Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 61989CC0360

    Schlussanträge des Generalanwalts Lenz vom 26. Februar 1992.
    Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik.
    Freier Dienstleistungsverkehr - Vergabe öffentlicher Bauaufträge.
    Rechtssache C-360/89.

    Sammlung der Rechtsprechung 1992 I-03401

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1992:88

    61989C0360

    Schlussanträge des Generalanwalts Lenz vom 26. Februar 1992. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN ITALIENISCHE REPUBLIK. - FREIER DIENSTLEISTUNGSVERKEHR - VERGABE OEFFENTLICHER AUFTRAEGE. - RECHTSSACHE C-360/89.

    Sammlung der Rechtsprechung 1992 Seite I-03401


    Schlußanträge des Generalanwalts


    ++++

    Herr Präsident,

    meine Herren Richter!

    A - Sachverhalt

    1. In diesem Verfahren wirft die Kommission Italien vor, durch Erlaß des Gesetzes Nr. 80/87, das Sondermaßnahmen zur Beschleunigung der Durchführung von Bauarbeiten der öffentlichen Hand(1) einführte, gegen Artikel 59 EWG-Vertrag sowie gegen die Richtlinie 71/305/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge(2) verstossen zu haben.

    2. Diese Richtlinie war in Italien durch das Gesetz Nr. 584/77 vom 8. August 1977 durchgeführt worden.

    3. Das streitgegenständliche Gesetz wurde am 17. Februar 1987 erlassen und galt, nach Verlängerung seiner Gültigkeitsdauer, bis zum 15. März 1991. Es sah ein nichtoffenes Verfahren vor, das die nationalen Verwaltungen, die Regionen, die autonomen öffentlichen Organisationen, die Gebietskörperschaften und die öffentlichen Organisationen ohne Erwerbszweck, die mit der Durchführung bestimmter Arbeiten betraut sind, veranstalten können. Es sollte ihnen ermöglichen, ihre Bauprogramme dadurch zu beschleunigen, daß sämtliche ein bestimmtes Vorhaben betreffende Arbeiten - von der Planung bis hin zu den nach Fertigstellung ggf. nötigen Instandhaltungsmaßnahmen - im Wege eines einheitlichen Auftrags vergeben werden konnten.

    4. Da die Kommission der Ansicht war, daß einige Vorschriften des Gesetzes gegen die Richtlinie und/oder Artikel 59 EWG-Vertrag verstießen, erhob sie nach Durchführung des Vorverfahrens die Klage in der vorliegenden Rechtssache. In der Klageschrift hatte die Kommission insgesamt sechs verschiedene Rügen erhoben und beantragt,

    1) festzustellen, daß die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 59 EWG-Vertrag und aus der Richtlinie 71/305/EWG vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 185, S. 5) verstossen hat, daß sie das Gesetz Nr. 80/87 über Sondermaßnahmen zur Beschleunigung der Durchführung der Bauarbeiten der öffentlichen Hand erlassen hat, das Bestimmungen enthält, die mit den Gemeinschaftsvorschriften über die öffentlichen Bauaufträge unvereinbar sind;

    2) der Italienischen Republik die Kosten aufzuerlegen.

    Die Beklagte hat in ihrer Klagebeantwortung beantragt, die Klage als unbegründet abzuweisen.

    5. Von drei der genannten Rügen hat die Kommission dann in der Erwiderung Abstand genommen, wie im Sitzungsbericht im einzelnen dargestellt worden ist (Randnr. 21 in Verbindung mit Randnrn. 10, 12 und 13 des Sitzungsberichts). Die Kommission hat nämlich insoweit das Argument der italienischen Regierung akzeptiert, wonach das Gesetz Nr. 80/87 Teil der in dem Gesetz Nr. 584/77 niedergelegten allgemeinen Regelung des Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge sei und es weder nach Zweck noch nach Inhalt von den Regeln dieses Gesetzes abweiche; das Gesetz Nr. 80/87 regele das Verhalten der öffentlichen Auftraggeber in dem Sinne, daß sie die materiellen und Verfahrensregeln beachten müssten, die sich in die Spielräume einfügten, die das Gesetz Nr. 584/77 - entsprechend der Richtlinie - vorsehe. Das letztgenannte Gesetz bleibe daher auch auf Verfahren anwendbar, die eine globale Vergabe im Sinne des Gesetzes Nr. 80/87 zum Gegenstand hätten.

