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Document 61993CC0131

Schlussanträge des Generalanwalts Van Gerven vom 18. Mai 1994.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland.
Freier Warenverkehr - Verbot der Einfuhr von lebenden Süßwasserkrebsen.
Rechtssache C-131/93.

Sammlung der Rechtsprechung 1994 I-03303

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1994:201

61993C0131

Schlussanträge des Generalanwalts Van Gerven vom 18. Mai 1994. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND. - FREIER WARENVERKEHR - VERBOT DER EINFUHR VON LEBENDEN SUESSWASSERKREBSEN. - RECHTSSACHE C-131/93.

Sammlung der Rechtsprechung 1994 Seite I-03303


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. Mit der vorliegenden Vertragsverletzungsklage möchte die Kommission vom Gerichtshof feststellen lassen, daß Deutschland durch den Erlaß einer Regelung, die die Einfuhr von lebenden Süßwasserkrebsen europäischer Art, die aus einem anderen Mitgliedstaat stammen oder aus einem Drittland stammen, aber bereits in die Gemeinschaft eingeführt worden sind, zu kommerziellen Zwecken verbietet (nachstehend: Regelung), gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag verstossen hat.

Die streitige nationale Regelung

2. Mit der am 24. Juli 1989 erlassenen und am 1. August 1989 in Kraft getretenen ersten Verordnung zur Änderung der Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV)(1) unterwarf Deutschland die Einfuhr lebender Flußkrebse aller Arten der Genehmigung der zuständigen deutschen Behörden gemäß § 21b des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG)(2). Nach dieser Vorschrift kann eine solche Genehmigung nur für Zwecke der Forschung oder Lehre gewährt werden. Dagegen ist die Einfuhr lebender Krebse zu kommerziellen Zwecken insbesondere zum Verzehr oder zum Aussetzen der Tiere in privaten Gewässern grundsätzlich verboten, vorbehaltlich § 31 Absatz 1 BNatSchG, wonach das Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft (nachstehend: Bundesamt) auf Antrag Befreiung von diesem Verbot gewähren kann, wenn die Durchführung der fraglichen Vorschrift zu einer nicht beabsichtigten Härte führen würde .

3. Nach der Klageschrift der Kommission hat der Rechtsstreit folgenden Hintergrund: Es gebe in Deutschland wie auch in den anderen Ländern Mitteleuropas infolge der Gewässerverschmutzung und insbesondere der Krebspest oder Aphanomykose ° deren Ausbreitung hauptsächlich der Einfuhr von infizierten Krebsen aus Nordamerika zuzuschreiben sei ° kaum noch natürliche Gewässer, in denen freilebende Krebse siedelten. Deshalb gälten die einheimischen Krebsarten gemäß der BArtSchV als besonders geschützt bzw. als vom Aussterben bedroht. Da die Bestände der einheimischen Arten (Edelkrebs, Steinkrebs und Dohlenkrebs) nicht genügten, um den Bedarf zu decken, habe Deutschland seit Jahren einige zehntausend Kilogramm lebender Süßwasserkrebse pro Jahr eingeführt.

4. Durch das Inkrafttreten der neuen Regelung im August 1989 sei den etwa acht bis zehn auf die Einfuhr von lebenden Krebsen spezialisierten deutschen Firmen beträchtlicher Schaden zugefügt worden ° ihr Umsatz sei stark zurückgegangen, so daß ihre Existenz bedroht sei. Deshalb hätten sie bei den deutschen Gerichten Klage erhoben mit der Folge, daß das Bundesamt zugunsten der betroffenen Firmen vorläufig die Befreiungsvorschrift des § 31 BNatSchG anwende. Damit könnten ihnen bis jetzt Einfuhrgenehmigungen erteilt werden, die jeweils nur für sechs Monate gälten und in denen jeweils eine genaue Einfuhrmenge, das Herkunftsland und die Krebsart bestimmt seien. Diese Genehmigungen seien mit Auflagen versehen, insbesondere um sicherzustellen, daß die Krebse nur an Endabnehmer, nicht aber an den Zwischen- und Einzelhandel weitergegeben würden. Ausserdem seien die Endabnehmer zu verpflichten, entsprechende Vorsichts- und Desinfektionsmaßnahmen zu treffen, eine Auswilderung der eingeführten Krebse zu verhindern und ihrerseits sicherzustellen, daß das Hälterungswasser, bevor es in die Umwelt gelange, desinfiziert werde. Die Genehmigung könne widerrufen werden, wenn diese Auflagen nicht eingehalten würden.

