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Document 61990CC0370

    Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 20. Mai 1992.
    The Queen gegen Immigration Appeal Tribunal und Surinder Singh, ex parte Secretary of State for Home Department.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: High Court of Justice, Queen's Bench Division - Vereinigtes Königreich.
    Freizügigkeit - Aufenthaltsrecht des Ehegatten eines Gemeinschaftsbürgers, der in sein Herkunftsland zurückkehrt, um sich dort niederzulassen.
    Rechtssache C-370/90.

    Sammlung der Rechtsprechung 1992 I-04265

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1992:229

    61990C0370

    Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 20. Mai 1992. - THE QUEEN GEGEN IMMIGRATION APPEAL TRIBUNAL UND SURINDER SINGH, EX PARTE SECRETARY OF STATE FOR HOME DEPARTMENT. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HIGH COURT OF JUSTICE, QUEEN'S BENCH DIVISION - VEREINIGTES KOENIGREICH. - FREIZUEGIGKEIT - AUFENTHALTSRECHT DES EHEGATTEN EINES GEMEINSCHAFTSBUERGERS, DER IN SEIN HERKUNFTSLAND ZURUECKKEHRT, UM SICH DORT NIEDERZULASSEN. - RECHTSSACHE C-370/90.

    Sammlung der Rechtsprechung 1992 Seite I-04265
    Schwedische Sonderausgabe Seite I-00019
    Finnische Sonderausgabe Seite I-00019


    Schlußanträge des Generalanwalts


    ++++

    Herr Präsident,

    meine Herren Richter!

    1. Die Frage, die sich uns in der vorliegenden Rechtssache stellt, ist einfach formuliert, aber in ihrer Bedeutung heikel. Der Gerichtshof soll sich darüber aussprechen, ob das Gemeinschaftsrecht dem Staatsangehörigen eines Drittlandes ein Aufenthaltsrecht einräumt, wenn dessen Ehegatte ein Gemeinschaftsangehöriger ist und dieser in sein eigenes Land zurückkehrt, um dort eine Berufstätigkeit auszuüben, nachdem er zuvor in einem anderen Mitgliedstaat gearbeitet hatte.

    2. Der Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen. Im Oktober 1982 heiratete der indische Staatsangehörige Surinder Singh (Kläger) im Vereinigten Königreich eine britische Staatsangehörige. Von Februar 1983 bis Ende 1985 lebten die Eheleute in Deutschland und waren dort als Arbeitnehmer tätig.

    Anschließend kehrten sie in das Vereinigte Königreich zurück, um dort ein Geschäft zu eröffnen. Der Kläger erhielt gemäß dem Immigration Act 1971 (Einwanderungsgesetz von 1971) eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis; im Oktober 1986 wurde diese Erlaubnis um zwölf Monate verlängert.

    Im Juli 1987 erging gegen ihn ein vorläufiges Scheidungsurteil. Daraufhin wurde seine Aufenthaltserlaubnis auf die Zeit bis zum 5. September 1987 beschränkt.

    Im Dezember 1988 erließ der Secretary of State for the Home Department gegen den Kläger gemäß Section 3 des Immigration Act einen Ausweisungsbefehl, da dieser sich über die erlaubte Frist hinaus im Vereinigten Königreich aufgehalten habe.

    Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Klägers wies der Adjudicator am 3. März 1989 zurück.

    Im August 1989 gab das Immigration Appeal Tribunal dem Rechtsmittel des Klägers mit der Begründung statt, vorbehaltlich einer Gesetzesumgehung habe der Kläger im Vereinigten Königreich ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht.

