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Document 61992CC0135

Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 27. Oktober 1993.
Fiskano AB gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Nichtigkeitsklage - Fischereiabkommen EWG-Schweden - Schreiben der Kommission betreffend einen Verstoß eines schwedischen Fischereifahrzeugs.
Rechtssache C-135/92.

Sammlung der Rechtsprechung 1994 I-02885

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1993:861

61992C0135

Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 27. Oktober 1993. - FISKANO AB GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - NICHTIGKEITSKLAGE - FISCHEREIABKOMMEN EWG-SCHWEDEN - SCHREIBEN DER KOMMISSION BETREFFEND EINEN VERSTOSS EINES SCHWEDISCHEN FISCHEREIFAHRZEUGS. - RECHTSSACHE C-135/92.

Sammlung der Rechtsprechung 1994 Seite I-02885


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. Die vorliegende Rechtssache zeichnet sich durch die - meines Wissens präzedenzlose - Besonderheit aus, daß sie eine Nichtigkeitsklage betrifft, die von einem Angehörigen eines Drittstaates gegen ein Schreiben der Kommission an den Vertreter des Königreichs Schweden bei den Europäischen Gemeinschaften erhoben worden ist. Diese Besonderheit erklärt für sich allein die beiden von der Kommission erhobenen Rügen der Unzulässigkeit.

2. Vor der Erörterung dieser Rügen ist der tatsächliche und rechtliche Zusammenhang zu umreissen, in den sich dieser Rechtsstreit einfügt; wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Sitzungsbericht(1) verwiesen.

3. In einem Abkommen vom 21. März 1977 vereinbarten die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Regierung Schwedens, sich in ihren ausschließlichen Fischereizonen zugunsten ihrer jeweiligen Fischereifahrzeuge wechselseitige Rechte einzuräumen (Artikel 1), die indessen auf jährlich festgelegte Fangquoten beschränkt sind (Artikel 2) und deren Ausübung nach Bedarf von Fischereilizenzen abhängig gemacht werden kann (Artikel 3).

4. Jede Partei hat dafür Sorge zu tragen, daß das Abkommen durch die seiner Hoheitsgewalt unterliegenden Fischereifahrzeuge beachtet wird (Artikel 5 Absatz 1), und kann im Hinblick auf die Fischereifahrzeuge der anderen Partei die für die Einhaltung des Abkommens erforderlichen Maßnahmen treffen (Artikel 5 Absatz 2).

5. Zur Beilegung von Streitigkeiten, die sich aus der Auslegung oder Durchführung des Abkommens ergeben können, wurde ein Konsultations- und gegebenenfalls Schiedsverfahren geschaffen (Artikel 7).

6. Dieses Abkommen wurde durch Verordnung des Rates vom 27. Juni 1980, der es beigefügt ist, genehmigt(2).

7. Durch Verordnung vom 20. Dezember 1990(3) legte der Rat die Bedingungen fest, die die schwedischen Fischereifahrzeuge bei ihrer Fischereitätigkeit in den Gewässern der Gemeinschaft einhalten mussten und deren Nichtbeachtung einen Entzug der Fischereilizenz für die Dauer von bis zu zwölf Monaten zur Folge hatte.

8. Am 10. Dezember 1991 wurde das schwedische Fischereifahrzeug "Lavön", das im Eigentum der Gesellschaft schwedischen Rechts Fiskano A.B. steht, von den niederländischen Behörden (Algemene Inspectie Dienst) kontrolliert, wobei sich herausstellte, daß es nicht in der Liste der Fischereifahrzeuge stand, für die eine Fischereilizenz erteilt worden war. Das meldeten diese Behörden der Kommission, die den Sachverhalt bestätigte.

