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Document 61989TJ0011

Urteil des Gerichts erster Instanz (Erste Kammer) vom 10. März 1992.
Shell International Chemical Company Ltd gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Wettbewerb - Begriff der Vereinbarung und der abgestimmten Verhaltensweise - Kollektive Verantwortlichkeit.
Rechtssache T-11/89.

Sammlung der Rechtsprechung 1992 II-00757

ECLI identifier: ECLI:EU:T:1992:33

61989A0011

URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ERSTE KAMMER) VOM 10. MAERZ 1992. - SHELL INTERNATIONAL CHEMICAL COMPANY LTD GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - BEGRIFF DER VEREINBARUNG UND DER ABGESTIMMTEN VERHALTENSWEISE - KOLLEKTIVE VERANTWORTLICHKEIT. - RECHTSSACHE T-11/89.

Sammlung der Rechtsprechung 1992 Seite II-00757
Schwedische Sonderausgabe Seite II-00047
Finnische Sonderausgabe Seite II-00049


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


++++

1. Wettbewerb - Verwaltungsverfahren - Unanwendbarkeit von Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention

2. Gemeinschaftsrecht - Grundsätze - Verteidigungsrechte - Wahrung im Rahmen von Verwaltungsverfahren - Wettbewerb - Tragweite

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 19 Absatz 2; Verordnung Nr. 99/63 der Kommission, Artikel 4)

3. Wettbewerb - Verwaltungsverfahren - Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird - Zulässige Beweismittel

(EWG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1)

4. Wettbewerb - Kartelle - Vereinbarungen zwischen Unternehmen - Begriff - Willensübereinstimmung bezueglich des künftigen Marktverhaltens

(EWG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1)

5. Wettbewerb - Kartelle - Abgestimmte Verhaltensweise - Begriff - Mit der Pflicht jedes Unternehmens, sein Marktverhalten selbständig zu bestimmen, unvereinbare Koordinierung und Zusammenarbeit - Treffen von Wettbewerbern zum Zwecke des Austauschs von Informationen, die von entscheidender Bedeutung sind für die Ausarbeitung der Geschäftsstrategie der Teilnehmer

(EWG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1)

6. Wettbewerb - Kartelle - Unternehmen - Begriff - Wirtschaftliche Einheit - Zurechnung der Zuwiderhandlungen

(EWG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1)

7. Handlungen der Organe - Begründungspflicht - Umfang - Entscheidung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln

(EWG-Vertrag, Artikel 190)

8. Wettbewerb - Geldbussen - Höhe - Festsetzung - Kriterien - Früheres Verhalten des Unternehmens

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

9. Handlungen der Organe - Gültigkeitsvermutung - Widerlegung - Voraussetzungen

Leitsätze


1. Wenn die Kommission auch die im Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft vorgesehenen Verfahrensgarantien zu beachten hat, so kann sie doch bei der Anwendung der entsprechenden Rechtsvorschriften nicht als "Gericht" im Sinne des Artikels 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention betrachtet werden, nach dem jedermann Anspruch darauf hat, daß seine Sache in billiger Weise von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht gehört wird.

2. Die in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 und in der Verordnung Nr. 99/63 enthaltenen Vorschriften über Verfahrensgarantien sind Ausdruck eines fundamentalen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts, dem zufolge in allen Verfahren, auch in Verwaltungsverfahren, rechtliches Gehör gewährt werden und insbesondere dem betroffenen Unternehmen Gelegenheit gegeben werden muß, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der behaupteten Tatsachen und Umstände sowie zu den von der Kommission für die Behauptung eines Verstosses gegen den EWG-Vertrag herangezogenen Unterlagen Stellung zu nehmen.

Diese gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien schreiben der Kommission jedoch nicht vor, ihre interne Organisation so auszugestalten, daß nicht ein und demselben Beamten in der gleichen Sache sowohl die Aufgabe der Ermittlung als auch die der Berichterstattung zukommt.

3. In einer an ein Unternehmen gerichteten Entscheidung nach Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag können gegenüber diesem Unternehmen nur die Schriftstücke als Beweismittel verwendet werden, von denen schon im Stadium der Mitteilung der Beschwerdepunkte und aufgrund ihrer Erwähnung in dieser Mitteilung oder in deren Anlagen erkennbar war, daß die Kommission sich auf sie berufen wollte, und zu deren Beweiskraft sich das Unternehmen somit rechtzeitig äussern konnte.

4. Eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag liegt schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Dies ist dann der Fall, wenn es zwischen mehreren Unternehmen eine Willensübereinstimmung zur Erreichung von Preis- und Verkaufsmengenzielen gab.

5. Die Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit, anhand deren sich der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise bestimmen lässt, sind im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des EWG-Vertrags zu verstehen, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt. Dieses Selbständigkeitspostulat beseitigt zwar nicht das Recht der Unternehmen, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Konkurrenten mit wachem Sinn anzupassen; es steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Konkurrenten zu beeinflussen oder einen solchen Konkurrenten über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht.

Die Teilnahme an Sitzungen, deren Zweck es ist, Preis- und Verkaufsmengenziele festzulegen, und in denen die Wettbewerber Informationen über die Preise, die sie zu praktizieren beabsichtigen, über ihre Rentabilitätsschwelle, über die von ihnen für notwendig gehaltenen Beschränkungen der Verkaufsmengen oder über ihre Verkaufszahlen austauschen, stellt eine abgestimmte Verhaltensweise dar, da die teilnehmenden Unternehmen die so weitergegebenen Informationen zwangsläufig bei der Festlegung ihres Marktverhaltens berücksichtigen.

6. Der Begriff des Unternehmens im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag bezeichnet eine wirtschaftliche Einheit, die in einer einheitlichen Organisation persönlicher, materieller und immaterieller Mittel besteht, die dauerhaft einen bestimmten wirtschaftlichen Zweck verfolgt und an einer Zuwiderhandlung im Sinne dieser Vorschrift beteiligt sein kann.

Stellt ein Konzern daher ein einziges Unternehmen dar, so ist die Kommission berechtigt, eine von diesem Unternehmen begangene Zuwiderhandlung der für das Vorgehen des Konzerns im Rahmen der Zuwiderhandlung verantwortlichen Gesellschaft zuzurechnen und ihr eine Geldbusse aufzuerlegen.

7. Die Kommission hat gemäß Artikel 190 EWG-Vertrag ihre Entscheidungen mit Gründen zu versehen und dabei die sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, von denen die Rechtmässigkeit der Maßnahme abhängt, sowie die Erwägungen aufzuführen, die sie zum Erlaß ihrer Entscheidung veranlasst haben, sie braucht jedoch bei einer Entscheidung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln nicht auf alle tatsächlichen und rechtlichen Fragen einzugehen, die von den Beteiligten während des Verwaltungsverfahrens vorgebracht wurden.

8. Bei der Bemessung der wegen eines Verstosses gegen die Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrags zu verhängenden Geldbusse kann zu Lasten eines Unternehmens erschwerend berücksichtigt werden, daß die Kommission bereits in der Vergangenheit Verstösse dieses Unternehmens gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt und insoweit gegebenenfalls eine Strafe verhängt hat. Demgegenüber stellt das Fehlen einer früheren Zuwiderhandlung keinen besonderen Umstand dar, den die Kommission als mildernd berücksichtigen müsste.

9. Da ein Rechtsakt, der zugestellt und veröffentlicht worden ist, als gültig anzusehen ist, ist es Sache desjenigen, der die formelle Gültigkeit eines Rechtsakts anzweifelt oder sich auf dessen Inexistenz beruft, dem Richter Gründe vorzutragen, die den Anschein der Gültigkeit in Frage stellen.

Entscheidungsgründe


Sachverhalt

1 Die vorliegende Rechtssache betrifft eine Entscheidung der Kommission, mit der fünfzehn Herstellern von Polypropylen wegen Verstosses gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag eine Geldbusse auferlegt wurde. Das von der angefochtenen Entscheidung (nachstehend: Entscheidung) erfasste Erzeugnis ist eines der wichtigsten thermoplastischen Polymere. Polypropylen wird von den Herstellern an die Verarbeiter zur Weiterverarbeitung zu Fertig- und Halbfertigerzeugnissen verkauft. Die wichtigsten Hersteller von Polypropylen verfügen über eine Palette von mehr als hundert verschiedenen Sorten für einen breiten Fächer von Verwendungszwecken. Die wichtigsten Polypropylengrundsorten sind Raffia, Homopolymer für Spritzguß, Kopolymer für Spritzguß, hochschlagfestes Kopolymer und Folien. Alle Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet ist, sind grosse Hersteller petrochemischer Erzeugnisse.

2 Der westeuropäische Polypropylenmarkt wird fast ausschließlich von europäischen Produktionsstätten beliefert. Vor 1977 wurde dieser Markt von zehn Herstellern beliefert, nämlich von den Unternehmen Montedison (die spätere Montepolimeri SpA und jetzige Montedipe SpA), Hoechst AG, Imperial Chemical Industries plc und Shell International Chemical Company Ltd (den sogenannten "vier Grossen"), die zusammen 64 % des Marktes innehatten, Enichem Anic SpA in Italien, Rhône-Poulenc SA in Frankreich, Alcudia in Spanien, Chemische Werke Hüls und BASF AG in Deutschland sowie Chemie Linz AG in Österreich. Nach dem Auslaufen der Hauptpatente von Montedison traten 1977 in Westeuropa sieben neue Hersteller auf: Amoco und Hercules Chemicals NV in Belgien, ATO Chimie SA und Solvay & Cie SA in Frankreich, SIR in Italien, DSM NV in den Niederlanden und Taqsa in Spanien. Der norwegische Hersteller Saga Petrokjemi AS & Co. und die Petrofina SA nahmen ihre Tätigkeit Mitte 1978 beziehungsweise im Jahre 1980 auf. Das Auftreten neuer Hersteller mit einer nominalen Kapazität von rund 480 000 t bewirkte ein erhebliches Anwachsen der Produktionskapazität in Westeuropa, die mehrere Jahre lang nicht durch einen entsprechenden Anstieg der Nachfrage ausgeglichen wurde. Dies hatte einen geringen Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten zur Folge; zwischen 1977 und 1983 soll der Auslastungsgrad jedoch schrittweise von 60 % auf 90 % gestiegen sein. Nach der Entscheidung sollen sich Angebot und Nachfrage von 1982 an im grossen und ganzen im Gleichgewicht befunden haben. Während des grössten Teils des Untersuchungszeitraums (1977-1983) sei der Polypropylenmarkt jedoch durch eine niedrige Rentabilität oder durch erhebliche Verluste gekennzeichnet gewesen, und zwar namentlich wegen der Bedeutung der fixen Kosten und des Anstiegs des Preises des Ausgangsstoffes Propylen. Nach Randnummer 8 der Entscheidung beliefen sich 1983 die europäischen Marktanteile der Montepolimeri SpA auf 18 %, der Imperial Chemical Industries, der Shell International Chemical Company Ltd und der Hoechst AG auf jeweils 11 %, der Hercules Chemicals NV auf knapp 6 %, der ATO Chimie SA, der BASF AG, der DSM NV, der Chemische Werke Hüls, der Chemie Linz AG, der Solvay & Cie SA und der Saga Petrokjemi AS & Co. auf jeweils 3 bis 5 % und der Petrofina SA auf etwa 2 %. Der Polypropylenhandel zwischen Mitgliedstaaten sei groß gewesen, da jeder der damals in der Gemeinschaft niedergelassenen Hersteller in die meisten, wenn nicht in alle Mitgliedstaaten verkauft habe.

3 Die Shell-Gruppe gehörte zu den Herstellern, die den Markt vor 1977 belieferten, und war einer der "grossen Vier". Ihr Marktanteil betrug zwischen etwa 10,7 und 11,7 %.

4 Am 13. und 14. Oktober 1983 führten Beamte der Kommission gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204; nachstehend: Verordnung Nr. 17) gleichzeitig Nachprüfungen bei den folgenden, den Markt der Gemeinschaft beliefernden Herstellern von Polypropylen durch:

- ATO Chimie SA, jetzt Atochem (nachstehend: ATO);

- BASF AG (nachstehend: BASF);

- DSM NV (nachstehend: DSM);

- Hercules Chemicals NV (nachstehend: Hercules);

- Hoechst AG (nachstehend: Hoechst);

- Chemische Werke Hüls (nachstehend: Hüls);

- Imperial Chemical Industries plc (nachstehend: ICI);

- Montepolimeri SpA, jetzt Montedipe (nachstehend: Monte);

- Shell International Chemical Company Ltd (nachstehend: Shell oder Klägerin);

- Solvay & Cie SA (nachstehend: Solvay);

- BP Chimie (nachstehend: BP).

Keine Nachprüfungen erfolgten bei Rhône-Poulenc SA (nachstehend: Rhône-Poulenc) und bei der Enichem Anic SpA.

5 Im Anschluß an diese Nachprüfungen richtete die Kommission Auskunftsverlangen nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 (nachstehend: Auskunftsverlangen) nicht nur an die genannten, sondern auch an folgende Unternehmen:

- Amoco;

- Chemie Linz AG (nachstehend: Linz);

- Saga Petrokjemi AS & Co., jetzt Teil von Statoil (nachstehend: Statoil);

- Petrofina SA (nachstehend: Petrofina);

- Enichem Anic SpA (nachstehend: Anic).

Linz, ein österreichisches Unternehmen, bestritt die Zuständigkeit der Kommission und weigerte sich, dem Auskunftsverlangen nachzukommen. Gemäß Artikel 14 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 führten Kommissionsbeamte anschließend Nachprüfungen bei Anic und bei der Saga Petrochemicals UK Ltd, der englischen Tochter von Saga, sowie bei den Verkaufsgesellschaften von Linz im Vereinigten Königreich und in der Bundesrepublik Deutschland durch. An Rhône-Poulenc erging kein Auskunftsverlangen.

6 Anhand des im Rahmen dieser Nachprüfungen und Auskunftsverlangen entdeckten Beweismaterials gelangte die Kommission zu der vorläufigen Auffassung, die Hersteller hätten von 1977 bis 1983 unter Verstoß gegen Artikel 85 EWG-Vertrag durch eine Reihe von Preisinitiativen regelmässig Zielpreise festgesetzt und ein System jährlicher Mengenkontrolle entwickelt, um den verfügbaren Markt nach vereinbarten Prozentsätzen oder Mengen unter sich aufzuteilen. Am 30. April 1984 beschloß die Kommission deshalb, ein Verfahren gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 einzuleiten. Im Mai 1984 übermittelte sie den genannten Unternehmen mit Ausnahme von Anic und Rhône-Poulenc die schriftliche Mitteilung der Beschwerdepunkte. Alle Adressaten äusserten sich dazu schriftlich.

7 Am 24. Oktober 1984 traf der von der Kommission ernannte Anhörungsbeauftragte mit den Rechtsberatern der Adressaten der Beschwerdepunkte zusammen, um Vereinbarungen über den Ablauf der im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vorgesehenen Anhörung zu treffen, deren Beginn für den 12. November 1984 vorgesehen war. In dieser Sitzung teilte die Kommission den Unternehmen ausserdem zu den in den Antworten auf die Beschwerdepunkte vorgebrachten Argumenten mit, sie werde ihnen in Kürze ergänzende Unterlagen zu den bereits übermittelten Beweismitteln bezueglich der Durchsetzung der Preisinitiativen zuleiten. Demgemäß übersandte sie den Rechtsberatern der Unternehmen am 31. Oktober 1984 eine Reihe von Unterlagen, die Kopien der einschlägigen Preisinstruktionen der Hersteller für ihre Verkaufsstellen einschließlich der Tabellen enthielten, in denen diese Belege zusammengefasst waren. Um die Wahrung des Geschäftsgeheimnisses zu gewährleisten, verband die Kommission diese Übermittlung mit bestimmten Auflagen; insbesondere durften die übersandten Unterlagen nicht an die kaufmännischen Abteilungen der Unternehmen weitergegeben werden. Die Anwälte einiger Unternehmen lehnten diese Auflagen ab und schickten die Unterlagen vor der mündlichen Anhörung zurück.

8 Aufgrund der Angaben in den schriftlichen Antworten auf die Beschwerdepunkte beschloß die Kommission, das Verfahren auf Anic und Rhône-Poulenc auszudehnen. Demgemäß übersandte sie diesen Unternehmen am 25. Oktober 1984 eine Mitteilung der Beschwerdepunkte, die der den anderen fünfzehn Unternehmen übersandten Mitteilung ähnlich war.

9 Eine erste Reihe von Anhörungen fand vom 12. bis zum 20. November 1984 statt. In ihr wurden mit Ausnahme von Shell (die sich geweigert hatte, an einer Anhörung teilzunehmen) sowie Anic, ICI und Rhône-Poulenc (die sich nicht in der Lage sahen, ihre Unterlagen vorzubereiten) alle Unternehmen angehört.

10 Bei diesen Anhörungen weigerten sich mehrere Unternehmen, sich mit den Fragen auseinanderzusetzen, die in den ihnen am 31. Oktober 1984 übersandten Unterlagen angeschnitten worden waren, da die Kommission die gesamte Bewertung des Falles geändert habe; sie müssten zumindest Gelegenheit erhalten, sich hierzu schriftlich zu äussern. Andere machten geltend, sie hätten nicht genügend Zeit gehabt, die betreffenden Unterlagen vor der Anhörung zu prüfen. Die Anwälte von BASF, DSM, Hercules, Hoechst, ICI, Linz, Monte, Petrofina und Solvay übersandten der Kommission am 28. November 1984 ein gemeinsames Schreiben in diesem Sinne. In einem Schreiben vom 4. Dezember 1984 schloß sich Hüls dieser Linie an.

11 Daraufhin leitete die Kommission den Unternehmen am 29. März 1985 eine neue Serie von Dokumenten zu, die die Preisanweisungen der Unternehmen an ihre Verkaufsbüros wiedergaben, begleitet von Preistabellen, sowie eine Zusammenfassung der Beweise für alle Preisinitiativen, für die Unterlagen verfügbar waren. Die Unternehmen wurden aufgefordert, sich dazu schriftlich und in einer weiteren mündlichen Anhörung zu äussern. Die ursprünglichen Auflagen bezueglich der Weitergabe an die kaufmännischen Abteilungen hob die Kommission auf.

12 In einem weiteren Schreiben gleichen Datums ging die Kommission auf das Vorbringen der Anwälte ein, sie habe die Rechtsnatur des angeblichen Kartells nach Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag nicht eindeutig definiert. Sie forderte die Unternehmen auf, sich hierzu schriftlich und mündlich zu äussern.

13 Eine zweite Reihe von Anhörungen fand vom 8. bis zum 11. Juli 1985 und am 25. Juli 1985 statt. Dabei äusserten sich Anic, ICI und Rhône-Poulenc; die anderen Unternehmen (mit Ausnahme von Shell) nahmen zu den von der Kommission in den beiden Schreiben vom 29. März 1985 angesprochenen Fragen Stellung.

14 Der Entwurf der Niederschrift über die Anhörungen sowie alle anderen entscheidungserheblichen Unterlagen wurden den Mitgliedern des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen (nachstehend: Beratender Ausschuß) am 19. November 1985 übergeben und den Unternehmen am 25. November 1985 zugesandt. Der Beratende Ausschuß gab seine Stellungnahme in seiner 170. Sitzung vom 5. und 6. Dezember 1985 ab.

15 Am Ende dieses Verfahrens erließ die Kommission die streitige Entscheidung vom 23. April 1986. Der verfügende Teil dieser Entscheidung lautet wie folgt:

"Artikel 1

Anic SpA, ATO Chemie SA (heute Atochem), BASF AG, DSM NV, Hercules Chemicals NV, Hoechst AG, Chemische Werke Hüls (jetzt Hüls AG), ICI plc, Chemische Werke Linz, Montepolimeri SpA (jetzt Montedipe), Petrofina SA, Rhône-Poulenc SA, Shell International Chemical Co. Ltd, Solvay & Cie und Saga Petrokjemi AG & Co. (jetzt Teil der Statoil) haben gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossen, indem sie:

- im Fall von Anic von etwa November 1977 bis weit ins Jahr 1982 oder Anfang 1983;

- im Fall von Rhône-Poulenc von etwa November 1977 bis Ende 1980;

- im Fall von Petrofina von 1980 bis mindestens November 1983;

- im Fall von Hoechst, ICI, Montepolimeri und Shell von etwa Mitte 1977 bis mindestens November 1983;

- im Fall von Hercules, Linz, Saga und Solvay von etwa November 1977 bis mindestens November 1983;

- im Fall von ATO von mindestens 1978 bis mindestens November 1983;

- im Fall von BASF, DSM und Hüls von einem Zeitpunkt zwischen 1977 und 1979 bis mindestens November 1983

an einer von Mitte 1977 stammenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligt waren, durch die die Gemeinschaft mit Polypropylen beliefernden Hersteller:

a) miteinander Verbindung hatten und sich regelmässig (von Anfang 1981 an zweimal monatlich) in einer Reihe geheimer Sitzungen trafen, um ihre Geschäftspolitik zu erörtern und festzulegen;

b) von Zeit zu Zeit für den Absatz ihrer Erzeugnisse in jedem Mitgliedstaat der EWG Ziel- (oder Mindest-)Preise festlegten;

c) verschiedene Maßnahmen trafen, um die Durchsetzung dieser Zielpreise zu erleichtern, (vor allem) unter anderem durch vorübergehende Absatzeinschränkungen, den Austausch von Einzelangaben über ihre Verkäufe, die Veranstaltung lokaler Sitzungen und ab Ende 1982 ein System der "Kundenführerschaft" zwecks Durchsetzung der Preiserhöhungen gegenüber Einzelkunden;

d) gleichzeitige Preiserhöhungen vornahmen, um die besagten Ziele durchzusetzen;

e) den Markt aufteilten, indem jedem Hersteller ein jährliches Absatzziel bzw. eine Quote (1979, 1980 und zumindest für einen Teil des Jahres 1983) zugeteilt wurde oder, falls es zu keiner endgültigen Vereinbarung für das ganze Jahr kam, die Hersteller aufgefordert wurden, ihre monatlichen Verkäufe unter Bezugnahme auf einen vorausgegangenen Zeitraum einzuschränken (1981, 1982).

Artikel 2

Die in Artikel 1 genannten Unternehmen sind verpflichtet, die festgestellten Zuwiderhandlungen unverzueglich abzustellen (falls sie es noch nicht getan haben) und in Zukunft bezueglich ihrer Polypropylengeschäfte von allen Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die dasselbe oder ähnliches bezwecken oder bewirken, Abstand zu nehmen. Dazu gehört der Austausch von Informationen, die normalerweise dem Geschäftsgeheimnis unterliegen und durch die die Teilnehmer direkt oder indirekt über Produktion, Absatz, Lagerhaltung, Verkaufspreise, Kosten oder Investitionspläne anderer Hersteller informiert oder aufgrund deren sie in die Lage versetzt werden, die Befolgung ausdrücklicher oder stillschweigender Preis- oder Marktaufteilungsabsprachen innerhalb der Gemeinschaft zu kontrollieren. Ein Verfahren zum Austausch allgemeiner Informationen, dem sich die Hersteller anschließen (wie Fides), muß unter Ausschluß sämtlicher Informationen geführt werden, aus denen sich das Marktverhalten einzelner Hersteller ableiten lässt. Die Unternehmen dürfen insbesondere untereinander keine zusätzlichen wettbewerbsrelevanten Informationen austauschen, die ein solches System nicht erfasst.

Artikel 3

Gegen die in dieser Entscheidung genannten Unternehmen werden wegen des in Artikel 1 festgestellten Verstosses folgende Geldbussen festgesetzt:

i) Anic SpA, eine Geldbusse von 750 000 ECU bzw. 1 103 692 500 LIT;

ii) Atochem, eine Geldbusse von 1 750 000 ECU bzw. 11 973 325 FF;

iii) BASF AG, eine Geldbusse von 2 500 000 ECU bzw. 5 362 225 DM;

iv) DSM NV, eine Geldbusse von 2 750 000 ECU bzw. 6 657 640 HFL;

v) Hercules Chemicals NV, eine Geldbusse von 2 750 000 ECU bzw. 120 569 620 BFR;

vi) Hoechst AG, eine Geldbusse von 9 000 000 ECU bzw. 19 304 010 DM;

vii) Hüls AG, eine Geldbusse von 2 750 000 ECU bzw. 5 898 447,50 DM;

viii) ICI PLC, eine Geldbusse von 10 000 000 ECU bzw. 6 447 970 UKL;

ix) Chemische Werke Linz, eine Geldbusse von 1 000 000 ECU bzw. 1 471 590 000 LIT;

x) Montedipe, eine Geldbusse von 11 000 000 ECU bzw. 16 187 490 000 LIT;

xi) Petrofina SA, eine Geldbusse von 600 000 ECU bzw. 26 306 100 BFR;

xii) Rhône-Poulenc SA, eine Geldbusse von 500 000 ECU bzw. 3 420 950 FF;

xiii) Shell International Chemical Co. Ltd, eine Geldbusse von 9 000 000 ECU bzw. 5 803 173 UKL;

xiv) Solvay & Cie, eine Geldbusse von 2 500 000 ECU bzw. 109 608 750 BFR;

xv) Statoil, Den Norske Stats Oljeselskap AS (nunmehr einschließlich Saga Petrokjemi), eine Geldbusse von 1 000 000 ECU bzw. 644 797 UKL.

Artikel 4 und 5

(nicht wiedergegeben)"

16 Am 8. Juli 1986 wurde den Unternehmen die endgültige Niederschrift über die Anhörungen mit den von ihnen verlangten Berichtigungen, Zusätzen und Streichungen übermittelt.

Verfahren

17 Unter diesen Umständen hat die Klägerin mit Klageschrift, die am 5. August 1986 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, die vorliegende Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung erhoben. Dreizehn der vierzehn übrigen Adressaten dieser Entscheidung haben ebenfalls Nichtigkeitsklage erhoben (Rechtssachen T-1/89 bis T-4/89, T-6/89 bis T-10/89, T-12/89 bis T-15/89).

18 Das gesamte schriftliche Verfahren ist vor dem Gerichtshof abgelaufen.

19 Mit Beschluß vom 15. November 1989 hat der Gerichtshof diese und die dreizehn übrigen Rechtssachen gemäß Artikel 14 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (nachstehend: Beschluß des Rates vom 24. Oktober 1988) an das Gericht verwiesen.

20 Gemäß Artikel 2 Absatz 3 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 hat der Präsident des Gerichts einen Generalanwalt bestellt.

21 Mit Schreiben vom 3. Mai 1990 hat der Kanzler des Gerichts die Parteien zur Teilnahme an einer informellen Sitzung aufgefordert, um die Einzelheiten der Durchführung der mündlichen Verhandlung festzulegen. Diese Sitzung hat am 28. Juni 1990 stattgefunden.

22 Mit Schreiben vom 9. Juli 1990 hat der Kanzler des Gerichts die Parteien gebeten, sich zu einer eventuellen Verbindung der Rechtssachen T-1/89 bis T-4/89 und T-6/89 bis T-15/89 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren zu äussern. Keine der Parteien hat hiergegen Einwände erhoben.

23 Mit Beschluß vom 25. September 1990 hat das Gericht die genannten Rechtssachen wegen des zwischen ihnen bestehenden Zusammenhangs nach Artikel 43 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, die gemäß Artikel 11 Absatz 3 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 für das Verfahren vor dem Gericht entsprechend galt, zu gemeinsamem mündlichen Verfahren verbunden.

24 Mit Beschluß vom 15. November 1990 hat das Gericht über die von den Klägerinnen in den Rechtssachen T-2/89, T-3/89, T-9/89, T-11/89, T-12/89 und T-13/89 gestellten Anträge auf vertrauliche Behandlung entschieden und ihnen teilweise stattgegeben.

25 Mit Schreiben, die zwischen dem 9. Oktober und dem 29. November 1990 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben die Parteien die ihnen vom Gericht mit Schreiben des Kanzlers vom 19. Juli 1990 gestellten Fragen beantwortet.

26 In Anbetracht der Antworten auf diese Fragen hat das Gericht auf Bericht des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen.

27 Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung, die vom 10. bis 15. Dezember 1990 stattgefunden hat, mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.

28 Der Generalanwalt hat seine Schlussanträge in der Sitzung vom 10. Juli 1991 vorgetragen.

Anträge der Parteien

29 Die Klägerin beantragt,

1) die Entscheidung der Beklagten vom 23. April 1986 (IV/31.149 - Polypropylen), soweit sie die Klägerin betrifft, für nichtig zu erklären;

2) oder die Geldbusse aufzuheben oder erheblich herabzusetzen;

3) der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Kommission beantragt,

- die Klage abzuweisen,

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zur Begründetheit

30 Nach Auffassung des Gerichts sind zuerst die Rügen zu prüfen, mit denen die Klägerin eine Verletzung der Verteidigungsrechte geltend macht, weil die Kommission bei der Vorbereitung der Entscheidung ihrer Pflicht zur Unparteilichkeit nicht nachgekommen sei (1), weil sie Shell Schriftstücke nicht übermittelt habe, auf die die Entscheidung gestützt sei (2), und weil nicht alle der in der Entscheidung gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe Gegenstand der Mitteilung der Beschwerdepunkte gewesen seien (3); zweitens die Rügen bezueglich der Feststellung der Zuwiderhandlung, die sich zum einen auf die von der Kommission getroffenen Tatsachenfeststellungen (1) und zum anderen auf die Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag auf diese Tatsachen (2) beziehen; drittens die Rügen bezueglich der Verantwortlichkeit der Klägerin für die Zuwiderhandlung; viertens die Rügen bezueglich der Begründung der Entscheidung und fünftens die Rügen bezueglich der Festsetzung der Geldbusse, die teilweise verjährt (1) und weder der Dauer (2) noch der Schwere (3) der behaupteten Zuwiderhandlung angemessen sei.

Zu den Verteidigungsrechten

1. Mangelnde Unparteilichkeit bei der Vorbereitung der Entscheidung

31 Die Klägerin macht geltend, bis 1985 sei die Gefahr der Parteilichkeit und Unfairneß bei den Beratungen der Kommission aufgrund ihrer internen Organisation gering gewesen, da schon im Vorstadium des Verfahrens die Aufgabe der Ermittlung und die der Strafverfolgung getrennt gewesen seien. Während des im vorliegenden Fall durchgeführten Verwaltungsverfahrens sei die Generaldirektion Wettbewerb so umgestaltet worden, daß derselbe Beamte mit den Aufgaben der Ermittlung/Nachprüfung und der Untersuchung/Berichterstattung betraut worden sei. Unparteilichkeit und Fairneß seien damit nicht mehr gewährleistet.

32 In ihrer Erwiderung ergänzt die Klägerin, daß das neue System entgegen der Darstellung der Kommission nicht unbedingt alle wünschenswerten Garantien biete, daß es im vorliegenden Fall nicht habe angewandt werden dürfen, da es erst 1985 eingeführt worden sei, und daß es jedenfalls dem Mangel der schon im Vorstadium fehlenden Aufgabentrennung nicht habe abhelfen können. Die Klägerin führt dazu Beispiele aus der Entscheidung an, aus denen sich ergebe, daß die Nachteile dieser Umgestaltung nicht nur blosse Vermutung seien, denn diese Beispiele zeigten, daß die Kommission unter anderem bestimmte Schriftstücke unvollständig oder parteiisch ausgelegt habe. Die Kommission behaupte schließlich selbst nicht, daß das neue System auf das gesamte vorliegende Verfahren angewandt worden sei.

33 Angesichts der Umgestaltung der Generaldirektion Wettbewerb habe Shell besonderen Wert auf die Möglichkeit gelegt, im Rahmen des Verwaltungsverfahrens eine wirkliche Anhörung zu erreichen. Der für den ordnungsgemässen Ablauf der Anhörungen verantwortliche Anhörungsbeauftragte habe aber die Unternehmen darauf hingewiesen, daß er gemäß den ihm erteilten Anweisungen nach der Anhörung nicht wirksam eingreifen könne, wenn die geplante Entscheidung seiner Meinung nach fehlerhaft sei oder zu weit gehe. Nach der Anhörung könne er nur in bezug auf Verfahrensfragen eingreifen. Er habe um Erläuterung seiner Aufgaben gebeten, aber keine Antwort erhalten; er habe sich nach seinen eigenen Worten in einer "erbärmlichen Lage" befunden. Shell habe diesen Erklärungen entnommen, daß der Anhörungsbeauftragte den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht wirksam schützen und nicht die Rolle des unparteiischen Mittlers spielen, d. h. seine Aufgaben tatsächlich nicht so wahrnehmen könne, wie sie in seinem Mandat festgelegt und von der Kommission in ihrem Dreizehnten Bericht über die Wettbewerbspolitik beschrieben worden seien. Deshalb habe die Klägerin trotz aller hierfür bereits getroffenen Vorbereitungen auf eine Teilnahme an den Anhörungen verzichten müssen, um sich nicht der ernsten Gefahr auszusetzen, daß ihre Erklärungen von einer Verwaltung, deren Objektivität fragwürdig geworden sei, falsch ausgelegt oder gegen sie verwendet würden. Die Kommission bestreite schließlich auch nicht die Richtigkeit ihrer Darstellung der Erklärung des Anhörungsbeauftragten.

34 Die Kommission legt dar, daß sie mit der 1985 erfolgten Umgestaltung der Generaldirektion Wettbewerb in bestmöglicher Weise Effektivität und Unparteilichkeit habe vereinen wollen. So seien die Garantien für Objektivität, Unparteilichkeit und Kohärenz durch die Schaffung einer neuen Direktion verstärkt worden, die für die Koordinierung der Entscheidungen zuständig sei und dafür sorgen solle, daß die Entscheidungen über die gleiche Art von wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen im Einklang miteinander gefällt würden. Diese Umgestaltung sei im Vierzehnten und Fünfzehnten Bericht über die Wettbewerbspolitik beschrieben worden.

35 In ihrer Gegenerwiderung bestreitet die Kommission, daß die vorliegende Sache vom Beginn bis zum Ende des Verwaltungsverfahrens von denselben Beamten bearbeitet worden sei, da in Wirklichkeit mehr als 20 Personen mit der Untersuchung beschäftigt gewesen seien. Sie greift die von der Klägerin zur Veranschaulichung des angeblichen Mangels an Unparteilichkeit angeführten Beispiele auf und weist darauf hin, daß sich diese Beispiele auf einen Verfahrensabschnitt nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte bezögen und daher nicht zur Begründung der Behauptung herangezogen werden könnten, daß die fehlende Trennung der Aufgaben der Ermittlung und der Berichterstattung schädlich sei. Ausserdem ließen diese Beispiele nicht den Schluß zu, daß die Kommission den Sachverhalt oder Schriftstücke unzutreffend analysiert habe, und erst recht nicht, daß eine solche Analyse auf ihre Arbeitsorganisation zurückzuführen sei.

36 Die Kommission weist auf das mit der Einsetzung eines Anhörungsbeauftragten verfolgte Ziel hin und beschreibt im einzelnen sein Mandat. Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen sei festzustellen, daß die Klägerin nichts vorgetragen habe, was belegen könnte, daß im vorliegenden Fall das Verfahren nicht ordnungsgemäß abgelaufen sei. Die Behauptung der Klägerin, daß alles, was sie bei der Anhörung hätte sagen können, "gegen sie verwendet" worden wäre und die bei der Anhörung mündlich mitgeteilten Informationen nicht objektiv verwendet worden wären, sei eine willkürliche, durch nichts gerechtfertigte Unterstellung. Da die Klägerin an der Anhörung nicht habe teilnehmen wollen, könne sie sich jetzt schwerlich darauf berufen, daß die Einschaltung des Anhörungsbeauftragten die angeblichen Fehler in der Entscheidung hätte vermeiden können.

37 Das Gericht stellt vorab fest, daß die Klägerin in ihrer Klageschrift geltend macht, ihre Verteidigungsrechte seien durch die Änderung der internen Organisation der Dienste der Kommission und die Preisgabe der Garantien für Unparteilichkeit beeinträchtigt worden, wie sie das alte, mit dieser Organisation verbundene Verfahren geboten habe. In ihrer Erwiderung trägt sie vor, es sei nicht sicher, daß die neue Organisation und das neue Verfahren alle Garantien für Unparteilichkeit böten, die die Kommission ihnen in ihrer Klagebeantwortung zuschreibe, macht aber nunmehr geltend, daß sie die Garantien, die das neue Verfahren biete, nicht habe nutzen können, weil dieses im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung gelangt sei.

38 Um den offenbaren Widerspruch im Vorbringen der Klägerin aufzulösen, die sich beklagt, nicht in den Genuß des alten, aber auch nicht in den des neuen Verfahrens gelangt zu sein, ist davon auszugehen, daß die Klägerin auf dem Standpunkt steht, ihre Verteidigungsrechte seien verletzt worden, weil die Dienste der Kommission während des Ablaufs des Verwaltungsverfahrens, das mit dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung seinen Abschluß gefunden habe, umgestaltet und mithin nacheinander das alte und das neue Verfahren auf sie angewandt worden seien, was dazu geführt habe, daß jedes dieser Verfahren der Garantien verlustig gegangen sei, die es je für sich geboten habe.

39 Nach Auffassung des Gerichts ist die Entscheidung nicht deshalb rechtswidrig, weil im Verwaltungsverfahren bestimmte Beamte der Kommission zugleich die Aufgaben der Ermittlung und der Berichterstattung wahrgenommen haben. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes kann nämlich die Kommission nicht als "Gericht" im Sinne des Artikels 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention angesehen werden. Die Kommission muß allerdings in dem von ihr durchgeführten Verwaltungsverfahren die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien beachten. Die Kommission hat deshalb nach Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 vor einer Entscheidung den Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den ihnen gegenüber in Betracht gezogenen Beschwerdepunkten zu äussern. Durch ihre Verordnung (EWG) Nr. 99/63 vom 25. Juli 1963 über die Anhörungen nach Artikel 19 der Verordnung Nr. 17 (ABl. 1963, Nr. 127, S. 2268) hat die Kommission ausserdem ein kontradiktorisches Verfahren eingeführt, in dessen Rahmen sie die Beschwerdepunkte den Unternehmen mitteilen muß, die sich innerhalb einer festgesetzten Frist schriftlich dazu äussern können; gegebenenfalls, insbesondere wenn die Kommission Geldbussen festsetzen will, kann eine Anhörung der betroffenen Unternehmen durchgeführt werden. Gemäß Artikel 4 der Verordnung Nr. 99/63 darf die Kommission in ihren Entscheidungen nur die Beschwerdepunkte in Betracht ziehen, zu denen sich die Unternehmen, gegen die die Entscheidung gerichtet ist, äussern konnten. Diese Bestimmungen sind Ausdruck eines fundamentalen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts, nach dem in allen Verfahren, auch in Verwaltungsverfahren, rechtliches Gehör gewährt werden und insbesondere dem betroffenen Unternehmen Gelegenheit gegeben werden muß, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der behaupteten Tatsachen und Umstände sowie zu den von der Kommission für die Behauptung einer Zuwiderhandlung gegen den EWG-Vertrag herangezogenen Unterlagen Stellung zu nehmen (Urteil des Gerichtshofes vom 7. Juni 1983 in den verbundenen Rechtssachen 100/80 bis 103/80, Musique Diffusion Française/Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnrn. 7 bis 10).

40 Die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien schreiben jedoch der Kommission nach Auffassung des Gerichts nicht vor, ihre interne Organisation so auszugestalten, daß nicht ein und demselben Beamten in der gleichen Sache sowohl die Aufgabe der Ermittlung als auch die der Berichterstattung zukommt.

41 Auch wenn die auf die interne Organisation der Kommission gestützte Rüge insoweit zurückgewiesen werden muß, bietet das Gemeinschaftsrecht aber alle notwendigen Voraussetzungen, um die Rügen der Verletzung der Verteidigungsrechte der Klägerin zu prüfen und ihnen gegebenenfalls stattzugeben.

42 Im übrigen muß festgestellt werden, daß die Klägerin nicht hat angeben können, inwiefern die Verletzung ihrer Verteidigungsrechte und die von ihr behaupteten tatsächlichen Fehler der beanstandeten Umgestaltung der Generaldirektion Wettbewerb zuzuschreiben seien.

43 Die einschlägigen Bestimmungen über das Mandat des Anhörungsbeauftragten im Anhang des Dreizehnten Berichts über die Wettbewerbspolitik lauten wie folgt:

"Artikel 2

Der Anhörungsbeauftragte hat die Aufgabe, für einen geregelten Ablauf der Anhörung Sorge zu tragen und dadurch zur Objektivität sowohl der Anhörung als auch der späteren Entscheidung beizutragen. Er wacht insbesondere darüber, daß alle für die Beurteilung des Falles erheblichen Umstände tatsächlicher Art, gleichgültig, ob sie für die Beteiligten günstig oder ungünstig sind, bei der Ausarbeitung von Entwürfen zu kartellrechtlichen Entscheidungen der Kommission angemessen berücksichtigt werden. Bei der Ausübung seiner Tätigkeit achtet der Anhörungsbeauftragte darauf, daß die Rechte der Verteidigung gewahrt bleiben; er berücksichtigt dabei zugleich die Notwendigkeit, die Wettbewerbsregeln in Übereinstimmung mit den geltenden Vorschriften und den vom Gerichtshof entwickelten Rechtsgrundsätzen in wirksamer Weise anzuwenden.

...

Artikel 5

Der Anhörungsbeauftragte berichtet dem Generaldirektor für Wettbewerb über den Ablauf der Anhörung und über die Schlußfolgerungen, die er aus ihr zieht. Er äussert sich zu dem weiteren Verlauf des Verfahrens; dabei kann er die Einholung von weiteren Auskünften, den Verzicht auf bestimmte Beschwerdepunkte oder die Mitteilung zusätzlicher Beschwerdepunkte anregen.

Artikel 6

Zur Erfuellung der ihm in Artikel 2 übertragenen Aufgaben kann der Anhörungsbeauftragte seine Bemerkungen unmittelbar dem für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglied der Kommission vortragen, sobald diesem der für den Beratenden Ausschuß für Kartell- und Monopolfragen bestimmte Entscheidungsentwurf unterbreitet worden ist.

Artikel 7

Um zu gewährleisten, daß die Kommission über alle Umstände des jeweiligen Einzelfalles unterrichtet ist, bevor sie ihre Entscheidung trifft, kann das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission auf Antrag des Anhörungsbeauftragten anordnen, daß dessen abschließende Stellungnahme dem Entscheidungsentwurf beigefügt wird."

44 Die Erklärungen, die die Klägerin dem Anhörungsbeauftragten zuschreibt, waren Unterstellungen gegenüber der Kommission und gingen daher über den Rahmen seines Mandats hinaus. Die Klägerin kann sich zur Begründung ihrer Weigerung, an den Anhörungen teilzunehmen, nicht auf diese Unterstellungen berufen und dann geltend machen, ihre Verteidigungsrechte seien beeinträchtigt worden.

45 Die Rüge muß daher zurückgewiesen werden.

2. Unterlassene Übermittlung von Schriftstücken anläßlich

der Mitteilung der Beschwerdepunkte

46 Die Klägerin führt in ihren Schriftsätzen eine Anzahl von Schriftstücken oder Reihen von Schriftstücken an, die die Kommission ihrer Entscheidung zugrunde gelegt, auf die sie aber bei der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht aufmerksam gemacht habe. Die Kommission habe es ihr damit unmöglich gemacht, sich zum Inhalt dieser Schriftstücke zu äussern, und mithin ihre Verteidigungsrechte beeinträchtigt.