    Gegen diese Entscheidung legte das Secretary of State for the Home Department ein Rechtsmittel zum High Court of Justice ein. Dieser wandte sich mit der Frage an den Gerichtshof, ob Artikel 52 EWG-Vertrag und die Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs(1) in dem Fall, daß eine verheiratete Frau, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats ist und in einem anderen Mitgliedstaat Rechte aus dem EWG-Vertrag ausgeuebt hat, indem sie dort gearbeitet hat, anschließend in den Mitgliedstaat, dem sie angehört, zu dem Zweck einreist und dort verbleibt, mit ihrem Ehegatten dort ein Geschäft zu betreiben, ihrem Ehemann, der nicht Gemeinschaftsangehöriger ist, das Recht verleihe, mit seiner Ehefrau in diesen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten.

    3. Im Zeitpunkt seiner Ausweisung war der Kläger für die Zwecke der Anwendung des einschlägigen Gemeinschaftsrechts zweifellos Ehegatte.

    Hierzu trägt der Kläger vor, ohne daß ihm das Vereinigte Königreich insoweit widerspräche - hiervon geht stillschweigend offensichtlich auch das vorlegende Gericht aus -, daß das Scheidungsurteil vom Juli 1987, da es nur vorläufig war, an seiner Ehegatteneigenschaft nichts geändert habe; im übrigen habe der Gerichtshof zu Artikel 10 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft(2), in dem es um das Recht des Ehegatten eines Arbeitnehmers gehe, bei letzterem Wohnung zu nehmen, entschieden, daß das eheliche Band nicht als aufgelöst betrachtet werden könne, solange es nicht von der zuständigen Behörde zerschnitten sei; es genüge nicht, daß die Ehegatten schlicht getrennt lebten, selbst wenn sie sich später scheiden lassen wollten(3).

    4. Bevor ich zur eigentlichen Sachfrage komme, ist zu prüfen, ob der Sachverhalt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ein rein interner und eine Berufung auf das Gemeinschaftsrecht damit ausgeschlossen ist.

    Der Gerichtshof hat wiederholt den Begriff des rein internen Sachverhalts erörtert und seine Bedeutung beschrieben. In der Rechtssache Saunders(4) hat er entschieden, daß es einen rein internen, ausserhalb der Anwendung der Bestimmungen des EWG-Vertrags über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer liegenden Sachverhalt darstelle, wenn ein Mitgliedstaat einem Arbeitnehmer seiner eigenen Staatsangehörigkeit nach nationalem Recht als Strafmaßnahme aufgrund einer auf seinem Gebiet begangenen Tat die Freiheit entziehe oder dessen Bewegungsfreiheit im Staatsgebiet beschränke.

    Im Urteil Morson und Jhanjan(5) hat der Gerichtshof zunächst die Bestimmungen des EWG-Vertrags über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer und das einschlägige Sekundärrecht herangezogen; diese fänden auf Sachlagen keine Anwendung, die keine Verbindung mit einer gemeinschaftsrechtlichen Sachlage hätten. Er hat dann ausgeführt, daß das Gemeinschaftsrecht es einem Mitgliedstaat nicht verbiete, einem Familienangehörigen im Sinne des Artikels 10 der Verordnung Nr. 1612/68 eines im Gebiet dieses Staates beschäftigten Arbeitnehmers die Einreise oder den Aufenthalt in sein Gebiet zu verweigern, wenn dieser niemals von seiner Freizuegigkeit innerhalb der Gemeinschaft Gebrauch gemacht habe und die Staatsangehörigkeit dieses Staates besitze, während Familienangehörige die Staatsangehörigkeit eines Drittlandes besässen.

    Im Urteil Moser(6) heisst es entsprechend, Artikel 48 EWG-Vertrag finde auf Sachlagen keine Anwendung, die ausschließlich im Inneren eines Mitgliedstaats lägen, beispielsweise auf den Fall des Angehörigen eines Mitgliedstaats, der niemals in einem anderen Mitgliedstaat gewohnt oder gearbeitet habe; diese Aussage wird aufgenommen im Urteil Iorio(7) sowie, in bezug auf andere Bestimmungen des EWG-Vertrags oder des Sekundärrechts, in den Rechtssachen Gauchard(8), Zaoui(9), Bekärt(10), Nino(11) und Dzodzi(12).

