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Document 61985CC0149

    Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 3. Juni 1986.
    Roger Wybot gegen Edgar Faure und andere.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour d'appel de Paris - Frankreich.
    Immunität der europäischen Abgeordneten.
    Rechtssache 149/85.

    Sammlung der Rechtsprechung 1986 -02391

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1986:224

    SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    MARCO DARMON

    vom 3. Juni 1986 ( *1 )

    Herr Präsident,

    meine Herren Richter!

    1. 

    Wie weit geht ratione temporis die Immunität der Mitglieder der Versammlung der Europäischen Gemeinschaften? Diese Frage steht im Mittelpunkt des vorliegenden Vorabentscheidungsverfahrens.

    Vom Privatkläger des Ausgangsverfahrens und Berufungsführer vor dem Tribunal de grande instance Paris wegen Verleumdung verklagt, berief sich der Angeklagte zu 1) in seiner Eigenschaft als europäischer Abgeordneter auf Artikel 10 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom 8. April 1965 (ABl. C 152 vom 13.7.1967, S. 13 — im folgenden: „Protokoll“) und machte die Unzulässigkeit der Klage geltend.

    Das erstinstanzliche Gericht stellte fest, daß der Zeitpunkt der Aushändigung der Ladung zur Verhandlung, der 27. Januar 1983, in die parlamentarische Sitzungsperiode 1982/83 fiel. Es gab deshalb der Einrede statt, obwohl das Parlament zu diesem Zeitpunkt nicht tatsächlich getagt hatte. Der Privatkläger des Ausgangsverfahrens legte Berufung bei der Cour d'appel ein, die den Gerichtshof um Beantwortung der folgenden Frage bittet:

    „Ist Artikel 10 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften aufgrund der derzeit geltenden Bestimmungen und der vom Europäischen Parlament verfolgten Praxis dahin auszulegen, daß er den Abgeordneten des Europäischen Parlaments eine dauernde Immunität einräumt, die sich, soweit sie nicht vom Parlament aufgehoben wird, auf die gesamte Dauer ihres Mandats erstreckt, oder verleiht er eine Immunität nur während bestimmter Zeiträume der jährlichen Sitzungsperiode?“

    2. 

    Nach Artikel 28 des „Fusionsvertrags“ vom 8. April 1965 (ABl. Nr. 152 vom 13.7.1967, S. 2) genießen

    „die Europäischen Gemeinschaften... im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten die zur Erfüllung ihrer Aufgabe erforderlichen Vorrechte und Befreiungen nach Maßgabe des Protokolls im Anhang zu diesem Vertrag“.

    Im Kapitel III des Protokolls werden die Vorrechte und Befreiungen der „Mitglieder der Versammlung“ näher umrissen. Artikel 8 gewährleistet ihre ungehinderte Reise zum und vom Ort der Versammlung, indem er verwaltungsmäßige Beschränkungen, insbesondere zoll- und devisenrechtlicher Art, verbietet. Artikel 9 beinhaltet den Grundsatz der sogenannten „Indemnität“ der Abgeordneten für eine „in Ausübung ihres Amtes erfolgte Äußerung oder Abstimmung“. Schließlich ergibt sich aus Artikel 10 das, was gemeinhin als Immunität (dort „Unverletzlichkeit“) der Abgeordneten bezeichnet wird, das heißt ihre Immunität gegenüber einer Strafverfolgung wegen Handlungen, die sie nicht in Ausübung ihres Amtes im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates oder eines anderen Mitgliedstaats begehen.

    Dieser Artikel lautet wie folgt:

    „Während der Dauer einer Sitzungsperiode der Versammlung

    a)

    steht ihren Mitgliedern im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates die den Parlamentsmitgliedern zuerkannte Unverletzlichkeit zu;

    b)

    können ihre Mitglieder im Hoheitsgebiet jedes anderen Mitgliedstaats weder festgehalten noch gerichtlich verfolgt werden.

    Die Unverletzlichkeit besteht auch während der Reise zum und vom Tagungsort der Versammlung.

