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Document 61989CC0249

    Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 13. November 1990.
    Trave-Schiffahrtsgesellschaft mbH & Co. KG gegen Finanzamt Kiel-Nord.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland.
    Ansammlung von Kapital - Gesellschaftsteuer - Gewährung eines zinslosen Darlehens durch einen Gesellschafter.
    Rechtssache C-249/89.

    Sammlung der Rechtsprechung 1991 I-00257

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1990:398

    61989C0249

    Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 13. November 1990. - TRAVE SCHIFFAHRTS-GESELLSCHAFT MBH & CO KG GEGEN FINANZAMT KIEL-NORD. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESFINANZHOF - DEUTSCHLAND. - ANSAMMLUNG VON KAPITAL - GESELLSCHAFTSTEUER - GEWAEHRUNG EINES ZINSLOSEN DARLEHENS DURCH EINEN GESELLSCHAFTER. - RECHTSSACHE C-249/89.

    Sammlung der Rechtsprechung 1991 Seite I-00257


    Schlußanträge des Generalanwalts


    ++++

    Herr Präsident,

    meine Herren Richter!

    1. Mit der vom Bundesfinanzhof vorgelegten Frage werden Sie ebenso wie in der Rechtssache C-15/89 ersucht, Artikel 4 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (1) (im weiteren: "die Richtlinie") auszulegen.

    2. Der Sachverhalt ist sehr einfach. Die am 27. Juni 1975 gegründete Trave Schiffahrts-Gesellschaft mbH & Co. KG (im weiteren: "die Gesellschaft") erhielt von ihren Gesellschaftern Darlehen in Höhe von insgesamt 131 Millionen DM. Für die Jahre 1977 bis 1983 wurden diese Darlehen zinslos gewährt. Mit Steuerbescheid vom 7. Dezember 1984 belegte das Finanzamt Kiel-Nord die Gewährung der erwähnten Darlehen mit Gesellschaftsteuer in Höhe von 361 335 DM. Die Gesellschaft focht diesen Bescheid bei den zuständigen deutschen Gerichten an.

    3. Der mit dem Rechtsstreit befasste Bundesfinanzhof hat Ihnen eine Frage vorgelegt, die im wesentlichen dahin geht, ob erstens ein zinsloses Darlehen, das ein Gesellschafter seiner stark überschuldeten Kapitalgesellschaft gewährt, der Gesellschaftsteuer unterworfen werden kann, und zweitens wie die Gesellschaftsteuer zu berechnen ist.

    4. Ich möchte hierzu daran erinnern, daß die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie "die Erhöhung des Gesellschaftsvermögens einer Kapitalgesellschaft durch Leistungen eines Gesellschafters, die keine Erhöhung des Kapitals mit sich bringen, sondern ihren Gegenwert in einer Änderung der Gesellschaftsrechte finden oder geeignet sind, den Wert der Gesellschaftsanteile zu erhöhen", der Gesellschaftsteuer unterwerfen können.

    5. Nach Ihrer ständigen Rechtsprechung sollen

    " nach den Grundsätzen, auf denen die harmonisierte Gesellschaftsteuer beruht, dieser Steuer nur solche Vorgänge unterworfen sein ..., die der rechtliche Ausdruck einer Ansammlung von Kapital sind, und zwar nur insoweit, als sie zur Verstärkung des Wirtschaftspotentials der Gesellschaft beitragen" (2).

    6. Es scheint mir unbestreitbar, daß die Gewährung eines zinslosen Darlehens durch einen Gesellschafter eine Leistung ist, die "zur Verstärkung des Wirtschaftspotentials der Gesellschaft" insofern beiträgt, als sie ihr eine Finanzierung verschafft, deren Kosten sie nicht zu tragen hat, was je nach der Lage auf dem Finanzmarkt ein sehr erheblicher Vorteil sein kann. Der Bundesfinanzhof stellt sich jedoch die Frage, ob dies auch dann zutrifft, wenn das Vermögen der stark überschuldeten Gesellschaft negativ ist. Er erinnert in seinem Vorlagebeschluß daran, daß er in seiner ständigen Rechtsprechung in dieser Hinsicht keinen Unterschied mache (3). An dieser Rechtsprechung werde jedoch von einem Teil der deutschen Lehre Kritik geuebt. Dabei werde geltend gemacht, Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie gestatte nur die Besteuerung der Erhöhung des Reinvermögens der Gesellschaft und sei nicht anwendbar, wenn die betreffende Leistung, da die Passiva sehr viel höher als die Aktiva seien, nicht dazu führe, daß der Saldo positiv werde.

