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Document 61986CC0263

Schlussanträge des Generalanwalts Sir Gordon Slynn vom 15. März 1988.
Belgischer Staat gegen René Humbel und Marie-Thérèse Edel.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Justice de paix de Neufchâteau - Belgien.
Diskriminierungsverbot - Zugang zum Unterricht - Einschreibegebühren.
Rechtssache 263/86.

Sammlung der Rechtsprechung 1988 -05365

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1988:151

61986C0263

Schlussanträge des Generalanwalts Sir Gordon Slynn vom 15. März 1988. - BELGISCHER STAAT GEGEN RENE HUMBEL UND SEINE EHEFRAU MARIE-THERESE EDEL. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VON DER JUSTICE DE PAIX DES KANTONS NEUFCHATEAU. - DISKRIMINIERUNGSVERBOT - ZUGANG ZUM UNTERRICHT - SCHULGELD. - RECHTSSACHE 263/86.

Sammlung der Rechtsprechung 1988 Seite 05365


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Herr und Frau Humbel, die Beklagten des Ausgangsverfahrens, sind französische Staatsangehörige, die in Luxemburg wohnen, und, zumindestens im Fall von Herrn Humbel, dort auch arbeiten . Ihr Sohn Frédéric, geboren 1966, besuchte von 1977 an belgische Schulen . Für seine Ausbildung wurden vom Schuljahr 1978/79 bis zum Schuljahr 1984/85 die als "minerval" bekannten Gebühren in unterschiedlicher Höhe entrichtet; danach wurden die Einschreibegebühren abgeschafft .

Der Ausgangsrechtsstreit beim Juge de paix von Neufchâteau, der zu dieser Vorlage nach Artikel 177 geführt hat, betrifft die Einschreibegebühr von 35 000 BFR für das Schuljahr 1984/85, die Herr Humbel nicht entrichten will und die der belgische Staat von ihm verlangt . In einem anderen Verfahren hat Herr Humbel offensichtlich die Verurteilung des belgischen Staats zur Rückzahlung der in den vorangegangenen Jahren entrichteten Einschreibegebühren erreicht; dieses Urteil ist derzeit Gegenstand eines Berufungsverfahrens .

Das vorlegende Gericht stellt drei Fragen . Erstens : Stellt der betreffende Unterricht eine Berufsausbildung dar? Zweitens : Kann Frédéric, wenn dies nicht der Fall ist, als Empfänger von Dienstleistungen im Sinne von Artikel 59 angesehen werden, und ist die Erhebung einer Einschreibegebühr eine Beschränkung seines Rechts, nach Belgien zu gehen und dort solche Leistungen in Anspruch zu nehmen? Drittens : Wenn luxemburgische Staatsangehörige ihre Kinder auf belgische Schulen schicken können, ohne eine Einschreibegebühr zu bezahlen, kann dann ein französischer Arbeitnehmer, der in Luxemburg wohnt, dasselbe Recht beanspruchen?

Was die erste Frage betrifft, so hat der Gerichtshof in der Rechtssache 293/83 ( Gravier/Stadt Lüttich, Slg . 1985, 593 ) festgestellt, daß eine Gebühr wie die Einschreibegebühr für den Zugang zum berufsbildenden Unterricht, wenn sie von Studenten aus anderen Mitgliedstaaten, nicht aber von inländischen Studenten erhoben wird, eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstellt, die gegen Artikel 7 EWG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 128 verstösst, wobei er Berufsausbildung definiert hat als "jede Form der Ausbildung, die auf eine Qualifikation für einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Beschäftigung vorbereitet oder die die besondere Befähigung zur Ausübung eines solchen Berufes oder einer solchen Beschäftigung verleiht, ... und zwar unabhängig vom Alter und vom Ausbildungsniveau der Schüler oder Studenten und selbst dann, wenn der Lehrplan auch allgemeinbildenden Unterricht enthält" ( Randnr . 30 ).

