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Document 61987CC0380

    Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 16. März 1989.
    Enichem Base und andere gegen Comune di Cinisello Balsamo.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunale amministrativo regionale della Lombardia - Italien.
    Einschränkung der Abfallbildung und Abfallbeseitigung - Kunststofftüten.
    Rechtssache 380/87.

    Sammlung der Rechtsprechung 1989 -02491

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1989:135

    61987C0380

    Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 16. März 1989. - ENICHEM BASE SPA UND ANDERE GEGEN COMUNE DI CINISELLO BALSAMO. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNALE AMMINISTRATIVO REGIONALE DELLA LOMBARDIA - ITALIEN. - ANGLEICHUNG DER RECHTSVORSCHRIFTEN - VERMEIDUNG UND BESEITIGUNG VON ABFAELLEN - PLASTIKTUETEN. - RECHTSSACHE 380/87.

    Sammlung der Rechtsprechung 1989 Seite 02491


    Schlußanträge des Generalanwalts


    ++++

    Herr Präsident,

    meine Herren Richter!

    1 . Der Bürgermeister von Cinisello Balsamo ( Lombardei ) ordnete durch Verfügung Nr . 25 vom 16 . Februar 1987 unter anderem folgendes an :

    "Vom 1 . September 1987 an bis zum Inkrafttreten und zur Anwendung entsprechender regionaler oder staatlicher Bestimmungen ist es verboten, dem Verbraucher für die Mitnahme der gekauften Waren biologisch nicht abbaubare Tüten, Beutel oder andere Behältnisse zur Verfügung zu stellen sowie Kunststofftüten zu verkaufen oder zu verteilen, mit Ausnahme derjenigen für das Sammeln von Abfällen ."

    Gegen diese Verfügung erhoben die Klägerinnen, die alle ein geschäftliches Interesse an der Herstellung von Kunststofftüten haben, Klage vor dem regionalen Verwaltungsgericht der Lombardei . Diese Klage wurde unter anderem darauf gestützt, daß die Verfügung gegen drei Abfallrichtlinien verstosse : die Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15 . Juli 1975 über Abfälle ( ABl . 1975, L 194, S . 39 ), die Richtlinie 76/403/EWG des Rates vom 6 . April 1976 über die Beseitigung polychlorierter Biphenyle und Terphenyle ( ABl . 1976, L 108, S . 41 ) und die Richtlinie 78/319/EWG des Rates vom 20 . März 1978 über giftige und gefährliche Abfälle ( ABl . 1978, L 84, S . 43 ). Der Vollzug der Verfügung wurde am 8 . Juli 1987 ausgesetzt, und am 30 . November 1987 hat das regionale Verwaltungsgericht dieses Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt, das am 21 . Dezember 1987 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist .

    2 . Die erste Frage geht dahin, ob die obengenannten Richtlinien "den einzelnen Bürgern der EWG das von den nationalen Gerichten auch gegenüber den Mitgliedstaaten zu schützende ( und damit von diesen nicht einschränkbare ) gemeinschaftsrechtliche subjektive Recht (( verleihen )), die von diesen Richtlinien erfassten Stoffe zu verkaufen oder zu gebrauchen, da diese Richtlinien den Grundsatz spezifischer Vorschriften für die jeweilige Beseitigung, nicht aber ein Verbot des Verkaufs oder des Gebrauchs der betreffenden Stoffe vorsehen ".

    3 . Die zweite und die dritte Frage zielen im wesentlichen darauf ab, ob die Nichterfuellung einer wie auch immer gearteten gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung, der Kommission Maßnahmen wie die im vorliegenden Fall streitigen vorab mitzuteilen, subjektive Rechte entstehen lässt; die vierte Frage geht im wesentlichen dahin, ob das Gemeinschaftsrecht die Verwaltung verpflichtet, für die Verletzung von gemeinschaftsrechtlich geschützten Rechten durch die Verwaltung Schadensersatz zu zahlen, auch wenn das inländische Recht einen solchen nicht vorsieht .

