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Document 61992CC0315
Opinion of Mr Advocate General Gulmann delivered on 29 September 1993. # Verband Sozialer Wettbewerb eV v Clinique Laboratoires SNC and Estée Lauder Cosmetics GmbH. # Reference for a preliminary ruling: Landgericht Berlin - Germany. # Free movement of goods - Name of a cosmetic product liable to mislead consumers. # Case C-315/92.
Schlussanträge des Generalanwalts Gulmann vom 29. September 1993.
Verband Sozialer Wettbewerb eV gegen Clinique Laboratoires SNC und Estée Lauder Cosmetics GmbH.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Landgericht Berlin - Deutschland.
Freier Warenverkehr - Bezeichnung eines kosmetischen Mittels, die geeignet ist, den Verbraucher irrezuführen.
Rechtssache C-315/92.
Schlussanträge des Generalanwalts Gulmann vom 29. September 1993.
Verband Sozialer Wettbewerb eV gegen Clinique Laboratoires SNC und Estée Lauder Cosmetics GmbH.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Landgericht Berlin - Deutschland.
Freier Warenverkehr - Bezeichnung eines kosmetischen Mittels, die geeignet ist, den Verbraucher irrezuführen.
Rechtssache C-315/92.
Sammlung der Rechtsprechung 1994 I-00317
ECLI identifier: ECLI:EU:C:1993:823
Schlussanträge des Generalanwalts Gulmann vom 29/09/1993. - VERBAND SOZIALER WETTBEWERB EV GEGEN CLINIQUE LABORATOIRES SNC UND ESTEE LAUDER COSMETICS GMBH. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: LANDGERICHT BERLIN - DEUTSCHLAND. - FREIER WARENVERKEHR - BEZEICHNUNG EINES KOSMETISCHEN MITTELS, DIE GEEIGNET IST, DEN VERBRAUCHER IRREZUFUEHREN. - RECHTSSACHE C-315/92.
Sammlung der Rechtsprechung 1994 Seite I-00317
Schwedische Sonderausgabe Seite I-00013
Finnische Sonderausgabe Seite I-00013
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Herr Präsident,
meine Herren Richter!
1. Das Landgericht Berlin hat dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung des Artikels 30 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen einem deutschen Verband, der Ansprüche im Hinblick auf die Anwendung des deutschen Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (im weiteren: UWG) geltend machen kann, sowie der deutschen und der französischen Tochtergesellschaft des amerikanischen Unternehmens Estée Lauder.
2. Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich folgendes:
- Estée Lauder stellt eine breite Palette von kosmetischen Erzeugnissen her, die unter der Bezeichnung "Clinique" verkauft werden.
- Estée Lauder beschloß bei Einführung der Waren in Europa zu Beginn der siebziger Jahre, die Waren in Deutschland unter der Bezeichnung "Linique" zu vertreiben; dieser Beschluß wurde "angesichts der Rechtsprechung zu § 3 UWG (Irreführungsverbot)" getroffen.
- Die beklagte Tochterfirma möchte die Erzeugnisse nun in Deutschland unter der Bezeichnung Clinique vertreiben, da "wegen der unterschiedlichen Benennungen ... Schwierigkeiten bei Lieferungen nach Deutschland aus anderen Ländern und aus Deutschland in andere Länder" bestuenden und da "die Kosten für Verpackungen und Werbung, die durch die unterschiedlichen Namensführungen entstehen, ... erheblich" seien.
- Der Kläger, gestützt auf § 3 UWG und § 27 Absatz 1 Nr. 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (im weiteren: LMBG) nimmt die Beklagte auf Unterlassung des Vertriebs der Waren unter der Bezeichnung Clinique in Anspruch.
- Die Beklagte macht geltend, ein Verbot würde es ihr unmöglich machen, in England bzw. Belgien hergestellte Kosmetika unter dem Namen Clinique einzuführen; ein solches Verbot würde gegen Artikel 30 EWG-Vertrag verstossen.
- Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts ist "das Klagebegehren schlüssig, da nicht ausgeschlossen werden kann, daß ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise der Kosmetikserie Clinique medizinische Wirkungen auf die Haut vorbeugender oder heilender Art beimisst".