Im vorliegenden Fall scheint unstreitig, daß die für Frédérics Ausbildung verlangte Einschreibegebühr nur aus Gründen der Staatsangehörigkeit erhoben worden ist . Sie wäre nicht erhoben worden, wenn er belgischer oder luxemburgischer Staatsangehöriger gewesen wäre . Ob der von ihm besuchte Unterricht eine Berufsausbildung darstellt, wie sie in der Rechtssache Gravier definiert worden ist, ist meines Erachtens eine Frage, die im wesentlichen das vorlegende Gericht entscheiden muß . Nach meiner Meinung kann der Gerichtshof nur in ganz eindeutigen Fällen entscheiden, daß ein Unterricht zur Berufsausbildung gehört ( wie er dies in der Rechtssache 24/86, Blaizot u . a./Universität Lüttich u . a ., Urteil vom 2 . Februar 1988, Slg . 1988, 379 . getan hat, worauf er aber in der Rechtssache Gravier ausdrücklich verzichtet hat ).

Der fragliche Unterricht ist an einer als Fachschule bezeichneten Sekundarschule erteilt worden . Dies schließt nicht aus, daß er zur Berufsausbildung gehört, da der Gerichtshof in der Rechtssache Gravier festgestellt hat, daß das Alter und das Ausbildungsniveau der Schüler ohne Bedeutung ist . Die Ausbildung selbst dauert sechs Jahre und ist in drei sogenannte "Stufen" von jeweils zwei Jahren unterteilt . Das Jahr, für das die streitige Einschreibegebühr entrichtet wurde, war Frédérics viertes Jahr, und es ist unstreitig, daß in diesem Jahr die Fächer, die er studierte, ganz allgemeiner Art waren ( so z . B . Sprachen, Mathematik, Wirtschaftskunde, allgemeine Naturwissenschaft, Maschinenschreiben ). Im fünften und sechsten Jahr werden jedoch mehr technische Fächer unterrichtet . Herr Humbel und der belgiche Staat stimmen offensichtlich darin überein, daß die Ausbildung in den letzten beiden Jahren berufsbildend ist, und es scheint in der Tat, daß für diese Jahre keine Einschreibegebühr erhoben wurde; Streit besteht bei der Frage, ob man den Unterricht jeweils Jahr für Jahr betrachten und die Einschreibegebühr für die Jahre erheben kann, in denen die Ausbildung nicht berufsbezogen war . Die Auffassung von Herrn Humbel scheint mir zutreffend zu sein - man muß den Unterricht insgesamt betrachten, um zu entscheiden, ob es berufsbildender Unterricht ist; die Tatsache, daß er auch einen allgemeinbildenden Teil enthält, nimmt ihm nicht die Eigenschaft als berufsbildender Unterricht, wie sich klar aus der Definition in der Rechtssache Gravier ergibt .

Diese Auffassung wird durch das Urteil Blaizot bestätigt . In dieser Rechtssache ging es um das Studium der Tiermedizin an belgischen Universitäten, das in zwei als "candidature" und "doctorat" bezeichnete Abschnitte von jeweils drei Jahren aufgeteilt ist . Der Gerichtshof hat dazu festgestellt, daß der zweite Studienabschnitt die Beendigung des ersten Abschnitts voraussetzt, so daß die Abschnitte zusammen eine untrennbare Einheit bilden ( Randnr . 21 des Urteils ). Ich bin im Augenblick nicht sicher - obwohl diese Frage vom vorlegenden Gericht zu untersuchen ist -, daß zwischen den Unterrichtsabschnitten im vorliegenden Fall dieselbe Verbindung besteht wie zwischen den beiden Studienabschnitten in der Rechtssache Blaizot .

