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Document 61985CC0310
Opinion of Mr Advocate General Darmon delivered on 10 December 1986. # Deufil GmbH & Co. KG v Commission of the European Communities. # State aid - Synthetic fibres and yarns. # Case 310/85.
Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 10. Dezember 1986.
Deufil GmbH & Co. KG gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Staatliche Beihilfen - Synthetische Fasern und Garne.
Rechtssache 310/85.
Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 10. Dezember 1986.
Deufil GmbH & Co. KG gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Staatliche Beihilfen - Synthetische Fasern und Garne.
Rechtssache 310/85.
Sammlung der Rechtsprechung 1987 -00901
ECLI identifier: ECLI:EU:C:1986:475
Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 10. Dezember 1986. - DEUFIL GMBH UND CO. KG GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - STAATLICHE BEIHILFEN - SYNTHETISCHE FASERN UND GARNE. - RECHTSSACHE 310/85.
Sammlung der Rechtsprechung 1987 Seite 00901
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Herr Präsident,
meine Herren Richter!
1 . Die Klägerin hat mit der Beihilfe, deren Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt im Sinne von Artikel 92 EWG-Vertrag sie im vorliegenden Verfahren feststellen lassen möchte, einen Teil der Investitionskosten für eine Anlage finanziert, mit der wahlweise Polyamid - oder Polypropylengarn hergestellt werden kann .
Die Zulässigkeit der Klage im Hinblick auf die Voraussetzungen des Artikels 173 Absatz 2 EWG-Vertrag ist nicht in Frage gestellt worden . Die angefochtene Entscheidung betrifft die Klägerin als Empfängerin der streitigen Beihilfe unmittelbar und individuell, obwohl sie an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist .
Die Klägerin stützt ihre Klage auf drei verschiedene Klagegründe . Erstens beruft sie sich, um die Unanwendbarkeit von Artikel 92 Absatz 1 EWG-Vertrag darzutun, auf die Natur der Beihilfe und macht geltend, daß diese weder den Wettbewerb behindere noch den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtige ( I ). Zweitens trägt sie vor, die Beihilfe sei für die Umstellung ihrer Produktion gewährt worden und diene damit der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung des Gebiets, in dem die Investition vorgenommen worden sei, so daß sie unter den Ausnahmetatbestand des Artikels 92 Absatz 3 Buchstaben a und c EWG-Vertrag falle ( II ). Schließlich beruft sich die Klägerin auf den auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes, kraft dessen die nationale Entscheidung über die Beihilfegewährung endgültig sei ( III ).
2 . Es ist angebracht, vor der Prüfung jedes dieser Klagegründe den sachlichen Zusammenhang der streitigen Beihilfegewährung darzustellen, da den Besonderheiten des Marktes, auf dem sie erfolgt ist, ausschlaggebende Bedeutung für die Entscheidung des Rechtsstreits zukommt .
Nach dem Vorbringen der Klägerin sollte es ihr die durchgeführte Investition ermöglichen, die Polyamidproduktion zu vermindern, um sie schrittweise durch die Erzeugung von Polypropylen zu ersetzen . Daher sind die Marktsituation, die Marktstruktur und die Marktposition der Klägerin im Hinblick auf die Gemeinschaftserzeugung dieser beiden Arten von Kunstfasern und -garnen näher zu bestimmen .
Die Gemeinschaftsindustrie befindet sich in einer durch strukturelle Überproduktion gekennzeichneten Krise, die darauf zurückzuführen ist, daß zum einen angesichts des Rückgangs der Exporte und des zunehmenden Wettbewerbs mit in Drittländern hergestellten Erzeugnissen die Absatzmöglichkeiten begrenzt sind und zum anderen ein Überhang an Produktionskapazitäten besteht .
