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Document 61990CJ0300

Urteil des Gerichtshofes vom 28. Januar 1992.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Königreich Belgien.
Artikel 48 und 59 EWG-Vertrag - Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates - Abzug von Versicherungsbeiträgen - Nicht konforme nationale Rechtsvorschriften.
Rechtssache C-300/90.

Sammlung der Rechtsprechung 1992 I-00305

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1992:37

SITZUNGSBERICHT

in der Rechtssache C-300/90 ( *1 )

I — Sachverhalt

1. Nationaler rechtlicher Rahmen

Die Abzugsfähigkeit von Beiträgen zu Zusatzversicherungen für den Fall des Alters oder des vorzeitigen Todes von den steuerpflichtigen Einkünften war durch Artikel 54 Nr. 2 Buchstaben a und b des belgischen Code des impôts sur les revenus (nachstehend: CIR) geregelt. Diese Bestimmung ist seit dem Steuerjahr 1990 durch Artikel 35 Absatz 1 Nr. 6 des Gesetzes vom 7. Dezember 1988(Moniteur belge vom 16. Dezember 1988) aufgehoben. Derzeit ist die Materie geregelt in den Artikeln 12 Absatz 2 Nr. 1 und 13 Absatz 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 7. Dezember 1988, die sowohl die Gruppenais auch die Einzellebensversicherungen betreffen.

In beiden Fällen sehen die fraglichen Bestimmungen vor, daß die Beiträge „in Belgien ... endgültig gezahlt“ worden sein müssen, damit sie der Steuerpflichtige von seinem steuerpflichtigen Einkommen abziehen kann. Folglich dürfen die Beiträge zu Zusatzversicherungen, die an Kassen mit Sitz in einem anderem Mitgliedstaat gezahlt worden sind, nicht abgezogen werden.

2. Vorgeschichte des Rechtsstreits

Über diese steuerliche Behandlung beschwerten sich mehrere Gemeinschaftsangehörige bei der Kommission, die sich insoweit mit Schreiben vom 3. Juli 1987 an die belgischen Behörden wandte. Dieses Schreiben blieb unbeantwortet.

Mit Aufforderungsschreiben vom 3. Mai 1988 forderte die Kommission die belgische Regierung gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag auf, ihr zur Unvereinbarkeit dieser Steuerregelung mit dem Gemeinschaftsrecht ihre Stellungnahme mitzuteilen.

Mit Schreiben vom 5. Juli 1988 machte die belgische Regierung geltend, daß die beanstandeten Bestimmungen weder gegen den Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer noch gegen den des freien Dienstleistungsverkehrs verstießen.

Am 11. Oktober 1988 gab die Kommission die mit Gründen versehene Stellungnahme gemäß Artikel 169 Absatz 1 EWG-Vertrag ab. Darin stellte sie fest, daß die belgische Regierung gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag und aus der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 verstoßen habe, und forderte sie auf, dieser Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Monaten nachzukommen.

Da die Kommission von den belgischen Behörden keine Antwort erhielt, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

II — Schriftliches Verfahren und Anträge der Parteien

Die Klage der Kommission ist am 1. Oktober 1990 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofes eingetragen worden.

Das Verfahren ist ordnungsgemäß abgelaufen. Der Gerichtshof hat auf Bericht des Berichterstatters nach Anhörung des Generalanwalts beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen.

Die Kommission, Klägerin, beantragt,

a)

festzustellen, daß das Königreich Belgien gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 48 und 59 EWG-Vertrag und aus Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 verstoßen hat, indem es die Abzugsfähigkeit der Beiträge zur Zusatzversicherung für den Fall des Alters oder des vorzeitigen Todes von den steuerpflichtigen Einkünften davon abhängig gemacht hat, daß diese Beiträge an in Belgien niedergelassene Unternehmen oder an die belgische Niederlassung ausländischer Versicherungsunternehmen geleistet werden;

b)

dem Königreich Belgien die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Das Königreich Belgien, Beklagte, beantragt,

a)

festzustellen, daß die Artikel 12 und 13 des Gesetzes vom 7. Dezember 1988 beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts weder die Freizügigkeit der Arbeitnehmer noch die Dienstleistungsfreiheit der Lebensversicherer beschränken;

b)

der Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

III — Klagegründe und Argumente der Parteien

1. Zum Verstoß gegen Artikel 48 EWG-Vertrag

Nach Auffassung der Kommission verstoßen die streitigen Vorschriften gegen Artikel 48 Absatz 1 EWG-Vertrag. Wie der Gerichtshof in seinen Urteilen vom 8. Mai 1990 in der Rechtssache C-175/88 (Biehl, Sig. 1990, I-1779, Randnrn. 11, 12 und 13), und vom 12. Februar 1974 in der Rechtssache 152/73 (Sotgiu, Slg. 1974, 153) entschieden habe, verböten die Vorschriften über die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten insbesondere in bezug auf die Entlohnung nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führten. Obwohl die Ablehnung der Abzugsfähigkeit der Beiträge unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Steuerpflichtigen gelte, könne sich das Kriterium, auf dem sie beruhe (Erfordernis der Beitragszahlung in Belgien), zum Nachteil der Steuerpflichtigen auswirken, die Angehörige anderer Mitgliedstaaten seien. So werde ein Arbeitnehmer davon abgehalten, eine Berufstätigkeit in Belgien auszuüben, wenn er feststelle, daß ihm die steuerliche Abzugsfähigkeit, die ihm in dem Staat, in dem er seine Beschäftigung ausübe, für Beiträge zu einer Zusatzrentenversicherung, die er weiterhin an denselben Versicherer entrichten wolle, gegebenenfalls zustehe, in Belgien verweigert werden würde.

Außerdem seien die streitigen Vorschriften jedenfalls eine durch den EWG-Vertrag verbotene Beeinträchtigung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Urteil vom 7. Juli 1988 in der Rechtssache 143/87, Stanton, Slg. 1988, 3877).

Das Argument der belgischen Regierung, die steuerliche Nichtabzugsfähigkeit der Beiträge werden durch die Nichtbesteuerung der Rente und des Kapitals ausgeglichen, die durch die Beiträge gebildet worden seien, greife nicht durch. Dieser Steuervorteil stelle, auf Renten angewandt, zwar eine angemessene Regelung der Lage von Grenzgängern dar, sei aber für Personen uninteressant, die Belgien verließen, nachdem sie dort während eines bestimmten Zeitraums eine Berufstätigkeit ausgeübt hätten, was vor allem bei Angehörigen anderer Mitgliedstaaten der Fall sei. Außerdem habe der Gerichtshof in seinem Urteil vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 270/83 (Kommission/Frankreich, Slg. 1986, 273, Randnr. 21) ausgeschlossen, daß eine unterschiedliche Behandlung durch mögliche Vorteile gerechtfertigt sein könne.

Die Kommission hält das Argument der belgischen Regierung, die streitigen Vorschriften seien mangels Harmonisierung des Steuerrechts durch Erlaß des dem Rat vom 21. Dezember 1979 vorgelegten Richtlinienvorschlags der Kommission zur Harmonisierung von Regelungen im Bereich der Einkommensteuer im Hinblick auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Gemeinschaft (ABl. 1980, C 21, S. 6) aus Sicht des Vertrages nicht zu beanstanden, für unbegründet. Aus der Auslegung, die der Gerichtshof Artikel 95 EWG-Vertrag gegeben habe, folge nämlich, daß bei nicht erfolgter Harmonisierung nach Artikel 99 oder 100 die Durchführung der diesbezüglichen Vertragsbestimmungen, insbesondere des Artikels 99, nicht als Voraussetzung für die Anwendung des Artikels 95 gefordert werden könne, der den Mitgliedstaaten mit unmittelbarer Wirkung die Verpflichtung auferlege, ihre steuerlichen Vorschriften bereits vor jeder Harmonisierung ohne Diskriminierung anzuwenden (Urteil vom 27. Februar 1980 in der Rechtssache 55/79, Kommission/Irland, Slg. 1980, 481, Randnr. 12).

Auch das Argument der belgischen Regierung betreffend die Unmöglichkeit der Kontrolle der Bescheinigungen für im Ausland geleistete Zahlungen sei unbegründet, und die Nichtabzugsfähigkeit sei ein unverhältnismäßiges Mittel zur Verhinderung etwaiger Hinterziehungen. Aus dem Urteil vom 28. Januar 1986 (Kommission/Frankreich, a. a. O., Randnr. 25) ergebe sich, daß die Gefahr der Steuerflucht nicht zur Rechtfertigung von Ausnahmen von Vertragsvorschriften geltend gemacht werden könne.

Die belgische Regierung ist der Auffassung, daß die Artikel 12 und 13 des Gesetzes vom 7. Dezember 1988 keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten enthielten und also mit Artikel 48 EWG-Vertrag vereinbar seien. Denn die Entrichtung von Beiträgen in Belgien werde sowohl von Inländern als auch von Wanderarbeitnehmern verlangt. Außerdem seien die belgischen Arbeitnehmer, die früher ins Ausland abgewandert seien und sich bei ihrer Rückkehr nach Belgien dafür entschieden hätten, im Ausland während ihres Aufenthalts dort geschlossene Verträge beizubehalten, durch diese Beschränkung ebenso betroffen wie nach Belgien zugewanderte Arbeitnehmer aus der EG, die sich dafür entschieden hätten, früher in ihrem Herkunftsland geschlossene Verträge beizubehalten.