Unvereinbarkeit der Regelung mit Artikel 30 EWG-Vertrag

5. Die Kommission trägt vor, daß die Regelung insoweit mit den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag unvereinbar sei, die wesentliche Grundlage der durch die Verordnung (EWG) Nr. 3796/81(3) errichteten gemeinschaftlichen Marktordnung für Fischereierzeugnisse seien, als sie sich auf Krebse europäischer Arten erstrecke, die aus Mitgliedstaaten stammten oder aus Drittstaaten eingeführt seien und sich im freien Verkehr befänden. Die durch die Regelung eingeführte Beschränkung der Einfuhr lebender Krebse sei eine unmittelbar diskriminierende Maßnahme gleicher Wirkung, die durch Artikel 30 EG-Vertrag verboten sei. Überdies sei die Regelung wegen ihrer Unverhältnismässigkeit nicht nach Artikel 36 EG-Vertrag gerechtfertigt und laufe auf eine verschleierte Handelsbeschränkung hinaus.

Die deutsche Regierung wendet dagegen ein, i) daß die Auswirkungen der Regelung von der Kommission falsch interpretiert würden, wenn man die von den Behörden erteilten Ausnahmegenehmigungen berücksichtige, ii) daß die Regelung jedenfalls bis Ende 1992 gemäß Artikel 36 EWG-Vertrag gerechtfertigt und verhältnismässig gewesen sei und iii) daß sie keinesfalls eine verschleierte Handelsbeschränkung sei.

6. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Regelung grundsätzlich unter das Verbot des Artikels 30 EG-Vertrag fällt. Denn dieses Verbot ° das zwar in die Verordnung Nr. 3796/81 nicht ausdrücklich aufgenommen wurde, aber gleichwohl für Fischereiprodukte gilt(4) ° erstreckt sich nach ständiger Rechtsprechung auf "jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern"(5). Ausserdem gilt das Verbot des Artikels 30 EWG-Vertrag unterschiedslos für aus der Gemeinschaft stammende Waren und für solche Waren, die, gleich, woher sie ursprünglich stammen, in einem Mitgliedstaat in den freien Verkehr gebracht worden sind(6).

Nun steht fest, und die deutsche Regierung widerspricht dem nicht, daß die Regelung auf eine unmittelbare und tatsächliche Beschränkung der Einfuhr von Flußkrebsen aus anderen Mitgliedstaaten und von aus Drittstaaten stammenden Flußkrebsen, die sich im freien Verkehr befinden, nach Deutschland hinausläuft, die diese Erzeugnisse unmittelbar benachteiligt. Dies trifft um so mehr zu, als es sich, abgesehen von der Einfuhr für Zwecke der Forschung und Lehre, für die die Regelung eine Ausnahme vorsieht, um ein absolutes Verbot der Einfuhr von lebenden Krebsen zu kommerziellen Zwecken, sei es zum Verzehr oder zum Aussetzen in privaten Gewässern, handelt.

7. Es ändert nichts an dieser Situation, daß, wie die deutsche Regierung ausführt, von 1989 bis Juni 1993 in beträchtlichem Umfang, nämlich für 961 400 Kilogramm, Ausnahmegenehmigungen von diesem Verbot erteilt wurden, die die betreffenden Unternehmen nicht in voller Höhe ausgenutzt hätten. Selbst wenn infolge einer solchen Genehmigungspraxis nicht jede Einfuhr unmöglich gemacht wird und die marktabschirmende Wirkung reduziert ist, gilt die Rechtsprechung des Gerichtshofes ohne Abstriche, wonach

"Artikel 30 der Anwendung solcher nationalen Rechtsvorschriften in den innergemeinschaftlichen Beziehungen entgegensteht, die, auch nur als reine Formalität, Einfuhrlizenzen oder irgendein anderes ähnliches Verfahren verlangen.