Zur Bekämpfung dieser Krise hat sich die Kommission bemüht, durch an die Mitgliedstaaten gerichtete Mitteilungen (" Gemeinschaftsrahmen" von 1971 und von 1977 für die Textilindustrie, "Beihilfenkodex" von 1977 für synthetische Fasern und Garne ) die Politik der Mitgliedstaaten bei der Gewährung von Beihilfen für Unternehmen des Textilsektors zu koordinieren . Was synthetische Garne und Fasern angeht, legte sie den Mitgliedstaaten nahe, überhaupt keine Beihilfen irgendwelcher Art zu gewähren, da dies eine Erhöhung der Produktionskapazitäten in diesem Sektor zur Folge hätte . Insoweit wies sie in dem genannten Kodex darauf hin, daß eine Ausnahme nach Artikel 92 Absatz 3 wegen schwerwiegender sozialer oder regionaler Gründe nur im Hinblick auf "ihren jeweiligen Stellenwert für das gemeinsame Interesse" und insbesondere nur dann in Betracht komme, wenn die Gewährung der betreffenden Beihilfe die Ziele der von ihr auf dem Gebiet der Kunstfasern verfolgten Politik nicht in Frage stelle . Davon abgesehen könnten nur Umstellungsbeihilfen ausserhalb des Kunstfaserbereichs genehmigt werden . Diese Grundsätze wurden in einer Mitteilung vom 4.*Juli 1984 aufrechterhalten und auf Polypropylenfasern und -garne, die bis dahin lediglich durch die beiden "Gemeinschaftsrahmen" erfasst worden waren, ausgedehnt .
Zu diesen Instrumenten für die Schaffung eines gemeinsamen Rahmens ist folgendes zu bemerken : Sie sind Ausdruck der Auffassung der Kommission vom Gemeinschaftsinteresse und legen fest, welche Politik die Mitgliedstaaten nach den Vorstellungen der Kommission verfolgen sollen . Sie entbinden die Kommission jedoch keineswegs von der strikten Beachtung der Artikel 92 und 93 bei der Prüfung einer bestimmten Beihilfe . Die "Gemeinschaftsrahmen" und der Beihilfenkodex stellen mit anderen Worten einen Bezugsrahmen dar, der vor allem die Meldepflicht nach Artikel 93 Absatz 3 verstärkt, können aber für sich genommen nicht als normative Regelungen angesehen werden, auf die eine ablehnende Entscheidung der Kommission gestützt werden könnte .
1978 schlossen zehn in der Gemeinschaft niedergelassene Erzeuger unter der Kontrolle der Kommission eine Vereinbarung über den Abbau bestehender Produktionskapazitäten für Kunstfasern und insbesondere für Polyamid . Es kam zu einem Kapazitätsabbau von annähernd 18*% der Kapazitäten von 1977 . Da nur geringe Aussichten auf eine Zunahme der Nachfrage bestanden, wurde 1982 eine neue Vereinbarung über eine schrittweise Stillegung von Kapazitäten getroffen . Mit einer Entscheidung vom 4.*Juli 1984 hat die Kommission festgestellt, daß dieses bis zum 31 . Dezember 1985 geltende Kartell mit Artikel 85 EWG-Vertrag vereinbar sei ( 1 ).
Wie jedoch das weitere Vorgehen sowohl der Kommission als auch bestimmter Unternehmen zeigt, ließ sich damit das für die Wirtschaftlichkeit der Kunstfaser - und Kunstgarnindustrie in der Gemeinschaft unerläßliche Gleichgewicht nicht wiederherstellen . Statistischen Übersichten, die die Kommission auf Ersuchen des Gerichtshofes vorgelegt hat, ist zu entnehmen, daß im Polyamid - und Polypropylensektor noch immer Überkapazitäten bestehen . Die Kapazitätsauslastung, also die Relation zwischen Produktionsmengen und Produktionskapazitäten, hat sich zwar bis 1985 auf 82*% bei Polyamid und auf 86*% bei Polypropylen verbessert, deutet aber dennoch darauf hin, daß weiterhin Überkapazitäten bestehen . Vor allem aber ist hervorzuheben, daß das Ungleichgewicht zu der Zeit, als die Klägerin die streitige Beihilfe erhielt, bei weitem ausgeprägter war, da die Kapazitätsauslastung 1982 und 1983 nur jeweils 52*% und 72*% bei Polyamid sowie 56*% und 64*% bei Polypropylen betrug .
Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ist somit festzustellen, daß bei diesen beiden Arten von Erzeugnissen ein unausgewogenes Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage bestand und weiterhin besteht . Die Verbesserung der Kapazitätsauslastung bei Polyamid geht nicht auf eine Absatzsteigerung, sondern auf Umstrukturierungen zurück, die die an der Vereinbarung von 1978 und an der Folgevereinbarung von 1982 beteiligten Hersteller vorgenommen haben . Bei Polypropylen ist die Lage ebenfalls besorgniserregend . Da es sich um ein neues Erzeugnis handelt, nahm hier zwar der Absatz zu, die zu seiner Herstellung geschaffenen neuen Kapazitäten wuchsen jedoch schneller als die tatsächliche Produktion, so daß auch in diesem Sektor ein Kapazitätsüberhang besteht . Wenn hier "Aufhellungen" festzustellen waren, so aufgrund konjunktureller Phänomene, wie zum Beispiel der Entwicklung des Dollarkurses seit 1982 .
Zur Vervollständigung dieser Übersicht über den wirtschaftlichen Hintergrund ist noch auf zwei entscheidende Faktoren hinzuweisen .
Der Polyamid - und Polypropylenmarkt ist durch eine eher atomistische Konkurrenz gekennzeichnet, da er unter eine grosse Anzahl von Unternehmen aufgeteilt ist, die jeweils nur einen kleinen Marktanteil innehaben . So hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen vorgetragen, daß 33 Hersteller sich den Polypropylenmarkt teilen, wobei die Klägerin mit grossem Abstand vor allen weiteren Konkurrenten die dritte Stelle einnimmt . Neben der durch die Überkapazität verursachten Krise erklärt somit die Struktur dieses Marktes den anhaltenden Konkurrenzkampf zwischen den Herstellern in der Gemeinschaft und die relative Stagnation der Preise .
Die von der Klägerin auf Ersuchen des Gerichtshofes vorgelegten Daten zeigen ausserdem, daß 1985 fast drei Viertel der Gesamtproduktion des Unternehmens auf Polyamid entfielen, bei dem sich die Produktionsmenge von einem Jahr aufs andere mehr als verdoppelte .
In diesem Zusammenhang ist somit das Vorbringen zu würdigen, mit dem sich die Klägerin gegen die Anwendung des in Artikel 92 Absatz 1 EWG-Vertrag enthaltenen grundsätzlichen Verbots wendet .
I - Zur Anwendung von Artikel 92 Absatz 1 EWG-Vertrag
3 . Die Klägerin macht zunächst geltend, bei der streitigen Beihilfe handele es sich um eine zur "Konjunkturpolitik" im Sinne von Artikel 103 EWG-Vertrag gehörende allgemeine wirtschaftspolitische Maßnahme .
Aus den Akten geht jedoch eindeutig hervor, daß die Zulage des Bundes und der Zuschuß des Landes zusammen eine Investitionsbeihilfe zur regionalen Wirtschaftsförderung darstellen, die in besonderer Weise der Klägerin zugute kommt . Dies ist ja auch der Grund, weshalb die Entscheidung der Kommission die Klägerin unmittelbar und individuell betrifft . Der Umstand, daß die Investitionszulage des Bundes unter anderem unter der Voraussetzung gewährt wurde, daß die von der Klägerin geplante Investition "in einem förderungsbedürftigen Gebiet erfolgt", zeigt im übrigen, daß es sich bei dieser Beihilfe um eine Maßnahme der regionalen Wirtschaftsförderung handelte . Überdies wurde der fragliche Investitionszuschuß des Landes Nordrhein-Westfalen auf der Grundlage von dessen "Richtlinien für die Gewährung von Investitionshilfen zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur des Landes Nordrhein-Westfalen" gewährt .
Hat die damit richtig eingeordnete Beihilfe, die die Klägerin gewiß begünstigt, da sie fast 15*% der Gesamtkosten der durchgeführten Investition ausmacht, eine Verfälschung des Wettbewerbs und eine Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten bewirkt, so daß sie als unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt anzusehen ist?