- Das vorlegende Gericht stellt fest, daß gegebenenfalls "Beweis zu erheben [wäre] durch ein Meinungsforschungsgutachten im Auftrag des Gerichts" und daß "bei Bejahung der Irreführung bei etwa 10 bis 20 % der Verbraucherschaft ... die Namensführung Clinique zu verbieten sein [würde]".
- Die genannte Maßnahme zur Feststellung, ob die Verbraucher irregeleitet werden, ist überfluessig, wenn ein solches Verbot, wie vom Beklagten geltend gemacht, gegen Gemeinschaftsrecht verstösst.
3. Das Landgericht Berlin hat demgemäß folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Sind die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag dahin gehend auszulegen, daß sie der Anwendung einer nationalen Vorschrift über den unlauteren Wettbewerb entgegenstehen, die es erlaubt, die Einfuhr und den Vertrieb eines in einem anderen europäischen Land rechtmässig hergestellten und/oder rechtmässig vertriebenen kosmetischen Produkts mit der Begründung zu untersagen, durch den Produktnamen "Clinique" würden die Verbraucher irregeführt werden - sie verstuenden es als medizinisches Produkt -, wenn dieses Produkt unter diesem Namen in anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaften rechtmässig und unbeanstandet vertrieben wird?
4. § 3 UWG bestimmt: "Wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs über geschäftliche Verhältnisse, insbesondere über ... irreführende Angaben macht, kann auf Unterlassung der Angaben in Anspruch genommen werden."
§ 27 LMBG bestimmt: "Es ist verboten, kosmetische Mittel unter irreführender Bezeichnung, Angabe ... gewerbsmässig in den Verkehr zu bringen ... Eine Irreführung liegt insbesondere dann vor, 1. wenn kosmetischen Mitteln Wirkungen beigelegt werden, die ... wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert sind ..."
5. Der Kläger des Ausgangsverfahrens macht geltend, ein Vertrieb der Waren unter der Bezeichnung "Clinique" würde gegen diese beiden Bestimmungen verstossen, da die Bezeichnung "Clinique" die Verbraucher zu dem Irrtum verleiten könne, die Erzeugnisse hätten medizinische Wirkungen. Er weist darauf hin, daß eine Klanggleichheit zwischen den Worten "Clinique" und "Klinik" bestehe, und daß das Wort "Klinik" in deutsch eine Krankenanstalt bezeichne(1).
6. Es ist darauf hinzuweisen, daß die Bestimmungen, auf die sich der Kläger des Ausgangsverfahrens beruft, Generalklauseln sind, was bedeutet, daß ihr konkreter Inhalt durch die Rechtsprechung bestimmt werden kann. In Deutschland ist zum UWG, das aus dem Jahre 1919 stammt, "im Rahmen der Generalklauseln der §§ 1 und 3 in gegenseitiger Abstimmung von Rechtsprechung und Wissenschaft ein feingegliedertes Geflecht ineinandergreifender kasuistischer Tatbestände, die zum Vorteil von Verbraucher, Unternehmen und des Gemeinwesens im ganzen jedenfalls bis zu einem gewissen Grade Rechtssicherheit gewähren und Berechenbarkeit wettbewerblichen Verhaltens erlauben"(2), entstanden.
7. Zweifellos trifft es zu, daß in Deutschland - im Gegensatz zu dem Rechtszustand in den meisten anderen Mitgliedstaaten - durch die Rechtsprechung ein relativ strenger Maßstab dafür festgelegt worden ist, was eine Irreführung darstellt, und daß dabei ein relativ hohes Niveau des Schutzes der Verbraucher und der anderen Interessen, die durch das Gesetz geschützt werden sollen, erreicht wurde. Dies gilt nicht zuletzt im Zusammenhang mit Angaben, die dahin verstanden werden können, daß den Waren medizinische Wirkungen beigemessen werden, die sie in Wahrheit nicht haben(3).
8. Die Vorlagefrage betrifft die Auslegung des Artikels 30 EWG-Vertrag - d. h. das Verbot von Beschränkungen des Handels zwischen Mitgliedstaaten - und die Bedeutung dieser Bestimmung für die Anwendung des Irreführungsverbots nach deutschem Recht in einem konkreten Rechtsstreit.