    Die erste Frage

    4 . Es ist zunächst darauf hinzuweisen, daß im vorliegenden Fall nur die Anwendung der ersten der drei Richtlinien, auf die sich die Klägerinnen in den nationalen Verfahren berufen, nämlich der Richtlinie über Abfälle, in Betracht kommt . Wie die Klägerinnen selbst in den beim Gerichtshof eingegangenen schriftlichen Erklärungen einräumen, stellt sich im Hinblick auf die zweite oder dritte Richtlinie keine Frage, da die fraglichen Kunststofftüten weder polychlorierte Biphenyle oder Terphenyle enthalten, noch giftige und gefährliche Abfälle darstellen .

    5 . Die Abfallrichtlinie hat weitgesteckte Ziele . Aus der ersten Begründungserwägung ergibt sich, daß sie die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Abfallbeseitigung angleichen sollte, da Unterschiede zwischen nationalen Rechtsvorschriften zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führen und somit unmittelbare Auswirkungen auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes haben können . Gemäß der zweiten Begründungserwägung sollte sie auch eines der Ziele der Gemeinschaft im Bereich des Umweltschutzes und der Verbesserung der Lebensqualität verwirklichen . Die folgenden Begründungserwägungen erwähnen das Ziel des Schutzes der menschlichen Gesundheit und der Umwelt gegen nachteilige Auswirkungen der Sammlung, Beförderung, Behandlung, Lagerung und Ablagerung von Abfällen sowie die Erhaltung der natürlichen Rohstoffquellen durch die Aufbereitung von Abfällen und die Verwendung wiedergewonnener Materialien . "Abfälle" sind nach Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie allgemein "alle Stoffe oder Gegenstände, deren sich der Besitzer entledigt oder gemäß den geltenden einzelstaatlichen Vorschriften zu entledigen hat ". Artikel 2 Absatz 1 bestimmt : "Unbeschadet der Bestimmungen dieser Richtlinie können die Mitgliedstaaten besondere Vorschriften für bestimmte Gruppen von Abfällen erlassen ." Artikel 2 Absatz 2 schließt bestimmte Abfallarten, einschließlich der Abfälle, die einer besonderen Gemeinschaftsregelung unterliegen, vom Anwendungsbereich der Richtlinie aus . Artikel 3 lautet wie folgt :

    "1 . Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um die Einschränkung der Abfallbildung, die Verwertung und Umwandlung von Abfällen, die Gewinnung von Rohstoffen und gegebenenfalls von Energie sowie alle anderen Verfahren zur Wiederverwendung von Abfällen zu fördern .

    2 . Sie unterrichten die Kommission rechtzeitig über die Entwürfe von Regelungen, die solche Maßnahmen zum Gegenstand haben und insbesondere von jedem Entwurf einer Regelung für

    a)die Verwendung von Stoffen, deren Beseitigung technische Schwierigkeiten oder übermässige Kosten verursachen könnte;

    b ) die Förderung

    - der mengenmässigen Verringerung bestimmter Abfälle,

    -der Aufbereitung von Abfällen im Hinblick auf ihre Verwertung und Wiederverwendung,

    - der Rückgewinnung von Rohstoffen und/oder der Gewinnung von Energie aus bestimmten Abfällen;

    c)die Verwendung bestimmter natürlicher Rohstoffe, einschließlich Energiequellen, in den Bereichen, in denen diese durch wiedergewonnene Stoffe ersetzt werden können ."

    6 . Die Klägerinnen machen im wesentlichen geltend, daß die Richtlinie nicht den Verkauf oder Gebrauch der fraglichen Erzeugnisse verbiete, sondern nur Bestimmungen für die Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften über ihre Beseitigung usw . enthalte und somit die Mitgliedstaaten verpflichte, den Verkauf und Gebrauch dieser Erzeugnisse zu erlauben . In der Annahme, daß die fraglichen Kunststofftüten Abfälle im Sinne der Richtlinie sind, halte ich dieses Vorbringen für weit hergeholt . Es ist offensichtlich, daß die Richtlinie Mitgliedstaaten nicht daran hindert, Maßnahmen zu treffen, um den Verkauf oder Gebrauch von Erzeugnissen, die zu Abfällen werden können, zu begrenzen . Die Richtlinie bezweckt, wie die Kommission ausführt, im Gegenteil unter anderem die Einschränkung der Abfallbildung; die Mitgliedstaaten sollen gemäß Artikel 3 Absatz 1 die geeigneten Maßnahmen treffen, um die Einschränkung der Abfallbildung zu fördern, und gemäß Artikel 3 Absatz 2 die Kommission rechtzeitig über die Entwürfe von Regelungen, die solche Maßnahmen zum Gegenstand haben, unterrichten . Eindeutig verleiht die Richtlinie dem einzelnen kein Recht, die von ihr erfassten Erzeugnisse zu verkaufen oder zu benutzen .