    5. In diesen Rechtssachen hatten diejenigen, die in ihrem eigenen Land gemeinschaftsrechtliche Rechte einforderten, niemals berufliche Tätigkeiten oder berufliche Ausbildungen in anderen Mitgliedstaaten ausgeuebt; mangels jeder Beziehung zum Gemeinschaftsrecht fielen diese Fälle somit offensichtlich nicht in den Anwendungsbereich des EWG-Vertrags.

    Zum anderen hebt die Kommission zu Recht hervor, daß die schlichte Ausübung der Freizuegigkeit innerhalb der Gemeinschaft als solche nicht ausreicht, einer bestimmten Sachlage einen gemeinschaftsrechtlichen Bezug zu geben; vielmehr bedarf es einer Beziehung zwischen der Ausübung der Freizuegigkeit und dem vom Bürger in Anspruch genommenen Recht.

    Hätte etwa der Kläger nach seiner Rückkehr in das Vereinigte Königreich geheiratet, so bestuende offensichtlich keine logische Verbindung zwischen der Inanspruchnahme der Freizuegigkeit und dem für den Ehegatten eines gemeinschaftsangehörigen Arbeitnehmers in Anspruch genommenen Aufenthaltsrecht.

    Wurde hingegen, wie im vorliegenden Fall, die Freizuegigkeit nach der Eheschließung ausgeuebt und haben die Betroffenen vom gemeinschaftsrechtlichen Freizuegigkeitsrecht Gebrauch gemacht, so lässt sich kaum sagen, es sei keine gemeinschaftsrechtliche Frage und damit eine rein interne Situation, ob ein Bürger weiterhin diese Rechte in seinem eigenen Land in Anspruch nehmen könne. Das lässt sich schon deshalb nicht sagen, weil daraus folgte, daß das Gemeinschaftsrecht dem Gemeinschaftsarbeitnehmer die Niederlassung in anderen Mitgliedstaaten, nicht aber die erneute Niederlassung in seinem eigenen Land erleichtern würde.

    6. Da die vorliegende Sache somit nicht als rein interner Fall betrachtet werden kann, ist das Gemeinschaftsrecht insoweit zu untersuchen, als der Kläger sich darauf berufen kann, also insbesondere Artikel 52 EWG-Vertrag und Artikel 1 der Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs, da der Ehegatte sich ins Vereinigte Königreich begeben hat, um dort eine selbständige Tätigkeit auszuüben.

    Nach Artikel 52 EWG-Vertrag werden die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zum einen während der Übergangszeit nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen schrittweise aufgehoben, zum anderen umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen.

    Der Gerichtshof hat bekanntermassen wiederholt entschieden, daß sich die Angehörigen eines Mitgliedstaates zumindest in bestimmten Fällen in ihrem eigenen Herkunftsland auf Artikel 52 berufen können; zwar könnten die Bestimmungen des EWG-Vertrags über die Niederlassung und die Dienstleistungsfreiheit nicht auf Sachlagen angewandt werden, die ausschließlich im Inneren eines Mitgliedstaats spielten, jedoch sei die Bezugnahme in Artikel 52 auf die Angehörigen eines Mitgliedstaats, die sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen wollten, nicht dahin zu verstehen, daß die eigenen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats sich nicht auf Gemeinschaftsrecht berufen könnten, wenn sie sich gegenüber ihrem Herkunftsstaat in einer Lage befänden, die derjenigen anderer Bürger vergleichbar sei, die von den Rechten und Freiheiten des EWG-Vertrags Gebrauch machen könnten, weil sie sich ordnungsgemäß in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hätten und dort eine gemeinschaftsrechtlich anerkannte Berufsausbildung erworben hätten(13).

    Ausserdem hat der Gerichtshof in den Urteilen Stanton(14) und Daily Mail(15) entschieden, daß Artikel 52 EWG-Vertrag keine Regelung erlaube, die die Berufsausübung in einem anderen Mitgliedstaat behindere.