47 Unter diesen Schriftstücken befinden sich der Klägerin zufolge ein angeblich bei Solvay gefundenes Schriftstück vom 6. September 1977, in dem über ein Treffen zwischen einem Angestellten von Solvay und einem Angestellten der Klägerin berichtet werde (Entscheidung, Randnr. 16, vorletzter Absatz), sowie eine Reihe von bei ATO gefundenen Schriftstücken über den Austausch von Informationen über die Lieferungen der französischen Hersteller und die Anwendung von Quoten auf dem französischen Markt im Jahre 1979 (Entscheidung, Randnr. 15, Buchstabe h), die beide weder in den Mitteilungen der Beschwerdepunkte an sie genannt noch diesen als Anlage beigefügt gewesen seien.

48 Zwei weitere Schriftstücke, die sie der Kommission als Anlage zu ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte übermittelt habe, seien in der Entscheidung gegen sie verwendet worden, ohne daß sie sich zu ihrem Inhalt habe äussern können, weil sie nicht gewusst habe, daß sie gegen sie verwendet werden könnten. Es handele sich um zwei Berichte über interne Sitzungen der Klägerin vom 5. Juli bzw. 12. September 1979 (Entscheidung, Randnrn. 29 und 31).

49 Die Kommission habe, weil sie ihr keine Gelegenheit gegeben habe, sich zum Beweiswert dieser Unterlagen zu äussern, falsche Schlüsse aus ihnen gezogen und insbesondere die in diesen Schriftstücken möglicherweise enthaltenen entlastenden Umstände nicht berücksichtigt. In den bei ATO gefundenen Schriftstücken werde Shell Chimie (Frankreich) nicht genannt; dies zeige, daß die Unternehmen von Shell an den Quotenvereinbarungen nicht beteiligt gewesen seien. Das bei Solvay aufgefundene Schriftstück enthalte keinerlei Hinweis auf Preisvereinbarungen, womit die Annahme solcher Vereinbarungen für 1977 widerlegt sei.

50 Im übrigen verwerte die Kommission in der Entscheidung zwei Schriftstücke zur Stützung anderer Vorwürfe als der, die sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte stützen sollten. Es handele sich zum einen um einen internen Shell-Vermerk vom 20. Oktober 1982 über eine interne Shell-Sitzung vom 7. September 1982, der in der Mitteilung der individuellen Beschwerdepunkte an sie (Anlage 30) als Nachweis für eine Preisvereinbarung Ende 1982 herangezogen worden sei, während dieses Schriftstück in der Entscheidung (Randnr. 68 Absatz 2) als Beleg für die Behauptung herangezogen werde, die Klägerin habe zu den "Führern" des Kartells gehört und mit den drei anderen sogenannten "Führern" Ende 1982 eine Preis- und/oder Quotenvereinbarung getroffen. Zum anderen handele es sich um ein internes Schriftstück von Shell mit der Bezeichnung "PP W. Europe-Pricing" (Mitteilung der individuellen Beschwerdepunkte an Shell, Anlage 49, nachstehend: ind. Bpkte. Shell, Anl.), auf das sich die Kommission in der Mitteilung der individuellen Beschwerdepunkte an die Klägerin bezogen habe, um die Beteiligung von Shell an einer Quotenvereinbarung für 1983 zu beweisen, während sie dieses Schriftstück in Randnummer 49 der Entscheidung zum Nachweis einer Beteiligung der Klägerin an einer Preisvereinbarung im Juli 1983 verwende. Da ein Unternehmen, das von der Kommission beschuldigt werde, gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossen zu haben, nicht jedes Schriftstück in der Anlage zur Mitteilung der Beschwerdepunkte durchgehen und nicht jede Schlußfolgerung wiedergeben könne, die sich seiner Ansicht nach aus diesem Schriftstück ziehen lasse, dürfe die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte angeführte Schriftstücke in der Entscheidung nicht zur Stützung anderer als der in dieser Mitteilung erhobenen Vorwürfe verwenden.

51 Nach Ansicht der Kommission hat sie der Klägerin Gelegenheit gegeben, zu allen sie betreffenden Schriftstücken, die gegen sie angeführt werden könnten, in geeigneter Weise Stellung zu nehmen. Entweder hätten die bei ATO gefundenen Schriftstücke die bei ICI sichergestellten lediglich bestätigt und seien der Klägerin übermittelt worden, oder sie hätten die Klägerin nicht betroffen und hätten ihr daher nicht übermittelt werden müssen.

52 Das in Randnummer 16 Absatz 5 der Entscheidung angeführte Schriftstück von Solvay sei der Klägerin während des Verfahrens der Akteneinsicht zugänglich gemacht und bei dieser Gelegenheit von dieser abgelichtet worden. Dieses Schriftstück werde ausserdem in der Entscheidung in erster Linie verwendet, um den Beginn der Beteiligung von Solvay an der Zuwiderhandlung zu belegen, und bestätige beiläufig, daß zu dieser Zeit entsprechende Diskussionen stattgefunden hätten.

53 Bezueglich der beiden internen Shell-Vermerke vom 5. Juli und 12. September 1979 weist die Kommission darauf hin, daß der erstgenannte lediglich eine Einzelheit des Zeitplans für die Preisinitiativen von 1979 bestätige und die Klägerin, da sie diesen selbst vorgelegt habe, sich dessen Bedeutung habe bewusst sein und ihn von sich aus hätte kommentieren müssen; Gleiches gelte für den zweiten Vermerk.

54 Bezueglich der Rüge, das Schriftstück mit der Bezeichnung "PP W. Europe-Pricing" zur Stützung anderer als der in der Mitteilung der Beschwerdepunkte angeführten Vorwürfe verwendet zu haben, räumt die Kommission ein, daß dieses Schriftstück in den Mitteilungen der Beschwerdepunkte an die Klägerin eigentlich nur in Zusammenhang mit der Festlegung von Quoten für 1983 genannt worden sei, während es in der Entscheidung zum Nachweis der Beteiligung der Klägerin an der Preisinitiative vom Juli 1983 verwendet werde. Wegen des engen Zusammenhangs zwischen diesen beiden Punkten hätte sich die Klägerin aber bewusst sein müssen, daß die Nennung eines "Ziels für Juli" in diesem Schriftstück gegen sie verwandt werden könne.

55 Das Gericht stellt fest, daß nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht die Schriftstücke als solche entscheidend sind, sondern die Schlußfolgerungen, die die Kommission daraus gezogen hat. Wenn diese Schriftstücke in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht erwähnt worden sind, so kann das betroffene Unternehmen zu Recht davon ausgehen, daß sie für das Verfahren bedeutungslos sind. Teilt die Kommission einem Unternehmen nicht mit, daß gewisse Schriftstücke in der Entscheidung verwendet werden sollen, so hindert sie es daran, sich rechtzeitig zur Beweiskraft dieser Schriftstücke zu äussern. Diese Schriftstücke können deshalb nicht als gültige Beweismittel gegen das Unternehmen angesehen werden (Urteil des Gerichtshofes vom 25. Oktober 1983 in der Rechtssache 107/82, AEG-Telefunken/Kommission, Slg. 1983, 3151, Randnr. 27, und zuletzt Urteil vom 3. Juli 1991 in der Rechtssache C-62/86, AKZO Chemie/Kommission, Slg. 1991, I-3359, Randnr. 21).

56 Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, daß nur die Schriftstücke, die in den Mitteilungen der gemeinsamen oder der individuellen Beschwerdepunkte oder in dem Schreiben vom 29. März 1985 erwähnt oder die diesen ohne besondere Erwähnung als Anlagen beigefügt waren, der Klägerin im Rahmen des vorliegenden Verfahrens als Beweismittel entgegengehalten werden können. Die den Mitteilungen der Beschwerdepunkte als Anlagen beigefügten, dort aber nicht erwähnten Schriftstücke können in der Entscheidung nur dann gegen die Klägerin verwendet werden, wenn diese den Mitteilungen der Beschwerdepunkte bei vernünftiger Betrachtung entnehmen konnte, welche Schlüsse die Kommission daraus ziehen wollte.

57 Demnach können das in Randnummer 16, vorletzter Absatz der Entscheidung genannte, bei Solvay gefundene Schriftstück vom 6. September 1977 und die in Randnummer 15 Buchstabe h der Entscheidung aufgeführten, bei ATO sichergestellten Schriftstücke nicht als Beweismittel gegen die Klägerin verwendet werden; dies hindert die Klägerin allerdings nicht daran, sie als Beweise zu ihrer Entlastung heranzuziehen.

58 Die Frage, ob die letztgenannten Schriftstücke eine unerläßliche Stütze für die tatsächlichen Feststellungen bilden, die die Kommission in der Entscheidung zu Lasten der Klägerin getroffen hat, gehört zur Prüfung der Begründetheit dieser Feststellungen durch das Gericht.

59 Demgegenüber sind die beiden Berichte über interne Shell-Sitzungen, die die Klägerin ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte als Anlage beigefügt hatte und die in Randnummern 29 und 31 der Entscheidung angeführt sind, als Beweismittel zu betrachten, die der Klägerin im Rahmen des vorliegenden Verfahrens entgegengehalten werden können. Als die Klägerin diese Schriftstücke im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vorlegte, musste sie sich der Gefahr bewusst gewesen sein, daß die Kommission diese Schriftstücke als Beweismittel gegen sie verwenden würde. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 29. Oktober 1980 in den verbundenen Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, Van Landewyck/Kommission, Slg. 1980, 3125, Randnr. 68) braucht die Entscheidung nämlich nicht notwendig ein Abbild der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu sein. Die Kommission muß die Ergebnisse des Verwaltungsverfahrens berücksichtigen, sei es, um bestimmte Beschwerdepunkte fallenzulassen, die sich als nicht ausreichend begründet erwiesen haben, sei es, um ihre Argumente, auf die sie die aufrechterhaltenen Beschwerdepunkte stützt, in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht neu zu ordnen oder zu ergänzen. Die letztere Möglichkeit steht nicht mit dem Grundsatz der Wahrung des rechtlichen Gehörs, den Artikel 4 der Verordnung Nr. 99/63 enthält, in Widerspruch.

60 Die Kommission konnte daher ohne weiteres zur Stützung der der Klägerin bereits bekanntgegebenen Beschwerdepunkte auf Schriftstücke zurückgreifen, die diese im Rahmen des Verwaltungsverfahrens selbst vorgelegt hatte.

61 Zu der Rüge, die Anlage 30 der an die Klägerin gerichteten Mitteilung der individuellen Beschwerdepunkte in der Entscheidung zur Stützung anderer Vorwürfe verwendet zu haben als der, die die Anlage in dieser Mitteilung stützen sollte, ist festzustellen, daß das erste dieser Schriftstücke die Anlage 100 der Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte (nachstehend: gem. Bpkte., Anl.) bildet und dort (Randnr. 124) zur Stützung der Vorwürfe in Zusammenhang mit der besonderen Rolle der "grossen Vier" verwendet wird, wie dies auch in Randnummer 68 Absatz 2 der Entscheidung der Fall ist.

62 Die Anlage 49 der Mitteilung der individuellen Beschwerdepunkte, die in Randnummer 49 der Entscheidung angeführt wird, um den Vorwurf des Abschlusses einer Preisvereinbarung im Juli 1983 zu stützen, während sie in der Mitteilung der individuellen Beschwerdepunkte herangezogen wurde, um die Beteiligung der Klägerin an einer Quotenregelung zu beweisen, kann in der Entscheidung nur dann gegen die Klägerin verwendet werden, wenn diese den Mitteilungen der Beschwerdepunkte und dem Inhalt der Schriftstücke bei vernünftiger Betrachtung entnehmen konnte, welche Schlüsse die Kommission daraus zu ziehen gedachte. Im vorliegenden Fall ist zum einen festzustellen, daß sowohl in der Mitteilung der individuellen Beschwerdepunkte an die Klägerin (Seite 8, Buchstabe h) als auch in der Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte (Randnr. 74) auf die Beteiligung von Shell an der Preisinitiative für Juni und Juli 1983 hingewiesen wird, und zum anderen, daß die Klägerin den ersten beiden Sätzen dieses Schriftstücks bei vernünftiger Betrachtung die Schlüsse entnehmen konnte, die die Kommission zur Stützung der von ihr erhobenen Vorwürfe aus ihm zu ziehen gedachte. In diesem Schriftstück heisst es nämlich:

"Despite 100 % loading of W. European PP effective industrial production capacity, prices have generally fallen from 1.85/1.95 DM/kg (' marker' grade - tape, raffia) in December 1982 to approx. 1.70 DM (groß) in May, June 1983.

This paper provides data on PP supply, demand and pricing to show the cost to the Group of failing to use the present opportunity for a general increase of prices."

("Trotz 100%iger Ausnutzung der tatsächlichen industriellen Produktionskapazität für Polypropylen in Westeuropa sind die Preise im allgemeinen von 1,85/1,95 DM/kg [' Leit' -Sorte - Band, Raffia] im Dezember 1982 auf etwa 1,70 DM [brutto] im Mai, Juni 1983 gefallen.

Dieser Vermerk liefert Daten zum Umsatz, zur Nachfrage und zur Preisgestaltung bei Polypropylen, um der Gruppe zu zeigen, was es kosten würde, wenn die jetzige Gelegenheit zu einer allgemeinen Preiserhöhung ungenutzt bliebe.")

63 Demnach konnte die Kommission dieses Schriftstück zur Stützung des Vorwurfs des Abschlusses einer Preisvereinbarung im Juli 1983 heranziehen.

3. Neue Vorwürfe

64 Die Klägerin trägt zur Tatsachenfeststellung vor, die Kommission habe in ihrer Entscheidung verschiedene Vorwürfe erhoben, die in den an sie gerichteten Mitteilungen der Beschwerdepunkte nicht enthalten gewesen seien. Dies gelte für ihre angebliche Beteiligung an einer Preisinitiative im Juli 1979 (Entscheidung, Randnr. 30) sowie für ihre Teilnahme an Sitzungen im Jahre 1981, die die Kommission zur Begründung ihres Vorwurfs bezueglich der Rolle der vier grossen Hersteller, darunter der Klägerin, heranziehe (Entscheidung, Randnrn. 19, 57, 67, 68, 78 und 109).

65 Die Kommission legt dar, die in der Entscheidung erhobenen Vorwürfe seien allesamt entweder in der Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte oder in der Mitteilung der individuellen Beschwerdepunkte an die Klägerin oder aber in dem Schreiben vom 29. März 1985 aufgeführt.

66 Das Gericht stellt fest, daß der in Randnummer 30 der Entscheidung erhobene Vorwurf in der Anlage A des Schreibens der Kommission vom 29. März 1985 an die Klägerin (nachstehend: Schreiben vom 29. März 1985, Anl. A) erwähnt ist, das die vorangegangenen Mitteilungen der Beschwerdepunkte verdeutlichen und ergänzen sollte.

67 Der Hinweis in den Randnummern 19, 57, 67, 68, 78 und 109 der Entscheidung auf die Teilnahme der Klägerin an Sitzungen mit ICI und Monte im Jahre 1981, mit dem die Kommission die besondere Rolle der Klägerin bei der Führung des Kartells aufzeigen will, ist in keiner Weise neu, weil diese Teilnahme in Randnummer 118 der Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte unter der Überschrift "Die besondere Rolle der grossen Vier", die der Klägerin individuell entgegengehalten werden kann, sowie in Randnummer 2 Buchstabe a der an sie gerichteten Mitteilung der individuellen Beschwerdepunkte ausdrücklich erwähnt wird.

68 Die Rüge ist daher zurückzuweisen.

Zur Feststellung der Zuwiderhandlung

69 Nach Randnummer 80 Absatz 1 der Entscheidung haben sich die Polypropylenhersteller, die die Gemeinschaft beliefern, seit 1977 an einer ganzen Reihe von Plänen, Absprachen und Maßnahmen beteiligt, die im Rahmen eines Systems regelmässiger Sitzungen und ständiger Kontakte beschlossen worden seien. Der allgemeine Plan der Hersteller sei es gewesen, sich über spezifische Angelegenheiten zu einigen (Entscheidung, Randnr. 80 Absatz 2). Ein Verhalten könne also als aufeinander abgestimmte Verhaltensweise unter Artikel 85 Absatz 1 fallen, auch wenn sich die Partner vorher nicht über einen gemeinsamen Plan für ihr Marktverhalten geeinigt hätten, sondern lediglich Absprachen träfen oder sich an Absprachen beteiligten, die die Koordinierung kommerziellen Verhaltens erleichterten. In mancher Hinsicht trügen die fortgesetzte Zusammenarbeit und Absprache der Hersteller bei der Durchführung der Gesamtvereinbarung Zuege einer aufeinander abgestimmten Verhaltensweise (Entscheidung g, Randnr. 87 Absatz 3).

70 Unter diesen Umständen ist zunächst zu prüfen, ob der Kommission rechtlich der Beweis für ihre tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich der Mindestpreisvereinbarung von 1977 (A), der Kontakte der Klägerin mit den Teilnehmern der "Chef"- und "Experten"-Sitzungen (B), der Preisinitiativen, der Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen und der Festsetzung von Absatzzielen und Quoten (C) für die Jahre 1979 und 1980 (C.1), für das Jahr 1981 (C.2), für das Jahr 1982 (C.3) und für das Jahr 1983 (C.4) gelungen ist; dabei sind jeweils zunächst die angefochtene Handlung (a) und das Vorbringen der Parteien (b) darzulegen und sodann zu würdigen (c). Danach ist die Begründetheit des allgemeinen Vorbringens der Klägerin zu den tatsächlichen Feststellungen zu würdigen (D) und schließlich die Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag auf diese Tatsachen zu überprüfen.

1. Die tatsächlichen Feststellungen

A - Die Mindestpreisvereinbarung

a) Angefochtene Handlung

71 In der Entscheidung (Randnr. 16 Absätze 1, 2 und 3; siehe auch Randnr. 67 Absatz 1) heisst es, daß im Jahr 1977 die etablierten Hersteller, nachdem in Westeuropa sieben neue Polypropylenerzeuger die Produktion aufgenommen hätten, Gespräche miteinander aufgenommen hätten, um einen Preisverfall und damit verbundene Verluste zu vermeiden. Als Folge dieser Gespräche hätten die Haupthersteller - Monte, Hoechst, ICI und die Klägerin - eine "Mindestpreisvereinbarung" ("floor price agreement") getroffen, die am 1. August 1977 habe in Kraft treten sollen. Mit der ursprünglichen Vereinbarung sei keine Mengenkontrolle verbunden gewesen. Für den Fall, daß sich die Vereinbarung als erfolgreich erweisen sollte, seien für 1978 jedoch mengenmässige Beschränkungen vorgesehen worden. Die Vereinbarung habe zunächst für vier Monate gelten sollen; Einzelheiten der Vereinbarung seien den anderen Herstellern mitgeteilt worden, darunter auch Hercules, deren Marketingdirektor als Grundlage für die Mindestpreise der Hauptsorten in den einzelnen Mitgliedstaaten einen Raffia-Preis von 1,25 DM/kg genannt habe. FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 689A0011.1

72 Laut der Entscheidung (Randnr. 16 Absatz 5) räumen ICI und die Klägerin ein, daß es Kontakte mit anderen Herstellern gegeben habe, um zu prüfen, wie dem Preisverfall Einhalt geboten werden könne. Nach den Angaben von ICI sei möglicherweise ein Preisniveau vorgeschlagen worden, unter das die Preise nicht hätten abrutschen dürfen. Von ICI und der Klägerin werde bestätigt, daß die Gespräche nicht auf die "grossen Vier" begrenzt gewesen seien. Aus einer bei Solvay aufgefundenen Unterlage vom 6. September 1977 gehe hervor, daß am 30. August 1977 eine Sitzung zwischen Solvay und Shell stattgefunden habe. Hercules zumindest sei über das Ergebnis der Preisgespräche sehr gut unterrichtet gewesen, die Identität der anderen seinerzeit an den Gesprächen beteiligten Hersteller habe sich jedoch nicht feststellen lassen. Nach Randnummer 78 Absatz 3 der Entscheidung ist allerdings die von Monte, Hoechst, ICI und Shell betriebene Preisinitiative vom 1. Dezember 1977 ausdrücklich zumindest von fünf weiteren Herstellern unterstützt worden. Genaue Einzelheiten der Handhabung der Mindestpreisvereinbarung hätten sich nicht ermitteln lassen. Jedoch habe im November 1977 Monte, nachdem der Raffia-Preis auf rund 1,00 DM/kg gesunken sei, eine Anhebung auf 1,30 DM/kg angekündigt, die am 1. Dezember habe wirksam werden sollen. Am 25. November habe es in der Fachpresse geheissen, daß die drei anderen Haupthersteller das Vorgehen von Monte mit ähnlichen Preiserhöhungen unterstützten, die für den gleichen Tag oder später im Dezember geplant seien.

73 In der Entscheidung (Randnr. 17 Absätze 1 und 2) wird darauf hingewiesen, daß etwa um die gleiche Zeit die regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller begonnen hätten. ICI habe behauptet, daß erst im Dezember 1977 Sitzungen abgehalten worden seien, habe aber eingeräumt, daß es schon davor zu Kontakten zwischen Herstellern gekommen sei, vermutlich auf telefonischem Wege und auf einer Ad-hoc-Basis. Die Klägerin habe erklärt, daß ihre Geschäftsführer "vielleicht mit Montepolimeri im oder um November 1977 über Preise gesprochen haben und Montepolimeri die Möglichkeit von Preiserhöhungen erwähnt und (Shells) Ansichten zu ihren Reaktionen auf Erhöhungen eingeholt hat". Shell habe folglich zu den Herstellern gehört, die im Anschluß an die Mindestpreisvereinbarung eine Initiative zum 1. Dezember 1977 betrieben hätten (Randnr. 78 Absatz 3). Während es, wie es in der Entscheidung (Randnr. 17 Absatz 3) weiter heisst, keine unmittelbaren Beweise dafür gebe, daß vor Dezember 1977 Gruppensitzungen zur Preisfestsetzung stattgefunden hätten, hätten die Hersteller in den Sitzungen eines Fachverbands der Kunden, der "European Association for Textile Polyolefins" (nachstehend: EATP), die im Mai und November 1977 veranstaltet worden sei, bereits über die erkannte Notwendigkeit einer gemeinsamen Aktion zur Anhebung des Preisniveaus gesprochen. Hercules habe im Mai 1977 betont, daß die "traditionellen Marktführer" die Initiative ergreifen sollten, während Hoechst erklärt habe, daß die Preise ihres Erachtens um 30 bis 40 % höher sein müssten.

74 In diesem Zusammenhang wirft die Entscheidung (Randnrn. 17 Absatz 4, 78 Absatz 3 und 104 Absatz 2) einer Reihe von Herstellern, zu denen die Klägerin nicht gehört, vor, erklärt zu haben, die Ankündigung von Monte in einem Bericht der Fachpresse (European Chemical News, nachstehend: ECN) vom 18. November 1977, den Raffiapreis auf 1,30 DM/kg ab dem 1. Dezember anzuheben, zu unterstützen. Aus den bei dem EATP-Treffen vom 22. November 1977 abgegebenen verschiedenen Erklärungen ergebe sich laut Sitzungsprotokoll, daß der von Monte festgesetzte Preis von 1,30 DM/kg von den anderen Herstellern als allgemeiner "Zielpreis" angenommen worden sei.

b) Vorbringen der Parteien

75 Nach Ansicht der Klägerin stützt sich die Kommission zum Beweis für die angebliche Mindestpreisvereinbarung allein auf einen aus der ersten Hälfte des Jahres 1977 stammenden handgeschriebenen Vermerk des Marketingmanagers von Hercules (gem. Bpkte., Anl. 2). Dieser Vermerk, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung als "scrappy handwritten note" ("Gekritzel") bezeichnet hat, könne nicht als Beweismittel herangezogen werden, wenn man die Bedingungen, unter denen er verfasst worden sei, die Mehrdeutigkeit seines Inhalts und die Schwierigkeiten seiner Auslegung berücksichtige. Hercules habe nämlich in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen der Kommission zu verstehen gegeben, daß der Verfasser dieses Vermerks sich nicht mehr an die Umstände erinnere, unter denen er dieses Schriftstück verfertigt habe, aber glaube, daß es sich um einen Vermerk über den Telefonanruf eines anderen Herstellers, "vielleicht ICI", handele (ind. Bpkte. Hercules, Anl. 1). Ausserdem stammten die Behauptungen in diesem Vermerk nur aus zweiter Hand, ohne daß sich ermitteln lasse, wer die Mittelsmänner seien, die sich völlig getäuscht oder nur ein Gerücht auf dem Markt wiederholt oder auch nur diese zwischen den "grossen Vier" geschlossene Vereinbarung erfunden haben könnten, um Hercules als Neuankömmling, der sich einen Marktanteil habe sichern wollen, dazu zu bewegen, nicht unterhalb der Marktpreise zu verkaufen.

76 Auf jeden Fall zeigten die Berichte über die internen Shell-Sitzungen, daß die Unternehmen der Shell-Gruppe zu dieser Zeit eine Geschäftspolitik der "key accounts" ("Schlüsselkunden") verfolgt hätten, die mit dem Abschluß oder der Durchführung einer Preisvereinbarung völlig unvereinbar gewesen sei. Ausserdem sei nicht bewiesen, daß die Hersteller versucht hätten, den angeblichen Mindestpreis durchzusetzen.

77 Das bei Solvay aufgefundene Schriftstück, wonach sich Solvay und die Shell SA, ihre belgische Produktionsgesellschaft, am 30. August 1977 getroffen hätten, um über den Polypropylenpreis zu sprechen, könne im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht gegen sie verwendet werden und beweise überdies in keiner Weise das Bestehen rechtwidriger Preisvereinbarungen. Sein Inhalt spreche vielmehr für das Gegenteil, weil er keinerlei Hinweise auf solche Vereinbarungen enthalte. Nur weil die Kommission die Antwort der Klägerin auf das Auskunftsverlangen selektiv und einseitig wiedergebe, könne sie behaupten, die Beteiligung der Klägerin an der angeblichen Mindestpreisvereinbarung aus dieser Antwort abzuleiten.

78 Im übrigen stütze sich die Entscheidung im Gegensatz zur Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht mehr auf die Erklärungen der Klägerin in den EATP-Sitzungen, sondern nur noch auf angebliche Gespräche über Preise zwischen ihr und Monte sowie auf eine Verlautbarung von Shell in den ECN (gem. Bpkte., Anl. 3), in der sie im Anschluß an die Ankündigung einer Preiserhöhung im November 1977 eine Erhöhung der Preise befürwortet haben solle. Die beiden letztgenannten Gesichtspunkte reichten offenkundig nicht aus, um eine Verletzung des Artikels 85 Absatz 1 durch die Shell-Unternehmen im November 1977 annehmen zu können.

79 In ihrer Erwiderung macht die Klägerin schließlich geltend, die Kommission könne vor dem Gericht nicht die Auffassung vertreten, daß die Vereinbarung vom November 1977 nur die verspätete Durchführung der angeblich Mitte 1977 abgeschlossenen Mindestpreisvereinbarung sei. Eine solche Behauptung sei nämlich während des Verwaltungsverfahrens und auch in der Entscheidung niemals aufgestellt worden und sei jedenfalls nicht begründet, weil die behauptete Vereinbarung von Mitte 1977, mit der die Preise auf 1,25 DM/kg festgesetzt worden seien, die Verluste habe "stoppen" und zum 1. August durchgeführt werden sollen, während die Vereinbarung vom November auf eine Anhebung des Preises zum 1. Dezember auf 1,30 DM/kg abgezielt habe. Insoweit habe die Kommission nicht den Beweis erbracht, daß zwischen diesen beiden angeblichen Vereinbarungen eine Verbindung bestehe.

80 Die Kommission erläutert, daß der Vermerk des Marketingdirektors von Hercules (gem. Bpkte., Anl. 2) nicht das einzige Schriftstück sei, auf das sie sich zum Nachweis der Mindestpreisvereinbarung stütze. Dieser Vermerk müsse im Zusammenhang mit den Kontakten zwischen der Klägerin und anderen Herstellern wegen der Festsetzung der Preise gesehen werden, die die Klägerin in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte (Randnrn. 3.10 bis 3.15) eingeräumt habe. Angesichts dieses Zusammenhangs habe die Kommission davon ausgehen dürfen, daß dieser Vermerk das Bestehen einer Mindestpreisvereinbarung verläßlich, genau und detailliert beweise, auch wenn nicht ICI, sondern ein anderer Hersteller Hercules informiert habe. Das bei Solvay aufgefundene Schriftstück werde in der Entscheidung in erster Linie verwendet, um den Zeitpunkt nachzuweisen, zu dem Solvay sich an den Gesprächen über die Preise erstmals beteiligt habe, und bestätige, daß Diskussionen hierüber sehr wohl stattgefunden hätten, wie die Klägerin im übrigen auch zugebe.

81 Die Schriftstücke, die ein wettbewerbsorientiertes Verhalten der Klägerin nachweisen sollten, seien unerheblich, denn die Kommission dürfe zu Recht Schriftstücke heranziehen, die einen Hinweis auf Absprachen enthielten, auch wenn daneben entgegengesetzte Erklärungen und Unterlagen vorlägen, die einen regen Wettbewerb erkennen ließen.

82 Zu der Vereinbarung vom November 1977 trägt die Kommission vor, daß die Entscheidung nach dem Nachweis der Beteiligung der Klägerin an der Mindestpreisvereinbarung keine selbständige Preisinitiative im November 1977 festgestellt habe, sondern lediglich, daß die Mindestpreisvereinbarung in mehreren Stufen durchgeführt worden sei. Dies werde dadurch belegt, daß die Entscheidung (Randnrn. 16 und 17) die ursprüngliche Mindestpreisvereinbarung und die Initiative vom November 1977 zusammen unter der gleichen Überschrift "Die ursprüngliche Mindestpreisvereinbarung" behandele und sie damit nicht unterschieden habe.

83 Der unterschiedliche Zielpreis (1,25 DM/kg für den Sommer und 1,30 DM/kg für November) sei schließlich dadurch zu erklären, daß Monte nach der Feststellung eines Preisrückgangs auf 1,00 DM/kg in diesem Zeitraum bemerkt habe, daß beträchtliche Anstrengungen erforderlich seien, um das erwünschte Niveau zu erreichen. Deshalb habe sie einen Zielpreis festgelegt, der etwas höher gewesen sei als der, den sie zu erreichen gehofft habe.

c) Würdigung durch das Gericht

84 Das Gericht stellt fest, daß die Klägerin in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte erklärt hat:

"SICC/SCITCO has made enquiry of executives concerned with polypropylene in 1977. There is no record or recollection of such agreement (the alleged 'floor price' agreement in June 1977). On the basis of these enquiries, it appears likely that views were exchanged in 1977 with other producers, including Montepolimeri (then Montedison), Hoechst and ICI as to how the sharp fall in prices might be checked. SICC may have urged operating companies not to sell below a price level corresponding with variable cost. Shell operating companies however, were not prepared to lose market share to give effect to any such recommendation, for at that time they were following a policy of 'Key Accounts' ... SICC dös not accept that any discussions between producers in mid-1977 were limited to the 'Big Four' ... (g.g. ann. 2) itself makes clear that other companies were involved. Any such discussions were not in any way connected with subsequent multilateral meetings in the period 1978/1982, which SICC/SCITCO did not attend. With the flood of new capacity in 1977, market conditions were chaotic and producers were incurring serious financial losses. SICC dös not know what level of prices may have been considered in any discussions in mid-1977, but the price of 1.25 DM/kg referred to in the Hercules note cited ... would have barely covered variable production costs. In any event, as the Commission fairly acknowledges (paragraph 34 of the Statement of Objections), any attempt by producers to implement any such 'stop-loß' floor price agreement wholly failed in the face of the continuation of unbridled price competition ...

(Concerning) the alleged price initiative of November 1977, again, the same difficulties in reconstructing events many years ago arise as in the case of the alleged floor price agreement. However, SICC' s researches indicate that executives from the service company may have had discussions concerning price with Montepolimeri in or about November 1977 and Montepolimeri may have suggested the possibility of increasing prices and may have sought SICC' s views on its reactions to any increase. Shell companies continüd to lose heavily on their polypropylene businesses; SICC' s policy was to recommend the operating companies to support any moves towards increasing prices that would enable losses to be reduced but it recognised that other producers, particularly new entrants, would be likely to hold prices at uneconomic levels to win market share. In that event, Shell operating companies were obliged to meet competitors' offers to retain their market share and to ensure a minimum acceptable loading of the Shell polypropylene plants in Western Europe. For that reason and because of the Shell Group structure SICC could not give Montepolimeri or any producer a commitment that operating companies would sell at increased prices."

("SICC/SCITCO hat bei den 1977 für den Polypropylensektor verantwortlichen Angestellten Nachforschungen angestellt. Es gibt keine Aufzeichnungen über eine solche Vereinbarung [die angebliche Mindestpreisvereinbarung vom Juni 1977], und es erinnert sich auch keiner an eine solche. Diesen Nachforschungen zufolge dürfte wahrscheinlich 1977 mit anderen Herstellern, unter ihnen Montepolimeri [damals Montedison], Hoechst und ICI, erörtert worden sein, wie der jähe Preisverfall unter Kontrolle gebracht werden könne. Möglicherweise hat SICC die anderen Produktionsgesellschaften aufgefordert, nicht unterhalb eines die variablen Kosten deckenden Preisniveaus zu verkaufen. Die Shell-Produktionsgesellschaften waren indessen nicht bereit, Marktanteile zu opfern, um einer solchen Empfehlung nachzukommen, weil sie seinerzeit eine 'Schlüsselkunden' -Politik betrieben ... SICC bestreitet, daß Gespräche unter Herstellern Mitte 1977 auf die 'grossen Vier' beschränkt gewesen seien ... Anlage 2 der Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte macht klar, daß andere Unternehmen beteiligt waren. Diese Gespräche standen in keinem Zusammenhang mit den späteren mehrseitigen Treffen im Zeitraum 1978 bis 1982, an denen SICC/SCITCO nicht teilnahmen. Mit dem grossen Kapazitätszuwachs im Jahre 1977 wurden die Marktverhältnisse chaotisch, und die Hersteller erlitten ernsthafte finanzielle Verluste. SICC weiß nicht, welches Preisniveau in Gesprächen Mitte 1977 erörtert worden sein könnte, aber der in dem Hercules-Vermerk angeführte Preis von 1,25 DM/kg ... dürfte kaum die variablen Produktionskosten gedeckt haben. Auf jeden Fall scheiterte, wie die Kommission fairerweise einräumt [Randnummer 34 der Mitteilung der Beschwerdepunkte], jeder Versuch der Hersteller, eine solche Mindestpreisvereinbarung durchzuführen, um die 'Verluste zu stoppen' , völlig angesichts des anhaltenden ungehemmten Preiswettbewerbs ... [Bezueglich] der behaupteten Preisinitiative für November 1977 ergeben sich wiederum die gleichen Schwierigkeiten der Rekonstruktion längst vergangener Ereignisse wie bei der angeblichen Mindestpreisvereinbarung. Die Nachforschungen von SICC lassen aber erkennen, daß Geschäftsführer der Dienstleistungsgesellschaft vielleicht mit Montepolimeri im oder um November 1977 über Preise gesprochen haben und Montepolimeri die Möglichkeit von Preiserhöhungen vorgeschlagen und SICC' s Ansichten zu ihren Reaktionen auf Erhöhungen eingeholt hat. Die Shell-Unternehmen erlitten weiterhin bei ihren Polypropylengeschäften kräftige Verluste. Die Politik von SICC ging dahin, ihren Produktionsgesellschaften zu empfehlen, alle Initiativen für Preiserhöhungen, die eine Reduzierung der Verluste ermöglichten, zu unterstützen, doch war ihr klar, daß andere Hersteller, insbesondere Marktneulinge, die Preise wahrscheinlich auf unwirtschaftlichem Niveau halten würden, um Marktanteile zu gewinnen. In diesem Fall waren die Produktionsgesellschaften von Shell gehalten, sich den Angeboten der Wettbewerber anzupassen, um ihre Marktanteile zu erhalten und eine annehmbare Mindestauslastung der Shell-Polypropylenanlagen in Westeuropa sicherzustellen. Aus diesem Grund und wegen der Konzernstruktur von Shell konnte SICC sich gegenüber Montepolimeri oder anderen Herstellern nicht verpflichten, daß ihre Produktionsgesellschaften zu erhöhten Preisen verkaufen würden.")

85 Vor dem Hintergrund dieser Beweismittel ist der Vermerk des Marketingdirektors von Hercules (gem. Bpkte., Anl. 2) zu prüfen, in dem die Kommission die Willensübereinstimmung zwischen den "grossen Vier" erblickt. Dort heisst es:

"Major producers have made agreement (Mont., Hoechst, Shell, ICI) 1. No tonnage control; 2. System floor prices - DOM leß for importers; 3. Floor prices from July 1. definitely Aug. 1st when present contracts expire; 4. Importers restrict to 20 % for 1000 tonnes; 5. Floor prices for 4 month period only - alternative is for existing; 6. Com.[panies] to meet Oct. to review progreß; 7. Subject [of the] scheme working - Tonnage restrictions would operate next year".

("Haupthersteller [Mont., Hoechst, Shell, ICI] haben Vereinbarung geschlossen 1. Keine Mengenkontrolle; 2. Mindestpreissystem für einheimische Erzeuger, weniger für Importeure; 3. Mindestpreise ab 1. Juli, spätestens 1. August, wenn laufende Verträge auslaufen; 4. Importeure beschränken auf 20 % für 1 000 Tonnen; 5. Mindestpreise nur für vier Monate - Alternative für bestehende; 6. Treffen der Unternehmen Oktober zur Überprüfung des Fortschritts; 7. Vorausgesetzt Regelung funktioniert - dann Mengenbeschränkungen nächstes Jahr".)

(Es folgt eine Preisliste für die drei Hauptsorten von Polypropylen in vier nationalen Währungen, u. a. 1,25 DM/kg für Raffia).

86 Das Gericht stellt fest, daß die von der Klägerin vorgebrachten Anhaltspunkte, die den Beweiswert dieses Vermerks des Marketingdirektors von Hercules entkräften sollen, die Schlußfolgerungen, die die Kommission aus ihm gezogen hat, nicht widerlegen können. Der Wortlaut dieses Vermerks ist nämlich frei von Mehrdeutigkeit und es ist völlig normal, daß er schlecht geschrieben, nicht unterzeichnet und nicht datiert ist, da der Vermerk während eines - wahrscheinlich telefonischen - Gesprächs entstanden ist, dessen wettbewerbswidriger Gegenstand es dem Verfasser des Vermerks angezeigt erscheinen ließ, so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen. Die Ungenauigkeit der Erinnerungen des Verfassers an die Umstände der Entstehung des Vermerks nehmen dem Vermerk nicht seinen Beweiswert, da ihm zu entnehmen ist, daß die Informationen, die er enthält, von einem der "grossen Vier" stammen, und nicht angegeben werden muß, von wem sie genau stammen. Ohne Bedeutung ist im übrigen, daß diese Informationen aus zweiter Hand stammen, da die Kommission den Vermerk ausdrücklich als ein zur Zeit der Ereignisse schriftlich niedergelegtes Zeugnis dafür heranzieht, daß andere Hersteller als der Verfasser des Vermerks eine Vereinbarung geschlossen haben. Die Genauigkeit dieser Informationen lässt überdies die Annahme, daß es sich lediglich um Gerüchte auf dem Markt oder um völlig falsche oder gänzlich erfundene Informationen handeln könnte, als ganz unwahrscheinlich erscheinen.

87 Da ferner die Klägerin eingeräumt hat, daß die Hersteller seinerzeit über Preise gesprochen haben, hat die Kommission nach Auffassung des Gerichts zu Recht festgestellt, daß es zwischen mehreren Herstellern, zu denen die Klägerin gehört, zu einer Willensübereinstimmung über die Festlegung von Mindestpreisen gekommen ist, ohne daß es der Feststellung bedürfte, ob andere Hersteller als die "grossen Vier" diesen Preisen zugestimmt haben.

88 Daß die vereinbarten Mindestpreise nicht durchgesetzt werden konnten, spricht ebenfalls nicht gegen die Beteiligung der Klägerin an der Mindestpreisvereinbarung, da selbst in diesem Fall höchstens bewiesen wäre, daß die Mindestpreise nicht verwirklicht wurden. Die Entscheidung (Randnr. 16 letzter Absatz) enthält keineswegs die Behauptung, daß die Mindestpreise durchgesetzt worden seien, sondern vielmehr die Feststellung, daß der Raffia-Preis im November 1977 auf etwa 1,00 DM/kg gesunken sei.

89 Bezueglich der Frage, ob die Entscheidung behauptet, daß zwischen der Mindestpreisvereinbarung und der Preisinitiative vom Dezember 1977 eine Verbindung bestehe, ist darauf hinzuweisen, daß nach den Randnummern 16 und 17 in Verbindung mit Randnummer 78 die Entscheidung davon ausgeht, daß die Mindestpreisvereinbarung und die Preisinitiative von Ende 1977 ein Ganzes darstellen. Sie stützt sich dabei auf das Eingeständnis der Klägerin, daß ihre Geschäftsführer "vielleicht mit Montepolimeri im oder um November 1977 über Preise gesprochen haben und Montepolimeri die Möglichkeit von Preiserhöhungen erwähnt und (Shell' s) Ansichten zu ihren Reaktionen auf Erhöhungen eingeholt hat", woraus abgeleitet wird (Entscheidung, Randnr. 78 Absatz 3), daß die Klägerin zu den Herstellern gehörte, die im Anschluß an die Mindestpreisvereinbarung eine Initiative zum 1. Dezember 1977 beschlossen hatten.

90 Insoweit hat die Kommission der Antwort der Klägerin auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte in Verbindung mit ihrer Beteiligung an der Mindestpreisvereinbarung zu Recht entnommen, daß die Klägerin in Weiterführung dieser Vereinbarung die genannte Initiative gemeinsam mit Monte, ICI und Hoechst in die Wege geleitet hat. Die Antwort der Klägerin lässt nämlich den Schluß zu, daß sie zwischen dem Abschluß der Mindestpreisvereinbarung und der Ankündigung von Monte in den ECN, ihre Preise zum 1. Dezember 1977 erhöhen zu wollen, mit Monte wegen Preiserhöhungen in Verbindung gestanden hat, denn dort heisst es:

"However, SICC' s researches indicate that executives from the service company may have had discussions concerning price with Montepolimeri in or about November 1977 and Montepolimeri may have suggested the possibility of increasing prices and may have sought SICC' s views on its reactions to any increase."

("Die Nachforschungen von SICC lassen aber erkennen, daß Geschäftsführer der Dienstleistungsgesellschaft vielleicht mit Montepolimeri im oder um November 1977 über Preise gesprochen haben und Montepolimeri die Möglichkeit von Preiserhöhungen vorgeschlagen und SICC' s Ansichten zu ihren Reaktionen auf Erhöhungen eingeholt hat.")

91 Gegenüber diesen Beweisen hat die Klägerin nicht dargetan, daß sie im Rahmen dieser Kontakte ihren Wettbewerbern zu verstehen gegeben hätte, daß sie an keiner Abstimmung dieser Art teilnehme.

92 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin zu den Herstellern gehört, zwischen denen es Mitte 1977 zu Willensübereinstimmungen über die Festlegung von Mindestpreisen und in deren Weiterführung zur Festsetzung eines Preisziels von 1,30 DM/kg zum 1. Dezember 1977 gekommen ist.