    6. Eine weitere Rüge hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung fallengelassen, und zwar ebenfalls aufgrund von Erklärungen der italienischen Regierung. Es handelt sich um die gegen Artikel 3 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 80/87 gerichtete Rüge. Hierzu heisst es in der Klageschrift, soweit nach dieser Vorschrift die Aufforderung zur Teilnahme nur an Unternehmen gerichtet werden dürfe, die eine Bescheinigung über die Eintragung im Albo nazionale dei costruttori (nationales Verzeichnis der Bauunternehmer) vorlegen könnten, verstosse dies sowohl gegen Artikel 22 Absatz 1 der Richtlinie 71/305 als auch gegen Artikel 59 EWG-Vertrag.

    7. In der mündlichen Verhandlung hat sich die Kommission dann aber auf eine Erklärung der italienischen Regierung berufen, wonach das Gesetz Nr. 80/87 im Lichte der allgemeinen Vorschriften des Gesetzes Nr. 584/77 (mit dem die Richtlinie umgesetzt worden sei) ausgelegt werden müsse. Ausserdem habe die italienische Regierung auf ein Dekret des Präsidenten des Ministerrates (Nr. 55 vom 10. Januar 1991) hingewiesen, das gewissermassen eine verbindliche Auslegung der Vorschriften des Gesetzes Nr. 80/87 enthalte. Diese Präzisierung, in Verbindung mit den Zusicherungen der italienischen Regierung, erlaubten es der Kommission, von dem genannten Vorwurf nunmehr abzusehen.

    8. Die verbleibenden beiden Rügen, derentwegen die Beklagte sich übrigens nicht auf die Möglichkeit einer mit dem Gesetz Nr. 584/77 konformen Auslegung der beanstandeten Vorschriften berufen hat, werde ich in der nachfolgenden Stellungnahme behandeln. Wegen weiterer Einzelheiten darf ich mich auf den Sitzungsbericht beziehen.

    B - Stellungnahme

    9. I.1. Die Kommission beanstandet unter Punkt 5.3 ihrer Klageschrift den Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 80/87, in dem hinsichtlich der schriftlichen Aufforderung (seitens des öffentlichen Auftraggebers) zur Angebotsabgabe folgendes bestimmt war:

    "Die schriftliche Aufforderung muß vorsehen, daß der Auftragnehmer die Arbeiten zu einem Mindestanteil, der zwischen 15 und 30 %(3) ausmacht, Unternehmen übertragen muß, ... die ihren Sitz in der Region haben, in der die Arbeiten durchgeführt werden."

    Diese Vorschrift verstösst nach Ansicht der Kommission gegen Artikel 59 EWG-Vertrag. Sie beschränke nämlich den freien Dienstleistungsverkehr, indem sie Unternehmen mit Sitz in der entsprechenden Region bevorteile, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Unternehmen dagegen diskriminiere.

    10. 2. Die italienische Regierung hat hierauf mit zwei Argumenten reagiert.

    11. a) Im Vorverfahren sowie im schriftlichen Verfahren vor dem Gerichtshof hat sie geltend gemacht, mit dieser Regelung sollten die Nachteile ausgeglichen werden, die kleinen und mittleren Unternehmen durch das in dem Gesetz vorgesehene Prinzip entstuenden, wonach mehrere unterschiedliche Arbeiten im Wege eines einheitlichen Vertrages vergeben würden. Hierdurch würden diesen Unternehmen nämlich Aufträge entzogen, die im Falle einer getrennten Vergabe nur Unternehmen der betreffenden Region interessiert hätten. In der Gegenerwiderung führt die Beklagte hierzu noch aus, es handele sich um Arbeiten von geringerer Bedeutung, die dem natürlichen Einzugsgebiet des betreffenden Marktes entzogen würden, der zwangsläufig ein lokaler Markt sei.

