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Document 61993CC0392

    Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 28. November 1995.
    The Queen gegen H. M. Treasury, ex parte British Telecommunications plc.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: High Court of Justice, Queen's Bench Division - Vereinigtes Königreich.
    Vorabentscheidungsverfahren - Auslegung der Richtlinie 90/531/EWG - Telekommunikation - Umsetzung in innerstaatliches Recht - Entschädigungspflicht bei fehlerhafter Umsetzung.
    Rechtssache C-392/93.

    Sammlung der Rechtsprechung 1996 I-01631

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1995:408

    SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    GIUSEPPE TESAURO

    vom 28. November 1995 ( *1 )

    1. 

    Die dem Gerichtshof von der Queen's Bench Division vorgelegten Fragen beziehen sich auf die Auslegung des Artikels 8 Absatz 1 der Richtlinie 90/531/EWG des Rates vom 17. September 1990 betreffend die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie-und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor ( 1 ) (im folgenden: Richtlinie).

    Das vorlegende Gericht fragt insbesondere, wie diese Vorschrift auszulegen ist und ob im Fall einer fehlerhaften Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, daß das Unternehmen, das einen Schaden erlitten hat, vom Staat Ersatz dieses Schadens verlangen kann ( 2 ).

    Gemeinschaftsrecht und nationales Recht

    2.

    Die Richtlinie findet nach ihrer dreizehnten Begründungserwägung keine Anwendung „auf solche Tätigkeiten der Auftraggeber, die nicht die Sektoren Wasser, Energie, Verkehr und Telekommunikation betreffen oder die zwar Bestandteil derselben sind, aber auf Märkten ohne Zugangsbeschränkungen unmittelbar dem Wettbewerb unterliegen“.

    Die Vorschrift, um deren Auslegung ersucht wird, nämlich Artikel 8 Absatz 1, nimmt vom Geltungsbereich der Richtlinie die Aufträge aus, die sich auf Einkäufe beziehen, die zur Erbringung von Telekommunikationsdiensten bestimmt sind, sofern in dem betreffenden Sektor Wettbewerb herrscht. Artikel 8 lautet:

    „ (1)

    Diese Richtlinie gilt nicht für Aufträge, die die Auftraggeber, die eine Tätigkeit im Sinne des Artikels 2 Absatz 2 Buchstabe d) ausüben, für Einkäufe ausschließlich in Verbindung mit einem oder mehreren Telekommunikationsdiensten vergeben, soweit andere Unternehmen die Möglichkeit haben, diese Dienste in demselben geographischen Gebiet und unter im wesentlichen gleichen Bedingungen anzubieten.

    (2)

    Die Auftraggeber teilen der Kommission auf deren Antrag alle Dienstleistungen mit, die ihres Erachtens unter die Ausnahmeregelung nach Absatz 1 fallen. Die Kommission kann in regelmäßigen Abständen informationshalber im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Listen der Dienstleistungen veröffentlichen, die ihres Erachtens unter die Ausnahmeregelung fallen. Hierbei wahrt sie die Vertraulichkeit der in geschäftlicher Hinsicht empfindlichen Angaben, soweit die Auftraggeber dies bei der Übermittlung der Informationen geltend machen.“

    3.

    Der erwähnte Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe d nennt unter den von der Richtlinie erfaßten Tätigkeiten „die Bereitstellung oder das Betreiben von öffentlichen Telekommunikationsnetzen oder das Angebot von einem oder mehreren öffentlichen Telkom-munikationsdiensten“. Nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b gilt die Richtlinie auch für Auftraggeber, die, „wenn sie nicht staatliche Behörden oder öffentliche Unternehmen sind, als eine ihrer Tätigkeiten eine Tätigkeit im Sinne des Absatzes 2 oder verschiedene dieser Tätigkeiten auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausüben, die von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats gewährt wurden“. In Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe a wird sodann verdeutlicht, daß ein Auftraggeber besondere oder ausschließliche Rechte im Sinne des Absatzes 1 Buchstabe b besitzt, wenn er „zum Bau eines Netzes oder anderer in Absatz 2 beschriebener Einrichtungen durch ein Enteignungsverfahren oder Gebrauchsrechte begünstigt werden kann oder Einrichtungen auf, unter oder über dem öffentlichen Wegenetz anbringen darf“. Nach Artikel 2 Absatz 6 erfüllen „die in den Anhängen I bis X bezeichneten Auftraggeber die vorgenannten Kriterien“. Anhang X, der die „Auftraggeber im Bereich der Telekommunikation“ betrifft, nennt für das Vereinigte Königreich u. a. die British Telecommunications pic (im folgenden: Klägerin), die Mercury Communications Ltd (im folgenden: Firma Mercury) und die City of Kingston upon Hull (im folgenden: Huli pic).

    Schließlich bewahren nach Artikel 33 Absatz 1 Buchstabe d die Auftraggeber sachdienliche Unterlagen über jede Auftragsvergabe auf, die es ihnen zu einem späteren Zeitpunkt ermöglichen, die Entscheidungen zu begründen über u. a. die Nichtanwendung der Bestimmungen der Abschnitte II, III und IV (die die bei den Vergabeverfahren zu beachtenden Kriterien und Vorgehensweisen betreffen) gemäß den in Abschnitt I vorgesehenen Abweichungsmöglichkeiten, die, soweit hier von Bedeutung, die des Artikels 8 Absatz 1 einschließen.

    4.

    Das Vereinigte Königreich setzte die Richtlinie durch die „Utilities Supply and Works Contracts Regulations 1992“ um. Die Vorschriften der Richtlinie, die, wie in ihrer dreizehnten Begründungserwägung präzisiert wird, die Anwendung der Richtlinie auf die Fälle beschränken, in denen die zugeteilten Aufträge ausschließlich dazu bestimmt sind, es dem Auftraggeber zu ermöglichen, eine der in der Richtlinie aufgeführten Tätigkeiten auszuüben, sind Gegenstand der Regulations 5 und 6 (a) dieser Regelung.

    Regulation 7 (1) der Regulations 1992, der Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie durchführen sollte, betrifft dagegen die Ausnahmen insbesondere im Bereich der Telekommunikation und ist deshalb Gegenstand der Beanstandung der Klägerin. Sie bestimmt: „Diese Regulations rinden keine Anwendung, wenn ein in Anhang 2 genanntes Versorgungsunternehmen Angebote für einen Vertrag einholt, dessen ausschließlicher Zweck darin besteht, ihm die Bereitstellung einer oder mehrerer der öffentlichen Telekommunikationsdienste zu ermöglichen, die in dem Teil des Anhangs 2, in dem das Versorgungsunternehmen genannt ist, aufgeführt sind.“

    Anhang 2 besteht aus zwei Teilen. Teil A betrifft alle anderen Konzessionäre der öffentlichen Telekommunikationsdienste als die Klägerin und die Huli pic. Für diese Unternehmer werden als von der Anwendung des Gesetzes ausgeschlossene Dienste ausdrücklich „alle öffentlichen Telekommu-nikationsdienste“ genannt. Teil Β betrifft dagegen ausschließlich die Klägerin und die Hull pic, für die die genannten Dienste „alle öffentlichen Telekommunikationsdienste mit Ausnahme der folgenden Dienste [sind], wenn sie innerhalb des geographisch abgegrenzten Gebietes angeboten werden, für das der Anbieter als Betreiber eines öffentlichen Telekommunikationsdienstes zugelassen ist: Grunddienste des Sprechtelefons, Grunddienste der Datenübermittlung, Verpachtung von Netzen an Privatpersonen sowie Bereitstellung von Diensten auf See“.

    Regulation 7 (2) schreibt vor, daß alle in Anhang 2 aufgeführten Versorgungsunternehmen dem Minister auf Verlangen einen Bericht zur Weiterleitung an die Kommission vorlegen müssen, in dem sie angeben, welche der von ihnen bereitgestellten öffentlichen Telekommunikationsdienste sie als Dienste ansehen, die in dem Teil des Anhangs 2, in dem das Versorgungsunternehmen genannt ist, aufgeführt sind.