Entgegen der Auffassung der Kommission stellten die streitigen Vorschriften keine mittelbare Diskriminierung dar. Denn

a)

die Artikel 12 und 13 des Gesetzes vom 7. Dezember 1988 würden offensichtlich keinen Gemeinschaftsangehörigen davon abhalten, ein Stellenangebot in Belgien anzunehmen, der in seinem Herkunftsmitgliedstaat auch nicht zu dem fraglichen Steuerabzug berechtigt sei;

b)

ein Gemeinschaftsangehöriger, der in seinem Herkunftsmitgliedstaat zum steuerlichen Abzug der fraglichen Beiträge berechtigt sei, werde diese Beiträge, nachdem er eine Stelle in Belgien angenommen habe, von seinen Erwerbseinkünften, die er im Herkunftsmitgliedstaat etwa weiter habe, weiterhin abziehen können;

c)

ein Gemeinschaftsangehöriger, der einen Lebensversicherungsvertrag mit einer Gesellschaft geschlossen habe, die außerhalb von Belgien ansässig sei, könne die Beiträge von seinen belgischen Erwerbseinkünften abziehen, wenn sie in Belgien an belgische Versicherungsgesellschaften oder an belgische Niederlassungen ausländischer Versicherungsgesellschaften gezahlt worden seien.

Das Gesetz schreibe also nicht vor, daß die Beiträge an eine belgische Versicherungsgesellschaft gezahlt worden sein müßten;

d)

ein Gemeinschaftsangehöriger werde die Beiträge zu einer Lebensversicherung, wenn sie nicht in Belgien gezahlt worden seien, nicht abziehen können. Jedoch führe in diesem Fall die Nichtabzugsfähigkeit der Beiträge zur Nichtbesteuerung des angesammelten Kapitals oder der gebildeten Rente (Artikel 32 bis Absatz 2 CIR). Damit werde sichergestellt, daß sich die fraglichen Vorschriften weder unmittelbar noch mittelbar für Angehörige anderer Mitgliedstaaten finanziell im allgemeinen nachteiliger auswirken als für belgische Staatsangehörige.

Der vorliegende Fall weise keine Ähnlichkeit mit dem des Urteils vom 8. Mai 1990 (Biehl, a. a. O.) auf. In dieser Rechtssache sei nämlich ein Wohnsitzerfordernis aufgestellt gewesen, damit der Betroffene die Erstattung zuviel gezahlter Steuern erreichen könne, während die streitigen Vorschriften in der vorliegenden Rechtssache kein Wohnsitzerfordernis aufstellten, um den Vorteil des Steuerabzugs zu erlangen.

Der vorliegende Fall weise auch keine Ähnlichkeit mit dem des Urteils vom 7. Juli 1988 (Stanton, a. a. O.) auf. Denn diese Rechtssache betreffe eine Situation, in der ein Gemeinschaftsangehöriger seine Erwerbstätigkeit über das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hinaus erstrecken wolle, während die Artikel 12 und 13 des Gesetzes vom 7. Dezember 1988 die Ausweitung einer in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübten Erwerbstätigkeit nach Belgien nicht behinderten. Außerdem gehe es in der Rechtssache Stanton um Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung, und die vorliegende Rechtssache betreffe die steuerliche Abzugsfähigkeit von freiwilligen Versicherungsbeiträgen.

Die sich aus den steuerrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten ergebenden Beeinträchtigungen der Freizügigkeit müßten durch die Harmonisierung dieser Rechtsvorschriften beseitigt werden. Zu diesem Zweck habe die Kommission eine Richtlinie zur Harmonisierung von Regelungen im Bereich der Einkommensteuer im Hinblick auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Gemeinschaft (a, a. O.) vorgeschlagen, deren Artikel 9 wie folgt laute:

„(1)

Gewährt ein Mitgliedstaat für Zahlungen, die eine natürliche Person an Versicherungsunternehmen, Banken, Pensionsfonds, Bausparkassen oder irgendeinen anderen Empfänger leistet, eine Vergünstigung bei der in Artikel 2 aufgeführten Einkommensteuer, gleichgültig ob durch Abzug von der Steuerbemessungsgrundlage oder auf andere Weise, so darf er eine solche Steuervergünstigung nicht lediglich deshalb versagen, weil der Empfänger in einem anderen Mitgliedstaat gelegen, errichtet oder ansässig ist.