    7. Nach dieser Rechtsprechung fallen sowohl Arbeitnehmer eines Mitgliedstaats, die in einem anderen Land gemeinschaftsrechtlich anerkannte Rechte erworben haben und diese in ihrem Herkunftsland ausüben wollen, wie nationale Regelungen, die die Ausübung der Freizuegigkeit betrafen, in den Anwendungsbereich des Artikels 52.

    Im vorliegenden Fall ließe sich jedoch einwenden, daß das vom Kläger in Deutschland kraft Gemeinschaftsrecht erworbene Recht nur darin bestehe, als Ehegatte eines Gemeinschaftsarbeitnehmers in Deutschland zu wohnen, und daß die Anwendung des britischen Einwanderungsrechts im übrigen die Ausübung der Berufstätigkeit der Ehefrau des Klägers in einem anderen Mitgliedstaat nicht behindere. Die Ehegatten befänden sich also nicht aufgrund der Ausübung ihres Freizuegigkeitsrecht in einer schlechteren Lage als Eheleute, die niemals in einem anderen Mitgliedstaat gearbeitet hätten.

    8. Diese ersten Einwände begegnen jedoch bereits erheblichen Bedenken. Man muß berücksichtigen, daß der Kläger, hätte seine Ehefrau von ihrem Recht auf Freizuegigkeit keinen Gebrauch gemacht, eine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis erhalten oder naturalisiert werden hätte können.

    Wenn das vorlegende Gericht nach einer Prüfung des einschlägigen britischen Rechts, wie es der Beklagte in der Sitzung vorgetragen hat, zu dem Ergebnis kam, daß der Kläger als Ehegatte aufgrund seines Aufenthalts in Deutschland die Möglichkeit verloren habe, nach Ablauf einer bestimmten Frist im Vereinigten Königreich eine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, die er erhalten hätte, hätten die Eheleute im Vereinigten Königreich gewohnt, so stellt sich offensichtlich die Frage der Vereinbarkeit einer solchen nationalen Bestimmung, die die Ausübung des Freizuegigkeitrechts bestraft, mit dem Gemeinschaftsrecht.

    9. Hinzu kommt folgendes. Von der erwähnten Möglichkeit abgesehen, lässt sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofes vertreten, daß das Gemeinschaftsrecht über die Freizuegigkeit immer dann Anwendung findet, wenn ein Angehöriger eines Mitgliedstaates sich im Verhältnis zu seinem Herkunftsland in einer Lage befindet, die derjenigen aller anderen vergleichbar ist, die sich auf die Rechte und Freiheiten des EWG-Vertrags oder des Sekundärrechts berufen können.

    Deshalb ist im einzelnen zu untersuchen, welche Rechte das Gemeinschaftsrecht Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten gewährt, die von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch machen wollen, und welches die Ratio legis und die Bedeutung dieser Rechte sind.

    10. Nach ihrer ersten Begründungserwägung will die Richtlinie 73/148 die "Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen innerhalb der Gemeinschaft für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten, die sich in irgendeinem dieser Staaten niederlassen ... wollen", aufheben (Hervorhebung nur hier).

    Im Hinblick auf dieses Ziel verlangt die Richtlinie von den Mitgliedstaaten, Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, die sich dort niederlassen wollen, um eine selbständige Tätigkeit auszuüben, bei einfacher Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses die Einreise in ihr Hoheitsgebiet zu gestatten (Artikel 3), ihnen ein Recht auf unbefristeten Aufenthalt einzuräumen (Artikel 4) und ihren eigenen Angehörigen die Ausreise aus ihren Hoheitsgebiet lediglich gegen Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses zu gestatten (Artikel 2).

    Nach Artikel 1 heben die Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Richtlinie insbesondere die Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, die sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen haben oder niederlassen wollen, um eine selbständige Tätigkeit auszuüben, und ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit ihrer Ehegatten auf (Hervorhebung nur hier).