    12. b) In der mündlichen Verhandlung hat sie sich dagegen auf ein Argument gestützt, das auf die Interessenlage von Unternehmen (Auftragnehmern) anderer Mitgliedstaaten abstellt. Sie führt aus, diese Unternehmen seien ohnehin daran interessiert, die vergebenen Arbeiten zum Teil durch ortsansässige Unternehmen durchführen zu lassen, da sich das Unternehmen des anderen Mitgliedstaats im allgemeinen nicht mit seiner ganzen Organisation und all seinen Arbeitskräften in den Mitgliedstaat begeben werde, in dem die Arbeiten durchgeführt würden. Die beanstandete Regelung entspreche dem normalen Verhalten eines im Ausland ansässigen Unternehmens und enthalte daher keine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit. In diesem Zusammenhang verweist sie noch auf einen Vorgang betreffend ein anderes, inzwischen aufgehobenes italienisches Gesetz, das die Kommission als unvereinbar mit Artikel 59 angesehen habe. Die dort enthaltene Beschränkung der Möglichkeit der Zuschlagsempfänger, Arbeiten durch dritte Unternehmen durchführen zu lassen, sei von der Kommission als diskriminierend gegenüber Unternehmen anderer Mitgliedstaaten angesehen worden, da letztere im allgemeinen darauf angewiesen seien, weniger spezielle Arbeiten durch lokale Unternehmen durchführen zu lassen. Von diesem Standpunkt aus, den die italienische Regierung akzeptiert habe, sei es inkonsequent, wenn nunmehr eine Vorschrift beanstandet werde, die der genannten Situation ausländischer Unternehmen Rechnung trage.

    13. 3. Zu dieser gesamten Problematik ist vorab festzustellen, daß sich die beanstandete Regelung auf zweierlei Arten von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen nachteilig auswirkt. Zum einen handelt es sich um diejenigen Unternehmen, die anstelle der ortsansässigen Unternehmen des beklagten Mitgliedstaats als Subunternehmer des Zuschlagsempfängers in Betracht kämen, wenn letzterer gewisse Arbeiten nicht selbst durchführen will oder kann. Zum anderen handelt es sich um diejenigen Zuschlagsempfänger, die bereit und in der Lage sind, sämtliche Arbeiten selbst durchzuführen, hieran durch Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 80/87 aber gehindert werden.

    14. Wie die Benachteiligung der zuletzt genannten Gruppe angesichts von Artikel 59 EWG-Vertrag zu beurteilen ist, mag hier dahingestellt bleiben. Für unsere Zwecke genügt die Feststellung, daß die erstgenannte Gruppe zweifellos diskriminiert wird. Es ist nämlich ausgeschlossen, daß diese Unternehmen mit Arbeiten beauftragt werden, die von den Zuschlagsempfängern im Rahmen der jeweiligen Quote an Unternehmen mit Sitz in der betreffenden Region vergeben werden müssen. Es werden somit bei Anwendung der gerügten Vorschrift Dienstleistungen inländischer Unternehmen in demselben Umfang bevorzugt, wie Dienstleistungen von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten benachteiligt werden.

    15. Wenn dieser Sachverhalt somit unter das Verbot von Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs gemäß Artikel 59 EWG-Vertrag fällt, so wird diese Schlußfolgerung nicht dadurch beeinträchtigt, daß in jedem Einzelfall nur einige der inländischen Unternehmen hinsichtlich ihrer Dienstleistungen begünstigt werden, während die anderen inländischen Unternehmen insoweit denselben Beschränkungen unterliegen wie die Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten(4). Seit dem Urteil Du Pont de Nemours(5), das ein Parallelproblem auf dem Gebiet des freien Warenverkehrs betraf, ist nämlich klar, daß ein solcher Umstand an der festgestellten Diskriminierung nichts ändert. In diesem Urteil hat der Gerichtshof festgestellt:

    "... [zwar] werden ... nicht alle Erzeugnisse des fraglichen Mitgliedstaats gegenüber ausländischen Erzeugnissen bevorzugt, wohl aber sind alle Erzeugnisse, denen das Vorzugssystem zugute kommt, inländische Erzeugnisse".