    Schließlich schreibt Regulation 25 (1) in Anwendung des Artikels 33 der Richtlinie vor, daß ein Auftraggeber, der beschließt, die u. a. in Regulation 7 enthaltenen Ausnahmevorschriften nicht anzuwenden, Unterlagen vorzulegen hat, die geeignet und ausreichend sind, um eine derartige Entscheidung hinsichtlich der Aufträge, die nach anderen als den in der Auftragsregelung vorgesehenen Modalitäten vergeben worden sind, zu rechtfertigen.

    Sachverhalt und Vorabentscheidungsfragen

    5.

    Die Klägerin ist eine am 1. April 1984 durch den British Telecommunications Act 1984 gegründete Aktiengesellschaft. Nach diesem Gesetz wurden Eigentum, Ansprüche und Verbindlichkeiten der früheren öffentlich-rechtlichen Körperschaft „British Telecommunications“ auf sie übertragen. Nach dem British Telecommunications Act 1981 war die British Telecommunications ihrerseits Nachfolgerin des Post Office, das bis dahin das Monopol für den Betrieb der Telekommunikationssysteme fast im gesamten Hoheitsgebiet besaß.

    Der British Telecommunications Act 1984 sieht vor, daß jeder, der nach Abschaffung des Monopols beabsichtigt, im Vereinigten Königreich ein Telekommunikationssystem zu betreiben, einer Zulassung bedarf, in der die Tätigkeiten, die er auszuüben berechtigt ist, abschließend aufzuführen sind. Der Secretary of State for Trade and Industry erteilte der Klägerin im Juni 1984 gemäß dieser Vorschrift eine Zulassung für 25 Jahre. Diese Zulassung, in der die Klägerin als „öffentliches Telekommunikationsunternehmen“ bezeichnet wird, gestattet es dieser, öffentliche Telekommunikationssysteme im gesamten Vereinigten Königreich zu betreiben, mit Ausnahme des geographischen Gebiets, in dem die Huli pic zugelassen ist. Die Klägerin hat insbesondere Fernsprechtelefondienste jedem zu erbringen, der sie beantragt, selbst wenn die Nachfrage nicht ausreicht, um die entstandenen Kosten zu decken. Darüber hinaus unterliegt die Klägerin als einzige Zulassungsinhaberin einer Regelung betreffend Änderungen ihrer Preise („price cap“). Schließlich ist hervorzuheben, daß der Staat bis Juli 1993 nach und nach seinen Aktienbesitz am Kapital der Klägerin verkauft hat.

    6.

    Die durch den British Telecommunications Act 1984 ermöglichte bedeutende Marktöffnung führte zur Erteilung von mehr als 600 Zulassungen für verschiedene Tätigkeiten in dem Sektor und zur Anerkennung von ungefähr 110 „öffentlichen Telekommuni kationsunternehmen“. Der Inhalt der Zulassungen war jedoch außerordentlich verschieden. Für den Bereich der Telekommunikationsdienste, die die Übertragung von Signalen mittels fester Verbindungen betreffen (wozu das Sprechtelefon mit festen Endstellen gehört), erteilte das Vereinigte Königreich die entsprechende Zulassung nur der Klägerin und der Firma Mercury, der es insbesondere gestattet wurde, ihr Telekommunikationssystem mit denen der Klägerin zu verbinden. Dies führte in dem besonderen Sektor der festen Verbindungen zu einem Duopol.

    Anfang der 90er Jahre wurde die Duopolpolitik auch in diesem Bereich aufgegeben, diesmal zugunsten einer Politik des offenen Wettbewerbs. Folglich wird bei der Prüfung von Zulassungsanträgen von Privatunternehmen, die objektive und transparente Kriterien erfüllen, von der allgemeinen Vermutung ausgegangen, daß ihnen stattzugeben ist, es sei denn, eine Ablehnung wäre aus „besonderen Gründen“ gerechtfertigt. Das Gesetz von 1984 hat der Notwendigkeit, das Funktionieren eines so komplexen Systems mit einer Vielzahl zugelassener Betreiber sicherzustellen, dadurch Rechnung getragen, daß es die „Betreiber eines öffentlichen Telekommunikationssystems“ verpflichtet hat, es den anderen Betreibern auf Antrag zu gestatten, ihre Systeme an die Netze der erstgenannten Betreiber anzuschließen. Dies ermöglichte den Kunden eines Betreibers den Zugang zu den von den anderen Betreibern betriebenen Netzen und damit die Kommunikation mit den Benutzern, die Empfänger der von den letzteren erbrachten Dienstleistungen sind.

    7.

    Die nationalen Durchführungvorschriften zu der Richtlinie schließen, wie bereits ausgeführt, von der Verpflichtung, der Richtlinie nachzukommen, hinsichtlich der Aufträge, die ausschließlich dazu bestimmt sind, die Erbringung von Telekommunikationsdiensten zu ermöglichen, fast alle Wirtschaftsteilnehmer in diesem Bereich aus, einschließlich der Firma Mercury, obwohl diese in Anhang X der Richtlinie genannt ist. Den Vorschriften der Richtlinie unterliegen somit nur die Klägerin und die Hull pic und auch nur bezüglich der Grunddienste des Sprechtelefons, der Grunddienste der Datenübermittlung, der Verpachtung von Netzen an Privatpersonen und der Bereitstellung von Diensten auf See.

    Gegen diese Durchführungsvorschriften zu der Richtlinie richtet sich die Klage der Klägerin vor dem nationalen Gericht. Sie ist der Auffassung, daß das Vereinigte Königreich die der Anwendung der Richtlinie entzogenen Dienste und Betreiber nicht selbst hätte bestimmen dürfen, da die Befugnis dazu nach Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie den Auftraggebern selbst zustehe. Die Klägerin begehrt außerdem Ersatz des ihr durch die fehlerhafte Umsetzung der fraglichen Vorschrift entstandenen Schadens.

    8.

    Das nationale Gericht hat es deshalb als für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zweckmäßig angesehen, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen. Es stellt folgende Fragen:

    1.

    Ist die Richtlinie 90/531 des Rates dahin auszulegen, daß es in den einem Mitgliedstaat nach Artikel 189 EWG-Vertrag zustehenden Gestaltungsspielraum fällt, bei der Umsetzung des Artikels 8 Absatz 1 der Richtlinie selbst die vom jeweiligen Auftraggeber bereitgestellten Telekommunikationsdienste zu bezeichnen, für die die in diesem Artikel enthaltene Ausnahme gilt bzw. nicht gilt?

    2.

    a)

    Bezieht sich die Wendung „soweit andere Unternehmen die Möglichkeit haben, diese Dienste in demselben geographischen Gebiet und unter im wesentlichen gleichen Bedingungen anzubieten“ in Artikel 8 Absatz 1 nur auf eine „Möglichkeit“ und auf „Bedingungen“ im rechtlichen Sinne?

    b)

    Wenn Frage 2 a verneint wird:

    i)

    auf welche anderen Umstände bezieht sich diese Wendung;

    ii)

    ist die Stellung eines Auftraggebers auf dem Markt für einen bestimmten Telekommunikationsdienst als ein solcher Umstand erheblich;

    iii)

    wenn die Stellung des Auftraggebers erheblich ist, in welcher Weise ist sie dies und unter welchen Umständen kann sie entscheidend sein?

    c)

    Hängen die Antworten auf die Fragen b, ii und iii von dem Umstand ab — wenn ja, wie —, daß für das Unternehmen gesetzliche Auflagen gelten?

    3.