4 . Die Klägerin befürwortet eine Verneinung dieser Frage . Sie macht geltend, die Beihilfe sei nur dann verboten, wenn sie den Wettbewerb und den innergemeinschaftlichen Handel "spürbar" beeinflusse . Ihr Anteil an der Polyamiderzeugung in der Gemeinschaft habe 1984 aber nur 0,18*% betragen, und ihre Polypropylenproduktion habe damals nur 0,65*% der Gesamtproduktion von synthetischen Filamentgarnen in der Bundesrepublik Deutschland entsprochen . Diese Anteile seien viel zu gering, als daß man der Beihilfe, die nur einen geringen Teil der Investitionskosten decke, "in Relation zum Gemeinsamen Markt" die beanstandete Wirkung zuschreiben könnte .
Diese Argumentation wird durch die Tatsachen widerlegt . Erstens sind die angeführten Zahlen unerheblich . Sie umfassen unter anderem nicht die in Drittländer exportierten Mengen, weil diese angeblich den Gemeinsamen Markt nicht beeinflussen . Diese Mengen sind aber unabhängig von ihrem Bestimmungsort anhand der Kriterien des Artikels 92 Absatz 1 EWG-Vertrag zu beurteilen . Die Depression auf dem Gemeinschaftsmarkt für die betroffenen Erzeugnisse führt nämlich zwangsläufig zu einer Verschärfung des Wettbewerbs zwischen den Herstellern und veranlasst diese, zusätzliche Absatzmöglichkeiten auf dem seinerseits gesättigten Weltmarkt zu suchen . Bei dieser Sachlage muß sich eine Investitionsbeihilfe, durch die die Produktionskosten eines Herstellers gesenkt werden, notgedrungen auf die Wettbewerbsfähigkeit aller anderen Produzenten sowohl innerhalb als auch ausserhalb des Gemeinsamen Marktes und damit auf den innergemeinschaftlichen Handel auswirken .
Die Klägerin hat zweitens vorgetragen, ein Teil ihrer innerhalb der Gemeinschaft gelieferten Polyamiderzeugung sei an andere Unternehmen der italienischen Radici-Gruppe, zu der auch sie gehöre, gegangen und sei somit nur Gegenstand eines "Ringtausches" gewesen . In ihrer Erwiderung trägt die Klägerin vor, die Radici-Gruppe habe ihre Polyamidproduktion ganz eingestellt, um sie ihr zu übertragen . Die betreffende Produktionsmenge habe sich somit auf den Wettbewerb und den innergemeinschaftlichen Handel nicht ausgewirkt .
Hierzu ist festzustellen, daß es sich dabei um blosse Behauptungen handelt, die nicht als beweiskräftig angesehen werden können . Sie sind überdies zum Teil unzulässig, weil sie verspätet vorgebracht worden sind . Jedenfalls belasteten aber die von der Klägerin infolge der Gewährung der öffentlichen Beihilfe zusätzlich erzeugten Mengen, selbst wenn sie an andere Unternehmen derselben Unternehmensgruppe geliefert worden sein sollten, zwangsläufig den gemeinschaftlichen Markt für Polyamid .
5 . Die Einwände, mit denen die Klägerin darzutun versucht, daß ihre Marktposition unbedeutend sei, sind somit zurückzuweisen . Für dieses Ergebnis spricht im übrigen auch der Sachverhalt . Die Daten über die tatsächliche Entwicklung des Anteils der Klägerin an den Produktionskapazitäten und an der Gesamtproduktion von Polyamid und Polypropylen in der Gemeinschaft, wie sie die Kommission in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen zusammengefasst hat, zeigen, in welchem Masse die Beihilfe im Rahmen eines gedrückten Marktes zu Verfälschungen des Wettbewerbs und zur Beeinträchtigung des Handels beigetragen hat .
Aus dem vorliegenden Datenmaterial ergibt sich nämlich, daß die Klägerin zwischen 1983, dem Jahr der Beihilfegewährung, und 1985 sowohl ihre Produktionskapazität ( von 3*000 auf 6*000*t ) als auch ihren Anteil an den Produktionskapazitäten in der Gemeinschaft verdoppelt hat . Aufgrund der durchgeführten Investition konnte sie so innerhalb desselben Zeitraums ihren Marktanteil in etwa verdoppeln; dieser stieg bei Polyamid von 1,3*% auf 2,89*% und bei Polypropylen von 1,09*% auf 2,03*% der Erzeugung in der Gemeinschaft . Auf einem Markt mit atomistischer Struktur bedeutet die Steigerung des Marktanteils der Klägerin um 100*% eine unbestreitbare Stärkung ihrer Wettbewerbsposition .