B - Die Kontakte der Klägerin mit den Teilnehmern der "Chef"- und "Experten"-Sitzungen

a) Angefochtene Handlung

93 In der Entscheidung (Randnrn. 18, 19 Absatz 3 und 78 Absätze 1 bis 3) wird eingeräumt, daß die Klägerin an den Vollsitzungen der Polypropylenhersteller, in denen zum einen die für die Gesamtausrichtung der Polypropylen-Aktivitäten einiger Hersteller zuständigen Topmanager ("Chefs") und zum anderen leitende Angestellte einer niedrigeren Führungsebene mit gründlichen Vertriebskenntnissen ("Experten") zusammengetroffen seien und deren Zweck insbesondere die Festsetzung von Preiszielen und Verkaufsmengenzielen sowie die Kontrolle ihrer Einhaltung durch die Hersteller gewesen sei, nicht teilgenommen habe. Die Klägerin sei jedoch sowohl an der ersten Mindestpreisvereinbarung als auch an den begleitenden Gesprächen beteiligt gewesen und habe sich mit den anderen Hauptherstellern in "Ad-hoc-Sitzungen" getroffen. Sie habe selbst zugegeben, daß vor den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen manchmal ihre Ansicht zur Durchführbarkeit von Preiserhöhungen eingeholt worden sei, daß sie nach derartigen Sitzungen von Monte oder ICI in Kenntnis gesetzt worden sei, daß bestimmte Zielpreise vorgeschlagen worden seien, und daß sie die Informationen an ihre Produktionsunternehmen weitergegeben habe. Die internen Unterlagen der Klägerin bestätigten, daß sie über die Preisinitiativen unterrichtet gewesen sei und daran teilgenommen habe, gelegentlich sogar als eindeutiger Führer. Ab Ende 1982 habe der Vertreter der Klägerin überdies regelmässig an den "Vorgesprächen" der vier grossen Hersteller teilgenommen, die am Tag vor jeder "Chef"-Sitzung stattgefunden hätten.

94 Nach Randnummer 68 Absätze 2 und 3 der Entscheidung sind diese "Vorgespräche" das Forum der vier wichtigsten Unternehmer gewesen, um vor der Vollsitzung eine gemeinsame Haltung zu vereinbaren und durch ein gemeinsames Vorgehen Schritte in Richtung auf eine Preisstabilität zu unterstützen. ICI habe zugegeben, daß die in den Vorgesprächen erörterten Themen die gleichen Punkte eingeschlossen hätten, die in den darauffolgenden "Chef"-Sitzungen diskutiert worden seien; dagegen habe Shell bestritten, daß die Sitzungen der "grossen Vier" in irgendeiner Weise eine Vollversammlung vorbereitet hätten oder mit der Koordinierung einer gemeinsamen Position vor der Sitzung am nächsten Tag verbunden gewesen seien. Die Berichte über einige dieser Sitzungen (Oktober 1982 und Mai 1983) widerlegten jedoch diese Behauptung von Shell.

95 In der Entscheidung (Randnr. 78 Absatz 2) heisst es weiterhin, daß die Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe an den lokalen Sitzungen teilgenommen hätten, in denen die landesweite Durchführung von Vereinbarungen erörtert worden sei, die in den Vollsitzungen getroffen worden seien (Randnr. 20). Sogar vor Beginn ihrer Teilnahme an den vorbereitenden Sitzungen der "grossen Vier" im Oktober 1982 sei die Klägerin mit anderen grossen Herstellern zusammengekommen, um eingehend über Fragen zu diskutieren, die in den regelmässigen "Chef"- und "Experten"-Sitzungen zur Sprache gekommen seien (Entscheidung, Randnr. 109 Absatz 4).

96 In den Randnummern 16, 17, 19, 30, 31, 35, 45, 47, 48, 57, 62, 63, 67 und 109 der Entscheidung werden weiterhin verschiedene Kontakte zwischen der Klägerin und Herstellern, die an den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen teilgenommen haben, festgestellt.

b) Vorbringen der Parteien

97 Die Klägerin legt dar, daß die Entscheidung das Schwergewicht auf die Herstellersitzungen lege, in denen die verschiedenen wettbewerbswidrigen Maßnahmen beschlossen worden seien. Die Kommission bestreite nicht, daß die Shell-Unternehmen an keiner dieser Sitzungen teilgenommen hätten. Diese hätten sich somit nicht an den Gesprächen beteiligt, die unter anderem zur Festsetzung von Zielpreisen oder -mengen oder zur Vereinbarung begleitender Maßnahmen geführt hätten. Damit entspreche die Lage der Klägerin der von Amoco und von BP, denen die Kommission keinen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag vorgeworfen habe (Entscheidung, Randnr. 78, letzter Absatz).

98 In Wirklichkeit habe sich Shell in folgender Lage befunden: Sie habe von den Sitzungen gewusst; manchmal sei sie vor den Sitzungen nach ihrer Meinung zu den allgemeinen Marktbedingungen gefragt worden; sie sei manchmal, aber nicht durchgehend darüber informiert worden, daß besondere Ziele vorgeschlagen worden seien; sie habe diese Informationen an die Produktionsgesellschaften weitergeleitet und ihnen dabei gelegentlich ihre Meinung über die zu ergreifenden Maßnahmen mitgeteilt, doch seien diese Gesellschaften in ihren Entscheidungen völlig frei geblieben.

99 Ein Vertreter von Shell habe zwar an verschiedenen Sitzungen teilgenommen, die am Tage vor den "Chef"-Sitzungen stattgefunden und an denen Vertreter von ICI, Monte und Hoechst teilgenommen hätten. Diese Vorbesprechungen hätten aber nur in den letzten zehn Monaten des Zeitraums, auf den sich die Vorwürfe bezögen, stattgefunden, und Shell habe nur an etwa der Hälfte von ihnen teilgenommen. Dieser Umstand könne also nicht als überzeugender Beweis dafür angeführt werden, daß die Shell-Unternehmen an rechtswidrigen Kartellen beteiligt gewesen seien.

100 Im Jahre 1981 habe es nur zwei einzelne Sitzungen gegeben, an denen nur ICI, sie selbst und Monte, nicht aber Hoechst teilgenommen hätten, die doch zu den "grossen Vier" gehöre. Am Ende dieser Sitzungen sei es, wie der Bericht über die Sitzung vom 15. Juni 1981 (gem. Bpkte., Anl. 64b) belege, zu keiner Vereinbarung, Absprache oder Kartell gekommen. Die Kommission habe einen falschen Eindruck von der Häufigkeit und Natur dieser Sitzungen vermittelt und ihnen im Rahmen der angeblichen rechtswidrigen Absprachen eine Bedeutung beigemessen, die sie nicht gehabt hätten. Wenn die Kommission im übrigen in ihren beim Gericht eingereichten Schriftsätzen behaupte, daß die Klägerin mit den übrigen "Grossen" seit 1977 über den gesamten Zeitraum hinweg regelmässig Kontakte gepflegt haben solle, so handele es sich um ein neues Vorbringen, das einige sporadische Kontakte, die an der Randstellung der Klägerin bei allen angeblich rechtswidrigen Absprachen nichts hätten ändern können, jedenfalls in übertriebener Weise darstelle.

101 Bezueglich ihrer Teilnahme an einer Reihe von Vorbesprechungen zwischen Ende 1982 und Mitte 1983 weist die Klägerin darauf hin, daß diese Zusammenkünfte erst zehn Monate vor Ende des Siebenjahreszeitraums begonnen hätten, in dem das Kartell angeblich bestanden habe, daß sie nur an der Hälfte dieser Vorbesprechungen für die in diesem Zeitraum abgehaltenen "Chef"-Sitzungen teilgenommen habe, daß der Meinungsaustausch sie nicht zu einer Beteiligung an irgendeinem rechtswidrigen Kartell gebracht habe und daß es schließlich nicht Zweck dieser Vorbesprechungen gewesen sei, einem angeblichen "Direktorium" die Vorbereitung späterer "Chef"-Sitzungen zu ermöglichen.

102 Nach Auffassung der Kommission darf die Bedeutung der in der Entscheidung als "institutionalisiert" bezeichneten Sitzungen nicht überbewertet werden. Im übrigen sei nicht einzusehen, warum die Klägerin die Treffen der "grossen Vier" nicht auch zu den "institutionalisierten" Sitzungen rechne. Die Klägerin habe entweder selbst oder vertreten durch SCITCO (zur Shell-Gruppe gehörend) an diesen vorbereitenden Sitzungen teilgenommen, deren Bedeutung und Zweck aus Vermerken über Telefongespräche zwischen der Klägerin und ICI (gem. Bpkte., Anl. 95 und 96) und aus dem Bericht über eine dieser Sitzungen (gem. Bpkte., Anl. 101) hervorgingen.

103 Selbst vor Beginn der regelmässigen Durchführung dieser vorbereitenden Sitzungen Ende 1982 habe die Klägerin regelmässige Kontakte zu den übrigen "Grossen" geknüpft, wie sie in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte eingeräumt habe (unter Nr. 3.19). Diese regelmässigen Kontakte seien sowohl in der Mitteilung der Beschwerdepunkte als auch in der Entscheidung (Randnr. 109 Absatz 4) beanstandet worden. Insbesondere ein Vermerk über ein Treffen der "grossen Vier" vom 15. Juni 1981 (gem. Bpkte., Anl. 64b) zeige klar, daß sie ihre gemeinsame Verantwortung auf dem Markt anerkannt hätten und der Auffassung gewesen seien, sie müssten die Initiativen anführen.

104 Nach dem Eingeständnis der Klägerin (gem. Bpkte., Anl. 9, Anl. 2) hätten ihre Produktionsgesellschaften in den Mitgliedstaaten an den sogenannten "lokalen" Sitzungen teilgenommen, in denen es um die Modalitäten der Durchführung der in den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen geschlossenen Vereinbarungen gegangen sei. Aus diesen verschiedenen Gründen lasse sich die Situation von Shell nicht mit der von Amoco oder BP vergleichen.

105 Die Klägerin habe an allen der Kommission bekannten vorbereitenden Sitzungen teilgenommen; die gemeinsame Haltung der "grossen Vier" im Hinblick auf eine Anhebung der Preise gehe auf diese Sitzungen zurück, in denen ganz konkret diskutiert worden sei. Insoweit seien die beiden Schriftstücke, auf die sich die Entscheidung stütze, nämlich der Vermerk von ICI mit der Bezeichnung "Polypropylene framework" ("Polypropylen-Rahmen") (gem. Bpkte., Anl. 87) und der Vermerk der Klägerin vom 20. Oktober 1982 (gem. Bpkte., Anl. 100 und ind. Bpkte. Shell, Anl. 30) durchaus aussagekräftig, soweit sie im Zusammenhang mit den Sitzungen und nicht eines vom anderen getrennt betrachtet würden. In der Sitzung vom Oktober 1982 hätten sich nebenbei bemerkt die "grossen Vier" zu einer Vorbesprechung getroffen, und der (in Randnummer 68 der Entscheidung genannte) Aktenvermerk vom 20. Oktober 1982 sei in Randnummer 124 der Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte angeführt worden.

106 Es sei deshalb nicht entscheidend, daß die Klägerin an den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen nicht teilgenommen habe; der Schluß sei zulässig, daß die Klägerin sich an der Festsetzung der Preise beteiligt, diese gemeinsam mit den Gesellschaften der Shell-Gruppe angewandt und am Quotensystem mitgewirkt habe.

c) Würdigung durch das Gericht

107 Das Gericht stellt fest, daß die Kommission zu Recht aus den einzelnen in der Entscheidung aufgeführten Beweismitteln - insbesondere aus der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8), den verschiedenen Sitzungsberichten und den Tabellen mit den Verkaufszahlen und Quoten der einzelnen Hersteller - geschlossen hat, daß sich ab Dezember 1977 ein System regelmässiger Sitzungen der Polypropylenhersteller entwickelt hat, daß ab Ende 1978 oder Anfang 1979 "Chef"- und "Experten"-Sitzungen stattgefunden haben, daß Zweck dieser Sitzungen, die unter dem Vorsitz von Monte und später von ICI stattfanden, namentlich die Festsetzung von Preis- und Verkaufsmengenzielen sowie der Beschluß verschiedener Maßnahmen zur Förderung der Verwirklichung der Preisziele war und daß es in diesen Sitzungen zu Willensübereinstimmungen über diese Ziele und diese Maßnahmen gekommen ist.

108 Im übrigen ist festzustellen, daß die Entscheidung der Klägerin nicht zur Last legt, an "Chef"- und "Experten"-Sitzungen teilgenommen zu haben, sondern ihr vorwirft, in engem Kontakt zu Teilnehmern dieser Sitzungen gestanden zu haben, indem sie Angaben über ihre Geschäftspolitik gemacht, ihre nationalen Gesellschaften zu lokalen Sitzungen entsandt habe, die zur landesweiten Durchführung der in den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen beschlossenen Maßnahmen bestimmt gewesen seien, an Treffen einiger Unternehmen, die in diesen Sitzungen anwesend gewesen seien, teilgenommen und zweiseitige Kontakte mit diesen geknüpft zu haben.

109 Es ist daher zu prüfen, ob der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß zwischen der Klägerin und den Teilnehmern an den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen zwischen Ende 1977 und September 1983 Kontakte bestanden haben.

110 Was gerade den Zeitraum zwischen Ende 1977 und 1978 betrifft, so hat die Klägerin in Weiterführung der 1977 erzielten Willensübereinstimmung an zwei EATP-Sitzungen teilgenommen; im Bericht über die erste Sitzung vom 22. November 1977 (gem. Bpkte., Anl. 6) heisst es, daß die öffentliche Ankündigung von Monte, ihre Preise zu erhöhen, von verschiedenen Herstellern unterstützt worden sei, wobei die Klägerin erklärt habe:

"Any opportunity to achieve more realistic polypropylene prices will have the full support of Shell. We also noticed the moves in Italy and I feel certain that these are going to spread acroß Europe."

("Jede Möglichkeit, realistischere Polypropylenpreise zu erzielen, wird von Shell voll unterstützt werden. Wir haben auch die Initiativen in Italien bemerkt, und ich bin sicher, daß sie sich über Europa ausbreiten werden.")

In dem Bericht über die zweite Sitzung vom 26. Mai 1978 (gem. Bpkte., Anl. 7) wird wiedergegeben, wie die einzelnen Hersteller die nach der Sitzung vom 22. November 1977 erzielten Marktergebnisse beurteilten. In der Sitzung vom 26. Mai 1978 habe die Klägerin erklärt:

"We have heard most people, both in the informal discussions and around the table this morning plead for stability and cooperation in the economic situation of slow growth in which we find ourselves and with the situation of low demand for our products and surplus capacity ... Last November, I mentioned that the losses being incurred by the polymer producers, by the chemical producers of the world were reaching very large proportions. We have seen further company reports in the last 6 months which have confirmed this, and I put it to you that the magnitude of the sums of money being lost by the chemical industry and by the polymer producers over the coming years are going to lead to some fundamental thinking as ..."

("Wir haben heute morgen sowohl in informellen Gesprächen als auch in der Sitzung die meisten angesichts einer wirtschaftlichen Situation langsamen Wachstums, in der wir uns befinden, der geringen Nachfrage nach unseren Erzeugnissen und der Überkapazität für Stabilität und Kooperation plädieren hören ... Letzten November sprach ich davon, daß die Verluste der Polymerhersteller, der Chemieunternehmen in der Welt ein erhebliches Ausmaß annähmen. Wir haben in den letzten sechs Monaten weitere Unternehmensberichte gesehen, die dies bestätigen, und ich sage Ihnen, daß die Höhe der Verluste, die auf die chemische Industrie und die Polymerhersteller in den kommenden Jahren zukommen werden, zu einigen grundsätzlichen Überlegungen führen wird ...")

111 In ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte hat die Klägerin ferner für den Zeitraum von 1978 bis September 1983 ausgeführt:

"SICC/SCITCO knew that multilateral meetings between producers were taking place from time to time and that the subject matter of the discussions at such meetings included 'target' prices. Prior to meetings SICC/SCITCO' s views were sometimes sought on general market conditions including as to the feasibility of price increases. After multilateral meetings had taken place, the service company was sometimes informed (by ICI or Montepolimeri) that particular price 'targets' had been proposed, and passed this market information to the operating companies. SICC/SCITCO' s support might be sought for the proposed move, and in response the service company would make it clear that it could not commit the Shell operating companies even to work towards the goal of attaining the 'target' prices ... SICC/SCITCO informed the operating companies of the 'target' price as part of a general market intelligence service that it provided to the operating companies. It did not ordinarily tender advice as to the appropriate action the operating companies should take. On occasions, however, it would commend to the operating companies moves towards higher prices as a means of reducing losses; but on other occasions SICC/SCITCO would agree with operating companies that they should hold current prices so as to retain volume and market share. The operating companies would make their own pricing decision on their evaluation of the local market, bearing in mind their volume objectives."

("SICC/SCITCO wusste, daß von Zeit zu Zeit mehrseitige Herstellertreffen stattfanden und daß Gegenstand der Gespräche bei diesen Sitzungen auch 'Zielpreise' waren. Vor den Sitzungen wurden bisweilen SICC/SCITCO nach ihren Ansichten zu allgemeinen Marktbedingungen einschließlich der Durchsetzbarkeit von Preiserhöhungen gefragt. Wenn mehrseitige Treffen stattgefunden hatten, wurde die Dienstleistungsgesellschaft manchmal darüber informiert [von ICI oder Montepolimeri], daß bestimmte 'Preisziele' vorgeschlagen worden waren, und gab diese Marktinformation an die Produktionsgesellschaften weiter. SICC/SCITCO wurde vielleicht um Unterstützung für die vorgeschlagene Initiative gebeten, und die Dienstleistungsgesellschaft stellte dann klar, daß sie die Shell-Produktionsgesellschaften nicht verpflichten könne, die Erreichung der Zielpreise auch nur anzustreben ... SICC/SCITCO informierte die Produktionsgesellschaften über den 'Zielpreis' im Rahmen eines allgemeinen Marktnachrichtendienstes, den sie den Produktionsgesellschaften zur Verfügung stellte. Sie gab im allgemeinen keinen Rat bezueglich der angemessenen Vorgehensweise der Produktionsgesellschaften. Gelegentlich jedoch empfahl sie den Produktionsgesellschaften Initiativen zu Preisanhebungen als Mittel der Verlustminderung; bei anderen Gelegenheiten aber kam SICC/SCITCO mit den Produktionsgesellschaften überein, die augenblicklichen Preise zu halten, um Mengen und Marktanteile zu sichern. Die Produktionsgesellschaften trafen ihre eigene Preisentscheidung nach ihrer Einschätzung des lokalen Marktes unter Berücksichtigung ihrer Mengenziele.")

112 Die Klägerin hat in ihren bei Gericht eingereichten Schriftsätzen diesen Sachverhalt bestätigt, und die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) spricht ebenfalls für seine Richtigkeit, denn dort heisst es:

"The relationship between these producers (Alcudia, Amoco, BP, Hercules and Shell) and producers which participated was simply one whereby these producers would usually be advised of the upshot (if any) of meetings."

("Die Beziehung zwischen diesen Herstellern [Alcudia, Amoco, BP, Hercules und Shell] und den Herstellern, die teilnahmen, war einfach dergestalt, daß diese Hersteller gewöhnlich über das Ergebnis der Sitzungen [falls es ein solches gab] informiert wurden.")

113 Diese Beweismittel werden ferner durch schriftliche Beweise aus der Zeit der beanstandeten Tatsachen bestätigt.

114 Die Kontakte zwischen der Klägerin und den Teilnehmern an den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen werden dadurch bestätigt, daß in verschiedenen Tabellen (gem. Bpkte., Anl. 55 ff. sowie gem. Bpkte., Anl. 23, 25, 28 und 32) neben dem Namen der Klägerin deren Verkaufszahlen für verschiedene Monate und Jahre aufgeführt sind. Wie die meisten Klägerinnen in ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichts eingeräumt haben, wäre es jedoch nicht möglich gewesen, die bei ICI, ATO und Hercules entdeckten Tabellen auf der Grundlage der Statistiken des Fides-Systems zu erstellen. In ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) hat ICI zu einer dieser Tabellen erklärt: "The source of information for actual historic figures in this table would have been the producers themselves" ("Die Quelle für die in dieser Tabelle genannten tatsächlich erzielten Zahlen müssen die Hersteller selbst gewesen sein"). Die Kommission konnte daher zu Recht davon ausgehen, daß die Angaben über die Klägerin in diesen Tabellen von der Klägerin selbst stammten.

115 Diese Schlußfolgerung wird durch die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen bestätigt, weil diese für die Klägerin hinsichtlich des Ursprungs ihrer Verkaufszahlen in diesen Tabellen nicht den gleichen Vorbehalt wie für Amoco, Hercules und BP enthält, wonach diese Hersteller

"did not report as a group, they did not report individually, and they were not represented at the meetings. In passing it should be stated that even when Hercules did attend meetings they would not report their figures.

By way of explanation, Amoco/Hercules/BP are 'grouped' together in the table because, in the absence of any specific data relating to their sales volume, their sales volume was calculated by deducting from known total sales for West Europe (derived from Fides data) the total of sales made by other producers which had declared details of their sales volume".

("weder als Gruppe noch einzeln berichteten und in den Sitzungen nicht vertreten waren. Beiläufig sei bemerkt, daß Hercules, selbst wenn sie an Sitzungen teilnahm, ihre Zahlen nicht preisgab.

Zur Erklärung: Amoco/Hercules/BP sind in der Tabelle als 'Gruppe' zusammengefasst, weil wegen des Fehlens spezifischer Angaben zu ihrem Absatzvolumen dieses dadurch errechnet wurde, daß vom bekannten [anhand von Fides-Daten ermittelten] Absatzvolumen für Westeuropa der Gesamtabsatz der anderen Hersteller, die zu ihrem Absatzvolumen Angaben gemacht hatten, abgezogen wurde").

116 Zu ergänzen ist zunächst, daß sich aus der Antwort der Klägerin auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte ergibt, daß die Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe an lokalen Sitzungen im Vereinigten Königreich (an sechs jährlich), in Belgien (alle vier bis sechs Wochen), in Italien (regelmässig), in Dänemark (gelegentlich) und in den Niederlanden (im September 1983) teilgenommen haben. Wenn die Klägerin behauptet, daß die Teilnahme an diesen Sitzungen dazu diente, allgemeine Marktinformationen zu erhalten, so zeigen die beiden einzigen zur Verfügung stehenden Berichte über diese Sitzungen aber, daß dort die in den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen beschlossenen Maßnahmen auf lokaler Ebene erörtert werden sollten. Der Bericht über die lokale Sitzung im Vereinigten Königreich vom 18. Oktober 1982 (gem. Bpkte., Anl. 10), an der Shell UK teilgenommen hat, zeigt nämlich, daß die Teilnehmer dort Informationen über die von ihnen unter und über dem Zielpreis getätigten Verkäufe ausgetauscht, bestimmte Anomalien des Marktes untersucht und ihre Lage im Verhältnis zu ihren jeweiligen Kunden geprüft haben. Der Zweck dieser Sitzungen wird durch den Bericht über die "Experten"-Sitzung vom 9. Juni 1982 (gem. Bpkte., Anl. 25) bestätigt, in dem es heisst:

"From this it was felt that it was impossible to reach the target level of 36 BFR/kg etc in June. ICI & DSM pressed for a major push in Belgium as it would have beneficial effects on the surrounder countries + bring Shell back into the fold without any producers having to put too much at stake in terms of volume. After a lot of discussions DSM agreed to call a meeting on 16th June to be attended by some marketing managers as well as local representatives. The objectives would be to quote the target levels absolutely rigidly for July."

("Infolgedessen entstand die Überzeugung, daß es unmöglich sei, das Zielniveau von 36 BFR/kg usw. im Juni zu erreichen. ICI und DSM drängten auf stärkeren Druck in Belgien, weil dies günstige Auswirkungen auf die Nachbarländer haben + Shell in die Reihen zurückbringen würde, ohne daß irgendein Hersteller mengenmässig zuviel riskieren müsste. Nach langen Diskussionen war DSM bereit, zum 16. Juni eine Sitzung für einige Marketingmanager und auch lokale Vertreter einzuberufen. Ziel sollte sein, die Zielniveaus für Juli ganz strikt festzulegen.")

Der Antwort der Klägerin auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte ist zu entnehmen, daß sie an der Sitzung vom 16. Juni teilgenommen hat.

117 Ferner hat die Klägerin an zwei Sitzungen im Jahr 1981 teilgenommen, nämlich am 27. Mai 1981 zusammen mit ICI und am 15. Juni 1981 zusammen mit ICI und Monte (gem. Bpkte., Anl. 64), an zwei Sitzungen im Jahr 1982, nämlich am 13. Oktober und 20. Dezember 1982, als sich Vertreter der "grossen Vier" trafen, und an fünf dieser Sitzungen im Jahr 1983. Dazu ist festzustellen, daß die Behauptung der Klägerin, daß es sich dabei nur um einen Teil der Sitzungen der "grossen Vier" gehandelt habe, jeder Grundlage entbehrt, weil die Klägerin in ihrer Antwort auf eine Frage des Gerichts versichert hat, daß ihr keine weitere vorbereitende Sitzung zwischen ICI, Hoechst und Monte bei anderer Gelegenheit bekannt sei.

118 Nach Darstellung der Klägerin hatten diese Treffen einen Zweck, der unbeeinflusst vom Zweck der "Chef"- und "Experten"-Sitzungen gewesen sei. Das Gericht ist aufgrund der Vermerke über die Kontakte zwischen der Klägerin und den anderen "Grossen" der Auffassung, daß der Zweck dieser Treffen eng mit dem Zweck der "Chef"- und "Experten"-Sitzungen zusammenhing. Den Berichten über die beiden Sitzungen im Jahre 1981 ist nämlich zu entnehmen, daß dort das Preisniveau und Quotensysteme erörtert werden sollten; in dem ersten Bericht (gem. Bpkte., Anl. 64a) heisst es hierzu:

"This meeting was arranged to review the polypropylene scene and to seek SICC' s views on the volume scheme put forward by Montepolimeri in Rome ... Current price levels were compared and Shell seemed to have much the same view as ourselves."

("Dieses Treffen wurde veranstaltet, um den Polypropylenmarkt durchzugehen und die Ansichten von SICC zu dem von Montepolimeri in Rom vorgeschlagenen Mengenplan zu erfahren ... Die aktuellen Preisniveaus wurden verglichen, und Shell schien ziemlich derselben Ansicht wie wir zu sein.")

(es folgt eine Preisliste) und im zweiten (gem. Bpkte., Anl. 64b):

"Possible solutions included (a) sanctions (not a great succeß so far on PVC), (b) control production which is within the power of the bosses (L. thought propylene availability might scupper this), (c) quotas which Z. favoured but L. discounted, (d) new initiative by the 4 majors whereby they accommodated the hooligans in Europe and made up the loß by sales in ROW markets. Given that W European sales would probably not exceed 105 kt/month for the next few months and then not over 125 kt for the remainder of the year say 115 kt average for July-Sept and exports continüd at 30 kt/ month there would still be a surplus of capacity of 10 kt/month. Shared by the Big Four each would have to drop 2.5 kt/m in Europe equivalent to 30 kt/yr of say 2.3 % market share. I said that despite L.' s contention about ROW prices that such a proposal would be totally unacceptable to us, (e) a flat price increase of say 20 pf/kg wef 1st July - this avoids unrealistic requirements for the lowest priced busineß."

("Die möglichen Lösungen enthalten [a] Sanktionen [kein grosser Erfolg bisher bei PVC], [b] Produktionskontrolle, was in der Macht der Chefs steht [L. (Vertreter der Klägerin) meinte, daß die Verfügbarkeit von Polypropylen dies versenken könnte], [c] Quoten, wofür sich Z. aussprach, Lane aber weniger begeisterte, [d] eine neue Initiative der vier Grossen, durch die sie die Störenfriede in Europa zur Ruhe bringen und die Verluste durch den Absatz auf Märkten der übrigen Welt ausgleichen würden. Da der Absatz in Westeuropa in den nächsten Monaten 105 kt/Monat und dann für den Rest des Jahres 125 kt nicht übersteigen wird, d. h. 115 kt durchschnittlich für Juli bis September, bei Exporten von weiterhin 30 kt/Monat, würde noch ein Kapazitätsüberschuß von 10 kt/Monat übrigbleiben. Geteilt durch die grossen Vier müsste jeder von ihnen auf 2,5 kt/Monat, entsprechend 30 kt/Jahr, in Europa verzichten, d. h. auf 2,3 % Marktanteil. Ich erklärte, daß trotz der Behauptungen von L. zu den Preisen auf Märkten der restlichen Welt ein solcher Vorschlag für uns völlig inakzeptabel sei; [e] eine einheitliche Nettopreisanhebung auf etwa 20 Pf/kg mit Wirkung ab 1. Juli - dadurch werden unrealistische Forderungen für Niedrigstpreisgeschäfte vermieden.")

119 Die Sitzungen der "grossen Vier", die jeweils am Tag vor den "Chef"-Sitzungen stattfanden, dienten dazu, die Maßnahmen festzulegen, die sie dort gemeinsam für eine Preisanhebung treffen konnten, wie sich aus der schriftlichen Zusammenfassung eines Angestellten von ICI zur Unterrichtung eines seiner Kollegen über den Inhalt des Vorgesprächs der "grossen Vier" vom 19. Mai 1983 ergibt (gem. Bpkte., Anl. 101). In dieser Zusammenfassung ist von einem Vorschlag die Rede, der in der "Chef"-Sitzung vom 20. Mai vorgelegt werden solle. In ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen hat ICI hierzu erklärt: FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 689A0011.2

"A meeting of the 'Big Four' which had taken place on 19 May 1983 immediately prior to a 'Bosses' meeting held on 20 May. The 'Big Four Pre-meeting' took place in Barcelona ... the outcome of the meeting was a proposal for a 'Target Price' for raffia of DM 1.85/kg with effects from 1 July 1983."

("Eine Sitzung der 'grossen Vier' , die am 19. Mai 1983 unmittelbar vor einer 'Chef' -Sitzung am 20. Mai stattgefunden hatte. Die Vorbesprechung der 'grossen Vier' fand in Barcelona statt ... Ergebnis der Sitzung war ein Vorschlag für einen Raffia-' Zielpreis' von 1,85 DM/kg zum 1. Juli 1983.")

Ferner heisst es in dem Bericht über die "Experten"-Sitzung vom 1. Juni 1983 (gem. Bpkte., Anl. 40), die auf die Sitzung vom 20. Mai folgte:

"Those present reaffirmed complete commitment to the 1.85 move to be achieved by 1st July. Shell was reported to have committed themselves to the move and would lead publicly in ECN."

("Die Anwesenden bestätigten erneut die volle Unterstützung der zum 1. Juli geplanten Erhöhung auf 1,85. Es wurde gesagt, daß Shell sich zu diesem Schritt verpflichtet habe und in den ECN öffentlich vorangehen werde.")

In der vorgenannten Zusammenfassung heisst es hierzu: "Shell to lead - ECN article 2 weeks. ICI informed" ("Shell wird vorangehen - ECN-Artikel in zwei Wochen. ICI informiert").

120 Dies ergibt sich ebenfalls aus dem Bericht über die Telefongespräche der Klägerin mit ICI am 9. und 10. September 1982; dort heisst es:

"I spoke to L. to get his reaction to the sugges(tion) that the 4 majors might operate a compensation scheme amongst themselves whilst the price initiative was being forced through."

("Ich sprach mit L., um seine Reaktion auf den Vorschlag zu erfahren, daß die grossen Vier untereinander einen Ausgleichsplan ausarbeiten könnten, während die Preisinitiative durchgesetzt wird") (gem. Bpkte., Anl. 95).

121 Das Gericht steht daher auf dem Standpunkt, daß die Klägerin in den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen nicht zufällig abwesend war. Es war Teil einer geplanten Strategie der Klägerin, um in den Genuß der erwarteten Vorteile dieser Sitzungen zu kommen, ohne die Risiken einzugehen, die mit der Teilnahme an Sitzungen mit einer so grossen Anzahl von Herstellern verbunden waren, zugleich aber, ohne an den Sitzungen teilzunehmen, mit diesen Herstellern in Fühlung zu bleiben. Dies ergibt sich nämlich aus einem internen Vermerk der Klägerin vom 15. Februar 1982 (gem. Bpkte., Anl. 94), in der sie nach Feststellung der Wirkungslosigkeit der Preisinitiativen der "grossen Vier" bemerkt:

"SCITCO will NOT participate in any poly-competitor meetings, but will try to keep informed of their activities & ambitions through CITP bilateral contacts."

("SCITCO wird NICHT an Sitzungen mit mehreren Wettbewerbern teilnehmen, sondern versuchen, über deren Tätigkeiten & Bestrebungen durch zweiseitige Kontakte seitens CITP informiert zu bleiben.")

Im Kontext mit dem gesamten betreffenden Schriftstück ist der Ausdruck "poly-competitor meetings" nicht als "polypropylene competitor meetings" (Sitzungen der Polypropylen-Wettbewerber), sondern vielmehr aus zwei Gründen als "multi-competitor meetings" (Sitzungen mit mehreren Wettbewerbern) zu verstehen. Erstens wird an allen anderen Stellen dieses Schriftstücks wie auch in den anderen Schriftstücken das Wort "Polypropylen" durch "PP" und nicht durch "poly" abgekürzt, und der Ausdruck "poly-competitor meetings" ist als Gegensatz zu dem Ausdruck "bi-lateral meetings" zu verstehen, der in diesem Schriftstück vier Zeilen weiter zu finden ist. Zweitens wird diese Auslegung des Schriftstücks durch ein anderes, von ICI stammendes Schriftstück vom 18. Oktober 1982 (gem. Bpkte., Anl. 96) bestätigt, in dem es heisst:

"L. of SCITCO said that ... he would be willing to attend meetings of the big four but not wider gatherings."

("L. von SCITCO sagte ... er würde an Treffen der grossen Vier teilnehmen, aber nicht an grösseren Versammlungen.")

122 Ausserdem haben die Anwesenheit der Shell-Gruppe in den lokalen Sitzungen und die der Klägerin in den Sitzungen der "grossen Vier" die Festsetzung von Preis- und Verkaufsmengenzielen in den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen begünstigt.

123 Somit ist festzustellen, daß die Klägerin regelmässige Kontakte zu den Teilnehmern an den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen unterhalten hat und diese Kontakte demselben Zweck dienten wie diese Sitzungen.

124 Diese Feststellungen werden nicht dadurch entkräftet, daß die Kommission nicht die gleichen Feststellungen zu Lasten von Amoco und BP getroffen hat, deren Namen ebenfalls in den genannten Tabellen auftauchen. Der Fall dieser Unternehmen unterscheidet sich von dem der Klägerin insofern, als diese Unternehmen nicht an den Sitzungen der Hersteller teilgenommen haben, die insbesondere der Festsetzung von Preis- und Verkaufsmengenzielen dienten, während die Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe an lokalen Sitzungen und die Klägerin an Treffen der grossen Hersteller in den Jahren 1981, 1982 und 1983 teilgenommen haben. Die Kommission konnte daher zu Recht davon ausgehen, daß keine ausreichenden Beweise für die Beteiligung von Amoco und BP an einer wettbewerbswidrigen Abstimmung vorlagen (Entscheidung, Randnr. 78 letzter Absatz). Auf einer solchen Abstimmung beruht aber das der Entscheidung zugrunde liegende Beweissystem. Amoco und BP gehörten zudem nicht zu den Herstellern, zwischen denen es 1977 zu Willensübereinstimmungen über Mindestpreise oder über eine Preisinitiative zum 1. Dezember dieses Jahres gekommen ist. Hieraus folgt, daß die festgestellte unterschiedliche Lage dieser Unternehmen und der Klägerin ihre unterschiedliche Behandlung rechtfertigt.

125 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin zwischen 1977 und September 1983 regelmässige Kontakte zu anderen Polypropylenherstellern unterhalten hat, die an einem System regelmässiger Sitzungen beteiligt waren, daß diese Kontakte demselben Zweck dienten wie diese Sitzungen, daß die Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe an lokalen Sitzungen teilgenommen haben, deren Zweck in der Weiterführung des Zwecks der "Chef"- und "Experten"-Sitzungen bestand, an denen die Klägerin nicht teilgenommen hat, und daß die Klägerin 1981, 1982 und 1983 an Sitzungen mit anderen grossen Herstellern teilgenommen hat.

C - Die Preisinitiativen, die Maßnahmen zur Förderung der Durchführung dieser Initiativen und die Quoten

126 Nach den Randnummern 28 bis 51 der Entscheidung wurde ein System zur Festsetzung von Preiszielen mittels Preisinitiativen angewandt, von denen sechs hätten festgestellt werden können; die erste habe von Juli bis Dezember 1979 gedauert, die zweite von Januar bis Mai 1981, die dritte von August bis Dezember 1981, die vierte von Juni bis Juli 1982, die fünfte von September bis November 1982 und die sechste von Juli bis November 1983. Es habe Einigkeit darüber bestanden, daß günstige Voraussetzungen für eine Preisanhebung geschaffen werden müssten, wenn die Preisinitiativen aufrechterhalten werden sollten (Entscheidung, Randnr. 26 Absatz 2). Ausserdem seien in den Sitzungen von Zeit zu Zeit verschiedene Maßnahmen empfohlen oder vereinbart worden, um die Durchführung einer geplanten Initiative zu unterstützen. Ferner hätten die Hersteller zugegeben, daß irgendein ständiges System der Absatzkontrolle notwendig gewesen sei, um für den Erfolg der Preisvereinbarungen günstige Marktbedingungen zu schaffen (Entscheidung, Randnr. 52 Absatz 1).

C.1 - Die Jahre 1979 und 1980

a) Angefochtene Handlung

127 Zur ersten dieser Preisinitiativen führt die Kommission (Entscheidung, Randnr. 29) aus, es liege kein eingehendes Beweismaterial über irgendwelche Sitzungen oder Preisinitiativen im ersten Halbjahr 1979 vor. Aus einem Vermerk über eine Sitzung vom 26. und 27. September 1979 gehe allerdings hervor, daß eine Preisinitiative auf der Grundlage eines Raffia-Preises von 1,90 DM/kg ab 1. Juli und von 2,05 DM/kg ab 1. September geplant worden sei. Dies bestätige das Protokoll einer Shell-internen Sitzung vom 5. Juli 1979, in dem es heisse: "Das Preisziel für den 1.7.79 lag bei 1,90 DM je kg, konnte aber u. a. in Frankreich und Deutschland nicht erreicht werden." Monte solle der Fachpresse zufolge beabsichtigt haben, die Preise am 1. September mit Unterstützung von Shell und ICI auf 2,05 DM/kg anzuheben. Die Kommission habe Preisinstruktionen einiger Hersteller neben denen von ICI und der Klägerin sichergestellt, die die Anweisungen dieser Hersteller an ihre nationalen Verkaufsbüros zur Anwendung dieses Preises bzw. des entsprechenden Betrags in den anderen nationalen Währungen ab 1. September enthielten; diese Instruktionen seien fast alle erteilt worden, bevor die Fachpresse von der geplanten Preiserhöhung gesprochen habe (Entscheidung, Randnr. 30).

128 Nach Randnummer 31 der Entscheidung stieg der Raffia-Preis Ende September 1979 auf 1,70 bis 1,75 DM/kg, sei also hinter dem Ziel zurückgeblieben. Im Protokoll einer Shell-Sitzung vom 12. September 1979 über das Polypropylengeschäft heisse es: "Der Vorsitzende stellt fest, daß das Preisziel von 2,05 DM/kg für September nicht erreicht worden und dies wegen unserer hohen Gemeinkosten für Shell besonders abträglich war ... Weitere Preisanhebungen wären ohne den Druck, der durch Monomerpreiserhöhungen möglich wäre, schwierig, zumal wenn einige Konkurrenten mit den gegenwärtigen Preisen Gewinne machten."

129 Wegen der Schwierigkeiten einer Preisanhebung hätten die Hersteller deshalb in ihrer Sitzung vom 26. und 27. September 1979 beschlossen, das Datum für die Erreichung des Preisziels um mehrere Monate auf den 1. Dezember 1979 zu verschieben, wobei die seinerzeit geltenden Preise im Oktober beibehalten werden sollten und die Möglichkeit für eine Zwischenerhöhung auf 1,90 oder 1,95 DM/kg im November bestanden habe (Entscheidung, Randnr. 31 Absätze 1 und 2).

130 Nach Randnummer 32 der Entscheidung steht, obwohl für 1980 keine Sitzungsberichte sichergestellt worden seien, fest, daß in diesem Jahr mindestens sieben Herstellersitzungen stattgefunden hätten (hierfür wird auf Tabelle 3 im Anhang der Entscheidung verwiesen). Den Presseberichten vom Anfang des Jahres zufolge seien die Hersteller darauf aus gewesen, im Jahr 1980 einen starken Preisauftrieb zu begünstigen. Trotzdem seien die Preise in diesem Jahr drastisch auf 1,20 DM/kg und weniger gefallen, bevor sie sich etwa im September desselben Jahres wieder stabilisiert hätten.

131 Nach Randnummer 31 Absatz 3 der Entscheidung wurde in der Sitzung vom 26. und 27. September 1979 "ein straffes Quotensystem als wesentlich erachtet"; in dem Bericht über diese Sitzung werde eine Regelung erwähnt, die in Zuerich vorgeschlagen bzw. vereinbart worden sei, um die monatlichen Verkäufe auf 80 % der in den ersten acht Monaten des Jahres getätigten durchschnittlichen Verkäufe zu beschränken.

132 In Randnummer 52 der Entscheidung wird darauf hingewiesen, daß bereits vor August 1982 verschiedene Marktteilungssysteme angewandt worden seien. Während jeder Hersteller einen prozentualen Anteil an den voraussichtlichen Geschäftsabschlüssen erhalten habe, habe es in dieser Phase noch keine systematische Beschränkung der Gesamtproduktion im voraus gegeben. Marktschätzungen hätten also regelmässig revidiert und die Verkäufe jedes Herstellers in absoluten Tonnen-Zahlen entsprechend dem prozentualen Anteil angepasst werden müssen.

133 Für 1979 seien für jeden Hersteller Absatzziele (in Tonnen) aufgestellt worden, die zumindest teilweise auf den in den drei vorangegangenen Jahren erzielten Absatzergebnissen beruht hätten. Bei ICI sichergestellte Tabellen enthielten Angaben über das "revidierte Ziel" für jeden Hersteller für 1979 im Vergleich zu den tatsächlichen in diesem Jahr in Westeuropa erzielten Absatzergebnissen (Entscheidung, Randnr. 54).

134 Ende Februar 1980 hätten die Hersteller für 1980 - wieder in Tonnen ausgedrückt - Ziele auf der Grundlage eines voraussichtlichen Marktes von 1 390 000 Tonnen vereinbart. Nach Randnummer 55 der Entscheidung wurden bei ATO und ICI mehrere Tabellen sichergestellt, die die für jeden Hersteller für 1980 "vereinbarten Ziele" enthielten. Da sich diese ursprüngliche Marktschätzung als zu optimistisch herausgestellt habe, habe die Quote der Hersteller auf eine jährliche Gesamtnachfrage von nur 1 200 000 Tonnen nach unten revidiert werden müssen. Ausser im Falle von ICI und DSM hätten die Verkaufsergebnisse der einzelnen Hersteller weitgehend ihrem Ziel entsprochen.

b) Vorbringen der Parteien

135 Die Klägerin bestreitet eine Beteiligung an den Preisinitiativen, die gemäß der Entscheidung in den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen beschlossen worden seien, an denen sie nicht teilgenommen habe.

136 Im Verwaltungsverfahren habe die Kommission weder die angebliche Preisinitiative vom Juli 1979 noch eine Beteiligung der Shell-Unternehmen daran erwähnt. In ihrer Entscheidung führe sie nun den Bericht über eine interne Sitzung von Shell vom 5. Juli 1979 an (Anlage 9 zur Antwort von Shell auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, nachstehend: Antwort Shell auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, Anl.), ohne die Klägerin jemals aufgefordert zu haben, dazu Stellung zu nehmen. Mithin gebe es keinen Beweis, der einen Vorwurf gegenüber den Shell-Unternehmen stützen könne, an einer Preisvereinbarung im Juli 1979 beteiligt gewesen zu sein, insbesondere wenn man die seinerzeit besonders wettbewerbsintensive Marktsituation betrachte.