    Wenn Frage 1 bejaht wird:

    a)

    Wie hat im Falle eines Rechtsstreits zwischen einem Auftraggeber und den mit der Durchführung des Artikels 8 Absatz 1 befaßten nationalen Behörden das mit dem Rechtsstreit befaßte nationale Gericht zu gewährleisten, daß die Kriterien der Ausnahme in Artikel 8 Absatz 1 ordnungsgemäß angewandt werden; hat es insbesondere seine eigene Beurteilung der Anwendung der Ausnahme in Artikel 8 Absatz 1 an die Stelle derjenigen Beurteilung zu setzen, zu denen die mit der Durchführung des Artikels 8 Absatz 1 befaßten nationalen Behörden gelangt sind;

    b)

    wenn das nationale Gericht zu dem Ergebnis kommt, daß es dem Auftraggeber unmöglich ist, anhand der von den mit der Durchführung des Artikels 8 Absatz 1 befaßten nationalen Behörden festgelegten Definitionen bestimmter Telekommunikationsdienste festzustellen, ob ein bestimmter Dienst unter die Ausnahme fällt, liegt dann ein Verstoß gegen die Richtlinie 90/531/EWG oder gegen einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, insbesondere gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, vor;

    c)

    darf ein Mitgliedstaat bestimmte Telekommunikationsdienste statt anhand von Merkmalen des Dienstes selbst anhand von Merkmalen definieren, die sich auf die bei der Erbringung des Dienstes benutzten technischen Mittel beziehen?

    4.

    Ist ein Mitgliedstaat, der Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 90/531/EWG des Rates fehlerhaft umgesetzt hat, aufgrund des Gemeinschaftsrechts verpflichtet, dem Auftraggeber den ihm durch diesen Fehler entstandenen Schaden zu ersetzen; welche Voraussetzungen müssen bejahendenfalls für eine solche Haftung erfüllt sein?

    Die erste Frage

    9.

    Die erste dem Gerichtshof vorgelegte Frage geht dahin, ob die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung einer Richtlinie in das nationale Recht unter Berücksichtigung des ihnen durch Artikel 189 des Vertrages eingeräumten Ermessensspielraums berechtigt sind, die Telekommunikationsdienste festzulegen und zu bezeichnen, die Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen von deren Geltungsbereich auszunehmen gestattet, oder ob dies Sache der Auftraggeber selbst ist.

    Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst auf den Wortlaut der fraglichen Vorschrift, ihren systematischen Zusammenhang und ihren Zweck abzustellen.

    10.

    Der Wortlaut des Artikels 8 Absatz 1 der Richtlinie enthält keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Mitgliedstaaten die Befugnis besäßen, selbst zu bestimmen, welche Dienste und Betreiber vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen sind. Diese Vorschrift beschränkt sich nämlich darauf, die Aufträge vom Geltungsbereich der Richtlinie auszuschließen, die die Auftraggeber für Einkäufe ausschließlich in Verbindung mit einem oder mehreren Telekommunikationsdiensten vergeben, soweit andere Unternehmen die Möglichkeit haben, diese Dienste unter den gleichen Bedingungen anzubieten.

    Das Fehlen irgendeines Hinweises auf die Mitgliedstaaten scheint also für die Auffassung zu sprechen, daß die Auftraggeber selbst — nur sie werden in der Vorschrift erwähnt — zu bestimmen haben, welche Aufträge ausgenommen sind. Dieses Ergebnis wird, zumindest auf den ersten Blick, dadurch bestätigt, daß andere Vorschriften der Richtlinie, die ebenfalls in Abschnitt I enthalten sind und somit die zugelassenen Ausnahmen betreffen, die den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung der Aufträge, für die die genannten Ausnahmen gelten, zugewiesene Rolle ausdrücklich und genau bezeichnen ( 3 ).

    11.

    Dazu kommt, daß nach Artikel 8 Absatz 2 die Auftraggeber der Kommission auf deren Antrag alle Dienstleistungen mitzuteilen haben, die „ihres Erachtens unter die Ausnahmeregelung nach Absatz 1 fallen“. Die Kommission veröffentlicht sodann, wenn auch nur informationshalber, im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Teil C, Listen der Dienstleistungen, die „ihres Erachtens unter die Ausnahmeregelung fallen“.

    Wäre es nun, wie die Regierung des Vereinigten Königreichs meint, Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, welche Dienstleistungen nach Artikel 8 Absatz 1 als vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen anzusehen sind, so wäre schwer verständlich, weshalb der Artikel 8 Absatz 2 den Auftraggebern und nicht den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, die ihres Erachtens ausgeschlossenen Dienstleistungen mitzuteilen. Wenn man diese Vorschrift nicht als völlig nutzlos ansehen will, muß man die Daseinsberechtigung von Artikel 8 Absatz 2 darin sehen, daß die Auftraggeber selbst zu entscheiden haben, welche der von ihnen erbrachten Dienstleistungen unter den Ausnahmetatbestand des Artikels 8 Absatz 1 fallen.

    12.

    Eine weitere Bestätigung dieses Standpunkts ergibt sich aus Artikel 33 der Richtlinie, wonach, wie bereits ausgeführt, die Auftraggeber „sachdienliche Unterlagen über jede Auftragsvergabe aufbewahren], die es ihnen zu einem späteren Zeitpunkt ermöglichen, die Entscheidungen zu begründen über ... d) die Nichtanwendung der Bestimmungen der Abschnitte II, III und IV gemäß den in Abschnitt 1 vorgesehenen Abweichungsmöglichkeiten“.

    Aus dieser Vorschrift ergibt sich ganz ldar, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber beabsichtigt hat, sich durch die nationalen Rechtsvorschriften an die Auftraggeber selbst zu wenden, indem er ihnen die Verantwortung für die aufgrund des Artikels 8 Absatz 1 der Richtlinie zu treffenden Entscheidungen über den Ausschluß sowie die Verpflichtung übertragen hat, das Vorliegen seiner Voraussetzungen zu beweisen.

    13.

    Nach alldem möchte ich darauf hinweisen, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes in diesem Bereich die den Mitgliedstaaten durch Artikel 189 Absatz 3 des Vertrages bei der Wahl der Mittel und Wege zur Durchführung der Richtlinie eingeräumte Freiheit, „die Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten unberührt [läßt], im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten“ ( 4 ). Dies bedeutet, daß die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um die volle Wirksamkeit der Vorschriften der Richtlinie sicherzustellen und somit zu gewährleisten, daß das in ihr vorgeschriebene Resultat erreicht wird. Ich möchte dem hinzufügen, daß die Vorschriften einer Richtlinie, wie der Gerichtshof selbst ausgeführt hat, „mit unbestreitbarer Verbindlichkeit und mit der ... Bestimmtheit und Klarheit“ durchgeführt werden müssen, „die ... notwendig sind, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit zu genügen“ ( 5 ).

    Diese Ausführungen setzen ganz offensichtlich voraus, daß zum einen das den Staaten eingeräumte Ermessen bei der Umsetzung einer Richtlinie in ihr innerstaatliches Recht nicht so ausgeübt werden darf, daß dem Ziel der betreffenden Richtlinie entgegengewirkt wird, und daß es zum anderen gerade auf dieses Ergebnis ankommt, mit der Folge, daß die Umsetzung einer Richtlinie auch dann, wenn ihre Vorschriften im nationalen Durchführungstext nicht wortwörtlich wiederholt werden, als korrekt anzusehen ist, wenn sie es gleichwohl ermöglicht, das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen ( 6 ).

    14.

    Für die uns hier beschäftigende Rechtssache bedeutet dies folgendes: Auch wenn der Wortlaut der fraglichen Vorschrift und ihr systematischer Zusammenhang die Annahme nahelegen, daß die Auftraggeber selbst zu bestimmen haben, welche von ihnen erbrachten Dienstleistungen als vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen anzusehen sind, bleibt noch zu prüfen, ob die vom Vereinigten Königreich erlassenen Durchführungsvorschriften zur Erreichung des von der Richtlinie, namentlich Artikel 8 Absatz 1, gewollten Zieles geeignet sind.

    Meines Erachtens kann diese Frage nur verneint werden. Die Vorabfestlegung der „ausgeschlossenen“ Dienstleistungen in der beschriebenen Weise widerspricht nämlich dem Zweck der in Rede stehenden Vorschrift selbst, weil eine solche vorherige Festlegung die in einem Mitgliedstaat zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehende Lage widerspiegelt und weder der möglichen Entwicklung in diesem Sektor noch dem Umstand Rechnung trägt, daß sich die ausgeschlossenen Dienstleistungen für den einzelnen Betreiber ändern können. Zugleich hindert diese Verfahrensweise die Kommisison daran, die Kontrolle auszuüben, die die Richtlinie ihr in diesem Bereich überträgt.