Diese Positionsverbesserung ergibt sich nicht aus dem normalen Funktionieren des Marktes; dessen strukturelle Depression hat im Gegenteil einige Hersteller veranlasst, die Initiative für den Abbau ihrer Produktionskapazitäten zu ergreifen . Die streitige Beihilfe unterstützte nicht etwa irgendwelche Anpassungsbemühungen der Klägerin, sondern erlaubte es ihr durch eine Senkung ihrer Investitionskosten im Gegenteil, sich künstlich den wirtschaftlichen Bedingungen des fraglichen Marktes zu entziehen .
Die Klägerin hat zwar geltend gemacht, einige ihrer Konkurrenten seien durch die Übernahme von Beteiligungen durch die öffentliche Hand begünstigt worden . Hierfür hat sie jedoch nicht den Beweis erbracht . Selbst wenn ihr Vorbringen zutreffen sollte, könnte sich daraus nicht Vereinbarkeit der ihr gewährten Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt ergeben . Im übrigen trifft es entgegen den Ausführungen der Klägerin nicht zu, daß die Kommission gegen derartige staatliche Eingriffe nicht vorgeht, wie der Ihrer Entscheidung in der Rechtssache 40/85 ( 2 zugrundeliegende Fall beweist .
Da die der Klägerin bewilligte Beihilfe den freien Wettbewerb zwischen den in den verschiedenen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässigen Herstellern verfälschte, beinträchtigte sie zwangsläufig den innergemeinschaftlichen Handel mit den fraglichen Erzeugnissen, da es 66*% der Produktion von Polyamid und 39*% der Polypropylenerzeugung in der Gemeinschaft, wie die Kommission in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, innerhalb der Gemeinschaft gehandelt werden .
Da die streitige Beihilfe die Stellung der Klägerin gegenüber den anderen mit ihr im innergemeinschaftlichen Handel konkurrierenden Herstellern verstärkt hat, ist sie als unvereinbar mit dem gemeinsamen Markt anzusehen ( 3 ).
II - Zu den Ausnahmen nach Artikel 92 Absatz 3
6 . Nach Ansicht der Klägerin ist die streitige Beihilfe gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstaben a und c EWG-Vertrag mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar, weil sie der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung der Arbeitsmarktregion Bergkamen, in der die Klägerin niedergelassen ist, diene .
In diesem Bergbaurevier sei die Lebenshaltung weitaus niedriger und die Arbeitslosenquote höher als im Bundesdurchschnitt; mittelfristig sei dort keine spürbare Besserung abzusehen . Die Errichtung einer neuen Anlage habe aber nicht nur die Erhaltung des derzeitigen Beschäftigungsstandes, sondern auch und vor allem die Schaffung neuer Arbeitsplätze und damit die Erwirtschaftung zusätzlicher Einnahmen für die regionale Wirtschaft ermöglicht .
Die Gründe, die die Kommission zur Zurückweisung dieser Argumentation veranlassen, können wohl nicht ernsthaft in Frage gestellt werden .
7 . Der Kommission ist bei der Anwendung der einzelnen Ausnahmebestimmungen des Artikels 92 Absatz 3 ein besonders weites Ermessen zuzuerkennen .
Auf der Grundlage der wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten sowohl in der Gemeinschaft als auch in dem betreffenden Mitgliedstaat und der betreffenden Region hat sie nämlich nicht nur zu prüfen, ob mit der Beihilfe unter Berücksichtigung des mit ihr verfolgten Ziels die angestrebte Wirkung - hier : die Förderung der regionalen Wirtschaftsentwicklung - erreicht werden kann, sondern auch, ob dieses Ziel angesichts der Erfordernisse des Gemeinschaftsinteresses verfolgt werden darf ( 4 ).
Die Kommission hat somit bei der Ausübung ihres Ermessens
"wirtschaftliche und soziale Wertungen (( vorzunehmen )), die auf die Gemeinschaft als Ganzes zu beziehen sind" ( 5 ).
