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Document 61992CJ0068

Urteil des Gerichtshofes vom 17. November 1993.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Französische Republik.
Mehrwertsteuer - Sechste Richtlinie - Leistungen auf dem Gebiet der Werbung.
Rechtssache C-68/92.

Sammlung der Rechtsprechung 1993 I-05881

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1993:888

61992J0068

URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 17. NOVEMBER 1993. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN FRANZOESISCHE REPUBLIK. - MEHRWERTSTEUER - SECHSTE RICHTLINIE - LEISTUNGEN AUF DEM GEBIET DER WERBUNG. - RECHTSSACHE C-68/92.

Sammlung der Rechtsprechung 1993 Seite I-05881


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


++++

Steuerrecht ° Harmonisierung ° Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem ° Dienstleistungen ° Bestimmung des steuerlichen Anknüpfungspunkts ° "Leistungen auf dem Gebiet der Werbung" im Sinne der Sechsten Richtlinie ° Begriff ° Maßnahme der Absatzförderung

(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e)

Leitsätze


Bei dem Begriff "Leistungen auf dem Gebiet der Werbung" im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie (77/388) betreffend den steuerrechtlichen Anknüpfungspunkt für bestimmte Dienstleistungen handelt es sich um einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff, der einheitlich ausgelegt werden muß, um eine Doppelbesteuerung oder eine Nichtbesteuerung, die sich aus unterschiedlichen Auslegungen ergeben könnte, zu verhindern.

Unter diesen Begriff fällt eine Maßnahme der Absatzförderung wie der Verkauf von Waren zu herabgesetztem Preis, die Verteilung von an den Leistungsempfänger von einer Werbeagentur veräusserten beweglichen Sachen an die Verbraucher, die Leistung von Diensten zu herabgesetztem Preis oder die kostenlose Dienstleistung, die Organisation eines Cocktailempfangs oder eines Essens, wenn mit dieser Maßnahme die Übermittlung einer Botschaft verbunden ist, mit der das Publikum ° zum Zweck der Erhöhung des Absatzes ° über die Existenz und die Eigenschaften des Erzeugnisses oder der Dienstleistung, um die es bei dieser Maßnahme geht, unterrichtet werden soll. Das gleiche gilt für jeden Vorgang, der untrennbar zu einer Werbekampagne gehört und daher zur Übermittlung der Werbebotschaft beiträgt, was auf die Herstellung von Trägern zutrifft, die für eine bestimmte Werbung verwendet werden.

Entscheidungsgründe


1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 6. März 1992 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im folgenden: Sechste Richtlinie) verstossen hat, daß sie eine Reihe wirtschaftlicher Vorgänge von dem in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e dieser Richtlinie enthaltenen Begriff "Leistungen auf dem Gebiet der Werbung" ausgenommen hat.

2 In der siebten Begründungserwägung der Sechsten Richtlinie, die sich mit dem Problem des Ortes des steuerbaren Umsatzes befasst, das ° insbesondere hinsichtlich der Lieferung eines Gegenstands mit Montage und der Dienstleistungen ° zu Kompetenzkonflikten zwischen den Mitgliedstaaten geführt hat, heisst es:

"Wenn auch als Ort der Dienstleistung grundsätzlich der Ort gelten muß, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner beruflichen Tätigkeit hat, so sollte doch insbesondere für bestimmte zwischen Mehrwertsteuerpflichtigen erbrachte Dienstleistungen, deren Kosten in den Preis der Waren eingehen, als Ort der Dienstleistung das Land des Dienstleistungsempfängers gelten."

3 Zu diesem Zweck bestimmt Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie:

"Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit ... hat ..."

4 Absatz 2 dieses Artikels enthält eine Reihe von Ausnahmen von diesem Grundsatz. Zu den Leistungen auf dem Gebiet der Werbung bestimmt er folgendes:

"Es gilt jedoch

...

e) als Ort der folgenden Dienstleistungen, die an ausserhalb der Gemeinschaft ansässige Empfänger oder an innerhalb der Gemeinschaft, jedoch ausserhalb des Landes des Dienstleistenden ansässige Steuerpflichtige erbracht werden, der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort:

...

° Leistungen auf dem Gebiet der Werbung ..."

5 Diese Bestimmung wurde durch Artikel 259-B des Code général des impôts (Allgemeine Abgabenordnung; im folgenden: Code) in französisches Recht umgesetzt.

