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Document 61992CC0129

    Schlussanträge des Generalanwalts Lenz vom 16. September 1993.
    Owens Bank Ltd gegen Fulvio Bracco und Bracco Industria Chimica SpA.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: House of Lords - Vereinigtes Königreich.
    Brüsseler Übereinkommen - Auslegung der Artikel 21, 22 und 23 - Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen aus Nichtvertragsstaaten.
    Rechtssache C-129/92.

    Sammlung der Rechtsprechung 1994 I-00117

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1993:363

    61992C0129

    Schlussanträge des Generalanwalts Lenz vom 16/09/1993. - OWENS BANK LTD GEGEN FULVIO BRACCO UND BRACCO INDUSTRIA CHIMICA SPA. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HOUSE OF LORDS - VEREINIGTES KOENIGREICH. - BRUESSELER UEBEREINKOMMEN - AUSLEGUNG DER ARTIKEL 21, 22 UND 23 - ANERKENNUNG UND VOLLSTRECKUNG VON URTEILEN AUS NICHTVERTRAGSSTAATEN. - RECHTSSACHE C-129/92.

    Sammlung der Rechtsprechung 1994 Seite I-00117


    Schlußanträge des Generalanwalts


    ++++

    Herr Präsident,

    meine Herren Richter!

    A Einführung

    1. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, Owens Bank Limited (im folgenden "Klägerin" genannt), hat ihren Sitz in St. Vincent and the Grenadines (1), wo sie als Gesellschaft und Bank eingetragen ist.

    Die Bracco Industria Chemica SpA ist ein pharmazeutisches Unternehmen mit Sitz in Italien. Der Präsident und geschäftsführende Direktor dieses Unternehmens ist Herr Dr. Fulvio Bracco, der seinen Wohnsitz in Italien hat. Ich werde Herrn Dr. Bracco und das von ihm geleitete Unternehmen im folgenden die "Beklagten" nennen.

    2. Am 29. Januar 1988 wurden die Beklagten vom High Court of Justice von St. Vincent zur Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von neun Millionen Schweizer Franken verurteilt, das die Klägerin den Beklagten angeblich Ende Januar 1979 gewährt hatte. Die Klägerin stützte sich in diesem Verfahren insbesondere auf bestimmte Schriftstücke, die die Unterschrift von Herrn Dr. Bracco aufwiesen und auf die Aussagen eines ihrer Angestellten, der die Übergabe des Geldes bezeugte. Die Schriftstücke enthielten unter anderem eine Klausel, wonach der High Court von St. Vincent zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten aus dem Darlehensverhältnis zuständig sein sollte.

    Im Laufe dieses Verfahrens machten die Beklagten geltend, daß es sich bei den von der Klägerin vorgelegten Dokumenten um Fälschungen handelte und daß Zeugen im Verfahren falsche Aussagen gemacht hätten. Der High Court von St. Vincent entschied jedoch, daß die Beklagten diesen Einwand nicht rechtzeitig erhoben hatten und gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil wurde vom Court of Appeal von St. Vincent am 12. Dezember 1989 zurückgewiesen.

    3. Am 11. Juli 1989 wandte sich die Klägerin an ein Gericht in Mailand und beantragte, das in St. Vincent ergangene Urteil für vollstreckbar zu erklären. Die Beklagten beriefen sich vor dem italienischen Gericht unter anderem darauf, daß die Klägerin das streitige Urteil auf betrügerische Weise erlangt habe. Dieses Verfahren (im folgenden das "italienische Vollstreckungsverfahren" genannt (2)) war zum Zeitpunkt der Vorlageentscheidung des House of Lords noch nicht beendet. Den Angaben der Beklagten zufolge hat das italienische Gericht den Antrag der Klägerin auf Vollstreckbarerklärung des in St. Vincent erlassenen Urteils inzwischen in einer noch nicht rechtskräftigen Entscheidung zurückgewiesen, ohne dabei allerdings über die Frage zu entscheiden, ob die Klägerin jenes Urteil auf betrügerische Weise erlangt hatte.

    4. Bereits im November 1988 hatten die Beklagten in Italien ein Zivilverfahren (im folgenden das "italienische Zivilverfahren" genannt) gegen die Klägerin anhängig gemacht, in dem sie unter anderem die Feststellung beantragten, daß sie der Klägerin nichts schuldeten. Auch in diesem Verfahren war zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof noch keine endgültige Entscheidung ergangen.

    5. Neben diesen Verfahren und dem sogleich zu betrachtenden Vollstreckungsverfahren in England hat der Rechtsstreit zwischen den Beklagten und der Klägerin noch zu einer Reihe weiterer Verfahren geführt, die hier nicht näher zu untersuchen sind. Erwähnenswert ist jedoch das (noch nicht rechtskräftige) Urteil eines Mailänder Gerichts in dem Strafverfahren gegen die Herren Nano und Layne (3) vom 21. Juni 1991. Das italienische Gericht kommt in dieser ausführlich und sorgfältig begründeten Entscheidung zu dem Schluß, daß es sich bei den von der Klägerin vorgelegten Dokumenten um Fälschungen handelt.

    6. Am 7. März 1990 beantragte die Klägerin, das in St. Vincent erlassene Urteil in England gemäß Section 9 des Administration of Justice Act 1920 für vollstreckbar zu erklären. Auch in diesem Verfahren (im folgenden das "englische Vollstreckungsverfahren" genannt) machten die Beklagten geltend, daß das zu vollstreckende Urteil von der Klägerin auf betrügerische Weise erlangt worden sei. Zugleich beantragten sie unter Berufung auf die Artikel 21 und 22 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (im folgenden "Brüsseler Übereinkommen" genannt), daß das englische Gericht sich für unzuständig erklären oder das englische Vollstreckungsverfahren bis zum Abschluß des italienischen Vollstreckungsverfahrens aussetzen sollte. Die Beklagten begründeten dies damit, daß die Frage, ob die Klägerin das in St. Vincent ergangene Urteil auf betrügerische Weise erlangt hatte, sowohl in dem englischen wie in dem italienischen Vollstreckungsverfahren zu prüfen sei.

    7. Das englische Recht hält eine Reihe von Möglichkeiten für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer (das heisst, nicht in England oder Wales erlassener) Entscheidungen in England bereit (4):

    - Nach Section 9 des Administration of Justice Act 1920 können die Entscheidungen bestimmter Staaten (darunter St. Vincent and the Grenadines), durch die der Beklagte zur Zahlung eines Geldbetrages verurteilt worden ist, in England - mittels Eintragung in ein Register - anerkannt werden. Diese Anerkennung hat zur Folge, daß das ausländische Urteil grundsätzlich wie eine von englischen Gerichten erlassene Entscheidung vollstreckt werden kann.

    Vergleichbare Bestimmungen enthält der Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933.

    - Entscheidungen von Gerichten anderer Vertragsstaaten des Brüsseler Übereinkommens sowie Entscheidungen von Gerichten in anderen Teilen des Vereinigten Königreichs können auf der Grundlage der Bestimmungen des Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 anerkannt und vollstreckt werden.

    - Nach Common Law kann in bestimmten Fällen auf der Grundlage eines ausländischen Urteils Klage erhoben werden. Es handelt sich dabei um ein gewöhnliches Zivilverfahren, dessen Besonderheit darin besteht, daß die Klage nicht auf dem ursprünglichen Anspruch (z. B. dem Anspruch auf Rückzahlung eines Darlehens) beruht, sondern auf dem ausländischen Urteil, das den Beklagten zur Zahlung verurteilt hat (5).

    8. Die Registrierung beziehungsweise Anerkennung eines ausländischen Urteils gemäß Section 9 des Administration of Justice Act 1920 ist unter anderem dann ausgeschlossen, wenn das betreffende Urteil auf betrügerische Weise erlangt wurde (6). Entsprechendes gilt, wenn die Anerkennung eines Urteils gegen den englischen ordre public ("public policy") verstossen würde (7). Ist ein Urteil in einem solchen Fall gleichwohl zunächst anerkannt worden, so kann diese Anerkennung angefochten werden (8). Das angerufene Gericht kann verfügen, daß über einen in diesem Verfahren aufgeworfenen Streitpunkt ("ißü") in einem streitigen Verfahren ("trial") entschieden wird (9).

    Auch hinsichtlich der Ausgestaltung eines solchen Zwischenverfahrens verfügt das Gericht über einen gewissen Ermessensspielraum (10). Dies wird anschaulich durch die Entscheidung im Falle Société Coopérative Sidmetal v. Titan International Ltd. belegt (11). In diesem Falle ging es um die Registrierung eines belgischen Urteils in England. Das im Ausgangsverfahren unterlegene belgische Unternehmen hatte in diesem Verfahren einer englischen Firma (ihrem Lieferanten) den Streit verkündet. In dem Verfahren vor dem Londoner Gericht machte die englische Firma geltend, daß das belgische Gericht unzuständig gewesen sei. Das englische Gericht ordnete an, daß über diese Frage ein Prozeß stattfinden sollte, wobei der englischen Firma die Rolle der Klägerin zugewiesen wurde.

    9. Der High Court (Mr Justice Sheen) erließ am 7. März 1990 zwei Beschlüsse. Der erste Beschluß betraf eine Sicherungsmaßnahme (die sogenannte "Mareva injunction"), die angeordnet wurde, nachdem die Klägerin sich verpflichtet hatte, eine Klage in der vom High Court gebilligten Form einzureichen. Diese Klage, die auf die Registrierung des in St. Vincent erlassenen Urteils in England (und zugleich auf die Weitergeltung der Sicherungsmaßnahme) zielte, wurde von der Klägerin noch am gleichen Tag beim High Court eingereicht.

    In dem zweiten Beschluß (im folgenden "Registrierungsbeschluß" genannt) wurde sogleich die Registrierung des in St. Vincent erlassenen Urteils gemäß dem Administration of Justice Act 1920 angeordnet, den Beklagten jedoch die Möglichkeit eingeräumt, die Aufhebung der Registrierung zu beantragen, wenn sie dafür Gründe haben sollten. Zugleich legte der High Court fest, daß aus dem dergestalt anerkannten Urteil nicht vor der ersten Verhandlung zur Hauptsache oder vor der Entscheidung über einen eventuellen Antrag der Beklagten auf Aufhebung der Registrierung vollstreckt werden durfte.

    10. Die Beklagten ließen sich auf dieses Verfahren ein und stellten verschiedene Anträge, wobei sie sich - wie bereits erwähnt - insbesondere auf das Brüsseler Übereinkommen beriefen. Der High Court (Sir Peter Pain) entschied am 19. Juli 1990, daß das Brüsseler Übereinkommen auf das vorliegende Verfahren keine Anwendung fände (12). Am 9. November 1990 ordnete der High Court ausserdem an, daß zwischen den Beteiligten ein streitiges Verfahren über die Frage stattfinden sollte, ob der Registrierungsbeschluß und alle anschließenden Verfahrenshandlungen aufgehoben werden sollten, weil das in St. Vincent erlassene Urteil zu denjenigen Urteilen gehörte, die gemäß Absatz 2 d) (Betrug) oder Absatz 2 f) (Verstoß gegen den ordre public) der Section 9 des Administration of Justice Act 1920 in England nicht registriert werden hätten dürfen (13).

    11. Die Klägerin und die Beklagten legten gegen diese Entscheidungen Rechtsmittel ein (die Beklagten gegen das Urteil vom 19. Juli und die Klägerin gegen die Entscheidung vom 9. November 1990). Der Court of Appeal wies die Berufungen am 27. März 1991 zurück (14). Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, daß das Brüsseler Übereinkommen auf Verfahren über die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen aus Drittstaaten und insbesondere auf Verfahren gemäß dem Administration of Justice Act 1920 nicht anwendbar sei. Selbst wenn das Brüsseler Übereinkommen Anwendung finden sollte, wären jedenfalls deren Artikel 21 und 22 auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.

    Der Court of Appeal bekräftigte ausserdem, daß die Frage, ob das in St. Vincent erlassene Urteil von der Klägerin auf betrügerische Weise erlangt worden war, in einem streitigen Verfahren geklärt werden müsse.

    12. Die Klägerin und die Beklagten legten gegen die sie jeweils beschwerenden Teile der Entscheidung des Berufungsgerichts Rechtsmittel zum House of Lords ein. Das Rechtsmittel der Klägerin wurde vom House of Lords am 1. April 1992 verworfen (15). Hinsichtlich des Rechtsmittels der Beklagten war das nationale Gericht der Ansicht, daß es geboten war, eine Entscheidung des Gerichtshofs einzuholen.