9. Der Gerichtshof kann in einem Vorabentscheidungsverfahren nicht dazu Stellung nehmen, wie die anhängige Rechtssache nach nationalem Recht konkret zu entscheiden ist, er kann dem nationalen Gericht jedoch alle zweckdienlichen Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts geben, so daß dieses Gericht bei der Entscheidung dieses Rechtsstreits beurteilen kann, ob die nationalen Bestimmungen damit vereinbar sind.
Der Gerichtshof kann in diesem Zusammenhang, um dem nationalen Gericht eine möglichst angemessene Antwort zu geben, die Auslegung des Artikels 30 EWG-Vertrag eng an die konkreten Umstände der anhängigen Rechtssache knüpfen.
Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß es in der vorliegenden Rechtssache nicht um eine Frage der allgemeinen Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit Artikel 30 geht, sondern um die Anwendung nationaler Vorschriften auf einen einzelnen Rechtsfall, in dem die Anwendung eine konkrete Beurteilung der Frage erfordert, ob die Verbraucher unter den gegebenen Umständen irregeführt werden. Es wäre meines Erachtens falsch, wenn der Gerichtshof in Rechtssachen wie der vorliegenden seine Auslegung des Artikels 30 zu eng an die konkreten Umstände des Falles knüpfte. Der Gerichtshof könnte in diesem Fall Gefahr laufen, Artikel 30 in bezug auf den Sachverhalt auszulegen, der für ihn unzureichend aufgeklärt ist, oder zu den tatsächlichen Umständen Stellung zu nehmen, was nicht seine Aufgabe, sondern die des nationalen Gerichts ist. Zudem wäre es auch von der Kapazität her gesehen ausgeschlossen, daß der Gerichtshof bei seiner Auslegung des Artikels 30 die Aufgabe übernähme, eine einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Zusammenhang mit der konkreten Anwendung von Generalklauseln wie der vorliegenden zu gewährleisten. Diese Aufgabe obliegt nach dem System des Vertrages dem nationalen Gericht, das die Verpflichtung hat, eine korrekte Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.
10. Für die Entscheidung in dieser Sache ist von Bedeutung, daß der Rat Richtlinien erlassen hat, nach denen die Mitgliedstaaten Vorschriften zu erlassen haben, die irreführende Werbung verbieten.
Es handelt sich um die Richtlinie 84/450/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung(4). In Artikel 2 der Richtlinie ist festgelegt, was unter irreführender Werbung zu verstehen ist; hieran knüpft Artikel 3 an, wonach bei der Beurteilung der Frage, ob eine Werbung irreführend ist, alle ihre Bestandteile zu berücksichtigen sind. Artikel 4 verpflichtet die Mitgliedstaaten, "im Interesse sowohl der Verbraucher als auch der Mitbewerber und der Allgemeinheit für geeignete und wirksame Möglichkeiten zur Bekämpfung der irreführenden Werbung" zu sorgen. Artikel 7 schließlich bestimmt, daß die Richtlinie "die Mitgliedstaaten nicht daran [hindert], Bestimmungen aufrechtzuerhalten oder zu erlassen, die einen weiterreichenden Schutz der Verbraucher ... vorsehen".
Es handelt sich weiter um die Richtlinie 76/768/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel(5), die insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung des freien Warenverkehrs mit diesen Erzeugnissen Vorschriften über die Zusammensetzung, Etikettierung und Verpackung der Erzeugnisse enthält und deren Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 7 Absatz 1 für die vorliegende Rechtssache von Bedeutung sind und folgendes bestimmen:
- "Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, daß bei der Etikettierung, der Aufmachung für den Verkauf und der Werbung für kosmetische Mittel nicht Texte, Bezeichnungen, Warenzeichen, Abbildungen und andere bildhafte oder nichtbildhafte Zeichen verwendet werden, die Merkmale vortäuschen, die die betreffenden Erzeugnisse nicht besitzen."