6 Der in Artikel 259-B enthaltene Begriff "Leistungen auf dem Gebiet der Werbung" wurde für die Finanzverwaltung und die Steuerpflichtigen in der Verwaltungsanweisung Nr. 3 A-28-83 vom 14. Dezember 1983 umschrieben. In ihr sind, in einem nicht erschöpfenden Verzeichnis, eine Reihe von Vorgängen aufgeführt, in denen die französische Verwaltung "Leistungen auf dem Gebiet der Werbung" sieht.

7 Nach dieser Anweisung können aber als Leistungen auf dem Gebiet der Werbung im Sinne des Artikels 259-B nicht angesehen werden

a) der Verkauf beweglicher Sachen durch ein Werbeunternehmen an seinen Kunden, z. B. der Verkauf von Gegenständen, die bei Spielen, Lotterien, Geschenkaktionen, Wettbewerben usw. kostenlos verteilt oder die in Verkaufsräumen ausgestellt werden sollen;

b) Leistungen, die von einem Werbeunternehmen im Rahmen verschiedener Veranstaltungen wie Erholungstagungen, Cocktailempfängen usw. erbracht werden können;

c) die eigentliche Herstellung von Werbeträgern, z. B. die Anfertigung von Werbedrucksachen durch eine Druckerei, oder die Herstellung einer Werbefläche.

8 Für die unter a genannten Vorgänge wird Mehrwertsteuer in dem Staat erhoben, der in den Vorschriften des Code über die Lieferung beweglicher Sachen genannt ist. Für die unter b und c genannten Vorgänge wird Mehrwertsteuer gemäß den in diesen Fällen anwendbaren Vorschriften des Code erhoben, also im Land des Dienstleistenden oder in dem Land, in dem sie tatsächlich stattfinden.

9 Da die Kommission der Auffassung ist, daß die nach der französischen Verwaltungsanweisung für Leistungen auf dem Gebiet der Werbung geltende Unterscheidung gegen Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie verstosse, weil sie zur Folge habe, daß die Vorgänge, die nicht als Leistungen auf dem Gebiet der Werbung bezeichnet würden, nicht im Land des Leistungsempfängers besteuert würden, wie es diese Vorschrift der Richtlinie verlange, hat sie gegen die Französische Republik das Verfahren nach Artikel 169 EWG-Vertrag eingeleitet.

10 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

11 Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, die Klage beziehe sich allein darauf, daß die französische Verwaltung vom Begriff der Leistungen auf dem Gebiet der Werbung die Vorgänge ausnehme, die unter a, b und c der oben unter Randnummer 7 erwähnten Verwaltungsanweisung aufgeführt sind.

12 Die französische Regierung steht auf dem Standpunkt, dieser Ausschluß stelle keine Verletzung des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie dar. Er erkläre sich dadurch, daß Maßnahmen der Verkaufsförderung einschließlich der Lieferung beweglicher Sachen anders geartet seien als Werbeleistungen, auch wenn alle diese Vorgänge Teil einer einzigen Werbekampagne seien. Diese Unterscheidung zwischen Werbung im strengen Sinne und Verkaufsförderung sei mit Buchstabe und Geist der Sechsten Richtlinie in Einklang, nach der es für die Bestimmung der für die verschiedenen Vorgänge maßgeblichen Regelung auf die Natur des besteuerbaren Vorgangs (Lieferung von Gegenständen ° Leistung von Diensten) ankomme, nicht aber auf den vom Empfänger verfolgten Zweck.

13 Es ist also zu prüfen, ob Maßnahmen der Verkaufsförderung Leistungen auf dem Gebiet der Werbung im Sinne des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie darstellen.

14 Dieser Artikel ist eine Kollisionsnorm, die den Ort der Besteuerung von Leistungen auf dem Gebiet der Werbung festlegt und somit die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten voneinander abgrenzt. Daraus folgt, daß es sich bei dem Begriff "Leistungen auf dem Gebiet der Werbung" um einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff handelt, der einheitlich ausgelegt werden muß, um eine Doppelbesteuerung oder eine Nichtbesteuerung, die sich aus unterschiedlichen Auslegungen ergeben könnte, zu verhindern.

15 Wie sich der siebten Begründungserwägung der Sechsten Richtlinie entnehmen lässt, ist es gerechtfertigt, die Leistungen auf dem Gebiet der Werbung dort zu besteuern, wo der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat, weil die Kosten dieser zwischen Mehrwertsteuerpflichtigen erbrachten Leistungen in den Preis der Waren eingehen. Soweit der Empfänger üblicherweise in dem Staat, in dem er seinen Sitz hat, die Waren verkauft oder die Dienstleistungen erbringt, für die geworben wird, und damit die entsprechende Mehrwertsteuer dem Endverbraucher in Rechnung stellt, ist es also nach Ansicht des Gemeinschaftsgesetzgebers angezeigt, daß auch die Mehrwertsteuer auf die Werbeleistung vom Empfänger an diesen Staat entrichtet wird. Diese Überlegung ist eines der Elemente, die bei der Auslegung des in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie enthaltenen Begriffes "Leistungen auf dem Gebiet der Werbung" zu berücksichtigen sind.