    16. Daß es sich um eine diskriminierende Regelung handelt, wird auch nicht durch den Einwand der italienischen Regierung entkräftet, daß Zuschlagsempfänger aus anderen Mitgliedstaaten normalerweise gewisse Arbeiten ohnehin Unternehmen mit Sitz in der jeweiligen Region übertrügen (was zur Folge hätte, daß potentielle Subunternehmer, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, im Ergebnis nicht benachteiligt würden). Selbst wenn ein Unternehmen aus einem anderen Mitgliedstaat im Einzelfall ein Interesse daran hat, gewisse Arbeiten nicht selbst durchzuführen, sondern durch ein drittes Unternehmen durchführen zu lassen, so ist es doch, insbesondere bei Arbeiten in grenznahen Regionen, nicht einzusehen, weshalb die besseren wirtschaftlichen Gründe zwangsläufig dafür sprechen sollen, ein in der betreffenden Region (des Aufnahmestaates) ansässiges Unternehmen zu beauftragen.

    17. Ebensowenig überzeugt es mich, wenn die italienische Regierung auf das Interesse des potentiellen Subunternehmers aus einem anderen Mitgliedstaat abstellt und vorträgt, bestimmte Arbeiten würden nur die begünstigten Unternehmen interessieren. Ein solches Interesse hängt nicht zuletzt von Art und Umfang der Arbeiten sowie der Grösse und Spezialisierung oder Diversifizierung des Unternehmens ab. Der formale Umstand, daß der Sitz des Unternehmens in der betreffenden Region liegt, ist insoweit sicherlich nicht allein entscheidend.

    18. Da es sich somit um eine diskriminierende Maßnahme handelt, ist sie mit dem Vertrag nur vereinbar, wenn sie unter eine ausdrückliche, von Artikel 59 abweichende Bestimmung des Vertrags fällt(6). Insoweit kommt lediglich Artikel 56 EWG-Vertrag in Betracht, auf den Artikel 66 verweist. Keine der dort aufgeführten Alternativen (öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit) ist im vorliegenden Fall einschlägig. Namentlich fehlt es an Gründen der "öffentlichen Ordnung", was nämlich voraussetzen würde, daß eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt(7). Eine Zielsetzung, die diesen engen Voraussetzungen entspricht, liegt weder der Gesamtregelung zugrunde (beschleunigte Durchführung öffentlicher Bauaufträge) noch Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes (Ausgleich für Nachteile aus dem Prinzip der globalen Vergabe); abgesehen davon, bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß eines oder beide der vorgenannten Ziele nur mit Hilfe der hier beanstandeten Diskriminierung erreicht werden könnten. Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 80 verstieß daher gegen Artikel 59 EWG-Vertrag; die entsprechende Rüge der Kommission ist begründet.

    19. II. Die Kommission rügt ferner Artikel 3 Absatz 3 des streitigen Gesetzes, der folgendes bestimmte:

    "Sind mehr als 15 Unternehmen interessiert, so darf die Verwaltung oder der öffentliche Auftraggeber nicht weniger als 15 Unternehmen zur Angebotsabgabe auffordern. Bei der Auswahl der aufzufordernden Unternehmen ist befristeten Vereinigungen und Konsortien Vorrang einzuräumen, zu denen Unternehmen gehören, die ... ihre Tätigkeit hauptsächlich in der Region ausüben, in der die Arbeiten durchgeführt werden."(8)

    20. 1. Vorab ist festzustellen, daß sich die Rüge der Kommission weder gegen das Erfordernis richtet, daß eine bestimmte Mindestzahl von Unternehmen zur Angebotsabgabe aufzufordern ist, noch gegen die Bevorzugung von befristeten Vereinigungen und Konsortien. Die Kommission beanstandet einzig, daß den bevorzugten Zusammenschlüssen Unternehmen angehören müssen, deren Tätigkeit den genannten regionalen Schwerpunkt aufweist.

    21. 2. Soweit die Kommission dies als einen Verstoß gegen Artikel 59 EWG-Vertrag ansieht, ist dem ohne weiteres zuzustimmen. Es handelt sich um eine versteckte Form der Diskriminierung, da weder auf Nationalität noch auf den Unternehmenssitz abgestellt wird, Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten aber aufgrund des gewählten Unterscheidungsmerkmals tatsächlich schlechter gestellt werden als inländische(9). Das gewählte Kriterium (Ausübung der Tätigkeit hauptsächlich in der Region, in der die Arbeiten durchgeführt werden) wird nämlich, wie die Kommission unwidersprochen vorgetragen hat, in der Tat viel häufiger von inländischen als von ausländischen Unternehmen erfuellt.