- "Die Mitgliedstaaten dürfen das Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln nicht aufgrund der in dieser Richtlinie und in ihren Anhängen enthaltenen Anforderungen ablehnen, verbieten oder beschränken, wenn sie den Bestimmungen dieser Richtlinie und ihrer Anhänge entsprechen."
11. Die Bundesregierung hat darauf hingewiesen, daß die Bestimmungen dieser beiden Richtlinien durch das deutsche Recht erfuellt würden - u. a. durch die oben genannten Vorschriften über die Irreführung - und daß ein eventuelles Verbot aufgrund der deutschen Rechtsvorschriften mit der Richtlinie in Einklang stände. Sie macht vor diesem Hintergrund geltend, daß die Vorlagefrage auf der Grundlage der Richtlinien dahin zu beantworten sei, daß Maßnahmen, die in Übereinstimmung mit den Richtlinien stuenden, a priori nicht gegen Artikel 30 verstossen könnten, es sei denn, die betreffenden Gemeinschaftsbestimmungen verstießen selbst gegen Artikel 30.
12. Diese Auffassung ist meines Erachtens nicht richtig. Sie vereinfacht die Problemstellung zu stark. Sie berücksichtigt nicht hinreichend die Natur der Gemeinschaftsverpflichtungen, die die beiden Richtlinien den Mitgliedstaaten auferlegen. Es handelt sich um sehr allgemein formulierte Verpflichtungen, wonach die nationalen Rechtsordnungen in näher festgelegten Bereichen die Verbraucher vor Irreführung schützen sollen. Die Richtlinie über irreführende Werbung legt also nur recht vage Kriterien dafür fest, was unter irreführender Werbung zu verstehen ist. Hinzu kommt, daß die Richtlinie im übrigen die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, strengere Bestimmungen zu erlassen. Wesentlich ist auch, daß die Richtlinienverpflichtungen in Übereinstimmung mit den Erfordernissen auszulegen sind, die sich aus den Vertragsbestimmungen über den freien Warenverkehr ergeben.
13. Meines Erachtens hat das vorlegende Gericht den Gerichtshof zu Recht um eine Auslegung des Artikels 30 EWG-Vertrag ersucht(6).
14. Die Beantwortung der Vorlagefrage muß deshalb auf der Grundlage der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofes zu diesen Bestimmungen erfolgen, wonach
- erstens das Verbot für "jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern", gilt und
- zweitens "Hemmnisse für den Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden der nationalen Rechtsvorschriften ergeben, hingenommen werden [müssen], soweit solche - unterschiedslos für inländische wie für eingeführte Waren geltenden - Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen, u. a. solchen des Verbraucherschutzes und der Lauterkeit des Handelsverkehrs, gerecht zu werden. Derartige Bestimmungen sind jedoch nur zulässig, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen und wenn dieser Zweck nicht durch Maßnahmen erreicht werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beschränken"(7).
15. Im Vorlagebeschluß wird - im übrigen unbestritten - zugrunde gelegt, daß ein eventuelles Verbot des Vertriebs der betreffenden kosmetischen Mittel in Deutschland unter der Bezeichnung Clinique echte Beschränkungen des Handelsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten bedeuten würde.
16. Im übrigen muß davon ausgegangen werden, daß, falls das Verbot bestehen bliebe, eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels vorläge, die sich aus der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften ergäbe, die auf inländische und eingeführte Erzeugnisse unterschiedslos angewandt würden.
17. Bekanntlich ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes auch, daß die Möglichkeit einer Rechtfertigung solcher Handelshemmnisse aus den in Artikel 36 EWG-Vertrag angeführten oder in der Rechtsprechung des Gerichtshofes anerkannten Gründen nur gegeben ist, wenn auf Gemeinschaftsebene keine gemeinschaftliche Regelung auf dem entsprechenden Gebiet erfolgt ist(8).
Es bestehen, wie schon gesagt, Gemeinschaftsvorschriften, die für die hier vorgelegte Frage erheblich sind, es sind dies meines Erachtens jedoch keine Vorschriften, die die Möglichkeit entfallen lassen, aufgrund der sogenannten "rule of reason" die vorliegende den Handel behindernde Maßnahme zu rechtfertigen.