137 Für September 1979 berufe sich die Kommission lediglich auf den nicht beweiskräftigen Umstand, daß die Klägerin, nachdem sie aus der Fachpresse von der von Monte geplanten Preiserhöhung erfahren habe, sich in einem Artikel in den ECN vom 30. Juli 1979 für eine solche Erhöhung ausgesprochen habe. Soweit sich die Kommission auch auf einen Bericht über eine interne Sitzung der Klägerin vom 12. September 1979 (Antwort Shell auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, Anl. 10) stützen wolle, gälten die vorstehenden Ausführungen zum Sitzungsbericht vom 5. Juli 1979 in gleicher Weise. Ausserdem werde dieses Schriftstück von der Kommission unzutreffend wiedergegeben und deshalb falsch ausgelegt.

138 Es gebe nicht den geringsten Beweis dafür, daß sie zur Verschiebung eines Ziels von September auf Dezember 1979 beigetragen oder auch nur die geringste Maßnahme zur Durchführung eines Ziels für September ergriffen habe. Die aus dieser Zeit stammenden Beweismittel belegten ganz im Gegenteil, daß sie zu diesem Zeitpunkt ihre Preise unabhängig aufgrund normaler Verhandlungen mit den Kunden festgelegt habe.

139 Bezueglich der Quoten habe sie in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte alle Behauptungen der Kommission zurückgewiesen und insbesondere geltend gemacht, die Unternehmen der Shell-Gruppe hätten selbständig ihre eigenen Mengenziele bestimmt; ihre Finanz-, Produktions- und Absatzpläne seien gewöhnlich vor den Sitzungen erstellt und später auch nicht aufgrund der Ergebnisse dieser Sitzungen abgeändert worden, auch wenn der Shell von den anderen Herstellern zugeteilte Marktanteil höher gewesen sei als das Ziel, das Shell sich gesetzt habe; die von den Shell-Unternehmen vorgegebenen Zahlen und die tatsächlichen Absatzmengen seien erheblich von denen abgewichen, die die übrigen Hersteller für Shell vorgesehen hätten; schließlich hätten die Shell-Gesellschaften nicht an den Sitzungen teilgenommen, und die Klägerin habe weder die den anderen Herstellern zugeteilten Quoten gekannt noch Informationen mit ihnen ausgetauscht. Somit hätten die Shell-Gesellschaften ihre eigene Politik verfolgt, die sie bezueglich der Verkaufsmengen völlig unabhängig festgelegt hätten.

140 Insbesondere der Hinweis in verschiedenen, von anderen Herstellern stammenden Schriftstücken auf "Quoten" für Shell sei nicht beweiskräftig, weil zum einen diese Zahlen der Klägerin von den anderen Herstellern ohne ihre Zustimmung aufgrund verfügbarer Marktdaten zugeteilt worden sein könnten und zum anderen diese Zahlen weder ihren eigenen internen Zielen noch den von ihr auf dem Markt getätigten Verkäufen entsprächen.

141 Die Kommission führt zur Preisinitiative von Juli bis Dezember 1979 aus, daß sie eine Vereinbarung für Juli 1979 nicht gesondert festgestellt habe. Sie sei aber davon ausgegangen, daß eine Vereinbarung und eine abgestimmte Verhaltensweise vorgelegen hätten und daß die Initiative für Juli bis Dezember 1979 dazugehört habe.

142 Bezueglich des Monats September 1979 zeigten die von ihr herangezogenen Beweise insgesamt klar, daß die Klägerin Informationen über die Vorgehensweise der anderen Hersteller besessen habe, die nicht aus der Presse hätten stammen können, und daß sie ein gemeinsames Ziel übernommen habe, da sie für das Vereinigte Königreich Preisinstruktionen erteilt habe (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. A), die vollkommen mit den von ICI nach einer Herstellersitzung festgelegten Preisen (gem. Bpkte., Anl. 12) und den Preisinstruktionen der anderen Hersteller übereingestimmt hätten. In ihrer Gegenerwiderung räumt die Kommission ein, daß die Preisinstruktionen der Klägerin vom selben Tag stammten wie die Ankündigung einer Preiserhöhung durch Monte in den ECN, doch sei das ohne Bedeutung, da die von der Klägerin an den Tag gelegte Bereitwilligkeit auf frühere Kontakte hindeute.

143 Sie habe zudem niemals eine neue Preisvereinbarung (oder auch nur Initiative) für Dezember 1979 behauptet, sondern lediglich darauf hingewiesen, daß das Ziel für September auf Dezember verschoben worden sei.

144 Nach Auffassung der Kommission wird die Beteiligung der Klägerin an den Quotenvereinbarungen für 1979 bewiesen durch eine nicht datierte Tabelle mit der Bezeichnung "Producers' Sales to West Europe" ("Verkäufe der Hersteller innerhalb Westeuropas", gem. Bpkte., Anl. 55), die bei ICI gefunden worden sei und die für alle westeuropäischen Polypropylenhersteller die Verkaufszahlen in Kilotonnen für 1976, 1977 und 1978 ausweise und unter den Rubriken "1979 actual" ("tatsächliche Zahlen 1979") und "revised target" ("revidierte Ziele") weitere Zahlen enthalte. Der Klägerin sei dort ein "revised target" ("revidiertes Ziel") von 150,3 Kilotonnen bei einem "1979 actual" ("tatsächliche Zahlen 1979") von 144,8 Kilotonnen zugeteilt worden. Da diese Tabelle Informationen enthalte, die streng als Geschäftsgeheimnisse gehütet werden müssten, hätte sie nicht ohne Beteiligung der Klägerin erstellt werden können.

145 Auch der Bericht über die Sitzungen vom 26. und 27. September 1979 (gem. Bpkte., Anl. 12) bestätige, daß die Frage der Quoten Gegenstand der Herstellersitzungen gewesen sei, die in dieser Zeit stattgefunden hätten.

146 Für 1980 sei ebenfalls eine Quotenvereinbarung geschlossen worden. Dies ergebe sich vor allem aus einer bei ATO gefundenen Tabelle vom 26. Februar 1980 mit der Bezeichnung "Polypropylen - Sales target 1980 (kt)" ("Polypropylen-Verkaufsziel 1980 [kt]"), in der für alle westeuropäischen Hersteller ein "1980 target" ("Ziel 1980"), "opening suggestions" ("Ausgangsvorschläge"), "proposed adjustments" ("vorgeschlagene Berichtigungen") und "agreed targets 1980" ("vereinbarte Ziele 1980") verglichen würden. Dieses Schriftstück zeige, wie die Quoten ausgearbeitet worden seien. ICI habe in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) im übrigen zu diesem Schriftstück erklärt: "The source of information for actual historic figures in this table would have been the producers themselves" ("Die Quelle für die in dieser Tabelle genannten tatsächlich erzielten Zahlen müssen die Hersteller selbst gewesen sein"). Bestätigt werde diese Würdigung ferner durch den Bericht über zwei Sitzungen vom Januar 1981 (gem. Bpkte., Anl. 17), in denen die Verkaufszielmengen und die von den verschiedenen Herstellern tatsächlich verkauften Mengen verglichen worden seien.

147 Zweck des Quotensystems sei die Stabilisierung der Marktanteile gewesen. Deshalb hätten sich die Vereinbarungen auf die Marktanteile gerichtet, die dann in Mengen als Bezugsgrössen umgerechnet worden seien, da andernfalls nicht feststellbar gewesen wäre, ab welchem Zeitpunkt ein Kartellteilnehmer seine Verkaufstätigkeit absprachegemäß hätte drosseln müssen. Zu diesem Zweck sei eine Vorausschätzung des Gesamtvolumens der zu erwartenden Verkäufe unerläßlich gewesen. Da sich die anfänglichen Vorausschätzungen der Gesamtverkäufe für das Jahr 1980 als zu optimistisch erwiesen hätten, habe der ursprüngliche Ansatz des Gesamtvolumens der Verkäufe mehrfach angepasst werden müssen, so daß die den einzelnen Unternehmen zugewiesenen Mengen ebenfalls hätten angepasst werden müssen.

c) Würdigung durch das Gericht

148 Nach Auffassung des Gerichts ist die Beteiligung der Klägerin an der Preisinitiative für Juli bis Dezember 1979 und am Quotensystem während der Jahre 1979 und 1980 unter Einbeziehung der von der Kommission rechtlich hinreichend bewiesenen Kontakte der Klägerin mit den Teilnehmern an den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen zu prüfen.

149 Am 30. Juli 1979 hat die Klägerin ihren nationalen Konzerngesellschaften einen internen Vermerk mit der Bezeichnung "Polypropylene increase - 1st September, 1979" ("Polypropylen- Erhöhung - 1. September 1979", Anlage Shell A1 zum Schreiben vom 29. März 1985, nachstehend: Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell A1) übersandt. Die Preise in diesem Vermerk sind identisch mit denen ihrer Wettbewerber, die ab 1. September 1979 gelten sollten. Dieser Vermerk verweist ausdrücklich auf einen am 30. Juli 1979 erschienenen Artikel in den ECN, in dem von der Ankündigung einer Preiserhöhung durch Monte Ende August und der Unterstützung dieser Initiative seitens ICI und der Klägerin die Rede ist. Ihm ging ein Fernschreiben der Klägerin an die Produktionsgesellschaften des Konzerns vom 24. Juli 1979 voraus (Anlage A1 zur Antwort von Shell auf das Schreiben vom 29. März 1985, nachstehend: Antwort Shell auf das Schreiben vom 29. März 1985, Anl. A1), in dem es heisst:

"ECN have advised us that Montedison have ißüd a statement to the effect that they will be raising their polypropylene prices in Europe w. e. f. 27/8/79 to DM 2,05 kg ... for homopolymer. This will be published in this week' s ECN. Montedison also indicated that there will need to be a further increase before the end of 1979 ..."

("ECN hat uns mitgeteilt, daß Montedison eine Erklärung veröffentlicht hat, wonach sie ihre Polypropylenpreise in Europa ab 27. August 1979 auf 2,05 DM/kg ... für Homopolymer erhöhen wird. Diese Erklärung wird diese Woche in den ECN veröffentlicht. Monte hat ebenfalls angedeutet, daß eine weitere Preiserhöhung vor Ende 1979 vorgenommen werden muß ...")

Das Gericht ist daher der Auffassung, daß eine Abstimmung über die Anhebung der Preise auf 2,05 DM/kg Ende August/Anfang September zwischen ICI, Monte und der Klägerin entweder unmittelbar oder über die ECN stattgefunden und diese Abstimmung zu einer Willensübereinstimmung zwischen diesen drei Herstellern geführt hat, die am 30. Juli 1979 über die ECN und mittels eines weit verbreiteten internen Shell-Vermerks vom gleichen Tage bekanntgemacht worden ist.

150 Daß in den verschiedenen von der Klägerin stammenden Schriftstücken die beschlossene Preiserhöhung durch Hinweis auf verschiedene Wirtschaftsfaktoren wie den Preis der Rohstoffe oder die Lohnkosten gerechtfertigt wird, kann diese Feststellung ebensowenig widerlegen wie der Umstand, daß diese Erhöhung auf dem Markt nicht durchgesetzt werden konnte. Denn die angeführten Wirtschaftsfaktoren mochten eine Preiserhöhung rechtfertigen, sie können aber weder den bei fast allen Unternehmen bis auf den Pfennig gleichen Betrag der Erhöhung noch den nahezu gleichen Zeitpunkt ihres Inkrafttretens erklären. Selbst wenn der Umstand, daß die beschlossene Preiserhöhung nicht durchgesetzt werden konnte, bewiesen wäre, könnte er die Beteiligung der Klägerin an der Festsetzung von Preiszielen nicht in Frage stellen, sondern diente höchstens dem Nachweis, daß die Klägerin sie nicht durchsetzen konnte. In der Entscheidung wird im übrigen an keiner Stelle behauptet, daß die Klägerin Preise verlangt habe, die stets den vereinbarten Preiszielen entsprochen hätten; dies zeigt, daß die angefochtene Handlung auch nicht auf die Durchsetzung dieser Ziele durch die Klägerin gestützt wird, um deren Beteiligung an der Festlegung dieser Ziele zu beweisen.

151 Bezueglich der Beteiligung der Klägerin an dem Quotensystem während der betreffenden Jahre ist festzustellen, daß ihr Name in verschiedenen Tabellen (gem. Bpkte., Anl. 55 bis 61) genannt wird, deren Inhalt eindeutig darauf hinweist, daß sie zur Festlegung von Verkaufsmengenzielen bestimmt waren, und an deren Erstellung die Klägerin aktiv teilgenommen hat (vgl. oben Randnummern 114 und 115).

152 Die in den Tabellen für die Jahre 1979 und 1980 verwendete Terminologie (wie "revised target" ["revidiertes Ziel"], "opening suggestions" ["Ausgangsvorschläge"], "proposed adjustments" ["vorgeschlagene Berichtigungen"] und "agreed targets" ["vereinbarte Ziele"]) lässt den Schluß zu, daß es zwischen den Sitzungsteilnehmern zu Willensübereinstimmungen über diese Verkaufsmengenziele gekommen ist und daß die Klägerin hierzu durch Mitteilung ihrer Verkaufszahlen beigetragen hat und über die Ziele informiert worden ist, weil ICI in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) erklärt hat, daß die Klägerin und andere Hersteller "would usually be advised of the upshot (if any) of meetings" ("gewöhnlich über das Ergebnis der Sitzungen [falls es ein solches gab] informiert wurden").

153 Für das Jahr 1979 ist auf der Grundlage des gesamten Berichts über die Sitzung vom 26. und 27. September 1979 (gem. Bpkte., Anl. 12) und der bei ICI sichergestellten, nicht datierten Tabelle (gem. Bpkte., Anl. 55) mit der Bezeichnung "Producers' Sales to West Europe" ("Verkäufe der Hersteller innerhalb Westeuropa"), in der für alle westeuropäischen Polypropylenhersteller die Verkaufszahlen in Kilotonnen für 1976, 1977 und 1978 sowie unter den Rubriken "1979 actual" ("tatsächliche Zahlen 1979"), "revised target" und "79" weitere Zahlen genannt werden, festzustellen, daß in dieser Sitzung die Notwendigkeit anerkannt wurde, das für 1979 vereinbarte Quotensystem für die letzten drei Monate dieses Jahres zu verschärfen. Der Ausdruck "tight" ("strikt") in Verbindung mit der Begrenzung auf 80 % von einem Zwölftel der vorgesehenen jährlichen Verkäufe weist darauf hin, daß die für 1979 ursprünglich geplante Regelung für diese letzten drei Monate verschärft werden sollte. Diese Auslegung des Sitzungsberichts wird durch die genannte Tabelle bestätigt, denn diese enthält unter der Überschrift "79" in der letzten Spalte rechts von der Spalte mit der Überschrift "revised target" Zahlen, die den ursprünglich festgelegten Quoten entsprechen müssen. Diese müssen im Sinne einer Verschärfung revidiert worden sein, da sie auf der Grundlage einer zu optimistischen Marktschätzung festgelegt worden waren, wie dies auch 1980 der Fall war. Diese Feststellungen werden nicht dadurch entkräftet, daß in Randnummer 31 Absatz 3 der Entscheidung eine Regelung erwähnt wird, "die in Zuerich vorgeschlagen bzw. vereinbart wurde, um die monatlichen Verkäufe auf 80 % der in den ersten acht Monaten des Jahres getätigten durchschnittlichen Verkäufe zu beschränken". Dieser Hinweis ist in Verbindung mit Randnummer 54 der Entscheidung so zu verstehen, daß ursprünglich schon für die monatlichen Verkäufe der ersten acht Monate des Jahres 1979 Verkaufsmengenziele festgelegt worden waren.

154 Für das Jahr 1980 stellt das Gericht fest, daß die Festlegung von Verkaufsmengenzielen für das gesamte Jahr aus der bei ATO aufgefundenen Tabelle vom 26. Februar 1980 (gem. Bpkte., Anl. 60) hervorgeht, die eine Spalte "agreed targets 1980" ("vereinbarte Ziele 1980") enthält, und aus dem Bericht über die Sitzungen vom Januar 1981 (gem. Bpkte., Anl. 17), in denen Hersteller, unter ihnen die Klägerin, die tatsächlich verkauften Mengen ("Actual kt") mit den festgelegten Zielen ("Target kt") verglichen haben. Diese Schriftstücke werden ferner bestätigt durch eine Tabelle vom 8. Oktober 1980 (gem. Bpkte., Anl. 57), in der in zwei Spalten die "1980 Nameplate Capacity" ("nominale Kapazität 1980") und die "1980 Quota" für die einzelnen Hersteller miteinander verglichen werden.

155 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin zu den Polypropylenherstellern gehörte, zwischen denen es zu Willensübereinstimmungen über ein Preisziel von 2,05 DM/kg zum 1. September 1979 im Rahmen der Preisinitiative für Juli bis Dezember 1979 sowie über Verkaufsmengenziele für die Jahre 1979 und 1980 gekommen ist.

C.2 - Das Jahr 1981

a) Angefochtene Handlung

156 Zu der Preisinitiative von Januar bis Mai 1981 heisst es in der Entscheidung (Randnr. 32 Absatz 3), von bestimmten Herstellern (DSM, Hoechst, Linz, Monte, Saga und ICI) erteilte Preisinstruktionen wiesen darauf hin, daß zum Zweck der Wiederanhebung der Preise die Ziele für Dezember 1980/Januar 1981 für Raffia auf 1,50 DM/kg, für Homopolymer auf 1,70 DM/kg und für Kopolymer auf 1,95 bis 2,00 DM/kg festgelegt worden seien. Ein internes Schriftstück von Solvay enthalte eine Tabelle, in der die "erzielten Preise" für Oktober und November 1980 mit den sogenannten "Listenpreisen" für Januar 1981 in Höhe von 1,50/1,70/2,00 DM/kg verglichen würden. Ursprünglich sei geplant gewesen, diese Preise ab 1. Dezember 1980 anzuwenden (vom 13. bis 15. Oktober habe in Zuerich eine Sitzung stattgefunden), doch sei diese Preisinitiative auf den 1. Januar 1981 verschoben worden.

157 Nach Randnummer 33 der Entscheidung fanden im Januar 1981 zwei Herstellersitzungen statt, in denen beschlossen worden sei, eine im Dezember 1980 für den 1. Februar 1981 festgelegte Preisanhebung auf 1,75 DM/kg für Raffia in zwei Stufen vorzunehmen: Die ab 1. Februar geltenden Zielpreise von 1,75 DM/kg seien aufrechterhalten worden, und die Zielpreise von 2,00 DM/kg hätten "ausnahmslos" ab 1. März eingeführt werden müssen. Für sechs Hauptsorten sei eine Tabelle der Zielpreise in sechs nationalen Währungen aufgestellt worden, die am 1. Februar bzw. 1. März 1981 habe in Kraft treten sollen. Aus Unterlagen der Klägerin werde ersichtlich, daß sie Maßnahmen getroffen habe, um die für Februar und März festgesetzten Zielpreise einzuführen.

158 In der Entscheidung (Randnr. 34) heisst es, daß die Absicht, die Preise ab 1. März auf 2,00 DM/kg anzuheben, jedoch anscheinend nicht zum Erfolg geführt habe. Die Hersteller hätten ihre Erwartungen ändern müssen und nun gehofft, bis März auf 1,75 DM/kg zu kommen. Am 25. März 1981 habe in Amsterdam eine "Experten"-Sitzung stattgefunden, über die Berichte nicht erhalten seien, doch hätten unmittelbar danach jedenfalls BASF, DSM, ICI, Monte und die Klägerin Anweisungen zur Anhebung der Ziel- bzw. "Listenpreise" auf 2,15 DM/kg für Raffia mit Wirkung vom 1. Mai gegeben. Hoechst habe die gleichen Anweisungen für den 1. Mai, allerdings etwa vier Wochen später als die anderen erteilt. Einige Hersteller hätten ihren Verkaufsabteilungen die flexible Anwendung von "Mindest"- bzw. "Tiefst"-Preisen erlaubt, die etwas unter den vereinbarten Preiszielen gelegen hätten. Anfang 1981 sei es zu einem starken Preisauftrieb gekommen, der jedoch trotz der Tatsache, daß die Hersteller die Preisanhebung ab 1. Mai entschieden unterstützt hätten, nicht angehalten habe. Gegen Mitte des Jahres hätten die Hersteller eine Stabilisierung der Preise oder sogar eine gewisse Abwärtsbewegung der Preise verhindert, als die Nachfrage im Sommer zurückgegangen sei.

159 Zur Preisinitiative von August bis Dezember 1981 heisst es in der Entscheidung (Randnr. 35), daß die Klägerin und ICI eine weitere Preisinitiative für September/Oktober 1981 bereits im Juni dieses Jahres vorgesehen hätten, als ein Abklingen des Preisanstiegs des ersten Quartals deutlich geworden sei. Die Klägerin, ICI und Monte hätten sich am 15. Juni 1981 getroffen, um in Gesprächen festzulegen, wie höhere Preise auf dem Markt hätten durchgesetzt werden können. Einige Tage nach dieser Sitzung hätten ICI und die Klägerin ihre Verkaufsabteilungen angewiesen, den Markt für eine erhebliche Erhöhung im September auf der Grundlage einer Raffiapreisanhebung auf 2,30 DM/kg vorzubereiten. Solvay habe ebenfalls seine Verkaufsabteilungen in den Benelux-Ländern am 17. Juli 1981 an die Notwendigkeit erinnert, die Abnehmer über eine wesentliche Preiserhöhung mit Wirkung vom 1. September zu unterrichten, deren genauer Betrag in der letzten Juli-Woche habe beschlossen werden sollen, für die, nämlich zum 28. Juli 1981, eine "Experten"-Sitzung angesetzt worden sei. Die geplante Anhebung auf 2,30 DM/kg im September 1981 sei wahrscheinlich in dieser Sitzung revidiert und für August auf 2,00 DM/kg für Raffia zurückgenommen worden. Der September-Preis habe 2,20 DM/kg betragen. Ein bei Hercules gefundener handschriftlicher Vermerk vom 29. Juli 1981 (einen Tag nach der Sitzung, an der Hercules wahrscheinlich nicht teilgenommen habe) enthalte diese Preise als "offizielle" Preise für August und September und verweise in verschlüsselter Form auf die Informationsquelle. Weitere Sitzungen hätten am 4. August in Genf und am 21. August 1981 in Wien stattgefunden. Nach diesen Sitzungen hätten die Hersteller neue Anweisungen erteilt, ab 1. Oktober einen Preis von 2,30 DM/kg zu praktizieren. BASF, DSM, Hoechst, ICI, Monte und die Klägerin hätten fast identische Preisinstruktionen erteilt, um diese Preise im September und Oktober durchzugeben.

160 Nach der Entscheidung (Randnr. 36) war es nun beabsichtigt, sich im September und Oktober 1981 auf ein "Grundpreis"-Niveau für Raffia von 2,20 bis 2,30 DM/kg zuzubewegen. In einem Schriftstück der Klägerin sei der Hinweis enthalten, daß ursprünglich eine weitere Erhöhung auf 2,50 DM/kg ab 1. November zur Debatte gestanden habe. Berichte der verschiedenen Hersteller zeigten, daß die Preise im September 1981 bis in den folgenden Monat hinein gestiegen seien und die Preise für Raffia etwa 2,00 bis 2,10 DM/kg erreicht hätten. In einem Vermerk von Hercules stehe, daß das Preisziel von 2,30 DM/kg im Dezember auf einen etwas realistischeren Preis von 2,15 DM/kg zurückgeführt worden sei, daß aber "allgemeine Entschlossenheit die Preise auf 2,05 DM brachte und man noch nie so nah an die veröffentlichten (sic!) Zielpreise herangekommen ist". Ende 1981 habe die Fachpresse von Preisen auf dem Polypropylenmarkt gesprochen, die für Raffia bei 1,95 bis 2,10 DM/kg und somit etwa 20 Pfennig unter den Herstellerzielen gelegen hätten. Die Kapazitätsauslastung habe angeblich "gesunde" 80 % betragen.

161 Nach Randnummer 56 der Entscheidung war die Marktteilung für 1981 Gegenstand langer, komplizierter Verhandlungen. In den Sitzungen vom Januar 1981 sei vereinbart worden, daß jeder Hersteller als einstweilige Maßnahme zur Durchsetzung der Preisinitiative im Februar und März seine monatlichen Verkäufe auf ein Zwölftel von 85 % des Ziels von 1980 habe beschränken sollen. Um ein längerfristiges System vorzubereiten, habe jeder Hersteller in der Sitzung mitgeteilt, wieviel Tonnen er 1981 habe verkaufen wollen. Diese "Zielvorstellungen" sämtlicher Hersteller hätten die voraussichtliche Gesamtnachfrage weit überschritten. Obwohl ICI verschiedene Kompromißformeln vorgeschlagen habe, habe keine endgültige Quotenvereinbarung für 1981 geschlossen werden können. Im Rahmen dieser Verhandlungen hätten sich ICI und Shell mindestens zweimal, am 27. Mai und 15. Juni 1981, getroffen, wobei Monte in einer Sitzung auch vertreten gewesen sei. Shell sei gegenüber den Vorschlägen, die in diesen Sitzungen unterbreitet worden seien, skeptisch gewesen, da sie ihres Erachtens auf überzogenen Marktschätzungen beruhten, habe sich aber trotzdem mit einem Marktanteil von 11 bis 12 % zufrieden erklärt. Daß Shell einerseits eine skeptische Haltung gegenüber Quotenregelungen eingenommen, andererseits aber ICI gegenüber erklärt habe, welche Zuteilung für Shell annehmbar sei, lasse sich nach Randnummer 87 Absatz 3 der Entscheidung damit erklären, daß es in einem komplexen Kartell möglich sei, daß einige Hersteller zeitweise einem von den anderen Herstellern vereinbarten besonderen Verhalten nicht uneingeschränkt zustimmten, aber dennoch die betreffende Regelung generell unterstützten und sich entsprechend verhielten. Als Notbehelf hätten die Hersteller auf ihre Vorjahresquote zurückgegriffen und in der Sitzung über ihre tatsächlichen monatlichen Absatzergebnisse berichtet. So seien die tatsächlichen Verkäufe vor dem Hintergrund einer theoretischen Teilung des verfügbaren Marktes auf der Grundlage der Quoten von 1980 überwacht worden (Entscheidung, Randnr. 57).

b) Vorbringen der Parteien

162 Die Klägerin bestreitet eine Beteiligung an den beiden Preisinitiativen des Jahres 1981, das heisst der Initiative von Januar bis Mai 1981 und der von September bis Dezember 1981. Für Januar 1981 werfe ihr die Kommission in ihren beim Gericht eingereichten Schriftsätzen die Beteiligung an einer Preisvereinbarung vor, obwohl dieser Vorwurf in der Entscheidung offensichtlich nicht erhoben werde. Dieser Vorwurf sei unberechtigt, da die Ähnlichkeit zwischen dem Preis, den sie ihren Produktionsgesellschaften empfohlen habe, mit dem angeblich vereinbarten Preis nur für Raffia bestanden habe. Die fehlende Übereinstimmung zwischen dem sogenannten vereinbarten Preis und dem geforderten Preis bei Kopolymer zeige im übrigen, daß die beim Raffia-Preis festgestellte Übereinstimmung nicht auf einer Absprache beruht habe.

163 Für Februar 1981 behaupte die Kommission zu Unrecht, die Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe hätten Maßnahmen ergriffen, um die in einer Herstellersitzung festgesetzten Zielpreise zu erreichen. Die "Preisinstruktionen", die Shell nach dieser Sitzung, das heisst am 26. Januar 1981 (Antwort Shell auf das Schreiben vom 29. März 1985, Anl. C1), erteilt habe, hätten im Gegenteil bewirkt, daß die Produktionsgesellschaften Preise in Rechnung gestellt hätten, die unter den Zielpreisen gelegen hätten.

164 Für März 1981 stehe fest, daß eine der Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe (Shell UK) versucht habe, Preise erheblich unterhalb der Zielpreise durchzusetzen (Memorandum der Shell UK vom 23. Februar 1981, Antwort Shell auf das Schreiben vom 29. März 1985, Anl. C2). Wenn im übrigen die Produktionsgesellschaften versucht hätten, die Preise allmählich auf eine bestimmte Höhe anzuheben, die zufällig den Zielpreisen entsprochen habe, lasse dies den Schluß, daß Shell damit diese Zielpreise habe durchsetzen wollen, nicht zu, ohne daß die Schriftstücke (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. C2 und C3) falsch interpretiert würden.

165 Für Mai 1981 habe sie in einem Fernschreiben vom 10. April 1981 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell D3) ihren Produktionsgesellschaften empfohlen, Preise unterhalb der Zielpreise in Rechnung zu stellen. Mehrere dieser Unternehmen hätten noch niedrigere Preisziele festgelegt und mitgeteilt, daß die Zielpreise nicht erreichbar seien (Memorandum der Shell UK vom 29. und 30. April 1981, Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell D2, und Antwort Shell auf das Schreiben vom 9. März 1985, Anl. D1); die tatsächlich erzielten Preise seien schließlich erheblich niedriger gewesen.

166 Bezueglich der Preisinitiative von September bis Dezember 1981 verweist die Klägerin auf ihre Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte und auf das Schreiben vom 29. März 1985.

167 Bezueglich der Quoten trägt die Klägerin vor, die Erklärung eines Direktors der Klägerin, daß Shell sich mit einem Marktanteil von 11 bis 12 % zufriedengeben könne (gem. Bpkte., Anl. 64), könne nicht als Beweis angesehen werden, denn die anderen Hersteller hätten gewusst, daß die Shell-Unternehmen dadurch nicht hätten verpflichtet werden können. Die Berichte über die Sitzungen vom Mai und Juni 1981 (gem. Bpkte., Anl. 64) zeigten deutlich, daß diese Gespräche nicht dem Abschluß einer Quotenvereinbarung gegolten hätten. Wenn es einen nachträglichen Informationsaustausch über die Umsatzzahlen gegeben habe, so sei dieser nur erfolgt, um wirtschaftliche Daten zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit zu sammeln, und nicht, um die Einhaltung einer Quotenregelung zu überwachen.

168 Nach Ansicht der Kommission geht die Beteiligung der Klägerin an den Preisinitiativen des Jahres 1981 eindeutig aus den von ihr vorgelegten Beweismitteln hervor. So hätten für Januar 1981 die von der Klägerin empfohlenen Preise den Preisinstruktionen der anderen Hersteller für die Grundsorte (Raffia) und für Homopolymer entsprochen. Zwar seien die Preise für Kopolymer abgewichen, doch genüge das nicht für den Nachweis, daß die Klägerin eine vollkommen unabhängige Preispolitik geführt habe.

169 Für Februar 1981 seien die Ziele im Dezember 1980 festgelegt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin Empfehlungen erteilt, die diese Ziele aufgegriffen hätten, auch wenn sie in der Folge tatsächlich neue, nach unten revidierte Empfehlungen übermittelt habe.

170 Dieselbe Absicht einer Anpassung an die vereinbarten Preise sei auch für März und Mai 1981 zu beobachten gewesen. So hätten ICI und die Klägerin für April und Mai 1981 identische Instruktionen erteilt (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. C3 und D1 ff.).

171 Die Tatsache, daß die eine oder andere Produktionsgesellschaft der Shell-Gruppe sich für einen niedrigeren Preis als den Zielpreis entschieden habe, brauche nicht zu bedeuten, daß die Klägerin den Zielpreis anfangs nicht akzeptiert habe, da es sich dabei auch um ein Täuschungsmanöver gehandelt haben könne.

172 Die Kommission räumt ein, daß es 1981 keine endgültige Quotenvereinbarung gegeben habe. Die Hersteller hätten sich jedoch zu Beginn des Jahres 1981 auf ein vorläufiges System geeinigt, das in der Begrenzung ihrer monatlichen Verkäufe auf ein Zwölftel von 85 % der für 1980 vereinbarten Ziele bestanden habe, wie sich aus dem Bericht über die Sitzungen vom Januar 1981 (gem. Bpkte., Anl. 17) ergebe. Weiterhin hätten die Hersteller ihre tatsächlichen monatlichen Verkäufe gegenseitig überwacht, wie dies insbesondere eine bei ICI aufgefundene Tabelle vom 21. Dezember 1981 zeige, die die monatlichen Verkäufe der einzelnen Hersteller für 1981 zusammenstelle (gem. Bpkte., Anl. 67). Schließlich seien ICI, die Klägerin und Monte zweimal, am 27. Mai und am 15. Juni 1981, zusammengetroffen, um über Vorschläge von Quotenregelungen zu sprechen (gem. Bpkte., Anl. 64).

c) Würdigung durch das Gericht

173 Nach Auffassung des Gerichts ist die Beteiligung der Klägerin an den Preisinitiativen und am Quotensystem für das Jahr 1981 unter Einbeziehung der Kontakte der Klägerin mit den Teilnehmern an den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen, ihrer Teilnahme an den Sitzungen vom 27. Mai und 15. Juni 1981 (gem. Bpkte., Anl. 64) und des internen Vermerks von Shell vom 15. Februar 1982 (gem. Bpkte., Anl. 94) mit der Bezeichnung "Market Quality PP." zu prüfen, in dem es heisst:

"Price initiatives by PP majors (Hoechst, M-E, ICI, Shell) unlikely to have much effect (as usual: there are too many PP producers with differing objectives & perceptions)."

("Preisinitiativen der grossen PP-Hersteller [Hoechst, M-E, ICI, Shell] werden schwerlich viel Wirkung haben [wie üblich: zu viele PP-Hersteller mit unterschiedlichen Zielen & Vorstellungen].")

174 Bezueglich der Preisinitiative von Januar bis Mai 1981 wird der Klägerin entgegen ihrer Behauptung in der Entscheidung (Tabelle 7B) vorgeworfen, an der Festsetzung eines Preisziels zum 1. Januar 1981 beteiligt gewesen zu sein. Die Entscheidung stützt sich hierbei auf die Übereinstimmung der Preise in einem Fernschreiben der Klägerin an die Produktionsgesellschaften des Konzerns vom 17. Dezember 1980 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell B/C1) mit den Preisinstruktionen, die fünf andere Hersteller zwischen dem 29. Oktober und dem 15. Dezember 1980 für Raffia und Homopolymer und drei dieser Hersteller für Kopolymer erteilt haben. Hierzu ist erstens festzustellen, daß ICI nach ihrer Preisinstruktion vom 1. Dezember 1980 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. ICI B2) über den Markt erfahren hatte, daß die Klägerin sich entschlossen hatte, ihre Preise schon ab November, d. h. vor der von der Kommission erwähnten Sitzung vom 16. Dezember 1980, anzuheben, und zweitens, daß die Preisinstruktion der Klägerin vom 17. Dezember 1980 entgegen dem durch die Tabelle 7B der Entscheidung erweckten Anschein bezueglich des Kopolymers mit keiner eines anderen Herstellers übereinstimmt, da die Klägerin einen Preis von 1,80 DM/kg nennt, während drei andere Hersteller einen Preis von 2,00 DM/kg und zwei weitere einen Preis von 1,95 DM/kg, mithin weit höhere Preise, anführen. Die Tabelle 7B der Entscheidung vermittelt daher bezueglich dieser Polypropylensorte den falschen Eindruck, daß der Preis der Klägerin dem der anderen Hersteller ähnlich war. Da die Kommission kein anderes Schriftstück vorgelegt hat, das für diese Sorte mit den Preisen der anderen Hersteller übereinstimmende Preise der Klägerin zeigt, ist das Gericht der Auffassung, daß sich die Kommission für ihre Behauptung, die Klägerin sei an der Festsetzung eines Preisziels zum 1. Januar 1981 beteiligt gewesen, nicht allein auf das Fernschreiben der Klägerin vom 17. Dezember 1980 stützen kann.

175 Für Februar 1981 stellt das Gericht fest, daß sich die Kommission wegen der Mitverantwortlichkeit der Klägerin auf das Fernschreiben der Klägerin vom 17. Dezember 1980 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell B/C1) sowie auf das interne Memorandum von Shell UK vom 21. Januar 1981 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell C2) gestützt hat, die beide eine Preisanhebung in Höhe der von ihren Wettbewerbern geplanten anführen. Zur Widerlegung dieser Beweismittel hat die Klägerin ein von ihr stammendes Fernschreiben vom 26. Januar 1981 (Antwort Shell auf das Schreiben vom 29. März 1985, Anl. C1) mit Preisen zum 1. Februar 1981 vorgelegt, die sich sowohl von ihren Instruktionen als auch von Instruktionen anderer Hersteller und von dem in den Sitzungen vom Januar 1981 (gem. Bpkte., Anl. 17) festgelegten Preisziel unterscheiden: Entgegen der Darstellung der Kommission betreffe das Memorandum der Shell UK vom 21. Januar 1981 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell C2) eine Preiserhöhung für März 1981 und nicht zum 1. Februar 1981. Das Gericht ist zunächst der Auffassung, daß das von der Klägerin vorgelegte Schriftstück nicht geeignet ist, die Schlußfolgerungen der Kommission aus den vorgenannten Schriftstücken zu widerlegen. Es entsprach nämlich der üblichen Praxis, daß die Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe nach Erteilung von Preisinstruktionen, die völlig mit denen ihrer Wettbewerber übereinstimmten, diese Instruktionen einige Tage vor ihrem Inkrafttreten berichtigten, wenn die beschlossene Preisinitiative nach ihrer Einschätzung wenig Aussicht auf Erfolg hatte. Dies ist der Grund, warum die Preisinitiativen häufig fehlschlugen und die von der Klägerin auf dem Markt angewandten Preise häufig unter den festgesetzten Preiszielen lagen, wie die Kommission in der Entscheidung anerkannt hat. Das Gericht ist sodann der Auffassung, daß das Memorandum der Shell UK vom 21. Januar 1981 entgegen der Behauptung der Klägerin zum einen auf ihre Absicht verweist, sich der von den europäischen Herstellern für Februar angekündigten Preiserhöhung, die zu dem sowohl in ihrem Fernschreiben vom 17. Dezember 1980 als auch in dem Bericht über die Sitzungen vom Januar 1981 genannten Preis führte (1,75 DM/kg für Raffia), anzuschließen, und getrennt davon zum anderen die für den 3. März vorgesehene Preisanhebung erwähnt. Die Behauptung der Klägerin ist nämlich mit den verschiedenen, in dem Memorandum genannten Zahlen unvereinbar, weil dort ein Preis von 1,50 DM/kg oder 315 UKL/Tonne für Januar sowie ein Ziel von 1,75 DM/kg oder 360 bis 370 UKL/Tonne für Februar aufgeführt ist und vermerkt wird, daß zum 3. März eine Anhebung um 20 UKL/Tonne vorgesehen sei.

176 Für März 1981 stellt das Gericht fest, daß sich die Kommission für ihre Behauptung, die Klägerin sei an diesem Teil der betreffenden Preisinitiative beteiligt gewesen, auf ein internes Memorandum von Shell UK vom 21. Januar 1981 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell C2) und auf ein Memorandum der Klägerin vom 28. Januar 1981 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell C3) stützt, das ein Preisziel von 2,00 DM/kg nennt, das ganz genau dem in den Sitzungen vom Januar festgesetzten Zielpreis und den Preisinstruktionen ihrer Wettbewerber entsprach. Gegenüber diesen Beweismitteln macht die Klägerin geltend, ein Memorandum von Shell UK vom 23. Februar 1981 (Antwort Shell auf das Schreiben vom 29. März 1985, Anl. C2) nenne einen wesentlich niedrigeren Preis als diesen. Die Kommission hat indessen zu Recht den vorgenannten Schriftstücken entnommen, daß die Klägerin an diesem Teil der betreffenden Preisinitiative beteiligt war, da es bei der Klägerin üblich war, die zuvor festgesetzten Preise einige Tage vor ihrem Inkrafttreten abzuändern. So hat sich Shell UK in einem Memorandum vom 27. März 1981 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell D1) stillschweigend auf ihr eigenes Memorandum vom 21. Januar 1981 als Ausgangspunkt für die Berechnung des - mit den Preisen von Hoechst und Monte übereinstimmenden - Preisziels zum 1. April 1981 bezogen (ohne sich in irgendeiner Weise auf ihr Memorandum vom 23. Februar 1981 zu beziehen).

177 Bezueglich der Preiserhöhung, die zum 1. Mai 1981 in Kraft treten sollte, stellt das Gericht fest, daß sich die Kommission wegen der Mitverantwortlichkeit der Klägerin auf das Memorandum von Shell UK vom 27. März 1981 und ein Fernschreiben der Klägerin vom 10. April 1981 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell D3) beruft, die beide einen Zielpreis von 2,15 DM/kg nennen, das zweite Schriftstück zusätzlich einen Mindestpreis von 2,00 DM/kg. Sie weist darauf hin, daß das Memorandum von Shell UK das gleiche Datum trage wie die Preisinstruktionen von BASF, ICI und Monte und zwei Tage nach einer Herstellersitzung vom 25. März erstellt sei. Die Klägerin trägt zu diesem Beweismaterial vor, daß die Memoranden von Shell UK vom 29. April (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell D2), vom 30. April und vom 13. Mai 1981 (Antwort Shell auf das Schreiben vom 29. März 1985, Anl. D1 und D2) darauf hinwiesen, daß die zuvor genannten Preise nicht erreichbar seien. Die Kommission hat nach Auffassung des Gerichts zu Recht aus dem Memorandum von Shell UK vom 27. März 1981 und dem Fernschreiben der Klägerin vom 10. April 1981 auf die Beteiligung der Klägerin an einer Preisinitiative, die am 1. Mai wirksam werden sollte, geschlossen, indem sie diese Schriftstücke mit der Sitzung vom 25. März 1981 und den Preisinstruktionen von BASF, ICI und Monte in Verbindung gebracht hat. Diese Feststellung wird nicht dadurch entkräftet, daß das Fernschreiben vom 10. April 1981 einen Ziel- und einen Mindestpreis enthielt, von denen lediglich der erstgenannte den Preisinstruktionen der anderen Hersteller entsprach. FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 689A0011.3

178 Bezueglich der Preisinitiative von August bis Dezember 1981 stellt das Gericht fest, daß die Kommission zu Recht davon ausgegangen ist, daß die Klägerin zusammen mit Monte und ICI in den Sitzungen vom 27. Mai und 15. Juni 1981 an der Vorbereitung dieser Initiative beteiligt war. Aus dem Bericht über die erste dieser Sitzungen (gem. Bpkte., Anl. 64a) ergibt sich nämlich, daß die Teilnehmer an diesen Sitzungen, unter ihnen die Klägerin und ICI, davon ausgingen, daß der Raffia-Durchschnittspreis Ende Mai bei 1,80 DM/kg lag. Nach dem Bericht über die zweite dieser Sitzungen (gem. Bpkte., Anl. 64b) fassten die Teilnehmer, unter ihnen die Klägerin, ICI und Monte, angesichts des überaus niedrigen Preisniveaus eine Anhebung um 0,20 DM/kg zum 1. Juli als mögliche Lösung ins Auge; auf der Grundlage des Ergebnisses dieser Sitzung hat die Klägerin den Preis festgelegt, den sie ihren Produktionsgesellschaften am 17. Juni 1981 mit 2,00 DM/kg zum 1. Juli (d. h. 1,80 DM/kg + 0,20 DM/kg) mitgeteilt hat (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell E1).