    13. Das House of Lords hat dem Gerichtshof daher folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1. Ist das Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen von 1968 (im weiteren: Brüsseler Übereinkommen) anwendbar auf Verfahren oder auf Streitpunkte in Verfahren in Vertragsstaaten, die die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in Zivil- und Handelssachen aus Nichtvertragsstaaten betreffen ?

    2. Sind die Artikel 21, 22 oder 23 des Brüsseler Übereinkommens oder einer von ihnen anwendbar auf Verfahren oder Streitpunkte in Verfahren, die in mehr als einem Vertragsstaat anhängig gemacht werden, um die Vollstreckung eines Urteils aus einem Nichtvertragsstaat zu erreichen ?

    3. Falls das Gericht eines Vertragsstaats die Befugnis hat, das Verfahren nach dem Brüsseler Übereinkommen wegen Rechtshängigkeit auszusetzen, welches sind dann die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze, die ein nationales Gericht bei der Entscheidung anzuwenden hat, ob das Verfahren bei dem später angerufenen nationalen Gericht auszusetzen ist ?

    B Stellungnahme

    Vorbemerkung

    14. Bevor ich auf die vom House of Lords vorgelegten Fragen eingehe, will ich versuchen, die hier zu behandelnde Problematik zu präzisieren. Dies scheint mir um so mehr geboten, als die Vertreterin der Beklagten während der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof der Kommission und der Regierung des Vereinigten Königreiches (16) gravierende Mißverständnisse vorgeworfen und den Argumenten dieser beiden Verfahrensbeteiligten daher die Relevanz für das vorliegende Verfahren abgesprochen hat.

    15. Die Beklagten haben zu Recht darauf hingewiesen, daß es im vorliegenden Fall um Verfahren geht, durch die die Voraussetzungen für die zwangsweise Durchsetzung einer gerichtlichen Entscheidung geschaffen werden sollen, die in einem Staat (im folgenden "Drittstaat" genannt) ergangen ist, der nicht zu den Vertragsparteien des Brüsseler Übereinkommens (17) gehört. Es handelt sich mit anderen Worten um Verfahren, in denen die Entscheidung eines Gerichtes eines Drittstaats in einem der Vertragsstaaten des Brüsseler Übereinkommens (im folgenden "Vertragsstaaten" genannt) für vollstreckbar erklärt werden soll (18). Der vorliegende Fall betrifft dagegen nicht die sich an die Vollstreckbarerklärung anschließende Zwangsvollstreckung, das heisst, die zwangsweise Durchsetzung des Urteils.

    16. Das House of Lords begehrt zunächst zu wissen, ob das Brüsseler Übereinkommen auf Verfahren Anwendung findet, welche die Vollstreckbarerklärung eines in einem Drittstaat ergangenen Urteils in einem Vertragsstaat des Brüsseler Übereinkommens zum Gegenstand haben (vgl. die erste Vorlagefrage). Im Anschluß hieran stellt sich die weitere Frage, ob - und gegebenenfalls wie - die Vorschriften des Brüsseler Übereinkommens über Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren (Artikel 21-23) angewendet werden können, wenn die Vollstreckbarerklärung eines Drittstaatsurteils zugleich in mehreren Vertragsstaaten beantragt wird (siehe die zweite und die dritte Vorlagefrage).

    17. Die Beklagten haben jedoch zu Recht geltend gemacht, daß sich der Inhalt der Vorlagefragen hierin nicht erschöpft. Das House of Lords ersucht den Gerichtshof ausserdem um eine Antwort auf die Frage, ob die Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens (oder einige dieser Bestimmungen) auf "Streitpunkte" ("ißüs") angewendet werden können, die im Rahmen eines auf die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines Drittstaatsurteils gerichteten Verfahrens auftauchen.

    Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeutet dies folgendes: Die englischen Gerichte haben angeordnet, daß über die Frage, ob die Klägerin das in St. Vincent erlassene Urteil auf betrügerische Weise erlangt hat, ein streitiges Verfahren stattzufinden hat (19). Diese Frage beschäftigt auch das italienische Gericht, das über die Vollstreckbarerklärung des Urteils in Italien zu entscheiden hat. Bedeutet dies, daß eines dieser Gerichte sich gemäß den Bestimmungen der Artikel 21-23 des Brüsseler Übereinkommens zugunsten des anderen Gerichtes für unzuständig erklären oder aber sein Verfahren aussetzen muß, bis das andere Gericht über die zu klärende Frage entschieden hat ? Ich werde im folgenden beide Aspekte der Vorlagefragen behandeln.

    18. Die Beklagten haben in ihrem Schriftsatz und besonders in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof geltend gemacht, daß die Frage eines möglichen Betruges auch in dem italienischen Zivilverfahren (20) aufgeworfen worden sei. Dies scheinen die Beklagten auch in den Verfahren vor dem High Court und vor dem Court of Appeal vorgetragen haben (21).

    Der Vorlagebeschluß des House of Lords bezieht sich durchwegs auf das "englische Vollstreckungsverfahren" und das "italienische Vollstreckungsverfahren" (22). Da das italienische Zivilverfahren nur an einer Stelle erwähnt (23), im übrigen jedoch nicht erörtert wird, könnte man annehmen, daß die Antwort des Gerichtshofs auf die Vorlagefragen nach dem Willen des vorlegenden Gerichtes diesen Aspekt nicht zu behandeln braucht.

    Ich werde jedoch der Vollständigkeit halber auch auf diesen Umstand kurz eingehen.

    19. Schließlich ist daran zu erinnern, daß das englische Vollstreckungsverfahren die Vollstreckbarerklärung eines Urteils nach den Bestimmungen des Administration of Justice Act 1920 zum Gegenstand hat. Die Vorlagefragen des House of Lords beziehen sich jedoch ganz allgemein auf Verfahren, die "die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in Zivil- und Handelssachen aus Nichtvertragsstaaten" betreffen. Ich werde daher bei meinen Ausführungen zunächst von der konkreten Fallgestaltung ausgehen, dem Gerichtshof dann jedoch eine Antwort auf die Vorlagefragen vorschlagen, die für alle Verfahren gilt, die der Durchsetzung eines Drittstaatsurteils in den Vertragsstaaten des Brüsseler Übereinkommens zu dienen bestimmt sind.

    Anwendbarkeit des Brüsseler Übereinkommens

    Unzulässigkeit einer Doppelexequierung

    20. Unter den Parteien, die sich am Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligt haben, besteht Einigkeit darüber, daß eine Entscheidung, durch die ein Gericht eines Vertragsstaates eine in einem anderen Staat erlassene Entscheidung anerkennt und für vollstreckbar erklärt, nicht selbst nach Titel III des Brüsseler Übereinkommens in einem anderen Vertragsstaat anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden kann.

    21. Soweit es sich bei der Ausgangsentscheidung um eine von einem Gericht eines Vertragsstaates erlassene und unter das Brüsseler Übereinkommen fallende Entscheidung handelt, ergibt sich dies bereits aus dem Übereinkommen (24). So kann zum Beispiel eine Entscheidung eines belgischen Gerichtes, durch die der Beklagte zur Leistung von Schadenersatz wegen Vertragsverletzung verurteilt wird, in Frankreich nach Artikel 31 des Brüsseler Übereinkommens vollstreckt werden, "wenn sie dort (...) mit der Vollstreckungsklausel versehen worden" ist. Die Wirkungen dieser Vollstreckbarerklärung beschränken sich auf den Staat, dessen Gerichte sie ausgesprochen haben. Soll das Urteil auch in Spanien vollstreckt werden, so muß es zuvor von den spanischen Gerichten für vollstreckbar erklärt werden.

    Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut des Artikels 31 ("dort") als auch aus der Natur dieses Verfahrens. Die Vollstreckbarerklärung ermöglicht die Vollstreckung eines ausländischen Urteils in einem bestimmten Vertragsstaat. Sie ist daher notwendigerweise den Organen des Staates vorbehalten, in dem die Entscheidung vollstreckt werden soll. Nach Artikel 34 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 27 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens kann der Antrag auf Vollstreckbarerklärung unter anderem dann abgelehnt werden, wenn die Anerkennung der Entscheidung "der öffentlichen Ordnung des Staates, in dem sie geltend gemacht wird", widersprechen würde. Dieser Begriff hat bekanntlich nicht unbedingt in jedem Vertragsstaat dieselbe Bedeutung. In dem vorhin erwähnten Beispiel kann daher die Entscheidung der französischen Gerichte, das belgische Urteil in Frankreich für vollstreckbar zu erklären, die spanischen Gerichte in keiner Weise binden. Soll das Urteil auch in Spanien vollstreckt werden, so muß der Urteilsgläubiger beim zuständigen spanischen Gericht einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung stellen. Dieses Gericht entscheidet dann selbständig, ob das Urteil in Spanien vollstreckt werden darf.

    22. Entsprechendes gilt für die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen aus Drittstaaten. Die Entscheidung eines Vertragsstaats, durch die ein Urteil aus einem Drittstaat für vollstreckbar erklärt wird, entfaltet nur in diesem Vertragsstaat Wirkungen. Soll das Drittstaatsurteil auch in einem anderen Vertragsstaat vollstreckt werden, so muß der Urteilsgläubiger sich an die Gerichte dieses Vertragsstaates wenden und von diesen eine Entscheidung erlangen, durch die das Drittstaatsurteil in diesem Vertragsstaat für vollstreckbar erklärt wird. In beiden Fällen handelt es sich um Verfahren, die sich ausschließlich nach dem Recht des jeweiligen Vertragsstaats einschließlich der zwischen diesem Vertragsstaat und dem Drittstaat gegebenenfalls bestehenden Übereinkommen richten. Der dritte Titel des Brüsseler Übereinkommens ist dagegen auf diese Verfahren nicht anwendbar. Dies bedeutet insbesondere, daß die Entscheidung des Vertragsstaats A, durch die das Drittstaatsurteil in diesem Vertragsstaat für vollstreckbar erklärt wird, nicht gemäß Artikel 31 ff. des Übereinkommens im Vertragsstaat B vollstreckt werden kann.

    Ließe man nämlich eine solche "Doppelexequierung" zu, so bestuende - worauf die Regierung des Vereinigten Königreichs zu Recht hingewiesen hat - die Gefahr, daß ein Urteilsgläubiger die Voraussetzungen, die ein Vertragsstaat für die Anerkennung von Urteilen aus dem betreffenden Drittstaat aufstellt, umgehen könnte. Macht etwa Vertragsstaat A die Anerkennung und Vollstreckung eines Urteils aus einem Drittstaat von bestimmten Voraussetzungen abhängig, während Urteile aus diesem Drittstaat im Vertragsstaat B ohne weiteres für vollstreckbar erklärt werden, so könnte der Urteilsgläubiger zunächst im Vertragsstaat B eine Vollstreckbarerklärung erwirken und dann aus dieser Entscheidung des Vertragsstaats B ohne Mühe (gemäß Artikel 31 des Brüsseler Übereinkommens) im Vertragsstaat A vollstrecken. Ich bin mit der Regierung des Vereinigten Königreichs der Ansicht, daß das Brüsseler Übereinkommen nicht zu dem Zweck geschaffen worden ist, ein solches forum shopping zu ermöglichen (25).

    Die Auffassung, wonach eine Entscheidung eines Vertragsstaats, durch die ein Urteil eines anderen Staates für vollstreckbar erklärt wird, nicht selbst in einem anderen Vertragsstaat für vollstreckbar erklärt werden kann, entspricht denn auch der beinahe einhelligen Meinung in der Literatur (26).

    23. Meines Erachtens gilt dies auch, wenn das Drittstaatsurteil in einem Vertragsstaat nicht als solches für vollstreckbar erklärt wird, sondern zur Grundlage eines Zivilverfahrens gemacht wird (27). Auch die Entscheidung über eine solche actio iudicati dient der Vollstreckung des Drittstaatsurteils in dem betreffenden Vertragsstaat. Würde man erlauben, daß eine solche Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage der Bestimmungen des Titels III des Brüsseler Übereinkommens für vollstreckbar erklärt wird, so würde man dem Urteilsgläubiger nicht nur die oben beschriebenen Möglichkeiten der Umgehung von Anerkennungsvorschriften eröffnen, sondern auch - wie noch zu zeigen sein wird - das im Übereinkommen festgelegte System der Zuständigkeiten durcheinanderbringen (28).

    Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens

    24. Die Beklagten machen im wesentlichen zwei Argumente geltend, auf die sie ihre Auffassung stützen, daß die Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens auf "Verfahren oder auf Streitpunkte in Verfahren in Vertragsstaaten, die die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in Zivil- und Handelssachen aus Nichtvertragsstaaten betreffen", Anwendung finden. Zum einen behaupten sie, daß sich dies aus dem Wortlaut von Artikel 1 des Übereinkommens ergebe. Auch Artikel 16 Nr. 5 belege, daß Verfahren, welche die Vollstreckung von Urteilen betreffen, in den Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens fielen. Zum anderen berufen sie sich darauf, daß die Grundsätze und Ziele des Übereinkommens eine solche Auslegung erforderten. Das Übereinkommen sei dazu bestimmt, die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidungen der Gerichte der Vertragsstaaten in Zivil- und Handelssachen zu erleichtern und den Rechtsschutz der in der Gemeinschaft ansässigen Personen zu verstärken. Darüber hinaus solle es einen Beitrag zu einer geordneten Rechtspflege in der Gemeinschaft leisten, indem die Durchführung paralleler Verfahren vor den Gerichten verschiedener Vertragsstaaten vermieden und die aus solchen Parallelverfahren resultierende Gefahr der Nichtanerkennung einer Entscheidung eines Vertragsstaats in einem anderen Vertragsstaat wegen ihrer Unvereinbarkeit mit einer in diesem Staat zwischen denselben Parteien ergangenen Entscheidung nach Möglichkeit und von Anfang an ausgeschaltet werde.

    Die Beklagten machen in diesem Zusammenhang auf die nachteiligen Folgen aufmerksam, die sich ihres Erachtens ergäben, wenn die Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens keine Anwendung finden sollten. Sowohl in dem englischen wie in dem italienischen Vollstreckungsverfahren hätten die Beklagten zu ihrer Verteidigung den Einwand erhoben, die Klägerin habe das in St. Vincent erlassene Urteil durch Betrug erlangt. Sollten die Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens und insbesondere die Vorschriften des 8. Abschnitts von Titel II über Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren nicht anwendbar sein, so drohe den Beklagten die Gefahr, daß sie in beiden Vollstreckungsverfahren jeweils nachweisen müssten, daß ihr Vorbringen den Tatsachen entspricht. Wenn die Klägerin die Vollstreckbarerklärung ihres Urteils auch noch in einem anderen Vertragsstaat beantragen sollte, müssten die Beklagten auch in dem Vollstreckungsverfahren vor den Gerichten dieses Staates wiederum beweisen, daß die Klägerin das Drittstaatsurteil durch Betrug erlangt habe. Dieselbe Frage müsste also von mehreren Gerichten geklärt werden. Den Beklagten würden daraus bei ihrer Rechtsverfolgung beträchtliche zusätzliche Kosten entstehen.

    Wortlaut des Artikels 1

    25. Gemäß Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 des Brüsseler Übereinkommens ist das Übereinkommen "in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne daß es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt". Daran anschließend werden in Artikel 1 einige Rechtsgebiete aufgezählt, die nicht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen; diese sind für den vorliegenden Fall ohne Bedeutung.

    26. Die Beklagten weisen darauf hin, daß es beabsichtigt war, den Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens möglichst weit zu fassen. Im Bericht von Herrn Jenard heisst es dazu:

    "Daraus ergibt sich, daß in den Anwendungsbereich des Übereinkommens alle Rechtsstreitigkeiten und Urteile fallen, die sich auf vertragliche oder ausservertragliche Verbindlichkeiten beziehen, soweit sie nicht Fragen des Personenstandes, des Erbrechts, des Testamentsrechts, der ehelichen Güterstände, des Konkursrechts oder der sozialen Sicherheit betreffen. In diesem Rahmen ist das Übereinkommen weit auszulegen." (29)

    27. Der Wortlaut der hier zu betrachtenden Bestimmung und die eben zitierte Äusserung legen die Annahme nahe, daß es sich bei den dort erwähnten Verfahren in Zivil- und Handelssachen um Verfahren handelt, welche zivil- oder handelsrechtliche Ansprüche betreffen (zum Beispiel den Anspruch auf Rückzahlung eines Darlehens), nicht aber Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen (30). Es ist allerdings richtig, daß der Wortlaut von Artikel 1 auch die von den Beklagten vertretene Auslegung zuließe. Dabei ist insbesondere zu beachten, daß Artikel 1 den Titel I des Brüsseler Übereinkommens darstellt, in dem dessen Anwendungsbereich definiert wird. Da Titel III des Übereinkommens die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen regelt, ließe sich die Ansicht vertreten, daß entsprechende Verfahren in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen (31).

    Systematik und Ziele des Übereinkommens

    28. Meines Erachtens ergibt sich jedoch aus dem systematischen Zusammenhang und den Zielen des Brüsseler Übereinkommens, daß dieses nicht auf Verfahren der hier vorliegenden Art anwendbar ist. Ich werde dabei im folgenden zunächst nur die Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung von Drittstaatsurteilen behandeln (32).

    29. Ich bin der Auffassung, daß die Frage, wie eine Entscheidung eines Gerichtes aus einem Drittstaat in der Gemeinschaft für vollstreckbar erklärt und vollstreckt werden kann, im Brüsseler Übereinkommen weder geregelt werden sollte noch geregelt worden ist.

    30. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß nach Artikel 25 des Übereinkommens unter einer "Entscheidung" im Sinne des Übereinkommens Entscheidungen zu verstehen sind, die von einem "Gericht eines Vertragsstaats" erlassen werden. Für das Verhältnis zwischen diesen Entscheidungen und den Urteilen von Drittstaaten enthält Artikel 27 Nr. 5 eine grundlegende Aussage. Nach dieser Bestimmung wird eine Entscheidung eines Vertragsstaats in einem anderen Vertragsstaat nicht anerkannt,

    "wenn die Entscheidung mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem Nichtvertragsstaat zwischen denselben Parteien in einem Rechtsstreit wegen desselben Anspruchs ergangen ist, sofern diese Entscheidung die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung in dem Staat erfuellt, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird."

    Diese Bestimmung zeigt zum einen, daß das Übereinkommen selbst davon ausgeht, daß es Fälle gibt, in denen einer auf der Grundlage des Übereinkommens erlassenen Entscheidung in einem anderen Vertragsstaat die Anerkennung verweigert wird, da sie mit einem Drittstaatsurteil unvereinbar ist. Zum anderen zeigt die in dieser Vorschrift enthaltene Verweisung auf die für die Anerkennung notwendigen Voraussetzungen in dem Staat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, daß die Frage der Anerkennung von Drittstaatsurteilen dem jeweiligen Recht der Vertragsstaaten vorbehalten sein soll. Das Brüsseler Übereinkommen regelt lediglich die Folgen, die sich aus der Existenz einer anerkannten oder anerkennungsfähigen Drittstaatsentscheidung und einem damit unvereinbaren Urteil eines Vertragsstaats ergeben - und dieser Konflikt wird zugunsten des früher ergangenen Drittstaatsurteils entschieden (33).

    31. Die Kommission hat darüber hinaus zu Recht darauf hingewiesen, daß das Brüsseler Übereinkommen das Recht der Vertragsstaaten, mit Drittstaaten Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen zu schließen, unberührt lässt. Ob sich dies aus dem von der Kommission angeführten Artikel 57 (34) oder (auch) aus anderen Vorschriften und Erwägungen ergibt, kann hier dahingestellt bleiben (35). Im Ergebnis steht jedenfalls fest, daß die Anerkennung und Vollstreckung von Drittstaatsurteilen dem Recht des jeweiligen Vertragsstaats (einschließlich etwa bestehender Vereinbarungen mit Drittstaaten) vorbehalten ist.

    Diese Auslegung entspricht auch dem Ziel des Übereinkommens, die Förmlichkeiten für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen zu vereinfachen, so wie es in Artikel 220 EWG-Vertrag (der Rechtsgrundlage für das Brüsseler Übereinkommen) und in der Präambel des Übereinkommens niedergelegt ist. Wie ich bereits erwähnt habe, können Entscheidungen, in denen ein Urteil in einem Vertragsstaat anerkannt und für vollstreckbar erklärt wird, in einem anderen Vertragsstaat nicht für vollstreckbar erklärt werden. Die Anwendung des Übereinkommens auf solche Verfahren wäre daher insoweit für die Erreichung des genannten Zieles ohne Interesse.

    32. Weniger bedeutsam erscheint mir hingegen im vorliegenden Zusammenhang der Hinweis der Kommission auf das Urteil des Gerichtshofs im Falle Hagen. Der Gerichtshof führte in diesem Urteil unter anderem aus:

    "Es ist darauf hinzuweisen, daß das Übereinkommen nicht die Vereinheitlichung der Verfahrensregeln zum Gegenstand hat, sondern die Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeiten für Zivil- und Handelssachen innerhalb der Gemeinschaft (...)." (36)

    Die Kommission scheint dieser Äusserung und dem Wortlaut von Artikel 220 EWG-Vertrag entnehmen zu wollen, daß das Übereinkommen auf Verfahren, die einen Zusammenhang mit Drittstaaten aufweisen, nicht anwendbar sei. Ich hege Bedenken, dieser Auffassung beizutreten. Es scheint mir jedoch nicht erforderlich zu sein, auf diese Frage hier näher einzugehen. Zum einen lässt sich schwerlich bestreiten, daß es im vorliegenden Falle an der nach der genannten Auffassung erforderlichen innergemeinschaftlichen Anknüpfung nicht fehlt, da die Anerkennung und Vollstreckung der in St. Vincent erlassenen Entscheidung die Gerichte zweier Vertragsstaaten beschäftigt. Andererseits dürfte der Gerichtshof im gegenwärtig anhängigen Falle "Harrods" Gelegenheit finden, auf diese Frage einzugehen (37).

    33. Weiterhin ist auf den Zusammenhang zwischen dem Titel II ("Zuständigkeit") und dem Titel III ("Anerkennung und Vollstreckung") des Brüsseler Übereinkommens hinzuweisen. Das durch das Übereinkommen vereinfachte Verfahren der Vollstreckung von Urteilen eines Vertragsstaats in einem anderen Vertragsstaat ist "das Gegenstück zu dem Titel II" (38). Die Festlegung von Vorschriften über die Zuständigkeit und der daran anschließenden Verfahrensbestimmungen (insbesondere der Artikel 21-23) dient dazu, die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidungen, die in den jeweiligen Verfahren ergehen, zu erleichtern. Wie ich bereits ausgeführt habe, beschränken sich jedoch die Wirkungen einer Entscheidung eines Vertragsstaats, durch die ein Drittstaatsurteil für vollstreckbar erklärt wird, auf das Gebiet dieses Vertragsstaates. Eine solche Exequaturentscheidung kann in einem anderen Vertragsstaat nicht selbst für vollstreckbar erklärt werden (39). Es kann daher auch niemals zu einer Unvereinbarkeit zwischen solchen Entscheidungen in mehreren Mitgliedstaaten kommen. Wird das Drittstaatsurteil im Vertragsstaat A für vollstreckbar erklärt, während die Vollstreckbarerklärung im Vertragsstaat B abgelehnt wird, so hat dies lediglich zur Folge, daß der Urteilsgläubiger im Vertragsstaat A vollstrecken kann, im Vertragsstaat B jedoch nicht.

    Eine Unvereinbarkeit von in verschiedenen Vertragsstaaten erlassenen Urteilen könnte sich allenfalls ergeben im Verhältnis zwischen einer solchen Exequaturentscheidung und einer auf der Grundlage des Übereinkommens (etwa in dem italienischen Zivilverfahren) erlassenen Entscheidung (vgl. unten Ziffer 60).

    34. Vor allem aber scheint mir bedeutsam, daß es in Titel II des Übereinkommens an einem Gerichtsstand für Verfahren der hier vorliegenden Art fehlt. Würde das Brüsseler Übereinkommen auch auf Verfahren anwendbar sein, welche die Anerkennung und Vollstreckung von Drittstaatsurteilen zum Gegenstand haben, so hätte es nach der Logik, die ihm innewohnt, auch geregelt, welche Gerichte für diese Verfahren zuständig sein sollten.