    15.

    Wenn nämlich die Auftraggeber der Kommission auf deren Antrag die Aufträge mitteilen, die ihres Erachtens unter die Ausnahmeregelung fallen, und die Kommission diese informationshalber veröffentlicht, so folgt daraus, daß die veröffentlichte Liste nur die Dienstleistungen umfaßt, die nach Auffassung der Kommission selbst unter die Ausnahmeregelung fallen. Dies setzt voraus, daß sie prüfen muß, ob die von den Auftraggebern mitgeteilten Dienstleistungen tatsächlich die in Artikel 8 Absatz 1 für die Anwendung der Ausnahmeregelung aufgestellten Kriterien erfüllen.

    Es liegt jedoch auf der Hand, daß die vom Vereinigten Königreich vorgenommene Umsetzung die Kommission an einer solchen Nachprüfung hindert, da die Listen, die ihr von den Auftraggebern über die zuständigen nationalen Stellen ( 7 ) übermittelt werden, nicht von den in Anhang 2 des fraglichen nationalen Gesetzes enthaltenen Listen abweichen können. Dadurch wird hinsichtlich der Betreiber und der Dienstleistungen im Vereinigten Königreich die der Kommission von Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie zuerkannte Überwachungsfunktion verkannt.

    16.

    Die britische Regierung hat die Art und Weise der Durchführung der Richtlinie in ihr innerstaatliches Recht jedoch damit verteidigt, daß es nicht zweckmäßig gewesen wäre, den Auftraggebern selbst die Befugnis zu übertragen, die unter die Ausnahme fallenden Aufträge zu bestimmen, denn dies hätte mit aller Wahrscheinlichkeit zu widersprüchlichen Bewertungen vergleichbarer Fälle geführt und die Rechtssicherheit nachhaltig beeinträchtigt.

    Dazu sei nur gesagt, daß das Funktionieren des in der Richtlinie festgelegten Systems, wie es hier ausgelegt worden ist, durch die Überwachungstätigkeit, die die Richtlinie selbst der Kommission überträgt, ausreichend garantiert wird, und zwar auch und vor allem hinsichtlich möglicher Mißbräuche, auf die die Regierung des Vereinigten Königreichs hinweist. Wenn die Entscheidung über den Ausschluß von den Auftraggebern selbst und nicht von den Mitgliedstaaten getroffen wird, können zudem eventuelle Beanstandungen gemäß den nationalen Vorschriften geltend gemacht werden, die zur Durchführung der Richtlinie 92/13/EWG über die Nachprüfungsverfahren ( 8 ) erlassen worden sind. Diese Richtlinie ist nämlich nach ihrem Artikel 1 auf „Entscheidungen von Auftraggebern“ anwendbar.

    17.

    Schließlich muß ich darauf hinweisen, daß es sich nach der hier vertretenen Auslegung des Artikels 8 Absatz 1 der Richtlinie um eine Vorschrift handelt, die den einzelnen, im vorliegenden Fall den Auftraggebern, Rechte verleiht, die diese unmittelbar vor den nationalen Gerichten geltend machen können. Es handelt sich somit um eine Vorschrift mit unmittelbarer Wirkung. Daher steht es zwangsläufig im Widerspruch zu dem von der Richtlinie verfolgten Zweck, wenn der nationale Gesetzgeber, wie hier, die ausgeschlossenen Dienstleistungen im voraus detailliert festlegt.

    Abschließend bin ich der Auffassung, daß Artikel 189 des Vertrages die Mitgliedstaaten verpflichtet, Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie so durchzuführen, daß die Auftraggeber ermächtigt werden, die in dieser Vorschrift festgesetzten Kriterien selbst anzuwenden und somit zu bestimmen, welche der von ihnen erbrachten Telekommunikationsdienstleistungen vom Geltungsbereich der Richtlinie auszuschließen sind.

    Die zweite Frage

    18.

    Mit der Frage 2 a) ersucht das nationale Gericht den Gerichtshof, zu präzisieren, ob die Wendung „soweit andere Unternehmen die Möglichkeit haben, diese Dienste in demselben geographischen Gebiet und unter im wesentlichen gleichen Bedingungen anzubieten“ in Artikel 8 Absatz 1 in dem Sinne auszulegen ist, daß diese Möglichkeit für die anderen Auftraggeber und die fraglichen Bedingungen durch Rechts-oder Verwaltungsvorschriften festgelegt sein müssen.

    Im wesentlichen ist somit zu untersuchen, ob die Möglichkeit, „diese Dienste in demselben geographischen Gebiet ... anzubieten“ und das Vorliegen von „im wesentlichen gleichen Bedingungen“ nur in rechtlicher Hinsicht — wie die Klägerin meint — oder auch in tatsächlicher Hinsicht zu prüfen sind.

    19.

    Im ersten Fall würde es selbstverständlich ausreichen, daß die Rechts-und Verwaltungsvorschriften die Möglichkeit eines freien Wettbewerbs in dem betreffenden Sektor gewährleisten. Mit anderen Worten müssen Vorschriften, die den freien Wettbewerb durch die Verleihung von Sonder-oder Ausschließlichkeitsrechten oder auch dadurch behindern, daß sie den Zugang zum Markt selbst auf irgendeine andere Weise unmöglich machen oder erschweren, ggf. aufgehoben werden.

    Dies ist der Standpunkt der Klägerin, zu dessen Begründung sie ausführt, daß sich die Richtlinie außer an die staatlichen Behörden und die öffentlichen Unternehmen, die Tätigkeiten in den von der Richtlinie betroffenen Bereichen ausüben, auch an die Stellen wende, denen von den zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten für die Ausübung ihrer Tätigkeiten Sonder-oder Ausschließlichkeitsrechte verliehen würden. Die Ratio einer solchen Ausdehnung liegt nach Auffassung der Klägerin gerade in der Annahme, daß die Verleihung derartiger Rechte die Abschottung des Marktes gegenüber dem Wettbewerb bewirke, indem sie ihn zu einem „vorbehaltenen“ Markt mache. Wenn ein innerstaatlicher normativer Akt erlassen worden sei, um diese Sonder-oder Ausschließlichkeitsrechte zu beseitigen, wie dies im britischen System durch den British Telecommunications Act 1984 geschehen sei, so bestehe folglich aufgrund der Ausnahmevorschrift des Artikels 8 Absatz 1 für die Anwendung der Richtlinie kein Grund mehr. Denn der fragliche Markt sei kein „vorbehaltener“ Markt im Sinne des Artikels 2 Absatz 3 der Richtlinie, sondern ein liberalisierter Markt, d. h. ein Markt, der dem Wettbewerb einer Vielzahl von Betreibern offenstehe.

    20.

    Diesem Vorbringen kann meines Erachtens nicht gefolgt werden. Zunächst ergibt sich aus dem Wortlaut der in Rede stehenden Vorschrift keineswegs, daß diese nur für Hindernisse gilt, die durch Rechts-oder Verwaltungsvorschriften errichtet worden sind. Die Möglichkeit der anderen Auftraggeber, die gleichen Dienste unter im wesentlichen gleichen Bedingungen anzubieten, ist nämlich in allgemeinen Worten festgelegt; angesichts der Ratio der fraglichen Vorschrift und des Systems insgesamt könnte sie auch nicht anders festgelet sein. Zudem bekräftigt die dreizehnte Begründungserwägung der Richtlinie, auf die ich bereits mehrfach Bezug genommen habe, ausdrücklich, daß der Ausschluß vom Geltungsbereich der Richtlinie der Bedingung unterliegt, daß die Tätigkeiten der fraglichen Auftraggeber „auf Märkten ohne Zugangsbeschränkungen unmittelbar dem Wettbewerb unterliegen“ ( 9 ).