179 Für den 1. September stellt das Gericht fest, daß die Kommission ihre Behauptungen ebenfalls auf das Fernschreiben der Klägerin vom 17. Juni 1981 stützt, das für September auch ein Anfangsziel von 2,30 DM vorsieht. Dieses Ziel ist nach Angabe der Kommission wahrscheinlich in der Sitzung vom 28. Juli 1981 revidiert worden. Sie verweist weiterhin auf ein Memorandum von Shell UK vom 4. August 1981 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell E3), das eine Erhöhung um 40 UKL/Tonne für Homopolymer und Kopolymer ab 5. September nenne, ausserdem auf ein Fernschreiben der Klägerin vom 28. August 1981 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell E2), das einen Zielpreis von 2,20 DM/kg für September anführe - das entspricht 0,20 DM/kg "higher than existing target of 2,00 DM/kg" ("über dem gegenwärtigen Ziel von 2,00 DM/kg"). Diese Preisinstruktionen belegten in Verbindung mit den Sitzungen vom 4. und 21. August 1981 die Schlußfolgerungen der Kommission. Diesen verschiedenen Beweisen gegenüber verweist die Klägerin auf ein Fernschreiben von Shell UK vom 16. Juli 1981 und ein Fernschreiben von Shell France vom 17. Juli 1981 (Antwort Shell auf das Schreiben vom 29. März 1985, Anl. E2 und E3), in denen Zielpreise genannt seien, die mit den nach Darstellung der Kommission festgesetzten nicht übereinstimmten. Auch in ihren Fernschreiben vom 4. und 20. August 1981 (Antwort Shell auf das Schreiben vom 29. März 1985, Anl. E4 und E5) seien für den Monat September abweichende Zielpreise aufgeführt. Das Gericht ist der Auffassung, daß die Kommission die Beteiligung der Klägerin an der Festsetzung eines Preisziels zum 1. September rechtlich bewiesen hat, da der Preis in dem ersten Fernschreiben der Klägerin vom 17. Juni 1981 offensichtlich ein sehr langfristiges Ziel war ("we suggest you start discussions with your customers indicating a floor PP ff level of 2,30 DM/kg"; "wir schlagen vor, daß sie Kundengespräche mit einem Mindestpreis von 2,30 DM/kg für PP usw. beginnen"), das daher berichtigt werden musste, da das Memorandum von Shell UK vom 4. August 1981 und das Fernschreiben der Klägerin vom gleichen Tag zeigen, daß das Ziel für September zu diesem Zeitpunkt auf 2,00 DM/kg zurückgenommen worden war, und da das Fernschreiben der Klägerin vom 28. August 1981 belegt, daß zu diesem Zeitpunkt "new busineß/orders should be based on a minimum of 2.20 DM for kg, 0.20 DM/kg higher than existing target of 2.00 DM per kg" ("Neugeschäfte/-bestellungen sollen auf der Grundlage eines Mindestpreises von 2,20 DM per kg, 0,20 DM/kg höher als das gegenwärtige Ziel von 2,00 DM per kg, erfolgen"). Diese Feststellungen werden dadurch bekräftigt, daß am 28. Juli 1981, am 4. und am 21. August 1981 Herstellersitzungen stattgefunden haben und sich aus der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) ergibt, daß die Klägerin über das Ergebnis der Herstellersitzungen informiert war.

180 Für den 1. Oktober 1981 stellt das Gericht fest, daß sich die Kommission wegen der Mitverantwortlichkeit der Klägerin für diesen Teil der Preisinitiative auf das Fernschreiben der Klägerin vom 28. August 1981 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell E2) stützt, das ein Preisziel von 2,30 DM/kg zum 1. Oktober nennt, sowie auf ein Memorandum von Shell UK vom 8. September 1981 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell E4), das eine Erhöhung um 60 UKL/Tonne für Anfang Oktober ankündigt. Die Klägerin verweist demgegenüber auf den Bericht über eine Shell-interne Sitzung vom 24. September 1981 (Antwort Shell auf das Schreiben vom 29. März 1985, Anl. E6), in der die Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe darauf hingewiesen hätten, daß sie mit einem erheblich unter den Zielen liegenden Mindestpreis rechneten. Die tatsächlich auf dem Markt erzielten Preise hätten ebenfalls klar unter den Zielen gelegen. Nach Auffassung des Gerichts kann dieses Vorbringen der Klägerin die Feststellungen der Kommission nicht entkräften, weil in dem Vermerk vom 24. September 1981 zum 1. Oktober ein - sodann auf 2,30 DM/kg erhöhtes - Preisziel von 2,20 DM/kg genannt ist, was dem von den anderen Herstellern verfolgten Preisziel entspricht. Überdies ist das Memorandum von Shell UK vom 8. September 1981 einen Tag nach den Preisinstruktionen von BASF und ICI und nur vier Tage nach denen von Monte und DSM erstellt worden.

181 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin, vom Beginn der ersten Initiative abgesehen, an den beiden Initiativen beteiligt gewesen ist, die während des Jahres 1981 stattgefunden haben und in den Randnummern 32 bis 36 und den Tabellen 7B bis 7G der Entscheidung dargestellt sind.

182 Bezueglich der Beteiligung der Klägerin an dem Quotensystem stellt das Gericht fest, daß den Herstellern vorgeworfen wird, daß sie an den Verhandlungen teilgenommen hätten, um zu einer Quotenvereinbarung für dieses Jahr zu kommen, sowie daß sie in diesem Rahmen ihre "Bestrebungen" mitgeteilt hätten und in Erwartung einer solchen Vereinbarung übereingekommen seien, ihre monatlichen Verkäufe während der Monate Februar und März 1981 vorübergehend auf ein Zwölftel von 85 % des für 1980 vereinbarten "Zieles" zu reduzieren, daß sie sich für den Rest des Jahres dieselbe theoretische Quote wie für das Vorjahr zugewiesen hätten, daß sie jeden Monat in den Sitzungen ihre Verkäufe bekanntgegeben hätten und daß sie schließlich überprüft hätten, ob ihre Verkäufe die zugeteilte theoretische Quote einhielten.

183 Daß zwischen den Herstellern Verhandlungen im Hinblick auf die Einführung einer Quotenregelung stattgefunden haben und daß die Hersteller in diesen Verhandlungen ihre "Bestrebungen" mitgeteilt haben, wird durch verschiedene Beweismittel belegt, wie Tabellen, die für jeden Hersteller dessen Zahlen für die Jahre 1979 und 1980 als "actual" (tatsächlich) und "targets" (Ziele) sowie seine "aspirations" für 1981 ausweisen (gem. Bpkte., Anl. 59 und 61), eine in italienischer Sprache abgefasste Tabelle (gem. Bpkte., Anl. 62), die für jeden Hersteller dessen Quote für 1980, die Vorschläge anderer Hersteller bezueglich der ihm für 1981 zuzuteilenden Quoten und seine eigenen "Bestrebungen" für 1981 ausweist, sowie einen internen Vermerk von ICI (gem. Bpkte., Anl. 63) über den Verlauf dieser Verhandlungen, in dem es heisst:

"Taking the various alternatives discussed at yesterday' s meeting we would prefer to limit the volume to be shared to no more than the market is expected to reach in 1981, say 1.35 million tons. Although there has been no further discussion with Shell, the four majors could set the lead by accepting a reduction in their 1980 target market share of about 0.35 % provided the more ambitious smaller producers such as Solvay, Saga, DSM, Chemie Linz, Anic/SIR also tempered their demands. Provided the majors are in agreement the anomalies could probably be best handled by individual discussions at Senior level, if possible before the meeting in Zurich."

("Unter den verschiedenen in der gestrigen Sitzung erörterten Möglichkeiten bevorzugen wir diejenige, die aufzuteilende Menge auf das Volumen zu begrenzen, das der Markt 1981 voraussichtlich erreichen wird, also etwa 1,35 Millionen Tonnen. Obwohl keine weitere Diskussion mit Shell stattgefunden hat, könnten die vier Grossen die Richtung weisen, indem sie ihren Zielmarktanteil für 1980 um etwa 0,35 % reduzieren, sofern die ehrgeizigeren kleineren Hersteller wie Solvay, Saga, DSM, Chemie Linz, Anic/SIR ihre Forderungen ebenfalls zuegeln. Vorausgesetzt, die Grossen sind sich einig, könnten die Anomalien möglicherweise durch individuelle Diskussionen auf Chefebene möglichst vor der Sitzung in Zuerich bewältigt werden.")

Diesem Dokument ist ein bezifferter Kompromißvorschlag beigefügt, in dem das von jedem Hersteller erzielte Ergebnis mit 1980 verglichen wird ("% of 1980 target").

184 Die Annahme vorläufiger Maßnahmen in Form einer Reduzierung der monatlichen Verkäufe in den Monaten Februar und März 1981 auf ein Zwölftel von 85 % des für das Vorjahr vereinbarten Ziels ergibt sich aus dem Bericht über die Sitzungen vom Januar 1981, an denen die Klägerin nicht teilgenommen hat, in dem es heisst:

"In the meantime [february-march] monthly volume would be restricted to 1/12 of 85 % of the 1980 target with a freeze on customers."

("In der Zwischenzeit [Februar/März] soll die monatliche Menge auf 1/12 von 85 % des Ziels 1980 mit einem Einfrieren der Kunden reduziert werden.")

185 Die Tatsache, daß sich die Hersteller für den Rest des Jahres dieselbe theoretische Quote wie für das Vorjahr zugewiesen und durch den monatlichen Austausch ihrer Verkaufszahlen überprüft haben, ob die Verkäufe diese Quote einhielten, wird durch drei im Zusammenhang zu sehende Schriftstücke bewiesen. Es handelt sich erstens um eine Tabelle vom 21. Dezember 1981 (gem. Bpkte., Anl. 67), in der für jeden Hersteller die nach Monaten aufgeschlüsselten Verkäufe angegeben werden und deren letzte drei Spalten bezueglich der Monate November und Dezember sowie für das gesamte Jahr handschriftlich hinzugefügt worden sind. Zweitens handelt es sich um eine bei ICI gefundene, in italienischer Sprache abgefasste Tabelle ohne Datum mit der Bezeichnung "Scarti per società" ("Abweichungen, aufgeschlüsselt nach Gesellschaften") (gem. Bpkte., Anl. 65), in der für jeden Hersteller für die Zeit von Januar bis Dezember 1981 die Verkaufszahlen "actual" mit den Zahlen "theoretic" (theoretisch) verglichen werden. Es handelt sich drittens um eine bei ICI gefundene, nicht datierte Tabelle (gem. Bpkte., Anl. 68), in der für jeden Hersteller für die Zeit von Januar bis November 1981 die Verkaufszahlen und die Marktanteile mit denjenigen von 1979 und von 1980 verglichen werden, wobei eine Vorausberechnung für das Jahresende vorgenommen wird.

186 Die erste Tabelle zeigt, daß die Hersteller sich gegenseitig ihre monatlichen Verkaufszahlen mitgeteilt haben, die ein unabhängiger Wirtschaftsteilnehmer streng als Betriebsgeheimnisse hütet, und sie mit denen von 1980 verglichen haben, wie die beiden anderen Tabellen für den gleichen Zeitraum zeigen.

187 Die Teilnahme der Klägerin an diesen verschiedenen Aktivitäten ergibt sich zunächst aus den Kontakten, die sie zu den Teilnehmern an den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen unterhalten hat. Nach der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) war die Klägerin über die Ergebnisse dieser Sitzungen informiert, die sich - wie die Berichte über die Sitzungen vom 27. Mai und 15. Juni 1981 (gem. Bpkte., Anl. 64) zeigen - auf Mengenvereinbarungen bezogen. Im ersten dieser Berichte heisst es nämlich:

"This meeting was arranged to review the polypropylene scene and to seek SICC' s views on the volume scheme put forward by Montepolimeri in Rome ... As expected, Shell were unimpressed by the volume proposals as basically they are unconvinced that they work."

("Dieses Treffen wurde veranstaltet, um den Polypropylenmarkt durchzugehen und die Ansichten von SICC zu dem von Montepolimeri in Rom vorgeschlagenen Mengenplan zu erfahren ... Shell war, wie erwartet, von den Mengenvorschlägen unbeeindruckt, weil sie im Grunde nicht überzeugt ist, daß sie funktionieren.")

In dem zweiten Bericht heisst es:

"L. repeated his comments about quotas and Z. said only DSM, Saga and ICI had commented on his proposals. Possible solutions included (a) sanctions (not a great succeß so far on PVC), (b) control production which is within the power of the bosses (L. thought propylene availability might scupper this), (c) quotas which Z. favoured but L. discounted ..."

("L. wiederholte seine Äusserungen zu den Quoten und Z. sagte, allein DSM, Saga und ICI hätten zu seinen Vorschlägen Stellung genommen. Die möglichen Lösungen beinhalten [a] Sanktionen [kein grosser Erfolg bisher bei PVC], [b] Produktionskontrolle, was in der Macht der Chefs steht [L. meinte, daß die Verfügbarkeit von Polypropylen dies versenken könnte], [c] Quoten, wofür sich Z. aussprach, L. aber weniger begeisterte ...")

Zwar erwähnen diese Berichte Vorbehalte von Shell gegenüber dem Quotensystem, belegen aber auch, daß sie sich an den Erörterungen über die Durchführung eines solchen Systems beteiligt hat.

188 Die Beteiligung der Klägerin ergibt sich weiterhin daraus, daß ihr Name in den erwähnten Schriftstücken genannt wird. Diese Schriftstücke enthalten im übrigen Zahlen, die bekanntlich nur von der Klägerin selbst stammen konnten (vgl. oben Randnrn. 114 und 115).

189 Das Gericht stellt fest, daß die Kommission aus der Tatsache, daß in den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen 1981 eine von der Klägerin durch die Mitteilung ihrer Verkaufszahlen ermöglichte gegenseitige Überwachung der Durchführung eines Systems zur Begrenzung der monatlichen Verkäufe im Verhältnis zu einem vorausgegangenen Bezugszeitraum stattgefunden hat, zu Recht gefolgert hat, daß dieses System von den Polypropylenherstellern angenommen worden war.

190 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin, vom Beginn der Preisinitiative für Januar bis Mai 1981 abgesehen, zu den Polypropylenherstellern gehörte, zwischen denen es zu Willensübereinstimmungen über diese Initiative und über die für August bis Dezember 1981 sowie über die Begrenzung ihrer monatlichen Verkäufe im Verhältnis zu einem vorausgegangenen Bezugszeitraum für das Jahr 1981 gekommen ist.

C.3 - Das Jahr 1982

a) Angefochtene Handlung

191 Die Preisinitiative von Juni/Juli 1982 hat nach den Randnummern 37 bis 39 Absatz 1 der Entscheidung im Kontext einer Rückkehr des Marktes zum Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage gestanden. Diese Initiative sei in der Herstellersitzung vom 13. Mai 1982 beschlossen worden, in der eine ausführliche Tabelle der Preisziele zum 1. Juni für verschiedene Polypropylensorten in verschiedenen nationalen Währungen (2,00 DM/kg für Raffia) erarbeitet worden sei.

192 Auf die Sitzung vom 13. Mai 1982 seien Preisinstruktionen von ATO, BASF, Hoechst, Hercules, Hüls, ICI, Linz, Monte und der Klägerin erfolgt, die, von einigen unerheblichen Ausnahmen abgesehen, den in dieser Sitzung festgelegten Zielpreisen entsprochen hätten (Entscheidung, Randnr. 39 Absatz 2). In der Sitzung vom 9. Juni 1982 hätten die Hersteller nur von bescheidenen Preisanhebungen berichten können.

193 Nach Randnummer 40 der Entscheidung ist in der Sitzung vom 20. und 21. Juli 1982 eine Preisinitiative für September bis November 1982 beschlossen worden, mit der ein Preis von 2,00 DM/kg zum 1. September und von 2,10 DM/kg zum 1. Oktober habe erreicht werden sollen. In der Sitzung vom 20. August 1982 sei die für den 1. September geplante Preisanhebung auf den 1. Oktober verschoben worden; dieser Beschluß sei in der Sitzung vom 2. September 1982 bestätigt worden (Entscheidung, Randnr. 41).

194 Nach den Sitzungen vom 20. August und 2. September 1982 hätten ATO, DSM, Hercules, Hoechst, Hüls, ICI, Linz, Monte und die Klägerin Preisinstruktionen erteilt, die dem in diesen Sitzungen festgelegten Zielpreis entsprochen hätten (Entscheidung, Randnr. 43).

195 In der Sitzung vom 21. September 1982 seien die Maßnahmen zur Erreichung des zuvor gesetzten Ziels geprüft worden, und die Unternehmen hätten generell einen Vorschlag zur Anhebung des Preises auf 2,10 DM/kg für November/Dezember 1982 unterstützt. Diese Anhebung sei in der Sitzung vom 6. Oktober 1982 bestätigt worden (Entscheidung, Randnr. 44).

196 Nach der Sitzung vom 6. Oktober 1982 hätten BASF, DSM, Hercules, Hoechst, Hüls, ICI, Linz, Monte, die Klägerin und Saga Preisinstruktionen erteilt, um die beschlossene Anhebung durchzusetzen (Entscheidung, Randnr. 44 Absatz 2).

197 ATO, BASF, DSM, Hercules, Hoechst, Hüls, ICI, Monte und Saga hätten der Kommission Preisinstruktionen vorgelegt, die sie ihren lokalen Verkaufsabteilungen erteilt hätten. Diese seien nicht nur in bezug auf Betrag und Zeit identisch, sondern entsprächen auch der Zielpreisliste, die dem Bericht von ICI über die "Experten"-Sitzung vom 2. September 1982 beigefügt sei. Die Klägerin gebe zu, an der Sitzung der "grossen Vier" in Heathrow am 13. Oktober teilgenommen zu haben (eine Woche vor der "Chef"-Sitzung im Oktober), und habe im September wegen der Oktober-Preisinitiative in Verbindung mit ICI gestanden (Entscheidung, Randnr. 45).

198 Die Sitzung vom Dezember 1982 habe zu einer Vereinbarung geführt, der zufolge der November/Dezember-Stand von 2,10 DM/kg bis Ende Januar 1983 habe erreicht werden müssen (Entscheidung, Randnr. 46 Absatz 2).

199 Ausserdem wird der Klägerin in der Entscheidung (Artikel 1 Buchstabe c und Randnr. 27; siehe auch Randnr. 42) vorgeworfen, sie habe mit den anderen Herstellern verschiedene Maßnahmen getroffen, um die Durchsetzung der Zielpreise zu erleichtern, wie vorübergehende Absatzeinschränkungen, Austausch von Einzelangaben über ihre Verkäufe, Veranstaltung lokaler Sitzungen und ab September 1982 ein System des "Kundenmanagements" zwecks Durchsetzung der Preiserhöhungen gegenüber Einzelkunden.

200 Im System des "Kundenmanagements", das später (seit Dezember 1982) in weiterentwickelter Form als "Kundenführung" (account leadership) bezeichnet worden sei, sei die Klägerin wie alle Hersteller für mindestens einen Großkunden zum Koordinator oder Führer ernannt worden mit dem Auftrag, dessen Geschäfte mit seinen Lieferanten heimlich zu koordinieren. In Anwendung dieses Systems seien in Belgien, Italien, Deutschland und im Vereinigten Königreich Kunden bestimmt worden, für die jeweils ein "Koordinator" ernannt worden sei. Im Dezember 1982 sei eine umfassendere Annahme dieses Systems vorgeschlagen worden, wonach für jeden Großkunden ein Kundenführer ernannt worden sei, der "die Preisbewegungen [habe] lenken, erörtern und organisieren" sollen. Andere Hersteller, die in regelmässigen Geschäftsbeziehungen zu dem Kunden gestanden hätten, seien als "Wettbewerber" bezeichnet worden und hätten mit dem Kundenführer bei der Preisfestsetzung für den betreffenden Kunden zusammenarbeiten sollen. Zum "Schutz" des Kundenführers und der Wettbewerber hätten andere Hersteller, an die sich die Kunden gewandt hätten, einen Preis fordern sollen, der über dem gewünschten Niveau gelegen habe. Entgegen den Behauptungen von ICI, das System sei nach nur wenigen Monaten, in denen es nur teilweise und ineffizient funktioniert habe, zusammengebrochen, werde aus dem Bericht über die Sitzung vom 3. Mai 1983 deutlich, daß zu dieser Zeit über Einzelkunden und Preisangebote jedes einzelnen Herstellers an sie sowie Lieferungen und Bestellungen eingehend diskutiert worden sei.

201 Nach Randnummer 58 der Entscheidung unterbreiteten die Hersteller für 1982 komplizierte Quotenvorschläge, bei denen versucht worden sei, unterschiedliche Faktoren wie frühere Leistungen, Marktziele und vorhandene Kapazität in Einklang zu bringen. Der aufzuteilende Gesamtmarkt sei auf 1 450 000 Tonnen geschätzt worden. Einige Hersteller hätten ausgeklügelte Pläne für eine Marktteilung vorgelegt, während sich andere damit zufriedengegeben hätten, lediglich ihre Zielvorstellungen mitzuteilen. In der Sitzung vom 10. März 1982 hätten Monte und ICI versucht, eine Einigung zu erzielen. Wie 1981 sei es jedoch auch 1982 nicht zu einer endgültigen Vereinbarung gekommen, so daß im ersten Halbjahr die monatlichen Verkäufe der Hersteller in den Sitzungen mitgeteilt und anhand der Vorjahresanteile überwacht worden seien (Entscheidung, Randnr. 58, letzter Absatz). In der Sitzung vom August 1982 seien die Gespräche zur Erreichung einer Vereinbarung über die Quoten für 1983 fortgesetzt worden; ICI habe mit jedem Hersteller bilaterale Gespräche über das neue System geführt. Bis zur Einführung eines solchen Quotensystems hätten die Hersteller jedoch im zweiten Halbjahr 1982 versuchen sollen, ihre monatlichen Verkäufe auf dieselben prozentualen Anteile am Gesamtmarkt zu beschränken, die jeder von ihnen im ersten Halbjahr 1982 erreicht habe. So hätten sich 1982 die Marktanteile in einem relativen Gleichgewicht befunden (das ATO als "Quasi-Konsens" bezeichnet habe). Unter den Grossen hätten ICI und die Klägerin weiterhin über einen Anteil von etwa 11 % verfügt, während der Anteil von Hoechst bei 10,5 % gelegen habe. Monte, die noch immer der grösste Hersteller gewesen sei, habe ihren Marktanteil auf 15 % ausgebaut gegenüber 14,2 % im Vorjahr (Entscheidung, Randnr. 59).

b) Vorbringen der Parteien

202 In ihren beim Gericht eingereichten Schriftsätzen bestreitet die Klägerin nicht substantiiert ihre Beteiligung an den Preisinitiativen von 1982, erklärt aber, daß ihre kritischen Äusserungen zu den Preisinitiativen der Jahre 1977, 1979, 1981 und 1983 lediglich beispielhaft angeführt worden seien. Im übrigen verweist sie auf ihre Schriftsätze im Rahmen des Verwaltungsverfahrens.

203 Sie macht geltend - ohne daß die Kommission dem widersprochen hätte -, daß sie an den Sitzungen vom 2. September 1982 (gem. Bpkte., Anl. 29) und vom 2. Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 33), in denen das System der Kundenführung vorgeschlagen und eingehend geprüft worden sei, nicht teilgenommen habe, obwohl die Kommission behaupte: "Alle Hersteller, die in dieser Zeit [d. h. ab September 1982] an Sitzungen teilnahmen (einschließlich Shell), wurden für mindestens einen Großkunden zu Koordinatoren oder Führern ernannt" (Entscheidung, Randnr. 27 letzter Absatz). Es sei im übrigen nicht bewiesen, daß sich die anwesenden Hersteller auf die Einführung dieses Systems geeinigt hätten. Shell sei jedenfalls nicht darüber informiert worden, und der Umstand, daß andere Hersteller die Möglichkeit geprüft hätten, daß Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe als Kundenführer aufträten, sei für sich allein kein ausreichender Beweis, daß diese Gesellschaften einverstanden gewesen seien, sich an diesem System zu beteiligen.

204 Im übrigen glaube die Kommission zu Unrecht, aus dem Bericht über eine Herstellersitzung vom Frühjahr 1983 (gem. Bpkte., Anl. 37) ableiten zu können, daß die Klägerin individuelle Informationen über ihre Kunden preisgegeben habe, die nur im Rahmen eines Systems der Kundenführung von Bedeutung sein könnten. Niemand aus der Shell-Gruppe habe nämlich Kenntnis vom Inhalt dieser Sitzung gehabt und keine Shell-Gesellschaft habe daran teilgenommen oder Informationen an irgend jemanden weitergegeben, um davon in dieser Sitzung Gebrauch zu machen. Ein Vergleich des Berichts über diese Sitzung mit den wahren Tatsachen hätte gezeigt, daß die Angaben zu Shell auf in Wahrheit unzutreffenden Vermutungen der Verkaufsabteilungen anderer Unternehmen und nicht auf einem von einer Shell-Gesellschaft erstellten Bericht über die tatsächliche Lage beruht hätten. Die Preise für das Unternehmen BIHR, dessen Kundenführer sie angeblich gewesen sei, seien anhand des Durchschnitts der Preise seiner übrigen Lieferanten festgesetzt worden, was die Klägerin daran gehindert habe, das Unternehmen zur Durchführung einer Preisanhebung zu benutzen oder die von ihr diesem gegenüber angewandten Preise mitzuteilen, weil die Preise lediglich im nachhinein hätten festgesetzt werden können.

205 Die Kommission könne sich ferner ebensowenig auf den Bericht über eine interne Shell-Sitzung vom 17. März 1983 (gem. Bpkte., Anl. 53) stützen, weil dieser Bericht die Beteiligung der Klägerin an dem System nicht beweise. Darüber hinaus habe die Kommission den Bericht über eine andere interne Shell-Sitzung vom 14. März 1983 (ind. Bpkte. Shell, Anl. 42) nicht berücksichtigt, der belege, daß die Klägerin als grosser Hersteller geglaubt habe, ihre Preise gegenüber einem heiklen Kunden wie BIHR nicht erhöhen zu können. Schließlich hätte ihre Beteiligung an einem solchen System im Widerspruch zu ihrer seinerzeit an Mengen orientierten Politik gestanden.

206 Zu den Quoten macht die Klägerin geltend, da sie sich geweigert habe, sich an einer Ausgleichsregelung zu beteiligen, sei diese gescheitert und eine Quotenvereinbarung nicht zustande gekommen. Im Verlauf dieser Gespräche habe zwar einer ihrer leitenden Angestellten erklärt, Shell wäre mit einem Marktanteil zwischen 11 und 12 % zufrieden, doch angesichts der Konzernstruktur von Shell, der zufolge sie keine Verpflichtung zu Lasten der Produktionsgesellschaften eingehen könne, hätten die anderen Unternehmen diese Erklärung unmöglich als Einverständnis mit einer Quote verstehen können. 1982 habe sie einen Marktanteil von mehr als 12 % besessen und mit 98 % ihrer effektiven Kapazität produziert, was den anderen Herstellern nicht habe verborgen bleiben können.

207 Die Kommission bezieht sich auf die in der Entscheidung genannten Beweismittel, um die Beteiligung der Klägerin an den Preisinitiativen für 1982 zu belegen.

208 Es gebe unwiderlegbare Beweise, daß die Shell-Unternehmen an Sitzungen der "grossen Vier" und an lokalen Sitzungen teilgenommen hätten. Das System der Kundenführung und die ihnen hierbei zugedachte Rolle (gem. Bpkte., Anl. 29 und 33) habe ihnen daher nicht lange verborgen bleiben können, weil sie über den Inhalt der Sitzungen informiert gewesen seien, wie ICI in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen erklärt habe (gem. Bpkte., Anl. 8). Nur weil die anderen Hersteller gute Gründe für die Annahme gehabt hätten, daß die Klägerin bereit sei, sich an dem System zu beteiligen, hätten sie sie als einen möglichen "Führer" erwähnt.

209 Der Bericht über eine Sitzung vom Frühjahr 1983 (gem. Bpkte., Anl. 37), der durch einen internen Bericht über eine Sitzung vom 17. März 1983 (gem. Bpkte., Anl. 53) bestätigt werde, zeige, daß die Klägerin den anderen Herstellern aufgrund ihrer Rolle als "Führer" insbesondere von BIHR spezifische Informationen über ihre Kunden geliefert habe.

210 Das System der Kundenführung stelle im übrigen nur einen Aspekt der Vereinbarungen zwischen den Herstellern dar.

211 Für 1982 sei eine endgültige Vereinbarung trotz der entsprechenden Bemühungen, die durch die verschiedenen aufgefundenen Pläne bewiesen würden, nicht zustande gekommen. Man habe jedoch als vorläufige Lösung eine Orientierung der Verkäufe an den Zahlen des Vorjahres gefunden. Aus zahlreichen Schriftstücken ergebe sich, daß Gespräche über die Festsetzung von Quoten geführt worden seien. Dabei seien vor allem die von ICI erstellten Sitzungsberichte zu nennen, denen zu entnehmen sei, daß Informationen über die verkauften Mengen ausgetauscht worden seien (gem. Bpkte., Anl. 24 bis 26 und 31 bis 33). Hinzuweisen sei ferner auf verschiedene bei ICI gefundene Pläne (gem. Bpkte., Anl. 69 und 71) sowie auf einen von ICI stammenden, ziemlich vollständigen Vorschlag für 1982 (gem. Bpkte., Anl. 70).

212 Die die Klägerin betreffenden Informationen in diesen verschiedenen Schriftstücken müssten von ihr selbst mitgeteilt worden sein, wie die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen erkennen lasse.

c) Würdigung durch das Gericht

213 Nach Auffassung des Gerichts ist die Beteiligung der Klägerin an den Preisinitiativen, an den Maßnahmen zur Förderung der Durchführung dieser Initiativen und am Quotensystem unter Einbeziehung der Kontakte der Klägerin mit den Teilnehmern an den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen, ihrer Teilnahme an den Sitzungen der "grossen Vier" und der Teilnahme der Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe an den lokalen Sitzungen zu prüfen.

214 Für die Preisinitiative vom Juni/Juli 1982, bei der in der "Experten"-Sitzung vom 13. Mai 1982 (gem. Bpkte., Anl. 24) ein Preisziel für das Vereinigte Königreich zum 14. Juni beschlossen worden sein soll, stützt sich die Kommission auf ein Memorandum von Shell UK vom 17. Juni 1982 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell F1), das eine Preiserhöhung zum 21. Juni um 50 UKL/Tonne anführe, was dem Zielpreis entspreche. Demgegenüber verweist die Klägerin darauf, daß die Kommission, die eingeräumt habe, daß diese Initiative nicht durchgeführt worden sei, lediglich vorbringen könne, daß ihre Preise für Juni die gleichen geblieben seien wie im Mai. Dazu stellt das Gericht fest, daß das Memorandum von Shell zwar mehr als einen Monat später als die Sitzung vom 13. Mai 1982 und erst drei Tage nach dem Inkrafttreten des Zielpreises für Juni erstellt worden ist, gleichwohl aber vom Tage nach einer lokalen Sitzung vom 16. Juni 1982 stammt, die von DSM in Belgien auf Wunsch der anderen Hersteller in der Sitzung vom 9. Juni 1982 (gem. Bpkte., Anl. 25) einberufen wurde. Diese lokale Sitzung, an der die Klägerin teilgenommen hat, hatte den Zweck "to quote the target levels absolutely rigidly for July" ("die Zielniveaus für Juli ganz strikt festzulegen"). Diese Entscheidung wurde getroffen, nachdem die Hersteller festgestellt hatten:

"It was impossible to reach the target level of 36 BFR/kg etc in June. ICI & DSM pressed for a major push in Belgium as it would have beneficial effects on the surrounding countries + bringing Shell back into the fold (without any producers having to put too much at stake in terms of volume)."

("daß es unmöglich sei, das Zielniveau von 36 BFR/kg usw. im Juni zu erreichen. ICI und DSM drängten auf stärkeren Druck in Belgien, weil dies günstige Auswirkungen auf die Nachbarländer habe + Shell in die Reihen zurückbringen würde [ohne daß irgendein Hersteller mengenmässig zuviel riskieren müsste]").

Das Gericht ist daher der Auffassung, daß als Ergebnis der lokalen Sitzung vom 16. Juni 1982 die Klägerin sich der laufenden Preisinitiative angeschlossen hat und dem Umstand, daß diese Initiative fehlgeschlagen ist, keine Bedeutung zukommt.

215 Zum Beweis der Beteiligung der Klägerin an der Preisinitiative von September bis Dezember 1982 stützt sich die Kommission auf einen Vermerk von Shell UK vom 26. August 1982 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell G1), mit der die Verkaufsstelle aufgefordert worden sei, die Kunden im Vereinigten Königreich über eine Preisanhebung zum 1. Oktober zu informieren, und zugleich "Zielniveaus" festgesetzt worden seien, die genau den in dem Bericht über die "Experten"-Sitzung vom 2. September 1982 (gem. Bpkte., Anl. 29) angeführten entsprochen hätten. Ein Vermerk vom 1. November über die "Geschäftspolitik im Bereich der Polyolefine" empfehle, die Struktur der geltenden Mindestpreise beizubehalten, sie aber im Vereinigten Königreich um 20 UKL/Tonne anzuheben, sobald der Benelux- und der Skandinavienmarkt ihre Preise auf der Grundlage von 2,00 DM/kg gefestigt und die Europäer im November und Dezember begonnen hätten, 10 Pfennig mehr zu verlangen (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell G2). Ein weiterer Vermerk vom 25. November 1982 empfehle eine Anhebung um 20 UKL/Tonne im Dezember und sobald wie möglich eine Erhöhung der "Mindestpreisniveaus" für Raffia auf 490 UKL/Tonne Anfang Dezember (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell G3). Weiterhin würden in dem Bericht über eine Sitzung, die am 30. November unter dem Vorsitz von SCITCO stattgefunden habe und an der die anderen Shell-Gesellschaften teilgenommen hätten, "Dezemberziele" für Raffia von 2,10 DM/kg, für Homopolymer von 2,30 DM/kg und für Kopolymer von 2,50 DM/kg genannt (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell G4). Ein Vermerk von ICI über Preisbewegungen im Anschluß an die Herstellersitzungen im Dezember enthalte den bezeichnenden Satz: "Shell & ourselves have made good progreß towards the UKL 490 December levels ..." ("Shell und wir haben ordentliche Fortschritte in Richtung der Dezember-Niveaus von 490 UKL gemacht ..."; gem. Bpkte., Anl. 34). Die Klägerin habe jedoch ICI gegenüber Vorbehalte wegen einer zukünftigen Initiative geäussert, was den Verfasser des Vermerks zu der Äusserung veranlasst habe: "The most I could persuade them to consider was + UKL 20/t in February to UKL 510/t ..." ("Das Äusserste, zu dem ich sie überreden konnte, war, + 20 UKL/Tonne auf dann 510 UKL/Tonne im Februar zu erwägen ..."). Der Bericht über die Shell-Sitzung vom 30. November lasse erkennen, daß das Ziel von Shell UK zum 1. Februar 1983 tatsächlich 510 UKL gewesen sei. Die Klägerin macht demgegenüber geltend, daß das Memorandum von Shell UK vom 26. August 1982 eine Woche vor der Sitzung vom 2. September 1982 verfasst worden sei, in der der Kommission zufolge der Zielpreis für Oktober festgesetzt worden sei, und auch keine Preisinstruktion darstelle. Dieses Vorbringen werde zum einen durch den Bericht über die interne PIM-Sitzung der Klägerin vom 7. September 1982 (ind. Bpkte. Shell, Anl. 30) bestätigt, in der bemerkt worden sei, das Ziel sei schwierig zu erreichen, weil sich mehrere Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe geweigert hätten, für eine unvernünftige Preispolitik Marktanteile zu opfern, und zum anderen durch Schriftstücke anderer Hersteller untermauert, nach denen die Klägerin eine sehr wettbewerbsorientierte Preispolitik betrieben habe. Der Vermerk vom 1. November erwähne keine Preiserhöhung von Shell, und der vom 25. November enthalte eine Erläuterung für die Notwendigkeit einer Preiserhöhung im Dezember, nämlich die Schwäche des englischen Pfundes. Ergänzend verweist die Klägerin auf einen Vermerk von Shell UK vom 14. Dezember (Antwort Shell auf das Schreiben vom 29. März 1985, Anl. G1), wonach diese Anhebung zurückgenommen worden sei, was durch einen Vermerk von ICI mit der Bezeichnung "W. European Polypropylene situation December 1982" ("Westeuropäische Polypropylen-Situation Dezember 1982"; gem. Bpkte., Anl. 34) bestätigt werde, in dem von der agressiven Preispolitik der Klägerin gesprochen werde. Die Zurückhaltung der Klägerin bei Preiserhöhungen werde ferner durch einen Bericht über die Sitzung vom 30. November 1982 belegt. Das Gericht stellt fest, daß das Memorandum vom 26. August 1982 zwar vor der Sitzung vom 2. September 1982, aber nach der "Chef"-Sitzung vom 20. August 1982 und nach der lokalen Sitzung vom 23. August 1982, die Belgien galt und an der eine Produktionsgesellschaft der Klägerin teilgenommen hat, verfasst worden ist. Im Verlauf der Sitzung vom 20. August 1982 (gem. Bpkte., Anl. 28) ist das zum 1. Oktober zu erreichende Ziel von 2,00 DM/kg festgesetzt worden. In dem Bericht über die interne Sitzung vom 7. September 1982 (ind. Bpkte. Shell, Anl. 30) heisst es, der wirtschaftliche Rahmen sei günstig für eine Preisanhebung, doch könne das Niveau von 2,00 DM/kg nur in einigen Fällen erreicht werden. Im übrigen ist das Vorbringen der Klägerin lediglich auf den Nachweis gerichtet, daß sie die Zielpreise am Markt nicht hat durchsetzen können, nicht hingegen darauf, daß sie der Vereinbarung über die Festlegung dieser Zielpreise nicht zugestimmt hat.

216 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin an zwei Preisinitiativen beteiligt gewesen ist, die 1982 stattgefunden haben und in den Randnummern 37 bis 46 und den Tabellen 7H und 7J der Entscheidung dargestellt sind.

217 Zur Kundenführerschaft stellt das Gericht fest, daß die Klägerin nicht nur ihre Beteiligung an diesem System in Abrede stellt, sondern auch bestreitet, daß dieses System von den anderen Herstellern beschlossen und durchgeführt worden sei. Aus den Berichten über die Sitzungen vom 2. September 1982 (gem. Bpkte., Anl. 29), vom 2. Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 33) und vom Frühjahr 1983 (gem. Bpkte., Anl. 37) ergibt sich, daß die in diesen Sitzungen anwesenden Hersteller sich diesem System angeschlossen haben. Die Vereinbarung des Systems der Kundenführerschaft ergibt sich aus folgender Stelle des Berichts über die Sitzung vom 2. September 1982:

"About the dangers of everyone quoting exactly DM 2.00 A.' s point was accepted but rather than go below DM 2.00 it was suggested & generally agreed that others than the major producers at individual accounts should quote a few pfs higher. Whilst customers tourism was clearly to by avoided for the next month or two it was accepted that it would be very difficult for companies to refuse to quote at all when, as was likely, customers tried to avoid paying higher prices to the regular suppliers. In such cases producers would quote but at above the minimum levels for October."

("Dem Hinweis von A. auf die Gefahren, die sich ergäben, wenn alle genau 2,00 DM verlangten, wurde zugestimmt, doch wurde vorgeschlagen und allgemein vereinbart, daß, statt unter 2,00 DM zu gehen, andere als die Hauptlieferanten eines bestimmten Kunden einige Pfennige mehr verlangen sollten. Während klargestellt wurde, daß das Abwandern von Kunden im nächsten oder in den nächsten beiden Monaten zu vermeiden sei, wurde akzeptiert, daß es für die Unternehmen sehr schwer sein würde, überhaupt keine Preise zu nennen, wenn die Kunden, womit zu rechnen sei, versuchen würden, den höheren Preisen der regelmässigen Lieferer auszuweichen. In solchen Fällen sollten die Hersteller ein Preisangebot machen, das allerdings über den Mindestpreisen für Oktober liegen sollte.")

218 Die zumindest teilweise Durchführung dieses Systems wird belegt durch den Bericht über die Sitzung vom 3. Mai 1983 (gem. Bpkte., Anl. 38), in dem es heisst:

"A long discussion took place on Jacob Holm who is asking for quotations for the 3rd quarter. It was agreed not to do this and to restrict offers to the end of June, April/May levels were at DKR 6.30 (DM 1.72). Hercules were definitely in and should not have been so. To protect BASF, it was agreed that CWH[üls] + ICI would quote DKR 6.75 from now to end June (DM 1.85) ..."

("Es wurde lang über Jacob Holm diskutiert, der Preisangebote für das dritte Quartal wünscht. Es wurde vereinbart, dies nicht zu tun und Angebote auf Ende Juni zu beschränken, das April/Mai-Niveau lag bei 6,30 DKR [1,72 DM]. Hercules war klar dabei und hätte es nicht sein sollen. Zum Schutz von BASF wurde vereinbart, daß CWH[üls] und ICI ab sofort bis Ende Juni 6,75 DKR [1,85 DM] verlangen sollen ...")

Diese Durchführung wird durch die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) bestätigt, in der zu diesem Sitzungsbericht ausgeführt wird:

"In the Spring of 1983 there was a partial attempt by some producers to operate the 'Account Leadership' scheme ... Since Hercules had not declared to the 'Account Leader' its interest in supplying Jacob Holm, the statement was made at this meeting in relation to Jacob Holm that 'Hercules were definitely in and should not have been so' . It should be made clear that this statement refers only to the Jacob Holm account and not to the Danish market. It was because of such action by Hercules and others that the 'Account Leadership' scheme collapsed after at most two months of partial and ineffective operation.

The method by which Hüls and ICI should have protected BASF was by quoting a price of DKR 6.75 for the supply of raffia grade polypropylene to Jacob Holm until the end of June."

("Im Frühjahr 1983 versuchten einige Hersteller, das System der Kundenführerschaft teilweise in Gang zu bringen ... Da Hercules dem Kundenführer sein Interesse an einer Belieferung von Jacob Holm nicht mitgeteilt hatte, wurde in dieser Sitzung zu Jacob Holm festgestellt: 'Hercules war klar dabei und hätte es nicht sein sollen' . Es wurde klargestellt, daß diese Feststellung sich nur auf den Kunden Jacob Holm und nicht auf den dänischen Markt bezieht. Aufgrund dieses Verhaltens von Hercules und anderer brach das System der Kundenführerschaft nach höchstens zwei Monaten, in denen es nur teilweise und ineffizient funktionierte, zusammen.

Das Vorgehen von Hüls und ICI, durch das sie BASF hätten schützen sollen, bestand darin, einen Preis von 6,75 DKR für die Lieferung von Polypropylen der Sorte Raffia an Jacob Holm bis Ende Juni zu verlangen.")