    35. An einem solchen Gerichtsstand fehlt es jedoch. Nach Artikel 2 des Übereinkommens sind Personen, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, grundsätzlich vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen. Es ist offensichtlich, daß dieser Gerichtsstand nicht auf Verfahren zugeschnitten ist, die der Anerkennung und Vollstreckung von Drittstaatsurteilen dienen. Wollte man sich der gegenteiligen Auffassung anschließen, würde dies bedeuten, daß ein solches Urteil grundsätzlich nur in dem Staat vollstreckt werden könnte, in dem der Schuldner seinen Wohnsitz hat. Auch die Beklagten stellen jedoch nicht in Zweifel, daß ein Urteilsgläubiger die Wahl hat, in welchem Staat er das von ihm erlangte Urteil vollstrecken lassen möchte, vorausgesetzt natürlich, daß der betreffende Staat dieses Urteil anerkennt. Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat zudem zu Recht darauf hingewiesen, daß es durchaus Fälle geben kann, in denen aus einem Urteil in mehreren Staaten vollstreckt wird (40).

    36. Die einzige andere Zuständigkeitsvorschrift des Übereinkommens, an die man hier denken könnte, ist der Artikel 16 Nr. 5 (41). Nach dieser Bestimmung sind ohne Rücksicht auf den Wohnsitz ausschließlich zuständig

    "für Verfahren, welche die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll oder durchgeführt worden ist."

    37. Der Gerichtshof hatte zuerst im Falle AS-Autoteile Service/Malhé (42) Gelegenheit, zur Auslegung dieser Vorschrift Stellung zu nehmen. Dort ging es um die Frage, ob die in § 767 der deutschen Zivilprozessordnung vorgesehene Vollstreckungsabwehrklage unter Artikel 16 Nr. 5 fällt. Der Gerichtshof hat diese Frage grundsätzlich bejaht.

    38. Wesentlich aufschlußreicher ist die Entscheidung im Falle Reichert und Kockler (43), der die actio Pauliana des französischen Rechts betraf. Der Gerichtshof führte dort aus:

    "Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Hauptgrund für die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Ortes der Vollstreckung der Entscheidung darin besteht, daß es allein Sache der Gerichte des Vertragsstaats ist, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll, in diesem Gebiet die Vorschriften über die Tätigkeit der Vollstreckungsbehörden anzuwenden." (44)

    Im Anschluß daran zitiert der Gerichtshof den Bericht von Herrn Jenard, in dem ausgeführt wird, daß unter "Verfahren, die die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben", Verfahren zu verstehen sind, die sich aus der "Inanspruchnahme von Zwangsmitteln, insbesondere bei der Herausgabe oder Pfändung von beweglichen oder unbeweglichen Sachen im Hinblick auf die Vollstreckung von Entscheidungen oder Urkunden" ergeben (45).

    Wie Generalanwalt Gulmann in seinen Schlussanträgen ausgeführt hat, handelt es sich also bei den Verfahren, für die Artikel 16 Nr. 5 des Übereinkommens gilt, um Verfahren, die einen unmittelbaren Bezug zur Zwangsvollstreckung aufweisen (46).

    39. Verfahren, die die Vollstreckbarerklärung von gerichtlichen Entscheidungen zum Gegenstand haben, betreffen jedoch - wie die Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof noch einmal betont hat - nicht die Zwangsvollstreckung, sondern die dieser vorgelagerte Verfahrensstufe. Solche Verfahren werden daher von Artikel 16 Nr. 5 nicht erfasst (47). Dies entspricht auch dem Grundsatz, daß Vorschriften wie Artikel 16 Nr. 5 - als Ausnahme von der allgemeinen Regel des Artikels 2 - im Zweifel eng auszulegen sind (48).

    40. Selbst wenn man dem nicht folgen und den Begriff der "Verfahren, welche die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben", stattdessen weit interpretieren wollte, könnte Artikel 16 Nr. 5 hier nicht angewendet werden. Nach der Legaldefinition in Artikel 25 sind nur nur die Entscheidungen der Gerichte eines Vertragsstaats Entscheidungen im Sinne des Übereinkommens (49), während es im vorliegenden Fall um die Vollstreckung einer Entscheidung eines Drittstaats geht (50).

    41. Den Beklagten ist durchaus bewusst, daß das in Titel II des Übereinkommens festgelegte System der Zuständigkeiten auf Fälle der vorliegenden Art nicht passt. Um gleichwohl zu dem gewünschten Ergebnis - und insbesondere zur Anwendbarkeit der Artikel 21-23 des Übereinkommens - zu gelangen, schlagen sie vor, daß die Zuständigkeit der Gerichte der Vertragsstaaten in solchen Fällen in Analogie zu den Artikeln 57 und 4 des Übereinkommens zu bestimmen sei (51).

    42. Dieser Konstruktion ist nicht zu folgen. In den Fällen, in denen das Brüsseler Übereinkommen anwendbar ist, legt dieses selbst fest, welches Gericht zuständig ist. Im Bericht von Herrn Jenard heisst es hierzu:

    "Darüber hinaus will das Übereinkommen mit der Aufstellung gemeinsamer Zuständigkeitsvorschriften eine Regelung schaffen, die (...) auf den von ihr geregelten Sachgebieten die grösstmögliche Rechtssicherheit gewährleisten soll. In diesem Sinne legen die in Titel II vorgesehenen Normen die Zuständigkeit des Gerichts fest, das unter Abwägung aller in Betracht kommenden Interessen örtlich am ehesten berufen ist, den Rechtsstreit zu entscheiden." (52)

    Wie der Gerichtshof entschieden hat, stellt das Übereinkommen zur Verwirklichung dieses Zieles eine bestimmte Zahl von Zuständigkeitsregeln bereit, in denen diejenigen Fälle abschließend aufgezählt werden, in denen eine Person ausserhalb ihres Wohnsitzstaats verklagt werden kann (53). Der Gerichtsstand im Wohnsitzstaat des Beklagten (Artikel 2 des Übereinkommens) stellt danach das allgemeine Prinzip dar, von dem nur in den im Übereinkommen ausdrücklich erwähnten Fällen abgewichen werden darf:

    "Infolgedessen können die von diesem allgemeinen Grundsatz abweichenden Zuständigkeitsregeln nicht zu einer Auslegung führen, die über die in dem Übereinkommen vorgesehenen Fälle hinausgeht." (54)

    43. Die von den Beklagten vorgeschlagene Lösung wäre daher mit den vom Brüsseler Übereinkommen verfolgten Zielen, insbesondere dem Ziel der Rechtssicherheit, nicht vereinbar. Es ist somit festzustellen, daß das Übereinkommen für Verfahren, die der Anerkennung und Vollstreckung von Drittstaatsurteilen dienen, keinen passenden Gerichtsstand bereithält (55). Dies bestätigt, daß das Übereinkommen auf solche Verfahren nicht anwendbar ist.

    44. Gleiches gilt meines Erachtens für die Fälle, in denen das Recht eines Vertragsstaats vorsieht, daß ein Drittstaatsurteil mittels einer actio iudicati vollstreckt wird. Auch in diesen Fällen fehlt es offensichtlich im Übereinkommen an einem geeigneten Gerichtsstand.

    45. Auf die Frage, ob gleichwohl wenigstens die Artikel 21, 22 oder 23 des Übereinkommens auf Verfahren der hier vorliegenden Art angewendet werden können, und die hierzu vorgetragenen Argumente werde ich später eingehen (56).

    46. Die vorstehenden Erwägungen bestätigen meines Erachtens, daß die Zuständigkeitsregeln des Übereinkommens und sein Titel II insgesamt nur auf "ursprüngliche" Verfahren zugeschnitten ist, in denen noch keine Entscheidung ergangen ist, nicht jedoch auf Verfahren, die der Vollstreckung bereits erlassener Entscheidungen dienen (57).

    Die einzige Bestimmung, die einer solchen Auslegung im Wege stehen könnte, ist der Artikel 16 Nr. 5, dessen Inhalt oben bereits erörtert wurde. Diese Bestimmung stellt sich - wie die Regierung des Vereinigten Königreichs ausgeführt hat - als ein Fremdkörper dar, der nicht recht zu den übrigen Bestimmungen des Titels II zu passen scheint (58). Abgesehen davon, daß es sich bei dieser Bestimmung um eine im Grunde selbstverständliche Regelung handelt (59), gehört diese Vorschrift der Sache nach in den Titel III des Übereinkommens. Sie kommt erst zur Anwendung, wenn bereits ein Urteil ergangen ist, dessen Vollstreckung nunmehr betrieben werden soll oder bereits betrieben wurde. Es scheint, daß diese Vorschrift nur aus dem Grunde in die Bestimmungen des Titels II eingereiht wurde, daß man dort alle Zuständigkeiten abschließend aufzählen wollte (60). Ihre Existenz ändert daher meines Erachtens nichts daran, daß es sich - mit der Ausnahme des Artikels 16 Nr. 5 - bei den Zuständigkeiten, die den Gegenstand des Titels II des Übereinkommens bilden, um Zuständigkeiten zur Erhebung einer ursprünglichen Klage handelt.

    47. Wenden wir uns nun der Frage zu, ob das Brüsseler Übereinkommen auf einzelne Streitpunkte ("ißüs"), die im Rahmen von Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung von Drittstaatsurteilen auftauchen, anwendbar ist. Wie bereits erwähnt, hat der High Court im Ausgangsverfahren angeordnet, daß über zwei Aspekte des Vollstreckungsverfahrens - die Frage, ob die Klägerin das in St. Vincent erlassene Urteil durch Betrug erlangt hat und die Frage, ob die Anerkennung dieses Urteils in England gegen den ordre public verstieß - ein streitiges Verfahren ("trial") stattfinden soll.

    48. Bei rein formaler Betrachtung könnte man durchaus zu der Ansicht gelangen, daß es sich bei diesem Zwischenverfahren um ein Verfahren in Zivil- und Handelssachen im Sinne von Artikel 1 des Brüsseler Übereinkommens handelt und daß die Vorschriften des Übereinkommens einschließlich ihrer Artikel 21-23 daher auf dieses Verfahren Anwendung finden könnten.

    Diese Ansicht wurde von der Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof in sehr eloquenter Weise vorgetragen. Ich bin gleichwohl der Auffassung, daß ihr nicht gefolgt werden sollte.

    49. Zunächst ist zu bedenken, daß die Anwendung der Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens über die Zuständigkeit auf einzelne Streitpunkte oder, genauer gesagt, auf Verfahren, die einzelne Streitpunkte betreffen, zu nicht sachgerechten Konsequenzen führen würde.

    50. Würde es sich bei diesen Verfahren um Verfahren in Zivil- und Handelssachen im Sinne des Artikels 1 handeln, so wären auch die Zuständigkeitsvorschriften des Übereinkommens auf diese Verfahren anwendbar. Wie die Beklagten in ihrer schriftlichen Stellungnahme ganz richtig bemerkt haben, wäre hier allenfalls an die in Artikel 2 bestimmte Zuständigkeit der Gerichte des Staates zu denken, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat. Dies würde für den vorliegenden Fall bedeuten, daß die italienischen Gerichte für die Entscheidung der Frage zuständig wären, ob die Klägerin das Drittstaatsurteil durch Betrug erlangt hat. Die englischen Gerichte wären allenfalls dann berechtigt, über diese Frage zu entscheiden, wenn sie aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung zuständig wären (61). Dies würde im Normalfall dazu führen, daß die Gerichte eines Vertragsstaats, in dem ein Drittstaatsurteil vollstreckt werden soll, nicht mehr in der Lage wären, über die Vollstreckbarkeit eigenständig zu entscheiden, sobald es sich bei dem Urteilsschuldner um eine Person mit Wohnsitz in einem Vertragsstaat handelt.

    Dies kann aber nicht richtig sein. Man braucht den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits nur geringfügig abzuwandeln, um den Widersinn dieser Lösung zu veranschaulichen: Hätten die Beklagten ihren Wohnsitz nicht in Italien, sondern zum Beispiel in Frankreich, so müssten die französischen Gerichte über den betreffenden Streitpunkt entscheiden, obwohl die Vollstreckung aus dem Drittstaatsurteil in Italien und in England durchgeführt werden soll.