    Es reicht also mit Sicherheit nicht aus, daß der Zugang zum Markt nicht gesetzlich verboten ist; es muß auch tatsächlich Wettbewerb herrschen. Die in Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie aufgestellten Kriterien sind deshalb so auszulegen, daß sie nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich erfüllt sein müssen. Die erste Voraussetzung ist erfüllt, wenn andere Auftraggeber als derjenige, um den es sich handelt, befugt sind, auf dem Markt der in Rede stehenden Dienstleistungen, der keiner gesetzlichen Zugangsbeschränkung unterliegt, tätig zu werden. Die zweite Voraussetzung kann dagegen als erfüllt angesehen werden, wenn die fraglichen Auftraggeber nicht nur formal befugt, sondern auch tatsächlich in der Lage sind, die fraglichen Dienstleistungen unter den gleichen Bedingungen wie der Auftraggeber zu erbringen.

    21.

    Im Ergebnis ist die fragliche Wendung so auszulegen, daß sie sich auf eine Reihe technischer und wirtschaftlicher und nicht nur rechtlicher Gegebenheiten bezieht. Deshalb muß die „Möglichkeit“, die Dienste anzubieten, tatsächlich und nicht potentiell, d. h. nur abstrakt, bestehen. Im letzteren Fall wäre nämlich nur eine einzige Person, der Auftraggeber selbst, tatsächlich auf dem fraglichen Markt tätig.

    Es ist somit Sache des Auftraggebers, wenn er meint, daß er von der Anwendung der Richtlinie ausgenommen werden müsse, aufgrund der Artikel 8 und 33 der Richtlinie zu beweisen, daß andere Auftraggeber in der Lage sind, die gleichen Tätigkeiten unter „im wesentlichen gleichen Bedingungen“ zu verrichten.

    22.

    Die Fragen 2 b) und 2 c) des vorlegenden Gerichts gehen dahin, welche Umstände bei der Prüfung, ob auf dem Telekommunikationsmarkt für eine bestimmte Dienstleistung tatsächlich Wettbewerb herrscht, zu berücksichtigen sind.

    Das Gericht fragt namentlich, ob für den Fall, daß die Lage des Marktes auch anhand tatsächlicher Gegebenheiten zu untersuchen ist, die beherrschende Stellung des fraglichen Auftraggebers auf dem Markt für einen bestimmten Telekommunikationsdienst eine Rolle spielt, worin diese beherrschende Stellung bestehen muß, damit sie in dem hier interessierenden Sinn erheblich ist, und schließlich, ob dem Umstand, daß für den Auftraggeber besondere Auflagen gelten, irgendeine Bedeutung zukommt.

    23.

    Die Klägerin bestreitet zunächst, eine beherrschende Stellung auf dem Markt einzunehmen ( 10 ), und legt eine Reihe von Daten vor, die das tatsächliche Bestehen von Wettbewerb für zahlreiche Tätigkeiten in diesem Sektor bestätigen sollen. Zweitens wendet sie sich gegen das Vorbringen, für die Richtlinie über die öffentlichen Aufträge sei schon der Umstand erheblich, daß ein Betreiber eine marktbeherrschende Stellung einnehme; weiter bestreitet sie, daß das Vorliegen einer solchen Stellung nur durch eine Analyse der Marktanteile bewiesen werden könne.

    Ihrer Auffassung nach sind bei der Beurteilung ihrer Marktposition andere Gegebenheiten zu berücksichtigen. Insbesondere müsse den Auflagen Rechnung getragen werden, zu deren Einhaltung sie anders als der größte Teil der anderen Zulassunginhaber verpflichtet sei ( 11 ).

    24.

    Meines Erachtens verfügt der Gerichtshof weder über die Kompetenz noch über die Mittel, um beurteilen zu können, ob alle tatsächlichen oder rechtlichen Gegebenheiten, die die vollständige Anwendung des Ausnahmetatbestands des Artikels 8 Absatz 1 der Richtlinie garantieren würden, in dem uns hier interessierenden Fall wirklich vorliegen. Dies ist vielmehr Aufgabe des nationalen Gerichts und entspricht in fast allen Fällen genau der Prüfung, die nach dieser Vorschrift den Auftraggebern obliegt und letztlich Gegenstand der Aufsichtstätigkeit der Kommission ist.

    Deshalb soll die Bemerkung genügen, daß die Entscheidung, ob für bestimmte Dienste die Möglichkeit der Anwendung des Ausnahmetatbestands unter Beachtung der (tatsächlichen und rechtlichen) Voraussetzungen des Artikels 8 Absatz 1 der Richtlinie bejaht werden kann oder nicht, nur im Einzelfall getroffen werden kann. Dabei werden namentlich alle Merkmale dieser Dienste, das Vorhandensein von Ersatzdiensten, die Preisbedingungen, die Marktstellung der Konkurrenten, eventuell bestehende gesetzliche Auflagen der soeben beschriebenen Art sowie jede andere Voraussetzung, die sich im konkreten Fall als erheblich erweist, zu berücksichtigen sein.

    Die dritte Frage

    25.

    Mit der dritten Frage, die drei verschiedene Unterfragen enthält, wird der Gerichtshof um Auskunft darüber ersucht, wie das nationale Gericht vorzugehen hat, wenn es aufgerufen ist, die richtige Anwendung der Kriterien des Artikels 8 Absatz 1 der Richtlinie durch die nationalen Behörden nachzuprüfen, und zwar insbesondere im Fall eines Streits zwischen dem Auftraggeber und den nationalen Behörden über die richtige Anwendung der in dieser Vorschrift enthaltenen Ausnahmekriterien sowie in dem Fall, daß das nationale Gericht zu dem Ergebnis kommt, daß diese Kriterien so festgelegt sind, daß sie es dem Auftraggeber unmöglich machen, festzustellen, ob ein bestimmter Dienst unter die Ausnahme fällt oder nicht.

    Offensichtlich hat das nationale Gericht diese Frage für den Fall gestellt, daß der Gerichtshof die erste Frage bejaht, d. h. daß er anerkennt, daß die Mitgliedstaaten befugt sind, selbst zu bestimmen, welche Dienste gemäß Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie von deren Geltungsbereich ausgenommen sind. Unter Berücksichtigung des Ergebnisses, zu dem ich insoweit gelangt bin, halte ich es für überflüssig, diese Frage zu beantworten.

    Die vierte Frage

    26.

    Mit der vierten Frage wird dem Gerichtshof erneut das Problem der Haftung und der Verpflichtung des Mitgliedstaats zur Entschädigung der einzelnen vorgelegt, die aufgrund einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts Schäden erlitten haben; dieses Problem steht im Mittelpunkt der Rechtssachen der Brasserie du Pêcheur und Factortame III ( 12 ) sowie Dillenkofer u. a. ( 13 ), in denen ich meine Schlußanträge heute vortrage. In der ersten Rechtssache bestand die dem Staat vorgeworfene Verletzung bekanntlich darin, daß er nationale Gesetze anwandte, die im Widerspruch zu Vertragsvorschriften standen; im zweiten Fall ging es dagegen wie in der Rechtssache Francovich ( 14 ) um die Nichtumsetzung einer Richtlinie innerhalb der festgesetzten Frist.

    Die Rechtssache, die uns hier beschäftigt, betrifft dasselbe Problem in dem anders gelagerten Fall der fehlerhaften, wenn auch rechtzeitigen Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht ( 15 ). Die Klägerin begehrt nämlich Ersatz für die Schäden, die sie aufgrund der fehlerhaften Umsetzung des Artikels 8 Absatz 1 der Richtlinie erlitten zu haben behauptet. Sie meint damit die zusätzlichen Kosten, die sie habe aufwenden müssen, um der (fehlerhaften) nationalen Vorschrift zur Durchführung der Richtlinie nachzukommen, die sie im übrigen daran gehindert habe, gewinnbringende Geschäfte zu tätigen, sowie die kaufmännischen und wettbewerblichen Nachteile, die sie wegen der — den anderen Wirtschaftsteilnehmern des Sektors nicht obliegenden — Verpflichtung erlitten habe, ihre Vorhaben betreffend Lieferaufträge und-verträge im Amtsblatt zu veröffentlichen ( 16 ).

    27.

    Auch in diesem Fall kann wie in den in der vorigen Nummer behandelten Fällen Ausgangspunkt nur das Urteil Francovich sein, in dem der Gerichtshof bekanntlich die Entschädigungspflicht des Staates für die Nichtumsetzung einer Richtlinie bejaht und dabei die Voraussetzungen präzisiert hat, unter denen in diesem Fall ein Entschädigungsanspruch einzelner entstehen kann.