    Dieses Recht der Ehegatten ist dem Niederlassungsrecht des Gemeinschaftsarbeitnehmers in gewisser Weise akzessorisch; es hat offenkundig zum Ziel, Hindernisse für die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer zu beseitigen, die aus der Unmöglichkeit oder Schwierigkeit folgen würden, mit der gesamten Kleinfamilie umzuziehen.

    11. Sicherlich ist das Aufenthaltsrecht vom Gemeinschaftsgesetzgeber als Recht des Angehörigen eines Mitgliedstaats abgefasst, sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen. Dieser Wortlaut erklärt sich jedoch aus dem Umstand, daß die einzelnen Mitgliedstaaten ihren eigenen Staatsangehörigen offenkundig die Einreise in ihr Gebiet und den dortigen Aufenthalt nicht verwehren.

    Aus dem Wortlaut der herangezogenen Bestimmung lässt sich somit nicht ableiten, daß die Familienangehörigen eines in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Arbeitnehmers sich nicht auf die Rechte berufen dürften, die die Richtlinie ihnen einräumt, wenn dieser Arbeitnehmer in sein eigenes Land zurückkehrt.

    Eine solche Auslegung entspräche auch kaum den Anforderungen der Freizuegigkeit, der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit, die in den Artikeln 3 Buchstabe c, 48, 52 und 59 EWG-Vertrag garantiert sind, da ein Angehöriger eines Mitgliedstaats der Gemeinschaft mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat aus beruflichen Gründen ohne weiters in einen dritten Mitgliedstaat umziehen könnte, nicht aber in seinen eigenen.

    12. Im übrigen handelt es sich praktisch um Randfälle, da die Staaten generell den Familienangehörigen ihrer eigenen Staatsangehörigen den Aufenthalt nicht verweigern, soweit nicht eine Umgehung des Einreiserechts in Frage steht.

    Gleichwohl bleibt das Grundproblem; dabei wäre eine Auslegung sinnwidrig, die Familienangehörigen eines Gemeinschaftsangehörigen, der in sein eigenes Land zurückkehrt, nachdem er in einem anderen Mitgliedstaat gearbeitet hat, vom Aufenthaltsrecht ausschlösse und damit einerseits ein ungerechtfertigtes Hindernis für die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft und andererseits eine Ungleichbehandlung zwischen zwei Arbeitnehmern schüfe, die sich in derselben Situation befänden, und zwar ausschließlich wegen ihrer unterschiedlichen Staatsangehörigkeit.

    13. Bevor ich zum Ende komme, möchte ich auf einige Bemerkungen und Vorbehalte des Vereinigten Königreich, das Erklärungen abgegeben hat, eingehen; diese haben eine gewisse Berechtigung.

    Das Vereinigte Königreich hebt zunächst hervor, daß die Ehefrau des Klägers im Zeitpunkt ihrer Rückkehr ihre Rechte als britische Staatsangehörige unter dem Immigration Act 1971 wahrgenommen habe, nicht aber Gemeinschaftsrechte, wie der Umstand belege, daß die britischen Behörde ihr die Einreise und den Aufenthalt nicht einmal aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit und der öffentlichen Gesundheit hätten verweigern können, wie dies die Richtlinie gestatte.

    Das trifft zwar zu. Es ist aber nicht erheblich, da nichts dem entgegensteht, daß die Rechte des EWG-Vertrags neben die Rechte treten, die das nationale Recht dem eigenen Staatsangehörigen gewährt, und sie ergänzen.

    Richtig ist auch, daß die Rechte, die der Mitgliedstaat seinen eigenen Angehörigen im Hinblick auf Einreise und Aufenthalt gewährt, grundsätzlich weiter reichen als diejenigen, die das Gemeinschaftsrecht gewährt, doch gibt es Ausnahmen: In bestimmten Fällen - die vorliegende Sache beweist das - gewährt das Gemeinschaftsrecht Personen, die von ihrer Freizuegigkeit Gebrauch machen, und möglicherweise ihren Ehegatten weitergehende Rechte als das nationale Recht.