18. Es kann ganz gewiß geltend gemacht werden, daß die Richtlinie über kosmetische Mittel, die in Artikel 6 Absatz 2 alle Mitgliedstaaten verpflichtet, die Irreführung der Verbraucher zu verhindern, und deren Artikel 7 Absatz 1 den Mitgliedstaaten verbietet, das Inverkehrbringen von Erzeugnissen zu verbieten oder zu beschränken, wenn sie den Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechen, gerade das Ziel verfolgt, die nationalen Anforderungen an kosmetische Mittel zu harmonisieren, und deshalb solche Gemeinschaftsvorschriften enthält, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes verhindern, daß den Handel behindernde Maßnahmen als gerechtfertigt angesehen werden können. Eine solche Argumentation ist jedoch in keinem der beim Gerichtshof eingereichten Schriftsätze vorgebracht worden. Es kann dann meines Erachtens nicht zu Recht geltend gemacht werden, daß der Umstand, daß die Waren in anderen Mitgliedstaaten rechtmässig unter der Bezeichnung Clinique vertrieben werden, bedeute, daß auch in Deutschland angenommen werden müsse, daß sie das Erfordernis des Artikels 6 Absatz 2 der Richtlinie erfuellten, den Erzeugnissen keine Eigenschaften zuzusprechen, die diese nicht besitzen. Dies ergibt sich schon aus der Tatsache, daß auf dem vorliegenden Gebiet sprachliche, kulturelle und soziale Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen können, die es mit sich bringen, daß eine Bezeichnung, die in einem Mitgliedstaat nicht irreführend ist, dies in einem anderen sehr wohl sein kann.
19. Die angeführten Gemeinschaftsvorschriften führen also meines Erachtens nicht dazu, daß die Möglichkeit einer Rechtfertigung nicht gegeben ist. Sie haben vielmehr die Bedeutung - und dies ist der wahre Kern der oben erwähnten Argumentation der Bundesregierung -, daß sie zeigen, daß der Sorge, u. a. die Verbraucher vor Irreführung beim Vertrieb von Waren und Dienstleistungen zu schützen, grosse Bedeutung beigemessen wird, und daß dies nicht zuletzt dann gilt, wenn den Waren medizinische Eigenschaften zugesprochen werden, die sie nicht haben(9).
20. In der Rechtsprechung des Gerichtshofes bestand nie ein Zweifel daran, daß die Sorge um den Schutz der Verbraucher und der Gewerbetreibenden vor unlauterem oder irreführendem Auftreten von Unternehmen, die Waren vertreiben, einer der zwingenden Gesichtspunkte ist, die Handelshemmnisse rechtfertigen können(10).
Zweifellos hat dieser Gesichtspunkt des Schutzes ein besonderes Gewicht, wenn das Bedürfnis im Zusammenhang mit der Anwendung des Irreführungsverbots auftaucht, das auch einen Aspekt des Gesundheitsschutzes aufweist, nämlich zu verhindern, daß die Verbraucher den Waren medizinische Wirkungen zuschreiben, die diese nicht besitzen.
21. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofes ist inzwischen auch erforderlich, daß eine Anwendung der entsprechenden nationalen Bestimmungen unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes unerläßlich ist, daß sie in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht und daß das Ziel nicht mit weniger handelshemmenden Maßnahmen erreicht werden kann.
22. Die Kommission macht geltend, das Verbot der Verwendung der Bezeichnung Clinique sei nicht unerläßlich, um den Erfordernissen des Verbraucherschutzes und der Lauterkeit des Handelsverkehrs gerecht zu werden. Hierfür sprächen folgende Überlegungen:
- Die betreffenden Erzeugnisse würden ausschließlich durch Parfümerien und Kosmetikabteilungen in Kaufhäusern vertrieben, und da sie nicht in Apotheken erhältlich seien, lägen Assoziationen zu Heilmitteln fern.
- Die Bezeichnung "Clinique" sei der Verkaufsname des Produkts. Da Kosmetikprodukte als Lippenstift, Mascara, Gesichtscreme usw. verkauft würden, werde dem Verbraucher durch die Etikettierung deutlich gemacht, daß es sich um ein kosmetisches Mittel handele.
