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Document 61991CJ0195
Judgment of the Court (Sixth Chamber) of 15 December 1994. # Bayer AG v Commission of the European Communities. # Appeal - Competition - Time-limit for initiating proceedings - Notification. # Case C-195/91 P.
Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 15. Dezember 1994.
Bayer AG gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Rechtsmittel - Wettbewerb - Klagefrist - Zustellung.
Rechtssache C-195/91 P.
Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 15. Dezember 1994.
Bayer AG gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Rechtsmittel - Wettbewerb - Klagefrist - Zustellung.
Rechtssache C-195/91 P.
Sammlung der Rechtsprechung 1994 I-05619
ECLI identifier: ECLI:EU:C:1994:412
URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 15. DEZEMBER 1994. - BAYER AG GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - RECHTSMITTEL - WETTBEWERB - KLAGEFRIST - ZUSTELLUNG. - RECHTSSACHE C-195/91 P.
Sammlung der Rechtsprechung 1994 Seite I-05619
Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor
++++
1. Handlungen der Organe ° Einzelfallentscheidung ° Zustellung ° Begriff
(EWG-Vertrag, Artikel 191 Absatz 2)
2. Verfahren ° Klagefristen ° Ausschlußwirkung ° Entschuldbarer Irrtum ° Begriff
3. Verfahren ° Klagefristen ° Ausschlußwirkung ° Zufall oder Fall höherer Gewalt ° Begriff
(Satzung des Gerichtshofes der EWG, Artikel 42 Absatz 2)
1. Die Zustellung einer Entscheidung der Kommission per Einschreiben mit Rückschein ist ein angemessenes Zustellungsverfahren. Wird es angewandt, so ist der Tag der Unterzeichnung des Rückscheins als Zustellungstag anzusehen, ohne daß dabei der Tag berücksichtigt werden müsste, an dem der Empfänger eine gewöhnliche Empfangsbestätigung zurückgesandt hat, die der Entscheidung beigefügt war, um eventuelle Versäumnisse der Postdienststellen wettzumachen.
2. Im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Regelung über die Klagefristen bezieht sich der Begriff des eine Abweichung von den Klagefristen gestattenden entschuldbaren Irrtums nur auf Ausnahmefälle, insbesondere auf solche, in denen das betroffene Gemeinschaftsorgan ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das für sich genommen oder aber in ausschlaggebendem Maß geeignet gewesen ist, bei dem Rechtsbürger Verwirrung hervorzurufen. Ein Unternehmen, an das eine Entscheidung der Kommission gerichtet ist, kann sich daher weder auf das mangelhafte Funktionieren seiner internen Organisation noch auf die Missachtung seiner internen Weisungen berufen, um damit darzutun zu versuchen, daß sein Irrtum entschuldbar gewesen sei.
3. Steht einer Klage die Ausschlußwirkung der Verspätung entgegen, so kann diese nur dann nach Artikel 42 Absatz 2 der Satzung des Gerichtshofes der EWG wegen eines Zufalls oder eines Falles höherer Gewalt zugunsten des Klägers aufgehoben sein, wenn ungewöhnliche, vom Willen des Klägers unabhängige Schwierigkeiten vorliegen, die selbst bei Beachtung aller erforderlichen Sorgfalt unvermeidbar erscheinen.
Daraus ergibt sich, daß sowohl der Begriff der höheren Gewalt als auch der des Zufalls ein objektives und ein subjektives Merkmal umfassen, von denen ersteres sich auf ungewöhnliche, ausserhalb der Sphäre des Wirtschaftsteilnehmers liegende Umstände bezieht und letzteres mit der Verpflichtung des Betroffenen zusammenhängt, sich gegen die Folgen ungewöhnlicher Ereignisse zu wappnen, indem er, ohne übermässige Opfer zu bringen, geeignete Maßnahmen trifft. Insbesondere müssen die Wirtschaftsteilnehmer den Ablauf des eingeleiteten Verfahrens sorgfältig überwachen und zum Zweck der Einhaltung der vorgesehenen Fristen Sorgfalt walten lassen.
1 Die Bayer AG, eine Gesellschaft deutschen Rechts (im folgenden: Rechtsmittelführerin), hat mit Rechtsmittelschrift, die am 29. Juli 1991 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EWG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 29. Mai 1991 in der Rechtssache T-12/90 (Bayer/Kommission, Slg. 1991, II-219) eingelegt, soweit damit ihre Klage als unzulässig abgewiesen worden ist und ihr die Kosten auferlegt worden sind.