    51. Vor allem aber ist zu bemerken, daß die Beklagten das von der Klägerin eingeleitete Verfahren zur Vollstreckbarerklärung eher willkürlich in zwei oder gar mehr Teile zerlegen und unterstellen, daß es sich bei dem vom High Court angeordneten "trial" um ein völlig eigenständiges Verfahren handelt. Ich habe Bedenken, ob eine solche Betrachtungsweise angemessen ist. Das vom High Court angeordnete Verfahren dient der Klärung von Zweifelsfragen, die im Laufe des Vollstreckbarerklärungsverfahrens aufgetaucht sind und fügt sich in den Rahmen dieses Verfahrens ein. Meines Erachtens ist es daher viel natürlicher, insoweit von einem Zwischenverfahren zu sprechen, wie ich das bislang auch bereits getan habe. Es dürfte sich daher im vorliegenden Falle um ein einheitliches Verfahren handeln, das zwar mehrere Stufen umfasst, aber schwerlich in mehrere selbständige Verfahren aufgeteilt werden kann. Auf jeden Fall stimme ich der von Sir Peter Pain anschaulich formulierten Ansicht zu, daß das Übereinkommen auf ein solches Verfahren nicht anwendbar ist (62).

    52. Die Beantwortung der Frage, ob es sich im vorliegenden Verfahren nach englischem Recht um einen unselbständigen Teil des Exequaturverfahrens oder eher um ein selbständiges Verfahren handelt, obliegt natürlich ausschließlich den englischen Gerichten. Die Frage, ob es sich dabei gegebenenfalls um ein Verfahren im Sinne des Übereinkommens handelt, muß jedoch meines Erachtens allein auf der Grundlage des Übereinkommens selbst entschieden werden. Dabei ist insbesondere zu bedenken, daß andernfalls die Frage, ob das Übereinkommen anwendbar ist, weitgehend vom nationalen Recht abhinge. Findet das Übereinkommen Anwendung, wenn wie nach englischem Recht über einen Streitpunkt ein eigenes Verfahren durchgeführt wird, nicht aber, wenn nach dem Recht eines Vertragsstaats alle aufgeworfenen Fragen in ein und demselben Verfahren geklärt werden müssen ? Würde man auch im letztgenannten Fall annehmen wollen, daß das Übereinkommen auf einzelne Streitpunkte angewendet werden kann, so würden sich schwer lösbare Abgrenzungsprobleme ergeben. Die Kommission und die Regierung des Vereinigten Königreichs haben zu Recht auf die Gefahren hingewiesen, die sich daraus für die Rechtssicherheit ergeben würden.

    53. Für Streitpunkte, die in einem Verfahren über die Anerkennung und Vollstreckung von Drittstaatsurteilen auftauchen, gilt daher meines Erachtens nichts anderes als für diese Verfahren selbst: Das Brüsseler Übereinkommen ist weder in dem einen noch in dem anderen Fall anwendbar. Dies ist auch die Auffassung der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission.

    Zur zweiten Vorlagefrage

    54. Mit seiner zweiten Vorlagefrage begehrt das House of Lords zu wissen, ob die Artikel 21, 22 oder 23 auf Verfahren der hier vorliegenden Art anwendbar sind. Diese Frage dürfte vor dem Hintergrund der in diesem Verfahren ergangenen Entscheidungen der Vorinstanzen zu verstehen sein. Sowohl der High Court wie auch der Court of Appeal haben darin die Auffassung vertreten, daß die Artikel 21-23 des Übereinkommens nicht angewendet werden könnten, selbst wenn das Übereinkommen als solches Anwendung fände.

    Die Antwort auf die zweite Vorlagefrage ergibt sich daher an sich bereits aus den Ausführungen zur ersten Vorlagefrage. Ist das Übereinkommen als solches nicht anwendbar, so sollte dies auch für die hier zu betrachtenden Vorschriften über Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren gelten.

    55. Die Beklagten machen allerdings geltend, daß das Übereinkommen selbst dann anwendbar sein soll, wenn seine Zuständigkeitsregeln keine Anwendung finden. Die Beklagten scheinen damit sagen zu wollen, daß die Artikel 21-23 des Übereinkommens angewendet werden können, auch wenn sich die Zuständigkeit der angerufenen Gerichte nicht aus den Bestimmungen des Übereinkommens ergibt, sondern aus dem jeweiligen nationalen Recht. Sie berufen sich dabei insbesondere auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Overseas Union Insurance (63).

    56. Dieser Fall betraf einen Rechtsstreit zwischen einer Reihe von Rückversicherungsunternehmen, die ihren Sitz in der Gemeinschaft hatten und einem Versicherungsunternehmen mit Sitz in den Vereinigten Staaten. Das amerikanische Unternehmen erhob gegen die Rückversicherer eine Klage auf Zahlung aus den Rückversicherungsverträgen vor dem Pariser Tribunal de commerce. Die Rückversicherer machten geltend, daß das französische Gericht unzuständig sei. Sie wandten sich ausserdem an den High Court in London und beantragten die Feststellung, daß sie nicht verpflichtet seien, die etwaigen Pflichten aus den Rückversicherungsverträgen zu erfuellen. Der High Court setzte das vor ihm anhängige Verfahren gemäß Artikel 21 Absatz 2 des Übereinkommens aus, bis das französische Gericht über seine Zuständigkeit entschieden habe.

    Die Rückversicherer legten gegen diese Entscheidung Berufung ein. Der Court of Appeal ersuchte den Gerichtshof daraufhin um eine Vorabentscheidung unter anderem zu der Frage, ob Artikel 21 unabhängig vom Wohnsitz der Parteien anzuwenden sei. Den Hintergrund dieser Frage stellte der Umstand dar, daß das amerikanische Unternehmen seinen Sitz ausserhalb der Gemeinschaft hatte und daß es für die Zuständigkeit der englischen Gerichte daher gemäß Artikel 4 des Übereinkommens auf das englische Recht ankam.

    57. Der Gerichtshof wies darauf hin, daß Artikel 21 den Wohnsitz der Parteien eines Rechtsstreits nicht erwähnt und folgerte daraus:

    "Somit findet Artikel 21 sowohl dann, wenn die Zuständigkeit des Gerichts sich aus dem Übereinkommen selbst ergibt, als auch dann Anwendung, wenn sie nach Maßgabe des Artikels 4 des Übereinkommens auf den innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines Vertragsstaats beruht." (64)

    58. Meines Erachtens ist diese Aussage für die Lösung des vorliegenden Falles jedoch ohne Bedeutung. Die Entscheidung in der Rechtssache Overseas Union Insurance betraf entgegen der Auffassung der Beklagten eine Konstellation, die mit der hier gegebenen nicht vergleichbar ist. Der Gerichtshof bezog sich ausdrücklich auf Verfahren, für die sich die Zuständigkeit der betreffenden Gerichte - über seinen Artikel 4 - aus dem Übereinkommen selbst ergibt. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.

    59. Es ist allerdings richtig, daß der Gerichtshof in dieser Entscheidung auch eine sehr allgemein gehaltene Erwägung zu diesen Vorschriften und namentlich Artikel 21 angestellt hat, auf die sich die Beklagten berufen:

    "(D)ieser Abschnitt hat im Interesse einer geordneten Rechtspflege in der Gemeinschaft zum Ziel, Parallelverfahren vor Gerichten verschiedener Vertragsstaaten und daraus möglicherweise resultierende gegensätzliche Entscheidungen zu verhindern. Diese Regelung soll mithin soweit wie möglich von vornherein eine Situation ausschließen, wie sie in Artikel 27 Absatz 3 geregelt ist, nämlich die Nichtanerkennung einer Entscheidung wegen Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung, die zwischen denselben Parteien in dem Staat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, ergangen ist. Artikel 21 ist somit zum Zwecke der Erreichung dieser Ziele weit auszulegen und erfasst dem Grundsatz nach alle Fälle der Rechtshängigkeit vor den Gerichten der Vertragsstaaten unabhängig vom Wohnsitz der Parteien." (65)

    60. Es überrascht daher nicht, daß in der Literatur die Auffassung vertreten wird, Artikel 21 des Übereinkommens sei ganz allgemein anwendbar, wenn dieselbe Streitsache vor Gerichten verschiedener Vertragsstaaten anhängig gemacht wird, unabhängig davon, ob die angerufenen Gerichte ihre Zuständigkeit aus den Vorschriften des Übereinkommens oder aus anderen Vorschriften ableiten (66). Es ließe sich daher daran denken, die Artikel 21-23 des Brüsseler Übereinkommens auf Fälle der hier vorliegenden Art - unmittelbar oder entsprechend - anzuwenden (67). Unterstellen wir einmal, daß eines der italienischen Gerichte (sei es das Gericht, das über die Vollstreckbarerklärung in Italien zu entscheiden hat oder das Gericht, vor dem das italienische Zivilverfahren anhängig ist) zu dem Ergebnis gelangt, daß die Klägerin einen Betrug begangen hat und unterstellen wir weiter, daß diese Entscheidung in England grundsätzlich anerkannt werden könnte (68). Haben die englischen Gerichte inzwischen entschieden, daß das in St. Vincent erlassene Urteil in England vollstreckt werden darf, so stuende zu erwarten, daß die eben erwähnte italienische Entscheidung nicht mehr anerkannt werden könnte, da sie mit der englischen Exequaturentscheidung unvereinbar wäre. Dann wäre eine Situation eingetreten, wie sie das Brüsseler Übereinkommen zu verhindern sucht. Um diese Gefahr zu vermeiden, könnte man in der Tat an eine (unmittelbare oder entsprechende) Anwendung der Artikel 21-23 denken.

    61. Daß es sich bei den Vorschriften der Artikel 21-23 um eine allgemeine Regelung handelt, die grundsätzlich auch in Fällen angewendet werden kann, in denen das Übereinkommen dies nicht ausdrücklich bestimmt, scheint mir nicht zweifelhaft. Zum Beleg braucht nur auf die Entstehungsgeschichte von Artikel 25 Absatz 2 des Beitrittsübereinkommens von 1978 hingewiesen werden (69). Diese Bestimmung soll eine einheitliche Auslegung des Artikels 57 sichern (70). Zu diesem Zweck bestimmt Artikel 25 Absatz 2 a) des Beitrittsübereinkommens, daß ein Gericht, das auf der Grundlage des Artikels 57 seine Zuständigkeit auf ein besonderes Übereinkommen stützt, auf jeden Fall Artikel 20 des Brüsseler Übereinkommens zu beachten hat (71). Dem Bericht von Professor Schlosser ist zu entnehmen, daß die Frage der Anwendbarkeit von Artikel 21 bewusst offen gelassen wurde, um ihre Beantwortung "Rechtsprechung und Lehre zu überlassen" (72).

    62. Meines Erachtens ist es jedoch im vorliegenden Falle nicht geboten, sich mit der von den Beklagten vertretenen Konstruktion weiter zu befassen. Um die Artikel 21-23 überhaupt anwenden zu können, muß man meines Erachtens verlangen, daß das betreffende Verfahren wenigstens dem Gegenstand nach unter das Übereinkommen fällt. Dies ist, wie ich bereits ausgeführt habe, hinsichtlich des Exequaturverfahrens nicht der Fall. Das Übereinkommen ist auf gewöhnliche, "ursprüngliche" Klageverfahren zugeschnitten. Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung von Drittstaatsurteilen werden von ihm nicht erfasst. Was die in solchen Verfahren zu klärenden einzelnen Streitpunkte betrifft, könnte man diese nur dann als Verfahren im Sinne des Übereinkommens betrachten, wenn man sie aus ihrem Zusammenhang mit dem Vollstreckungsverfahren löst. Dies scheint mir aus den bereits genannten Gründen nicht angemessen.

    63. Ich werde daher im folgenden nur hilfsweise auf die Frage eingehen, welche der Bestimmungen der Artikel 21-23 einschlägig wären, wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung annehmen wollte, daß diese Bestimmungen an sich auf Fälle der hier vorliegenden Art anwendbar wären. Dabei wird sich auch zeigen, daß das in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Argument der Beklagten, die Ablehnung der Anwendbarkeit dieser Bestimmungen würde zu einer "klaffenden Lücke" ("gaping hole") im Rechtsschutz der Beklagten führen, nicht zu überzeugen vermag. Den Beklagten ist zwar zuzugeben, daß es mißlich wäre, wenn sie in jedem Vertragsstaat, in dem die Klägerin versuchen sollte, das in St. Vincent ergangene Urteil zu vollstrecken, den Nachweis führen müssten, daß die Klägerin dieses Urteil auf betrügerische Weise erlangt hat. Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, daß den daraus erwachsenden Nachteilen in vielen Fällen durch die Anwendung der nationalen Verfahrensvorschriften begegnet werden kann, ohne daß es der Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens über Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren bedarf. Der vorliegende Fall verdeutlicht dies meines Erachtens.