[Nach] ständiger Rechtsprechung [entgeht] eine unter das Verbot des Artikels 30 EWG-Vertrag fallende Maßnahme nicht allein deshalb diesem Verbot ..., weil die zuständige Behörde bei der Anwendung solcher Maßnahmen über ein Ermessen verfügt. Der freie Warenverkehr ist ein Recht, dessen Ausübung nicht von einem Ermessen oder einer Konzession der nationalen Verwaltung abhängen kann."(7)

Daß die Zahl der Genehmigungen zwischen 1989 und 1993 angestiegen ist und die einführenden Unternehmen sie nicht in vollem Umfang ausgenutzt haben, scheint mir daher kein stichhaltiges Argument zu sein, zumal die Genehmigungspraxis des Bundesamts dem in den gesetzlichen Vorschriften enthaltenen Einfuhrverbot zuwiderläuft und somit aufgrund dieser Vorschriften jederzeit geändert werden kann. Dies scheint schwerlich vereinbar zu sein mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach

"die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Rechtsschutzes auf den vom Gemeinschaftsrecht erfassten Gebieten eine eindeutige Formulierung der Rechtsnormen der Mitgliedstaaten erfordern, die den betroffenen Personen die klare und genaue Kenntnis ihrer Rechte und Pflichten ermöglicht und die innerstaatlichen Gerichte in die Lage versetzt, deren Einhaltung sicherzustellen"(8).

Ist die Regelung aus einem der in Artikel 36 genannten Gründe gerechtfertigt?

8. Demzufolge ist der Frage nachzugehen, ob die Regelung nicht nach Artikel 36 EG-Vertrag als zulässig angesehen werden kann, wonach Artikel 30 Einfuhrverboten oder -beschränkungen nicht entgegensteht, die u. a. zum Schutz der "Gesundheit und des Lebens von ... Tieren" gerechtfertigt sind.

Fest steht, daß die Gemeinschaft bei Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission, d. h. am 19. Dezember 1990, noch keine Maßnahme in bezug auf die Problematik des innergemeinschaftlichen Handels mit Flußkrebsen, die Krebspest übertragen können, erlassen hatte. Erst am 28. Januar 1991 erließ der Rat die Richtlinie 91/67/EWG(9). Mit dieser Richtlinie wird ein allgemeines System tierseuchenrechtlicher Vorschriften für die Zucht, den Transport und die Vermarktung von Tieren und Erzeugnissen der Aquakultur eingeführt, das sowohl für Lieferungen aus den Mitgliedstaaten als auch für die Einfuhr aus Drittstaaten gilt. Die deutsche Regierung hat eingeräumt, daß die Regelung seit dem 1. Januar 1993, bis zu dem die Richtlinie 91/67 umzusetzen war (vgl. Artikel 29 Absatz 1), im Hinblick auf die Seuchengefahr keine Existenzberechtigung mehr habe(10).

Da die Gemeinschaften in dem fraglichen Zeitraum noch nicht über gemeinschaftliche oder harmonisierte Vorschriften verfügten, war es nach ständiger Rechtsprechung Sache der Mitgliedstaaten,

"mangels einer Harmonisierung ... unter Berücksichtigung der Erfordernisse des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft zu bestimmen, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen [im vorliegenden Fall: Tieren] gewährleisten wollen"(11).

9. Die deutsche Regierung trägt vor, daß die Regelung den Schutz der in Deutschland heimischen Krebsbestände vor der Krebspest bezwecke. Da auch europäische Krebsarten Träger dieser Krankheit sein könnten, könne ein auf nichteuropäische Arten beschränktes Einfuhrverbot das Risiko einer Übertragung dieser Krankheit nicht ausschließen. Ausserdem diene die Regelung dazu, die Ausbreitung von nichteinheimischen Krebsen in den deutschen natürlichen Gewässern möglichst weitgehend zu beschränken, um die genetische Identität lokaler Krebsbestände vor Faunenverfälschung zu schützen, die durch gleichartige, aber aus anderen Gebieten stammende Tiere eintrete.

Die Kommission leugnet die Gefahr der Krebspest nicht und räumt ein, daß der Schutz der einheimischen Fauna eine legitime Zielsetzung sei. Allerdings komme die Krebspest in ganz Europa einschließlich Deutschlands vor. Ein absolutes Einfuhrverbot lasse sich nicht durch Artikel 36 EG-Vertrag rechtfertigen, da diese Maßnahme weiter gehe, als es zum Schutz der einheimischen Fauna erforderlich sei.