Aber selbst wenn der Unterricht als eine Einheit anzusehen ist, ist nicht zweifelsfrei, daß er insgesamt gesehen berufsbildend ist . Der Unterricht in den ersten vier Jahren ( einschließlich in dem in diesem Rechtsstreit fraglichen Jahr ist nach dem Kenntnisstand des Gerichtshofes offensichtlich weitgehend, wenn nicht vollständig allgemeinbildender Art . Darüber hinaus ist in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden, daß sogar in den letzten beiden Jahren, wenn der Anteil der technischen Fächer am Unterricht am höchsten ist, diese nur dreizehn Stunden in der Woche unterrichtet werden, wohingegen neunzehn Wochenstunden allgemeinen Fächern vorbehalten sind . Wenn es im Urteil Gravier heisst, daß die Berufsausbildung auch "allgemeinbildenden Unterricht enthalten" kann, so hat sich der Gerichtshof nach meiner Meinung dabei einen untergeordneten oder geringeren Anteil vorgestellt . Es lässt sich darüber streiten, ob ein Unterricht, dessen berufsbildender Teil nur vierzig Prozent ausmacht, alles in allem genommen als berufsbildender Unterricht angesehen werden kann .

Auf alle Fälle wäre auch dann, wenn die technischen Fächer überwiegen würden, der Nachweis erforderlich, daß der Unterricht auf eine Qualifikation für einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Beschäftigung vorbereitet oder die besondere Befähigung zur Ausübung eines solchen Berufes oder einer solchen Beschäftigung verleiht, ehe er als berufsbildend im Sinne des Urteils Gravier eingestuft werden könnte .

Der Gerichtshof scheint dieselbe Auffassung in Randnr . 19 des Urteils Blaizot zu vertreten, wo er festgestellt hat, daß ein Universitätsstudium nicht nur dann berufsbezogen ist, wenn der Studienabschluß die erforderliche Qualifikation zur Ausübung eines bestimmten Berufs oder einer bestimmten Beschäftigung verleiht, sondern auch insoweit, als dieses Studium besondere Fähigkeiten (" aptitude particulière", wie es in der französischen Fassung des Urteils heisst ) für den Fall vermittelt, daß der Student für die Ausübung eines Berufs oder einer Beschäftigung bestimmter Kentnnisse bedarf, selbst wenn ein formeller Nachweis in Rechts - oder Verwaltungsvorschriften nicht vorgeschrieben ist .

Aus den Akten ist nicht ersichtlich, für welchen Beruf oder welche Beschäftigung, wenn überhaupt, der von Frédéric besuchte Unterricht dienlich war .

Daher bin ich der Meinung, daß die erste Frage in dem Sinne beantwortet werden sollte, daß das vorlegende Gericht die einzelnen Merkmale des Unterrichts ( über die der Gerichtshof tatsächlich nicht verfügt ) zu beurteilen hat, um zu entscheiden, ob dieser Unterricht der Definition des berufsbildenden Unterrichts in den Rechtssachen Gravier und Blaizot genügt .

Wäre ich zu dem Ergebnis gekommen, daß diese erste Frage vom Gerichtshof zu entscheiden sei, wäre ich aufgrund der verfügbaren Informationen nicht davon überzeugt, daß dieser Unterricht, selbst als Ganzes gesehen, ein berufsbildender Unterricht im Sinne des Urteils Gravier ist . Meines Erachtens ist er ein allgemeinbildender Unterricht mit einigen modernen Fächern ( Informatik ), die heutzutage auf der Grenze zwischen allgemeiner und technischer Ausbildung liegen . Das hier in Rede stehende Jahr gehört für sich allein genommen nicht zur Berufsausbildung .

Wenn das vorlegende Gericht zu der Auffassung gelangt, daß der von Frédéric besuchte Unterricht nicht berufsbezogen war, stellt sich die zweite Frage nach den Vorschriften des EWG-Vertrags über die Dienstleistungen .