2 Aus den Feststellungen, die das Gericht in seinem Urteil getroffen hat (Randnrn. 1 bis 7) ergibt sich folgendes:
° Mit der Entscheidung 90/38/EWG vom 13. Dezember 1989 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/32.0 ° Bayo-n-ox) (ABl. 1990, L 21, S. 71; im folgenden: "die Entscheidung") stellte die Kommission fest, daß zwischen der Rechtsmittelführerin und ihren Abnehmern Vereinbarungen gegolten hätten, wonach diese Abnehmer verpflichtet gewesen seien, "Bayo-n-ox Premix 10 %" ausschließlich zur Deckung ihres eigenen Bedarfs in ihren Werken zu verwenden. Nach Ansicht der Kommission stellten diese Vereinbarungen Zuwiderhandlungen gegen Artikel 85 EWG-Vertrag dar. Die Kommission setzte deswegen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, der Ersten Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), gegen die Rechtsmittelführerin eine Geldbusse von 500 000 ECU fest.
° Diese Entscheidung wurde der Rechtsmittelführerin am 20. Dezember 1989 auf dem Postweg als Einschreiben mit Rückschein zugesandt, das am 28. Dezember 1989 bei der Poststelle der Rechtsmittelführerin einging.
° Der Umschlag, der diese Sendung enthielt, war auf der Vorderseite u. a. mit einem links oben angebrachten Stempelaufdruck mit dem Inhalt "A.R./RECOMMANDE/Avec Accusé de réception/AANGETEKEND/Met Ontvangstbewijs" (Einschreiben/Mit Empfangsbestätigung) versehen. Auf die Rückseite des Umschlags war mit seinen beiden seitlichen Enden ein abtrennbares Formular aus dickem rotem Papier mit der Überschrift "Avis de réception/de paiement/d' inscription" (Rückschein über den Empfang, die Zahlung, die Eintragung) aufgeklebt. Das Formular wurde bei der Behandlung durch die Poststelle der Rechtsmittelführerin von dem Umschlag abgetrennt, auf dem aber sichtbare Spuren zurückblieben.
° Ein in der Poststelle beschäftigter Bevollmächtigter der Rechtsmittelführerin brachte in dem Feld mit der Angabe "date et signature du destinataire" (Datum und Unterschrift des Empfängers) des genannten Rückscheins das Datum des 28. Dezember 1989 und seine Unterschrift an. Der Rückschein wurde an die Kommission zurückgesandt, bei der er auch einging.
° Ein in der Poststelle der Rechtsmittelführerin beschäftigter Bediensteter ließ die Sendung der Kommission an die Patentabteilung weiterleiten, ohne den Umschlag zu öffnen und ohne darauf das Datum des Eingangs bei der Poststelle zu vermerken. Die Patentabteilung stempelte auf der Vorderseite des Umschlags in roter Farbe die Angabe "NICHT K-RP Patentabteilung" auf und schickte die Sendung mit der Werkspost an die Poststelle zurück. Ein dort beschäftigter Bediensteter der Rechtsmittelführerin öffnete den Umschlag am 3. Januar 1990 und versah ihn auf der Vorderseite mit dem Datumsstempel von diesem Tag. Dann leitete er den Umschlag mit seinem Inhalt an die Rechtsabteilung der Rechtsmittelführerin weiter.
° Der fragliche Umschlag enthielt u. a. die Entscheidung der Kommission und ein Schriftstück mit der Überschrift "Acknowledgement of receipt/Accusé de réception" (Empfangsbekenntnis). Das Sekretariat der Rechtsabteilung der Rechtsmittelführerin versah die Entscheidung mit dem Eingangsstempel vom 3. Januar 1990. Zwei Mitarbeiter der Rechtsabteilung trugen in das Empfangsbekenntnis das Datum 3. Januar 1990 ein und unterzeichneten es. Dieses Formular wurde an die Kommission zurückgesandt.
° Am 15. Januar 1990 richtete die Rechtsabteilung der Rechtsmittelführerin ein die Entscheidung betreffendes Schreiben an den Vizepräsidenten der Kommission, Sir Leon Brittan. In diesem Schreiben wurde angegeben, daß die Entscheidung am 3. Januar 1990 zugestellt worden sei.
3 Vor dem Gericht hat die Rechtsmittelführerin beantragt, die Entscheidung der Kommission aufzuheben, hilfsweise, die festgesetzte Geldbusse aufzuheben, und äusserst hilfsweise, diese herabzusetzen.