    7. Dieser Lehre ist meines Erachtens nicht zu folgen. Wie ich schon in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache C-15/89 ausgeführt habe, ist die auch nur teilweise Ausgleichung eines Defizits durch eine Leistung selbst dann, wenn das Gesellschaftsvermögen stark negativ ist und es nach Erbringung der Leistung auch bleibt, geeignet, den Wert der Gesellschaftsanteile zu erhöhen, da sie die Fähigkeit des Unternehmens, wieder lebensfähig zu werden, stärkt und die zusätzlichen Anstrengungen, die zur Erreichung des finanziellen Gleichgewichts erforderlich wären, verringert.

    8. Die von einem Teil der deutschen Lehre entwickelte These beruht auf einer Verwechslung der Begriffe Reinvermögen und Gesellschaftsvermögen. Wie der Gerichtshof in seinem kürzlich ergangenen Urteil Waldrich Siegen für Recht erkannt hat, umfasst das

    " Gesellschaftsvermögen ... alle Wirtschaftsgüter, die die Gesellschafter zu einem gemeinsamen Ganzen vereinigt haben, einschließlich ihres Zuwachses".

    Wie es weiter in dem Urteil heisst, "vermindert sich das Gesellschaftsvermögen einer Gesellschaft, wenn sie mit Verlust abschließt" (4).

    9. Das Gesellschaftsvermögen, Summe der Aktiva der Gesellschaft, gegebenenfalls verringert um ihre Passiva, ist also in einem gewissem Sinn der Wert der Gesellschaft, der auch negativ sein kann. Es ist nicht zu verwechseln mit dem Reinvermögen, das im Nettobetrag der Aktiva besteht, der auf Null sinken kann, wenn der Betrag der Passiva denjenigen der Aktiva übersteigt.

    10. Die Gewährung eines zinslosen Darlehens kann somit der Gesellschaftsteuer unterworfen werden.

    11. Der Bundesfinanzhof stellt sich jedoch die Frage, wie diese Steuer zu berechnen ist. Gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie wird die Steuer "bei Erhöhung des Gesellschaftsvermögens gemäß Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b" erhoben "auf den tatsächlichen Wert der erbrachten Leistungen abzueglich der Lasten und Verbindlichkeiten, die der Gesellschaft aus diesen Leistungen erwachsen". In dem besonderen Fall der Gewährung eines zinslosen Darlehens scheint mir der Wert der Leistung in der so bewirkten Zinsersparnis für die Gesellschaft zu bestehen. Zweifellos ist der im Zeitpunkt der Gewährung des Darlehens auf dem Finanzmarkt für Unternehmen anwendbare Zinssatz zugrunde zu legen, da er für den Betrag bestimmend ist, den die begünstigte Gesellschaft später hätte zahlen müssen, wenn sie sich über den Markt hätte finanzieren müssen.

    12. Ich schlage Ihnen demgemäß vor, für Recht zu erkennen:

    "1) Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital erlaubt es den Mitgliedstaaten, zinslose Darlehen, die eine Kapitalgesellschaft von ihren Gesellschaftern erhält, der Gesellschaftsteuer zu unterwerfen, auch wenn die Gewährung dieser Darlehen keine völlige Bereinigung der Passiva der Gesellschaft bewirkt.

    2) Der Berechnung des Betrags der Gesellschaftsteuer ist gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie der Betrag der so ersparten Zinsen zu dem bei Gewährung der Darlehen auf dem Markt anwendbaren Zinssatz, gegebenenfalls abzueglich der der Gesellschaft aus diesen Darlehen erwachsenden Lasten, zugrunde zu legen. "

    (*) Originalsprache: Französisch.

    (1) ABl. L 249, S. 25.

    (2) Urteil vom 15. Juli 1982 in der Rechtssache 270/81, Felicitas, Slg. 1982, 2771, Randnr. 16; siehe auch Urteil vom 2. Februar 1988 in der Rechtssache 36/86, Dansk Sparinvest, Slg. 1988, 409, Randnrn. 13 und 14.

    (3) Urteile vom 12. April 1972, II 37/63, BFHE 106, 123, BStBl. II 1972, 714; vom 31. Januar 1979, II R 46/77, BFHE 127, 227, BStBl. II 1979, 382; vom 11. Juli 1984, II R 87/82, BFHE 141, 569, BStBl. II 1984, 840.

    (4) Urteil vom 28. März 1990 in der Rechtssache C-38/88, Slg. 1990, I-1447, Randnr. 12.

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