Herr Humbel trägt, unterstützt von der Kommission, ein Argument vor, das sich mit einem von Fräulein Gravier geltend gemachten deckt, auf das ich in meinen Schlussanträgen eingegangen bin, das aber der Gerichtshof in seinem Urteil nicht zu behandeln brauchte, da er zu der Auffassung kam, daß Berufsausbildung in den Anwendungsbereich des EWG-Vertrags fällt, so daß Artikel 7 anwendbar war . Kurz gesagt ( was erlaubt ist, da ich den Punkt ausführlich in der Rechtssache Gravier handelt habe ) lautet das Argument folgendermassen : Die Ausbildung in einer Schule oder einer anderen Ausbildungsstätte ist eine Dienstleistung; Frédéric war daher Empfänger dieser Dienstleistung und als solcher wurde er von der Entscheidung des Gerichtshofes in den verbundenen Rechtssachen 286/82 und 26/83 ( Luisi und Carbone/Ministero del Tesoro, Slg . 1984, 377 ), insbesondere von der Randnr . 16 ( S . 403 ) des Urteils erfasst, wonach

"der freie Dienstleistungsverkehr die Freiheit der Leistungsempfänger einschließt, sich zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, ohne durch Beschränkungen - und zwar auch im Hinblick auf Zahlungen - daran gehindert zu werden, und ... Touristen sowie Personen, die eine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen, und solche, die Studien - oder Geschäftsreisen unternehmen, als Empfänger von Dienstleistungen anzusehen sind ".

Dieser Fall steht hier nicht unmittelbar zur Debatte, da er Beschränkungen des freien Zahlungsverkehrs betraf, die bei im Ausland in Anspruch genommenen Dienstleistungen den Dienstleistungsempfängern von ihrem Heimatstaat auferlegt waren .

Ich bin hier ebenso wie in der Rechtssache Gravier damit einverstanden, daß Ausbildung eine Dienstleistung im Sinne der nicht abschließenden Definition in Artikel 60 EWG-Vertrag sein kann . Die Tatsache, daß Frédéric diese Dienstleistung etwa sechs Jahre lang in Anspruch genommen hat, führt meines Erachtens nicht unbedingt dazu, daß dieser Unterricht vom Anwendungsbereich der Bestimmungen des EWG-Vertrags über Dienstleistungen ausgenommen ist, die nach Ansicht einiger im Gegensatz zu dem eher dauerhaften Charakter der "Niederlassung", die unter die Artikel 52 bis 58 EWG-Vertrag fällt, vorübergehender Natur sind . Wenn sich der Erbringer einer Dienstleistung sehr oft in den Mitgliedstaat begibt, in dem seine Dienstleistungen in Anspruch genommen werden, mag sich die Frage stellen, ob er sich in diesem Staat niedergelassen hat . Dies ist jedoch, wie Artikel 60 Absatz 3 klar zum Ausdruck bringt, nur eine Art, in der Dienstleistungen im Sinne des EWG-Vertrags erbracht werden können . Ebenso ist es möglich, daß weder der Erbringer noch der Empfänger seinen Standort wechselt, weil die Dienstleistung vermittels der Post oder modernerer Kommunikationsformen erbracht und bezahlt wird oder daß der Empfänger sich, wie hier und in den Fällen Luisi und Carbone, in einen anderen Mitgliedstaat begibt . In keiner dieser Situationen ist die Unterscheidung zwischen Niederlassung und Dienstleistung von Bedeutung .

Das Vereinigte Königreich trägt vor, daß die Bestimmungen des EWG-Vertrags über Dienstleistungen den Dienstleistungserbringer von Beschränkungen befreien sollten, gleich, ob diese ihm oder den Personen, die seine Dienstleistungen in Anspruch nehmen möchten ( wie in der Rechtssache Luisi ), auferlegt seien . Die Bestimmungen verpflichteten ihn jedoch nicht, diese Leistungen gegen seinen Willen zu erbringen . Mit anderen Worten, er könne von dieser Freiheit so viel oder so wenig Gebrauch machen, wie er wolle . Die Weigerung, Dienstleistungen zu erbringen, könne unter andere Bestimmungen des EWG-Vertrags, insbesondere über den Wettbewerb fallen . Sie sei keine "Beschränkung", die unter das Kapitel über die Dienstleistungen falle, und ebensowenig sei es die Bereitschaft, bestimmten Gruppen von Empfängern eine Dienstleistung zu besonderen oder ungünstigeren Bedingungen zu erbringen .

Dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen, insbesondere im Hinblick auf die Erbringung von Dienstleistungen durch vom Staat unabhängige natürliche oder juristische Personen . Wenn eine Dienstleistung jedoch vom Staat oder einer ihm zuzurechnenden Stelle ( wie im Fall einer staatlichen Schule ) erbracht wird, kommen andere Erwägungen ins Spiel, und ich meine, daß die Weigerung des Staates, eine Dienstleistung anders als unter Bedingungen, die Angehörige anderer Mitgliedstaaten diskriminieren, zu erbringen, unter bestimmten Umständen eine gegen die Artikel 59 und 60 verstossende Beschränkung darstellen kann .

Es ist jedoch nicht erforderlich, diese Fragen weiter zu vertiefen, da sie davon ausgehen, daß die Ausbildung von Frédéric eine Dienstleistung im Sinne des EWG-Vertrags ist . Ich meine aus den in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Gravier ( a . a . O ., S . 602 bis 604 ) dargelegten Gründen, daß diese Ausbildung keine Dienstleistung ist, weil sie nicht den Kriterien des Artikels 60 genügt, wonach "Dienstleistungen im Sinne dieses Vertrages ... Leistungen (( sind )), die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden ". Dieses Kriterium kann meines Erachtens nicht einfach ausser acht gelassen werden .

Nach Anhörung der in dieser Rechtssache vorgetragenen Argumente bleibe ich dabei, daß staatliche Erziehung nicht "gegen Entgelt" erbracht wird . Der Staat ist keine wirtschaftliche Organisation, die einen Gewinn erstrebt oder wirklich ihre Kosten erwirtschaften oder kostendeckend arbeiten will . Wenn eine Organisation, die keinen Erwerbszweck verfolgt ( ohne "but lucratif "), von der Freiheit, sich in anderen Mitgliedstaaten niederzulassen und dort Dienstleistungen zu erbringen, keinen Gebrauch machen kann ( wie sich klar aus den Artikeln 58 und 66 ergibt ), folgt daraus meines Erachtens, daß die vermeintlichen Empfänger der Dienstleistungen, die von einer solchen Stelle erbracht werden, sich ebenfalls nicht auf den EWG-Vertrag berufen können .

Organisationen, die Gewinne erwirtschaften ( oder einen Erwerbszweck verfolgen ) finanzieren sich im allgemeinen durch Zahlungen für verkaufte Waren oder erbrachte Dienstleistungen (" Entgelt "). Ihr Ziel beim Verkauf von Waren oder bei der Erbringung von Dienstleistungen ist gerade, ein Entgelt zu erhalten . Staatliche Erziehung wird jedoch ebenso wie die Gesundheitsfürsorge weitgehend aus staatlichen Steuern finanziert . In beiden Fällen handelt es sich um Leistungen der - um es weit zu fassen - Sozialpolitik . Die Tatsache, daß von einigen Leistungsempfängern eine Abgabe, die gewöhnlich unbedeutend ist, ausnahmsweise aber auch einmal die Kosten der Leistungen nahezu decken kann, erhoben wird, ändert nichts an diesem Standpunkt . Aus den in der Rechtssache Gravier dargelegten Gründen glaube ich nicht, daß Generalanwalt Warner in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache 52/79 ( Procureur du roi/Debauve, Slg . 1980, 833 ) diesen Fall vor Augen hatte, und meines Erachtens können sich die Kommission und Herr Humbel nicht auf diese Schlussanträge stützen .