    22. Das Argument der italienischen Regierung, Unternehmen anderer Mitgliedstaaten hätten, gleich den inländischen Unternehmen, die Möglichkeit, sich mit den begünstigten Unternehmen zusammenzuschließen, ist nicht stichhaltig. Unabhängig davon, ob die Chancen für einen solchen Zusammenschluß mit einem der begünstigten Unternehmen gleichmässig auf inländische Unternehmen und solche aus anderen Mitgliedstaaten verteilt sind - was die Kommission bestreitet -, ist nicht auszuschließen, daß dieser Zusammenschluß für ein Unternehmen aus einem anderen Mitgliedstaat kaufmännisch nicht wünschenswert oder ungeeignet ist. Es liegt im Rahmen der unternehmerischen Freiheit, die Artikel 59 gerade schützen soll, dann von einem derartigen Schritt abzusehen. Aus diesem Blickwinkel ist festzustellen, daß Artikel 3 Absatz 3 von zwei Interessenten - einem Unternehmen aus einem anderen Mitgliedstaat und einem "lokalen" Unternehmen -, die dieselbe Bauleistung anbieten wollen und die ihre Entscheidung, alleine oder gemeinsam mit bestimmten anderen Unternehmen als Bieter aufzutreten, gleichermassen nach den eigenen kaufmännischen Vorstellungen oder Zwängen getroffen haben, dem "lokalen" Unternehmen den Vorzug einräumt. Ich bin daher der Meinung, daß die diskriminierende Wirkung dieser Regel unabhängig von der vorhin genannten Streitfrage feststeht.

    23. Da auch keine Rechtfertigungsgründe gemäß Artikel 56 EWG-Vertrag ersichtlich sind, ist die auf Artikel 59 dieses Vertrags gestützte Rüge der Kommission begründet.

    24. 3. Die weitere Rüge der Kommission, daß das hier behandelte Erfordernis gegen Artikel 22 der Richtlinie 71/305 verstösst, ist ebenfalls begründet.

    25. Zunächst ist festzustellen, daß seit der Antwort der italienischen Regierung auf das Aufforderungsschreiben zwischen den Parteien unstreitig ist, daß die Verträge im Sinne des Gesetzes Nr. 80/87 Leistungen umfassen, die gemäß Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie in ihren Anwendungsbereich fallen; die Anwendbarkeit dieses Gemeinschaftsrechtsakts, auch darin sind sich die Parteien einig, wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß Gegenstand des Vertrags, so wie ihn das Gesetz Nr. 80/87 vorsieht, auch andere Leistungen sein können.

    26. Was sodann die Vereinbarkeit von Artikel 3 Absatz 3 des Gesetzes mit Artikel 22 der Richtlinie betrifft, so geht die Kommission davon aus, daß die Auswahl der Bewerber nach der Richtlinienvorschrift nur "an Hand der nach Artikel 17 Buchstabe d erteilten Auskünfte" erfolgen kann. Die Frage, ob den Mitgliedstaaten ein Spielraum gelassen wird, zusätzliche - z. B. wirtschaftspolitisch motivierte(10) - Kriterien anzuwenden(11), möchte sie anscheinend verneinen. Wenn diese Ansicht zutrifft, dann steht der Verstoß gegen Artikel 22 ohne weiteres fest, denn das in Artikel 3 Absatz 3 des Gesetzes aufgestellte Kriterium hat nichts mit den Auskünften im Sinne von Artikel 17 Buchstabe d der Richtlinie zu tun. Aber auch wenn man Artikel 22 dahin versteht, daß den Mitgliedstaaten ein Spielraum in dem vorhin genannten Sinne verbleibt, so kann dieser nur unter Beachtung von Absatz 2 dieser Vorschrift ausgenutzt werden. Dort heisst es:

    "Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, daß die öffentlichen Auftraggeber die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten, welche die gestellten Anforderungen erfuellen, unter den gleichen Bedingungen heranziehen wie Inländer."

    27. Sollte Artikel 22 Absatz 1 also dahin auszulegen sein, daß er zusätzliche Auswahlkriterien der Mitgliedstaaten nicht verbietet, so wäre seinem zweiten Absatz der allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen, daß diese Kriterien Bewerber aus anderen Mitgliedstaaten nicht diskriminieren dürfen. Auch in diesem Falle verstösst die beanstandete Regelung gegen Artikel 22.