10. Abgesehen von der Rüge, daß eine verschleierte Handelsbeschränkung vorliege (siehe dazu unten, Nr. 16), gehe ich davon aus, daß die Kommission grundsätzlich auch der Ansicht ist, daß die Regelung durch die nach Artikel 36 gerechtfertigte Zielsetzung des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Tieren motiviert ist, daß sie diese Regelung jedoch im Hinblick auf das verfolgte Ziel für unverhältnismässig hält. Ich gehe daher in meiner weiteren Untersuchung nur auf die Frage der Verhältnismässigkeit ein. Nach ständiger Rechtsprechung genügt es nämlich nicht, daß ein Mitgliedstaat eine nach Artikel 36 EG-Vertrag gerechtfertigte Zielsetzung geltend machen kann, sondern es ist auch zu prüfen,

"ob das ... angewandte System eine Maßnahme darstellt, die im [Hinblick auf den] verfolgten Zweck unverhältnismässig ist, weil das gleiche Ergebnis durch weniger restriktive Maßnahmen erreicht werden könnte, oder ob im Gegenteil ein solches System in Anbetracht der erwähnten technischen Zwänge notwendig und damit gemäß Artikel 36 gerechtfertigt ist"(12).

Sofern eine nationale Regelung die Grenzen dessen überschreitet, was zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich ist, hält sie der Gerichtshof für mit dem Vertrag unvereinbar(13).

11. Lassen Sie mich die Argumentation der Parteien kurz zusammenfassen. Nach Auffassung der Kommission hätte sich Deutschland zur Erreichung der genannten Zielsetzung mit einem Einfuhrverbot für nichteuropäische Krebsarten, wie den aus Nordamerika stammenden Procambarus clarkii, begnügen können. Die Klage sei deshalb nur gegen das Verbot der Einfuhr europäischer Krebsarten gerichtet(14). Für diese Krebsarten hält die Kommission ein absolutes Einfuhrverbot für zu weitgehend. Als Beispiel für eine akzeptable Regelung nennt sie Frankreich, das sich im Hinblick auf den Schutz der einheimischen Flußkrebse in einer vergleichbaren Lage befinde, jedoch nur die Einfuhr von Krebsen aus Drittstaaten verbiete(15).

Ferner weist die Kommission darauf hin, daß die Mitgliedstaaten zur Bekämpfung der Krebspest gehalten seien, Forschungsprogramme zu erstellen, anstatt die Einfuhr allgemein zu verbieten.

Schließlich hätte Deutschland, so weiter die Kommission, sich damit begnügen können, den Handel mit Krebsen im Inland zu beschränken, wobei es das Aussetzen von Arten, die Träger der Krebspest sein könnten, in bestimmten einheimischen Gewässern einer Genehmigungspflicht hätte unterwerfen oder in Gebieten, in denen einheimische Arten lebten, hätte verbieten können. Die Auflagen, an die die den deutschen Einführern erteilten Einfuhrgenehmigungen derzeit gebunden seien (oben Nr. 3), zeigten, daß es möglich sei, den innergemeinschaftlichen Handel weniger stark zu beschränken, um die deutschen Krebsbestände zu schützen.

12. Die deutsche Regierung weist darauf hin, daß auch die europäischen Krebsarten Träger der Krebspest sein könnten und daß auch die Einfuhr europäischer Arten zu einer Faunenverfälschung führen könne. Ferner seien die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 15 der Verordnung (EWG) Nr. 3626/82 des Rates vom 3. Dezember 1982 zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft(16) erfuellt.

13. Wenden wir uns zuerst dem letzten Punkt zu. Es trifft zu, daß Artikel 15 Absatz 3 der Verordnung Nr. 3626/82 es den Mitgliedstaaten, um die Gesundheit und das Leben der Tier- und Pflanzenwelt zu schützen, gestattet, für die von dieser Verordnung nicht erfassten Arten ° wie die hier betroffenen Flußkrebse ° "Maßnahmen [zu] ergreifen, die den darin vorgesehenen Maßnahmen entsprechen". Dabei ist jedoch, wie die Kommission zu Recht einwendet, Artikel 15 Absatz 1 dieser Verordnung zu beachten. Danach dürfen die Mitgliedstaaten u. a. zur Erhaltung einheimischer Arten strengere Maßnahmen als die in der Verordnung vorgesehenen beibehalten oder ergreifen, sofern sie dies "unter Beachtung des Vertrags, insbesondere des Artikels 36"(17), tun. Mit anderen Worten gilt, auch wenn ein Mitgliedstaat sich für weitergehende Maßnahmen zur Erhaltung seiner einheimischen Arten auf diese Verordnung beruft, die Voraussetzung der Verhältnismässigkeit des Artikels 36 EG-Vertrag ohne Abstriche.