    14. Das Vereinigte Königreich weist auch darauf hin, daß alle Mitgliedstaaten ein legitimes Interesse daran haben, daß sich ihre eigenen Staatsangehörigen und deren Ehegatten nicht auf das Gemeinschaftsrecht berufen, um sich den nationalen Vorschriften zu entziehen.

    Dieser Einwand entspricht sicherlich einem wirklichen Bedürfnis und ist höchster Beachtung würdig. Der Gerichtshof hat hinsichtlich einer Berufsbildungsregelung anerkannt, daß nicht verkannt werden dürfe, daß ein Mitgliedstaat ein berechtigtes Interesse daran haben könne, zu verhindern, daß sich einige seiner Staatsangehörigen mißbräuchlich der Anwendung des nationalen Rechts zu entziehen versuchen(16).

    Jedoch erlaubt die Richtlinie 73/148 den Mitgliedstaaten in Artikel 8, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit und der öffentlichen Gesundheit von ihren Bestimmungen abzuweichen.

    Im übrigen ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, daß als Berufstätigkeit nur angesehen werden kann, was wirklich und wirksam, nicht nur marginal und nebenher erfolgt(17); hierauf können sich nationale Behörden zur Mißbrauchsverhütung beziehen.

    Jüngst hat der Gerichtshof klargestellt, daß das nationale Gericht bei der Beurteilung der Realität einer bestimmten Tätigkeit die Unregelmässigkeit und die beschränkte Dauer der im Rahmen eines Gelegenheitsarbeitsvertrages erbrachten Leistungen berücksichtigen dürfe(18) (Hervorhebung nur hier).

    Die Möglichkeit der Mißbrauchsverhütung durch nationale Behörden wird im übrigen durch den Umstand belegt, daß das Immigration Appeal Tribunal im vorliegenden Fall der Klage unter ausdrücklichem Vorbehalt der Überprüfung des Sachverhalts hinsichtlich einer Umgehung des nationalen Rechts stattgegeben hat.

    15. Schließlich weist das Vereinigte Königreich darauf hin, daß die Anwendung der Richtlinie 73/148, wenn sie im vorliegenden Fall stattfände, zu widersinnigen Ergebnissen führte, da das Aufenthaltsrecht des Klägers im Vereinigten Königreich weniger vom Band der Ehe als von dem Umstand abhinge, daß seine Ehefrau weiterhin beruflich tätig sei.

    Auch diese Erwägung ist nicht geeignet, die bisherigen Ausführungen zu widerlegen. Grundsätzlich kann sich der Ehegatte eines Bürgers, der in seinem eigenen Land niedergelassen ist, auf das nationale Recht berufen, das ihm regelmässig allein wegen der Ehe weitergehende und dauerhaftere Rechte einräumt als das Gemeinschaftsrecht. Es ist jedoch nicht zu sehen, warum der Ehegatte eines Gemeinschaftsarbeitnehmers, der in Ausübung der Niederlassungsfreiheit im Gemeinschaftsgebiet in sein eigenes Land zurückkehrt, in den seltenen Fällen, in denen das Gemeinschaftsrecht weitergehende Rechte verleiht als das nationale Recht, dieser Rechte verlustig gehen sollte.

    Klar ist schließlich, daß der Betroffene, wenn ein gemeinschaftsrechtlicher Tatbestand nicht erfuellt ist und er auch nach nationalem Recht kein Aufenthaltsrecht in diesem Land hat, es verlassen muß. Das ergibt sich jedoch aus dem schlichten Umstand, daß in einem solchen Fall die angeführten Rechte ausschließlich auf dem Gemeinschaftsrecht beruhen; darin liegt nichts Sinnwidriges oder Paradoxes.