    Bei Ergreifung auf frischer Tat kann die Unverletzlichkeit nicht geltend gemacht werden; sie steht auch nicht der Befugnis der Versammlung entgegen, die Unverletzlichkeit eines ihrer Mitglieder aufzuheben.“

    Wie das Tribunal de grande instance ausgeführt hat, hat sich der Gerichtshof bereits in seinem Urteil vom 12. Mai 1964 in der Rechtssache 101/63 (Wagner, Slg. 1964, 419) zum Zwecke der Bestimmung der zeitlichen Geltung der parlamentarischen Immunität zur Bedeutung des Begriffs „Dauer der Sitzungsperiode“ geäußert, wie er schon in dem — mit dem derzeit geltenden Artikel 10 im wesentlichen identischen — Artikel 9 der Protokolle über die Vorrechte und Befreiungen im Anhang zum EGKS-Vertrag, zum EWG-Vertrag und zum EAG-Vertrag enthalten war.

    Dieses Urteil ist in dem besonderen rechtlichen Rahmen zu sehen, der damals für die Zusammentritte der Versammlung galt. Bis zum Erlaß des Fusionsvertrags begrenzte nämlich Artikel 22 EGKS-Vertrag die Sitzungsperiode des Parlaments, indem er vorsah, daß „die Sitzungsperiode nicht über das Ende des laufenden Rechnungsjahres hinaus ausgedehnt werden“ darf, während Artikel 139 EWG-Vertrag und 109 EAG-Vertrag lediglich den Zeitpunkt des Beginns der Sitzungsperioden festlegten.

    Der Gerichtshof hat deshalb zweierlei festgestellt:

    „Die Versammlung [hält] zwei ‚jährliche Sitzungsperioden‘ ab, von denen die eine am zweiten Dienstag des Monats Mai beginnt und spätestens mit dem laufenden Rechnungsjahr der EGKS, d. h. am 30. Juni endet, während die zweite am dritten Dienstag des Monats Oktober beginnt.“

    „In Zwischenzeiten dieser ‚jährlichen Sitzungsperioden‘ kann das Parlament nach denselben Vorschriften als Versammlung der einen oder anderen der drei Gemeinschaften ... auch zu ‚außerordentlichen Sitzungsperioden‘ zusammentreten.“

    (Urteil in der Rechtssache 101/63, Wagner, a. a. O., 432 f.)

    In seinen Schlußanträgen stellte Generalanwalt Lagrange den zitierten Vorschriften die Praxis der Versammlung gegenüber, die darin bestand, jährlich eine Sitzungsperiode abzuhalten, die niemals für geschlossen erklärt, sondern lediglich unterbrochen wurde.

    Dieses Vorgehen hielt er gleichwohl nicht für vertragswidrig. Die Verträge sahen nämlich eine „Schließung“ der Sitzungsperioden nicht vor. Ferner schlössen die in der Geschäftsordnung der Versammlung erwähnten Unterbrechungen der Sitzungsperioden bereits gedanklich ein System mit permanenter Sitzungsperiode aus. Generalanwalt Lagrange schloß daraus, daß das Parlament während dieser Unterbrechungen nicht als in einer Sitzungsperiode befindlich anzusehen sei, weshalb für die Abgeordneten keine Immunität bestehe.

    Entgegen dieser Auslegung gelangte der Gerichtshof zu folgendem Ergebnis: Da die Artikel 139 EWG-Vertrag und 109 EGKS-Vertrag keine ausdrückliche Bestimmung im Sinne des Artikels 22 EGKS-Vertrag enthielten, der einen Endtermin der jährlichen Sitzungsperiode festsetze, gehe es auch nicht an, „die Unterbrechung entgegen dem Wortsinn der Schließung gleichzusetzen“. Er entschied daher:

    „Unbeschadet der in Artikel 22 EGKS-Vertrag festgesetzten Eröffnungs- und Endtermine der jährlichen Sitzungsperiode ist das Europäische Parlament bis zur Schließung seiner jährlichen oder außerordentlichen Sitzungsperioden als in einer Sitzungsperiode befindlich anzusehen, auch wenn es tatsächlich keine Sitzungen abhält“ (Urteil in der Rechtssache 101/63, a. a. O., 435, Hervorhebungen vom Verfasser).

    3. 

    Sowohl in den Entscheidungsgründen des Urteils der Cour d'appel Paris als auch in den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen wird die Frage gestellt, ob diese Auslegung, mit Rücksicht insbesondere auf die zwischenzeitlich erfolgten Änderungen der einschlägigen Vorschriften, weiterhin uneingeschränkt gültig sei.