Daher sind bei der Anwendung der Ausnahmebestimmung des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe a die aussergewöhnlich niedrige Lebenshaltung und die erhebliche Unterbeschäftigung in der betroffenen Region
"nicht am nationalen ... Durchschnitt, sondern am Gemeinschaftsniveau" ( 6 )
zu messen .
Ebendies hat die Kommission im vorliegenden Fall getan . Sie hat zwar festgestellt, daß sich der Raum Bergkamen bezogen auf den Bundesdurchschnitt in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befinde, die Gewährung der streitigen Beihilfe aber dennoch als nicht gerechtfertigt angesehen, weil die Lebenshaltung und die Arbeitslosenquote, was die Klägerin nicht bestritten hat, günstiger als im Gemeinschaftsdurchschnitt seien . Wenngleich zu bedauern ist, daß die Kommission dies nicht mit Zahlenangaben untermauert hat, lässt sich nicht sagen, daß die Kommission dadurch die Grenzen ihres Ermessens überschritten hat, daß sie die wirtschaftliche Lage am Ort nicht als so aussergewöhnlich ernst ansah, das die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt im Sinne von Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a EWG-Vertrag hätte bejaht werden können .
Ebensowenig ist auch die Ausnahmebestimmung des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c EWG-Vertrag anwendbar . Aus den Zahlenangaben der Klägerin über ihre Produktionsmengen ergibt sich, daß die durchgeführte Investition zu einer Verdoppelung ihrer Produktionskapazität geführt hat, die im wesentlichen für die Herstellung von Polyamid verwendet wurde, auf das über 70*% ihrer Produktion im Jahre 1985 entfielen . Entgegen mehrfachen Behauptungen der Klägerin liegt somit weder eine wirkliche Produktionsumstellung noch eine Umstrukturierung vor, die zu einer Verringerung der Produktionskapazitäten geführt hätten . In Wirklichkeit ermöglichte die Investition, wie die Kommission zutreffend hervorgehoben hat, lediglich die Modernisierung der Betriebsmittel der Klägerin durch den Erwerb einer neuen Anlage, mit der wahlweise je nach der Entwicklung der Nachfrage auf dem Markt beide Arten von Fasern produziert werden können . Bei der Beurteilung dieser Investitionsentscheidung ist die von konkurrierenden Herstellern vorgenommene Umstrukturierung zu berücksichtigen, mit der ein beträchtlicher Stellenabbau einherging . Auf die wettbewerbswidrigen Auswirkungen dieser Investition habe ich bereits hingewiesen . Mit der Kommission bin ich der Ansicht, daß diese Gesamtlage eine ausschlaggebende Rolle für die Betriebsanlagenpolitik der Klägerin gespielt hat .
So gesehen steht die Investition unter Berücksichtigung der Marktverhältnisse in direktem Widerspruch zum Gemeinschaftsinteresse . Wie sich sowohl aus der Politik der Kommission als auch aus dem Vorgehen bestimmter Hersteller ergibt, ist dieses Interesse auf die Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Produktion und Verbrauch von Kunstfasern in der Gemeinschaft gerichtet und verlangt wenn nicht den Abbau, so doch zumindest die Stabilisierung der Produktionskapazitäten, gewiß aber nicht deren Erweiterung . In einer Situation der strukturellen Überproduktion handelt es sich bei einer Investition der hier gegebenen Art um eine in höchstem Masse konjunkturabhängige Maßnahme . Sie kann wohl kaum nachhaltig die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens sichern . Der Region würde daher aus einer solchen Maßnahme, die dem Gemeinschaftsinteresse zuwiderläuft, nur ein ungewisser Nutzen erwachsen, und zwar auch hinsichtlich der neu geschaffenen Arbeitsplätze .
Mit ihrer Weigerung, zugunsten der Klägerin die Ausnahmebestimmungen des Artikels 92 Absatz 3 Buchstaben a und c anzuwenden, hat die Kommission somit nicht die Grenzen des Ermessens überschritten, das sie bei der Anwendung dieser Vorschrift ausübt .