    7 . Dieses Ergebnis steht natürlich unter dem Vorbehalt der Beachtung der allgemeinen Vorschriften des EWG-Vertrags und insbesondere des Artikels 30 . Die Klägerinnen berufen sich zur Unterstützung ihres Vorbringens auf Artikel 30, aber das nationale Gericht hat keine Frage zu Artikel 30 vorgelegt und die Probleme, die eine solche Frage aufwerfen würde, sind auch in den anderen beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen nicht erörtert worden . Unter diesen Umständen kann der Gerichtshof meines Erachtens nicht ersucht werden, über diese Frage zu entscheiden; geht man jedoch davon aus, daß sie sich stellt, wäre der Sachverhalt zu berücksichtigen, um festzustellen, ob die streitige Maßnahme eine Handelsbeschränkung zwischen den Mitgliedstaaten darstellen kann und ob sie, wenn dies bejaht wird, nach Artikel 36 EWG-Vertrag oder den in der Rechtssache 120/78, REWE, (" Cassis de Dijon", Slg . 1979, 649 ) aufgestellten Grundsätzen gerechtfertigt werden kann . Insbesondere würde sich die Frage stellen, ob die Maßnahme in jedem Fall zu einer Handelsbeschränkung zwischen Mitgliedstaaten führt, die in einem Mißverhältnis zu den Zielen der Maßnahme steht ( siehe aus jüngster Zeit das Urteil des Gerichtshofes vom 20 . September 1988 in der Rechtssache 302/86, Kommission/Dänemark ). Nach dieser Entscheidung kann die Maßnahme, obwohl sie potentiell eine gegen Artikel 30 verstossende Beschränkung darstellt, durch das Ziel des Umweltschutzes gerechtfertigt sein . In der mündlichen Verhandlung haben die Klägerinnen behauptet, der vorliegende Fall unterscheide sich von der Sache Kommission/Dänemark : Die Rechtfertigung aus Gründen des Umweltschutzes sei zweifelhafter, und die streitige Maßnahme, die in Wirklichkeit ein absolutes Verkehrsverbot enthalte, sei in jedem Fall unverhältnismässig . Mangels weiterer Angaben zum Sachverhalt und ausführlicheren Vorbringens bin ich der Auffassung, daß es unangebracht wäre, eine abschließende Ansicht zu der Frage zu äussern .

    Zweite und dritte Frage

    8 . Die Klägerinnen berufen sich auf die Verpflichtung aus Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie, die Kommission rechtzeitig über die Entwürfe von Regelungen zu unterrichten, um die Anwendbarkeit der fraglichen Maßnahme, über die die Kommission nicht unterrichtet worden ist, zu bestreiten . Sie berufen sich im Wege der Analogie auf die Richtlinie 83/189/EWG über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften ( ABl . 1983, L 109, S . 8 ) und auf Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag .

    9 . Die zweite Frage lautet wie folgt :

    "a ) Lässt sich den genannten Gemeinschaftsrichtlinien oder jedenfalls dem Gemeinschaftsrecht der Grundsatz entnehmen, daß der Kommission rechtzeitig jeder Entwurf einer Regelung oder eines allgemeinen Rechtsetzungsakts ( über die Verwendung, den Verkauf oder den Gebrauch der fraglichen Stoffe ) zur Kenntnis gebracht werden muß, die technische Schwierigkeiten bei der Beseitigung oder übermässige Kosten für die Beseitigung verursachen können?

    b ) Obliegt die unter a genannte Verpflichtung dem Staat und den Gemeinden, die somit nicht befugt wären, über die Verwendung, den Verkauf oder den Gebrauch anderer Stoffe als der durch die Richtlinie 76/403/EWG in die abschließende Liste der als gefährlich angesehenen Stoffe aufgenommenen zu bestimmen, sofern nicht vorher auf Gemeinschaftsebene festgestellt wurde, daß die Maßnahme nicht zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führt?"

