist dann ein solches Verbot aus den vom Kläger des Ausgangsverfahrens angeführten Gründen gerechtfertigt?
I - Zum Anwendungsbereich des Artikels 30 des Vertrages
12 § 3 UWG ist eine unterschiedslos anwendbare Regelung, die in gleicher Weise für inländische wie für eingeführte Erzeugnisse gilt. Aufgrund dieser Bestimmung kann der Vertrieb von Eiskremriegeln mit den fraglichen Werbeangaben in Deutschland verboten werden.
13 Betrifft dieses Verbot die Merkmale des Erzeugnisses im Sinne von Randnummer 15 des Urteils Keck und Mithouard oder Verkaufsmodalitäten im Sinne von Randnummer 16 dieses Urteils.
14 Es sei daran erinnert, daß sich der erste Fall auf Regelungen bezieht, die in Ermangelung einer Harmonisierung eine bestimmte Aufmachung, eine bestimmte Zusammensetzung oder bestimmte spezifische Eigenschaften des Erzeugnisses vorschreiben, die von den im Ursprungsmitgliedstaat geforderten abweichen?
15 Dadurch, daß eine solche Regelung für den Vertrieb eines eingeführten Erzeugnisses im Einfuhrstaat eine neue Verpackung oder eine Änderung seiner wesentlichen Eigenschaften vorschreibt, stellt sie ein Hindernis für den Handelsverkehr dar, indem sie die Einfuhren teurer oder schwieriger macht und mithin die einheimische Industrie dieses Staates begünstigt oder ihr einen Wettbewerbsvorteil verschafft.
16 Im zweiten Fall steht die nationale Regelung in keinem Zusammenhang mit den Einfuhren und betrifft die Handelstätigkeit im allgemeinen. Sie wirkt sich auf die Einfuhren nur mittelbar dadurch aus, daß sie zu einer Herabsetzung des Absatzes oder zu Absatzeinbussen führen kann, berührt jedoch den Vertrieb der aus anderen Mitgliedstaaten stammenden Erzeugnisse nicht in anderer Weise als den der inländischen Erzeugnisse. Die Regelung versperrt für diese Erzeugnisse nicht den Marktzugang. Sie behindert diese nicht stärker, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut. Ich beziehe mich z. B. auf die Regelungen über die Öffnung von Geschäften an Sonntagen(7).
17 Auf Vorschriften über Werbung trifft teils der eine, teils der andere Fall zu. Während einige Regelungen nur mittelbar an den freien Handel anknüpfen und der Anwendung des Artikels 30 des Vertrages entgehen, sind andere Regelungen mit der Aufmachung des Erzeugnisses untrennbar verbunden und fallen in den Anwendungsbereich dieses Artikels.
18 Denn:
19 Bestimmte Regelungen beziehen sich auf die Handelstätigkeit im allgemeinen und knüpfen nicht an Einfuhren an. Sie verhindern nicht den gemeinschaftsweiten Vertrieb des betreffenden Erzeugnisses unter einheitlicher Aufmachung und mit einheitlichen Merkmalen - denjenigen, die vom Ursprungsmitgliedstaat vorgeschrieben werden. Die Regelungen beeinträchtigen nicht das Funktionieren des Binnenmarktes. Sie sind Ausdruck einer politischen Entscheidung: Welche Grenzen sind dem Bereich der Werbung zu setzen?
20 So haben Sie nach dem Urteil Keck und Mithouard im genannten Urteil Hünermund ausgeführt, daß Artikel 30 des Vertrages nicht auf eine von der Apothekerkammer eines Mitgliedstaats erlassene Standesregel anwendbar ist, die den Apothekern die Werbung für apothekenübliche Waren ausserhalb der Apotheke verbietet. Eine solche Regel stellt eine Verkaufsmodalität im Sinne von Randnummer 16 des Urteils Keck und Mithouard dar, da "die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nicht geeignet ist, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut"(8).
21 Ebenso haben Sie - aus den gleichen Gründen(9) - im Urteil Société d'importation Édouard Leclerc-Siplec vom 9. Februar 1995 befunden(10), daß das französische Dekret, das die Fernsehwerbung im Sektor des Vertriebs ausschließt, "die Verkaufsmodalitäten insoweit [betrifft], als ... [es] eine bestimmte Form der Förderung (Fernsehwerbung) einer bestimmten Methode des Absatzes (Vertrieb) von Erzeugnissen verbietet"(11).