9. Die Kommission richtete am 19. Februar 1992 ein Schreiben an den Botschafter Schwedens bei den Europäischen Gemeinschaften, in dem sie ihn davon in Kenntnis setzte, daß die Lavön "rechtswidrig gefischt" habe und deshalb gemäß Artikel 3 Absätze 7 und 8 der genannten Verordnung vom 15. Dezember 1991 an für die Dauer von zwölf Monaten "für die Erteilung einer neuen Fischereilizenz nicht in Betracht gezogen" werde(4).

10. Eine Kopie dieses Schreibens wurde von den schwedischen Stellen der Fiskano A.B. übermittelt, die am 30. März 1992 bei der Kommission eine Beschwerde einreichte, die mit Schreiben vom 5. Mai 1992 zurückgewiesen wurde.

11. Die vorliegende Klage richtet sich gegen das Schreiben vom 19. Februar 1992.

12. Wie ich bereits erwähnt habe, erhebt die Kommission meines Erachtens zwei Rügen der Unzulässigkeit, zwischen denen sie selbst nicht unterscheidet. Die eine betrifft die Rechtsnatur der angefochtenen Handlung, die andere die zweifache Anforderung an die Klägerin, unmittelbar und individuell betroffen zu sein.

13. Bevor ich zu der ersten Rüge komme, möchte ich daran erinnern, daß sich Ihre Rechtsprechung, was die formellen Kriterien anbelangt, niemals an die Einstufung der Handlung durch die handelnde Stelle gehalten, sondern die Handlung stets auf ihre wirkliche Rechtsnatur hin geprüft hat.

14. So haben Sie in dem Urteil Fédération Charbonnière de Belgique/Hohe Behörde(5) festgestellt, daß ein Schreiben als Entscheidung anzusehen ist, weil die

"Hohe Behörde ... somit in unzweideutiger Weise festgelegt [hat], wie sie sich von nun ab verhalten werde für den Fall, daß die unter 2 Buchstabe d des Schreibens angegebenen Voraussetzungen vorliegen sollten"(6).

15. Als weitere Vorbemerkung möchte ich darauf hinweisen, daß das Schreiben nicht deshalb, weil ihm ein internationales Abkommen zugrunde liegt, Ihrer Würdigung und Kontrolle entzogen wäre.

16. So haben Sie in dem Urteil Hägeman(7) ausgeführt, daß ein vom Rat geschlossenes Abkommen eine

"Handlung eines Gemeinschaftsorgans"(8)

darstellt, so daß

"die Bestimmungen des Abkommens ... seit dessen Inkrafttreten einen integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung [bilden]"(9),

deren Auslegung folglich Ihrer Zuständigkeit unterliegt.

17. Weiterhin haben Sie in Ihrem Gutachten 1/75(10) festgestellt:

"Da die Frage, ob der Abschluß eines bestimmten Abkommens in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt und ob gegebenenfalls von dieser Zuständigkeit in einer mit den Vertragsvorschriften zu vereinbarenden Weise Gebrauch gemacht worden ist, grundsätzlich entweder unmittelbar nach Artikel 169 oder Artikel 173 des Vertrages oder aber im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vor den Gerichtshof gebracht werden kann, ist davon auszugehen, daß der Gerichtshof mit dieser Frage auch in dem vorangehenden Verfahren des Artikels 228 befasst werden kann."(11)

18. Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen ist die von der Kommission vertretene Auffassung zu prüfen, das streitige Schreiben könne nicht Gegenstand einer Klage der Klägerin sein, weil es an einen Drittstaat gerichtet sei und im Kontext der Beziehungen zwischen zwei Völkerrechtssubjekten stehe und deshalb die Klägerin nicht unmittelbar und individuell betreffen könne. Da es sich somit um eine Beziehung zwischen Staaten handele, könne das Schreiben, das einen blossen Sanktionsvorschlag der Kommission darstelle, dessen Würdigung ausschließlich Sache der schwedischen Behörden sei, nicht als "Entscheidung" angesehen werden.