(2)

Der in Absatz 1 erstgenannte Mitgliedstaat kann die Anwendung des Absatzes 1 davon abhängig machen, daß der Empfänger einer ähnlichen steuerlichen Kontrolle und ähnlichen steuerlichen Verpflichtungen unterliegt wie der entsprechende in seinem Gebiet ansässige Empfänger.“

Dieser Vorschlag zeige, daß selbst nach einer Harmonisierung des Steuerrechts betreffend den Abzug von Versicherungsbeiträgen eine gewisse Beeinträchtigung der Freizügigkeit aus Gründen der steuerlichen Kontrolle gerechtfertigt sein könnte.

Es bestünden andere Beeinträchtigungen der Freizügigkeit, insbesondere jene, die sich aus den Unterschieden in den nationalen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit ergäben. Der Gerichtshof habe jedoch in seinem Urteil vom 15. Januar 1986 in der Rechtssache 41/84 (Pinna, Slg. 1986, 1) solche Beeinträchtigungen als mit dem Vertrag vereinbar anerkannt. Dagegen dürfe eine Gemeinschaftsregelung keine Unterschiede einführen, die zu den Unterschieden hinzuträten, die sich bereits aus der mangelnden Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften ergäben.

Die sich aus einer solchen mangelnden Harmonisierung ergebenden Unterschiede verstießen nicht gegen Artikel 48 EWG-Vertrag. Deshalb sehe Artikel 51 eine Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vor, um die Freizügigkeit zu gewährleisten.

Schließlich sei das von der Kommission gegen das Argument, die streitige Maßnahme sei durch einen solchen Ausgleich gerechtfertigt, angeführte Urteil des Gerichtshofes im vorliegenden Fall nicht anwendbar. In dem Urteil vom 28. Januar 1986 (Kommission/Frankreich, a. a. O.) habe die beanstandete Regelung eine steuerliche Behandlung vorgesehen, die eine unmittelbare Diskriminierung der Zweigniederlassungen und Agenturen von Versicherungsgesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat dargestellt habe. Die möglichen Vorteile ausländischer Gesellschaften rechtfertigten den Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nicht.

2. Zum Verstoß gegen Artikel 59 EWG-Vertrag

Die Kommission ist der Auffassung, daß die streitige Maßnahme gegen den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs verstoße, da sie nicht nur die Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, sondern auch die des betroffenen Mitgliedstaats möglicherweise davon abhalte, eine Zusatzversicherung bei einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Versicherer abzuschließen. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergebe sich, daß u. a. innerstaatliche fiskalische Maßnahmen, die die Ausübung dieser Freiheit durch den Wirtschaftsteilnehmer beeinträchtigten, ein Hindernis sein könnten.

Das Argument der belgischen Regierung, wonach die Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG (ABl. L 330, S. 50) nur eine sehr eingeschränkte Bedeutung habe, sei nicht stichhaltig. Wie der Titel zeige, hätten nämlich die vom Rat auf der Grundlage von Artikel 57 EWG-Vertrag zur „Erleichterung der tatsächlichen Ausübung“ des freien Dienstleistungsverkehrs erlassenen Richtlinien nicht die „Liberalisierung“ einer Tätigkeit zum Ziel, was sich bereits aus der unmittelbaren Anwendung von Artikel 59 seit dem Ende der Übergangszeit ergebe.

Die Gründe des Allgemeininteresses, auf die sich die belgische Regierung zur Rechtfertigung der streitigen Maßnahmen berufe, seien nicht akzeptabel. Im vorliegenden Fall diene die steuerliche Nichtabzugsfähigkeit nicht dem Schutz des Versicherungsnehmers oder Versicherten, sondern beruhe ausschließlich auf steuerlichen Gründen.

Nach Auffassung der belgischen Regierung beschränken die Artikel 12 und 13 des Gesetzes vom 7. Dezember 1988 den freien Dienstleistungsverkehr nicht, da dieser beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der Lebensversicherungen noch nicht verwirklicht sei. Die Richtlinie 90/619, die 1993 in Kraft trete, liberalisiere die Leistungen der Lebensversicherung nämlich nur in sehr bescheidenem Umfang. So würde der freie Dienstleistungsverkehr den Lebensversicherungen nur in zwei Fällen zugute kommen, und zwar, wenn sich der Versicherungsnehmer auf eigene Initiative an das Unternehmen wende, damit dieses die Verpflichtung eingehe, und im Bereich der Gruppenversicherungen. Daher blieben die Mitgliedstaaten befugt, die Dienstleistungen im Bereich der Lebensversicherungen von einer Geschäftszulassung abhängig zu machen.