Herr Humbel macht geltend, wie auch in der Rechtssache Gravier vorgetragen worden ist, daß die Lehrer bezahlt und Rechnungen für die laufenden Kosten der Schulen beglichen würden, so daß keine Rede davon sein könne, daß die Dienstleistungen nicht gegen Entgelt erbracht würden . Dies kann meines Erachtens kein entscheidendes Kriterium sein . Wohltätigkeitsorganisationen und regiliöse Orden beschäftigen ebenfalls Personen und zahlen für Heizung und Licht . Sie können auch eine Gebühr für bestimmte Leistungen erheben . Das wirkliche Kriterium ist, ob die Dienstleistungen als Teil einer wirtschaftlichen Tätigkeit erbracht werden . Statt wirtschaftlich könnte man ebenso "gewerblich" oder "beruflich" sagen . Dies scheint mir die Bedeutung des Ausdrucks "in der Regel gegen Entgelt erbracht" zu sein . Es geht nicht darum, ob Lehrer bezahlt werden, sondern ob die Schule ein Entgelt erhält ( oder finanziert wird ) und nach welchen Modalitäten dies geschieht .

"Entgelt" im Sinne von Artikel 60 wird fast immer eine Zahlung von oder im Namen des Empfängers sein, die in Beziehung zu den wirtschaftlichen Kosten der Dienstleistung steht oder in anderer Weise nach wirtschaftlichen Kriterien festgelegt ist ( z . B . wenn eine Dienstleistung in der Hoffnung, mehr Arbeit zu bekommen, oder als Antwort auf den Wettbewerbsdruck unentgeltlich oder billig erbracht wird ). Ein solches Entgelt wird meines Erachtens nicht erbracht, wenn der Empfänger die Leistung in Anspruch nimmt, ohne eine Abgabe zu entrichten, oder wenn er sie mit Hilfe einer vom Staat bereits erhaltenen Beihilfe bezahlt oder wenn er für eine staatliche Leistung bezahlt hat und dann die gesamte Abgabe oder ein Teil von ihr vom Staat oder in dessen Namen erstattet wird, wie dies bei den Gebühren für den Universitätsunterricht im Vereinigten Königreich ( ein Beispiel, das in der Auseinandersetzung genannt wurde ) und bei den Systemen der Gesundheitsfürsorge einiger Länder der Fall ist .

Die Analogie zur Gesundheitsfürsorge ist augenfällig, denn auch wenn die Gemeinschaftsangehörigen im allgemeinen Anspruch auf medizinische Versorgung in der ganzen Gemeinschaft haben, wird dieser Anspruch durch ein komplexes System gestützt, durch das festgelegt wird, welcher Staat letztlich die Behandlungskosten zu tragen hat . Ich halte es für sehr bedauerlich, daß ein solches System für die Ausbildung in der Gemeinschaft bis jetzt noch nicht besteht .

Ich komme daher ebenso wie in der Rechtssache Gravier zu dem Ergebnis, daß ein Student einen Anspruch auf Ausbildung nicht aus den Bestimmungen des EWG-Vertrags über Dienstleistungen herleiten kann, wenn diese Ausbildung nicht "gegen Entgelt" erbracht wird . Die Beantwortung des letzten Teils der zweiten Frage, insbesondere eine Entscheidung des Problems, ob die Einschreibegebühr eine "Beschränkung" der Inanspruchnahme von Dienstleistungen darstellt, erübrigt sich daher .

Ich komme nun zu der dritten Frage, bei der auf Artikel 48 EWG-Vertrag und Artikel 12 der Verordnung Nr . 1612/68 ( ABl . 1968, L 257, S . 2 ) einzugehen ist, der folgendermassen lautet : "Die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, können, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings - und Berufsausbildung teilnehmen ."