22 Andere die Werbung betreffenden Regelungen berühren dagegen den Absatz eingeführter Erzeugnisse stärker als den inländischer Erzeugnisse und sind geeignet, den innergemeinschaftlichen Handel zu behindern.
23 Dies gilt mit Sicherheit für das Verbot der Werbung auf der Verpackung des Erzeugnisses(12). Zum einen wird der Importeur gezwungen, die Aufmachung, die Verpackung und die Werbeaufdrucke auf dem Erzeugnis zu ändern, um den Rechtsvorschriften des Einfuhrstaats nachzukommen, wodurch ihm zwangsläufig zusätzliche Kosten entstehen, die dem einheimischen Hersteller dieses Staates nicht entstehen. Zum anderen muß er gesonderte Vertriebswege einrichten und sicherstellen, daß die Waren mit dem streitigen Werbeaufdruck nicht im Gebiet des Staates vertrieben werden, in dem das Verbot gilt(13).
24 Bereits in der Rechtsprechung vor dem Urteil Keck und Mithouard haben Sie klar den Grundsatz aufgestellt, daß die Verpflichtung, auf einem Erzeugnis bestimmte Angaben zu machen, geeignet ist, seinen Vertrieb in bestimmten Mitgliedstaaten zu verteuern, weil sie den Hersteller oder den Importeur möglicherweise zwingt, die Aufmachung des Erzeugnisses zu ändern, und deshalb eine beschränkende Wirkung für den Handelsverkehr hat(14).
25 Im Urteil Pall(15) haben Sie die Auffassung vertreten, daß das in einem Mitgliedstaat geltende Verbot der Verwendung des Symbols (R) neben dem Warenzeichen zum Zweck der Angabe, daß es sich um ein eingetragenes Warenzeichen handele, eine Behinderung darstellt, "denn es kann den Inhaber eines nur in einem Mitgliedstaat eingetragenen Warenzeichens dazu zwingen, die Aufmachung seiner Erzeugnisse je nach dem Ort des Inverkehrbringens unterschiedlich zu gestalten und gesonderte Vertriebswege einzurichten, um sicherzustellen, daß die Waren, die das Symbol (R) tragen, nicht im Gebiet der Staaten in den Verkehr gebracht werden, die das fragliche Verbot erlassen haben"(16).
26 Vor kurzem haben Sie im Urteil Verband Sozialer Wettbewerb vom 2. Februar 1994 ("Clinique")(17) festgestellt, daß die Bezeichnung eines Erzeugnisses ein Merkmal dieses Erzeugnisses im Sinne von Randnummer 15 des Urteils Keck und Mithouard ist. Das Verbot der Verwendung einer im Ursprungsstaat rechtmässigen Bezeichnung im Einfuhrstaat stellt eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels dar. Denn
"[d]er Umstand, daß das betroffene Unternehmen aufgrund dieses Verbots gezwungen ist, seine Erzeugnisse allein in diesem Mitgliedstaat unter einer anderen Bezeichnung zu vertreiben und zusätzliche Verpackungs- und Werbekosten auf sich zu nehmen, zeigt, daß diese Maßnahme den freien Warenverkehr beeinträchtigt"(18).
27 Daraus haben Sie gefolgert, daß die Artikel 30 und 36 EG-Vertrag und Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie 76/768/EWG des Rates vom 27. Juli 1976(19) einer nationalen Maßnahme entgegenstehen, die die Einfuhr und den Vertrieb eines als kosmetisches Mittel eingestuften und aufgemachten Erzeugnisses mit der Begründung verbietet, daß dieses Erzeugnis die Bezeichnung "Clinique" trägt.
28 Die genannten Urteile Pall und "Clinique" betrafen - wie in unserer Rechtssache auf das UWG gestützte - Vertriebsverbote wegen der unterschiedlichen Aufmachung der Erzeugnisse(20). Dies trifft auch auf die vorliegende Rechtssache zu. Der Aufdruck "+ 10 % Eiskrem" dient der Information und zugleich der Werbung. Er steht auf der Verpackung des Erzeugnisses selbst. Bestimmte Verpackungen, die Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits sind, sind in fünf Sprachen bedruckt. Eine besondere Verpackung für den deutschen Markt liegt also nicht vor. Nur falls der Aufdruck "+ 10 %" nach der deutschen Regelung verboten ist, wird eine besondere Verpackung für diesen Staat erforderlich(21). Das Verbot eines solchen Aufdrucks würde bedeuten, daß das Erzeugnis neu verpackt werden müsste und für Deutschland eine besondere Verpackung und besondere Werbeaufdrucke verwendet werden müssten. Die Behinderung des Handelsverkehrs wäre damit eindeutig zu bejahen.