Der Steuerabzug der Beiträge zu Lebensversicherungen werde am Ende durch die Besteuerung des Kapitals oder der Rente, die mit diesen Beiträgen gebildet worden seien, rückgängig gemacht. Werde der Steuerabzug nicht gestattet, weil die Beiträge außerhalb Belgiens gezahlt worden seien, so könne die im belgischen Steuerrecht vorgesehene Besteuerung in Höhe von 16,5 % auf das Kapital oder die Rente, die mit diesen Beiträgen gebildet worden seien, nicht angewendet werden. Folglich führe der Nichtabzug zur Nichtbesteuerung der Rente oder des Kapitals. Somit werde, wenn eine Beschränkung der Freizügigkeit oder des freien Dienstleistungsverkehrs vorliege, nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, da es keine weniger einschneidende Maßnahme gebe, um das gleiche Ziel zu erreichen.

Selbst wenn davon auszugehen wäre, daß die Nichtabzugsfähigkeit der fraglichen Beiträge den freien Dienstleistungsverkehr einschränke, so würde eine solche Einschränkung durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt sein. Denn daß nur die in Belgien gezahlten Beiträge zu Zusatzversicherungen unter die Steuerbefreiung fielen, habe seinen Grund darin, daß es den Steuerbehörden unmöglich sei, die Bescheinigungen über im Ausland geleistete Beitragszahlungen zu kontrollieren. Falls diese Beschränkungen jedoch auf rein steuerlichen Gründen beruhen sollten, wie dies die Kommission vortrage, so sei daran zu erinnern, daß der Gerichtshof im Urteil vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, 649, Randnr. 8) entschieden habe, daß steuerliche Belange Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen könnten.

J. C. Moitinho de Almeida

Berichterstatter


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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URTEIL DES GERICHTSHOFES

28. Januar 1992 ( *1 )

In der Rechtssache C-300/90

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater Jean-Claude Séché als Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter: Roberto Hayder, Vertreter des Juristischen Dienstes, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Klägerin,

gegen

Königreich Belgien, vertreten durch Jan Devadder, Berater im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit, als Bevollmächtigten, im Beistand von Rechtsanwalt Ignace Maselis, Brüssel, Zustellungsanschrift: Belgische Botschaft, 4, rue des Girondins, Luxemburg,

Beklagter,

wegen Feststellung, daß das Königreich Belgien gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 48 und 59 EWG-Vertrag und aus Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft verstoßen hat, indem es die Abzugsfähigkeit der Beiträge zur Zusatzversicherung für den Fall des Alters oder des vorzeitigen Todes von den steuerpflichtigen Einkünften davon abhängig gemacht hat, daß diese Beiträge an in Belgien niedergelassene Unternehmen oder an die belgische Niederlassung ausländischer Versicherungsunternehmen geleistet werden,

erläßt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten O. Due, der Kammerpräsidenten R. Joliét, F. A. Schockweiler und F. Grévisse, der Richter C. N. Kakouris, J. C. Moitinho de Almeida, G. C. Rodríguez Iglesias, M. Diez de Velasco und M. Zuleeg,

Generalanwalt: J. Mischo

Kanzler: J. A. Pompe, Hilfskanzler

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 3. Juli 1991,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17 September 1991,

folgendes

Urteil

1

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 1. Oktober 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich Belgien gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 48 und 59 EWG-Vertrag und aus Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) verstoßen hat, indem es die Abzugsfähigkeit der Beiträge zur Zusatzversicherung für den Fall des Alters oder des vorzeitigen Todes von den steuerpflichtigen Einkünften davon abhängig gemacht hat, daß diese Beiträge an in Belgien niedergelassene Unternehmen oder an die belgische Niederlassung ausländischer Versicherungsunternehmen geleistet werden.

2

Nach Artikel 54 Nr. 2 des belgischen Code des impôts sur les revenus (Moniteur belge vom 10. April 1964, S. 3809; nachstehend: CIR) werden die Beiträge zur Zusatzversicherung für den Fall des Alters und des vorzeitigen Todes, die der Steuerpflichtige in Belgien ohne gesetzliche Verpflichtung zum Abschluß einer Renten- oder Kapitalversicherung auf den Lebens- oder Todesfall endgültig gezahlt hat, vom Gesamtbetrag der Erwerbseinkünfte abgezogen.