Herr Humbel hat niemals, soweit dem Gerichtshof bekannt ist, in Belgien gearbeitet . Die Kinder luxemburgischer Staatsangehöriger sind unabhängig davon, ob sie im Großherzogtum oder anderswo wohnen, zum Schulbesuch in Belgien berechtigt, ohne daß sie dafür Gebühren entrichten müssen . Der Gerichtshof weiß nicht, ob dies auf einem formellen Abkommen oder einer formlosen Absprache zwischen Belgien und Luxemburg beruht . Er hat dazu schriftlich eine Frage an die luxemburgische Regierung gerichtet, aber keine Antwort erhalten . Der Bevollmächtigte der belgischen Regierung konnte in der mündlichen Verhandlung keine Aufklärung geben .

Aus den Erklärungen von Herrn Humbel und der Kommission ergibt sich, daß die betreffenden belgischen Rechtsvorschriften zu einigen seltsamen Ergebnissen führen . Die Einschreibegebühr wird nicht von Kindern französischer Staatsangehöriger erhoben, die in einer französischen Gemeinde wohnen, die nicht weiter als 15 km von der belgischen Grenze entfernt liegt; jedoch muß eine Franzose, der in Luxemburg wohnt, die Gebühr bezahlen, wenn seine Kinder belgische Schulen besuchen .

Nach Ansicht von Herrn Humbel ist eine solche Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ohne weiteres nach Artikel 7 EWG-Vertrag verboten . Wie das Urteil Gravier zeigt, muß jedoch nachgewiesen werden, daß die Ungleichbehandlung unter Umständen erfolgt ist, die in den Anwendungsbereich des EWG-Vertrags fallen .

Herr Humbel trägt weiter vor, daß die belgische Regierung diese Ungleichbehandlung mit dem Hinweis auf Artikel 233 EWG-Vertrag rechtfertigen wolle, der folgendermassen lautet :

"Dieser Vertrag steht dem Bestehen und der Durchführung der regionalen Zusammenschlüsse zwischen Belgien und Luxemburg sowie zwischen Belgien, Luxemburg und den Niederlanden nicht entgegen, soweit die Ziele dieser Zusammenschlüsse durch Anwendung dieses Vertrages nicht erreicht sind . "

Nach Ansicht von Herrn Humbel liefert dieser Artikel Belgien keine Rechtfertigungsgründe . Die Beneluxunion könne keine Rolle spielen, da eine vergleichbare Vorzugsbehandlung nicht für die niederländischen Studenten gelte; die belgisch-luxemburgische Wirtschaftsunion habe mit der Ausbildung nichts zu tun . Darüber hinaus ergebe sich, wie der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache 105/83 ( Pakvries, Slg . 1984, 2101 ) bestätigt habe, aus dem Artikel eindeutig, daß er nur Anwendung finde, wenn das Ziel des regionalen Zusammenschlusses im Rahmen des EWG-Vertrags nicht erreicht werden könne, was hier nicht der Fall sei .

Ich meine jedoch, daß Artikel 233 ebenso wie Artikel 7 nur zu berücksichtigen ist, wenn die Ungleichbehandlung gegen den EWG-Vertrag verstösst, was noch nachzuweisen ist .

Sodann trägt Herr Humbel vor, die Praxis in Belgien beschränke unter Verstoß gegen Artikel 48 die Freizuegigkeit der französischen Arbeitnehmer . Jedoch sind, wie ich es sehe und wie die Kommission und die italienische Regierung ( die in der mündlichen Verhandlung nur zur dritten Frage Stellung genommen hat ) ebenfalls zu vertreten scheinen, die besonderen Rechte der Wanderarbeitnehmer in bezug auf die Ausbildung ihrer Kinder aus Artikel 12 der Verordnung Nr . 1612/68 abzuleiten .