    16. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof folgende Antwort auf die Frage des High Court of Justice vor:

    Das Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Richtlinie 73/148/EWG, verleiht in dem Fall, daß eine verheiratete Frau, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats ist und in einem anderen Mitgliedstaat Rechte aus dem EWG-Vertrag ausgeuebt hat, indem sie dort gearbeitet hat, anschließend in den Mitgliedstaat, dem sie angehört, zu dem Zweck einreist und dort verbleibt, mit ihrem Ehegatten ein Geschäft zu betreiben, ihrem Ehemann das Recht, unter den Voraussetzungen der Richtlinie in diesen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten.

    (*) Originalsprache: Italienisch.

    (1) - ABl. L 172, S. 14.

    (2) - ABl. L 257, S. 2.

    (3) - Urteil vom 13. Februar 1985 in der Rechtssache 267/83 (Diatta, Slg. 1985, 567, Randnr. 20).

    (4) - Urteil vom 28. März 1979 in der Rechtssache 175/78 (Slg. 1979, 1129, Randnr. 12).

    (5) - Urteil vom 27. Oktober 1982 in den Rechtssachen 35/82 und 36/82 (Slg. 1982, 3723, Randnrn. 16 und 18).

    (6) - Urteil vom 28. Juni 1984 in der Rechtssache 180/83 (Slg. 1984, 2539, Randnr. 20).

    (7) - Urteil vom 23. Januar 1986 in der Rechtssache 298/84 (Slg. 1986, 247, Randnr. 17).

    (8) - Urteil vom 8. Dezember 1987 in der Rechtssache 20/87 (Slg. 1987, 4879, Randnr. 13).

    (9) - Urteil vom 17. Dezember 1987 in der Rechtssache 147/87 (Slg. 1987, 5511, Randnr. 16).

    (10) - Urteil vom 20. April 1988 in der Rechtssache 204/87 (Slg. 1988, 2029, Randnr. 13).

    (11) - Urteil vom 3. Oktober 1990 in den Rechtssachen C-54/88, C-91/88 und C-14/89 (Slg. 1990, I-3537, Randnrn. 10 f.).

    (12) - Urteil vom 18. Oktober 1990 in den Rechtssachen C-297/88 und C-197/89 (Slg. 1990, I-3763, Randnrn. 23 f.).

    (13) - Urteil vom 7. Februar 1979 in der Rechtssache 115/78 (Knoors, Slg. 1979, 399, Randnr. 24). Vgl. auch Urteile vom 6. Oktober 1981 in der Rechtssache 246/80 (Brökmeulen, Slg. 1981, 2311, Randnr. 20), vom 19. Januar 1988 in der Rechtssache 292/86 (Gullung, Slg. 1988, 111, Randnr. 12) und vom 3. Oktober 1990 in der Rechtssache C-61/89 (Bouchoucha, Slg. 1990, I-3551, Randnr. 13).

    (14) - Urteil vom 7. Juli 1988 in der Rechtssache 143/87 (Slg. 1988, 3877, Randnr. 14).

    (15) - Urteil vom 27. September 1988 in der Rechtssache 81/87 (Slg. 1988, 5483, Randnr. 16).

    (16) - Urteil vom 7. Februar 1979, a. a. O., Randnr. 25.

    (17) - Urteile vom 23. März 1982 in der Rechtssache 53/81 (Levin, Slg. 1982, 1035, Randnr. 17), vom 3. Juni 1986 in der Rechtssache 139/85 (Kempf, Slg. 1986, 1741, Randnr. 14), vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache 197/86 (Brown, Slg. 1988, 3205, Randnrn. 21 und 23) und vom 31. Mai 1989 in der Rechtssache 344/87 (Bettray, Slg. 1989, 1621, Randnr. 20).

    (18) - Urteil vom 26. Februar 1992 in der Rechtssache C-357/89 (Raulin, Slg. 1992, I-1027, Randnr. 14).

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