16 Mit dem Begriff der Werbung ist notwendigerweise die Verbreitung einer Botschaft verbunden, die dazu dient, die Verbraucher von der Existenz und den Eigenschaften eines Erzeugnisses oder einer Dienstleistung zu unterrichten, um so den Absatz zu erhöhen; gewöhnlich wird diese Botschaft mit Hilfe von Worten, Schriften und/oder Bildern über die Presse, den Rundfunk und/oder das Fernsehen verbreitet, die Verbreitung kann aber auch durch ° teilweise oder sogar ausschließliche ° Verwendung anderer Mittel erfolgen.

17 Werden ausschließlich andere Mittel verwendet, so sind für die Entscheidung, ob der fragliche Vorgang eine Leistung auf dem Gebiet der Werbung im Sinne des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie darstellt, jedesmal alle Umstände, unter denen die betreffende Leistung erfolgt, zu berücksichtigen. Ein solcher Umstand, der es erlaubt, eine Leistung als Leistung auf dem Gebiet "Werbung" anzusehen, ist darin zu erblicken, daß die eingesetzten Mittel von einer Werbeagentur geliefert worden sind. Diese Eigenschaft des Dienstleistenden ist aber keine unerläßliche Voraussetzung für die Bewertung. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, daß eine Leistung auf dem Gebiet der Werbung von einem Unternehmen erbracht wird, das sich nicht ausschließlich und nicht einmal hauptsächlich mit Werbung befasst, auch wenn ein solcher Fall wenig wahrscheinlich ist.

18 Ist mit einer Maßnahme der Absatzförderung wie mit dem Verkauf von Waren zu herabgesetztem Preis, der Verteilung von an den Leistungsempfänger von einer Werbeagentur veräusserten beweglichen Sachen an die Verbraucher, der Leistung von Diensten zu herabgesetztem Preis oder der kostenlosen Dienstleistung, der Organisation eines Cocktailempfangs oder eines Essens die Übermittlung einer Botschaft verbunden, mit der das Publikum ° zum Zweck der Erhöhung des Absatzes ° über die Existenz und die Eigenschaften des Erzeugnisses oder der Dienstleistung, um die es bei dieser Maßnahme geht, unterrichtet werden soll, so reicht dies also aus, um von einer Leistung auf dem Gebiet der Werbung im Sinne des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie sprechen zu können.

19 Das gleiche gilt für jeden Vorgang, der untrennbar zu einer Werbekampagne gehört und daher zur Übermittlung der Werbebotschaft beiträgt. Dies trifft auf die Herstellung von Trägern zu, die für eine bestimmte Werbung verwendet werden.

20 Nach alledem steht fest, daß die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Sechsten Richtlinie verstossen hat, daß sie im Wege einer Verwaltungspraxis a) den Verkauf von beweglichen Sachen durch ein Werbeunternehmen an seinen Kunden zur Abgabe an die Verbraucher, b) die von einem Werbeunternehmen im Rahmen verschiedener Veranstaltungen wie Erholungstagungen, Cocktailempfänge usw. erbrachten Leistungen und c) die Herstellung von Werbeträgern vom Begriff "Leistungen auf dem Gebiet der Werbung" im Sinne des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e dieser Richtlinie ausgenommen hat, selbst wenn alle diese Vorgänge entweder die Übermittlung einer Werbebotschaft umfassen oder mit dieser Übermittlung untrennbar verbunden sind.

Kostenentscheidung


Kosten

21 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Französische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Französische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage verstossen, daß sie im Wege einer Verwaltungspraxis a) den Verkauf von beweglichen Sachen durch ein Werbeunternehmen an seinen Kunden zur Abgabe an die Verbraucher, b) die von einem Werbeunternehmen im Rahmen verschiedener Veranstaltungen wie Erholungstagungen, Cocktailempfänge usw. erbrachten Leistungen und c) die Herstellung von Werbeträgern vom Begriff "Leistungen auf dem Gebiet der Werbung" im Sinne des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e dieser Richtlinie ausgenommen hat, selbst wenn alle diese Vorgänge entweder die Übermittlung einer Werbebotschaft umfassen oder mit dieser Übermittlung untrennbar verbunden sind.

2) Die Französische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

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