219 Das Gericht ist der Auffassung, daß der Bericht über die Sitzung vom 2. Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 33) entgegen der Behauptung der Klägerin zeigt, daß das System der Kundenführerschaft in der Sitzung vom 2. September (gem. Bpkte., Anl. 29) beschlossen worden war, denn dort heisst es, daß am 2. Dezember "the idea of account management was proposed for more general adoption" ("das Konzept der Kundenführerschaft wurde im Hinblick auf eine allgemeinere Vereinbarung vorgeschlagen"), was bedeutet, daß dieses System bereits zuvor in beschränkterem Umfang vereinbart worden war. Bezueglich des Beweiswerts der Erwähnung der Klägerin in den Tabellen im Anhang der Berichte über diese beiden Sitzungen, an denen die Klägerin nicht teilgenommen hat, ist darauf hinzuweisen, daß der Name der Klägerin sowohl in der Tabelle im Anhang des ersten als auch in der im Anhang des zweiten Sitzungsberichts neben ihren grössten Kunden im Vereinigten Königreich steht, daß aber die Zahl ihrer Kunden in dem zweiten Sitzungsbericht verringert worden ist, in dem bei ihrem Namen ihr grösster Kunde in Frankreich aufgeführt ist. Zwischen diesen beiden Sitzungen haben am 13. September, 18. Oktober und 15. November eine Produktionsgesellschaft der Shell-Gruppe an lokalen Sitzungen für das Vereinigte Königreich und am 13. Oktober 1982 die Klägerin an einer Sitzung der "grossen Vier" teilgenommen. Angesichts dieses Beweismaterials hält das Gericht es nicht für glaubhaft, daß die Klägerin von ihren Wettbewerbern in diesen vier Sitzungen nicht über die Vereinbarung des Systems der Kundenführung in der Sitzung vom 2. September 1982 informiert worden ist. Daß ihr Name in der Liste der Kundenführer einiger ihrer Großkunden in der Tabelle im Anhang zum Bericht über die Sitzung vom 2. Dezember 1982 weitergeführt wurde, zeigt daher zumindest, daß Shell keine grundsätzlichen Einwände gegen eine Beteiligung an diesem System erhoben hatte und mithin nicht, wie sie behauptet, erst nach der Sitzung vom 2. Dezember 1982 über Vorschläge zur Kundenführung informiert worden ist. Indem die Klägerin es nicht ausdrücklich ablehnte, sich an diesem System zu beteiligen, hat sie ihren Wettbewerbern zumindest den Eindruck vermittelt, daß sie mit einer Beteiligung einverstanden sei.

220 Zu der Frage, ob die Produktionsgesellschaft der Klägerin im Vereinigten Königreich in einer lokalen Sitzung vom Januar 1983 im Vereinigten Königreich ihre Beteiligung an diesem System abgelehnt hat, steht das Gericht auf dem Standpunkt, daß das diesbezuegliche Vorbringen der Klägerin durch keinerlei Beweise gestützt wird, da sie keinen Bericht über die lokale Sitzung vorgelegt hat, in der diese Ablehnung ausgesprochen worden sein soll.

221 Bezueglich der Behauptung der Klägerin, sie habe unmöglich die Rolle des Kundenführers gegenüber ihren grössten Kunden im Vereinigten Königreich übernehmen können, weil sie nicht das Risiko habe eingehen können, als erster die von ihr gegenüber ihren grössten Kunden angewandten Preise zu erhöhen, ist darauf hinzuweisen, daß dieses Argument nur dann stichhaltig wäre, wenn zu dieser Zeit ein freier Preiswettbewerb geherrscht hätte. Das Gericht hat indessen festgestellt, daß die Polypropylenhersteller zum einen ihre Preispolitik aufeinander abgestimmt und zum anderen das System der Kundenführung vereinbart hatten. Die Klägerin konnte demzufolge ihre Preise gegenüber ihren grössten Kunden ohne Risiko erhöhen, weil sie wusste, daß ihre Wettbewerber das Gleiche tun würden.

222 Bezueglich der angeblich durch zwei interne Vermerke von Shell UK vom 26. Januar 1983 und 16. März 1983 (Antwort Shell auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, Anhänge 18 und 19) belegten neuen Preispolitik, die die Klägerin ab Januar 1983 geführt und mit der sie versucht haben will, zusätzliche Verkaufsmengen dadurch zu erzielen, daß die Preise ihrer Großkunden nach Maßgabe der ihnen in einem früheren Zeitraum in Rechnung gestellten Preise festgesetzt werden sollten, falls der Umfang ihrer Bestellungen beibehalten oder erhöht würde, steht das Gericht auf dem Standpunkt, daß die zwei von der Klägerin vorgelegten Vermerke zwar von der Absicht einer an Verkaufsmengen orientierten Politik sprechen, jedoch keinen Hinweis auf die Festsetzung von Preisen unter Berücksichtigung eines früheren Zeitraums enthalten. Dieses Vorbringen der Klägerin muß daher zurückgewiesen werden.

223 Zu dem Vorbringen der Klägerin, mit dem diese zu beweisen sucht, daß sie nicht Kundenführer ihres Kunden BIHR in Frankreich habe sein können, und mit dem sie den Beweiswert ihres internen Vermerks vom 17. März 1983 (ind. Bpkte. Shell, Anl. 41) in Verbindung mit dem Bericht über die Sitzung im Frühjahr 1983 (gem. Bpkte., Anl. 37) in Frage stellt, ist das Gericht der Auffassung, daß das Vorbringen der Klägerin auf den Nachweis gerichtet ist, daß sie unmöglich die Rolle des Kundenführers von BIHR habe übernehmen können, und zwar erstens, weil es überaus risikoreich für sie gewesen wäre, als erster ihre Preise gegenüber diesem Kunden zu erhöhen, von dem sie stark abhängig gewesen sei, und zweitens, weil die diesem Kunden BIHR in Rechnung gestellten Preise aufgrund des Durchschnitts der Preise festgesetzt worden seien, die er im vorangegangenen Quartal seinen übrigen Lieferanten gezahlt habe. Diese Gründe könnten überzeugen, wenn auf dem Markt der Wettbewerb nicht eingeschränkt ist. Es muß aber darauf hingewiesen werden, daß die Polypropylenhersteller Preisziele festgesetzt und ein System der Kundenführung beschlossen hatten, das im Ergebnis den Hauptlieferanten eines Kunden schützte, wenn er diesem gegenüber seine Preise erhöhte. Im übrigen führte das gegenüber BIHR angewandte System der Preisfestsetzung zum gleichen Ergebnis wie das System der Kundenführung, weil die anderen Lieferanten dieses Kunden vereinbarungsgemäß Preise verlangen sollten, die dem Zielpreis entsprachen oder höher waren. So waren die von diesem Kunden an die Klägerin gezahlten Preise wegen der Erhöhung der von ihren Wettbewerbern geforderten Preise ebenfalls überhöht. Demzufolge kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin nicht zum Kundenführer von BIHR bestimmt worden ist.

224 Das Gericht ist schließlich der Auffassung, daß die teilweise Fehlerhaftigkeit der Informationen in dem Bericht über die Sitzung im Frühjahr 1983 (gem. Bpkte., Anl. 37), insbesondere bezueglich der von der Klägerin gegenüber bestimmten Kunden angewandten Preise, nicht dadurch zu erklären ist, daß diese Informationen nicht von der Klägerin stammten, sondern eher damit, daß die Klägerin wegen der häufigen Kritik von seiten ihrer Wettbewerber an ihrer Preispolitik vor allem gegenüber bestimmten Kunden, zu deren Kundenführer sie bestimmt worden war (vgl. den Bericht über die interne Shell-Sitzung vom 14. März 1983, ind. Bpkte. Shell, Anl. 42), bestrebt war, ihren Wettbewerbern den Eindruck zu vermitteln, daß sie Preise anwendete, die näher an den vereinbarten Zielen lagen und damit höher waren als die, die sie in Wirklichkeit verlangte.

225 Zu den Quoten stellt das Gericht fest, daß den Herstellern für 1982 vorgeworfen wird, daß sie an den Verhandlungen im Hinblick auf den Abschluß einer Quotenvereinbarung für dieses Jahr teilgenommen hätten, daß sie in diesem Rahmen ihre "Bestrebungen" im Hinblick auf die Verkaufsmengen mitgeteilt hätten, daß sie in Ermangelung einer endgültigen Vereinbarung in den Sitzungen ihre monatlichen Verkaufszahlen für das erste Halbjahr mitgeteilt und mit dem im Vorjahr erzielten prozentualen Anteil verglichen hätten und daß sie sich während des zweiten Halbjahrs bemüht hätten, ihre monatlichen Verkäufe auf den prozentualen Anteil des Gesamtmarkts zu beschränken, den sie in der ersten Hälfte dieses Jahres erzielt hätten.

226 Daß zwischen den Herstellern Verhandlungen im Hinblick auf die Einführung einer Quotenregelung stattgefunden haben und daß die Hersteller in diesem Rahmen ihre Bestrebungen mitgeteilt haben, wird belegt erstens durch ein Schriftstück mit der Bezeichnung "Scheme for discussions 'quota system 1982' " ("Diskussionsschema für ein Quotensystem 1982", gem. Bpkte., Anl. 69), in dem für alle Adressaten der Entscheidung mit Ausnahme von Hercules die Menge, auf die jeder Anspruch zu haben glaubte, und ausserdem für einige (alle ausser Anic, Linz, Petrofina, Shell und Solvay) die Menge angegeben wird, die ihrer Ansicht nach den anderen Herstellern zugeteilt werden sollte; zweitens durch einen Vermerk von ICI mit der Bezeichnung "Polypropylene 1982, Guidelines" ("Polypropylen 1982, Leitlinien", gem. Bpkte., Anl. 70, a), in dem ICI die laufenden Verhandlungen analysiert; drittens durch eine Tabelle vom 17. Februar 1982 (gem. Bpkte., Anl. 70, b), in der verschiedene Vorschläge zur Aufteilung der Verkäufe verglichen werden, von denen einer mit der Bezeichnung "ICI Original Scheme" ("ursprüngliches Schema ICI") in einer anderen, handgeschriebenen Tabelle von Monte in einer Spalte mit der Überschrift "Milliavacca 27/1/82" (es handelt sich um den Namen eines Angestellten von Monte) geringfügig angepasst worden ist (gem. Bpkte., Anl. 70, c); schließlich durch eine in italienischer Sprache abgefasste Tabelle (gem. Bpkte., Anl. 71), die einen komplexen Vorschlag darstellt (beschrieben in der Entscheidung, Randnr. 58 Absatz 2 am Ende).

227 Die für das erste Halbjahr getroffenen Maßnahmen werden durch den Bericht über die Sitzung vom 13. Mai 1982 (gem. Bpkte., Anl. 24) bewiesen, in dem es unter anderem heisst:

"To support the move a number of other actions are needed a) limit sales volume to some agreed prop. of normal sales."

("Zur Unterstützung dieses Schritts ist eine Reihe weiterer Maßnahmen erforderlich a) Begrenzung des Verkaufsvolumens auf einen bestimmten, vereinbarten Teil der üblichen Verkäufe.")

Die Durchführung dieser Maßnahmen wird bewiesen durch den Bericht über die Sitzung vom 9. Juni 1982 (gem. Bpkte., Anl. 25), dem eine Tabelle beigefügt ist, in der für jeden Hersteller die Verkaufszahlen "actual" für die Monate Januar bis April 1982, verglichen mit einer als "theoretical based on 1981 av[erage] market share" ("theoretisch, gestützt auf den durchschnittlichen Marktanteil 1981") bezeichneten Zahl genannt werden, sowie durch den Bericht über die Sitzung vom 20. und 21. Juli 1982 (gem. Bpkte., Anl. 26) für den Zeitraum Januar bis Mai 1982 und durch den Bericht über die Sitzung vom 20. August 1982 (gem. Bpkte., Anl. 28) für den Zeitraum Januar bis Juli 1982. Die theoretische Natur der Quote, die als Bezugspunkt für den Vergleich mit den tatsächlichen monatlichen Verkäufen diente, ergibt sich daraus, daß für das gesamte Jahr 1981 keine Quote vereinbart werden konnte, doch nimmt sie diesem Vergleich nicht seine Bedeutung als eine Methode der Überwachung der Beschränkung der monatlichen Verkäufe im Verhältnis zum Vorjahr. FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 689A0011.4

228 Die für das zweite Halbjahr getroffenen Maßnahmen werden bewiesen durch den Bericht über die Sitzung vom 6. Oktober 1982 (gem. Bpkte., Anl. 31), in dem es zum einen heisst: "In October this would also mean restraining sales to the Jan/June achieved market share of a market estimated at 100 kt" ("Im Oktober würde dies auch eine Begrenzung der Verkäufe auf den Anteil bedeuten, der im Zeitraum Januar/Juni bei einem auf 100 kt geschätzten Markt erzielt wurde") und zum anderen: "Performance against target in September was reviewed" ("Das Verhältnis zwischen erreichtem Ergebnis und Ziel im September wurde geprüft"). Diesem Bericht ist eine Tabelle mit der Bezeichnung "September provisional sales versus target (based on Jan-June market share applied to demand est[imated] at 120 kt)" ("voraussichtliche Verkäufe im September im Verhältnis zum Ziel [auf der Grundlage des Marktanteils Januar/Juni bei einer geschätzten Nachfrage von 120 kt]") beigefügt. Die Aufrechterhaltung dieser Maßnahmen wird durch den Bericht über die Sitzung vom 2. Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 33) bestätigt, dem eine Tabelle beigefügt ist, in der für den November 1982 die Verkäufe "Actual" mit den Zahlen "Theoretical", berechnet auf der Basis "J-June % of 125 kt" ("J-Juni Prozentsatz von 125 kt"), verglichen werden.

229 Das Gericht ist der Auffassung, daß die Beteiligung der Klägerin an diesem Quotensystem sich sowohl aus ihren häufigen Kontakten mit den Teilnehmern an den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen, insbesondere durch die Teilnahme der Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe an sehr zahlreichen lokalen Sitzungen, die nach den spärlich verfügbaren Berichten die Überwachung der Verkaufsmengen der einzelnen Hersteller in den verschiedenen Mitgliedstaaten betrafen, als auch aus ihrer Teilnahme an den bilateralen Sitzungen mit anderen Herstellern ergibt. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß bei einem zweiseitigen Treffen mit ICI am 26. November 1982 (gem. Bpkte., Anl. 99) darauf hingewiesen wurde, daß der Vertreter der Klägerin "was quick to pick up that in October only Shell' s market share was in line with their Jan-June performance" ("sofort bemerkt [hat], daß im Oktober nur Shell' s Marktanteil dem Umsatz von Januar bis Juli entsprach").

230 Zu diesen Beweismitteln kommt hinzu, daß die Zahlen der Klägerin in Berichten über Sitzungen genannt sind, die die Überwachung der Durchführung des Quotensystems betrafen (vgl. die Berichte über die Sitzungen vom 10. März, 9. Juni, 12. August, 20. August und 2. November 1982, gem. Bpkte., Anl. 23, 25, 26, 28 und 32). Der Beweiswert dieser Zahlen wird dadurch bekräftigt, daß in den Berichten über die Sitzungen vom 12. August, 6. Oktober und 2. Dezember (gem. Bpkte., Anl. 27, 31 und 33) die Zahlen der Klägerin durch die Buchstaben "N. A." (für "not available" - "nicht verfügbar") ersetzt sind, was zeigt, daß die anderen Hersteller nicht in der Lage waren, die Zahlen der Klägerin anhand der Statistiken des Fides-Systems zu schätzen, wenn diese sie ihnen nicht mitgeteilt hatte. Im übrigen ist bereits festgestellt worden, daß die die Klägerin betreffenden Zahlen von dieser selbst mitgeteilt worden sind (vgl. oben Randnummern 114 und 115).

231 Zu diesen verschiedenen Beweismitteln kommt hinzu, daß in der Sitzung vom 13. Mai 1982 die Wiedereröffnung von Shell-Anlagen festgestellt wurde, in der Sitzung vom 9. Juni 1982 (gem. Bpkte., Anl. 25) von der Notwendigkeit die Rede war, Shell in die Reihen des Kartells zurückzuholen, in dem Bericht über die Sitzung vom 20. und 21. Juli 1982 (gem. Bpkte., Anl. 26) gesagt wird, es müsse Kontakt zu den abwesenden Herstellern aufgenommen werden, und in dem Bericht über die Sitzung vom 21. September 1982 (gem. Bpkte., Anl. 30) ausgeführt wird:

"Pressure was needed on Shell Italy to restrain themselves to the agreed levels for October. SCIT + SCUK were reported to be fully supportive + good meeting had been held by ICI, DSM with Shell Netherlands. It was reported that SCIT had agreed to attend a 'big four' meeting subsequently fixed for 13 October".

("Es war Druck auf Shell Italien notwendig, damit sie sich auf die für Oktober vereinbarten Niveaus beschränkte. Es wurde berichtet, daß SCIT und SCUK volle Unterstützung gewährten + zwischen ICI, DSM und Shell Niederlande eine erfolgreiche Sitzung stattgefunden habe. SCIT war angeblich einverstanden, an einem Treffen der 'grossen Vier' teilzunehmen, das dann für den 13. Oktober festgelegt wurde").

232 Das Gericht stellt fest, daß die Kommission aus der Tatsache, daß in den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen 1982 eine von der Klägerin durch die Mitteilung ihrer Verkaufszahlen ermöglichte gegenseitige Überwachung der Durchführung eines Systems zur Begrenzung der monatlichen Verkäufe im Verhältnis zu einem vorausgegangenen Bezugszeitraum stattgefunden hat, zu Recht gefolgert hat, daß dieses System von den Polypropylenherstellern angenommen worden war.

233 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin zu den Polypropylenherstellern gehörte, zwischen denen es zu Willensübereinstimmungen über die Preisinitiativen von Juni/Juli 1982 und von September bis November 1982, über Maßnahmen zur Förderung der Durchführung dieser Preisinitiativen und über die Begrenzung ihrer monatlichen Verkäufe im Verhältnis zu einem vorausgegangenen Bezugszeitraum gekommen ist.

C.4 - Das Jahr 1983

a) Angefochtene Handlung

234 Nach Randnummer 47 der Entscheidung hat die Klägerin auch an der Preisinitiative von Juli bis November 1983 teilgenommen. In der Sitzung vom 3. Mai 1983 sei vereinbart worden, nach Möglichkeit im Juni 1983 das Preisziel 2,00 DM/kg zu erreichen. In der Sitzung vom 20. Mai 1983 seien die Erreichung des festgelegten Ziels jedoch auf September verschoben und ein Zwischenziel für den 1. Juli (1,85 DM/kg) festgelegt worden. In einer Sitzung vom 1. Juni 1983 hätten die anwesenden Hersteller sodann ihr Engagement zur Erhöhung auf 1,85 DM/kg bekräftigt. Bei dieser Gelegenheit habe die Klägerin "sich zu der Erhöhung" verpflichtet und erklärt, daß sie "in den ECN öffentlich vorangehen werde". Hercules, die "sehr kooperativ" gewesen sein solle, habe die neuen Preise im Juni bekanntgeben sollen. Alle Teilnehmer an dieser Sitzung hätten ihre Verkaufsabteilungen verständigt, damit diese ihre Kunden über die geplante Erhöhung unterrichteten.

235 Nach Randnummer 48 der Entscheidung ist in den ECN vom 13. Juni 1983 unter Hinweis auf die Erwähnung, daß die Klägerin "öffentlich" vorangehen werde, ein Artikel erschienen, in dem davon die Rede gewesen sei, daß die Hersteller höhere Preise anstrebten, wobei Shell eine Erhöhung auf mindestens 1,90 DM/kg ab 1. Juli und eine weitere Erhöhung im September beabsichtigt habe. In dem Artikel seien ICI und Monte ähnliche Erhöhungen nachgesagt worden. Shell hat gemäß der Entscheidung seit Oktober 1982 fast jeden Monat an den sogenannten "Vor-Sitzungen" der "grossen Vier" teilgenommen. In dem ECN-Artikel sei die Marktlage als "zunehmend angespannt" bezeichnet worden und in einem ziemlich telegraphisch abgefassten Vermerk von ICI gegen Ende Mai stehe tatsächlich geschrieben: "Juniabsatz - beschränkt. 122 1/2 = voraussichtlicher Juni-Markt ungefähr 130 + wahrscheinlich". Weiter heisse es: "Shell führend. ECN-Artikel 2 Wochen. ICI unterrichtet."

236 Unmittelbar nach der Sitzung vom 20. Mai 1983 hätten ICI, DSM, BASF, Hoechst, Linz, die Klägerin, Hercules, ATO, Petrofina und Solvay ihren Verkaufsabteilungen Anweisungen erteilt, ab 1. Juli eine Preistabelle anzuwenden, in der Raffia mit 1,85 DM/kg ausgezeichnet gewesen sei (Entscheidung, Randnr. 49). Aus Shell-Unterlagen für das Vereinigte Königreich und Frankreich gehe hervor, daß der Klägerin die ab 1. Juli geltenden Preisvereinbarungen bekannt gewesen und ihre Absatzpolitik auf diese Preise gestützt worden sei. In einem Shell-Papier unter dem Titel "PP W. Europe-Pricing" ("Polypropylen-Preise für West Europa") sei insbesondere auf ein "Juli-Ziel" von 1,85 DM/kg oder 480 UKL/Tonne Bezug genommen. In einem "Market Quality Report" ("Marktlagebericht") der Klägerin vom 14. Juni 1983 heisse es ausserdem: "In Westeuropa verfügen die integrierten (Shell-)Unternehmen über Marktanteile (die in Holland und im Vereinigten Königreich allerdings zurückgehen), die die Preisstabilität stützen." Bei ATO und Petrofina hätten nur bruchstückhafte Preisinstruktionen gefunden werden können, die allerdings belegten, daß diese Gesellschaften - Petrofina und Solvay etwas später - die neuen Preise praktizierten. Mit Ausnahme von Hüls, für die für Juli 1983 keine Preisinstruktionen vorlägen, hätten also alle Hersteller, die an den Sitzungen teilgenommen bzw. ihre Unterstützung für das neue Preisziel von 1,85 DM/kg zugesagt hätten, Instruktionen erteilt, damit die neuen Preise praktiziert würden.

237 Weitere Sitzungen fanden nach Randnummer 50 der Entscheidung am 16. Juni, 6. und 21. Juli, 10. und 23. August sowie 5., 15. und 29. September 1983 statt; an ihnen hätten die üblichen Teilnehmer teilgenommen. Ende Juli und Anfang August 1983 hätten BASF, DSM, Hercules, Hoechst, Hüls, ICI, Linz, Solvay, Monte und Saga ihren verschiedenen nationalen Verkaufsabteilungen Preisinstruktionen mit Wirkung vom 1. September (auf der Grundlage eines Raffia-Preises von 2,00 DM/kg) erteilt, während ein interner Vermerk der Klägerin vom 11. August über die Preise des Unternehmens im Vereinigten Königreich den Hinweis enthalte, daß die britische Tochter die ab 1. September geltenden Grundpreise "unterstützte", die den Preiszielen der anderen Hersteller entsprochen hätten. Ende des Monats habe die Klägerin jedoch die britische Verkaufsabteilung angewiesen, mit der Erhöhung so lange zu warten, bis die anderen Hersteller die gewünschten Grundpreise aufgestellt hätten. Diese Instruktionen seien, abgesehen von einigen unerheblichen Ausnahmen, für jeden Typ und jede Währung identisch.

238 Die von den Herstellern erhaltenen Preisinstruktionen zeigten, daß später beschlossen worden sei, die Preisbewegung vom September aufrechtzuerhalten und für Raffia mit 2,10 DM/kg ab 1. Oktober und 2,25 DM/kg ab 1. November weitere Erhöhungen durchzuführen (Entscheidung, Randnr. 50, letzter Absatz). BASF, Hoechst, Hüls, ICI, Linz, Monte und Solvay hätten ihren Verkaufsabteilungen für die Monate Oktober und November identische Preise übermittelt, während Hercules zunächst etwas niedrigere Preise festgesetzt habe (Entscheidung, Randnr. 51 Absatz 1).

239 Ein bei ATO sichergestellter interner Vermerk vom 28. September 1983 enthalte eine Tabelle mit der Überschrift "Erinnerung des Cota-Preises (sic)", die für verschiedene Länder Preise für die drei Hauptpolypropylensorten im September und Oktober angebe, die mit den Preisen von BASF, DSM, Hoechst, Hüls, ICI, Linz, Monte und Solvay übereinstimmten. Während der Nachprüfungen bei ATO im Oktober 1983 hätten die Vertreter des Unternehmens bestätigt, daß diese Preise den Verkaufsbüros mitgeteilt worden seien (Entscheidung, Randnr. 51 Absatz 3).

240 Die Zuwiderhandlung habe, wann immer die letzte Sitzung stattgefunden haben möge, bis zum November 1983 angedauert, da die Vereinbarung mindestens bis zu diesem Zeitpunkt ihre Wirkungen entfaltet habe; der November sei der letzte Monat, für den nachweislich Zielpreise vereinbart und Preisinstruktionen erteilt worden seien (Entscheidung, Randnr. 105 Absatz 4).

241 Abschließend wird in der Entscheidung (Randnr. 51, letzter Absatz) darauf hingewiesen, daß sich die Polypropylenpreise Ende 1983 laut Berichten der Fachpresse stabilisiert haben sollen, wobei für Raffia ein Preis von 2,08 bis 2,15 DM/kg (gegenüber dem Ziel 2,25 DM/kg) erreicht worden sei.

242 Nach Randnummer 60 der Entscheidung forderte ICI für 1983 die Hersteller auf, ihre Quotenvorstellungen mitzuteilen und Vorschläge für die prozentualen Zuteilungen an die anderen Hersteller zu unterbreiten. Monte, Anic, ATO, DSM, Linz, Saga und Solvay sowie die deutschen Hersteller (letztere durch BASF) hätten ausführliche Vorschläge gemacht. Die verschiedenen Vorschläge seien in einen Rechner eingegeben worden, um einen Durchschnitt zu ermitteln, der mit den durchschnittlichen Bestrebungen ("aspirations") der einzelnen Hersteller verglichen worden sei. Anhand dieser Vorarbeiten habe ICI Leitlinien für eine neue Rahmenvereinbarung für 1983 angeregt. ICI habe es, um den Erfolg jedes neuen Plans für die "grossen Vier" zu gewährleisten, für wesentlich gehalten, gegen die übrigen Hersteller eine geschlossene Front zu bilden. Nach Auffassung der Klägerin, die ICI übermittelt worden sei, habe der Klägerin, ICI und Hoechst jeweils eine Quote von 11 % zugewiesen werden sollen. Der Vorschlag von ICI hätte den italienischen Herstellern 19,8 %, Hoechst und der Klägerin jeweils 10,9 % und ICI selbst 11,1 % zugewiesen (Entscheidung, Randnr. 62). Diese Vorschläge seien in den Sitzungen von November und Dezember 1982 diskutiert worden. Ein zunächst auf das erste Quartal des Jahres beschränkter Vorschlag sei in der Sitzung vom 2. Dezember 1982 erörtert worden. Aus dem von ICI erstellten Bericht über diese Sitzung gehe hervor, daß ATO, DSM, Hoechst, Hüls, ICI, Monte und Solvay sowie Hercules die ihnen zugeteilte Quote als "akzeptabel" angesehen hätten (Entscheidung, Randnr. 63). Dies werde durch den Vermerk über ein Telefongespräch zwischen ICI und Hercules vom 3. Dezember 1982 bestätigt. Der Bericht über diese Sitzung vermerke zwar nicht die Reaktion der Klägerin auf den Vorschlag, doch sei Shell am 20. Dezember 1982 in einer Sitzung der "grossen Vier" anwesend gewesen und ein nicht datierter ICI-Vermerk, der als Sprechzettel für eine Sitzung mit der Klägerin im bzw. um den Monat Mai 1983 habe dienen sollen, enthalte den Hinweis, daß die Klägerin "die westeuropäischen Quoten von 39,5 kt/Quartal für Q1 und Q2 1983 ..." akzeptiert habe.

243 Nach Randnummer 63 Absatz 3 der Entscheidung bestätigt ein bei der Klägerin gefundenes Schriftstück, daß eine Vereinbarung zustande gekommen sei, da sich dieses Unternehmen bemüht habe, seine Quote nicht zu überschreiten. Dieses Dokument bestätige auch, daß ein Mengenkontrollsystem im zweiten Quartal 1983 fortgesetzt worden sei, denn die nationalen Verkaufsunternehmen in der Shell-Gruppe seien angewiesen worden, ihre Verkäufe zu reduzieren, um ihre Marktanteile im zweiten Quartal bei 11 % zu halten. Das Bestehen dieser Vereinbarung werde durch den Bericht über die Sitzung vom 1. Juni 1983 bestätigt, der zwar keinen besonderen Hinweis auf Quoten enthalte, aber erwähne, daß die Experten Einzelheiten über die von ihnen im Vormonat verkauften Mengen ausgetauscht hätten, was darauf hindeute, das irgendeine Quotenregelung bestanden habe (Entscheidung, Randnr. 64).

244 Obwohl zu keiner Zeit ein System zur Sanktionierung von Quotenüberschreitungen eingeführt worden sei, habe die Regelung, wonach jeder Hersteller in Sitzungen die im vorangegangenen Monat verkaufte Menge habe melden müssen - wobei das Risiko bestanden habe, daß die übrigen Hersteller Kritik äusserten, wenn diese Menge als unangemessen angesehen worden sei -, dazu geführt, daß das dem Hersteller zugewiesene Ziel eingehalten worden sei (Entscheidung, Randnr. 65).

b) Vorbringen der Parteien

245 Nach Ansicht der Klägerin wirft die Entscheidung den Shell-Unternehmen nicht nur vor, an einer Preisinitiative im Juli 1983 beteiligt gewesen zu sein, sondern auch, sie initiiert zu haben. In ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte habe Shell bereits darauf hingewiesen, daß es für diesen Vorwurf keinen objektiven Beweis gebe. Es sei zwar richtig, daß am 19. Mai 1983 eine Sitzung der "grossen Vier" stattgefunden habe (gem. Bpkte., Anl. 101), doch habe Shell bereits vor dieser Sitzung über ihr eigenes Preisziel entschieden. Sie habe sich ausserdem in dieser Sitzung nicht zu einer Preisinitiative verpflichtet und wäre dazu zu dieser Zeit auch gar nicht in der Lage gewesen, weil sie mit ihren Produktionsgesellschaften bis dahin noch nicht gesprochen habe (die sie erst im Juni, d. h. nach der Herstellersitzung, getroffen habe). An der Herstellersitzung vom 1. Juni 1983, in der die von der Kommission beanstandete Preisinitiative beschlossen worden sein solle, habe sie nicht teilgenommen; der Bericht über diese Sitzung (gem. Bpkte., Anl. 40) könne ihre Position nicht richtig wiedergeben, da diese von einem anderen Hersteller unzutreffend dargestellt worden sei. Ein Bericht von ICI erwähne zwar die Unterstützung der Klägerin für diese Initiative (gem. Bpkte., Anl. 40), stehe aber im Widerspruch zu einem anderen ICI-Vermerk, der über die Gespräche der "grossen Vier" am 19. Mai (gem. Bpkte., Anl. 101) berichte, den die Kommission aber unbeachtet gelassen habe, weil er ihre Argumentation zunichte mache. Der Artikel über die Polypropylenpreise (gem. Bpkte., Anl. 41), den die Klägerin aus eigenem Antrieb den ECN habe anbieten wollen, habe ein allgemeiner Artikel sein sollen, in dem sie auf keinen besonderen Preis habe eingehen wollen. Letztendlich habe er entsprechend dem Wunsch der ECN genauere Angaben enthalten, doch sei das Preisziel, das Shell sich dort gesetzt habe, höher als das angeblich unter den Herstellern vereinbarte gewesen.

246 Im übrigen habe sie ihr unabhängiges Preisverhalten unter Beweis gestellt.

247 Zu den Quoten führt die Klägerin aus, die 1983 beschlossene Verringerung der Mengen sei nicht das Ergebnis von Herstellerabsprachen, sondern hätte auf einer eigenständigen Entscheidung der Shell-Unternehmen für eine Preisanhebung beruht. Der Behauptung der Kommission, daß die Klägerin, wenn sie wirklich eine unabhängige Politik der Absatzminderung vertreten hätte, ihre Mengenziele in Tonnen und nicht in Marktanteilen festgesetzt hätte (ind. Bpkte. Shell, Anl. 50 bis 54), hält die Klägerin entgegen, daß sie bei einer Festlegung ihrer Ziele in absoluten Zahlen im Falle eines Rückgangs der Gesamtnachfrage im Verhältnis zu den Vorausschätzungen gezwungen gewesen wäre, ihren Marktanteil zu erhöhen - mit dem Risiko eines Preiskriegs mit den anderen Herstellern. Die Kommission möge durch Zeugnis eines unabhängigen Wirtschaftssachverständigen den Beweis für die Richtigkeit ihrer in der Klagebeantwortung vertretenen wirtschaftlichen "Theorie" erbringen. Daß sie gehofft - aber nicht damit gerechnet - habe, daß die anderen Hersteller wie sie eine Politik der Stabilisierung der Marktanteile betreiben würden, mache sie noch nicht zum Teilnehmer an einem Kartell.

248 In den "vorbereitenden" und in den lokalen Sitzungen, an denen sie oder andere Gesellschaften der Shell-Gruppe möglicherweise teilgenommen hätten, sei es niemals um Quoten gegangen. Die Kommission könne nicht anhand eines ICI-Vermerks (gem. Bpkte., Anl. 87) behaupten, die Klägerin habe gegenüber ICI erklärt, Shell, ICI und Hoechst für 1983 jeweils eine Quote von 11 % haben sollten. In Wirklichkeit habe kein Shell-Unternehmen gegenüber irgend jemandem einen solchen Wunsch geäussert; eine sorgfältige Analyse dieses ICI-Vermerks zeige, daß dieser Wunsch ihr von einem anderen Hersteller in den Mund gelegt worden sei, wie der Umstand beweise, daß die Shell zugeteilte Zahl eingerahmt sei. Gleiches gelte für eine ICI-Tabelle über die Bestrebungen jedes Herstellers für 1983 (gem. Bpkte., Anl. 84), in der neben der Shell zugeteilten Zahl ein Fragezeichen stehe. Im übrigen habe die Kommission in einem handgeschriebenen Vermerk von ICI für den gleichen Zeitraum (gem. Bpkte., Anl. 99) "L.", einen Angestellten der SCITCO, und "have" verwechselt.

249 Quoten hätten nur festgelegt werden sollen, wenn ein Ausgleichssystem beschlossen worden wäre. Da sich aber die Shell-Gesellschaften geweigert hätten, sich an einem solchen System zu beteiligen, habe dieses nicht beschlossen werden können.

250 Die Kommission verharre in ihrem Irrtum, daß die internen Mengenziele der Shell-Gesellschaften Quoten seien, die gemeinsam mit den anderen Herstellern vereinbart worden seien. Die Shell-Gesellschaften hätten sich seinerzeit in unabhängiger Weise ein Ziel von 11 % des westeuropäischen Marktes gesetzt. Die entsprechenden Pläne und Budgets für das erste Quartal 1983 seien erstellt worden, bevor die den Shell-Unternehmen in den Sitzungen zugeteilten Verkaufsziele bekannt gewesen seien, und sie seien in der Folge auch beibehalten worden.

251 Zum zweiten Quartal 1983 führt die Klägerin aus, es sei zwar eine Verringerung des Absatzes innerhalb der Shell-Gruppe vorgesehen gewesen (gem. Bpkte., Anl. 90 und 94; ind. Bpkte. Shell, Anl. 53 und 54), um das innerhalb des Konzerns unabhängig festgelegte Mengenziel zu respektieren, nicht aber, um die mit den anderen Herstellern angeblich vereinbarten Quoten einzuhalten.

252 Nach Auffassung der Kommission kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin für sich bereits vor der Sitzung vom 19. Mai 1983 ein Preisziel festgelegt habe, da bewiesen sei, daß die "grossen Vier" am Ende dieser Sitzung eine gemeinsame Haltung vereinbart hätten, wie die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen zeige (gem. Bpkte., Anl. 8). Die Hersteller seien in ihrer Sitzung vom 1. Juni 1983 über die Absichten der Klägerin, insbesondere über den Artikel, den sie zur Ankündigung ihrer Preiserhöhungsabsichten in den ECN habe veröffentlichen wollen (gem. Bpkte., Anl. 40), unterrichtet worden. Der Umstand, daß das von Shell in dem Artikel angekündigte Ziel etwas höher gewesen sei als das am Ende der Sitzung vom 1. Juni vereinbarte Preisziel, müsse unter Berücksichtigung der Tatsache gewürdigt werden, daß ein etwas höherer Preis als der erwartete zu den üblichen Handelspraktiken gehöre.

253 Im übrigen sei die Möglichkeit von Kontakten zwischen Shell und den Produktionsgesellschaften vor dem 1. Juni nicht auszuschließen; jedenfalls hätten letztere einer Preiserhöhung positiv gegenübergestanden, sofern sie sich nicht in einer Verringerung der Verkaufsmengen niederschlage (Antwort Shell auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, Anl. 15).

254 Die Klägerin habe trotz ihrer Skepsis gegenüber Quotensystemen (gem. Bpkte., Anl. 64) an den Vorbesprechungen der "grossen Vier" teilgenommen, und die Produktionsgesellschaften seien in den lokalen Sitzungen in bestimmten Ländern (gem. Bpkte., Anl. 10, ind. Bpkte. Shell, Anl. 18) anwesend gewesen. Zahlreiche Schriftstücke (gem. Bpkte., Anl. 8, 64, 95 bis 97 und 99 bis 101) belegten, daß es bei den Diskussionen in diesen Sitzungen um Themen gegangen sei, die untrennbar mit den Quoten verbunden gewesen seien. Die Klägerin habe ICI 1983 erklärt (gem. Bpkte., Anl. 87 und 99), sie sei mit einem Marktanteil von 11 bis 12 % zufrieden, und habe für dieses Jahr eine Quote von 11 % für ICI, sich selbst und für Hoechst vorgeschlagen (gem. Bpkte., Anl. 87). Dieser Vorschlag sei nicht im Rahmen einer Ausgleichsregelung, sondern innerhalb der "Rahmenvereinbarung" über die Quoten für 1983 erfolgt. Wenn die Klägerin behaupte, daß die Ausgleichsregelung gescheitert sei, weil sie sich geweigert habe, daran mitzuwirken, so zeige dies, daß das Kartell ohne die Beteiligung der Klägerin nicht habe funktionieren können. In dem handgeschriebenen Vermerk (gem. Bpkte., Anl. 99) müsse "L." und nicht "have" gelesen werden; dies ergebe sich aus grammatikalischen Gründen und aus der inhaltlichen Ähnlichkeit dieses Schriftstücks mit einem anderen Schriftstück (gem. Bpkte., Anl. 87), in dem unbestreitbar der Name von L. stehe. Die Klägerin habe bei den Produktionsgesellschaften erreicht, daß sie diese Politik der Absatzbeschränkung akzeptiert und durchgeführt hätten (gem. Bpkte., Anl. 90 und 94, ind. Bpkte. Shell, Anl. 53 und 54). Obwohl Shell genau gewusst habe, daß es sich um ein Kartell handele (gem. Bpkte., Anl. 37), habe sie gleichwohl den anderen am Kartell Beteiligten Informationen gegeben und selbst welche entgegengenommen. Schließlich habe sie das Urteil der "Experten" über den Markt für das erste und zweite Quartal 1983 gekannt und ihre eigenen Ziele an die ihr zugeteilte Quote angepasst.

c) Würdigung durch das Gericht

255 Nach den Feststellungen des Gerichts ist die Beteiligung der Klägerin an den Preisinitiativen und am Quotensystem für das Jahr 1983 unter Einbeziehung ihrer Kontakte mit den Teilnehmern an den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen und insbesondere der häufigen Teilnahme der Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe an lokalen Sitzungen und der regelmässigen Anwesenheit der Klägerin bei den Sitzungen der "grossen Vier" zur Vorbereitung der "Chef"- und "Experten"-Sitzungen zu prüfen.

256 Zu der Preisinitiative von Juli bis November 1983 stellt das Gericht fest, daß das Preisziel von 1,85 DM/kg zum 1. Juli 1983 in der Sitzung vom 1. Juni 1983 nicht festgesetzt, sondern dort nur bestätigt worden ist, wie der Bericht über diese Sitzung wie folgt belegt: "Those present reaffirmed complete commitment to the 1.85 move to be achieved by 1st July. Shell was reported to have committed themselves to the move and would lead publicly in ECN." ("Die Anwesenden bestätigten erneut die volle Unterstützung der zum 1. Juli geplanten Erhöhung auf 1.85. Es wurde gesagt, daß Shell sich zu diesem Schritt verpflichtet habe und in den ECN öffentlich vorangehen werde.") (gem. Bpkte., Anl. 40). Dieses Preisziel wurde in der Sitzung der "grossen Vier" vom 19. Mai 1983 vereinbart, wie sich aus dem Bericht über diese Sitzung in Verbindung mit dem Bericht über die Sitzung vom 1. Juni 1983 ergibt. In dem Bericht über die Sitzung vom 19. Mai 1983 heisst es nämlich hierzu: "Shell to lead - ECN article 2 weeks. ICI informed/S. Shell B (L.' s Boß) - commitment - but not absolute" ("Shell führend - ECN-Artikel 2 Wochen. ICI unterrichtet/S. Shell B. [L.' s Chef] - Verpflichtung - aber nicht unbedingt"; gem. Bpkte., Anl. 101). Dieses Ziel wurde sodann in der "Chef"-Sitzung vom 20. Mai 1983 vorgeschlagen, in deren Verlauf es von allen Herstellern angenommen worden ist. Nach dieser Sitzung wies ein Memorandum von Shell France vom 25. Mai 1983 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell C1) Preise aus, die mit den in der Sitzung vom 20. Mai festgelegten Preiszielen und den Preisinstruktionen übereinstimmten, die am selben Tag von DSM, zwei Tage zuvor von ICI und zwei Tage später von BASF für Raffia, Homopolymer und Kopolymer erteilt wurden. Ein Memorandum von Shell UK vom 24. Juni 1983 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell C2) zeigte ebenfalls übereinstimmende Preise ausser bei Kopolymer, für das ein Preis von 550 UKL/Tonne genannt wurde, während die anderen Hersteller einen Preis von 560 UKL/Tonne bekanntgegeben hatten. Nach Auffassung des Gerichts kann die Tatsache, daß allein in dem Memorandum vom 24. Juni 1983 der Preis für Kopolymer etwas unter dem Preis der anderen Hersteller liegt, die Beteiligung der Klägerin an dieser Preisinitiative nicht widerlegen, weil das Ziel für dieses Erzeugnis ein weiteres Mal in der Woche vor der Durchführung der beschlossenen Erhöhung herabgesetzt worden ist. Daß der in den ECN vom 13. Juni 1983 bekanntgemachte Preis etwas über dem vereinbarten Zielpreis lag (1,90 DM/kg statt 1,85 DM/kg), entsprang zudem derselben Absicht, wie sie die Klägerin in ihrem Vermerk vom 24. Juni 1983 zum Ausdruck gebracht hatte, nämlich den Kunden höhere als die wirklich vorgesehenen Preisanhebungen bekanntzugeben.

257 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß die Klägerin nichts vorgebracht hat, was die Feststellungen der Kommission in den Randnummern 47 bis 49 der Entscheidung widerlegen könnte.

258 Zu der Frage, ob diese Preisinitiative auf die Klägerin zurückgeht, weist das Gericht noch einmal darauf hin, daß der Bericht über die Sitzung der "grossen Vier" vom 19. Mai 1983 (gem. Bpkte., Anl. 101) in Verbindung mit dem Bericht über die Sitzung vom 1. Juni 1983 (gem. Bpkte., Anl. 40) den Schluß zulässt, daß die "grossen Vier" die Urheber dieser Preisinitiative von Juli 1983 gewesen sind und untereinander vereinbart haben, daß die Klägerin es übernehmen solle, diese Initiative durch einen Artikel in den ECN öffentlich bekanntzumachen. Die Worte "L. in principle only" ("L. nur grundsätzlich") in dem Bericht über die Sitzung vom 19. Mai 1983 können diese Feststellung nicht entkräften, weil in dem beigefügten Vermerk zu lesen steht: "B. (L.' s boß) - commitment - but not absolute" ("B. [L.' s Chef] - Verpflichtung - aber nicht unbedingt"), was bedeutet, daß die Klägerin sich verpflichtet hatte, jedoch, um ihre endgültige Zustimmung geben zu können, Rücksprache mit den Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe nehmen musste. Insoweit zeigen die Preisinstruktionen der Klägerin und der Artikel in den ECN, daß die Klägerin inwischen die Zustimmung ihrer Produktionsgesellschaften erhalten hatte, auch wenn sie dies, ohne den Gegenbeweis zu führen, bestreitet. Die Behauptung der Klägerin, sie habe ursprünglich die Absicht gehabt, in den ECN einen allgemeinen Artikel ohne Hinweis auf einen besonderen Preis zu veröffentlichen, ist unerheblich, denn der tatsächlich erschienene Artikel bezog sich auf einen spezifischen Preis.