4 Mit gesondertem Schriftsatz hat die Kommission vor dem Gericht eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Sie hat geltend gemacht, die Klage sei verspätet, da sie am 9. März 1990, also nach Ablauf der in Artikel 173 EWG-Vertrag vorgesehenen Frist von zwei Monaten, verlängert um die in Artikel 1 zweiter Gedankenstrich der Anlage II der Verfahrensordnung vorgesehene Entfernungsfrist von 6 Tagen, eingereicht worden sei. Die Frist habe am Tag der Bekanntgabe der angefochtenen Maßnahme an die Betroffene zu laufen begonnen und sei am 6. März 1990 abgelaufen.
5 Gegen diese Einrede der Unzulässigkeit hat die Rechtsmittelführerin drei Verteidigungsgründe vorgebracht. Sie hat erstens gerügt, daß die Entscheidung nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei; zweitens hat sie vorgetragen, daß Umstände vorgelegen hätten, derentwegen ihr Irrtum über den Beginn der Klagefrist entschuldbar sei; drittens hat sie geltend gemacht, daß ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt im Sinne des Artikels 42 der EWG-Satzung des Gerichtshofes vorgelegen habe.
6 Das Gericht hat diese drei Verteidigungsgründe zurückgewiesen.
7 Zunächst hat es zum ersten Verteidigungsgrund in Randnummer 19 seines Urteils festgestellt, daß die Dienststellen der Kommission der Rechtsmittelführerin die Entscheidung durch Einschreiben mit Rückschein zugesandt hätten, daß dieses Schreiben am 28. Dezember 1989 unter ordnungsgemässen Bedingungen am Sitz der Rechtsmittelführerin eingegangen sei und daß die Rechtsmittelführerin an diesem Tag in der Lage gewesen sei, vom Inhalt des Schreibens und damit vom Wortlaut der Entscheidung Kenntnis zu nehmen. In Randnummer 20 hat das Gericht weiter festgestellt, die Tatsache, daß der Umschlag ein Schriftstück mit der Überschrift "Acknowledgement of Receipt/Accusé de réception" (Empfangsbekenntnis) enthalten habe, bedeute keinesfalls, daß eine von der ordnungsgemäß auf dem Postweg bewirkten Zustellung verschiedene zweite Zustellung vorgelegen hätte.
8 Sodann hat das Gericht zur Zurückweisung des Verteidigungsgrundes, dem zufolge ein entschuldbarer Irrtum der Rechtsmittelführerin vorgelegen haben soll, darauf hingewiesen, daß der Begriff des entschuldbaren Irrtums in bezug auf die Klagefristen, die nach ständiger Rechtsprechung weder der Disposition des Gerichts noch der Parteien unterlägen und zwingenden Rechts seien, eng auszulegen sei und sich nur auf Ausnahmefälle beziehen könne, insbesondere auf solche, in denen das betroffene Gemeinschaftsorgan ein Verhalten an den Tag gelegt habe, das für sich genommen oder aber in ausschlaggebendem Maß geeignet gewesen sei, bei einem gutgläubigen Rechtsbürger, der alle Sorgfalt aufwende, die von einem Wirtschaftsteilnehmer mit normalem Kenntnisstand zu verlangen sei, eine Verwirrung hervorzurufen, die in den Grenzen dessen liege, was hingenommen werden könne. Aufgrund dieser Erwägungen hat das Gericht die Ansicht vertreten (Randnrn. 31 bis 40), daß aus den von der Rechtsmittelführerin angeführten Umständen nicht auf das Vorliegen eines entschuldbaren Irrtums der Rechtsmittelführerin geschlossen werden könne.
9 Schließlich hat das Gericht in Randnummer 45 des angefochtenen Urteils zur Zurückweisung des Vorbringens, daß ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt vorgelegen habe, festgestellt, daß die Rechtsmittelführerin zur Untermauerung dieses Verteidigungsgrundes dieselben Argumente vorgebracht habe wie zur Untermauerung des Verteidigungsgrundes, daß ein entschuldbarer Irrtum vorgelegen habe. Angesichts seiner Würdigung des letztgenannten Verteidigungsgrundes hat das Gericht die Ansicht vertreten, daß nach den konkreten Umständen erst recht kein Zufall oder Fall höherer Gewalt im Sinne des Artikels 42 der EWG-Satzung des Gerichtshofes gegeben sei.