19. Die Zurückweisung dieser Argumentation beruht auf der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Abkommens sowie der bei Feststellung des Verstosses geltenden Verordnungen.

20. Zwar sieht das Abkommen, wie die Kommission zu Recht anmerkt, in Artikel 5 Absatz 1 vor, daß jede Partei für die Beachtung der darin festgelegten Bedingungen und aller sonstigen einschlägigen Vorschriften durch ihre eigenen Fischereifahrzeuge Sorge zu tragen hat, doch wollten weder die Gemeinschaft noch das Königreich Schweden auf die jeweiligen Befugnisse verzichten, die sie im Hinblick auf die Beachtung der einschlägigen Vorschriften durch die Fischereifahrzeuge der anderen Partei haben.

21. So bestimmt Artikel 5 Absatz 2:

"Jede Partei kann in ihrem Fischereihoheitsgebiet in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die Einhaltung dieses Abkommens durch die Fischereifahrzeuge der anderen Partei sicherzustellen."

22. Hält ein Fischereifahrzeug diese Verpflichtungen nicht ein, so kann es von einer oder von beiden Parteien mit einer Sanktion belegt werden, ohne daß dadurch in die Souveränität der anderen Partei eingegriffen wird.

23. Es handelt sich hierbei im Gegenteil um die Wahrung des im Völkerrecht feststehenden Grundsatzes der territorialen Souveränität, der im vorliegenden Fall die ausschließlichen Fischereizonen zuzuordnen sind - eines Grundsatzes, den der Ständige Internationale Gerichtshof in dem berühmten Urteil Lotus vom 7. September 1927(12) in folgende Worte gefasst hat:

"[La] limitation primordiale qu' impose le droit international à l' État est celle d' exclure - sauf l' existence d' une règle permissive contraire - tout exercice de sa puissance sur le territoire d' un autre État."(13)

24. Keine Partei wollte sich also ihrer eigenen Befugnisse innerhalb der Grenzen ihres Hoheitsgebiets begeben.

25. Eben diese Konzeption liegt der Verordnung (EWG) Nr. 3929/90 zugrunde, deren Artikel 3 Absatz 8 die Kommission ermächtigt, namens der Gemeinschaft schwedischen Fischereifahrzeugen, die gegen die Verordnung verstossen, eine Lizenz zu versagen, unbeschadet der in Artikel 4 Absatz 2 vorgesehenen Möglichkeit,

"Schweden seitens der Gemeinschaft Namen und Kennzeichnung der Fischereifahrzeuge [mitzuteilen], die im darauffolgendem Monat bzw. in den darauffolgenden Monaten aufgrund eines Verstosses gegen die Gemeinschaftsbestimmungen nicht zum Fischfang in der Fischereizone der Gemeinschaft berechtigt sind".

26. Somit gestattet also die Verordnung - übrigens im Einklang mit dem Abkommen - der Kommission, entweder einem Fischereifahrzeug, das gegen eine der Vorschriften verstossen hat, eine Fischereilizenz zu entziehen oder zu versagen oder diese Sanktion bloß Schweden vorzuschlagen.

27. Aber fiel es im Rahmen des Abkommens nicht möglicherweise dem Königreich Schweden zu, die "Entscheidung" zu beanstanden, da bei "Streitigkeiten über Auslegung oder Durchführung des Abkommens"(14) ein Konsultations- und Schiedsverfahren vorgesehen ist?

28. Die Kommission räumt ein, daß diese Bestimmung keine Anwendung auf die laufende Verwaltung des Abkommens finden soll(15).

29. Ich teile diese Auffassung.

30. Hierzu ist an Ihr Urteil Adams/Kommission(16) zu erinnern, dem ein Fall zugrunde lag, in dem der Kläger, der in der Schweiz wegen der Weitergabe vertraulicher Informationen über wettbewerbswidrige Praktiken des Unternehmens Hoffmann-La Roche an die Kommission verurteilt worden war, der Kommission vorwarf, nicht den Gemischten Ausschuß angerufen zu haben, der im Rahmen des Freihandelsabkommens zwischen der Gemeinschaft und der Schweiz eingesetzt worden war.