14. Bei der Verhältnismässigkeitsprüfung komme ich aber zu dem Ergebnis, daß die Regelung zu dem angestrebten Zweck ausser Verhältnis steht. Was die präventive Bekämpfung der Ausbreitung der Krebspest betrifft, fährt die deutsche Regierung meines Erachtens mit einem absoluten Einfuhrverbot ein arg schweres Geschütz auf. Insbesondere scheint mir die von der Kommission angeführte französische Regelung oder eine Reglementierung der Voraussetzungen für den Umgang und den Handel mit lebenden Flußkrebsen im Inland, um eine Ausbreitung der Krebspest zu verhindern, eine geeignete, nichtdiskriminierende und den innergemeinschaftlichen Handel viel weniger einschränkende Alternative zu sein, um die Ausbreitung der Krebspest in Deutschland zu bekämpfen. Die heutige deutsche Verwaltungspraxis, die sich darauf beschränkt, die Auswilderung oder Aussetzung der Krebse zu verbieten sowie den Betroffenen eine Sorgfaltspflicht beim Ablassen des Hälterungswassers aufzuerlegen, belegt dies.

15. Ebensowenig scheint mir ein absolutes Einfuhrverbot durch die Zielsetzung gerechtfertigt zu sein, eine Faunenverfälschung zu verhüten. Es ist schon paradox, wenn die deutsche Regierung in ihrer Klagebeantwortung eine weniger einschränkende Alternative anführt, indem sie als Rechtfertigung der streitigen Regelung auf § 20d Absatz 2 BNatSchG verweist; dieser lautet:

"Gebietsfremde Tiere und Pflanzen wildlebender und nicht wildlebender Arten dürfen nur mit Genehmigung der nach Landesrecht zuständigen Behörde ausgesetzt oder in der freien Natur angesiedelt werden. Dies gilt nicht für den Anbau von Pflanzen in der Land- und Forstwirtschaft. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die Gefahr einer Verfälschung der heimischen Tier- oder Pflanzenwelt oder eine Gefährdung des Bestandes oder der Verbreitung heimischer wildlebender Tier- oder Pflanzenarten oder von Populationen solcher Arten nicht auszuschließen ist."

Da sich der Begriff "gebietsfremd", wie die deutsche Regierung ausführt, auf alle Arten bezieht, die in dem betreffenden Gebiet nicht von Natur aus vorkommen, umfasst er im Fall der Flußkrebse nicht nur die ausländischen Krebse, sondern auch alle einheimischen Krebse, die nicht in dieses Gebiet gehören. Eine solche Vorschrift scheint mir zur Erhaltung der einheimischen Fauna mindestens ebenso zweckdienlich zu sein wie ein absolutes Verbot der Einfuhr lebender Flußkrebse, wenn sie nicht sogar zweckdienlicher als ein solches Verbot ist. Ausserdem ist diese Vorschrift eine nichtdiskriminierende Alternative, die den innerstaatlichen Handel weniger einschränkt, da sie nur eine Genehmigungspflicht für das Aussetzen oder Ansiedeln von Flußkrebsen in der freien Natur vorsieht, aber deren Einfuhr oder den Handel mit ihnen unberührt lässt.

Liegt eine verschleierte Beschränkung des Handels vor?

16. In der vorprozessualen Phase hatte die Kommission den Eindruck gewonnen, die Beweggründe für die deutsche Regelung lägen nicht im Schutz der einheimischen Krebsarten, sondern diese sei wirtschaftlich begründet, insbesondere diene sie dazu, die inländischen Zuechter dieser Arten vor Einfuhren aus anderen Ländern zu schützen, und sie sei deshalb eine verschleierte Beschränkung des Handels im Sinne von Artikel 36 Satz 2 EG-Vertrag. Nach Klarstellungen seitens der deutschen Regierung dazu erklärte sich die Kommission bereit, diesen Vorwurf zurückzunehmen. Sie verlangte dabei jedoch eine Erklärung zu einem Punkt, den sie in der Klageschrift nicht in das Klagebegehren einbezogen hatte, nämlich zu der Tatsache, daß es einen Handel mit amerikanischen Krebsen (Kamber-Krebsen) aus den neuen Bundesländern gibt.