10 Aufgrund dieser Erwägungen hat das Gericht mit Urteil vom 29. Mai 1991 (a. a. O.) die Klage der Rechtsmittelführerin als unzulässig abgewiesen und dieser die Kosten auferlegt.
Zum Rechtsmittel
11 Die Rechtsmittelführerin bringt vier Rechtsmittelgründe vor.
Erster Rechtsmittelgrund
12 Die Rechtsmittelführerin hat erstmals in der Sitzung vom 25. Juni 1992 geltend gemacht, daß die Entscheidung der Kommission inexistent sei, und dies mit Ausführungen begründet, die dem in den Randnummern 71 bis 77 des Urteils des Gerichts vom 27. Februar 1992 in den Rechtssachen T-79/89, T-84/89, T-85/89, T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89, T-98/89, T-102/89 und T-104/89 (BASF u. a./Kommission, Slg. 1992, II-315) wiedergegebenen Vorbringen gleichen. Die Rechtsmittelführerin trägt hierzu vor, es gebe keine Originalfassung der Entscheidung und diese sei nicht nach Maßgabe der zur maßgeblichen Zeit geltenden Geschäftsordnung der Kommission festgestellt worden. Die Rechtsmittelführerin führt aus, dieser neue Rechtsmittelgrund, der auf rechtliche Gesichtspunkte gestützt sei, von denen sie erst nach Erlaß des genannten Urteils Kenntnis erlangt habe, sei gemäß Artikel 42 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes zulässig.
13 Hierzu ist festzustellen, daß der Gerichtshof mit Urteil vom 15. Juni 1994 in der Rechtssache C-137/92 P (Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555) entschieden hat, daß die vom Gericht festgestellten Mängel nicht den Schluß zulassen, daß die in jener Rechtssache streitige Entscheidung inexistent sei. Dies trifft aus denselben Gründen auch für die angeblichen Mängel der in der ersten Instanz angefochtenen Entscheidung zu.
14 Sofern die Rügen der Rechtsmittelführerin auf Aufhebung der Entscheidung gerichtet sein sollten, könnten sie überdies nicht erstmals im Rechtsmittelverfahren vorgebracht werden.
15 Somit ist der erste Rechtsmittelgrund als unzulässig zurückzuweisen.
Zweiter Rechtsmittelgrund
16 Die Rechtsmittelführerin macht geltend, das Gericht habe das "Prinzip der Formenklarheit der Zustellung beschwerender Maßnahmen", das sich aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ergebe, durch Zurückweisung der Verteidigungsgründe verletzt, die darauf gestützt gewesen seien, daß die Kommission bei der Zustellung der Entscheidung in dreifacher Weise gegen dieses Erfordernis der Klarheit verstossen habe.
17 Erstens habe die Kommission zwei verschiedene Zustellungsverfahren ° die Zustellung auf dem Postweg mit Rückschein einerseits und die Zustellung gegen Rücksendung eines Schriftstücks mit der Überschrift "Acknowledgement of receipt/Accusé de réception" andererseits ° miteinander vermengt.
18 Zweitens sei die streitige Entscheidung mit einem Einschreiben, das ein Schriftstück mit der Überschrift "Acknowledgement of receipt/Accusé de réception" enthalten habe, zugestellt worden, obwohl im vorangehenden Verwaltungsverfahren alle Schreiben per Einschreiben mit Rückschein übersandt worden seien. Dieser neue Umstand habe bei ihr Verwirrung hervorgerufen.
19 Drittens habe die Kommission mehrere Gelegenheiten versäumt, sie auf ihren Irrtum hinzuweisen, und dadurch gegen ihre Sorgfaltspflicht verstossen, die ihr ebenfalls aufgrund des Prinzips der Formenklarheit der Zustellung beschwerender Maßnahmen obliege.
20 Hierzu ist festzustellen, daß das Gericht ohne Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dahin erkennen konnte, daß die Entscheidung der Rechtsmittelführerin ordnungsgemäß und wirksam zugestellt worden ist.
21 Zunächst hat das Gericht festgestellt, daß die in der ersten Instanz angefochtene Entscheidung der Rechtsmittelführerin per Einschreiben mit Rückschein zugestellt worden sei, was nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ein angemessenes Zustellungsverfahren ist. Da das Schreiben, das diese Entscheidung enthielt, am 28. Dezember 1989 beim Sitz der Rechtsmittelführerin eingegangen war, hat das Gericht der Ansicht sein dürfen, daß die Rechtsmittelführerin von diesem Tag an als von der Entscheidung unterrichtet zu gelten hatte (Randnr. 19). Im übrigen sollte, wie das Gericht ausgeführt hat (Randnr. 20), durch die Einlegung des Schriftstücks "Acknowledgement of receipt/Accusé de réception" in den Umschlag lediglich sichergestellt werden, daß die Kommission über ein zweifelsfreies Datum verfügt, von dem ab das Unternehmen als von der Entscheidung unterrichtet gelten würde, falls der Rückschein von der Postverwaltung nicht zurückgesandt werden sollte. Unter diesen Umständen hat das Gericht zutreffend festgestellt, daß die Zustellung auf klare und eindeutige Weise erfolgt ist.