31. Sie stellten fest:

"Die Entscheidung, ob der Gemischte Ausschuß mit dieser Angelegenheit befasst werden soll, kann ... nur im Hinblick auf die allgemeinen Interessen der Gemeinschaft aufgrund einer im wesentlichen politischen Beurteilung getroffen werden, gegen die ein einzelner gerichtlich nicht vorzugehen vermag."(17)

32. Auch das in Artikel 7 vorgesehene Verfahren soll nicht der Befassung mit den Auswirkungen einer individuellen Entscheidung dienen, sondern ausschließlich der Regelung möglicher Streitigkeiten, die unmittelbar zwischen den Vertragsparteien entstehen können, namentlich hinsichtlich der Erhaltung der Fischbestände (Fangmethoden) oder hinsichtlich der Meeresschutzgebiete.

33. Da die Gemeinschaft die Befugnis besaß, die Lavön von der Lizenzvergabe auszuschließen, ist dementsprechend zum einen zu prüfen, ob das Schreiben im vorliegenden Fall eine Entscheidung im Sinne des Artikels 173 Absatz 2 darstellt, und zum anderen, ob es, obgleich an das Königreich Schweden gerichtet, die Klägerin unmittelbar und individuell betraf.

34. Sowohl in ihren schriftlichen Erklärungen als auch in der mündlichen Verhandlung hat die Kommission geltend gemacht, das Schreiben könne nicht als Versagung einer Lizenz, sondern lediglich als Vorschlag einer solchen Versagung ausgelegt werden, so daß es nicht als Entscheidung angesehen werden könne,

"denn Entscheidungen müssen als Verlautbarungen des zuständigen Organs erkennbar und Rechtswirkungen hervorzurufen bestimmt sein; sie müssen das interne Verfahren abschließen, in dem das Organ seinen Willen gebildet hat, und endgültige Beschlüsse darstellen, deren äussere Form den Adressaten die Feststellung gestattet, daß eine Entscheidung vorliegt"(18).

35. Offenkundig räumt aber der Wortlaut des Schreibens selbst den schwedischen Stellen keinerlei Ermessen ein, sondern setzt sie schlicht und einfach davon in Kenntnis, daß die Lavön für zwölf Monate von der Erteilung einer Lizenz ausgeschlossen sei. Es handelt sich also, wie im übrigen die in dem Schreiben selbst enthaltene ausdrückliche Bezugnahme belegt, um eine Maßnahme gemäß Artikel 3 Absätze 7 und 8 und nicht um einen Vorschlag nach Artikel 4 Absatz 2.

36. So scheint übrigens auch die schwedische Regierung dieses Schreiben aufgefasst zu haben, denn sie beschränkte sich auf die Weiterleitung einer Kopie an die Klägerin.

37. Kann sich die Klägerin, da es sich um eine Entscheidung handelt, für unmittelbar und individuell betroffen halten?

38. Nach Darstellung der Kommission hatten die schwedischen Stellen bereits vor Absendung des streitigen Schreibens entschieden, daß die Lavön keine Fischereilizenz für das Jahr 1992 erhalten könne, denn sie sei nicht in der am 17. Januar 1992 übermittelten jährlichen Basisliste der Fischereifahrzeuge unter schwedischer Flagge aufgeführt worden, für die die schwedischen Stellen für dieses Jahr um eine Lizenz ersucht hätten.

39. Die Klägerin sei also durch die Weigerung der schwedischen Stellen, das Fischereifahrzeug in die jährliche Liste aufzunehmen, und nicht durch die Entscheidung der Kommission beschwert, so daß sie durch die Handlung, deren Nichtigerklärung sie begehrt, nicht unmittelbar betroffen sei.