29 Wie wir sehen, sind nicht alle Regelungen, die die Werbung betreffen, in die Kategorie der Regelungen einzuordnen, die sich auf die Verkaufsmodalitäten beziehen. Es wird also verständlich, warum das Urteil Keck und Mithouard nur bestimmte Verkaufsmodalitäten vom Anwendungsbereich des Artikels 30 des Vertrages ausschließt.
30 Ich weise darauf hin, daß die von Ihnen auf verschiedene nationale Regelungen auf dem Gebiet der Werbung angewandte nachstehende Formulierung mit der im Urteil Keck und Mithouard eingeführten Unterscheidung verworfen wird:
"Es ist nicht auszuschließen, daß der für den betroffenen Unternehmer bestehende Zwang, sich entweder für die einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlicher Systeme der Werbung und Absatzförderung zu bedienen oder ein System, das er für besonders wirkungsvoll hält, aufzugeben, selbst dann ein Einfuhrhindernis darstellen kann, wenn eine solche Regelung unterschiedslos für inländische und eingeführte Erzeugnisse gilt."(22)
31 Diese sehr weite Formulierung ermöglichte es mit Sicherheit, daß die Regelungen über Verkaufsmodalitäten vom Anwendungsbereich des Artikels 30 des Vertrages erfasst wurden, die nach Randnummer 16 des Urteils Keck und Mithouard nunmehr nicht mehr unter diesen Artikel fallen.
II - Die Rechtfertigungen
32 Nach Ihrer ständigen Rechtsprechung müssen
"Hemmnisse für den freien Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden zwischen den nationalen Regelungen ergeben, in Ermangelung einer gemeinschaftlichen Absatzregelung hingenommen werden ..., soweit die betreffende Regelung unterschiedslos für inländische und für eingeführte Erzeugnisse gilt und dadurch gerechtfertigt werden kann, daß sie notwendig ist, um zwingenden Erfordernissen, u. a. des Verbraucherschutzes oder der Lauterkeit des Handelsverkehrs, gerecht zu werden"(23).
33 Diese zwingenden Erfordernisse können nur unter der doppelten Voraussetzung akzeptiert werden, daß die betreffenden Regelungen in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen(24) und daß dieses Ziel nicht mit Maßnahmen erreicht werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beeinträchtigen(25).
34 Das Verbot, um das es hier geht, soll aus zwei Gründen gerechtfertigt sein.
35 Erstens führe die Aufmachung mit dem Hinweis "+ 10 % Eiskrem" den Verbraucher in die Irre, der berechtigterweise annehmen könne, daß der Preis trotz der Erhöhung der verkauften Menge der gleiche geblieben sei und daß sich, kurz gesagt, das "Preis-Mengen-Verhältnis" für ihn verbessert habe, was die von Mars eingeleitete Verkaufsförderungsaktion erkläre.
36 Zweitens sei die Grösse des Balkens, auf dem der Aufdruck "+ 10 % Eiskrem" stehe und der auf der Verpackung eine grössere Fläche als 10 % von der Gesamtfläche einnehme, für den Verbraucher irreführend.
37 Prüfen wir diese beiden Punkte nacheinander.
- A -
38 Zunächst vertritt das vorlegende Gericht die Ansicht, ein solches Werbeangebot sei nur dann sinnvoll, wenn mit ihm keine Preiserhöhung einhergehe. Eine solche Aktion sei dagegen bedeutungslos, wenn die Vergrösserung des Volumens zu einer entsprechenden Preiserhöhung führe; denn "die nur geringfügig geänderte Rezeptur [ist] bei höherem Preis nichts Besonderes"(26). Die Aktion ist nur dann verständlich, wenn die Menge bei gleichbleibendem Preis zugenommen hat.
39 Unstreitig hat die Beklagte diese Förderungsaktion nicht genutzt, um den Verkaufspreis zu erhöhen(27). Es liegt kein Hinweis darauf vor, wie sich die Einzelhändler hierbei verhalten haben.