3

Die königliche Durchführungsverordnung vom 4. März 1965(Moniteur belge vom 30. April 1965, S. 4722) bestimmt, daß „Prämien, die der Steuerpflichtige einmalig oder in regelmäßigen Abständen zur Erfüllung von Lebensversicherungsverträgen zahlt, die er individuell geschlossen hat, ... nur dann vom Gesamtbetrag der Erwerbseinkünfte des Versicherungsnehmers abgezogen [werden], wenn 1. die Verträge mit belgischen Unternehmen oder belgischen Niederlassungen ausländischer Unternehmen geschlossen sind, die Verpflichtungen übernehmen, deren Erfüllung von der menschlichen Lebensdauer abhängt, einschließlich der durch besondere Gesetze geregelten öffentlichen oder privaten Wohlfahrtseinrichtungen ...“ (Artikel 45, aus dem mit Erlaß der königlichen Verordnung vom 7. Januar 1989, Moniteur belge vom 10. Januar 1989, S. 999, Artikel 44 geworden ist). Was die Beiträge zu Zusatzversicherungen betrifft, die vom Arbeitgeber durch Gehaltsabzug gezahlt werden, so ist nach Artikel 33sexies der königlichen Verordnung vom 7. Januar 1989 der Abzug von den steuerpflichtigen Einkünften u. a. davon abhängig, daß die Beiträge „an eine Lebensversicherungsgesellschaft oder eine Rentenkasse gezahlt werden, die ihren Firmensitz, ihre Hauptniederlassung, ihre Direktion oder ihren Verwaltungssitz in Belgien hat, oder an eine belgische Niederlassung einer solchen Gesellschaft oder Kasse mit Firmensitz oder Hauptniederlassung im Ausland ...“.

4

Nach der Aufhebung von Artikel 54 CIR durch Artikel 35 Absatz 1 Nr. 6 des Gesetzes vom 7. Dezember 1988(Moniteur belge vom 16. Dezember 1988, S. 17312) ist die Materie derzeit geregelt in Artikel 12 Absatz 2 Nr. 1 und Artikel 13 Absatz 1 Nr. 1 dieses Gesetzes; sie lauten:

„Als Werbungskosten gelten :

1)

die Beiträge zu Zusatzversicherungen für den Fall des Alters und des vorzeitigen Todes, die der Steuerpflichtige in Belgien ohne gesetzliche Verpflichtung zum Abschluß einer Renten- oder Kapitalversicherung auf den Lebens- oder Todesfall über seinen Arbeitgeber durch Gehaltsabzug endgültig gezahlt hat“ (Artikel 12 Absatz 2).

„Vom Gesamtbetrag der Erwerbseinkünfte werden abgezogen ...:

1)

die Beiträge zu Zusatzversicherungen für den Fall des Alters und des vorzeitigen Todes, die der Steuerpflichtige in Belgien ohne gesetzliche Verpflichtung zur Bestellung einer Renten- oder Kapitalversicherung auf den Lebens- oder Todesfall in Erfüllung eines individuell geschlossenen Lebensversicherungsvertrags endgültig gezahlt hat“ (Artikel 13 Absatz 1).

5

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zum Verstoß gegen Artikel 48 EWG-Vertrag und Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68

6

Die belgische Regierung macht geltend, daß die streitigen Bestimmungen ohne Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit für belgische Arbeitnehmer und Arbeitnehmer mit der Staatsangehörigkeit anderer Mitgliedstaaten gälten, die den Vorteil der früher im Ausland geschlossenen Verträge behalten wollten, und daß die Behauptung der Kommission, diese Bestimmungen wirkten sich insbesondere zum Nachteil der steuerpflichtigen Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten aus, jeder Grundlage entbehre.

7

Insoweit ist festzustellen, daß die Arbeitnehmer, die in einem Mitgliedstaat berufstätig waren und später in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt sind oder dort eine Beschäftigung suchen, ihre Lebensversicherungsverträge normalerweise bei Versicherern geschlossen haben, die im erstgenannten Staat niedergelassen sind. Folglich besteht die Gefahr, daß sich die fraglichen Bestimmungen besonders zum Nachteil dieser Arbeitnehmer auswirken, die in aller Regel Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind.