22 Ferner kann, wenn man unterstellt, daß die Rechtsmittelführerin glauben durfte, daß die Entscheidung ihr per Einschreiben mit Rückschein zugestellt würde, kein Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes vorliegen, da die streitige Entscheidung gerade auf diesem Weg zugestellt und ausserdem der Rückschein ordnungsgemäß an die Kommission zurückgesandt worden ist. Zu Recht hat das Gericht somit ausgeführt (Randnr. 36), daß die Beifügung des Schriftstücks mit der Überschrift "Acknowledgement of receipt/Accusé de réception" keine Verwirrung bei der Rechtsmittelführerin hätte hervorrufen können, wenn diese mit normaler Sorgfalt vorgegangen wäre und ihre interne Organisation nicht mangelhaft funktioniert hätte.
23 Schließlich hat das Gericht zu dem Vorbringen, daß die Kommission gegen eine Sorgfaltspflicht verstossen habe, zu Recht bemerkt, daß die Kommission unter den gegebenen Umständen nicht verpflichtet war, die Übereinstimmung der auf dem Rückschein und in dem Schriftstück mit der Überschrift "Acknowledgement of receipt/Accusé de réception" eingetragenen Daten zu überprüfen (Randnr. 39), und daß von den Dienststellen der Kommission vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, daß sie von sich aus sämtliche unzutreffenden Datumsangaben berichtigen, die nur beiläufig im Schriftverkehr der verschiedenen Wirtschaftsteilnehmer mit ihr gemacht werden (Randnr. 40).
24 Da der zweite Rechtsmittelgrund somit nicht stichhaltig ist, ist er zurückzuweisen.
Dritter Rechtsmittelgrund
25 Die Rechtsmittelführerin vertritt die Ansicht, das Gericht hätte den Begriff der Entschuldbarkeit nicht auf Fälle beschränken dürfen, in denen ein Gemeinschaftsorgan ein Verhalten an den Tag gelegt habe, das bei einem gutgläubigen Rechtsbürger eine entschuldbare Verwirrung hervorrufe, sondern es hätte die Entschuldbarkeit ihres Irrtums über den Fristbeginn anerkennen und ihre Klage für zulässig erklären müssen. Die genannte Beschränkung stehe nämlich im Widerspruch zu der vom Gericht angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 18. Oktober 1977 in der Rechtssache 25/68, Schertzer/Parlament, Slg. 1977, 1729, und vom 5. April 1979 in der Rechtssache 117/78, Orlandi/Kommission, Slg. 1979, 1613), wonach es ausreiche, konkret zu prüfen, ob der fragliche Irrtum über eine Frist entschuldbar sei.
26 Hierzu ist zu bemerken, daß das Gericht in Randnummer 29 ausgeführt hat, daß sich der Begriff des entschuldbaren Irrtums nur auf Ausnahmefälle beziehe, "insbesondere auf solche", in denen das betroffene Gemeinschaftsorgan ein Verhalten an den Tag gelegt habe, das für sich genommen oder aber in ausschlaggebendem Maß geeignet gewesen sei, bei dem Rechtsbürger eine Verwirrung hervorzurufen, die in den Grenzen dessen liege, was hingenommen werden könne. Aus der Verwendung des Adverbs "insbesondere" ergibt sich, daß das Gericht den Begriff des entschuldbaren Irrtums nicht eingeschränkt und damit die genannte Rechtsprechung richtig angewandt hat.
27 Im übrigen kann die Rechtsmittelführerin nicht geltend machen, daß das Gericht durch Verneinung der Entschuldbarkeit ihres Irrtums geltendes Recht verletzt habe.