- Die Aufmachung und der Inhalt seien typisch für kosmetische Produkte, einschließlich des Hinweises, daß die Produkte allergologisch bzw. dermatologisch getestet worden seien.
23. Meines Erachtens hat die Argumentation der Kommission Gewicht, die im Grunde darauf hinausläuft, daß bei einer konkreten Gesamtwürdigung keine echte Gefahr einer Irreführung bestehe und daß es deshalb auch nicht unerläßlich sei, den Vertrieb der Erzeugnisse unter der Bezeichnung Clinique zu verbieten.
24. Dennoch wäre es meiner Auffassung nach falsch, die Vorlagefrage im Sinne der Kommission so zu beantworten, daß Artikel 30 dahin auszulegen ist, daß er der Anwendung des Verbots des beabsichtigten Vertriebs gemäß § 3 UWG entgegensteht.
25. Erstens würde damit meines Erachtens die Vorlagefrage in einer Weite beantwortet, die die Grenzen zwischen dem überschreiten würde, was in einer Sache wie der vorliegenden Aufgabe des Gerichtshofes ist, und der Aufgabe, die dem nationalen Gericht im Zusammenhang mit der konkreten Anwendung des Gemeinschaftsrechts obliegt, siehe Nr. 9 dieser Schlussanträge.
Zweitens kann geltend gemacht werden, daß die Kommission den Umstand nicht hinlänglich berücksichtigt, daß der Ausgangspunkt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes darin besteht, daß es die einzelnen Mitgliedstaaten sind, die das Schutzniveau festlegen, das sie für den Schutz eines Interesses für angemessen halten, dessen Berücksichtigung durch die Mitgliedstaaten nach Artikel 36 EWG-Vertrag und der Rechtsprechung des Gerichtshofes im übrigen zulässig ist - selbst wenn die erlassenen Vorschriften zu Handelshemmnissen führen können(11).
In diesem Zusammenhang sei ein Gesichtspunkt erwähnt, den die Beklagte des Ausgangsverfahrens im Verfahren vor dem Gerichtshof geltend gemacht hat. Sie führt an, es gebe keinen Grund für die Behauptung, daß der deutsche Verbraucher einen angeblich grösseren Schutz benötige als ein Verbraucher in anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft(12). Hierzu ist zu bemerken, daß, wie gerade gesagt, die Festlegung des in dem einzelnen Land angestrebten Schutzniveaus nach dem Gemeinschaftsrecht im Ausgangspunkt dem nationalen Gesetzgeber obliegt. Zudem können, wie schon gesagt, konkrete Unterschiede in sprachlicher, sozialer und kultureller Hinsicht bestehen, die dazu führen, daß ein Umstand, der die Verbraucher in einem Land nicht irreführt, die Verbraucher in einem anderen Land sehr wohl irreführen kann.
26. Es lässt sich deshalb meines Erachtens nicht von vornherein sagen, daß das Verbot des beabsichtigten Vertriebs der Waren im Sinne des Artikels 30 unnötig wäre, um das vom deutschen Recht verfolgte Schutzniveau zu erreichen, wenn die vom vorlegenden Gericht vorgesehene Meinungsumfrage ergäbe, daß der genannte Anteil der deutschen Verbraucher über die Eigenschaften der Erzeugnisse irregeführt wird.
27. Ein konkretes Verbot würde meines Erachtens nicht gegen die Richtlinie über irreführende Werbung verstossen. Dies kann schon mit dem Umstand begründet werden, daß die Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, ein höheres Schutzniveau zugrunde zu legen, als es die Richtlinie vorsieht. Hinzu kommt jedoch, daß meines Erachtens auch das Ergebnis grundsätzlich nicht im Widerspruch zu einigen der spezifischen Mindesterfordernisse an die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten, die sich aus der Richtlinie ergeben, stehen würde(13).
28. Dies schließt indessen nicht aus, daß aus den Gemeinschaftsvorschriften das Erfordernis abgeleitet werden kann, daß das deutsche Gericht die Verbote in den beiden nationalen Bestimmungen über Irreführung im geschäftlichen Verkehr anwendet.