    10 . Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die Verpflichtung, die Kommission rechtzeitig über die Entwürfe von Regelungen zu unterrichten, nur in der ersten Richtlinie, der Richtlinie über Abfälle, enthalten ist . Die Kommission trägt vor, daß, obwohl die anderen Richtlinien keine derartige Bestimmung enthielten, Artikel 3 der Richtlinie über Abfälle sich auch auf Entwürfe von Regelungen über anderen Richtlinien unterliegende Abfälle erstrecke . Das ist zweifelhaft, da Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie über Abfälle, wie oben festgestellt, solche Abfälle vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausnimmt, die einer besonderen Gemeinschaftsregelung unterliegen . Dieser Punkt muß im vorliegenden Fall nicht entschieden werden, da die anderen Richtlinien ohnehin nicht anwendbar sind . Zu der Frage, ob die Richtlinie über Abfälle anwendbar ist, vertritt das Vereinigte Königreich die Auffassung, daß Kunststofftüten für die Mitnahme von Waren kein Abfall seien . Die portugiesische Regierung und das Vereinigte Königreich meinen auch, das Inverkehrbringen von Kunststofftüten werde vom Anwendungsbereich der Richtlinie nicht erfasst, so daß jeder Vorschlag, es zu verbieten, ebenfalls nicht in ihren Anwendungsbereich falle . Die italienische Regierung und die Kommission meinen, daß möglicherweise eine Verpflichtung bestehe, die Kommission gemäß Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie zu unterrichten, daß aber, um auf den zweiten Teil der Frage zu antworten, die Verletzung dieser Verpflichtung nicht zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme führe .

    11 . Obgleich ich anerkenne, daß Kunststofftüten bei der Abgabe an den Kunden kein Abfall sind, ist meiner Meinung nach der Umstand zu berücksichtigen, daß sie normalerweise weggeworfen werden, nachdem ihr Inhalt nach Hause gebracht worden ist . Daher kann meines Erachtens eine Maßnahme wie die in diesem Fall streitige mit Recht als eine Maßnahme angesehen werden, die die Einschränkung der Abfallbildung im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie fördert und deren Entwurf der Kommission daher gemäß Artikel 3 Absatz 2 mitzuteilen ist . Daß die Maßnahme alle biologisch nicht abbaubaren Behältnisse betrifft, ist ein ausreichender Hinweis darauf, daß es ihr Ziel ist, die Einschränkung der Abfallbildung zu fördern .

    12 . Meiner Meinung nach ist es ohne Bedeutung, ob die Maßnahme von einer Gemeindebehörde erlassen wird . Die italienische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, Artikel 3 der Richtlinie sei nur auf Maßnahmen von gewisser Bedeutung und nicht auf solche anwendbar, die von einer sehr kleinen Gemeinde erlassen worden seien; anders könnte es sein, wenn die Maßnahme von Mailand, Rom oder Neapel erlassen worden wäre . Dem kann ich nicht folgen : Erstens können, wie es nach Ansicht der Klägerinnen vorliegend der Fall ist, entsprechende Maßnahmen von vielen Gemeindebehörden erlassen werden, was dieselbe Wirkung wie eine Maßnahme mit weitem Anwendungsbereich hätte . Zweitens ist es mangels eines durch Gesetz festgelegten Kriteriums nicht möglich, zwischen Gemeindemaßnahmen nach dem erfassten Gebiet oder der betroffenen Bevölkerung zu unterschieden . Drittens sehen die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften - wie ich noch ausführen werde - erforderlichenfalls eine besondere Ausnahme für Maßnahmen von Ortsbehörden vor, und eine derartige Ausnahme besteht vorliegend nicht .

    13 . Gefragt wird auch, ob nach dem Gemeinschaftsrecht allgemein eine Mitteilungspflicht besteht; die Kommission weist in diesem Zusammenhang auf die oben erwähnte Richtlinie 83/189 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften hin . Gemäß Artikel 8 dieser Richtlinie müssen Mitgliedstaaten der Kommission unverzueglich jeden Entwurf von Maßnahmen in diesem Bereich mitteilen . Ich bin nicht der Auffassung, daß die streitige Maßnahme - angenommen dieser Punkt wäre zu entscheiden - in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt . Die Kommission meint, die Maßnahme könnte unter den Begriff der "technischen Vorschrift", wie er in Artikel 1 Nr . 5 der Richtlinie definiert ist, fallen, weist jedoch darauf hin, daß diese Definition auf jeden Fall Maßnahmen von Ortsbehörden ausnehme . Diese Richtlinie braucht daher zu diesem Punkt nicht weiter berücksichtigt zu werden .