8

Ferner führt die belgische Regierung aus, daß die in Belgien beschäftigten Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die Begünstigte von zuvor in einem anderen Mitgliedstaat geschlossenen Lebensversicherungsverträgen seien, zwar ihre Beiträge vom Gesamtbetrag der steuerpflichtigen Einkünfte nicht abziehen könnten, daß als Ausgleich dafür jedoch die von den Versicherern in Erfüllung dieser Verträge an sie gezahlten Pensionen, Renten, Kapitalabfindungen oder Rückkaufswerte keine steuerpflichtigen Einkünfte darstellten, wie sich aus dem durch das Gesetz vom 5. Januar 1976{Moniteur belge vom 5. Februar 1976, S. 81) in den CIR eingefügten Artikel 32bis ergebe. Wenn sie auf diese Beiträge bei Rückkehr in ihre Herkunftsländer eine Steuer zahlen müßten, beruhe dies nicht auf einer Beeinträchtigung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer durch das belgische Gesetz, sondern auf dem Fehlen einer Harmonisierung des Steuerrechts der Mitgliedstaaten.

9

Dieses Argument greift nicht durch. In der Regel kehren nämlich die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten nach ihrer Beschäftigung in Belgien in ihren Heimatstaat zurück, in dem die von den Versicherern zu zahlenden Beträge der Besteuerung unterliegen, und sie können somit die Nichtabzugsfähigkeit der Beiträge bei der Einkommenbesteuerung nicht durch die Steuerfreiheit der von den Versicherern zu zahlenden Beträge ausgleichen. Zwar beruht diese Situation auf dem Fehlen einer Harmonisierung des Steuerrechts der Mitgliedstaaten, doch darf diese Harmonisierung nicht zur Voraussetzung für die Anwendung von Artikel 48 EWG-Vertrag gemacht werden.

10

Die belgische Regierung macht geltend, daß die streitigen Bestimmungen jedenfalls durch Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt seien. Zum einen sei es schwierig, wenn nicht unmöglich, die Zahlung von Beiträgen in den anderen Mitgliedstaaten zu kontrollieren, und zum anderen seien solche Bestimmungen notwendig, um die Kohärenz der fraglichen Steuerregelung zu gewährleisten.

11

Zur Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle ist festzustellen, daß sich ein Mitgliedstaat auf die Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern (ABl. L 336, S. 15; nachstehend: Richtlinie) stützen kann, um zu kontrollieren, ob in einem anderen Mitgliedstaat Zahlungen geleistet worden sind, wenn diese Zahlungen wie im vorliegenden Fall für die zutreffende Festsetzung der Steuer vom Einkommen zu berücksichtigen sind (Artikel 1 Absatz 1).

12

Die belgische Regierung macht jedoch geltend, daß einige Mitgliedstaaten nicht über eine Rechtsgrundlage dafür verfügten, von den Versicherern die Auskünfte zu verlangen, die zur Kontrolle der in ihrem Gebiet geleisteten Zahlungen erforderlich seien.

13

Insoweit ist festzustellen, daß die Finanzbehörden der Mitgliedstaaten nach Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie nicht zur Zusammenarbeit verpflichtet sind, wenn der Durchführung von Ermittlungen oder der Beschaffung oder Verwertung von Auskünften durch die zuständige Behörde für die eigenen Zwecke dieses Staates gesetzliche Vorschriften oder ihre Verwaltungspraxis entgegenstünden. Daß eine solche Zusammenarbeit nicht verlangt werden kann, vermag jedoch die Nichtabzugsfähigkeit der Versicherungsbeiträge nicht zu rechtfertigen. Denn nichts würde die belgischen Finanzbehörden daran hindern, vom Betroffenen die für erforderlich gehaltenen Belege zu verlangen und gegebenenfalls den Abzug bei Nichtvorlage dieser Belege zu verweigern.

14

Zur Notwendigkeit, die Kohärenz der fraglichen Steuerregelung zu wahren, ist festzustellen, daß innerhalb der belgischen Regelung ein Zusammenhang zwischen der Abzugsfähigkeit der Beiträge und der Besteuerung der von den Versicherern in Erfüllung der Versicherungsverträge für den Fall des Alters oder des Todes zu zahlenden Beträge besteht. Nach Artikel 32bis CIR sind nämlich die Pensionen, Renten, Kapitalabfindungen oder Rückkaufswerte von Lebensversicherungsverträgen von der Steuer befreit, wenn der in Artikel 54 vorgesehene Abzug nicht erfolgt ist.

15

Folglich wird innerhalb der fraglichen belgischen Steuerregelung der Einnahmeverlust, der sich aus dem Abzug der Lebensversicherungsbeiträge vom Gesamtbetrag der steuerpflichtigen Einkünfte ergibt, durch die Besteuerung der von den Versicherern zu zahlenden Pensionen, Renten oder Kapitalabfindungen ausgeglichen. Ist der Abzug solcher Beiträge nicht erfolgt, so sind diese Beträge von der Steuer befreit.