    64. Was die Exequaturverfahren selbst anlangt, könnte dann allenfalls Artikel 22 einschlägig sein. Das englische Vollstreckungsverfahren betrifft allein die Frage, ob das in St. Vincent erlassene Urteil in England vollstreckt werden darf. Entsprechendes gilt für das italienische Vollstreckungsverfahren, in dem entschieden wird, ob das Urteil in Italien vollstreckt werden kann. Es fehlt damit auch bei einer großzuegigen Auslegung des Artikels 21, so wie sie der Gerichtshof befürwortet (73), an der erforderlichen Identität des Streitgegenstands. Entsprechendes gilt für das Verhältnis zwischen dem englischen Vollstreckungsverfahren und dem italienischen Zivilverfahren. Auch hier dürfte es an der Identität des Streitgegenstandes im Sinne von Artikel 21 fehlen.

    65. Aus dem gleichen Grunde scheidet eine Anwendung des Artikels 23 aus. Es liegt zwar in der Natur der Dinge, daß die englischen Gerichte ebenso ausschließlich zuständig sind, über die Zulassung der Vollstreckung in England zu entscheiden, wie dies die italienischen Gerichte hinsichtlich der Frage sind, ob das Urteil in Italien für vollstreckbar erklärt werden kann. Insoweit ist es der Sache nach verständlich, daß sich die Kommission in ihrem Hilfsgutachten auf Artikel 16 Nr. 5 beruft (74). Artikel 23 scheint sich jedoch auf die - sicherlich nicht sehr zahlreichen - Fälle zu beziehen, in denen Gerichte verschiedener Vertragsstaaten für die Entscheidung desselben Rechtsstreits ausschließlich zuständig sind. Dies ist im vorliegenden Fall wegen der auf den jeweiligen Vertragsstaat beschränkten Wirkungen einer Exequaturentscheidung nicht der Fall. Die Anwendung des Artikels 23 wäre auch offensichtlich nicht sachgerecht: Müssten die später angerufenen englischen Gerichte sich im vorliegenden Fall zugunsten der italienischen Gerichte für unzuständig erklären, so würde es der Klägerin - wenigstens zeitweise - unmöglich gemacht, das von ihr erstrittene Urteil in England für vollstreckbar erklären zu lassen.

    66. Werden bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Klagen erhoben, die im Zusammenhang stehen, so "kann" nach Artikel 22 Absatz 1 das später angerufene Gericht "die Entscheidung aussetzen, solange beide Klagen im ersten Rechtszug anhängig sind" (75). Klagen stehen im Sinne dieser Vorschrift im Zusammenhang, "wenn zwischen ihnen eine so enge Beziehung gegeben ist, daß eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, daß in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten" (Artikel 22 Absatz 3).

    67. Artikel 22 räumt somit dem später angerufenen Gericht die Möglichkeit ein, sein Verfahren auszusetzen, verpflichtet es aber nicht dazu (76). Das gleiche Ergebnis dürfte sich ergeben, wenn man nicht den Artikel 22 des Übereinkommens, sondern das nationale Verfahrensrecht anwendet.

    Parker LJ., der das einstimmige Urteil des Court of Appeal in der vorliegenden Rechtssache verkündete, wies darauf hin, daß nach englischem Recht eine Entscheidung der italienischen Gerichte, in der festgestellt würde, daß die Klägerin einen Betrug begangen hätte, für das englische Vollstreckungsverfahren unter dem Gesichtspunkt eines ißü estoppel von Bedeutung sein könnte (77). Nach der Ansicht des Court of Appeal folgte daraus, daß die englischen Gerichte die Befugnis hatten, das englische Verfahren über die Frage des Betrugs auszusetzen, bis über diesen Streitpunkt in Italien entschieden war (78). Der High Court hatte sich nach reiflicher Überlegung entschieden, das englische Vollstreckungsverfahren nicht auszusetzen, da ihm zum einen nicht gesichert schien, daß die italienischen Gerichte überhaupt über die Frage des Betrugs entscheiden würden und er zum anderen der Ansicht war, daß eine solche Entscheidung in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten sei. Obwohl er die Argumente, die dafür sprachen, diesen Streitpunkt durch die italienischen Gerichte klären zu lassen, durchaus anerkannte und ihnen erhebliches Gewicht beimaß (79), billigte der Court of Appeal diese Entscheidung.

    Die Anwendung des Artikels 22 des Brüsseler Übereinkommens hätte durchaus zu demselben Ergebnis führen können (80).

    68. Wenden wir uns nun im Rahmen dieses Hilfsgutachtens der Frage zu, welche Vorschriften auf einzelne Streitpunkte, die im Rahmen von Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung von Drittstaatsurteilen auftauchen, angewendet werden könnten. Grundsätzlich kämen hier sowohl Artikel 21 wie auch Artikel 22 in Betracht (81). Ich werde mich hier kurz fassen, da ich mich andernfalls in das Reich der Spekulation begeben müsste. Die Beklagten haben zwar des öfteren geltend gemacht, daß die Frage, ob die Klägerin das in St. Vincent erlassene Urteil durch Betrug erlangt habe, sowohl in dem italienischen Vollstreckungsverfahren wie auch in dem italienischen Zivilverfahren aufgeworfen worden sei. Wie bereits der High Court und der Court of Appeal ausgeführt haben, steht jedoch noch nicht einmal fest, daß die italienischen Gerichte über diese Frage überhaupt entscheiden werden. Es lässt sich daher nicht bestimmen, ob im vorliegenden Falle Artikel 21 oder Artikel 22 anwendbar sein könnte. Es lässt sich daher nur allgemein feststellen, daß Artikel 21 eingreifen würde, wenn es sich um Verfahren wegen "desselben Anspruchs" handelte, während Artikel 22 anwendbar wäre, wenn es sich um lediglich im Zusammenhang stehende Verfahren handelte.

    69. Nähme man an, daß im vorliegenden Fall allenfalls Artikel 22 anwendbar wäre (was mir naheliegend erscheint), so hätte dies zur Folge, daß das später angerufene Gericht nach seinem Ermessen zu entscheiden hätte, ob es sein Verfahren aussetzen sollte. Insoweit ist darauf zu verweisen, daß sich dasselbe Resultat ohne weiteres wohl auch auf der Grundlage der jeweiligen nationalen Verfahrensvorschriften erreichen ließe.

    Anders wäre dies natürlich, wenn Artikel 21 des Übereinkommens angewendet werden könnte. Dabei ist zu beachten, daß der Gerichtshof dieser Vorschrift bekanntlich eine sehr weite Auslegung angedeihen lässt. Hier ist insbesondere an die Entscheidung im Fall Gubisch zu erinnern (82).

    In diesem Falle müsste sich das später angerufene Gericht von Amts wegen zugunsten des zuerst angerufenen Gerichts für unzuständig erklären.

    70. Im vorliegenden Fall würde dies dazu führen, daß die englischen Gerichte sich insoweit - ich beziehe mich dabei allein auf den Streitpunkt des Betrugs - zugunsten der italienischen Gerichte für unzuständig erklären müssten, da diese unstreitig zuerst angerufen worden sind. Es kann kaum bezweifelt werden, daß dies zu vernünftigen Ergebnissen führen würde. Dieser Streitpunkt würde durch die italienischen Gerichte entschieden, die dazu wohl am besten in der Lage sind: Die Muttersprache der wichtigsten Beteiligten wie auch der meisten Zeugen ist das Italienische. Der Wohnsitz bzw. Sitz der Beklagten und der meisten Zeugen ist Italien. Fast alle relevanten Dokumente sind auf italienisch abgefasst. Die wichtigsten dieser Dokumente befinden sich im Gewahrsam der italienischen Gerichte und können anscheinend erst nach dem Ende der Strafverfahren freigegeben werden. Auch die von den italienischen Gerichten und von den Parteien ernannten Sachverständigen sind Italiener und haben ihre Gutachten in ihrer Muttersprache erstellt.

    71. Es ist jedoch offensichtlich, daß dieses Ergebnis nur dem Umstand zu verdanken wäre, daß die italienischen Gerichte zuerst angerufen worden sind. Hätte die Klägerin jedoch die Vollstreckbarerklärung ihres Urteils in England oder einem anderen Mitgliedstaat beantragt, bevor die italienischen Gerichte mit diesen Fragen befasst wurden, so wären gemäß Artikel 21 jene Gerichte zuständig - und nicht die italienischen Gerichte, obwohl diese dem zu klärenden Sachverhalt doch ungleich näher stehen. Die Anwendung des Brüsseler Übereinkommens würde also dazu führen, daß der betreffende Streitpunkt zwar von den Gerichten eines einzigen Vertragsstaats geklärt werden würde, jedoch gerade nicht durch die Gerichte des Mitgliedstaats, der dafür aufgrund der Sachnähe geradezu prädestiniert erscheint.

    72. Wie wir bereits gesehen haben, legt das Brüsseler Übereinkommen in Titel II die Zuständigkeit der Gerichte fest, die unter Abwägung aller Interessen am ehesten berufen sind, den Rechtsstreit zu entscheiden (83). Aus diesem Grunde kann das Übereinkommen den Konflikt, der sich daraus ergibt, daß in derselben Sache zwei aufgrund der Bestimmungen des Titels II zuständige Gerichte angerufen werden, in Artikel 21 auf einfache Weise zugunsten des zeitlich vorrangigen Gerichtes lösen. Ergibt sich die Zuständigkeit eines dieser (oder beider) Gerichte wie im vorliegenden Fall jedoch nicht aus den Vorschriften der Artikel 2-18 des Übereinkommens, sondern unmittelbar aus dem nationalen Recht, so fehlt es an diesem Zusammenhang. Die Anwendung des Artikels 21 kann dann zu sinnvollen Ergebnissen führen, tut dies aber nicht notwendigerweise.

    Auch hier bestätigt sich daher, daß die Artikel 21-23 - und das Übereinkommen als Ganzes - auf ursprüngliche Zuständigkeiten ("original jurisdiction") zugeschnitten ist und weder für Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung von Drittstaatsurteilen noch für Streitpunkte, die in solchen Verfahren auftauchen, passt.

    73. Den von den Beklagten besonders betonten Umstand, daß dies zur Folge haben könne, daß ihnen infolge der möglichen Vielzahl von Verfahren hohe Kosten entstuenden, halte ich wie die Kommission nicht für überzeugend. Daß es möglicherweise zu einer ganzen Reihe von Verfahren kommt, hat seinen Grund eben darin, daß ein Urteilsgläubiger sein Urteil in mehreren Staaten vollstrecken kann oder wenigstens versuchen kann, es zu vollstrecken.

    Zur dritten Vorlagefrage

    74. Mit seiner dritten Frage zielt das vorlegende Gericht auf die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze, die bei der Entscheidung eines später angerufenen Gerichts über die Aussetzung seines Verfahrens anwendbar sind. Damit sind also die Kriterien angesprochen, die im Rahmen des Artikels 22 des Übereinkommens zu beachten sind. Angesichts der von mir vorgeschlagenen Antwort auf die die erste Vorlagefrage werde ich auch auf die hiermit angesprochene Problematik nur hilfsweise eingehen.

    75. Bei der im Rahmen des Artikels 22 des Übereinkommens gebotenen Entscheidung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Es versteht sich von selbst, daß den Umständen des Einzelfalls dabei besondere Bedeutung zukommt. Die nationalen Gerichte haben dabei zu beachten, daß diese Vorschrift dem Zweck dient, "Parallelverfahren vor Gerichten verschiedener Vertragsstaaten und daraus möglicherweise resultierende gegensätzliche Entscheidungen zu verhindern", wie der Gerichtshof in seiner Entscheidung im Falle Overseas Union Insurance betont hat (84). Es wäre daher angemessen, wenn sich ein nationales Gericht im Zweifel dazu entschlösse, sein Verfahren nach Artikel 22 auszusetzen (85).