    28. Da auch keine Ausnahmevorschrift der Richtlinie einschlägig ist, nach der im vorliegenden Zusammenhang von Artikel 22 abgewichen werden könnte, war die Einführung dieser Regelung unzulässig, die Rüge der Kommission erweist sich als begründet.

    III - Kosten

    29. Hinsichtlich beider Rügen, die am Ende des Verfahrens noch verblieben waren, ist der beklagte Mitgliedstaat unterlegen, so daß insoweit Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung anzuwenden ist. Angesichts des Gewichts dieser Rügen (beide bezogen sich - zumindest auch - auf einen Verstoß gegen eine der Grundfreiheiten des Vertrags) im Verhältnis zu den anderen, die in der Klageschrift aufgeführt waren, sollte der beklagte Mitgliedstaat aus dem Gesichtspunkt des Unterliegens zunächst die Hälfte der gesamten Kosten tragen.

    30. Sodann ist hinsichtlich der verbleibenden Hälfte Artikel 69 § 5 anzuwenden. Da keine der Parteien einen besonderen Antrag hinsichtlich dieses Teils der Kosten gestellt hat (obwohl hierzu in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit bestand), trägt insoweit jede Partei ihre eigenen Kosten.

    C - Schlussantrag

    31. Aus allen diesen Gründen schlage ich Ihnen folgende Entscheidung vor:

    1) Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 59 EWG-Vertrag und aus der Richtlinie 71/305/EWG verstossen, daß sie das Gesetz Nr. 80 über Sondermaßnahmen zur Beschleunigung der Durchführung von Bauarbeiten der öffentlichen Hand erlassen hat.

    2) Die Italienische Republik trägt die Kosten zur Hälfte. In Höhe der anderen Hälfte trägt jede Partei ihre eigenen Kosten.

    (*) Originalsprache: Deutsch.

    (1) - GURI (Amtsblatt der Italienischen Republik) Nr. 61 vom 14.3.1987.

    (2) - Richtlinie des Rates vom 26. Juli 1971 (ABl. L 185, S. 5).

    (3) - Im Vorverfahren, in der Klageschrift sowie im Sitzungsbericht ist hier als höchste zulässige Quote 50 % angegeben worden. Der Wortlaut der Vorschrift spricht jedoch eindeutig von 30 %.

    (4) - Urteil vom 20. März 1990 in der Rechtssache C-21/88 (Du Pont de Nemours Italiana, Slg. 1990, I-889, Randnrn. 12 und 13) sowie Urteil vom 11. Juli 1991 in der Rechtssache C-351/88 (Laboratori Bruneau, Slg. 1991, I-3641) (zu Artikel 30 EWG-Vertrag); Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-353/89 (Kommission/Niederlande, Slg. 1991, I-4069, Randnr. 25) (zu Artikel 59).

    (5) - Siehe Fußnote 4.

    (6) - Urteil vom 26. April 1988 in der Rechtssache 352/85 (Bond van Adverteerders/Niederländischer Staat, Slg. 1988, 2085, Randnr. 32).

    (7) - Urteil vom 27. Oktober 1977 in der Rechtssache 30/77 (Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Randnr. 35).

    (8) - Hervorhebungen von mir.

    (9) - Vergleiche zu diesem Aspekt z. B. das Urteil vom 5. Dezember 1989 in der Rechtssache C-3/88 (Kommission/Italien, Slg. 1989, 4035, Randnr. 8).

    (10) - Der vorliegende Zusammenhang lässt etwa an ein Kriterium der Bevorzugung kleiner und mittlerer Unternehmen denken.

    (11) - Hinsichtlich der in Artikel 20 der Richtlinie genannten Kriterien (fachliche Eignung einerseits, Zuschlagskriterien im Sinne von Artikel 29 andererseits) hat der Gerichtshof, freilich mit gewissen Einschränkungen, einen solchen Spielraum für zusätzliche Kriterien der Mitgliedstaaten anerkannt; vergleiche - zu einer sozialpolitisch motivierten Bedingung - Urteil vom 20. September 1988 in der Rechtssache 31/87 (Beentjes/Niederländischer Staat, Slg. 1988, 4635, Randnrn. 28 bis 30 und 36).

    Top