16

Die Kohärenz dieser Steuerregelung, deren Gestaltung Sache des belgischen Staates ist, setzt also voraus, daß der belgische Staat, wäre er verpflichtet, den Abzug der in einem anderen Mitgliedstaat gezahlten Lebensversicherungsbeiträge zuzulassen, die von den Versicherern zu zahlenden Beträge besteuern könnte.

17

Hierzu ist festzustellen, daß eine Selbstverpflichtung der Versicherer zur Zahlung dieser Steuer keine hinreichende Garantie darstellen würde. Falls nämlich eine solche Verpflichtung nicht eingehalten würde, wäre es notwendig, ihre Erfüllung im Mitgliedstaat der Niederlassung zu erwirken; abgesehen davon, daß es für einen Staat schwierig ist, in Erfahrung zu bringen, ob und in welcher Höhe in einem anderen Staat niedergelassene Versicherer Zahlungen geleistet haben, ist es nicht ausgeschlossen, daß Gründe der öffentlichen Ordnung geltend gemacht werden, um die Einziehung der Steuer zu verhindern.

18

Zwar ließe sich eine solche Verpflichtung grundsätzlich mit der Leistung einer Sicherheit durch den Versicherer koppeln, doch würden sich daraus für den Versicherer zusätzliche Kosten ergeben, die auf die Versicherungsprämien abzuwälzen wären, so daß die Versicherten, die überdies der Gefahr einer doppelten Besteuerung der in Erfüllung der Verträge zu zahlenden Beträge ausgesetzt wären, jedes Interesse an der Aufrechterhaltung dieser Verträge verlören.

19

Es bestehen zwar zwischen einigen Mitgliedstaaten bilaterale Abkommen, die den steuerlichen Abzug von Beiträgen zulassen, die in einem anderen Vertragsstaat als dem, der diesen Vorteil gewährt, gezahlt worden sind, und die das Recht zur Besteuerung der von den Versicherern in Erfüllung ihrer Verträge gezahlten Beträge nur einem Staat einräumen. Eine solche Lösung ist jedoch nur auf diesem Weg oder dadurch möglich, daß der Rat die erforderlichen Koordinierungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen erläßt.

20

Daraus ergibt sich, daß beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts die Kohärenz der betreffenden Steuerregelung nicht durch weniger einschränkende Maßnahmen, als sie die streitigen Bestimmungen vorsehen, gewährleistet werden kann und daß jede andere Maßnahme, die garantieren könnte, daß der belgische Staat die in seinen Rechtsvorschriften vorgesehene Steuer auf die von den Versicherern in Erfüllung ihrer Verträge zu zahlenden Beträge einziehen kann, im Ergebnis ähnliche Folgen hätte wie die, die sich aus der Nichtabzugsfähigkeit der Beiträge ergeben.

21

Angesichts der vorstehenden Ausführungen ist festzustellen, daß die streitigen Bestimmungen des belgischen Gesetzes durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sind, die Kohärenz der fraglichen Steuerregelung zu gewährleisten, und daß sie somit nicht gegen Artikel 48 EWG-Vertrag verstoßen. Das gleiche gilt im Hinblick auf Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68.

Zum Verstoß gegen Artikel 59 EWG-Vertrag

22

Dazu ist festzustellen, daß die fraglichen Bestimmungen den freien Dienstleistungsverkehr beschränken. Bestimmungen, nach denen der Versicherer in einem Mitgliedstaat niedergelassen sein muß, damit den Versicherten in diesem Staat bestimmte Steuerabzugsmöglichkeiten zugute kommen können, halten die Versicherten nämlich davon ab, sich an die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Versicherer zu wenden, und stellen somit für letztere eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.

23

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. u. a. Urteil vom 4. Dezember 1986 in der Rechtssache 205/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1986, 3755, Randnr. 52) ist das Erfordernis einer Niederlassung jedoch mit Artikel 59 EWG-Vertrag vereinbar, wenn es eine unerläßliche Voraussetzung für die Erreichung des im Allgemeininteresse verfolgten Zwecks darstellt. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, ist dies vorliegend der Fall.

24

Folglich verstoßen die streitigen Bestimmungen nicht gegen Artikel 59 EWG-Vertrag, und die Klage ist daher insgesamt abzuweisen.

Kosten

25

Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

 

1)

Die Klage wird abgewiesen.

 

2)

Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Due

Joliét

Schockweiler

Grévisse

Kakouris

Moitinho de Almeida

Rodríguez Iglesias

Diez de Velasco

Zuleeg

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 28. Januar 1992.

Der Kanzler

J.-G. Giraud

Der Präsident

O. Due


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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