Die deutsche Regierung hat in ihrer Klagebeantwortung ausgeführt, daß diese Krebse erst seit der Wiedervereinigung in geringem Umfang im Inland gehandelt würden und daß dieser Handel bei Erlaß der streitigen Verordnung im Jahr 1989 nicht vorhersehbar gewesen sei, so daß es keinesfalls ihre Absicht gewesen sein könne, den Handel mit dieser Krebsart vor Einfuhren zu schützen.

Trotz dieser Erklärungen erhält die Kommission in ihrer Erwiderung den Vorwurf einer verschleierten Handelsbeschränkung aufrecht. Sie stützt sich dazu nunmehr auf eine Analyse der geltenden deutschen Bestimmungen, aus denen sich ergebe, daß das Besitz- und Vermarktungsverbot nur für wildlebende Krebse und davon auch nur für den Edelkrebs und den Steinkrebs gelte. Alle anderen Krebsarten einschließlich der gezuechteten Krebse könnten in Deutschland frei vermarktet werden, während ihre Einfuhr zu Vermarktungszwecken verboten sei.

17. Dieser letztere Befund ° dem die deutsche Regierung in ihrer Gegenerwiderung nicht widersprochen hat(18) ° veranschaulicht erneut die Unverhältnismässigkeit der Regelung; er ist aber meines Erachtens kein Beleg dafür, daß eine verschleierte Beschränkung des Handels im Sinne des Artikels 36 Satz 2 EG-Vertrag vorliegt. Wie der Gerichtshof wiederholt festgestellt hat, dient diese Bestimmung dem Zweck,

"zu verhindern, daß auf Gründe des Artikels 36 Satz 1 gestützte Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels mißbraucht und zur Diskriminierung von Waren aus anderen Mitgliedstaaten oder zum mittelbaren Schutz bestimmter nationaler Produktionen verwandt werden"(19).

Hier ist aber nicht hinreichend dargetan, daß die deutsche Regelung wirklich auf einer zweckfremden Anwendung der Rechtfertigungsgründe des Artikels 36 beruht und eigentlich nur protektionistischen Bestrebungen dient. Die Bedenken der Kommission betreffen nur Kamber-Krebse aus den neuen Bundesländern. Da die streitige Regelung am 24. Juli 1989 und damit zu einem Zeitpunkt erlassen wurde, zu dem von der deutschen Wiedervereinigung noch keine Rede war, kann der Schutz dieser Produktion nicht ihr Beweggrund gewesen sein.

Ergebnis

18. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen beantrage ich, dem Antrag der Kommission stattzugeben und Deutschland die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

(*) Originalsprache: Niederländisch.

(1) - BGBl. I 1989 S. 1525. Der vollständige Name der BArtSchV lautet Verordnung zum Schutz wildlebender Tier- und Pflanzenarten ; zur derzeit geltenden Fassung s. BGBl. I 1989 S. 1677.

(2) - Dessen vollständiger Titel lautet Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege , s. die im BGBl. I 1987 S. 889 veröffentlichte Fassung.

(3) - Verordnung (EWG) Nr. 3796/81 des Rates vom 29. Dezember 1981 über die gemeinsame Marktorganisation für Fischereierzeugnisse (ABl. 1981, L 379, S. 1).

(4) - Vgl. bereits Urteil vom 14. Juli 1976 in den verbundenen Rechtssachen 3/76, 4/76 und 6/76 (Kramer, Slg. 1976, 1279, Randnrn. 53 f.), bestätigt durch Urteil vom 25. Mai 1993 in der Rechtssache C-228/91 (Kommission/Italien, Slg. 1993, I-2701, Randnr. 11).

(5) - Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74 (Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnr. 5).

(6) - Siehe u. a. Urteile vom 15. Dezember 1976 in der Rechtssache 41/76 (Donckerwolcke, Slg. 1976, 1921, Randnr. 18) und vom 12. Juli 1990 in der Rechtssache C-128/89 (Kommission/Italien, Slg. 1990, I-3239, Randnr. 12).

(7) - Urteil vom 8. Februar 1983 in der Rechtssache 124/81 (Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1983, 203, Randnrn. 9 f.).