40. Insoweit möchte ich daran erinnern, daß Ihre Rechtsprechung die Zulässigkeit einer solchen Klage von dem Interesse des Klägers abhängig macht, die Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung zu erwirken(19).

41. Damit oblag der Kommission der Beweis, daß die jährliche Liste abschließenden Charakter hatte, der die spätere Erteilung einer oder mehrerer Monatslizenzen für ein ursprünglich nicht aufgeführtes Fischereifahrzeug definitiv unmöglich machte. Die blossen Behauptungen der Kommission zu diesem Punkt finden weder im Abkommen noch in der Verordnung eine Stütze.

42. Ausserdem sieht das zwischen der Gemeinschaft und der schwedischen Delegation vereinbarte Protokoll(20) zur Regelung der Lizenzen für das Jahr 1991 vor, daß "Ersuchen um Änderung der Basislisten jederzeit vorgelegt werden können und binnen kürzester Frist bearbeitet werden" (Punkt 2 Absatz 2 letzter Satz). Ferner habe ich festgestellt, daß auf der Monatsliste für Dezember 1991 zum erstenmal für die Zone IV das Fischereifahrzeug GG 229 "Bristol" auftaucht, das nicht in der Liste für das Jahr 1991 verzeichnet ist(21).

43. Schließlich lässt der Titel der Basisliste selbst nicht die Behauptung zu, diese sei unveränderlich, denn er lautet

"The bas lists of swedish vessels intending to fish in Community waters in 1992"(22),

während mit der monatlichen Liste eine formelle Beantragung der Lizenz verbunden ist ("swedish vessels applying for permission ...")(23).

44. Daraus folgt, daß das streitige Schreiben die Klägerin beschweren konnte, da es sie zumindest einer Chance beraubte, in die Liste aufgenommen zu werden.

45. Da die schwedischen Stellen in bezug auf die von der Kommission getroffene Entscheidung keinerlei Ermessen besassen, war die Klägerin unmittelbar betroffen.

46. Den Begriff des "individuellen Betroffenseins" haben Sie im Urteil Plaumann(24) folgendermassen definiert:

"Wer nicht Adressat einer Entscheidung ist, kann nur dann geltend machen, von ihr individuell betroffen zu sein, wenn die Entscheidung ihn wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten."(25)

47. Hierzu genügt die Feststellung, daß die Entscheidung nur die Lavön und kein anderes Fischereifahrzeug betrifft.

48. Ich schlage Ihnen deshalb vor, die Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.

49. Erstmals in der Erwiderung hat die Klägerin eine Rüge der Rechtswidrigkeit mit der Begründung erhoben, der Rat sei zum Erlaß der Verordnung Nr. 3929/90 nicht befugt gewesen, soweit diese eine Sanktion vorsehe, und er habe mit der Übertragung der Befugnis zu deren Verhängung auf die Kommission den Vertrag verletzt.

50. Die Kommission beantragt die Zurückweisung dieser Rüge gemäß Artikel 42 § 2 der Verfahrensordnung, nach dem neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden können, es sei denn, daß "sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind".

51. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin sich auf eine fehlerhafte Bezeichnung in dem streitigen Schreiben berufen, die sie daran gehindert habe, die Rüge von Anfang an mit der Klage geltend zu machen.

52. Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen.

53. Zwar wird in dem streitigen Schreiben die Versagung einer Fischereilizenz auf die Verordnung (EWG) Nr. 3939/90 und nicht auf die Verordnung Nr. 3929/90 gestützt.

54. Es kann aber nicht angenommen werden, daß diese fehlerhafte Angabe der Nummer die Klägerin daran gehindert habe, die Rüge der Rechtswidrigkeit von Anfang an zu erheben, zumal die exakte Angabe von Datum und Nummer der entsprechenden Ausgabe des Amtsblatts der Europäischen Gemeinschaften genügte, um einem durchschnittlich gewissenhaften Gewerbetreibenden zu ermöglichen, vom Wortlaut dieser Verordnung Kenntnis zu nehmen.