28 Das Gericht hat zunächst festgestellt (Randnrn. 32 und 33), daß im Unternehmen der Rechtsmittelführerin beim Eingang des Einschreibens vier Fehler gemacht worden seien. Es hat weiter ausgeführt (Randnr. 34), angesichts dieser Fehler sei die Rechtsabteilung der Rechtsmittelführerin verpflichtet gewesen, so wie dies jede normal sorgfältige Unternehmensabteilung hätte tun müssen, genau und aufmerksam den Zeitpunkt zu ermitteln, an dem die Sendung ursprünglich eingegangen sei, was sie jedoch versäumt habe. Das Gericht gelangte richtigerweise zu der Auffassung (Randnr. 35), daß die Rechtsmittelführerin sich weder auf das mangelhafte Funktionieren ihrer internen Organisation noch auf die Missachtung ihrer internen Weisungen berufen könne, um damit darzutun zu versuchen, daß ihr Irrtum entschuldbar gewesen sei.
29 Somit ist auch der dritte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.
Vierter Rechtsmittelgrund
30 Die Rechtsmittelführerin macht geltend, das Gericht habe gegen Artikel 42 Absatz 2 der EWG-Satzung des Gerichtshofes verstossen, wonach der Ablauf von Fristen keinen Rechtsnachteil zur Folge hat, wenn der Betroffene nachweist, daß ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt vorliegt. Es handele sich dabei um zwei voneinander verschiedene Begriffe, von denen der eine zwingende äussere und der andere zwingende innere Ereignisse bezeichne. Im vorliegenden Fall handele es sich bei dem Fehler der Poststelle um ein inneres Ereignis, das einen Zufall darstelle. Daher hätte das Gericht seine Entscheidung nicht auf Urteile des Gerichtshofes stützen dürfen, die Fälle höherer Gewalt beträfen.
31 Hierzu ist festzustellen, daß das Gericht zur Begründung der Zurückweisung des auf Artikel 42 Absatz 2 der Satzung gestützten Verteidigungsgrundes zunächst die Voraussetzungen in Erinnerung gerufen hat, unter denen ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt festgestellt werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes müsse es sich um ungewöhnliche, vom Willen des Klägers unabhängige Schwierigkeiten handeln, die selbst bei Beachtung aller erforderlichen Sorgfalt unvermeidbar erschienen (Randnr. 44). Sodann hat es die Ansicht vertreten, da sich aus den von der Rechtsmittelführerin angeführten Umständen nicht das Vorliegen eines entschuldbaren Irrtums ergebe, könne erst recht nicht angenommen werden, daß diese Umstände die genannten Voraussetzungen erfuellten (Randnr. 45).
32 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß die Begriffe der höheren Gewalt und des Zufalls ein objektives und ein subjektives Merkmal umfassen, von denen ersteres sich auf ungewöhnliche, ausserhalb der Sphäre des Wirtschaftsteilnehmers liegende Umstände bezieht und letzteres mit der Verpflichtung des Betroffenen zusammenhängt, sich gegen die Folgen ungewöhnlicher Ereignisse zu wappnen, indem er, ohne übermässige Opfer zu bringen, geeignete Maßnahmen trifft. Insbesondere müssen die Wirtschaftsteilnehmer den Ablauf des eingeleiteten Verfahrens sorgfältig überwachen und zum Zweck der Einhaltung der vorgesehenen Fristen Sorgfalt walten lassen.
33 Insoweit genügt die Feststellung, daß das schlechte Funktionieren der Abteilungen der Rechtsmittelführerin, wie es das Gericht in den Randnummern 34 und 35 des Urteils dargestellt hat, auf Fehler der Beschäftigten der Rechtsmittelführerin zurückzuführen ist. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Rechtsmittelführerin die von einem Wirtschaftsteilnehmer mit normalem Kenntnisstand zu verlangende Sorgfalt an den Tag gelegt hat. Ohne daß geprüft zu werden braucht, ob sich der Begriff des Zufalls tatsächlich von dem des Falls höherer Gewalt unterscheidet, ist somit festzustellen, daß die Rechtsmittelführerin das Vorliegen einer der Voraussetzungen nicht nachgewiesen hat, von denen es abhängt, ob die angeführten Umstände einen Fall höherer Gewalt oder einen Zufall darstellen können.
34 Der Rechtsmittelgrund, dem zufolge das Gericht gegen Artikel 42 Absatz 2 der Satzung verstossen haben soll, ist daher ebenfalls zurückzuweisen.
35 Da keiner der angeführten Rechtsmittelgründe durchgreift, ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.
Kosten
36 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß Artikel 118 auf das Rechtsmittelverfahren anwendbar ist, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten dieses Rechtszugs aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1) Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2) Die Rechtsmittelführerin trägt die Kosten.