259 Hieraus folgt, daß die Klägerin mit den anderen drei "Grossen" die Preisinitiative von Juli 1983 betrieben hat.

260 Die Beteiligung der Klägerin an der Durchsetzung eines Zielpreises für September 1983 hat die Kommission nach Auffassung des Gerichts zu Recht aus der Übereinstimmung der Preise in dem Memorandum von Shell UK vom 11. August 1983 (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Shell I) mit den Preisinstruktionen der anderen Hersteller zum 1. September hergeleitet. Dieses Memorandum ist nämlich am Tage nach einer "Experten"-Sitzung und in der Woche nach den übereinstimmenden Preisinstruktionen von BASF, Hercules, ICI, Linz und Saga verfasst worden. Es ist darauf hinzuweisen, daß dieses Memorandum entgegen der Behauptung der Klägerin zum 1. September einen Preis vorsieht, der mit dem der meisten Hersteller übereinstimmt (Shell verwechselt hier ihren Preis für August mit dem für September). Die Änderung dieser Preisinstruktionen durch Shell UK am 31. August 1983, d. h. am Tag vor ihrem Inkrafttreten, kann die Beteiligung der Klägerin an dieser Initiative aus den vorstehend dargelegten Gründen nicht widerlegen.

261 Zum Ende dieser Preisinitiative stellt das Gericht fest, daß der Klägerin nach der Tabelle 7M in Verbindung mit der Randnummer 50 und dem verfügenden Teil der Entscheidung vorgeworfen wird, an dieser Initiative in den Monaten Oktober und November 1983 beteiligt gewesen zu sein. Die Klägerin gehört nämlich zu den Herstellern, bei denen Preisinstruktionen gefunden wurden, denen zufolge beschlossen worden war, die Preisbewegung vom September aufrechtzuerhalten und für Raffia mit 2,10 DM/kg ab 1. Oktober und 2,25 DM/kg ab 1. November weitere Erhöhungen durchzuführen, denn ihr Name ist in der Tabelle 7M der Entscheidung zu finden, in der die Preisinstruktionen der einzelnen Hersteller für Oktober miteinander verglichen werden. Diese Auslegung der Randnummer 50, letzter Absatz der Entscheidung, wird durch deren verfügenden Teil bekräftigt, in dem festgestellt wird, daß Shell bis mindestens November 1983 gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossen habe; für die Monate Oktober und November ist nämlich die einzige Handlung, die den Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet ist, vorgeworfen wird, ihre Beteiligung an dieser Preisinitiative.

262 Das Gericht stellt fest, daß die Kommission als einziges Beweismittel für den Nachweis der Beteiligung der Klägerin an dieser Initiative ein in der Tabelle 7M der Entscheidung angeführtes Memorandum von Shell UK vom 21. September 1983 vorgelegt hat. In dieser Tabelle wird diese Preisinstruktion mit den Preisinstruktionen anderer Hersteller für den 1. Oktober (BASF, Hoechst, Hüls und ICI) oder für Oktober ohne nähere Angabe (ATO, Hercules, Linz, Monte und Solvay) verglichen. In der für die Klägerin vorgesehenen Spalte sind zwei Preise aufgeführt, von denen der zweite genau dem Preis der anderen Hersteller entspricht, während der erste ohne irgendeine Erklärung deutlich niedriger liegt. Liest man dieses Schriftstück sorgfältig durch, so wird klar, daß der erste Preis eine Preisinstruktion zum 1. Oktober darstellt, während der zweite, der allein dem Preis der anderen Hersteller für den Monat Oktober entspricht, am 31. Oktober 1983 in Kraft treten sollte. Die Entscheidung vermittelt somit den täuschenden Eindruck einer Übereinstimmung der Preisinstruktion der Klägerin mit der der anderen Hersteller. Das Gericht stellt ferner fest, daß die Kommission in die Tabelle 7N, die die Preisinstruktionen der einzelnen Hersteller wiedergibt, die zum 1. November (BASF, Hoechst, Hüls) oder im Laufe des Monats November (Hercules, ICI, Linz, Monte und Solvay) in Kraft treten sollten, keine von der Klägerin stammende Preisinstruktion aufgenommen hat, obgleich der Teil der Preisinstruktion der Klägerin, der zum 31. Oktober in Kraft treten sollte, mit den Preisinstruktionen der anderen Hersteller zum 1. November hätte verglichen werden müssen. Ein solcher Vergleich lässt aber erkennen, daß die Preise der Klägerin zum 31. Oktober erheblich unter den Preisen liegen, die die anderen Hersteller zum 1. November 1983 verlangt haben. Indem die Kommission die Preisinstruktion der Klägerin vom 21. September 1983 in der Tabelle 7N nicht genannt hat, hat sie somit die Unterschiedlichkeit der Preisinstruktionen der Klägerin und der der anderen Hersteller nicht sichtbar gemacht.

263 Die Kommission hat daher den Beweis für eine Beteiligung der Klägerin an der Preisinitiative von Juli bis November 1983 in den Monaten Oktober und November rechtlich nicht erbracht.

264 Demgegenüber ist festzustellen, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin an dem System der Kundenführung in den letzten Monaten des Jahres 1982 und in der ersten Hälfte des Jahres 1983 beteiligt war.

265 Bezueglich der Quoten stellt das Gericht fest, daß sich aus den von der Kommission vorgelegten Schriftstücken (gem. Bpkte., Anl. 33, 85 und 87) ergibt, daß die Polypropylenhersteller Ende 1982 und Anfang 1983 eine Quotenregelung für das Jahr 1983 erörtert haben, daß die Klägerin in diesem Rahmen Angaben über ihre Verkäufe gemacht und daß sie folglich an den Verhandlungen zur Erreichung einer Quotenregelung für 1983 teilgenommen hat.

266 Zu der Frage, ob diese Verhandlungen für die ersten beiden Quartale des Jahres 1983 erfolgreich waren, wie in der Entscheidung behauptet wird (Randnrn. 63 Absatz 3 und 64), weist das Gericht darauf hin, daß sich aus dem Bericht über die Sitzung vom 1. Juni 1983 (gem. Bpkte., Anl. 40), an der die Klägerin nicht teilgenommen hat, ergibt, daß zehn Unternehmen in dieser Sitzung ihre Verkaufszahlen für den Monat Mai genannt haben. Ferner heisst es in dem Bericht über eine interne Sitzung der Shell-Gruppe vom 17. März 1983 (gem. Bpkte., Anl. 90):

"... and would lead to a market share of approaching 12 % and well above the agreed Shell target of 11 %. Accordingly the following reduced sales targets were set and agreed by the integrated companies".

("... und würde zu einem Marktanteil führen, der nahe bei 12 % und damit deutlich über dem vereinbarten Shell-Ziel von 11 % läge. Demgemäß wurden die folgenden reduzierten Verkaufsziele von den Unternehmen der Gruppe festgelegt und vereinbart").

Nach Angabe der neuen Mengen heisst es weiter:

"this would be 11.2 Pct of a market of 395 kt. The situation will be monitored carefully and any change from this agreed plan would need to be discussed beforehand with the other PIMS members".

("das wären 11,2 % eines Marktes von 395 kt. Die Lage wird aufmerksam beobachtet, und jede Abweichung von diesem vereinbarten Plan muß im voraus mit den anderen PIMS-Mitgliedern erörtert werden").

267 Hierzu stellt das Gericht fest, daß die Kommission aus diesen beiden, im Zusammenhang miteinander gesehenen Schriftstücken zu Recht gefolgert hat, daß die Verhandlungen zwischen den Herstellern zur Einführung einer Quotenregelung geführt haben. So zeigt der interne Vermerk der Shell-Gruppe, daß dieses Unternehmen seine nationalen Verkaufsgesellschaften aufgefordert hat, ihre Verkäufe zu reduzieren, und zwar nicht, um das Gesamtverkaufsvolumen der Shell-Gruppe zu verringern, sondern um den Gesamtmarktanteil dieser Gruppe auf 11 % zu begrenzen. Eine solche Begrenzung auf einen bestimmten Marktanteil lässt sich nur im Rahmen einer alle Hersteller einbeziehenden Quotenregelung erklären. Darüber hinaus stellt der Bericht über die Sitzung vom 1. Juni 1983 einen zusätzlichen Anhaltspunkt für das Bestehen einer solchen Regelung dar, denn ein Austausch von Informationen über die monatlichen Verkäufe der einzelnen Hersteller dient in erster Linie der Kontrolle der Einhaltung der eingegangenen Verpflichtungen.

268 Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Zahl von 11 % als Marktanteil für die Klägerin nicht nur in ihrem internen Vermerk, sondern auch in zwei anderen Schriftstücken genannt wird, nämlich zum einen in einem internen Vermerk von ICI, in dem diese darauf hinweist, daß die Klägerin diese Zahl für sich selbst, für Hoechst und für ICI vorschlägt (gem. Bpkte., Anl. 87), und zum anderen in dem von ICI verfassten Bericht über ein Treffen vom 29. November 1982 zwischen ICI und der Klägerin, bei dem an diesen Vorschlag erinnert worden ist (gem. Bpkte., Anl. 99).

269 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, daß der Kommission ausser bei den Monaten Oktober und November 1983 rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin zu den Polypropylenherstellern gehörte, zwischen denen es zu Willensübereinstimmungen über die Preisinitiative für Juli bis November 1983, über Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen und über Verkaufsmengenziele für die ersten beiden Quartale des Jahres 1983 gekommen ist.

D - Würdigung des allgemeinen Vorbringens

270 Die Klägerin macht allgemein geltend, die Kommission dürfe das Vorbringen zu der einen oder anderen besonderen Aktion nicht unter Berufung auf eine angebliche Rahmenvereinbarung ausser Betracht lassen, weil es gerade darum gehe, das Vorliegen dieser Rahmenvereinbarung durch den Beweis der Beteiligung der Shell-Gesellschaften an besonderen Aktionen nachzuweisen. In ihrer Erwiderung trägt sie vor, die Kommission belege in keiner Weise ihre Schlußfolgerung, daß die Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe Preisvorschläge akzeptiert und durchgeführt hätten oder an einem Quotensystem beteiligt gewesen seien, dessen Existenz weder unmittelbar noch mittelbar bewiesen sei, auf das die Kommission aber habe zurückgreifen müssen, um die Schwäche der ihr zur Verfügung stehenden Beweise für die einzelnen behaupteten Zuwiderhandlungen auszugleichen.

271 Die Kommission verkenne mit ihrer Behauptung, daß alle Hersteller ihre Verkaufsstellen angewiesen hätten, die bei den Sitzungen vereinbarten Preise anzuwenden (Entscheidung, Randnr. 74), die Struktur der Shell-Gruppe. Die Produktionsgesellschaften der Gruppe, die in der EG Polypropylen herstellten oder vertrieben, verfügten über eine starke Eigenständigkeit; Shell erteile ihnen nur Ratschläge oder spreche Empfehlungen aus, könne aber keinen Zwang auf sie ausüben. Die Standpunkte von Shell und der Produktionsgesellschaften könnten voneinander abweichen; so könnten letztere es z. B. vorziehen, ihr Produktionsvolumen zu Lasten der Preise beizubehalten. Dies sei nicht ohne Auswirkungen auf das Verhältnis von Shell zu den anderen Polypropylenherstellern geblieben. Shell sei nicht in der Lage gewesen, den Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe die Anwendung irgendeines Zielpreises vorzuschreiben, und hätte unmöglich eine Verpflichtung für diese Gesellschaften eingehen können.

272 Die Kommission behandle ausserdem bei der Beschreibung der Preisinitiativen den Fall Shell so, als ob alle Produktionsgesellschaften der Gruppe die vereinbarten Preise gebilligt und angewandt und entsprechende Preisinstruktionen erteilt hätten, obwohl sie sich in fast allen Fällen ausschließlich auf Mitteilungen stütze, die Shell UK oder gelegentlich die Klägerin selbst an ihr Verkaufspersonal gerichtet hätten. Hieraus könne man nicht ohne übertriebene Verallgemeinerung den Schluß ziehen, daß alle Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe in gleicher Weise gehandelt hätten.

273 Da die Entscheidung den Herstellern vorwerfe, daß sie "gleichzeitige Preiserhöhungen vornahmen, um die besagten Ziele durchzusetzen", könne die Kommission es in ihrer Klagebeantwortung nicht als ausreichend ansehen, daß die Klägerin den Produktionsgesellschaften Preise mitgeteilt habe, auch wenn diese die ihnen erteilten Instruktionen dann weder gebilligt noch durchgeführt hätten. Dies widerspreche Artikel 1 Buchstabe d der Entscheidung, wo es von den Herstellern heisse, daß sie "gleichzeitige Preiserhöhungen vornahmen, um die besagten Ziele durchzusetzen".

274 Der Unterschied zwischen den von ihr tatsächlich am Markt angewandten Preisen und den angeblichen Zielpreisen zeige überdies, daß sie ihr Vorgehen völlig unabhängig festgelegt habe.

275 In ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte habe sie die Behauptung der Kommission, daß die Shell-Gesellschaften an den Quotenregelungen beteiligt gewesen seien, u. a. mit den Argumenten zurückgewiesen, daß diese Gesellschaften ihre eigenen Mengenziele selbständig bestimmt hätten, daß ihre Finanz-, Produktions- und Absatzpläne gewöhnlich vor den Sitzungen erstellt und später auch nicht aufgrund der Ergebnisse dieser Sitzungen abgeändert worden seien, auch wenn der Shell von den anderen Herstellern zugeteilte Marktanteil grösser gewesen sei als das Ziel, das Shell sich gesetzt habe, daß die von den Shell-Gesellschaften vorgegebenen Zahlen und die tatsächlichen Absatzmengen erheblich von denen abgewichen seien, die die übrigen Hersteller für Shell vorgesehen hätten, und daß schließlich die Shell-Gesellschaften nicht an den Sitzungen teilgenommen hätten und Shell weder die den anderen Herstellern zugeteilten Quoten gekannt noch Informationen mit ihnen ausgetauscht habe. Somit hätten die Shell-Gesellschaften ihre eigene Politik verfolgt, die sie bezueglich der Verkaufsmengen völlig unabhängig festgelegt hätten.

276 Die Kommission weist zunächst darauf hin, daß sie der Klägerin nicht vorwerfe, jede der in Artikel 1 Buchstaben a bis e der Entscheidung aufgeführten Handlungen begangen zu haben. Sie sei jedoch an einer globalen Vereinbarung beteiligt gewesen, bei deren Durchführung die Hersteller die genannten Handlungen begangen hätten, und könne sich daher ihrer Verantwortung nicht durch den Nachweis entziehen, daß sie bei dieser oder jener Aktion weniger begeistert oder kooperativ gewesen sei oder an bestimmten Arten von Sitzungen nicht teilgenommen habe (Entscheidung, Randnrn. 81 und 83).

277 Es sei ohne Bedeutung, ob die Klägerin in der Lage gewesen sei, auf ihre Produktionsgesellschaften "Zwang" auszuüben, oder ob sie ihnen "nur Ratschläge" erteilt habe, über die diese sich nur schwer hätten hinwegsetzen können. Die dezentralisierte Struktur der Shell-Gruppe sei kein Hindernis für die Vereinbarung und die Durchführung des Kartells gewesen, wie ein Schriftstück beweise, das das Vertretungsverhältnis zwischen der Klägerin und den Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe darstelle (gem. Bpkte., Anl. 96). Wenn die Klägerin der Kommission vorwerfe, die richtige Struktur der Shell-Gruppe verkannt zu haben, so lege sie einzelnen, aus ihrem Zusammenhang gerissenen Ausdrücken zuviel Bedeutung bei. In Wirklichkeit zeigten die von der Kommission vorgelegten Schriftstücke, daß die Klägerin ihre Preispolitik an die in den Sitzungen festgelegten Ziele angepasst habe, die ihr durch die Kontakte zu ICI durchaus bekannt gewesen seien, und daß sie entsprechende Empfehlungen an die Produktionsgesellschaften gerichtet habe, die sie nicht als null und nichtig hätten ansehen können.

278 Die Tatsache, daß die eine oder andere Gesellschaft der Shell-Gruppe sich am Ende für einen niedrigeren Preis entschieden habe, brauche nicht zu bedeuten, daß die Klägerin den Zielpreis anfangs nicht akzeptiert habe, da als Grund dafür, daß der Zielpreis nicht eingehalten worden sei, auch eine Täuschung denkbar sei. Ganz allgemein weist die Kommission insoweit darauf hin, daß sie nicht den Nachweis habe erbringen wollen, daß die Preisziele sich stets auf dem Markt durchgesetzt hätten oder stets von den Produktionsgesellschaften angenommen worden seien, sondern einzig und allein, daß die Preise festgesetzt und einvernehmlich angewandt worden seien, worauf Artikel 1 Buchstabe d der Entscheidung abstelle, wenn er den Herstellern vorwerfe, gleichzeitige Preiserhöhungen zur Durchsetzung der "besagten Ziele" vorgenommen zu haben. Folgte man der Ansicht der Klägerin, so nähme die Selbständigkeit der Verkaufsabteilungen, da sie manchmal zu Unterschieden bei den angewandten Preisen führe, den zwischen den zentralen Organen verschiedener Unternehmen abgeschlossenen Vereinbarungen jede wettbewerbsrechtliche Bedeutung.

279 Die Klägerin habe Empfehlungen an ihre Produktionsgesellschaften zur Begrenzung ihrer Verkäufe ausgesprochen, wobei es zugegebenermassen nicht darauf ankomme, ob diese Begrenzung in Mengen oder in Marktanteilen ausgedrückt worden sei. Damit sei bewiesen, daß die Klägerin die Gewißheit oder zumindest die Erwartung - und nicht nur die Hoffnung - hatte, daß die anderen Hersteller die gleiche Begrenzungspolitik verfolgen würden, zumal die Klägerin selbst versichere, daß ihre Produktionsgesellschaften ihre Politik eher auf Mengen als auf Preise ausgerichtet hätten.

280 Das Gericht steht auf dem Standpunkt, daß die Struktur der Shell-Gruppe und die Stellung der Klägerin im Rahmen dieser Struktur kein Hindernis für ihre Beteiligung an den Preisinitiativen, dem System der Kundenführung und der Quotenregelung gewesen sind. Eine Untersuchung der Struktur der Shell-Gruppe zeigt nämlich, daß die Klägerin im wesentlichen zwei Aufgaben hat: zum einen hat sie die Sitzungen der PBSU (Polyolefins Strategic Busineß Unit) zu leiten, in der neben ihr die Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe vertreten sind (Anl. 5, S. 3) und die für die Erarbeitung der (langfristigen) Strategie verantwortlich ist, in deren Rahmen die Produktionsgesellschaften der Gruppe ihre eigene Strategie eigenverantwortlich festlegen. Zum anderen hat sie die Produktionsgesellschaften im Hinblick auf die Marktlage zu beraten.

281 Das Gericht ist daher der Auffassung, daß die Klägerin bei der Erarbeitung sowohl der langfristigen als auch der kurzfristigen Politik der Produktionsgesellschaften mitgewirkt hat. Zwar konnte die Klägerin Entscheidungen weder im einen noch im anderen Bereich vorschreiben, doch war es angesichts der insgesamt gleichlaufenden Interessen der verschiedenen Produktionsgesellschaften der Gruppe sowie der gleichlaufenden Interessen der Shell-Gruppe und der anderen Hersteller - nämlich Durchsetzung einer Erhöhung des allgemeinen Preisniveaus, möglicherweise auch unter Zugeständnissen bei den Verkaufsmengen - nicht erforderlich, daß die Klägerin, um ihre Auffassungen an die Produktionsgesellschaften weiterzugeben, diesen gegenüber Zwang ausüben konnte, zumal die Produktionsgesellschaften wussten, daß die ihnen von der Klägerin erteilten "Ratschläge" auf Zielen beruhten, die mit den Polypropylenherstellern vereinbart worden waren. In ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen hat die Klägerin nämlich erklärt:

"ICI often communicated to SCITCO 'target prices' for certain polypropylene grades in the local currencies of the Western European market. It was understood by SCITCO that such 'target prices' were those which had been prepared at 'bosses' or 'experts' meetings - SCITCO do not know which."

("ICI teilte SCITCO häufig 'Zielpreise' für bestimmte Polypropylensorten in den Landeswährungen des westeuropäischen Marktes mit. SCITCO ging davon aus, daß solche 'Zielpreise' in 'Chef' - und 'Expertensitzungen' vorbereitet worden waren, weiß aber nicht, in welchen Sitzungen.")

Ferner nahmen die Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe an lokalen Sitzungen mit Vertretern anderer Hersteller teil, deren Zweck die Durchführung der vereinbarten Preisziele war.

282 Diese Analyse wird durch die Schwierigkeiten bestätigt - und nicht widerlegt -, die der Klägerin gelegentlich begegneten, wenn es darum ging, ein System des Ausgleichs zu erörtern, das von seiten der Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe bedeutende Zugeständnisse verlangte. Als Shell sich im Oktober 1982 solchen Schwierigkeiten gegenübersah, teilte sie dies ihren Wettbewerbern mit und gab an, wie sie sie beheben wolle. So heisst es in einem ICI-Vermerk vom 18. Oktober 1982 mit der Bezeichnung "Polypropylene Compensation Scheme" (Polypropylen-Ausgleichsplan" (gem. Bpkte., Anl. 96):

"L. of SCITCO said that he & his colleagues were under pressure to improve margins on PP and that he would be willing to attend meetings of the big four but not wider gatherings. The problems of the Shell organisation were discussed and whilst the local companies were autonomous L. requested that approaches should be channelled through SCITCO. He had not been able to meet with J., V. L., etc. before this meeting but had agreement to talk about a compensation scheme. L. would be meeting with J. & others on 20/10/82 ...

L. raised the problem of not having any centralised profit centre but after discussion accepted that it was really up to Shell to agree internally who would draw or conversely provide any compensation."

("L. von SCITCO sagte, er & seine Kollegen stuenden unter Druck, die Spannen bei PP zu verbessern; er würde an Treffen der grossen Vier teilnehmen, aber nicht an grösseren Versammlungen. Die Probleme der Organisation von Shell wurden erörtert, und, da die lokalen Gesellschaften eigenständig sind, forderte L., daß Kontakte über SCITCO laufen sollten. Er hatte sich nicht mit J., V. L. usw. vor dieser Sitzung treffen können, hatte aber ihr Einverständnis, über einen Ausgleichsplan zu sprechen. L. sollte sich mit J. & anderen am 20.10.82 treffen ...

L. warf das Problem auf, daß es keine zentrale Stelle für die Gewinne gebe, sah aber nach Diskussion ein, daß es wirklich Shell' s Sache sei, intern zu vereinbaren, wer einen Ausgleich erhalte oder umgekehrt liefere.")

Dazu ist darauf hinzuweisen, daß die Sitzung vom 20. Oktober 1982 tatsächlich stattgefunden hat, auch wenn der Sitzungsbericht nicht vorgelegt worden ist, da in ihr das Protokoll der Sitzung vom 7. September 1982 genehmigt worden ist, wie das Datum "20.10.1982" auf diesem Protokoll beweist.

283 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß die interne Organisation der Shell-Gruppe kein Hindernis für die Beteiligung der Klägerin an den Preisinitiativen, dem System der Kundenführung und der Quotenregelung gewesen ist.

284 Zu den Preisen, die die Klägerin auf dem Markt praktiziert hat, ist darauf hinzuweisen, daß die Entscheidung nicht behauptet, die Klägerin habe Preise angewandt, die stets den von den Herstellern vereinbarten Preiszielen entsprochen hätten. Die Entscheidung stützt sich also auch nicht auf die Durchführung dieser Preisziele auf dem Markt durch die Klägerin, um ihre Beteiligung an den Preisinitiativen zu beweisen. FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 689A0011.5

285 Die Klägerin behauptet, ohne den Beweis dafür anzutreten, daß die Shell-Unternehmen ihre Verkaufsmengenpolitik völlig unabhängig bestimmt hätten. Aus den vorstehenden tatsächlichen Feststellungen folgt, daß die Klägerin die den anderen Herstellern zugeteilten Quoten kannte, mit ihnen Informationen austauschte und regelmässige Kontakte unterhielt, die insbesondere die Festsetzung von Verkaufsmengenzielen betrafen. Daß die Verkäufe der Klägerin nicht immer den ihr zugeteilten Quoten entsprachen, ist unerheblich, weil sich die angefochtene Handlung nicht auf die tatsächliche Durchführung des Quotensystems auf dem Markt durch die Klägerin stützt, um ihre Beteiligung an diesem System zu beweisen. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß die Klägerin ihre Behauptung nicht bewiesen hat, daß die Shell-Gesellschaften ihre Finanz-, Produktions- und Verkaufspläne gewöhnlich vor den Sitzungen erstellt und später auch nicht aufgrund der Ergebnisse dieser Sitzungen abgeändert hätten, auch wenn der Shell von den anderen Herstellern zugeteilte Marktanteil grösser gewesen sei als das Ziel, das Shell sich gesetzt habe. Da die Kommission nämlich für die Jahre 1979 und 1980 nicht angeben konnte, wann eine Quotenregelung vereinbart worden war, kann die Klägerin nicht behaupten, die Shell-Gesellschaften hätten ihre Pläne und Budgets vor den Sitzungen erstellt, in denen Quotenvereinbarungen getroffen worden seien. Für die Jahre 1981 und 1982 behauptet die Kommission nicht, daß eine Quotenregelung für das ganze Jahr getroffen worden sei, sondern lediglich, daß eine vorläufige monatliche Regelung vereinbart worden sei. Für 1983 beruht das Vorbringen der Klägerin auf der zutreffenden Annahme, daß die Zahl von 11 % als Marktanteil für Shell in dem internen Shell-Vermerk vom 17. März 1983 (gem. Bpkte., Anl. 90) von ihr völlig selbständig festgelegt worden sei. Das Gericht hat indessen festgestellt, das dies nicht der Fall gewesen ist.

286 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt erstens, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin zu den Polypropylenherstellern gehörte, zwischen denen es zu Willensübereinstimmungen über Mindestpreise und über die verschiedenen in der Entscheidung genannten Preisinitiativen (mit Ausnahme des Beginns der Initiative von Januar bis Mai 1981 und des Endes der Initiative für Juli bis November 1983) gekommen ist.

287 Ebenfalls zu Recht hat die Kommission aus der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen, in der es heisst: "' Target prices' for the basic grade of each principal category of polypropylene as proposed by producers from time to time since 1 January 1979 are set forth in Schedule ..." ("Die 'Zielpreise' , die von den Herstellern seit dem 1. Januar 1979 regelmässig für die Grundsorte der wichtigsten Polypropylen-Kategorien vorgeschlagen worden sind, sind im Anhang aufgeführt ..."), abgeleitet, daß diese Initiativen Teil eines Systems zur Festsetzung von Preiszielen waren.

288 Zweitens ist der Kommission damit rechtlich der Beweis gelungen, daß die Klägerin zu den Herstellern gehörte, zwischen denen es zu Willensübereinstimmungen über die in der Entscheidung genannten Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen gekommen ist.

289 Drittens ist der Kommission damit rechtlich der Beweis gelungen, daß die Klägerin zu den Polypropylenherstellern gehörte, zwischen denen es zu Willensübereinstimmungen über die in der Entscheidung genannten Verkaufsmengenziele für die Jahre 1979, 1980 und die erste Hälfte des Jahres 1983 sowie über die dort genannte Begrenzung ihrer monatlichen Verkäufe für die Jahre 1981 und 1982 im Verhältnis zu einem vorausgegangenen Bezugszeitraum gekommen ist.

290 Zudem ist die Kommission in Anbetracht des Umstands, daß mit den verschiedenen Maßnahmen zur Begrenzung der Verkaufsmengen dasselbe Ziel - Verringerung des von dem Überangebot ausgehenden Druckes auf die Preise - verfolgt wurde, zu Recht zu dem Schluß gelangt, daß diese Maßnahmen Teil eines Quotensystems waren.

291 Ausserdem ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission zur Stützung der vorstehenden tatsächlichen Feststellungen weder auf das in Randnummer 16 vorletzter Absatz der Entscheidung angeführte, bei Solvay aufgefundene Schriftstück vom 6. September 1977 noch auf die in Randnummer 15 Buchstabe h der Entscheidung genannten, bei ATO gefundenen Schriftstücke zurückzugreifen brauchte, die sie der Klägerin nicht übermittelt hatte.

2. Die Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag

a) Angefochtene Handlung

292 Nach der Entscheidung (Verfügender Teil, Artikel 1) hat die Klägerin gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossen, indem sie von etwa Mitte 1977 bis mindestens November 1983 an einer von Mitte 1977 stammenden Vereinbarung und aufeinander abgestimmten Verhaltensweise beteiligt war, durch die die Gemeinschaft mit Polypropylen beliefernden Hersteller a) miteinander Verbindung hatten und sich regelmässig (von Anfang 1981 an zweimal monatlich) in einer Reihe geheimer Sitzungen trafen, um ihre Geschäftspolitik zu erörtern und festzulegen; b) von Zeit zu Zeit für den Absatz ihrer Erzeugnisse in jedem Mitgliedstaat der EG Ziel- (oder Mindest-)Preise festlegten; c) verschiedene Maßnahmen trafen, um die Durchsetzung dieser Zielpreise zu erleichtern, (vor allem) unter anderem durch vorübergehende Absatzeinschränkungen, den Austausch von Einzelangaben über ihre Verkäufe, die Veranstaltung lokaler Sitzungen und ab Ende 1982 ein System der "Kundenführerschaft" zwecks Durchsetzung der Preiserhöhungen gegenüber Einzelkunden; d) gleichzeitige Preiserhöhungen vornahmen, um die besagten Ziele durchzusetzen; e) den Markt aufteilten, indem jedem Hersteller ein jährliches Absatzziel bzw. eine "Quote" (1979, 1980 und zumindest für einen Teil des Jahres 1983) zugeteilt wurde, oder, falls es zu keiner endgültigen Vereinbarung für das ganze Jahr kam, die Hersteller aufgefordert wurden, ihre monatlichen Verkäufe unter Bezugnahme auf einen vorausgegangenen Zeitraum einzuschränken (1981, 1982).

b) Vorbringen der Parteien

293 Die Klägerin bestreitet, die in Artikel 1 Buchstaben a bis e der Entscheidung aufgeführten einzelnen Verstösse begangen zu haben, und vertritt die Auffassung, daß die Kommission nicht unter Berufung auf die angebliche Einheitlichkeit der Zuwiderhandlung davon absehen dürfe, die Beteiligung der Klägerin an jedem einzelnen dieser Verstösse nachzuweisen. Der Begriff der Rahmenvereinbarung könne insoweit der Kommission keine Hilfe bieten, da sie über keine Beweise verfüge, daß eine solche Vereinbarung unabhängig von den einzelnen von ihr behaupteten Verstössen geschlossen worden sei.

294 Selbst wenn die in der Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen zutreffend wären, erlaubten sie keineswegs den Schluß auf das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag.

295 Die Kommission weist darauf hin, daß sie der Klägerin nicht vorwerfe, jede der in Artikel 1 Buchstaben a bis e beschriebenen Handlungen begangen zu haben, sondern, an einer Rahmenvereinbarung beteiligt gewesen zu sein, auf deren Grundlage die Hersteller die genannten Handlungen begangen hätten. Diese Handlungen dürften nicht als eine Reihe selbständiger Verstösse betrachtet werden, sondern als Bestandteile einer dauernden Zuwiderhandlung. Alle Beweismittel müssten daher zusammengenommen als Nachweis der Beteiligung der Klägerin an einer Rahmenvereinbarung bewertet werden.

296 Selbst wenn man einräumen müsste, daß die Klägerin dieser Vereinbarung nicht in all ihren Punkten beigepflichtet habe, habe sie doch über einen langen Zeitraum enge Kontakte zu den anderen grossen Herstellern unterhalten, die einzelnen Pläne insgesamt bis hin zur Formulierung genauer Vorschläge unterstützt und sich damit so verhalten, daß die Voraussetzungen der Koordinierung und Zusammenarbeit, wie sie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 16. Dezember 1975 (in den verbundenen Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Suiker Unie/Kommission, Slg. 1975, 1663, Randnr. 173) als Kriterien für eine abgestimmte Verhaltensweise aufgestellt habe, mehr als erfuellt seien.

c) Würdigung durch das Gericht

297 Es ist festzustellen, daß die Kommission jeden der Klägerin zur Last gelegten tatsächlichen Einzelakt entweder unter den Begriff der Vereinbarung oder den der abgestimmten Verhaltensweise im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag subsumiert hat. Wie sich nämlich aus Randnummer 80 Absatz 2 in Verbindung mit den Randnummern 81 Absatz 3 und 82 Absatz 1 der Entscheidung ergibt, hat die Kommission jeden dieser verschiedenen Einzelakte in erster Linie als "Vereinbarung" gewertet.

298 Ebenso ergibt sich aus Randnummer 86 Absätze 2 und 3 in Verbindung mit Randnummer 87 Absatz 3 und Randnummer 88 der Entscheidung, daß die Kommission die Einzelakte der Zuwiderhandlung hilfsweise unter den Begriff der "abgestimmten Verhaltensweise" subsumiert hat, wenn sie entweder nicht den Schluß zuließen, daß sich die Partner vorher über einen gemeinsamen Plan für ihr Marktverhalten geeinigt hatten, sondern nur, daß sie Absprachen getroffen oder sich an Absprachen beteiligt hatten, die die Koordinierung ihrer Geschäftspolitik erleichterten, oder wenn sie wegen des komplexen Charakters des Kartells nicht die Feststellung erlaubten, daß einige Hersteller einem von den anderen Herstellern vereinbarten Verhalten uneingeschränkt zugestimmt hatten, sondern nur, daß diese die betreffende Regelung generell unterstützten und sich entsprechend verhielten. Daraus wird in der Entscheidung der Schluß gezogen, daß die fortgesetzte Zusammenarbeit und Kollusion der Hersteller bei der Durchführung der Gesamtvereinbarung in mancher Hinsicht Zuege einer aufeinander abgestimmten Vehaltensweise trügen.

299 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes liegt eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten (vgl. die Urteile vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661, Randnr. 112, und vom 29. Oktober 1980 in den verbundenen Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, a. a. O., Randnr. 86). Das Gericht stellt deshalb fest, daß die Kommission die Willensübereinstimmungen zwischen der Klägerin und anderen Polypropylenherstellern, für die sie den Beweis erbracht hat und die auf Mindestpreise für das Jahr 1977, auf Preisinitiativen, auf Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen, auf Verkaufsmengenziele für die Jahre 1979 und 1980 sowie für das erste Halbjahr 1983 und auf Maßnahmen zur Begrenzung der monatlichen Verkäufe für die Jahre 1981 und 1982 im Verhältnis zu einem vorausgegangenen Bezugszeitraum gerichtet waren, zu Recht als Vereinbarungen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag angesehen hat.

300 Der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise ist anhand der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu bestimmen. Hiernach sind die von ihr zuvor aufgestellten Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des Vertrages zu verstehen, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt. Dieses Selbständigkeitspostulat beseitigt zwar nicht das Recht der Unternehmen, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Konkurrenten mit wachem Sinn anzupassen; es steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Konkurrenten zu beeinflussen oder einen solchen Konkurrenten über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht (Urteil vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, a. a. O., Randnrn. 173 und 174).

301 Im vorliegenden Fall hat die Klägerin Kontakte zu anderen Herstellern unterhalten und an den Sitzungen der "grossen Vier" teilgenommen; ihre Produktionsgesellschaften haben an lokalen Sitzungen teilgenommen, deren Zweck es war, Preis- und Verkaufsmengenziele festzulegen. Im Rahmen dieser Kontakte und dieser Sitzungen tauschten die Wettbewerber Informationen über die Preise aus, die nach ihren Wünschen auf dem Markt praktiziert werden sollten, über die Preise, die sie zu praktizieren beabsichtigten, über ihre Rentabilitätsschwelle, über die von ihnen für notwendig gehaltenen Beschränkungen der Verkaufsmengen, über ihre Verkaufszahlen oder über die Identität ihrer Kunden. Durch ihre Teilnahme an diesen Kontakten und Sitzungen hat sich die Klägerin mit ihren Wettbewerbern an einer Abstimmung beteiligt, deren Zweck es war, deren Marktverhalten zu beeinflussen, und offenzulegen, welches Marktverhalten die einzelnen Hersteller selbst in Erwägung zogen.

302 Damit hat die Klägerin nicht nur das Ziel verfolgt, im voraus die Ungewißheit über das künftige Verhalten ihrer Wettbewerber zu beseitigen, sondern sie musste bei der Festlegung der Politik, die sie auf dem Markt verfolgen wollte, zwangsläufig auch unmittelbar oder mittelbar die bei diesen Kontakten und in diesen Sitzungen erhaltenen Informationen berücksichtigen. Auch ihre Wettbewerber mussten bei der Festlegung der Marktpolitik, die sie verfolgen wollten, zwangsläufig unmittelbar oder mittelbar die Informationen berücksichtigen, die ihnen die Klägerin über das Marktverhalten gegeben hatte, das sie selbst für sich beschlossen hatte oder in Erwägung zog.

303 Folglich hat die Kommission die Kontakte und Sitzungen mit anderen Polypropylenherstellern, an denen die Klägerin zwischen 1977 und September 1983 beteiligt war, wegen ihres Zwecks zu Recht hilfsweise als abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag angesehen.

304 Zu der Frage, ob die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, daß eine einzige, in Artikel 1 der Entscheidung als "eine Vereinbarung und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise" bezeichnete Zuwiderhandlung vorliegt, weist das Gericht darauf hin, daß die verschiedenen abgestimmten Verhaltensweisen und Vereinbarungen, die von den Beteiligten eingehalten und abgeschlossen wurden, wegen ihres übereinstimmenden Zwecks Teil von Systemen zur Festsetzung von Preis- und Quotenzielen waren.

305 Diese Systeme waren wiederum Teil einer Reihe von Bemühungen der betroffenen Unternehmen, mit denen ein einziges wirtschaftliches Ziel verfolgt wurde, nämlich die normale Entwicklung der Preise auf dem Polypropylenmarkt zu verfälschen. Es wäre daher gekünstelt, dieses durch ein einziges Ziel gekennzeichnete kontinuierliche Verhalten zu zerlegen und aus ihm mehrere selbständige Zuwiderhandlungen zu konstruieren. Tatsächlich hat sich die Klägerin - jahrelang - an einem Komplex integrierter Systeme beteiligt, die eine einheitliche Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag darstellen. Diese einheitliche Zuwiderhandlung hat sich nach und nach sowohl durch rechtswidrige Vereinbarungen als auch durch rechtswidrige abgestimmte Verhaltensweisen entwickelt.

306 Die Rüge der Klägerin muß daher zurückgewiesen werden.

3. Ergebnis

307 Aus alldem ergibt sich, daß Artikel 1 der Entscheidung für nichtig zu erklären ist, soweit dort festgestellt wird, daß sich die Klägerin nach September 1983 an der Zuwiderhandlung beteiligt hat, da der Beweis für die von der Kommission zu Lasten der Klägerin getroffenen tatsächlichen Feststellungen für diese Zeit nicht erbracht ist, und daß Artikel 1 der Entscheidung weiterhin für nichtig zu erklären ist, soweit dort - in Verbindung mit den Gründen der Entscheidung - festgestellt wird, daß sich die Klägerin an der Preisinitiative von Januar bis Mai 1981 von Beginn an beteiligt hat, da der Beweis für die von der Kommission zu Lasten der Klägerin getroffenen tatsächlichen Feststellungen für diesen Teil dieser Preisinitiative nicht erbracht ist. Im übrigen sind die Rügen der Klägerin gegen die von der Kommission in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen und die dort vorgenommene Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag zurückzuweisen.

Verantwortlichkeit der Klägerin für die Zuwiderhandlung

A - Angefochtene Handlung

308 Nach Randnummer 102 der Entscheidung ist innerhalb der Shell-Gruppe das für Koordinierung und strategische Planung im Thermoplastik-Sektor zuständige Unternehmen die "Dienstleistungs"-Gesellschaft Shell International Chemical Company (SICC). Es sei dieses Unternehmen gewesen, das an den Sitzungen mit den anderen grossen Herstellern teilgenommen habe und als Informationsglied zwischen dem Kartell und den verschiedenen Shell-Produktions- und Absatzunternehmen in der EG tätig gewesen sei, die ihrerseits an den nationalen bzw. lokalen Sitzungen beteiligt gewesen seien. Wegen ihrer Gesamtverantwortung für die Planung und Koordinierung der Tätigkeiten der Shell-Konzernunternehmen im Polypropylensektor vertrete die Kommission die Auffassung, daß die Shell International Chemical Company der richtige Adressat der Entscheidung sei.

B - Vorbringen der Parteien

309 Nach Auffassung der Klägerin hat die Kommission ihr die Zuwiderhandlung zu Unrecht zugerechnet. Innerhalb der Shell-Gruppe sei Shell, an die die Entscheidung gerichtet sei, nämlich weder Hersteller noch Lieferant von Polypropylen auf dem Markt der Gemeinschaft, sondern lediglich eines der Dienstleistungsunternehmen der Shell-Gruppe, das zum einen die in Westeuropa tätigen Gesellschaften bei kurzfristigen Handelsgeschäften berate und zum anderen mit dem internationalen Handel befasst sei. Da sie kein Hersteller sei, der Preise und Verkaufsmengen für Polypropylen festsetzen könne, habe die Kommission sie nicht für die in der Entscheidung beschriebene Zuwiderhandlung verantwortlich machen dürfen. Wegen der starken Eigenständigkeit der Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe habe sie ihnen überdies nicht die geringste Entscheidung vorschreiben oder die kleinste Verpflichtung zu ihren Lasten übernehmen können.

310 Für die Kommission vertritt die Klägerin die Shell-Gruppe international. Sie habe an den Sitzungen der "grossen Vier" teilgenommen und die Kontakte zu ICI aufrechterhalten. Es sei einer ihrer leitenden Angestellten gewesen, der die internen Arbeitsgruppen von Shell zur Koordinierung der Konzernpolitik im Polypropylensektor geleitet habe. Unter diesen Umständen komme es nicht darauf an, ob die Klägerin Zwang auf die Produktionsunternehmen habe ausüben können oder ob sie ihnen lediglich Ratschläge erteilt habe, über die diese sich schwer hätten hinwegsetzen können.

C - Würdigung durch das Gericht

311 Das Gericht stellt fest, daß das den Unternehmen in Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag u. a. auferlegte Verbot von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, an wirtschaftliche Einheiten gerichtet ist, die jeweils in einer einheitlichen Organisation persönlicher, materieller und immaterieller Mittel bestehen, die dauerhaft einen bestimmten wirtschaftlichen Zweck verfolgt und an einer Zuwiderhandlung im Sinne dieser Vorschrift beteiligt sein kann.