Die Kommission hat jedoch einräumen müssen, daß der Wortlaut des Artikels 12, insbesondere das Erfordernis, daß die Kinder des Arbeitnehmers im Gastland wohnen müssen, den Gerichtshof daran hindert, die Vorschrift im vorliegenden Fall anzuwenden . Trotzdem vertritt die Kommission die Auffassung, daß die Ungleichbehandlung gegen den Geist von Artikel 12 verstösst, und meint, daß Luxemburg nach Artikel 12 verpflichtet sein könnte, die unentgeltliche Ausbildung der Kinder der in Luxemburg ansässigen Wanderarbeitnehmer in anderen Mitgliedstaaten in bezug auf Ausbildungsformen sicherzustellen, die in Luxemburg nicht angeboten würden, den Kindern luxemburgischer Staatsangehöriger aber in anderen Mitgliedstaaten unentgeltlich zur Verfügung ständen .

Ebenso vertritt die italienische Regierung ( die davon ausgeht, daß die beanstandete Ungleichbehandlung zwischen luxemburgischen und in Luxemburg ansässigen Wanderarbeitnehmern, die die Staatsangehörigkeit anderer Mitgliedstaaten besitzen, besteht ) die Ansicht, daß Artikel 12 nicht ausdrücklich auf die Ausbildung beschränkt sei, die im Hoheitsgebiet des Gastlandes vermittelt werde . Wenn das Gastland zugunsten seiner eigenen Staatsangehörigen die Möglichkeit schaffe, zu vorteilhaften Bedingungen im Ausland zu studieren, müsse es diese Möglichkeit auch auf andere in seinem Hoheitsgebiet ansässige Gemeinschaftsangehörige oder zumindest auf die unter die Verordnung Nr . 1612/68 fallenden Personen ausdehnen . Zweck dieser Verordnung, die Artikel 48 ausführe, sei die Integration der Wanderarbeitnehmer in das Gastland; diese würde verhindert, wenn die Kinder der Wanderarbeitnehmer nicht die gleichen Entwicklungschancen im Bereich der Ausbildung und der Kultur erhielten, wie sie die Angehörigen des Gastlandes besässen .

Obwohl viel für dieses Argument spricht, betrifft es, was der Bevollmächtigte der italienischen Regierung wohl gesehen hat, in erster Linie die Situation in Luxemburg, die nicht Gegenstand des Rechtsstreits vor dem belgischen Gericht ist . Wie die Kommission schließlich zugegeben hat, kann Artikel 12 vernünftigerweise nicht soweit ausgedehnt werden, daß er Belgien verpflichten würde, Vorteile, zu deren Gewährung es nicht verpflichtet ist, die es aber auf einer dem Gerichtshof unbekannten Grundlage luxemburgischen Staatsangehörigen gewährt, auch in Luxemburg ansässigen Wanderarbeitnehmern zu gewähren .

Somit bin ich der Meinung, daß die Fragen des Juge de paix in Neufchâteau in folgendem Sinne beantwortet werden sollten :

"1 ) Es ist Aufgabe des vorlegenden Gerichts zu entscheiden, ob der Unterricht, den Frédéric Humbel besucht hat, einen berufsbildenden Unterricht darstellt, wie er im Urteil Gravier definiert worden ist .

2 ) Ausbildung, die der Staat vermittelt, ist keine Dienstleistung im Sinne der Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag, da sie nicht gegen Entgelt erbracht wird .

3 ) Artikel 12 der Verordnung Nr . 1612/68 verpflichtet einen Mitgliedstaat nicht, den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Wanderarbeitnehmern eine Ausbildung unter denselben Bedingungen zugänglich zu machen, wie er sie den Staatsangehörigen dieses anderen Mitgliedstaats einräumt ."

Die Entscheidung über die Kosten von Herrn Humbel und der belgischen Regierung, der Parteien des Ausgangsverfahrens, ist Sache des vorlegenden Gerichts . In bezug auf die Kosten der italienischen und der luxemburgischen Regierung sowie des Vereinigten Königreichs und der Kommission ist keine Entscheidung zu treffen .

(*) Aus dem Englischen übersetzt .

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