40 Das vorlegende Gericht, das sich danach fragt, welchen Bezug der Verbraucher zwischen diesem Aufdruck - der nur die Menge betrifft - und dem Preis herstellen könnte, meint, dieser erwarte, daß der Preis unverändert bleibe. Daraus ergäben sich zwei Möglichkeiten:
41 Wenn der Händler den Preis erhöhe, könne der Verbraucher im Sinne des § 3 UWG in die Irre geführt werden.
42 Wenn der Händler seinen Preis nicht erhöhe, entspreche das Angebot der Erwartung des Verbrauchers und lasse keine Irreführung erkennen. Man könne sich jedoch nach der Anwendung des § 15 des deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) fragen, der es dem Hersteller verbiete, den Wiederverkäufern Preise vorzuschreiben. Ein derartiges Fehlen eines Preiswettbewerbs verstosse gegen das deutsche Wettbewerbsrecht.
43 Gehen wir auf diese beiden Punkte ein.
44 a) Falls der Hersteller oder der Einzelhändler anläßlich der Erhöhung der angebotenen Menge den Preis heraufsetzt, besteht eine Täuschung oder die Gefahr einer Täuschung nur dann, wenn der streitige Werbeaufdruck den Verbraucher in die Irre führt und dessen Verhalten beeinflusst. Hierzu ist festzustellen, daß der Aufdruck "+ 10 %" auf eine Vergrösserung des Volumens gegenüber der alten Aufmachung hinweist und über den Preis nichts aussagt. Es wird nämlich keineswegs behauptet: "+ 10 % mehr Ware zum gleichen Preis wie bisher". Es steht ausser Frage, daß der streitige Werbeaufdruck objektiv richtig ist. Ich stelle daher hier weder eine Täuschung noch die Gefahr einer Täuschung fest. Das vorlegende Gericht hält es indessen für erwiesen, daß eine beträchtliche Zahl von Verbrauchern, die ein solches Angebot erreicht, nur deshalb kaufen, weil sie überzeugt sind, 10 % mehr Ware zum gleichen Preis zu erhalten. Eine solche Prüfung setzt eine Beurteilung des Verhaltens der Verbraucher voraus, für die meines Erachtens allein das nationale Gericht zuständig ist(28).
45 b) Die Beantwortung der Frage, ob § 15 GWB hier anwendbar ist und ob mit dem Verkauf der Eiskremriegel in der streitigen Aufmachung eine Verpflichtung - und nicht nur ein blosser Anreiz - für den Einzelhändler verbunden ist, seine Preise nicht zu ändern, oder ob dieser Verkauf eine Vereinbarung bedeutet, die die Freiheit des Einzelhändlers zur Preisgestaltung einengt, setzt die Auslegung des nationalen Rechts voraus und unterliegt ausschließlich der Beurteilung durch das vorlegende Gericht.
46 Falls die Anwendungsvoraussetzungen dieser Vorschrift erfuellt sein sollten, wäre davon auszugehen, daß der Vertrieb von Eiskremriegeln in der streitigen Aufmachung im deutschen Hoheitsgebiet gegen den im deutschen Recht verankerten Grundsatz der freien Preisgestaltung durch den Einzelhandel verstösst.
47 Lässt sich unter Hinweis auf diesen Grundsatz - der insbesondere dem Verbraucher einen echten Preiswettbewerb garantieren soll -, also unter Hinweis auf das zwingende Erfordernis des Verbraucherschutzes, eine Behinderung des Handelsverkehrs bejahen?
48 Ich sehe nicht, wie sich diesem Grundsatz eine Rechtfertigung für die Bejahung einer solchen Behinderung entnehmen lassen könnte, da durch die Verpflichtung des Einzelhändlers, seine Preise nicht zu ändern, die Erhöhung dieser Preise gerade verhindert wird und diese Verpflichtung damit für den Verbraucher im vorliegenden Fall günstig ist.
- B -
49 Sodann wird geltend gemacht, dieses Verbot sei gerechtfertigt, weil der Aufdruck "+ 10 % Eiskrem" - der ein Viertel der Verpackung einnehme - für den Verbraucher irreführend sei, der den Eindruck habe, daß die Vergrösserung bedeutender sei als angepriesen.
50 Aus den folgenden Gründen bin ich davon nicht überzeugt.
51 Erstens ist der Hinweis "+ 10 % Eiskrem" zutreffend. Sie stehen nun aber auf dem Standpunkt, daß nationale Vorschriften, die irreführende Werbung verbieten, mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs unvereinbar sind, wenn sie auf zutreffende, der Wahrheit entsprechende Angaben angewandt werden(29).