Es ist wesentlich, daß die nationalen Gerichte bei der konkreten Rechtsanwendung der grundlegenden Bedeutung Rechnung tragen, die der freie Warenverkehr innerhalb des Gemeinschaftsrechts hat, und daß sie sich bewusst sind - nicht zuletzt in Rechtssachen, die Generalklauseln wie die hier in Rede stehenden betreffen -, daß Maßnahmen, die Handelshemmnisse mit sich bringen, nur rechtmässig sind, wenn sie unerläßlich notwendig sind, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen und wenn dieses Ziel nicht durch Maßnahmen erreicht werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handel weniger beschränken.
Im übrigen sollte als für die vorliegende Rechtssache erheblich hervorgehoben werden, daß es eine getreue Anwendung des Gemeinschaftsrechts - hierunter der Richtlinie über irreführende Werbung - erfordert, daß bei der Beurteilung Wert auf eine Gesamtwürdigung gelegt wird, in die alle relevanten Gesichtspunkte einfließen, darunter die Umstände, unter denen die Erzeugnisse verkauft werden, und die Irreführungsgefahr im Hinblick auf den relevanten Verbraucherkreis.
Dies bedeutet meines Erachtens u. a., daß das vorlegende Gericht bei seiner endgültigen Entscheidung, ob überhaupt Anlaß besteht, eine Meinungsumfrage durchzuführen, und, sollte dies bejaht werden, bei deren Durchführung den Umstand miteinbeziehen muß, auf den die Kommission, wie schon erwähnt, hingewiesen hat.
Antrag
29. Ich schlage dem Gerichtshof demgemäß vor, die Vorlagefrage folgendermassen zu beantworten:
Artikel 30 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er grundsätzlich der Anwendung einer nationalen Vorschrift über den unlauteren Wettbewerb, mit der der Vertrieb eines kosmetischen Mittels mit der Begründung verboten wird, daß die Verbraucher durch den Produktnamen in der Weise irregeführt werden, daß sie dem Erzeugnis medizinische Eigenschaften zuschreiben, nicht entgegensteht, auch wenn das Erzeugnis in anderen Mitgliedstaaten unter diesem Namen rechtmässig vertrieben wird.
Es obliegt indessen dem nationalen Gericht, bei der Anwendung der nationalen Bestimmungen zu gewährleisten, daß deren Anwendung nicht zu Behinderungen des innergemeinschaftlichen Handels führt, es sei denn, die Anwendung ist unerläßlich, um die Verbraucher und die Lauterkeit des Handelsverkehrs zu schützen, und sofern die getroffene Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht und dieses Ziel nicht durch Maßnahmen erreicht werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handel weniger stark beschränken.
Nach dem Gemeinschaftsrecht obliegt es gleichzeitig dem nationalen Gericht, bei der Beurteilung, ob die nationalen Vorschriften anzuwenden sind, eine Gesamtwürdigung zugrunde zu legen, in die alle einschlägigen Gesichtspunkte, darunter die Umstände, unter denen die Waren verkauft werden, und die Irreführungsgefahr im Hinblick auf den relevanten Verbraucherkreis, einfließen.
(*) Originalsprache: Dänisch.
(1) - Der Kläger des Ausgangsverfahrens verweist in seinem Schriftsatz auf die Definition des Wortes Klinik in der Brockhaus Enzyklopädie, 17. Auflage und macht geltend, daß in der deutschen Sprache unter Klinik eine öffentliche oder private Krankenanstalt verstanden wird, wobei in der Regel das Wort Krankenhaus für die einfacheren Krankenanstalten Verwendung findet, während man unter Klinik im allgemeinen die Universitätsklinik versteht, also eine Krankenanstalt von besonders hohem Rang .
(2) - Dr. H. Piper, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Zu den Auswirkungen des EG-Binnenmarktes auf das deutsche Recht gegen den unlauteren Wettbewerb , Wettbewerb in Recht und Praxis, 11/92, S. 685.
(3) - Die Bundesregierung hat diese Rechtsprechung in ihrem Schriftsatz dargestellt, siehe Schriftsatz, Nr. III.
(4) - ABl. L 250, S. 17.
(5) - ABl. L 262, S. 169.