    76. Für die Ausübung des den Gerichten in Artikel 22 eingeräumten Ermessens dürften darüber hinaus vor allem drei Gesichtspunkte relevant sein, ohne daß damit freilich ausgeschlossen werden soll, daß auch andere Überlegungen bedeutsam werden können:

    - Das Ausmaß des Zusammenhangs und der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen;

    - der Stand der jeweiligen Verfahren und

    - die Sachnähe der Gerichte.

    77. Es liegt auf der Hand, daß die Aussetzung eines Verfahrens durch das später angerufene Gericht um so eher geboten erscheint, je enger der Zusammenhang zwischen den jeweiligen Verfahren ist. Sind für das vor dem zuerst angerufenen Gericht anhängige Verfahren teilweise andere sachliche Gesichtspunkte maßgeblich, so kann es sachgerecht sein, wenn das später angerufene Gericht sein Verfahren nicht aussetzt (86). Plausibel erscheint es zum Beispiel auch, wenn ein Gericht sein Verfahren mit der Begründung nicht aussetzt, daß in diesem Verfahren nur eine vorläufige Maßnahme getroffen werden kann und daher die Gefahr widersprechender Entscheidungen nicht besteht (87). Je enger die Verfahren jedoch zusammenhängen und je grösser die Gefahr ist, daß die Gerichte zu unvereinbaren Ergebnissen gelangen, desto naheliegender ist es jedoch für das später angerufene Gericht, sein Verfahren nach Artikel 22 auszusetzen.

    78. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es auch legitim, wenn das später angerufene Gericht bei seiner Entscheidung über eine mögliche Aussetzung den jeweiligen Stand berücksichtigt, den die parallelen Verfahren erreicht haben. An sich dürfte zwar das Verfahren vor dem zuerst angerufenen Gericht bereits weiter fortgeschritten sein als das Verfahren vor dem später mit einem im Zusammenhang stehenden Verfahren befassten Gericht. Ist dies jedoch nicht der Fall und ist eine Entscheidung in dem ersten Verfahren nicht absehbar, so ist das später angerufene Gericht nicht gehindert, dies bei seiner Ermessensentscheidung zu berücksichtigen.

    79. Schließlich versteht sich von selbst, daß bei dieser Ermessensausübung berücksichtigt werden kann, welches Gericht am besten in der Lage ist, über eine bestimmte Frage zu entscheiden (88).

    C Schlussantrag

    80. Ich schlage Ihnen daher vor, auf die Vorlagefragen des House of Lords wie folgt zu antworten:

    Das Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 findet keine Anwendung auf Verfahren, die die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in Zivil- und Handelssachen aus Nichtvertragsstaaten betreffen, und auf Streitpunkte in solchen Verfahren.

    (*) Originalsprache: Deutsch.

    (1) - Dieser dem Commonwealth angehörende Staat liegt bekanntlich im östlichen Teil des karibischen Ozeans (die Hauptinsel St Vincent liegt ungefähr 160 km westlich von Barbados und etwa 130 km nordöstlich von Grenada). Im Jahre 1990 lebten dort schätzungsweise 116 000 Menschen auf einer Gesamtfläche von 388 Quadratkilometern (The New Encyclopädia Britannica, Micropädia, Band 10, 15. Auflage, Chicago et al. 1992).

    (2) - Der Begriff des Vollstreckungsverfahrens bezeichnet hier und im folgenden das Verfahren der Vollstreckbarerklärung einer im Ausland ergangenen Entscheidung, nicht das Verfahren der Zwangsvollstreckung, das heisst, der zwangsweisen Durchsetzung eines Urteils (vgl. dazu im einzelnen Ziffer 15).

    (3) - Bei Herrn Nano handelt es sich um die Person, die den angeblichen Darlehensvertrag mit den Beklagten ausgehandelt und das Geld übergeben haben will; Herr Layne ist eines der Vorstandsmitglieder der Klägerin.

    (4) - Vgl. im einzelnen Dicey and Morris on the Conflict of Laws, hrsgg. von L. Collins et al., 11. Auflage, Band 1, London 1987, S. 425 ff. (Common Law), 477 ff. (Administration of Justice Act 1920) und 490 ff. (Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982) sowie Cheshire and North' s Private International Law, hrsgg. von P. M. North und J. J. Fawcett, 12. Auflage, London/Dublin/Edinburgh 1992, S. 345 ff.

    (5) - Es handelt sich dabei um eine Form der actio iudicati, wie sie bereits dem Römischen Recht und dem Gemeinen Recht vertraut war.

    (6) - Section 9, Absatz 2 d) des Administration of Justice Act 1920.

    (7) - Vgl. Section 9, Absatz 2 f) des Administration of Justice Act 1920.

    (8) - Section 9, Absatz 4 b) des Administration of Justice Act 1920 in Verbindung mit RSC (Rules of the Supreme Court) Order 71, rule 9.

    (9) - RSC Order 71, rule 9 (2): The Court hearing such application may order any ißü between the judgment creditor and the judgment debtor to be tried in any manner in which an ißü in an action may be ordered to be tried.

    (10) - The Supreme Court Practice (1993), Band 1, Teil 1 (London 1992) verweist in Randnummer 71/9/2 auf RSC Order 33, rules 3 und 4 (2). Order 33, rule 3 bestimmt: The Court may order any question or ißü arising in a cause or matter, whether of fact or law or partly of fact and partly of law, and whether raised by the pleadings or otherwise, to be tried before, at or after the trial of the cause or matter, and may give directions as to the manner in which the question or ißü shall be stated. Der zweite Absatz von Order 33, rule 4 hat folgenden Wortlaut: In any such action different questions or ißüs may be ordered to be tried at different places or by different modes of trial and one or more questions or ißüs may be ordered to be tried before the others.

    (11) - [1966] 1 Q. B. 828. Diese Entscheidung erging auf der Grundlage des Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933.

    (12) - Zusammenfassung des Urteils in The Times Law Reports vom 29. August 1990.

    (13) - Die hier interessierende Passage der Verfügung des High Court hat folgenden Wortlaut: That ißüs be tried between the Plaintiff and the Defendants as to whether the Registration Order and all proceedings herein subsequent thereto should be set aside on the grounds that the judgments proposed to be registered fall within one or more of the cases in which a judgment may not be ordered to be registered under Section 9 of the Administration of Justice Act 1920 that is to say the cases set out in Section 9 (2) (d) and 9 (2) (f) thereof.

    (14) - [1991] 4 All E. R. 833; [1992] 2 W. L. R. 127.

    (15) - [1992] 2 All E. R. 193; [1992] 2 W. L. R. 621.

    (16) - Neben den Beklagten haben nur die Kommission und die Regierung des Vereinigten Königreichs sich an dem Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligt.

    (17) - Das Brüsseler Übereinkommen ist hier in der Fassung anzuwenden, die es durch die Beitrittsübereinkommen vom 9. Oktober 1978 und vom 25. Oktober 1982 erhalten hat. Der Text dieser Fassung ist im ABl. C 97 vom 11. 4. 1983, S. 2, abgedruckt.

    (18) - Entscheidungen, in denen die Gerichte eines Staates eine in einem anderen Staat erlassene Entscheidung für vollstreckbar erklären, werden auch als Exequaturentscheidungen bezeichnet.

    (19) - Wie wir gesehen haben, hat der High Court ausserdem angeordnet, daß über die Frage, ob die Anerkennung des in St. Vincent erlassenen Urteils gegen den englischen ordre public ( public policy ) verstösst, in einem Zwischenverfahren zu entscheiden ist (vgl. oben Ziffer 10 und Fußnote 13).

    (20) - Siehe oben Ziffer 4.

    (21) - Vgl. etwa die Zusammenfassung des Vortrags der Beklagten im Urteil des Court of Appeal (Parker LJ.), [1991] 4 All E. R. 833, 840 a.

    (22) - Diese Begriffe werden in Ziffer 6 bzw. Ziffer 9 des Vorlagebeschlusses definiert. Sie bezeichnen demnach die Verfahren, in denen die Vollstreckbarerklärung des Urteils in England einerseits und in Italien andererseits begehrt wird.

    (23) - Ziffer 7 des Vorlagebeschlusses.

    (24) - Vgl. etwa P. Schlosser, Doppelexequatur zu Schiedssprüchen und ausländischen Gerichtsentscheidungen?, IPRax 1985, S. 141, 143 ; J. Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 3. Auflage, Heidelberg 1991, Art. 25 Rz. 16.

    (25) - Ebenso G. Droz, Compétence judiciaire et effets des jugements dans le marché commun, Paris 1972, S. 270 f. (Ziff. 437).

    (26) - G. Droz a.a.O. (Fußnote 25), S. 270 (Ziff. 437); ders., Pratique de la Convention de Bruxelles du 27 septembre 1968, Paris 1973, S. 62 (Ziff. 138); R. Geimer, Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen nach dem EWG-Übereinkommen vom 27.9.1968, RIW 1976, S. 139, 145; ders., Das Anerkennungsverfahren gemäß Art. 26 Abs. 2 des EWG-Übereinkommens vom 27. September 1968, JZ 1977, S. 145, 148; ders., Internationales Zivilprozeßrecht, Köln 1987, S. 472 (Rz. 2310); R. Geimer/R. Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Bd. I, 1. Halbband, München 1983, S. 985; D. Martiny, in: Handbuch des internationalen Zivilverfahrensrechts, Band III/2, Tübingen 1984, S. 38 (Rz. 64); P. Gothot/D. Holleaux, La Convention de Bruxelles du 27 Septembre 1968, Paris 1985, S. 134 f. (Ziff. 238); S. O' Malley/A. Layton, European Civil Practice, London 1989, S. 678 (Rz. 25.33); J. Kropholler a.a.O. (Fußnote 24), S. 259 (Rz. 19); H. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, München 1991, S. 339 (Rn. 936); P. Gottwald, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, Band 3, München 1992, Art. 25 Rdnr. 10. Anderer Ansicht R. Schütze, Die Doppelexequierung ausländischer Zivilurteile, ZZP 77 (1964), S. 287 ff.; ders, RIW 1984, 734 f.; zweifelnd F. Jünger, La Convention de Bruxelles du 27 septembre 1968 et la courtoisie internationale, Revü critique de droit international privé 1983, S. 37, 48.

    (27) - Ebenso P. Gothot/D. Holleaux a.a.O. (Fußnote 26), S. 135 (Ziff. 239); J. Kropholler a.a.O. (Fußnote 24), S. 259 (Rz. 16); H. Schack a.a.O. (Fußnote 26), S. 340 (Rn. 936). Anderer Ansicht S. O' Malley/A. Layton a.a.O. (Fußnote 26), S. 680 (Rz. 25.36). Vermittelnd G. Droz a.a.O. (Fußnote 25), S. 271 (Ziff. 437) Fußnote 1 (nach dem eine Entscheidung über eine actio iudicati in einem anderen Vertragsstaat nur dann vollstreckt werden kann, wenn sie unter Beachtung der Zuständigkeitsvorschriften des Brüsseler Übereinkommens ergangen ist).

    (28) - Siehe dazu unten Ziffer 34 ff., 44.

    (29) - Bericht von Herrn P. Jenard zum Brüsseler Übereinkommen, ABl. C 59 vom 5.3.1979, S. 1, 10. Der Bericht von Herrn Professor P. Schlosser zum Beitrittsübereinkommen mit Dänemark, Irland und dem Vereinigten Königreich, ABl. C 59 vom 5.3.1979, S. 71, 82 (Ziff. 23), bestätigt diese Ansicht.

    (30) - Ebenso D. Martiny a.a.O. (Fußnote 26), der - allerdings ohne nähere Begründung - annimmt, daß es sich bei Entscheidungen eines Vertragsstaats, durch die eine Drittstaatsentscheidung anerkannt oder für vollstreckbar erklärt wird, nicht um Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen handelt.

    (31) - Vgl. in diesem Zusammenhang etwa das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 4. Juni 1992 (NJW 1992, 3096). Das höchste deutsche Zivilgericht führt dort aus, daß es sich bei dem Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils auf der Grundlage von § 722 der deutschen Zivilprozessordnung um einen ordentlichen Zivilprozeß , das heisst, um ein gewöhnliches Zivilverfahren, handelt (a.a.O., S. 3097).

    (32) - Zu den Streitpunkten ( ißüs ), die im Rahmen solcher Verfahren auftreten können, siehe unten Ziffer 47 ff.

    (33) - Vgl. hierzu auch G. Droz a.a.O. (Fußnote 26), S. 334.

    (34) - Nach Artikel 57 lässt das Brüsseler Übereinkommen Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen für besondere Rechtsgebiete unberührt.