52 Zweitens liegt den Ausführungen des Klägers die Annahme zugrunde, daß der Verbraucher aufgrund dieses Hinweises die wirkliche Volumen- oder Gewichtserhöhung überschätze. Wie das vorlegende Gericht ausführt, "[wird] eine nicht unerhebliche Zahl von Verbrauchern ... annehmen, die farblich sinngemäß als $neu` gekennzeichnete Fläche markiere den gewichts- oder volumenmässigen Mehrwert des Produktes"(30).
53 Es ist jedoch keineswegs erwiesen, daß normal aufgeklärte Verbraucher die Grösse der Werbeaufdrucke über eine Erhöhung der angebotenen Menge regelmässig zum Umfang dieser Erhöhung in Beziehung setzen. Insoweit teile ich die Ansicht der Kommission:
"Gleichzeitig muß ... auch für den verständigen Verbraucher ersichtlich sein, daß eine gewisse Übertreibung jeder Anpreisung inhärent ist."(31)
54 Kann denn die nationale Regelung verlangen, daß die Grösse des Aufdrucks dem genauen Prozentsatz der Erhöhung entspricht? Muß die Breite des Balkens, mit dem auf die zehnprozentige Erhöhung der Eiskremmenge hingewiesen wird, 10 % der Gesamtlänge der bedruckten Fläche entsprechen? Diese Auffassung erscheint mir überzogen. Im Extremfall würde sie bedeuten, daß der Aufdruck über eine fünfprozentige Erhöhung 5 % der Länge der bedruckten Fäche nicht übersteigen dürfte und damit unleserlich würde.
55 Ein völliges Verbot einer derartigen Werbung ist jedenfalls unverhältnismässig und kann nicht aus Gründen des Verbraucherschutzes gerechtfertigt sein.
56 Schließlich stellt dieser Aufdruck "+ 10 %" trotz seines Werbecharakters auch eine an den Verbraucher gerichtete Information dar. In dem angeführten Urteil GB-INNO-BM haben Sie ausgeführt, daß "das Gemeinschaftsrecht eines der grundlegenden Erfordernisse des Verbraucherschutzes in der Unterrichtung der Verbraucher sieht. Artikel 30 EWG-Vertrag kann daher nicht in dem Sinne ausgelegt werden, daß nationale Rechtsvorschriften, die den Verbrauchern den Zugang zu bestimmten Informationen verwehren, durch zwingende Erfordernisse des Verbraucherschutzes gerechtfertigt werden könnten."(32)
57 Ich möchte eine letzte Bemerkung zur Anwendung des abgeleiteten Rechts machen.
58 Wir müssen davon ausgehen, daß ein Verbot dann, wenn es nicht durch zwingende Erfordernisse des Verbraucherschutzes oder der Lauterkeit des Handelsverkehrs gerechtfertigt ist, auch keine Grundlage in der Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung(33) finden kann. Sie haben nämlich in ständiger Rechtsprechung festgestellt:
"Diese Richtlinie beschränkt sich auf eine Teilharmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften über irreführende Werbung durch die Festsetzung von objektiven Mindestkriterien, anhand deren sich feststellen lässt, ob eine Werbung irreführend ist, und von Mindestanforderungen in bezug auf die Einzelheiten des Schutzes gegen eine solche Werbung."(34)
59 Das trifft auch auf die Richtlinie 79/112/EWG vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür(35) zu, deren Artikel 2 einen allgemeinen Grundsatz aufstellt, wonach es verboten ist, den Käufer über die Merkmale des Lebensmittels und insbesondere dessen Menge in die Irre zu führen.
Demgemäß schlage ich Ihnen vor, wie folgt für Recht zu erkennen:
Die Artikel 30 und 36 EG-Vertrag sind dahin auszulegen, daß sie einer nationalen Maßnahme, die die Einfuhr und den Vertrieb des Erzeugnisses "Ice Cream Snack" verbietet, wenn es auf seiner Verpackung den Aufdruck "+ 10 % Eiskrem" trägt, entgegenstehen, sofern nicht vor dem nationalen Gericht nachgewiesen wird, daß eine solche Aufmachung selbst dann, wenn der Preis erhöht wurde, beim Verbraucher Verwirrung hervorruft und daß dieser erwartet, daß der Preis, zu dem die Ware angeboten wird, der gleiche ist wie der, zu dem sie in ihrer alten Aufmachung angeboten wurde.
(1) - Verbundene Rechtssachen C-267/91 und C-268/91, Slg. 1993, I-6097.