    Erstens wurden die Artikel 22 Absatz 1 EGKS-Vertrag, 139 Absatz 1 EWG-Vertrag und 109 Absatz 1 EAG-Vertrag durch Artikel 27 des Fusionsvertrags von 1965 aufgehoben und durch folgende Bestimmung ersetzt:

    „Die Versammlung hält jährlich eine Sitzungsperiode ab. Sie tritt, ohne daß es einer Einberufung bedarf, am zweiten Dienstag des Monats März zusammen.“

    Damit enthält die neue Formulierung keinen Hinweis mehr auf einen Endtermin der Sitzungsperiode, wie es für die EGKS der Fall war.

    Zweitens stellt die Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments in ihrer revidierten Fassung vom 26. März 1981 (ABl. C 90 vom 21.4.1981, S. 49) zwar wie die vorangegangene Geschäftsordnung den Grundsatz der freien Entscheidung des Parlaments über Unterbrechungen der Sitzungsperiode auf (Artikel 9 Absatz 2), bestimmt jedoch, und zwar als Konsequenz aus dem Akt vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung (ABl. L 278 vom 8.10.1976, S. 5), folgendes:

    „Wahlperiode ist die von dem Akt vom 20. September 1976 vorgesehene Mandatsdauer der Mitglieder“ (gemäß Artikel 3 Absatz 1 dieses Akts fünf Jahre).

    „Sitzungsperiode ist die jährliche Periode“, wie sie sich aus dem genannten Akt (Artikel 10 Absatz 3) und den Verträgen (Artikel 27 Fusionsvertrag) ergibt. ( *2 )

    Tagung ist der in der Regel jeden Monat stattfindende Zusammentritt des Europäischen Parlaments, der in einzelne Sitzungstage zerfällt.“

    (Artikel 9 Absatz 1, Hervorhebungen vom Verfasser).

    Anzumerken ist schließlich, daß Artikel 4 Absatz 2 des Akts von 1976 das Protokoll auf die in allgemeiner unmittelbarer Wahl gewählten Abgeordneten für anwendbar erklärt.

    Dies sind die Bestimmungen, auf die sich die Erklärungen der Beteiligten des Ausgangsverfahrens und der Kommission sowie die Antwort des Europäischen Parlaments auf das Auskunftsersuchen des Gerichtshofs beziehen.

    4. 

    Nach Auffassung des Privatklägers des Ausgangsverfahrens beruht das Urteil Wagner auf Bestimmungen, die notwendigerweise von einer Unterbrechung der Sitzungsperioden (EGKS-Vertrag einerseits und EWG-Vertrag und EAG-Vertrag andererseits) vom 30. Juni bis zum zweiten Dienstag des Monats Oktober jedes Jahres ausgingen; es könne deshalb nicht auf die gegenwärtige Rechtslage übertragen werden, nach der ein ausdrücklicher Endtermin für die jährliche Sitzungsperiode der Versammlung nicht mehr bestehe. Der Vertrag sehe keinen Zeitraum mehr vor, in dem sich die Versammlung theoretisch nicht in einer Sitzungsperiode befinden könne. Praktisch gebe es derzeit auch kein Intervall zwischen den jährlichen Sitzungsperioden, da die jeweilige Sitzungsperiode erst unmittelbar vor der Eröffnung der nächsten Sitzungsperiode geschlossen werde.

    Würde das Parlament unter diesen Umständen als in einer Sitzungsperiode befindlich angesehen, obwohl es nicht tatsächlich tage, führe dies zu vier Widersprüchen:

    1)

    Die Bestimmung, in der die Möglichkeit außerordentlicher Sitzungsperioden vorgesehen sei, laufe leer, da diese definitionsgemäß nur in der Zeit zwischen den gewöhnlichen jährlichen Sitzungsperioden stattfinden könnten. Dies laufe bereits dem erwähnten Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache 101/63 zuwider, in dem (a. a. O., 433) folgendes festgestellt worden sei:

    „Der Begriff ‚jährliche Sitzungsperioden‘ ist... so zu fassen, daß auch außerordentliche Sitzungsperioden möglich bleiben, die lange Zeit im voraus festzusetzen übrigens nirgends verboten ist.“

    Auch Artikel 9 Absatz 5 der Geschäftsordnung des Parlaments laufe leer, nach dem „der Präsident... ausnahmsweise das Parlament“ auf Antrag der Mehrheit der Mitglieder einberuft.

    2)

    Die Dauer der parlamentarischen Immunität decke sich de facto mit jener des Mandats als Mitglied der Versammlung der Europäischen Gemeinschaften. Da nur diese befugt sei, über die Aufhebung der Immunität eines Mitglieds zu entscheiden, würde ihr damit für fünf Jahre die Beurteilung der Opportunität strafrechtlicher Verfolgungsmaßnahmen gegen einen europäischen Abgeordneten vorbehalten. Dies würde die Übertragung von nationalen Hoheitsrechten auf das Europäische Parlament bedeuten, die der französische Conseil constitutionnel ausdrücklich für unzulässig erklärt habe.