    14 . Hinsichtlich des zweiten Teils der zweiten Frage, der das Problem betrifft, ob die Verletzung der Verpflichtung, die Kommission zu unterrichten, zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme führt, ist ein Vergleich zwischen der Richtlinie 83/189 und der Abfallrichtlinie aufschlußreich . Die erste Richtlinie enthält ausführliche Bestimmungen, die der Kommission und anderen Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben, zu den unterbreiteten Entwürfen Bemerkungen vorzubringen, und verpflichtet die Mitgliedstaaten, in bestimmten Fällen Entwürfe erst nach einer bestimmten Zeit anzunehmen . Es gibt keine entsprechenden Bestimmungen in der Abfallrichtlinie, die insoweit lediglich die Verpflichtung vorsieht, die Kommission zu unterrichten . Es lässt sich daher mangels eines Verfahrens für die Aussetzung des Erlasses der Maßnahme oder für eine Gemeinschaftskontrolle nicht sagen, daß die Verletzung der Verpflichtung, die Kommission zu unterrichten, zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme führe . Das heisst nicht, daß die Unterrichtung keine praktischen Folgen hat : Wie der Bevollmächtigte der Kommission in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben hat, könnte die Unterrichtung die Kommission veranlassen, Maßnahmen zur Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften vorzuschlagen, wenn sonst das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes behindert würde; oder sie könnte die Kommission veranlassen, dem Mitgliedstaat zu empfehlen, die Durchführung der Maßnahme hinauszuschieben . Das ist aber etwas deutlich anderes als die Fälle, in denen eine Verpflichtung zur Aussetzung der Durchführung besteht oder die Verletzung der Verpflichtung, die Kommission zu unterrichten, zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme führt .

    15 . Der Versuch der Klägerinnen, sich auf eine Analogie zu Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag zu berufen, geht ebenfalls fehl . Die Klägerinnen machen geltend, Artikel 93 führe, obwohl er keine genaue verfahrensrechtliche Bestimmung enthalte, zur Rechtswidrigkeit der Einführung einer neuen Beihilfe, die der Kommission nicht mitgeteilt oder die vor Ablauf des für Äusserungen der Kommission vorgesehenen Zeitraums gewährt worden sei . Jedoch sieht Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag ein Verfahren für die Prüfung beabsichtigter Beihilfen durch die Kommission vor; Artikel 93 Absatz 3 letzter Satz bestimmt ausdrücklich, daß der betreffende Mitgliedstaat beabsichtigte Maßnahmen nicht durchführen darf, bevor die Kommission eine abschließende Entscheidung erlassen hat .

    16 . Die dritte Frage lautet wie folgt :

    "Unter Berücksichtigung der ersten Begründungserwägung der drei in der ersten Frage genannten Richtlinien und insbesondere des Teils, in dem festgestellt wird, daß Unterschiede in den Bestimmungen über die Beseitigung der betreffenden Stoffe, die in den verschiedenen Mitgliedstaaten bereits gelten oder in Vorbereitung sind, zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führen können und somit unmittelbare Auswirkungen auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes haben :

    a ) Sehen diese Begründungserwägungen und jedenfalls die drei genannten Richtlinien für die Bürger der EWG das gemeinschaftsrechtliche subjektive Recht - mit der entsprechenden Verpflichtung für die Mitgliedstaaten - darauf vor, daß jeder Entwurf einer Regelung über die Verwendung der fraglichen Stoffe der Kommission rechtzeitig vorher zur Kenntnis gebracht wird, wenn sie technische Schwierigkeiten bei der Beseitigung oder übermässige Kosten für die Beseitigung verursachen kann ( Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 75/442 )?

    b ) Betrifft das unter a genannte subjektive Recht ( hinsichtlich der Verpflichtung, der Kommission der EWG jeden Entwurf einer Regelung usw . wie unter a vorher zur Kenntnis zu bringen ) - sofern es besteht - auch die allgemeinen Akte, die von den Gemeinden erlassen werden und die somit territorial begrenzte Wirkung haben?"