(2) - Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74 (Slg. 1974, 837).
(3) - Randnr. 16.
(4) - Randnr. 15.
(5) - Rechtssache C-292/92, Slg. 1993, I-6787.
(6) - Nrn. 22 und 24 der Schlussanträge. Siehe auch J. Stuyck, Anmerkung zum Urteil Keck und Mithouard, Cahiers de droit européen, 1994, Nrn. 3 und 4, S. 431, 451.
(7) - Vgl. Urteil vom 2. Juni 1994 in den verbundenen Rechtssachen C-69/93 und C-258/93 (Punto Casa und PPV, Slg. 1994, I-2355).
(8) - Randnr. 21.
(9) - Randnr. 21.
(10) - Rechtssache C-412/93, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht.
(11) - Randnr. 22.
(12) - Vgl. Nr. 20 der Schlussanträge des Generalanwalts Van Gerven zum Urteil vom 2. Juni 1994 in den verbundenen Rechtssachen C-401/92 und C-402/92 (Tankstation 't Heukske und Börmans, Slg. 1994, I-2199).
(13) - Vgl. analog Randnr. 13 des Urteils vom 13. Dezember 1990 in der Rechtssache C-238/89 (Pall, Slg. 1990, I-4827).
(14) - Vgl. Urteile vom 16. Dezember 1980 in der Rechtssache 27/80 (Fietje, Slg. 1980, 3839, Randnr. 10) und vom 17. März 1983 in der Rechtssache 94/82 (De Kikvorsch, Slg. 1983, 947, Randnr. 10).
(15) - Zitiert in Fußnote 13.
(16) - Randnr. 13.
(17) - Rechtssache C-315/92 (Slg. 1994, I-317).
(18) - A. a. O., Randnr. 19; Hervorhebung von mir.
(19) - Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel (ABl. L 262, S. 169).
(20) - Vgl. die Erklärungen der Kommission, S. 7.
(21) - Vgl. zu diesem Punkt die Erklärungen der Beklagten, Punkt I 1.
(22) - Randnr. 15 des Urteils vom 15. Dezember 1982 in der Rechtssache 286/81 (Östhök's Uitgeversmaatschappij, Slg. 1982, 4575) zum Verbot des Verkaufs mit Zugaben. Vgl. auch Randnr. 7 des Urteils vom 16. Mai 1989 in der Rechtssache 382/87 (Büt u. a., Slg. 1989, 1235) zum Verbot der Kundenwerbung an der Haustür für den Verkauf von pädagogischem Material; Randnr. 7 des Urteils vom 7. März 1990 in der Rechtssache C-362/88 (GB-INNO-BM, Slg. 1990, I-667); Randnr. 10 des Urteils vom 25. Juli 1991 in den verbundenen Rechtssachen C-1/90 und C-176/90 (Aragonesa de Publicidad Exterior und Publivía, Slg. 1991, I-4151); Randnr. 10 des Urteils vom 18. Mai 1993 in der Rechtssache C-126/91 (Yves Rocher, Slg. 1993, I-2361).
(23) - Randnr. 12 des Urteils Yves Rocher (zitiert in der vorigen Fußnote). Vgl. auch Randnr. 8 des Urteils "Cassis de Dijon" vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 (Rewe, Slg. 1979, 649) und Randnr. 10 des Urteils GB-INNO-BM (zitiert in der vorigen Fußnote).
(24) - Urteil Büt u. a. (zitiert in Fußnote 22, Randnr. 11).
(25) - Urteil "Cassis de Dijon" (zitiert in Fußnote 23). Vgl. auch Randnr. 12 des Urteils Pall (a. a. O.).
(26) - Vorlagebeschluß, S. 4.
(27) - Ibidem, S. 13.
(28) - Vgl. zu einem Fall der Verweisung an das nationale Gericht Randnr. 15 des Urteils vom 16. Januar 1992 in der Rechtssache C-373/90 (X, Slg. 1992, I-131).
(29) - Urteile X (a. a. O., Randnr. 17) und Yves Rocher (a. a. O., Randnr. 17).
(30) - Vorlagebeschluß, S. 16.
(31) - Erklärungen der Kommission, S. 12.
(32) - Randnr. 18.
(33) - ABl. L 250, S. 17.
(34) - Vgl. Urteile Pall (a. a. O., Randnr. 22) und "Clinique" (a. a. O., Randnr. 10).
(35) - ABl. 1979, L 33, S. 1.