    Im vorliegenden Verfahren ist somit zu prüfen: a) ob der Grundsatz der Staatshaftung sich auf den Fall der rechtzeitigen, aber fehlerhaften Umsetzung einer Richtlinie erstreckt, b) ob die vom Gerichtshof im Urteil Francovich aufgestellten Voraussetzungen ausreichen, um eine Entschädigungspflicht des Mitgliedstaats auch hier zu begründen, oder ob weitere Umstände hinzutreten müssen, und c) ob die Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

    28.

    Da ich einige der soeben aufgeworfenen Fragen ausführlich in meinen Schlußanträgen in den verbundenen Rechtssachen C-46/93 (Brasserie du Pêcheur) und C-48/93 (Factortame III) behandelt habe, halte ich es für zweckmäßig, wegen der Einzelheiten soweit erforderlich auf diese Schlußanträge zu verweisen. Deshalb beschränke ich mich hier auf kurze und grundlegende Ausführungen allgemeiner Art und werde nur auf die besonderen Aspekte des hier zu behandelnden Falles genauer eingehen.

    29.

    Zunächst einmal kann die Entschädigungspflicht nicht auf den Fall der Nichtumsetzung von Richtlinien beschränkt sein, sondern muß vielmehr auf den hier vorliegenden Fall erstreckt werden, in dem der von einem einzelnen erlittene Schaden sich aus der Anwendung einer nationalen Durchführungsvorschrift zu einer Richtlinie ergibt, die sich als fehlerhaft erweist und deshalb sehr wohl als solche unmittelbar vor dem nationalen Gericht hätte angefochten werden können. Mit anderen Worten ist der Umstand, daß der einzelne in diesem Fall den Schutz des geltend gemachten Rechts vor dem nationalen Gericht erlangen könnte, als solcher nicht geeignet, jede Möglichkeit eines vermögensrechtlichen Schutzes auszuschließen ( 17 ).

    Der Gerichtshof ist im Urteil Francovich ( 18 ) nach einer Darstellung der Grundzüge des Gemeinschaftssystems zu dem Ergebnis gelangt, daß „der Grundsatz einer Haftung des Staates für Schäden, die dem einzelnen durch dem Staat zurechenbare Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, ... aus dem Wesen der mit dem EWG-Vertrag geschaffenen Rechtsordnung“ folgt (Randnr. 35). Es handelt sich ganz offensichtlich um eine allgemeine und grundsätzliche Bestätigung, die somit für jeden beliebigen Fall einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts gilt und nicht nur für den Fall der Nichtumsetzung einer Richdinie ( 19 ). Zu diesem letzten Fall hat der Gerichtshof nur bemerkt, daß der Entschädigungsanspruch „unerläßlich“ sei, da der einzelne sonst trotz der ihm durch die Richtlinie zuerkannten Rechte keinerlei Schutz genießen würde. Diese Verdeutlichung schließt jedoch nicht den Ersatz von Schäden aus, die sich aus Verletzungen anderer Art ergeben, zumal der Gerichtshof selbst weiter ausgeführt hat, daß die Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs von der Art des Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht abhängen, der dem verursachten Schaden zugrunde liegt (Randnr. 38).

    30.

    Andererseits kann es, wie ich in meinen Schlußanträgen in den verbundenen Rechtssachen Brasserie du Pêcheur und Factortame III ausgeführt habe, in manchen Fällen nicht ausreichen, den rechtswidrigen Akt aufzuheben oder das Gesetz, das mit einem höherrangigen Rechtmäßigkeitskriterium unvereinbar ist, unangewendet zu lassen. Zur Gewährung eines tatsächlichen und wirksamen Schutzes kann es sich in der Tat als notwendig erweisen, das verletzte Recht auch hinsichtlich seines Inhalts wiederherzustellen und somit die Wiedergutmachung des Schadens zu gewährleisten.

    Der Grundsatz der Staatshaftung muß sowohl als alternative als auch als komplementäre Lösung im Verhältnis zum materiellen Schutz Anwendung finden; er muß somit sowohl bei einem Verstoß gegen Vorschriften eingreifen, die keine unmittelbare Wirkung haben und auf die sich der Verletzte nicht unmittelbar vor den nationalen Gerichten berufen kann, als auch bei einem Verstoß gegen Vorschriften, die diese Möglichkeit gewähren ( 20 ). Dies gilt natürlich auch in dem hier vorliegenden Fall der fehlerhaften Umsetzung einer Richtlinie.

    31.

    Hinsichtlich der Voraussetzungen der Staatshaftung ist vor allem daran zu erinnern, daß es, wie in den bereits mehrfach zitierten Schlußanträgen dargelegt, zur zumindest gleichartigen — wenn auch nicht einheitlichen — Gewährleistung des Schutzes durch Schadensersatz in allen Mitgliedstaaten unerläßlich ist, daß das Gemeinschaftsrecht selbst die Mindestvoraussetzungen für den Entschädigungsanspruch aufstellt, insbesondere die Kriterien, nach denen diese Voraussetzungen festgestellt werden, und die „gemeinschaftlichen“ Grenzen setzt, die für die „nationalen“ prozessualen und sonstigen Voraussetzungen der Entschädigung gelten.

    Dies ist übrigens die Lösung, die der Gerichtshof, wenn auch mit einigen Besonderheiten, die mit jener Rechtssache zusammenhingen, im Urteil Francovich befürwortet hat. Es gibt keinen Grund für die Annahme, daß dies nur für den Fall der NichtUmsetzung einer Richtlinie gilt und nicht auch für den Verstoß gegen unmittelbar anwendbare Vorschriften oder den Fall der fehlerhaften Umsetzung einer Richtlinie.

    32.

    Bekanntlich hat der Gerichtshof die Staatshaftung im Urteil Francovich bei Vorliegen folgender drei Voraussetzungen bejaht: „Zunächst muß Ziel der Richtlinie die Verleihung von Rechten an Bürger sein. Sodann muß der Inhalt dieser Rechte auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden können. Schließlich muß ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung und dem entstandenen Schaden bestehen.“ ( 21 ) Der Gerichtshof hat im übrigen ausgeführt, daß diese Voraussetzungen „ausreichen], um dem einzelnen einen Anspruch auf Entschädigung zu geben, der unmittelbar im Gemeinschaftsrecht begründet ist“ ( 22 ). Der Mitgliedstaat, dem die NichtUmsetzung einer Richtlinie zuzurechnen ist, ist somit in jedem Fall, in dem die vom Gerichtshof aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind, verpflichtet, den dem einzelnen entstandenen Schaden zu ersetzen.

    Gilt dieses Ergebnis auch im hier vorliegenden Fall, in dem es nicht um die Nichtumsetzung einer Richtlinie innerhalb der vorgesehenen Frist geht, sondern um eine fehlerhafte Umsetzung? Sind mit anderen Worten die Voraussetzungen, die ausreichen, um eine Entschädigungspflicht des pfichtwidrig handelnden Mitgliedstaats entstehen zu lassen, in beiden Fällen dieselben oder aber verschieden?

    33.

    Die im vorliegenden Verfahren auf diese Frage gegebenen Antworten gehen weit auseinander. Nach Auffassung der Mehrheit der Regierungen, die sich geäußert haben, sind die vom Gerichtshof im Urteil Francovich aufgestellten Voraussetzungen für die Begründung der Staatshaftung nicht ausreichend. Es müßten vielmehr dieselben Voraussetzungen erfüllt sein wie bei der außervertraglichen Haftung der Gemeinschaftsorgane ( 23 ), oder die Amtshaftung müßte von dem Erfordernis des Verschuldens abhängig gemacht werden.

    Anderer Meinung war die Kommission, die die vom Gerichtshof im Urteil Francovich aufgestellten Voraussetzungen für ausreichend hält, da Artikel 189 des Vertrages keine Unterscheidung zwischen Nichtumsetzung und fehlerhafter Umsetzung einer Richtlinie mache. Mit anderen Worten ist der entscheidende Punkt nach Auffassung der Kommission im einen wie im anderen Fall die Nichterfüllung der Verpflichtung, das von der Richtlinie vorgeschriebene Ziel zu erreichen, durch den Mitgliedstaat.