(8) - Urteil vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache 257/86 (Kommission/Italien, Slg. 1988, 3249, Randnr. 12); vgl. auch Urteil vom 11. Juni 1991 in der Rechtssache C-307/89 (Kommission/Frankreich, Slg. 1991, I-2903, Randnr. 13), in dem der Gerichtshof festgestellt hat, daß die unveränderte Fortgeltung einer nationalen Regelung, die als solche mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist, selbst dann, wenn der fragliche Mitgliedstaat im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht handelt, Unklarheiten tatsächlicher Art bestehen lässt, weil die betroffenen Normadressaten bezueglich der ihnen eröffneten Möglichkeiten, sich auf das Gemeinschaftsrecht zu berufen, in einem Zustand der Ungewißheit gelassen werden. Diese Ungewißheit kann dadurch, daß es sich bei dem, was der Anwendung des nationalen Gesetzes entgegenstehen soll, um rein behördeninterne Verwaltungsanweisungen handelt, nur verstärkt werden.

(9) - Richtlinie 91/67/EWG des Rates vom 28. Januar 1991 betreffend die tierseuchenrechtlichen Vorschriften für die Vermarktung von Tieren und anderen Erzeugnissen der Aquakultur (ABl. 1991, L 46, S. 1).

(10) - Die deutsche Regierung teilt in ihrer Gegenerwiderung auch mit, daß das Verfahren zur Änderung der BArtSchV eingeleitet worden sei. Ein Entwurf für eine Zweite Verordnung zur Änderung der BArtSchV liegt der Gegenerwiderung bei.

(11) - Urteil in der Rechtssache C-228/91, Fundstelle in Fußnote 4, Randnr. 16 (Klammerzusatz nur hier); siehe auch Urteile vom 19. März 1991 in der Rechtssache C-205/89 (Kommission/Griechenland, Slg. 1991, I-1361, Randnr. 8) und vom 12. März 1987 in der Rechtssache 178/84 (Kommission/Deutschland, Slg. 1987, 1227, Randnr. 41). Zu einer Anwendung dieser Rechtsprechung auf nationale Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Tieren vgl. Urteil vom 15. Juli 1982 in der Rechtssache 40/82 (Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1982, 2793, Randnrn. 33 f.).

(12) - Urteil in der Rechtssache 124/81 (Fundstelle in Fußnote 7, Randnr. 16).

(13) - Vgl. Urteile in den Rechtssachen C-128/89 (Fundstelle in Fußnote 6, Randnr. 18) und C-228/91 (Fundstelle in Fußnote 4, Randnr. 18).

(14) - Die Kommission stellt ausdrücklich klar, daß sie gegen nationale Schutzmaßnahmen, die die Einfuhr nichteuropäischer Krebse beträfen, die oft Träger der Krebspest, aber dagegen resistent seien, keine Einwände habe.

(15) - Die Kommission nennt insbesondere unter Verweisung auf Artikel 413-1º des Code rural und das Dekret Nr. 85-1189 vom 8. November 1985 den Procambarus clarkii, den Pacifastacus leniusculus und den Orconectes limosus. Ausserdem habe das französische Agrarministerium zur Festlegung, welche Lebendkrebse eingeführt werden dürften, in einer Dienstanweisung vom 30. November 1988 die wesentlichen Merkmale und Unterscheidungskriterien zusammengestellt.

(16) - ABl. 1982, L 384, S. 1, zuletzt geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 1534/93 der Kommission vom 22. Juni 1993 (ABl. 1993, L 151, S. 22).

(17) - Vgl. auch die neunte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 3626/82.

(18) - Die deutsche Regierung räumt ein, daß die beiden übrigen heimischen Flußkrebsarten, der Dohlenkrebs und der Kamber-Krebs, auf Bundesebene artenschutzrechtlich nicht geschützt seien. Sie erklärt dies damit, daß der Dohlenkrebs nicht kommerziell genutzt werde und deshalb als nicht gefährdet gelte, während der Kamber-Krebs in den alten Bundesländern nicht heimisch gewesen sei.

(19) - Urteile vom 14. Dezember 1979 in der Rechtssache 34/79 (Henn und Darby, Slg. 1979, 3795, Randnr. 21), vom 15. Juli 1982 in der Rechtssache 40/82 (Fundstelle in Fußnote 11, Randnr. 36) und vom 30. November 1993 in der Rechtssache C-317/91 (Deutsche Renault, Slg. 1993, I-6227, Randnr. 19).

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