III - Zum Vertrauensschutz
8 . Die Klägerin macht geltend, wenn die angefochtene Entscheidung aufrechtzuerhalten sein sollte, so würde doch jedenfalls ihre Durchführung, d.*h . die durch sie der Bundesrepublik Deutschland gebotene Rückforderung der zu Unrecht gezahlten Beihilfe, gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes verstossen . Aufgrund der Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen über das Rückforderungsverfahren seien die deutschen Behörden an der Wiedereinziehung der gewährten Leistung gehindert, da die Klägerin uneingeschränkt in die Bestandskraft des nationalen Bewilligungsbescheids habe vertrauen dürfen .
Dieses Vorbringen richtet sich offensichtlich nicht gegen die Entscheidung der Kommission selbst, sondern gegen die Maßnahme, die die deutschen Behörden zur Durchführung des ihre Rechtmässigkeit bestätigenden Urteils des Gerichtshofes möglicherweise treffen müssten . Dieses Vorbringen ist somit nicht darauf gerichtet, die Rechtmässigkeit der Beihilfegewährung darzutun . Es ist daher im Rahmen des vorliegenden Verfahrens unerheblich .
Hiermit könnte ich an sich meine Ausführungen abschließen . Es scheint mir jedoch geboten, für alle Fälle noch darauf hinzuweisen, daß
"das Gemeinschaftsrecht nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die für den Ausschluß einer Rückforderung von zu Unrecht gezahlten Beihilfen auf Kriterien wie den Vertrauensschutz ... abstellen",
sofern dabei die gleichen Verfahrensregeln angewandt werden wie bei der Rückforderung rein nationaler Geldleistungen und sofern dabei
"das Interesse der Gemeinschaft voll berücksichtigt wird" ( 7 ).
Bei dieser Sachlage wäre es Sache der nationalen Gerichte, gegebenenfalls einen Ausgleich zwischen dem Interesse der Gemeinschaft und dem Grundsatz des Vertrauensschutzes herbeizuführen .
Ohne dem vorgreifen zu wollen, deutet auf den ersten Blick jedenfalls nichts darauf hin, daß die Klägerin damit rechnen durfte, daß die Beihilfegewährung unter Berücksichtigung des allgemeinen Interesses der Gemeinschaft endgültig sein würde . Das Beihilfevorhaben ist nämlich von den deutschen Behörden entgegen Artikel 93 Absatz 3 notifiziert worden . Diese wesentliche Formvorschrift soll aber gerade - dies bedarf wohl kaum noch einer Unterstreichung - der Zahlung rechtswidriger Beihilfen vorbeugen, denn
"der betreffende Mitgliedstaat darf die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen",
solange die Kommission nicht nach "rechtzeitiger" Unterrichtung endgültig aufgrund des Artikels 92 über ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt entschieden hat .
Im übrigen könnte die Klägerin als Herstellerin von Kunstfasern wohl schwerlich behaupten, ihr sei unbekannt gewesen, daß die durchgeführte Investition, von der sie wusste, daß sie eine Erhöhung ihrer Produktionskapazität nicht nur für Polypropylen, auf das der "Beihilfenkodex" in der Tat erst 1985 ausgedehnt wurde, sondern auch für Polyamid ermöglichte, notwendigerweise dem von der Kommission schon 1977 näher bezeichneten Gemeinschaftsinteresse auf dem Kunstfasersektor und allgemein auf dem Textilsektor zuwiderlief .
Demgemäß beantrage ich, die Klage kostenpflichtig abzuweisen .
(*) Aus dem Französischen übersetzt .
( 1 ) ABl . L*207 vom 2 . 8 . 1984, S . 17 .
( 2 ) Urteil vom 10 . 7 . 1986, Belgien/Kommission, Slg . 1986, 2321 .
( 3 ) Rechtssache 730/79, Philip Morris, Slg . 1980, 2671, Randnr . 11 der Entscheidungsgründe .
( 4 ) Rechtssache 730/79, a.*a*.*O ., Randnrn . 17 und 18 der Entscheidungsgründe .
( 5 ) Rechtssache 730/79, a.*a.*O ., Randnr . 24 der Entscheidungsgründe;
Hervorhebung von mir .
( 6 ) Rechtssache 730/79, a.*a.*O . Randnr . 25 der Entscheidungsgründe .
( 7 ) Verb . Rechtssachen 205 bis 215/82, Deutsche Milchkontor, Slg . 1983, 2633, Randnr . 33 der Entscheidungsgründe .