    34.

    Ich teile diesen Standpunkt nicht. Er scheint mir übrigens nicht im Einklang mit der Auffassung zu stehen, die die Kommission in den verbundenen Rechtssachen C-46/93 und C-48/93 vertreten hat. Dort hat sie bekanntlich vorgeschlagen, die vom Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zu Artikel 215 herausgearbeiteten engen Voraussetzungen als Mindeststandard anzuwenden.

    Zwar trifft es zu, daß die Richtlinie die Verpflichtung zur Erreichung eines Ziels aufstellt, wobei sie dem Staat ein Ermessen nur im Hinblick auf die Art und Weise und die Mittel zur Durchführung der Richtlinie einräumt. Meines Erachtens stellt diese Hypothese jedoch ein gemeinsames Merkmal vieler vertraglicher und außervertraglicher Gemeinschaftsvorschriften dar. So kann z. B. nicht bestritten werden, daß Artikel 30 des Vertrages den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, ein Ziel zu erreichen; gleichwohl ist die Kommission insoweit der Auffassung, daß für die Entstehung einer Entschädigungspflicht des Staates nicht nur ein Verstoß, sondern ein schwerer und offenkundiger Verstoß vorliegen muß.

    35.

    Das Problem kann somit nicht nur unter Berücksichtigung der Art der vorgesehenen Verpflichtung gelöst werden, insbesondere anhand des Kriteriums, ob es sich um eine Erfolgspflicht handelt oder nicht. Meines Erachtens ist vielmehr ein entscheidendes Kriterium für die Beantwortung der Frage, wann Rechtswidrigkeit zur Haftung führt, neben dem Ermessen, über das die Mitgliedstaaten in dem betreffenden Bereich möglicherweise verfügen, auch der Grad der Bestimmtheit der Verpflichtung, d. h. die Möglichkeit, den Inhalt des vom einzelnen geltend gemachten Rechts im Hinblick auf die schadensbegründende Maßnahme oder das schadensbegründende Verhalten mit hinreichender Bestimmtheit festzustellen. Diese Kriterien ermöglichen es, wie ich in meinen Schlußanträgen in den verbundenen Rechtssachen Brasserie du Pêcheur und Factortame III ausführlich dargelegt habe ( 24 ), einen Verstoß als offenkundig und schwer zu qualifizieren. Umgekehrt spielt das Verschulden als subjektive Komponente des dem Staat zur Last gelegten rechtswidrigen Verhaltens für die Haftung des pflichtwidrig handelnden Mitgliedstaats keine Rolle ( 25 ).

    Demnach bedeutet der Umstand, daß die Kriterien für die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Schadensverursachers im Urteil Francovich nicht verdeutlicht werden, keineswegs, daß jeder Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht, der sich auf die Vermögenssphäre eines Rechtssubjekts auswirkt, das eine auf die verletzte Gemeinschaftsvorschrift gestützte Rechtsposition besitzt, schon für sich allein zwangsläufig einen Entschädigungsanspruch nach sich zieht. ( 26 ) In jenem Fall lag vielmehr ganz einfach ein offenkundiger und schwerwiegender Verstoß vor.

    36.

    Allgemeiner kann man, wie ich bereits in meinen Schlußanträgen in den verbundenen Rechtssachen Brasserie du Pêcheur und Factortame III ausgeführt habe ( 27 ), von einem offenkundigen und qualifizierten Verstoß sprechen, wenn

    a)

    inhaltlich in jedem Punkt klare und genaue Verpflichtungen nicht beachtet werden;

    b)

    der Gerichtshof eine zweifelhafte Rechtslage, die mit der Rechtslage im betreffenden Fall übereinstimmt oder ihr zumindest entspricht, in seiner Rechtsprechung durch Auslegung in Vorabentscheidungsverfahren oder durch Urteil nach Artikel 169 bereits hinreichend geklärt hat;

    c)

    sich die von den nationalen Behörden bei ihrer normativen Tätigkeit (oder Untätigkeit) vorgenommene Auslegung der betreffenden Gemeinschaftsvorschriften als offensichtlich falsch erweist.

    37.

    In dem hier zu erörternden Fall nun können meines Erachtens unter Berücksichtigung der gegebenen Auslegung des Artikels 8 Absatz 1 der Richtlinie keine Zweifel daran bestehen, daß dessen Umsetzung in das innerstaatliche Recht durch den betreffenden Mitgliedstaat nicht als offenkundig fehlerhaft angesehen werden kann. Darin, daß das Vereinigte Königreich aufgrund einer Vorschrift (Artikel 8 Absatz 1), deren Inhalt keineswegs als klar und eindeutig angesehen werden kann, selbst bestimmt hat, welche Dienste vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen sind, liegt somit meines Erachtens kein offenkundiger und schwerer Verstoß.

    Die Rechtssache Francovich lag unter diesem Gesichtspunkt zweifellos anders. Der fragliche Mitgliedstaat hatte die Richtlinie, um die es ging, innerhalb der festgesetzten Frist, bezüglich deren er mit Sicherheit über keinen Ermessensspielraum verfügte, nicht umgesetzt; gerade dieser Umstand führt dazu, daß dieser Verstoß als solcher schwerwiegend und offenkundig ist ( 28 ).

    38.

    Zu dem im vorliegenden Verfahren ebenfalls hervorgehobenen Umstand, daß diese Auffassung letztlich rechtzeitige, aber völlig unrichtige Umsetzungen „fördern“ würde, genügt die Bemerkung, daß die hier vorgeschlagene Lösung geeignet ist, Mißbräuchen seitens der Mitgliedstaaten, die im übrigen als unwahrscheinlich anzusehen sind, vorzubeugen. Denn bei offensichtlich fehlerhaften Umsetzungen oder, wenn Sie wollen, bei klaren und eindeutigen Vorschriften, die unrichtig umgesetzt werden, müßte man immer zu dem Ergebnis kommen, daß ein offenkundiger und schwerwiegender Verstoß vorliegt, der geeignet ist, die Amtshaftung des fraglichen Mitgliedstaats auszulösen.

    Vorbehaltlich der Prüfung des Falles durch das nationale Gericht anhand der hier aufgestellten Kriterien bin ich abschließend der Meinung, daß die Verletzung des Artikels 8 Absatz 1 der Richtlinie unter den geschilderten Verhältnissen keinen offenkundigen und schwerwiegenden Verstoß darstellt, der geeignet ist, die Haftung des betreffenden Mitgliedstaats gegenüber dem Auftraggeber für den diesem eventuell durch die fehlerhafte Umsetzung der genannten Vorschrift zugefügten Schaden auszulösen.

    Ergebnis

    39.

    Aufgrund all dieser Erwägungen schlage ich deshalb dem Gerichtshof vor, die ihm vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen wie folgt zu beantworten:

    1.

    Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 90/531 /EWG ist dahin auszulegen, daß der jeweilige Auftraggeber selbst die Telekommunikationsdienste bezeichnet, für die die in dieser Vorschrift vorgesehene Ausnahme gilt.

    2.

    Die Wendung „soweit andere Unternehmen die Möglichkeit haben, diese Dienste in demselben geographischen Gebiet und unter im wesentlichen gleichen Bedingungen anzubieten“ in Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 90/531/EWG ist so zu verstehen, daß die fraglichen Auftraggeber nicht nur formal berechtigt sein müssen, auf dem in Rede stehenden von gesetzlichen Zugangsbeschränkungen freien Dienstleistungsmarkt tätig zu werden, sondern daß sie auch tatsächlich in der Lage sein müssen, die fraglichen Dienstleistungen unter den gleichen Bedingungen zu erbringen wie der Auftraggeber.

    Bei der Entscheidung darüber, ob bestimmte Dienstleistungen unter Berücksichtigung der in Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 90/531/EWG aufgestellten tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen unter den Ausnahmetatbestand fallen können, sind alle Merkmale der betreffenden Dienste, das Vorhandensein von Ersatzdiensten, die Preisbedingungen, die Marktstellung der Konkurrenten sowie eventuell bestehende gesetzliche Auflagen zu berücksichtigen.