    (35) - Da Artikel 57 von Übereinkommen für besondere Rechtsgebiete spricht, werden bilaterale Staatsverträge allgemeiner Natur von dieser Vorschrift möglicherweise nicht erfasst sein. Artikel 58 a.F. zeigt jedoch, daß das Brüsseler Übereinkommen (von der in Artikel 58 beschriebenen Ausnahme abgesehen) auch diese nicht berührt.

    (36) - Urteil vom 15. Mai 1990 in der Rechtssache C-365/88, Slg. 1990, I-1845, Randnr. 17 (Hervorhebung von mir).

    (37) - Rechtssache C-314/92, Ladenimor/Intercomfinanz. Auch diesem Verfahren liegt ein Vorlagebeschluß des House of Lords zugrunde.

    (38) - Bericht Jenard a.a.O. (Fußnote 29), S. 61. Vgl. zu diesem Zusammenhang auch meine Schlussanträge in der Rechtssache 220/84, AS-Autoteile Service/Malhé, Slg. 1985, 2268, 2270.

    (39) - Vgl. oben Ziffern 20 ff.

    (40) - Führt zum Beispiel die Zwangsvollstreckung im Staat A nicht zur vollständigen Befriedigung des Anspruchs des Urteilsgläubigers, weil der Schuldner in diesem Staat nicht über ausreichendes Vermögen verfügt, so ist es dem Urteilsgläubiger natürlich unbenommen, hinsichtlich des verbliebenen Betrages die Zwangsvollstreckung in einem anderen Staat (in dem der Schuldner über weiteres Vermögen verfügt) zu beantragen. Zu Artikel 4 siehe unten Ziffer 41 und Fußnote 55.

    (41) - Es versteht sich von selbst, daß Artikel 18 des Übereinkommens keine tragfähige Zuständigkeitsnorm für Fälle der hier vorliegenden Art darstellt. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht eines Vertragsstaates in bestimmten Fällen zuständig sein, wenn der Beklagte sich auf das Verfahren vor diesem Gericht einlässt. Ein Urteilsschuldner, der sich in einer ähnlichen Lage befindet wie die Beklagten im vorliegenden Verfahren, wird sich jedoch in aller Regel gegen einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung verteidigen, da er andernfalls gewärtigen müsste, daß dem Antrag stattgegeben und aus dem Urteil vollstreckt werden würde.

    (42) - Urteil vom 4. Juli 1985, Slg. 1985, 2267.

    (43) - Urteil vom 26. März 1992, Rechtssache C-261/90, Slg. 1992, I-2149.

    (44) - A.a.O. (Fußnote 43), Randnr. 26.

    (45) - A.a.O. (Fußnote 43), Randnr. 27. Vgl. Bericht Jenard a.a.O. (Fußnote 29), S. 36. Der Bericht von Herrn Jenard beruft sich an dieser Stelle seinerseits auf A. Braas, Précis de procédure civile, Band I, 3. Auflage, Brüssel/Lüttich 1944, S. 422 (Ziff. 808).

    (46) - Slg. 1992, I-2160, 2164.

    (47) - Vgl. auch das bereits erwähnte Werk von A. Braas a.a.O. (Fußnote 45), der zwischen Zwangsvollstreckung ( exécution ) und Vollstreckbarerklärung ( exequatur ) unterscheidet. Vorsichtiger P. Kaye, Civil jurisdiction and enforcement of foreign judgments, Abingdon 1987, S. 956 f.

    (48) - J. Kropholler a.a.O. (Fußnote 24), S. 156 (Rz. 3). Vgl. auch das in Ziffer 42 zitierte Urteil des Gerichtshofs.

    (49) - Vgl. oben Ziffer 30.

    (50) - Anderer Ansicht sind freilich D. Lasok/P. Stone, Conflict of laws in the European Community, Abingdon 1987, S. 252: Artikel 16 Nr. 5 sei auch anwendbar, wenn das zu vollstreckende Urteil in einem Drittstaat erlassen worden sei.

    (51) - Artikel 4 bestimmt, daß sich die Zuständigkeit der Gerichte eines Vertragsstaats grundsätzlich nach den Vorschriften dieses Staates bestimmt, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz nicht in der Gemeinschaft hat.

    (52) - A.a.O. (Fußnote 29), S. 15.

    (53) - Urteil vom 17. Juni 1992 in der Rechtssache C-26/91, Handte, Slg. 1992, I-3967, Randnr. 13.

    (54) - A.a.O. (Fußnote 53), Randnr. 14 (Hervorhebung von mir).

    (55) - Ein solcher Gerichtsstand müsste allgemein für die Fälle der Vollstreckbarerklärung von Drittstaatsurteilen gelten. Es versteht sich daher von selbst, daß Artikel 4 des Übereinkommens - der nur für Beklagte ohne Wohnsitz in einem Vertragsstaat gilt - diese Rolle nicht erfuellen kann.

    (56) - Siehe unten Ziffer 54 ff.

    (57) - So auch R. Geimer, EuGVÜ und Aufrechnung: Keine Erweiterung der internationalen Entscheidungszuständigkeit - Aufrechnungsverbot bei Abweisung der Klage wegen internationaler Unzuständigkeit, IPRax 1986, S. 208, 209; D. Lasok/P. Stone a.a.O. (Fußnote 50), S. 197.

    (58) - Vgl. Ziff. 9 der Stellungnahme der Regierung des Vereinigten Königreichs ( a somewhat anomalous provision ) und A. Struycken, The rules of jurisdiction in the EEC Convention on jurisdiction and enforcement of judgments in civil and commercial matters, in: Netherlands International Law Review 1978, S. 354, 360 ( Its proper place in the Convention is rather, as an Article 25A, at the beginning of Title III ).

    (59) - So auch I. Schwander, Die Gerichtszuständigkeiten im Lugano-Übereinkommen, in: I. Schwander (Hrsg.), Das Lugano-Übereinkommen, S. 61, 92 (zum inhaltsgleichen Artikel 16 Nr. 5 des Lugano-Übereinkommens).

    (60) - So G. Droz a.a.O. (Fußnote 25), S. 107 (Ziffer 162).

    (61) - Zu Artikel 18 siehe bereits oben Fußnote 41.

    (62) - The answer to this, in my view, is that no provision is made as to such a hybrid creature in the convention (nicht veröffentlichte Niederschrift des Urteils vom 19. Juli 1990, S. 10).

    (63) - Urteil vom 27. Juni 1991, Rechtssache C-351/89, Slg. 1991, I-3317.

    (64) - A.a.O. (Fußnote 63), Randnr. 14.

    (65) - A.a.O. (Fußnote 63), Randnr. 16. Ähnlich bereits das Urteil vom 8. Dezember 1987 in der Rechtssache 144/86, Gubisch Maschinenfabrik/Palumbo, Slg. 1987, 4861 (Randnr. 8). Vgl. auch das Urteil vom 11. Januar 1990 in der Rechtssache C-220/88, Dumez France und Tracoba, Slg. 1990, I-49, Randnr. 18.

    (66) - P. Gothot/D. Holleaux a.a.O. (Fußnote 26), S. 123 (Ziff. 217); G. Müller, in: A. Bülow/K.-H. Böckstiegel/R. Geimer/R. Schütze, Der internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, München (Stand 1991), S. 606/169; H. Gaudemet-Tallon, Revü critique de droit international privé 1991, S. 769, 774.

    (67) - Dies scheint auch die Ansicht von A. Briggs, The Law Quarterly Review 1991, S. 531, 534 zu sein, der eine purposive construction des Übereinkommens fordert.

    (68) - Da die italienische Exequarurentscheidung als solche in anderen Vertragsstaaten nicht anerkannt und vollstreckt werden kann, könnte es sich hierbei nach der hier vertretenen Auffassung allenfalls um die Entscheidung des mit dem italienischen Zivilverfahren befassten Gerichts handeln.

    (69) - Gemäß der Bestimmungen des Beitrittsübereinkommens vom 26. Mai 1989 ist diese Vorschrift dem Artikel 57 des Übereinkommens als Absatz 2 hinzugefügt worden.

    (70) - Zu Artikel 57 siehe oben Fußnote 34.

    (71) - Nach Artikel 20 hat sich ein Gericht von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn ein Beklagter mit Wohnsitz in einem Vertragsstaat sich auf das Verfahren nicht einlässt und die Zuständigkeit sich nicht aus einer anderen Bestimmung des Übereinkommens ergibt.

    (72) - A.a.O. (Fußnote 29), S. 140 (Ziff. 240).

    (73) - Vgl. die Entscheidung im Falle Gubisch a.a.O. (Fußnote 65).

    (74) - Entgegen der Auffassung der Kommission bleibe ich jedoch auch im Rahmen dieser hilfsweisen Überlegungen bei meiner Ansicht, daß Artikel 16 Nr. 5 auf Exequaturverfahren nicht anwendbar ist (vgl. oben Ziffer 39).

    (75) - Nach Artikel 22 Absatz 2 kann sich das später angerufene Gericht auf Antrag einer Partei auch für unzuständig erklären, wenn die Verbindung im Zusammenhang stehender Verfahren nach seinem Recht zulässig ist und das zuerst angerufene Gericht für beide Klagen zuständig ist. Diese (nicht ganz leicht zu verstehende) Bestimmung spielt für das vorliegende Verfahren keine Rolle (vgl. den Wortlaut der dritten Vorlagefrage) und soll daher hier nicht näher erörtert werden.

    (76) - Vgl. zu den dabei zu beachtenden Gesichtspunkten die Überlegungen zur dritten Vorlagefrage.

    (77) - [1991] 4 All E. R. 833, 853 ff. Das Vorliegen eines ißü estoppel bedeutet, daß ein von einem ausländischen Gericht festgestellter tatsächlicher oder rechtlicher Umstand vor den englischen Gerichten nicht mehr bestritten werden kann. Vgl. hierzu allgemein Dicey and Morris a.a.O. (Fußnote 4), S. 432 f.

    (78) - Accordingly, in our judgment there must be a power in the English court to stay the trial in England of the ißü whether the St Vincent judgment was obtained by fraud pending the trial of the same ißü in Italy. It could be productive of great injustice to allow the ißü to go ahead in England when the same ißü could be better tried in Italy and the Italian decision could be determinative of the ißü for the purposes of the English proceedings (a.a.O. - Fußnote 77 - S. 855 e und f).

    (79) - In our judgment the English courts should adopt a communautaire, and not a national and chauvinistic, approach to the determination of this question (a.a.O. - Fußnote 77 - S. 856 f.

    (80) - Siehe unter Ziffer 76 ff.

    (81) - An einer für die Anwendung von Artikel 23 erforderlichen konkurrierenden ausschließlichen Zuständigkeit für die Klärung solcher Streitpunkte fehlt es offensichtlich.

    (82) - A.a.O. (Fußnote 65).

    (83) - Siehe oben Ziffer 42.

    (84) - A.a.O. (Fußnote 63), Randnr. 16.

    (85) - Vgl. dazu das Urteil des High Court (Ognall J.) vom 31. Januar 1990 in der Rechtssache Virgin Aviation Services Limited v. CAD Aviation Services, [1991] International Litigation Procedure 79. Das Gericht führt dort aus, daß eine starke Vermutung dafür spräche, einem Antrag auf Aussetzung stattzugeben ( ...signifies that the strong presumption where an application is made for a stay, lies in favour of the applicant - a.a.O., S. 88).

    (86) - Vgl. hierzu etwa das Urteil des OLG Karlsruhe vom 4. August 1977, RIW 1977, S. 718 f. (= Nachschlagewerk der Rechtsprechung zum Gemeinschaftsrecht, Serie D, I-5.3 - B 8).

    (87) - Vgl. das Urteil des Hof van Beroep te Antwerpen vom 18. Oktober 1979, Belgische Rechtspraak in Handelszaken 1980, S. 181, 187 (= Nachschlagewerk, I-22 - B 2).

    (88) - Vgl. das Urteil der Arrondissementsrechtbank 's-Gravenhage vom 1. Februar 1985, Schip en Schade 1985, S. 251, 254 (= Nachschlagewerk, I-22 B 8) und das Urteil des dänischen Sö- og Handelsretten vom 5. September 1991, bestätigt durch das Urteil des Höjesteret vom 19. Februar 1992 (Ugeskrift for Retsväsen 1992, S. 403 f.).

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