312 Im vorliegenden Fall stellt das Gericht fest, daß die Klägerin und die Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe, die chemische Erzeugnisse herstellen und vertreiben, eine einzige einheitliche Organisation persönlicher, materieller und immaterieller Mittel darstellen, die dauerhaft den wirtschaftlichen Zweck verfolgt, u. a. Polypropylen zu erzeugen und zu verkaufen, um ihren Gewinn zu maximieren, auch wenn dies gegebenenfalls zu Lasten der Einzelgewinne ihrer verschiedenen Organisationsteile geht. Innerhalb dieser Organisation hat jede Gesellschaft eine bestimmte Aufgabe. Die Produktionsgesellschaften erzeugen oder verkaufen Polypropylen, während der Klägerin die Aufgabe der Anregung und der Koordinierung der einzelnen Produktionsgesellschaften des Konzerns zufällt. Infolgedessen stellen die Klägerin und diese Produktionsgesellschaften der Shell-Gruppe ein einziges Unternehmen dar.

313 Die Rolle der Klägerin in diesem Unternehmen wird durch mindestens fünf Schriftstücke belegt: Das erste ist ein Schriftstück vom 15. Februar 1982 mit der Bezeichnung "Market quality PP" (gem. Bpkte., Anl. 94), das zweite ein Bericht über Telefongespräche zwischen dem Vertreter der Klägerin und ICI vom 9. und 10. September 1982 (gem. Bpkte., Anl. 95), das dritte ein Schriftstück mit der Bezeichnung "Polypropylene compensation scheme" vom 18. Oktober 1982 (gem. Bpkte., Anl. 96), das vierte ein Vermerk über ein Telefongespräch zwischen einem Angestellten der Klägerin und ICI vom 8. November 1982 (gem. Bpkte., Anl. 97) und das fünfte ein Bericht über ein zweiseitiges Treffen zwischen Angestellten der Klägerin und ICI vom 26. November 1982 (gem. Bpkte., Anl. 99). Im dem erstgenannten Schriftstück heisst es:

"Integrated companies (SCUK, SNC, SC) plus SCITCO have met in group chaired by CITP, and agreed:

a) Will meet regularly (approx. quarterly) to review current state of market & formulate marketing/pricing policies for Shell PP in Europe;

b) CITP/2 will collect & disseminate market intelligence (Demand, Competition, prices) approximately monthly;

c) SCITCO will NOT participate in any poly-competitor meetings, but will try to keep informed of their activities & ambitions through CITP bi-lateral contacts;

...

ALSO SCITCO/CITP/2 is taking the following actions to try & improve European PP market quality:

e) continental liaison with Shell QUIMICLY POLIBRAZIL to ... move exportation surplus PP in ... through Shell MKT2 ... in LATIN AMERICA & S. E. ASIA: and prevent its export to W. Europe ..."

("Die integrierten Gesellschaften [SCUK, SNC, SC] und SCITCO haben sich in einer Gruppe unter dem Vorsitz von CITP getroffen und vereinbart:

a) Die Teilnehmer der Gruppe werden sich regelmässig treffen (etwa vierteljährlich), um die gegenwärtige Marktsituation zu prüfen & Vermarktungs-/Preisstrategien für Shell PP in Europa festzulegen;

b) CITP/2 wird ungefähr jeden Monat Marktinformationen [Nachfrage, Wettbewerb, Preise] sammeln und verteilen;

c) SCITCO wird an KEINER Sitzung mit vielen Wettbewerbern teilnehmen, aber bemüht sein, über ihre Tätigkeiten & Bestrebungen über zweiseitige CITP-Kontakte informiert zu bleiben;

...

EBENSO unternimmt SCITCO/CITP/2 folgende Aktionen zur Verbesserung der europäischen PP Marktqualität:

e) Verbindung mit Shell Quimicly Polibrazil auf dem Kontinent ... um Ausfuhrüberschuß an PP ... über Shell MKT2 ... nach Südamerika und Südostasien zu bringen ... und seine Ausfuhr nach West-Europa zu verhindern ...")

Im zweiten Schriftstück heisst es:

"I spoke with L. again today to give him the elements of the proposed scheme. His reaction was to say that he felt the group should meet to talk the scheme through & that he would be willing to join in. Particular points raised were:

1) The group as a whole should agree the point at which they would react i. e. if x % market share was lost the scheme would be abandoned.

2) Any target for Shell might have to be broken down territorially to make it organisationally operable ..."

("Ich sprach heute erneut mit L., um ihm Einzelheiten des vorgeschlagenen Plans mitzuteilen. Er sagte darauf, seiner Meinung nach solle die Gruppe zusammenkommen und über den Plan sprechen & und er sei bereit mitzumachen. Besonders angesprochen wurden:

1) Die Gruppe insgesamt sollte den Punkt festlegen, an dem alle reagieren würden, d. h. wenn x % Marktanteil verlorengingen, würde der Plan aufgegeben.

2) Jedes Ziel für Shell müsste nach Gebieten aufgespalten werden können, damit es organisatorisch durchführbar bleibt.")

In dem dritten Schriftstück heisst es:

"L. of SCITCO said that he & his colleagues were under pressure to improve margins on PP and that he would be willing to attend meetings of the big four but not wider gatherings. The problems of the Shell organisation were discussed and whilst the local companies were autonomous L. requested that approaches should be channelled through SCITCO. He had not been able to meet with J., V. L., etc. before this meeting but had agreement to talk about a compensation scheme. L. would be meeting with J. & others on 20/10/82.

...

L. raised the problem of not having any centralised profit centre but after discussion accepted that it was really up to Shell to agree internally who would draw or conversely provide any compensation."

("L. von SCITCO sagte, er & seine Kollegen stuenden unter Druck, die Spannen bei PP zu verbessern; er würde an Treffen der grossen Vier teilnehmen, aber nicht an grösseren Versammlungen. Die Probleme der Organisation von Shell wurden erörtert und, da die lokalen Gesellschaften eigenständig sind, forderte L., daß Kontakte über SCITCO laufen sollten. Er hatte sich nicht mit J., V. L. usw. vor dieser Sitzung treffen können, hätte aber ihr Einverständnis, über einen Ausgleichsplan zu sprechen. L. sollte sich mit J. & anderen am 20.10.82 treffen.

...

L. warf das Problem auf, daß es keine zentrale Stelle für die Gewinne gebe, sah aber nach Diskussion ein, daß es wirklich Shell' s Sache sei, intern zu vereinbaren, wer einen Ausgleich erhalte oder umgekehrt liefere.")

Im vierten Schriftstück heisst es:

"P. said L. would be back in the office on Mon. 15th November. In the meantime he passed on the following information on the reaction of the various Shell units to the proposed compensation arrangements."

("P. sagte, L. sei am Montag, 15. November, wieder im Büro. Bis dahin gab er folgende Informationen über die Reaktion der einzelnen Shell-Unternehmen auf die vorgeschlagenen Ausgleichsvereinbarungen weiter.")

Im fünften Schriftstück heisst es:

"John L. was very interested in the new organisation within P&P Divis(ion) & in particular the responsibilities on polyolefins ... Compensation will be discussed with the local Shell companies at a meeting with J. E. L. on 30 November. I said the scheme was not dead by any means & that it was Shell who were holding things up. J. E. L. was quick to pick up that in October only Shell' s market share was in line with their Jan-June performance."

("John L. war sehr interessiert an der neuen Organisation innerhalb der Abteilung P&P & insbesondere der Neuordnung der Aufgabenbereiche bei Polyolefinen ... Ausgleich wird mit den lokalen Shell-Unternehmen auf einer Sitzung mit J. E. L. am 30. November erörtert. Ich sagte, der Plan sei keineswegs tot & es sei Shell, die alles aufhalte. J. E. L. hat sofort bemerkt, daß im Oktober nur Shell' s Marktanteil dem Umsatz von Januar bis Juli entsprach.")

314 Die Einheitlichkeit der Organisation der verschiedenen persönlichen, materiellen und immateriellen Mittel wird weiterhin dadurch bestätigt, daß in allen von der Kommission vorgelegten Schriftstücken die Verkaufszahlen für die Klägerin sich auf die Shell-Gesellschaften insgesamt beziehen.

315 Die Kommission ist daher zu Recht davon ausgegangen, daß die Klägerin für die Koordinierung des Vorgehens der Shell-Gruppe im Rahmen der Zuwiderhandlung verantwortlich war, und hat ihr die Zuwiderhandlung deshalb zugerechnet.

316 Die Rüge der Klägerin ist daher zurückzuweisen.

Zur Begründung

317 Die Klägerin macht geltend, sie habe ihr unabhängiges Preisverhalten nachgewiesen und die Kommission habe ausser dem Hinweis auf die Länge der Entscheidung nicht erläutert, weshalb sie diesen Nachweis nicht gelten lasse.

318 Die Kommission ist der Meinung, daß sie in der Entscheidung die Gründe ausreichend dargestellt habe, auf die sie die Feststellung der Beteiligung der Klägerin an einer Preisvereinbarung gestützt habe. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, die Argumente der Klägerin zum Nachweis der angeblichen Unabhängigkeit ihrer Preispolitik zu widerlegen.

319 Das Gericht verweist auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes (siehe u. a. Urteile vom 29. Oktober 1980 in den verbundenen Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, a. a. O., Randnr. 66, und vom 10. Dezember 1985 in den verbundenen Rechtssachen 240/82 bis 242/82, 261/82, 262/82, 268/82 und 269/82, Stichting Sigarettenindustrie/Kommission, Slg. 1985, 3831, Randnr. 88), wonach die Kommission gemäß Artikel 190 EWG-Vertrag zwar ihre Entscheidungen mit Gründen zu versehen und dabei die sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, von denen die Rechtmässigkeit der Maßnahme abhängt, sowie die Erwägungen aufzuführen hat, die sie zum Erlaß ihrer Entscheidung veranlasst haben, jedoch nicht auf alle tatsächlichen und rechtlichen Fragen einzugehen braucht, die von den Beteiligten während des Verwaltungsverfahrens vorgebracht wurden. Folglich ist die Kommission nicht verpflichtet, auf die Fragen einzugehen, die sie für völlig unerheblich hält.

320 Die Kommission ist auf das Vorbringen der Klägerin zu den von ihr tatsächlich auf dem Markt praktizierten Preisen in den Randnummern 74 bis 76 der Entscheidung eingegangen.

321 Diese Rüge muß daher zurückgewiesen werden.

Zur Geldbusse

322 Die Klägerin rügt, daß die Entscheidung Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 verletze, weil die Dauer und die Schwere der ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlung nicht zutreffend gewürdigt worden seien.

1. Die Verjährung

323 Die Klägerin macht in ihrer Erwiderung geltend, für die angeblich 1977 begangenen Verstösse gelte, da zwischen der 1977 abgeschlossenen Mindestpreisvereinbarung und den späteren Sitzungen kein Zusammenhang bestehe, jedenfalls die fünfjährige Verjährung nach der Verordnung (EWG) Nr. 2988/74 des Rates vom 26. November 1974 über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung im Verkehrs- und Wettbewerbsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. L 319, S. 1).

324 Nach Auffassung der Kommission handelt es sich bei der von der Klägerin geltend gemachten Verjährung um ein neues - und daher unzulässiges - Angriffsmittel im Sinne des Artikels 42 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, die gemäß Artikel 11 Absatz 3 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 auf das Verfahren vor dem Gericht entsprechend anzuwenden sei. Darüber hinaus handele es sich um eine fortgesetzte Zuwiderhandlung, bei der die Verjährung erst mit dem Tag ihrer Beendigung beginne.

325 Das Gericht stellt fest, daß nach Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2988/74 die fünfjährige Verjährungsfrist für die Befugnis der Kommission zur Festsetzung von Geldbussen bei dauernden oder fortgesetzten Zuwiderhandlungen erst mit dem Tag beginnt, an dem die Zuwiderhandlung beendet ist.

326 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der vom Gericht vorgenommenen Würdigung der Feststellung der Zuwiderhandlung, daß die Klägerin ohne Unterbrechung an einer einzigen "dauernden" Zuwiderhandlung ab Mitte 1977 bis September 1983 beteiligt gewesen ist.

327 Deshalb kann die Klägerin sich nicht auf Verjährung der Geldbussen berufen.

2. Die Dauer der Zuwiderhandlung

328 Die Klägerin weist darauf hin, daß die Kommission fälschlicherweise davon ausgehe, daß ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung mit dem Abschluß einer Mindestpreisvereinbarung Mitte 1977 oder mit den zu dieser Zeit geführten Gesprächen über die Preise begonnen habe.

329 Die Kommission verweist darauf, daß die Klägerin an der Mindestpreisvereinbarung von 1977 beteiligt gewesen sei. Bei der Bemessung der Geldbusse sei sie allerdings davon ausgegangen, daß "der Verstoß Mitte 1977 begann, der Mechanismus aber bis etwa Anfang 1979 noch nicht völlig funktionierte" (Entscheidung, Randnr. 105, letzter Absatz).

330 Das Gericht stellt fest, daß seine Würdigung der Feststellung der Zuwiderhandlung durch die Kommission ergeben hat, daß die zu Lasten der Klägerin festgestellte Zuwiderhandlung von kürzerer Dauer als in der Entscheidung festgestellt war, da sie nur bis Ende September 1983 und nicht bis November 1983 gedauert hat.

331 Folglich ist die gegen die Klägerin verhängte Geldbusse aus diesem Grund herabzusetzen.

3. Die Schwere der Zuwiderhandlung

A - Die Rolle der Klägerin

332 Die Klägerin weist darauf hin, daß die Kommission die Rolle der Klägerin bei der Zuwiderhandlung bei weitem überschätzt habe, da sie zu Unrecht davon ausgegangen sei, daß die Klägerin als eine der "grossen Vier" im Mittelpunkt der streitigen Vereinbarungen gestanden habe und daß diese Vier nacheinander die Preisinitiativen angeführt hätten und die Klägerin somit notwendigerweise einer der "Anführer" bei der Erarbeitung und Durchführung der rechtswidrigen Absprachen gewesen sei.

333 Zu Randnummer 68 der Entscheidung, nach der die "grossen Vier" eine angeblich "gemeinsame Haltung" vereinbart hätten, verweist Shell darauf, daß der ICI-Vermerk, auf den sich die Kommission stütze (gem. Bpkte., Anl. 64), selbst keinen Hinweis auf die betreffende Haltung gebe und ICI in ihrer in Randnummer 68 der Entscheidung angeführten Antwort auf das Auskunftsverlangen zu dieser Haltung erklärt habe, daß es "zwischen den grossen Vier ein Einvernehmen dahin gab, daß sie als die Marktführer bei Preisanhebungen sogar auf Kosten ihres eigenen Absatzvolumens entschlossen vorangehen müssten". Nach Meinung der Klägerin beruht diese Erklärung auf der Überzeugung, daß ein unter diesen vier Herstellern vereinbartes Ausgleichssystem es ihnen erleichtert hätte, die Möglichkeit einer Verpflichtung im Hinblick auf Zielpreise in Erwägung zu ziehen. Sie habe es abgelehnt, sich an irgendeinem Ausgleichssystem zu beteiligen (was die Kommission übrigens auch nicht bestreite) oder an irgendwelchen Abmachungen, die ICI auf die Beine gestellt habe oder habe stellen wollen. Ihre Äusserungen in der Zeitschrift ECN, daß die Shell-Gesellschaften eine Preiserhöhung in Erwägung zögen, hätten auf einer selbständigen Einschätzung der Marktbedingungen und nicht auf irgendeiner Abmachung mit ICI, Monte und Hoechst beruht.

334 Um trotz alledem die Behauptung aufrechtzuerhalten, daß die "grossen Vier" eine gemeinsame Haltung und ein gemeinsames Vorgehen angestrebt hätten, stütze die Kommission sich auf ein Schriftstück von ICI (gem. Bpkte., Anl. 87), das kein Bericht über eine Vorbesprechung, sondern ein Vermerk über fruchtlose Erörterungen eines Quotenausgleichssystems im Oktober 1982 sei. Die Kommission stütze sich ferner auf einen Vermerk der Klägerin vom 20. Oktober 1982 (gem. Bpkte., Anl. 100, und ind. Bpkte. Shell, Anl. 30), den sie aber nicht zutreffend auslege (dieser Vermerk veranschauliche lediglich das Funktionieren der Marktgesetze und zeige, daß der Umstand, daß 51 % des Marktes auf die "grossen Vier" entfielen, eigentlich erlauben sollte, sich auf mehr Preisstabilität hin zu bewegen); die Kommission habe sich in der Mitteilung der Beschwerdepunkte zur Stützung ihrer Behauptung, wonach die Klägerin zu den "Anführern" des "Kartells" gehört habe, und auch zur Stützung des weniger schweren Vorwurfs, daß die Klägerin mit den drei anderen, sogenannten "Führern" Ende 1982 eine Preis- und/oder Quotenvereinbarung getroffen habe, nicht auf dieses Schriftstück berufen. Die Mitteilung der Beschwerdepunkte beziehe sich auf dieses Schriftstück nur, um zu beweisen, daß die Shell-Gesellschaften, obwohl sie nicht bereit gewesen seien, durch das unvernünftige Betreiben einer Kraftpolitik bei den Preisen grössere Marktanteile zu verlieren, "die Zielpreise kannten und (angeblich) ihre Handelspolitik so festgelegt hatten, daß diese berücksichtigt wurden". Sowohl bezueglich des Schriftstücks von ICI als auch bezueglich des Vermerks der Klägerin vom 20. Oktober 1982 behaupte die Kommission, sie habe daraus nicht den Schluß gezogen, daß die "grossen Vier" ein gemeinsames Vorgehen vereinbart hätten, sondern lediglich, daß sie es als nützlich erkannt hätten, wenn sie sich über ein solches Vorgehen einigen könnten. Schließlich stütze sich die Kommission auf angebliche Vermerke über Vorbesprechungen (gem. Bpkte., Anl. 64, 100 und 101), die nicht beweiskräftig seien und durch andere Schriftstücke widerlegt würden.

335 Die Shell-Gesellschaften hätten keineswegs zur Organisation der Tätigkeiten des angeblichen Kartells beigetragen, sondern seien ganz am Rande aller rechtswidrigen Absprachen geblieben, die möglicherweise bestanden hätten. Da sie nicht an den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen teilgenommen hätten, seien sie nicht aktiv an den Bemühungen beteiligt gewesen, abgestimmte Preiserhöhungen durchzuführen und abgestimmte Mengenbegrenzungen festzulegen. Sie seien nicht als Kundenführer tätig geworden und hätten nur eine untergeordnete Rolle gespielt, was die Kommission bei der Bemessung der Geldbusse nicht berücksichtigt habe. Die Kommission behaupte in ihren Äusserungen vor Gericht, sie werfe der Klägerin nicht die Beteiligung an allen in Artikel 1 Buchstaben a bis e der Entscheidung aufgeführten Zuwiderhandlungen vor. Die Kommission sei nicht berechtigt, vor dem Gericht die im verfügenden Teil der Entscheidung festgestellten Vorwürfe abzuändern, vor allem dann nicht, wenn diese für die Bemessung der Geldbusse entscheidend gewesen seien.

336 Abschließend trägt Shell vor, die gegen sie festgesetzte Geldbusse hätte nicht höher ausfallen können, wenn sie an allen in der Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlungen beteiligt gewesen wäre.

337 Die Kommission entgegnet, daß nach den schriftlichen Beweisen die Mitte 1977 erstmals verwirklichten Abmachungen von den "grossen Vier" ausgestaltet worden seien, daß immer einer von ihnen bereit gewesen sei, sich an die Spitze einer Preiserhöhungsaktion zu setzen (bei der Klägerin sei dies im Februar 1981 und im Juli 1983 der Fall gewesen), und daß ab September 1982 die "grossen Vier" am Tag vor jeder "Chef"-Sitzung zu Vorbesprechungen zusammengetreten seien.

338 Die Klägerin habe an allen der Kommission bekannt gewordenen Vorbesprechungen teilgenommen, und die gemeinsame Haltung der "grossen Vier" gegenüber Preiserhöhungen sei auf diese Vorbesprechungen zurückzuführen, die ganz konkret geführt worden seien. Mithin sei die Klägerin an den Aktivitäten beteiligt gewesen, die den Kern der Zuwiderhandlung bildeten.

339 Schriftstücke wie etwa die Berichte über Telefongespräche zwischen der Klägerin und ICI (gem. Bpkte., Anl. 95) ließen sich kaum anders verstehen denn als Hinweis, daß zwischen den "grossen Vier" eine Absprache bestanden habe, auf dem Markt eine besondere Verantwortung zu übernehmen, was auch dem Standpunkt von ICI entspreche, die ohne die Beteiligung der Klägerin mit der Organisation eines Kartells nicht hätte fortfahren können.

340 Das Gericht weist darauf hin, daß die Teilnahme der Klägerin an den vorbereitenden Sitzungen der "grossen Vier" einer der maßgebenden Gesichtspunkte für die Würdigung der Rolle ist, die die Klägerin bei der Zuwiderhandlung gespielt hat.

341 Aus einem Vermerk über eine Sitzung der Vertreter von ICI, Monte und der Klägerin vom 15. Juni 1981 (gem. Bpkte., Anl. 64b) geht hervor, daß diese Hersteller gemeinsam nach Lösungen suchten, um den Schwierigkeiten auf dem Markt zu begegnen. Ebenso wird in einem Vermerk eines Angestellten von ICI mit der Überschrift "Sharing the pain" ("das Opfer teilen") vom Anfang der zweiten Jahreshälfte 1982 (gem. Bpkte., Anl. 98) ausgeführt, daß eine Regelung zum Ausgleich für die Verringerung der Verkaufsmengen "might provide useful elements for the understanding between the 'Big Four' " ("für das Einvernehmen unter den 'grossen Vier' nützlich sein könnte"). ICI hat in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) zu diesem Schriftstück folgendes erklärt:

"The 'understanding' between the 'Big Four' was recognition that if the prices were to be increased then the 'Big Four' producers would have to give a strong lead, even at the expense of their own sales volume. It was thought that a 'Compensation Arrangement' between these four producers might have made it easier for them to contemplate the possibility of a commitment on 'Target Prices' ."

("Das 'Einvernehmen' zwischen den 'grossen Vier' bestand in der Einsicht, daß die 'vier grossen' Hersteller bei Preisanhebungen sogar auf Kosten ihres eigenen Absatzvolumens entschlossen vorangehen müssten. Man meinte, daß eine 'Ausgleichsregelung' zwischen diesen vier Herstellern es ihnen erleichtern könnte, sich auf 'Zielpreise' festzulegen.")

Dies zeigt, daß die "grossen Vier" sich der besonderen Rolle bewusst waren, die sie bei den Initiativen zur Anhebung der Preise spielen sollten. So wird auch in einem internen Vermerk der Klägerin vom Oktober 1982 auf die Preisinitiativen der "grossen Vier" Bezug genommen (gem. Bpkte., Anl. 94).

342 Das Gericht stellt fest, daß sich aus alledem und aus seiner Würdigung der Feststellung der Zuwiderhandlung ergibt, daß die Kommission die Rolle der Klägerin bei der Zuwiderhandlung ausser bei Beginn der Preisinitiative von Januar bis Mai 1981 zutreffend festgestellt hat und laut Randnummer 109 Absatz 1 der Entscheidung dieser Rolle bei der Bemessung der Geldbusse Rechnung getragen hat.

343 Zudem zeigt die Schwere, die die festgestellten Handlungen charakterisiert - insbesondere die Festsetzung von Zielpreisen und Verkaufsmengen -, daß die Klägerin nicht leichtfertig oder auch nur fahrlässig, sondern vorsätzlich gehandelt hat.

344 Die Geldbusse ist demnach insoweit herabzusetzen, als bei ihrer Bemessung eine Beteiligung der Klägerin an der Preisinitiative für Januar bis Mai 1981 von Beginn an zugrunde gelegt worden ist; im übrigen ist die Rüge zurückzuweisen.

B - Ungenügende Berücksichtigung der wirtschaftlichen Krisensituation

345 Nach Auffassung der Klägerin hat die Kommission bei der Bemessung der Geldbusse die grossen Verluste der Hersteller in ungenügender und nicht überprüfbarer Weise berücksichtigt. Ferner habe sie unberücksichtigt gelassen, daß die Hersteller keinen Grund zu der Annahme gehabt hätten, daß die normale Wirkung der Wettbewerbsregeln innerhalb einer vernünftigen Frist zu einem normalen Gleichgewicht des Wettbewerbs auf dem Markt führen würde. Sie könne sich nicht mit der Antwort der Kommission zufriedengeben, wonach eine Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts letztlich zu Rechtsverletzungen ermutigen würde, denn dieser Einwand könne gegenüber jedem Gesichtspunkt ins Feld geführt werden, der als mildernder Umstand geltend gemacht werde.

346 Die Kommission legt dar, daß sie für eine Herabsetzung der Geldbussen anerkannt habe, daß die betroffenen Unternehmen bei ihrer Geschäftstätigkeit im Polypropylenbereich während eines längeren Zeitraums erhebliche Verluste erlitten hätten, obwohl sie meine, daß bei der Bemessung der Geldbusse für einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln die ungünstigen Wirtschaftsbedingungen eines Sektors nicht zu berücksichtigen seien. Zu dem Argument, die Hersteller hätten keinen Grund gehabt, darauf zu hoffen, daß die normalen Wettbewerbskräfte ein Gleichgewicht des Wettbewerbs auf dem Markt innerhalb einer vernünftigen Frist herbeiführen würden, weist sie darauf hin, daß das Bedürfnis einer Rationalisierung des Marktes und die Unmöglichkeit ihrer sofortigen Durchführung Verstösse gegen das Wettbewerbsrecht nicht rechtfertigen könnten. Anderenfalls wäre nämlich für die Unternehmen die Versuchung groß, auf schwierige Situationen gerade dann durch wettbewerbswidrige Maßnahmen zu antworten, wenn eine Rationalisierung des Marktes durch die Wettbewerbskräfte besonders notwendig wäre.

347 Das Gericht ist der Ansicht, daß zur Beurteilung dieser Rüge vorab die Art und Weise zu prüfen ist, wie die Kommission den Betrag der gegen die Klägerin verhängten Geldbusse festgesetzt hat.

348 Das Gericht stellt fest, daß die Kommission zum einen die Kriterien für die Bestimmung des allgemeinen Niveaus der gegen die Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet ist, verhängten Geldbussen (Entscheidung, Randnr. 108) und zum anderen die Kriterien für die gerechte Abstufung der gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbussen (Entscheidung, Randnr. 109) festgelegt hat.

349 Nach Auffassung des Gerichts rechtfertigen die in Randnummer 108 der Entscheidung aufgeführten Kriterien bei weitem das allgemeine Niveau der gegen die Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet ist, verhängten Geldbussen. Insoweit ist besonders die Offenkundigkeit der Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag und insbesondere seine Buchstaben a, b und c hervorzuheben, die den vorsätzlich und unter grösster Geheimhaltung handelnden Polypropylenherstellern nicht unbekannt war.

350 Das Gericht hält auch die in Randnummer 109 der Entscheidung genannten vier Kriterien für sachgerecht und genügend, um zu einer gerechten Zumessung der gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbussen zu gelangen.

351 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß die Kommission weder individuell darzulegen noch zu erläutern brauchte, wie sie die erheblichen Verluste, die die verschiedenen Hersteller des Polypropylensektors nach ihren eigenen Angaben erlitten haben, berücksichtigt hat, da es sich dabei um einen der in Randnummer 108 der Entscheidung erwähnten Gesichtspunkte handelt, die bei der Festlegung des vom Gericht für gerechtfertigt befundenen allgemeinen Niveaus der Geldbussen herangezogen wurden. Die Kommission hat in Randnummer 108 letzter Gedankenstrich der Entscheidung ausdrücklich erklärt, sie habe berücksichtigt, daß die Unternehmen für einen grossen Zeitraum erhebliche Verluste im Polypropylen-Sektor hätten hinnehmen müssen, was nicht nur zeigt, daß die Kommission die Verluste in Rechnung gestellt hat, sondern zugleich, daß sie damit auch die ungünstigen Wirtschaftsbedingungen des Sektors einbezogen hat, um unter gleichzeitiger Berücksichtigung der anderen in Randnummer 108 aufgeführten Kriterien das allgemeine Niveau der Geldbussen festzulegen.

352 Der Rüge der Klägerin kann daher nicht stattgeben werden.

C - Die Berücksichtigung der Auswirkungen der Zuwiderhandlung

353 Die Klägerin macht geltend, daß selbst wenn man annähme, daß bestimmte Hersteller versucht hätten, bei ihren Kunden Preise in Höhe der Zielpreise zu erzielen, das noch nicht bewiese, daß der erzielte Preis gerade wegen dieser Versuche spürbar verschieden gewesen sei. In Wahrheit seien sowohl das Preisniveau als auch die Absatzmenge für den Zeitraum 1977 bis 1984 durch die Marktkräfte bestimmt worden.

354 In ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte habe sie Gesichtspunkte vorgetragen, die bestätigten, daß die Preise tatsächlich auf Wettbewerbsniveau gelegen hätten. Die von ihr angestellten Untersuchungen und Vergleiche ergäben, daß die von den Shell-Gesellschaften auf dem Gemeinschaftsmarkt erzielten Preise durchgehend unter den Zielpreisen und stets sehr nahe bei den vom Wettbewerb bestimmten Weltmarktpreisen gelegen hätten, daß die von den Shell-Gesellschaften auf dem westeuropäischen Markt erzielten Preise im Durchschnitt niedriger gewesen seien als ihre Exportpreise und daß schließlich die in den Vereinigten Staaten seit Anfang 1977 bis Ende 1982 erzielten Durchschnittspreise praktisch die gleichen gewesen seien wie die von Shell UK erzielten Durchschnittspreise.

355 Die Kommission habe diese Gesichtspunkte in keinem Stadium des Verwaltungsverfahrens bestritten und bestreite sie auch in der Entscheidung selbst (wie übrigens auch in ihren Äusserungen vor dem Gericht) nicht, trage allerdings der Bedeutung der festgestellten Tatsachen in keiner Weise Rechnung. In der Entscheidung stelle sie gleichwohl fest, daß die angeblichen rechtswidrigen Vereinbarungen sich "spürbar ausgewirkt" hätten (Randnr. 90). Sie gebe nicht an, was unter "spürbar" zu verstehen sei, doch habe die Presse Schätzungen der Kommission wiedergegeben, nach denen die Preiserhöhung aufgrund des Kartells bedeutend gewesen sei (15 bis 40 % je nach Zeitraum). Die Kommission sei also zu dieser Schlußfolgerung gelangt, indem sie entweder die entgegengesetzten Beweise der Klägerin ausser acht gelassen und nicht den geringsten eigenen Beweis vorgelegt habe oder aber sich auf Tatsachen und Gesichtspunkte gestützt habe, die in der Entscheidung nicht genannt seien.

356 Die Klärung dieser Frage sei um so wichtiger, als die Kommission selbst aufgrund einer in ihrem Dreizehnten Bericht über die Wettbewerbspolitik dargestellten Untersuchung zu dem Ergebnis gelangt sei, daß die Thermoplastikindustrie (hierunter die Polypropylenindustrie) von lebhaftem Wettbewerb beherrscht und durch Überkapazitäten in der Produktion gekennzeichnet sei, "die zu einem intensiven Preiswettbewerb führt". Die Klägerin ersucht daher das Gericht um Anordnung einer Beweisaufnahme, damit die Kommission angebe, aus welchen Gründen sie die von der Klägerin vorgelegten Beweise zurückgewiesen habe, und selbst die Schriftstücke vorlege, auf die sie sich zur Feststellung der Auswirkungen des Kartells gestützt habe. Sollten diese Gründe und Schriftstücke, wie sie annehme, nicht ausreichend sein, könne das Gericht gegebenenfalls ein Sachverständigengutachten einholen.

357 Da das Kartell keinerlei Auswirkung gehabt habe, hätten die Verbraucher keinen Schaden erlitten. Ferner habe die Kommission die beträchtlichen Bemühungen der Unternehmer um Kostensenkung und die von ihnen während der Dauer des Kartells erzielten technischen Fortschritte ausser acht gelassen.

358 Die Kommission weist darauf hin, daß die Auswirkungen des Kartells auf den Markt in den Randnummern 90 bis 92 der Entscheidung hinreichend klar dargestellt seien und sie nicht verpflichtet sei, auf jedes Vorbringen der Unternehmen einzugehen. Die Gesichtspunkte, auf die sie sich gestützt habe, seien in der Entscheidung angeführt. Wie der Gerichtshof in seinem Beschluß vom 11. Dezember 1986 in der Rechtssache 212/86 R (ICI/Kommission, in der amtlichen Sammlung nicht veröffentlicht) festgestellt habe, habe die Kommission andere Gesichtspunkte nicht berücksichtigt. Weitere Beweiserhebungen oder Sachverständigengutachten seien mithin nicht erforderlich.

359 Die unter den Herstellern vereinbarten Zielpreise hätten als Grundlage für die Verhandlungen mit Kunden gedient; es lasse sich das regelmässige Muster einer engen Parallelentwicklung von Zielpreisen und tatsächlichen Preisen erkennen (Entscheidung, Tabelle 9). Auch wenn aufgrund der Marktbedingungen (Kundendruck, Entwicklung der Rohstoffpreise, nationale Preisregelungen usw.) weiterhin Unterschiede zwischen Zielpreisen und tatsächlichen Preisen bestanden hätten, sei es den Herstellern doch in gewissem Umfang gelungen, die Preisschwankungen, die sich ohne das Kartell ergeben hätten, aufzufangen und ein bestimmtes Preisniveau zu festigen, das zumeist in der Nähe der vereinbarten Zielpreise gelegen habe. Ebenso hätten die Lieferungen der meisten Hersteller in den Jahren, in denen ein System zur Stabilisierung der jeweiligen Marktanteile zur Anwendung gelangt sei, im allgemeinen den zugeteilten Quoten oder den vereinbarten Zielen entsprochen.

360 Das Kartell sei mithin nicht ohne Auswirkungen auf den Markt geblieben, dennoch habe sie bei der Bemessung der Geldbussen berücksichtigt, daß die Preisinitiativen im allgemeinen nicht ihr ganzes Ziel erreicht hätten (Entscheidung, Randnr. 108). Damit sei sie bereits über das hinausgegangen, wozu sie verpflichtet gewesen sei.

361 Das Gericht stellt fest, daß die Kommission zwei Arten von Wirkungen der Zuwiderhandlung unterschieden hat. Die erste habe darin bestanden, daß sämtliche Hersteller, nachdem sie in den Sitzungen Zielpreise vereinbart hätten, ihre Verkaufsabteilungen angewiesen hätten, dieses Preisniveau durchzusetzen; die Ziele hätten so als Unterlage für die Preisverhandlungen mit den Kunden gedient. Daraus hat die Kommission den Schluß gezogen, im vorliegenden Fall deute alles darauf hin, daß sich die Vereinbarung auf die Wettbewerbsbedingungen tatsächlich spürbar ausgewirkt habe (Entscheidung, Randnr. 74 Absatz 2 und Randnr. 90). Die zweite Art von Wirkungen der Zuwiderhandlung habe darin bestanden, daß die Entwicklung der Preise gegenüber Einzelkunden im Vergleich zu den im Laufe besonderer Preisinitiativen aufgestellten Zielpreisen mit der Darstellung übereinstimme, die hiervon in den bei ICI und anderen Herstellern über die Durchsetzung der Preisinitiativen gefundenen Schriftstücken gegeben werde (Entscheidung, Randnr. 74 Absatz 6).

362 Es ist darauf hinzuweisen, daß der Kommission rechtlich der Beweis für den Eintritt der Wirkungen der ersten Art aufgrund der zahlreichen von den einzelnen Herstellern erteilten Preisinstruktionen gelungen ist, die miteinander und mit den in den Sitzungen festgelegten Preiszielen übereinstimmen, die ihrerseits offenkundig dazu bestimmt waren, als Grundlage für die Preisverhandlungen mit den Kunden zu dienen.

363 Zu den Wirkungen der zweiten Art ist zum einen darauf hinzuweisen, daß die Kommission keinen Anlaß hatte, an der Richtigkeit der von den Herstellern selbst in ihren Sitzungen vorgenommenen Analysen (siehe insbesondere die Berichte über die Sitzungen vom 21. September, 6. Oktober, 2. November und 2. Dezember 1982, gem. Bpkte., Anl. 30 bis 33) zu zweifeln, aus denen hervorgeht, daß die in den Sitzungen festgelegten Preisziele auf dem Markt weitgehend umgesetzt wurden. Wenn zum anderen eine Untersuchung einer unabhängigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Coopers & Lybrand, sowie die von einigen Herstellern in Auftrag gegebenen wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen ergeben sollten, daß die von den Herstellern selbst in ihren Sitzungen vorgenommenen Analysen unrichtig waren, so wäre diese Feststellung nicht geeignet, zu einer Herabsetzung der Geldbusse zu führen, da die Kommission in Randnummer 108, letzter Gedankenstrich, der Entscheidung darauf hingewiesen hat, daß sie bei der Festsetzung der Geldbussen mildernd berücksichtigt habe, daß die Preisinitiativen im allgemeinen nicht ihr ganzes Ziel erreicht hätten und daß keine Maßnahmen vorgesehen gewesen seien, um die Befolgung der Quoten bzw. anderer Maßnahmen zu erzwingen.

364 Da die Begründung der Entscheidung bezueglich der Festsetzung der Geldbussen im Lichte der übrigen Begründung der Entscheidung zu sehen ist, ist davon auszugehen, daß die Kommission zu Recht die Wirkungen der ersten Art in vollem Umfang berücksichtigt und der begrenzten Natur der Wirkungen der zweiten Art Rechnung getragen hat. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Klägerin nicht dargetan hat, inwieweit im Hinblick auf eine Milderung der Geldbussen nicht ausreichend berücksichtigt worden sein soll, daß diese Wirkungen der zweiten Art begrenzt waren.

365 Das Gericht ist der Auffassung, daß die Erklärungen aus Anlaß der Pressekonferenz im Anschluß an den Erlaß der Entscheidung, wonach sich die Zuwiderhandlung dahin ausgewirkt haben soll, daß das allgemeine Preisniveau um 15 bis 40 % angestiegen sei, für diesen Punkt nicht zu berücksichtigen sind, da sie im Widerspruch zur Begründung der Entscheidung selbst stehen. Sie könnten daher nur zu dem Zweck herangezogen werden, den Beweis zu führen, daß die Entscheidung in Wahrheit auf anderen als den in ihr angegebenen Gründen beruhe, was einen Ermessensmißbrauch darstellen würde (vgl. den Beschluß des Gerichtshofes vom 11. Dezember 1986 in der Rechtssache 212/86 R, ICI/Kommission, Randnrn. 11 bis 16). Das Gericht ist jedoch in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung zu der Ansicht gelangt, daß das allgemeine Niveau der Geldbussen angesichts der Begründung der Entscheidung gerechtfertigt war (Randnr. 108 in Verbindung mit der gesamten Begründung der Entscheidung). Folglich kann im vorliegenden Fall von einem Ermessensmißbrauch keine Rede sein.

366 Die Rüge der Klägerin ist folglich zurückzuweisen.

D - Fehlen früherer Verstösse

367 Die Klägerin rügt, daß die Kommission nicht berücksichtigt habe, daß der Klägerin im Gegensatz zu anderen Herstellern in der Vergangenheit noch nie ein Verstoß gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln vorgeworfen worden sei.

368 Die Kommission erklärt, sie sei rechtlich nicht verpflichtet gewesen, den Unternehmen, die in der Vergangenheit bereits wegen Verstosses gegen die Wettbewerbsregeln verfolgt worden seien, höhere Strafen aufzuerlegen.

369 Das Gericht stellt fest, daß zu Lasten eines Unternehmens erschwerend berücksichtigt werden kann, daß die Kommission in der Vergangenheit bereits Verstösse dieses Unternehmens gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt und insoweit gegebenenfalls eine Strafe verhängt hat. Demgegenüber stellt das Fehlen einer früheren Zuwiderhandlung keinen besonderen Umstand dar, den die Kommission als mildernd berücksichtigen müsste, zumal es sich im vorliegenden Fall um einen besonders offenkundigen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag handelt.

370 Die Rüge ist daher zurückzuweisen.

371 Aus alldem ergibt sich, daß die gegen die Klägerin verhängte Geldbusse zum einen wegen der geringeren Dauer des zu Lasten der Klägerin festgestellten Verstosses gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln und zum anderen wegen seiner geringeren Schwere, weil die Klägerin an der Preisinitiative von Januar bis Mai 1981 nicht von Beginn an beteiligt war, um 10 % herabzusetzen ist.

Zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung

372 Mit Schriftsatz, der am 6. März 1992 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin beantragt, wegen der Erklärungen, die die Kommission in der mündlichen Verhandlung in den verbundenen Rechtssachen T-79/89, T-84/89 bis T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89, T-102/89 und T-104/89 und auf einer Pressekonferenz am 28. Februar 1992 nach Verkündung des Urteils in den vorgenannten Rechtssachen abgegeben hat, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen und eine Beweisaufnahme anzuordnen.

373 Das Gericht hält es nach erneuter Anhörung des Generalanwalts nicht für angezeigt, gemäß Artikel 62 seiner Verfahrensordnung die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und, wie von der Klägerin beantragt, eine Beweisaufnahme anzuordnen.

374 Es ist darauf hinzuweisen, daß das Urteil des Gerichts vom 27. Februar 1992 in den verbundenen Rechtssachen T-79/89, T-84/89 bis T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89, T-102/89 und T-104/89 (BASF u. a./Kommission, Slg. 1992, II-315) als solches keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung in diesem Verfahren rechtfertigt. Das Gericht stellt fest, daß ein Rechtsakt, der zugestellt und veröffentlicht worden ist, als gültig anzusehen ist. Es ist daher Sache desjenigen, der die formelle Gültigkeit eines Rechtsakts anzweifelt oder sich auf dessen Inexistenz beruft, dem Gericht Gründe vorzutragen, die den Anschein der Gültigkeit des förmlich zugestellten und veröffentlichten Rechtsakts in Frage stellen. Im vorliegenden Fall haben die Klägerinnen in dieser Rechtssache keine Anhaltspunkte vorgetragen, die die Annahme stützen könnten, daß die zugestellte und veröffentlichte Entscheidung nicht von den Mitgliedern der Kommission als Kollegium gebilligt oder erlassen worden sei. Insbesondere haben die Klägerinnen im Gegensatz zu den PVC-Verfahren (Urteil vom 27. Februar 1992 in den verbundenen Rechtssachen T-79/89, T-84/89 bis T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89, T-102/89 und T-104/89, a. a. O., Randnrn. 32 ff.) im vorliegenden Verfahren keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, daß der Grundsatz der Unantastbarkeit eines beschlossenen Rechtsakts durch eine Abänderung des Wortlauts der Entscheidung nach der Sitzung der Kommissionsmitglieder, in der sie erlassen worden ist, verletzt worden ist.

Kostenentscheidung


Kosten

375 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 87 § 3 kann das Gericht die Kosten jedoch teilen oder beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da der Klage zum Teil stattgegeben worden ist und die Parteien beantragt haben, der jeweils anderen Partei die Kosten aufzuerlegen, werden der Klägerin neben ihren eigenen Kosten zwei Drittel der Kosten der Kommission auferlegt, die ein Drittel selbst zu tragen hat.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Artikel 1 der Entscheidung der Kommission vom 23. April 1986 (IV/31.149 - Polypropylen; ABl. L 230, S. 1) wird für nichtig erklärt, soweit dort festgestellt wird, daß die Klägerin

- nach September 1983,

- zu Beginn der Preisinitiative von Januar bis Mai 1981,

an der Zuwiderhandlung teilgenommen hat.

2) Die in Artikel 3 dieser Entscheidung gegen die Klägerin verhängte Geldbusse wird auf 8 100 000 ECU bzw. 5 222 855,7 UKL festgesetzt.

3) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

4) Die Klägerin trägt ihre eigenen Kosten und zwei Drittel der Kosten der Kommission. Die Kommission trägt ein Drittel ihrer eigenen Kosten.

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