(6) - Der Gerichtshof hat im übrigen eine zumindest teilweise übereinstimmende Argumentation der Bundesregierung in seinem Urteil vom 13. Dezember 1990 in der Rechtssache C-238/89 (Pall Corp., Slg. 1990, I-4827) zurückgewiesen, die die Rechtmässigkeit eines Verbots des Inverkehrbringens von Waren, die neben dem Warenzeichen den Buchstaben (R) tragen, auf der Grundlage des § 3 i UWG betraf. Der Gerichtshof wies die auf die Richtlinie über irreführende Werbung gestützte deutsche Argumentation mit der Begründung zurück, daß das fragliche Verbot in der Richtlinie ... keine Grundlage [findet], da festgestellt worden ist, daß es nicht durch zwingende Erfordernisse des Verbraucherschutzes oder der Lauterkeit des Handelsverkehrs gerechtfertigt ist. Diese Richtlinie beschränkt sich auf eine Teilharmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften über irreführende Werbung durch die Festsetzung von objektiven Mindestkriterien, anhand deren sich feststellen lässt, ob eine Werbung irreführend ist, und von Mindestanforderung in bezug auf die Einzelheiten des Schutzes gegen eine solche Werbung.
Das Urteil des Gerichtshofes vom 16. Januar 1992 in der Rechtssache C-373/90 (Forundersögelse/X, Slg. 1992, I-131), das die Rechtmässigkeit der Werbung für parallel importierte Kraftfahrzeuge in Frankreich betraf, kann nicht zur Unterstützung der Auffassung der Bundesregierung angeführt werden, auch wenn der Gerichtshof seine Antwort auf die Vorlagefrage auf eine Auslegung der Richtlinie über irreführende Werbung beschränkte. Der Gerichtshof ging nämlich davon aus, daß die Frage, die dahin ging, ob die streitige Verkaufspraxis im Einklang mit den anwendbaren Gemeinschaftsvorschriften stand, als eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie über irreführende Werbung zu verstehen sei.
(7) - Urteil des Gerichtshofes vom 13. Dezember 1990 in der Rechtssache 238/89 (Pall Corp., Slg. 1990, I-4827, Randnrn. 11 und 12).
(8) - Siehe Urteil des Gerichtshofes vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 (Rewe, Slg. 1979, 649) und kürzlich das Urteil vom 18. Mai 1993 in der Rechtssache C-126/91 (Yves Rocher, Slg. 1993, I-2361, Randnr. 12), das die Vorschriften des UWG über vergleichende Werbung betrifft.
(9) - Es ist angebracht, in diesem Zusammenhang auf Artikel 2 der Richtlinie 79/112/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. L 33, S. 1) hinzuweisen, wonach nach Gemeinschaftsrecht Erzeugnisse, die keine Heilmittel sind, nicht den Eindruck entstehen lassen dürfen, daß es sich um solche handelt. Gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie dürfen die Etikettierung und die Art und Weise, in der sie erfolgt, einem Lebensmittel nicht Eigenschaften zuschreiben, die es als geeignet zur Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit erscheinen lassen, oder den Eindruck solcher Eigenschaften entstehen lassen. Ich bin mit der Bundesregierung der Auffassung, daß eine entsprechende Regel im Wege der Auslegung dem Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie über kosmetische Mittel entnommen werden muß.
(10) - Siehe zuletzt das in Anmerkung 8 zitierte Urteil in der Rechtssache C-196/91, Yves Rocher, Randnr. 12.
(11) - Siehe z. B. Urteil des Gerichtshofes vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 188/84 (Kommission/Frankreich, Holzbearbeitungsmaschinen , Slg. 1986, 419, Randnr. 15).
(12) - Siehe Schriftsatz der Beklagten, S. 9, Abschnitt II, 3 b.
(13) - Der Gerichtshof hat, wie in Anmerkung 6 erwähnt, die Richtlinie in seinem Urteil in der Rechtssache C-373/90, Vorundersögelse/X, ausgelegt. Die in diesem Urteil erfolgte Auslegung hat, soweit ich sehen kann, nur eine begrenzte Bedeutung für die vorliegende Rechtssache.