    17 . Aus meiner Stellungnahme zur zweiten Frage folgt, daß die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Kommission gemäß Artikel 3 Absatz 2 der Abfallrichtlinie über Entwürfe von Maßnahmen zu informieren, im Gegensatz zu der Verpflichtung gemäß Artikel 8 der Richtlinie 83/189/EWG und derjenigen gemäß Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag keine aufschiebende Wirkung hat . Auf Teil a der dritten Frage ist daher zu antworten, daß Artikel 3 Absatz 2 der Abfallrichtlinie dem einzelnen kein Recht verleiht, auf das er sich vor nationalen Gerichten berufen könnte . Die fragliche Verpflichtung entsteht nur zwischen dem Mitgliedstaat und der Gemeinschaft . Teil b der dritten Frage stellt sich daher nicht . Müsste sie beantwortet werden, so meiner Ansicht nach in dem Sinne, daß jede Verpflichtung und jedes entsprechende Recht aus den bereits dargelegten Gründen in gleicher Weise auf Maßnahmen der Gemeindebehörden mit begrenzten territorialen Wirkungen anzuwenden wäre .

    Die vierte Frage

    18 . Die vierte Frage geht im wesentlichen dahin, ob das Gemeinschaftsrecht die Verwaltung verpflichtet, Schadensersatz für die Verletzung eines durch das Gemeinschaftsrecht geschützten Rechts auch dann zu zahlen, wenn das nationale Recht solchen Schadensersatz nicht vorsieht . In Anbetracht der Antworten auf die vorherigen Fragen braucht diese Frage nicht beantwortet zu werden .

    19 . Das nationale Gericht führt aus, diese Frage sei gestellt worden, weil die Verfügung nach italienischem Recht nur ausgesetzt werden könne, wenn ihre Durchführung einen schweren und irreparablen Schaden verursachen würde; der Schaden sei aber nicht irreparabel, wenn für die durch die Verfügung verursachten Verluste Schadensersatz gewährt werden könne . Da nach italienischem Recht sonst keine Schadensersatzklage zulässig zu sein scheint, möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob das Gemeinschaftsrecht die nationalen Gerichte verpflichtet, Schadensersatz zuzusprechen, wenn Gemeinschaftsrecht von den nationalen Behörden verletzt wird . Zu diesem Problem haben die Klägerinnen und das Vereinigte Königreich Stellung genommen . Meiner Meinung nach lässt sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofes die Ansicht vertreten, daß, wenn das Gemeinschaftsrecht dem einzelnen Rechte einräumt, die nationalen Gerichte bei Verletzungen dieser Rechte durch die nationalen Behörden in geeigneter und wirksamer Weise Abhilfe schaffen müssen . Da jedoch nach der von mir vertretenen Ansicht die einzige Rechtsverletzung, die im Rahmen der im vorliegenden Fall gestellten Fragen ersichtlich ist, die Verletzung der Verpflichtung ist, die Kommission gemäß Artikel 3 Absatz 2 der Abfallrichtlinie zu unterrichten, und diese Verletzung keine subjektiven Rechte entstehen lässt, stellt sich die Frage der Zulässigkeit einer auf Gemeinschaftsrecht beruhenden Schadensersatzklage in diesem Fall nicht .

    Ergebnis

    20 . Daher sind meiner Meinung nach die vom regionalen Verwaltungsgericht der Lombardei vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten :

    "1)Die Richtlinie 75/442/EWG des Rates über Abfälle verleiht dem einzelnen nicht das Recht, die von dieser Richtlinie betroffenen Erzeugnisse zu verkaufen oder zu benutzen .

    2)Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie über Abfälle verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Kommission rechtzeitig über die Entwürfe von Maßnahmen zur Einschränkung der Abfallbildung zu unterrichten; eine Verletzung dieser Verpflichtung, die Kommission zu unterrichten, verleiht dem einzelnen jedoch kein Recht, auf das er sich vor den nationalen Gerichten berufen könnte ."

    (*) Originalsprache : Englisch .

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