55. Überdies wird in diesem Schreiben auf die spätere Verordnung (EWG) Nr. 3885/91 (ABl. L 367 vom 31. Dezember 1991) Bezug genommen, die mit der vorhergehenden praktisch übereinstimmt, wenn man vom Geltungsjahr und den zugeteilten Quoten absieht. Die Ermächtigung, nach Artikel 3 Absätze 7 und 8 eine Entziehung oder Versagung auszusprechen, ist im Wortlaut unverändert geblieben. Die Fiskano A.B. bezieht sich übrigens in ihrer Klage auf diese letztgenannte Verordnung, ohne insoweit irgendeine Rüge der Rechtswidrigkeit geltend zu machen.

56. Die Rüge der Rechtswidrigkeit ist folglich für unzulässig zu erklären.

57. Kommen wir zur Begründetheit.

58. Die Klägerin macht eine Verletzung der Rechte der Verteidigung und des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit durch die Kommission sowie das Fehlen einer Begründung der streitigen Entscheidung geltend.

59. Bevor dies geprüft wird, sollte darauf hingewiesen werden, daß jeder der Vertragsparteien im Rahmen des Abkommens unterschiedliche Zuständigkeiten zukommen. Das Königreich Schweden erstellt nach seinem Ermessen die Liste der Fischereifahrzeuge, für die es um Lizenzen für den Fischfang in den Gewässern der Gemeinschaft ersucht, und die Kommission erteilt diese Lizenzen ohne ein Recht zur Prüfung der vorgeschlagenen Fischereifahrzeuge, soweit diese von ihr nicht wegen Verstosses gegen das Abkommen oder die Verordnungen mit einer Lizenzentziehung oder -versagung belegt sind.

60. Wie die Kommission zu Recht ausführt, steht es ihr nicht zu, nachzuprüfen, in welcher Weise das Königreich Schweden die - in seine Souveränität fallende - Verteilung dieser Lizenzen vornimmt, so daß die Gründe, aus denen dieser Staat gerade dieses und kein anderes Fischereifahrzeug für eine monatliche Lizenz vorschlägt, nicht ihre Sache sind.

61. Das gleiche gilt indessen nicht für die Entscheidungen der Kommission.

62. Aus Ihrer Rechtsprechung ergibt sich nämlich, daß

"jede Verwaltung, wenn sie eine Maßnahme trifft, welche Interessen eines einzelnen erheblich verletzen kann, dem Betroffenen die Möglichkeit einzuräumen hat, sich zu äussern"(26),

und daß

"die Gewährung des rechtlichen Gehörs in allen Verfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, ein fundamentaler Grundsatz des Gemeinschaftsrechts [ist] und ... auch dann sichergestellt werden [muß], wenn eine besondere Regelung fehlt"(27).

63. Die Geltung eines so allgemeinen Grundsatzes, der namentlich in dem Urteil Hoffmann-La Roche(28) bestätigt wurde, kann nicht von der Rechtsnatur der Ihnen zur Prüfung vorgelegten Entscheidung abhängen, da es sich um einen Mindeststandard handelt, der nicht je nach Art des anhängigen Verfahrens teilbar wäre.

64. Die Kommission bestreitet nicht, die Klägerin vor Erlaß der streitigen Entscheidung nicht angehört zu haben, und sie rechtfertigt diese "Unterlassung" mit dem internationalen Charakter des zwischen dem Königreich Schweden und der Gemeinschaft geschlossenen Abkommens.

65. Ein ähnliches Argument ist bereits im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung erörtert worden. Ich beschränke mich daher auf die Wiederholung, daß eine Handlung eines Gemeinschaftsorgans vorliegt, die auf die Erzeugung von Rechtswirkungen gegenüber der Klägerin gerichtet war, und daß aus diesem Grunde alle rechtlichen Garantien, insbesondere Verfahrensgarantien, zu beachten waren.

66. Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen, weil es der Fiskano A.B. vor Erlaß der streitigen Entscheidung nicht möglich war, sich zu den Vorwürfen zu äussern.

67. Gleichwohl schlage ich Ihnen nicht vor, die Entscheidung wegen dieses Mangels für nichtig zu erklären, denn eine

"solche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führt ... nur dann zu einer Nichtigerklärung, wenn das Verfahren ohne diese Verletzung zu einem anderen Ergebnis hätte führen können"(29).

68. Ohne von der Fiskano A.B. den Nachweis zu fordern, daß sie zum Zeitpunkt der Feststellung des Verstosses eine Lizenz hielt, hätte eine Bescheinigung der zuständigen schwedischen Stellen über die Zuteilung einer Lizenz für den fraglichen Monat in Betracht gezogen werden können.

69. Die Fiskano A. B. hat ein solches Dokument nicht vorgelegt, sondern sich darauf beschränkt, vorzutragen, da sie seit Beginn des Jahres 1990 zum Fischfang in den Gewässern der Gemeinschaft berechtigt gewesen sei, hätte die Kommission eine "ganz besondere Verpflichtung zur gewissenhaften Einholung aller Informationen"(30) gehabt.

70. Ein solches Argument kann nicht genügen, weil die Klägerin keinen Grund nennt, der, wäre er bekannt gewesen, die Kommission dazu hätte veranlassen können, eine andere Entscheidung zu treffen.

71. Ich schlage Ihnen daher vor, diesen Klagegrund zurückzuweisen.

72. Was den Grundsatz der Verhältnismässigkeit betrifft, so darf nach Ihrer Rechtsprechung die Sanktion für die Nichtbeachtung einer gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung nicht

"die Grenzen dessen überschreiten, was für die Erreichung des verfolgten Ziels angemessen und erforderlich ist"(31).

73. Somit ist zu prüfen, ob der von der Klägerin begangene Verstoß zu Recht mit der Versagung einer Fischereilizenz für ein Jahr sanktioniert werden konnte.

74. Die Verordnung Nr. 3929/90 erlegt schwedischen Fischereifahrzeugen, die in den Gewässern der Gemeinschaft fischen, verschiedene Verpflichtungen auf: Führung eines Fischereilogbuchs(32), Verpflichtung zur Übermittlung bestimmter Angaben an die Kommission(33), ... Besitz einer Fischereilizenz(34).

75. Die Nichtbeachtung einer dieser Verpflichtungen zieht den Entzug oder die Versagung einer Lizenz "für einen Zeitraum von längstens zwölf Monaten"(35) nach sich.

76. Da der von der Klägerin begangene Verstoß nach den Vorschriften der Verordnung der schwerwiegenste war, konnte die Kommission im vorliegenden Fall die Erteilung einer Lizenz an die Klägerin für den genannten Zeitraum ablehnen, ohne den Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu verletzen.

77. Was schließlich die Begründung des streitigen Schreibens betrifft, genügt der Hinweis, daß die Kommission mit den Worten

"das genannte Fischereifahrzeug [war] nicht im Besitz einer Lizenz, die es zum Fischfang in den Gewässern der Gemeinschaft im genannten Zeitraum berechtigte, und [hat] daher rechtswidrig gefischt"

für ihre Entscheidung eine ausreichende Begründung gegeben hat, die

"dem Gerichtshof die Rechtsmässigkeitskontrolle ... [ermöglicht] und die Angaben [enthält], die der Betroffene für die Beurteilung der Frage benötigt, ob die Entscheidung begründet ist oder nicht"(36).