    3.

    Der betroffene Mitgliedstaat ist nicht verpflichtet, den einem Auftraggeber aufgrund der fehlerhaften Durchführung des Artikels 8 Absatz 1 der Richtlinie 90/531/EWG möglicherweise entstandenen Schaden zu ersetzen, da der Verstoß im vorliegenden Fall nicht als offenkundig und schwerwiegend angesehen werden kann.


    ( *1 ) Originalsprache: Italienisch.

    ( 1 ) ABl. L 297, S. 1.

    ( 2 ) Hinsichtlich dieses letzten Aspekts steht das vorliegende Verfahren mit den verbundenen Rechtssachen C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame) und mit den verbundenen Rechtssachen C-178/94, C-179/94, C-18S/94, C-189/94 und C-190/94 (Dillenkofer u.a.), in denen ich meine Schlußanträge ebenfalls heute vortrage, in Zusammenhang.

    ( 3 ) Siehe insb. die Artikel 3 und 10.

    ( 4 ) Urteil vom 10. April 1984 in der Rechtssache 14/83 (Von Colson, Slg. 1984, 1891, Randnr. 15).

    ( 5 ) Urteil vom 30. Mai 1991 in der Rechtssache C-59/89 (Kommission/Deutschland, Slg. 1991,I-2607, Randnr. 24).

    ( 6 ) Vgl. z. B. Urteil vom 9. April 1987 in der Rechtssache 363/85 (Kommission/Italien, Slg. 1987, 1733).

    ( 7 ) Siehe Artikel 7 Absatz 1 des nationalen Durchführungsgesetzes.

    ( 8 ) Richtlinie des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts-und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemcinschaftsvorschriftcn über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie-und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. L 76, S. 14).

    ( 9 ) Hervorhebung von mir.

    ( 10 ) Die bruiseile Regierung ist der gegenteiligen Auffassung. Aus den unbestrittenen Erklärungen der französischen Regierung ergibt sich darüber hinaus, daß im Bereich der festen Verbindungen die Marktanteile sich wie folgt darstellen: 90 % für die Klägerin, 7 % für die Firma Mercury, 3 % für die übrigen Betreiber.

    ( 11 ) Wie im Vorlagebeschluß klar dargelegt wird, ist die Klägerin verpflichtet, jedem auf Anfrage den Anschluß an ihre Netze zu gestatten. Sie unterliegt im übrigen dem Kontrahierungszwang, d. h. sie muß Telefondienste in jedem beliebigen Gebiet des Königreichs erbringen, auch wenn die Nachfrage nicht ausreicht, um die Kosten zu decken. Schließlich unterliegt sie als einzige von allen Zulassungsinhabern der Regel des „Price cap“, die besagt, daß sie ihre Preise nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen und innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Grenzen ändern darf.

    ( 12 ) Zitiert in Fußnote 2.

    ( 13 ) Zitiert in Fußnote 2.

    ( 14 ) Urteil vom 19. November 1991 in den verbundenen Rechtssachen C-6/90 und C-9/90 (Francovich u.a., Slg. 1991, I-5357).

    ( 15 ) Anders als in der Rechtssache C-48/93 (Factortame III), auf die ich bereits hingewiesen habe und in der die Verletzung des Gemeinschaftsrechts dem Gesetzgeber zuzurechnen ist, sind im vorliegenden Fall die Durcnführungsvorschriften zu der Richtlinie ein Akt der Exekutive. Die extrem strengen Voraussetzungen, die die englische Rechtsprechung für die Haftung des Staates für seine Rechtsetzungstätigkeit aufstellt, machen es jedoch auch in einem solchen Fall äußerst schwierig, einen Schadensersatzanspruch einzelner, die infolge einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts einen Schaden erlitten haben, anzuerkennen. Wegen eines Überblicks über die nationale Rechtsprechung im Bereich der Staatshaftung für die Rechtsetzungstätigkeit der öffentlichen Verwaltung, namentlich im Hinblick auf die verschiedenen Fälle, in denen die Entschädigung im englischen Recht anerkannt ist, verweise ich auf Nr. 7 meiner Schlußanträge in der vorgenannten Rechtssache.

    ( 16 ) Die Klägerin hat beim nationalen Gericht auch beantragt, die Anwendung der streitigen nationalen Rechtsvorschriften im Wege der einstweiligen Anordnung auszusetzen. Dieser Antrag wurde zurückgewiesen.

    ( 17 ) Zu diesen Aspekten vgl. die Nrn. 23 bis 34 meiner Schlußanträge in den verbundenen Rechtssachen C-46/93 (Brasserie du Pêcheur) und C-48/93 (Factortame III).

    ( 18 ) Hinsichtlich der besonderen Aspekte der Rechtssache Francovich sowie der Begründung und des Umfangs des Grundsatzes der Haftung und des Schadensersatzes durch den den Vertrag verletzenden Mitgliedstaat, wie sie sich aus diesem Urteil ergeben, verweise ich auf meine Schlußanträge in den verbundenen Rechtssachen C-46/93 (Brasserie du Pêcheur) und C-48/93 (Factortame), namentlich Nrn. 15 bis 22.

    ( 19 ) Vgl. namentlich die Nrn. 33, 35 und 37 des genannten Urteils.

    ( 20 ) In diesem Sinne hat der Gerichtshof im Urteil vom 12. Juli 1990 in der Rechtssache C-188/89 (Foster, Slg. 1990,I-3313, Randnr. 22) entschieden, in dem er festgestellt hat, daß Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG, der unmittelbare Wirkung hat, „zur Erlangung von Schadensersatz gegenüber einer Einrichtung, die ... eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen hat ... in Anspruch genommen werden kann“.

    ( 21 ) Die fraglichen drei Voraussetzungen, die der Gerichtshof im Urteil Francovich (Randnr. 40) aufgestellt hat, werden hier in der Form zitiert, wie sie der Gerichtshof im Urteil vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache C-91/92 (Faccini Dori, Slg. 1994, 3325, Randnr. 27) bestätigt und zusammengefaßt hat. Vgl. auch Urteil vom 16. Dezember 1993 in der Rechtssache C-334/92 (Wagner Miret, Slg. 1993, I-6911, Randnrn. 22 und 23). Im letztgenannten Fall beruhte das Problem, obwohl es um eine bereits in das innerstaatliche Recht umgesetzte Richtlinie — dieselbe wie in der Rechtssache Francovich —ging, auf dem Umstand, daß in den nationalen Rechtsvorschriften, durch die Rechte verliehen wurden, eine bestimmte Kategorie von Arbeitnehmern nicht berücksichtigt war, so daß die Richtlinie ihnen gegenüber nicht durchgeführt war.

    ( 22 ) Urteil Francovich, a. a. O., Randnr. 41.

    ( 23 ) Ich habe die Rechtsprechung hierzu oder besser die Kriterien, die der Gerichtshof dort herausgearbeitet hat, für die uns hier interessierenden Aspekte in den Nrn. 61 bis 69 meiner Schlußanträge in den verbundenen Rechtssachen Brasserie du Pêcheur und Factortame III behandelt.

    ( 24 ) Vgl. namentlich die Nrn. 74 bis 84.

    ( 25 ) Vgl. dazu die Nrn. 85 bis 90.

    ( 26 ) Vgl. namentlich die Nrn. 55 bis 60 meiner Schlußanträge in den verbundenen Rechtssachen Brasserie du Pêcheur und Factortame III sowie Nr. 28 meiner Schlußanträge in den verbundenen Rechtssachen Dillenkofer u. a.

    ( 27 ) Vgl. namentlich Nr. 84.

    ( 28 ) Vgl. dazu Nr. 81 der Schlußanträge in den verbundenen Rechtssachen Brasserie du Pêcheur und Factortame III sowie die Schlußanträge in den verbundenen Rechtssachen Dillenkofer u. a.; diese Rechtssachen entsprechen in dem uns hier interessierenden Punkt dem Fall Francovich.

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