78. Da die Fiskano A.B. mit diesem letzten Klagegrund unterlegen ist, ist ihre Klage abzuweisen.

79. Ich schlage daher vor,

- die von der Fiskano A.B. gegen die Entscheidung der Kommission vom 19. Februar 1992 erhobene Klage für zulässig zu erklären;

- die gegen die Verordnung (EWG) Nr. 3929/90 des Rates vom 20. Dezember 1990 über Maßnahmen zur Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischbestände für Fischereifahrzeuge unter schwedischer Flagge (1991) mit der Erwiderung erhobene Rüge der Rechtswidrigkeit für unzulässig zu erklären;

- die Klage abzuweisen;

- der Fiskano A.B. die gesamten Kosten aufzuerlegen.

(*) Originalsprache: Französisch.

(1) - I - Rechtlicher Rahmen.

(2) - Verordnung (EWG) Nr. 2209/80 des Rates vom 27. Juni 1980 über den Abschluß des Fischereiabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Regierung Schwedens (ABl. L 226, S. 1).

(3) - Verordnung (EWG) Nr. 3929/90 des Rates vom 20. Dezember 1990 über Maßnahmen zur Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischbestände für Schiffe unter schwedischer Flagge (1991) (ABl. L 378, S. 48).

(4) - Anlage 1 zur Klage.

(5) - Urteil vom 16. Juli 1956 in der Rechtssache 8/55 (Slg. 1956, 199).

(6) - S. 225.

(7) - Urteil vom 30. April 1974 in der Rechtssache 181/73 (Slg. 1974, 449).

(8) - Randnr. 4.

(9) - Randnr. 5.

(10) - Gutachten vom 11. November 1975 (Slg. 1975, 1355).

(11) - S. 1361.

(12) - Recüil des arrêts, avis consultatifs et ordonnances de la Cour permanente de justice internationale, Nr. 9, Serie A, S. 1.

(13) - S. 18.

(14) - Artikel 7 Absatz 2.

(15) - Gegenerwiderung, S. 6.

(16) - Urteil vom 7. November 1985 in der Rechtssache 53/84 (Slg. 1985, 3595).

(17) - Randnr. 15, Hervorhebung von mir.

(18) - Urteil vom 16. Juni 1966 in der Rechtssache 54/65 (Compagnie des Forges de Châtillon/Hohe Behörde, Slg. 1966, 530, 544).

(19) - Vgl. Urteil vom 29. Juni 1978 in der Rechtssache 77/77 (B.P./Kommission, Slg. 1978, 1513, Randnr. 13).

(20) - Anlage zur Gegenerwiderung.

(21) - Anlagen 1 und 2 zur Klagebeantwortung.

(22) - Anlage 6 zur Klagebeantwortung, Hervorhebung von mir.

(23) - Anlage 8 zur Klagebeantwortung, Hervorhebung von mir.

(24) - Urteil vom 15. Juli 1963 in der Rechtssache 25/62 (Slg. 1963, 213).

(25) - S. 238.

(26) - Urteil vom 27. Oktober 1977 in der Rechtssache 121/76 (Moli/Kommission, Slg. 1977, 1971, Randnr. 20).

(27) - Urteil vom 21. März 1990 in der Rechtssache C-142/87 (Belgien/Kommission, Slg. 1990, I-959, Randnr. 46).

(28) - Urteil vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76 (Slg. 1979, 461, Randnr. 14).

(29) - Urteil C-142/87, a. a. O., Randnr. 48.

(30) - S. 7 der Klagebeantwortung.

(31) - Urteil vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 122/78 (Buitoni/Forma, Slg. 1979, 677, Randnr. 16).

(32) - Artikel 2 Absatz 2.

(33) - Artikel 2 Absatz 3.

(34) - Artikel 3 Absatz 1.

(35) - Artikel 3 Absatz 8.

(36) - Urteil vom 13. März 1985 in den verbundenen Rechtssachen 296/82 und 318/82 (Leeuwarder Papierwarenfabriek/Kommission, Slg. 1985, 809, Randnr. 19).

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