    3)

    Die Gleichbehandlung von europäischen und nationalen Abgeordneten, die sich aus der Verweisung auf die nationalen Bestimmungen über die Immunität ergebe, sei im Falle Frankreichs nicht mehr gegeben, wo dieser Schutz an die Sitzungsperioden, und nicht an das Mandat gebunden sei.

    4)

    Schließlich habe der Hinweis auf die Immunität der Abgeordneten während der Reise zum und vom Tagungsort der Versammlung keine Daseinsberechtigung mehr.

    Der Privatkläger des Ausgangsverfahrens vertritt deshalb den Standpunkt, das Europäische Parlament sei nicht als in einer Sitzungsperiode befindlich anzusehen, wenn diese unterbrochen sei, das heißt in der Zeit zwischen zwei tatsächlichen Tagungen.

    5. 

    Für den Angeklagten des Ausgangsverfahrens wie für die Kommission gibt es seit 1965 keinen neuen Umstand, der geeignet wäre, die im Urteil in der Rechtssache 101/63 gegebene Auslegung des Begriffs der Dauer der Sitzungsperioden der Europäischen Versammlung in Frage zu stellen.

    Nach Ansicht der Kommission ergibt ein Vergleich der vor und nach 1965 geltenden Vorschriften, daß sich an der autonomen Entscheidungsbefugnis des Europäischen Parlaments in bezug auf die Abhaltung, die Dauer und das Ende der Sitzungsperioden nichts geändert habe. Das Recht, eine außerordentliche Sitzungsperiode einzuschieben, sei nie in Frage gestellt worden. Der Begriff „Sitzungsperiode“ habe trotz der aufeinanderfolgenden Regelungen dieselbe Bedeutung behalten. In der Praxis hätten sich die Voraussetzungen für die Eröffnung, den Schluß oder die Unterbrechung von Sitzungsperioden nicht geändert; die jährlichen Sitzungsperioden folgten ohne Unterbrechung aufeinander, was tatsächlich den Rückgriff auf außerordentliche Sitzungsperioden überflüssig mache.

    Im Ergebnis sei davon auszugehen, daß der europäische Abgeordnete während der gesamten Dauer der jährlichen Sitzungsperiode Immunität genieße; diese könne zeitlich weder auf die Sitzungstage oder die Tagungen beschränkt noch auf die Wahlperiode erweitert werden.

    6. 

    Das Europäische Parlament, das Sie um Auskunft darüber gebeten haben, welche Folgen sich seiner Ansicht nach aus den Vorschriften und seiner eigenen einschlägigen Praxis ergeben, hat ausgeführt, Artikel 10 des Protokolls gelte für die Abgeordneten während des ganzen Jahres, weil es keine Unterbrechung der Sitzungsperioden und ihrer Tätigkeit gebe.

    Für seine Auslegung bringt es vier Argumente vor. Erstens stelle die parlamentarische Immunität, soweit sie die Unabhängigkeit der Institution gewährleiste, einen den Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsatz dar, der nur in seiner Tragweite variieren könne.

    Zweitens stellten die Verträge und der Akt von 1976 die Festsetzung der Dauer der Sitzungsperioden in das Ermessen der Versammlung; lediglich der Zeitpunkt der Eröffnung der jährlichen Sitzungsperiode, der zweite Dienstag des Monats März, sei in Artikel 27 des Fusionsvertrages festgelegt. In diesem Sinne regele Artikel 9 der Geschäftsordnung die Einzelheiten des Ablaufs der jährlichen Sitzungsperiode mit Rücksicht auf die funktionellen Bedürfnisse der Versammlung. Im übrigen habe der Gerichtshof dem Parlament die für sein Funktionieren notwendige Autonomie zuerkannt.

    Drittens stehe einer derartigen an das Mandat gebundenen Immunität das Urteil Wagner in keiner Weise entgegen, da die einzige Beschränkung der Dauer der Sitzungsperioden — enthalten im EGKS-Vertrag — durch den erwähnten Artikel 27 aufgehoben sei und der Akt von 1976 die Dauer der Wahlperiode auf fünf Jahre festlege, ohne die Organisationsgewalt der Versammlung zu beeinträchtigen. Auf sein Betreiben habe die Kommission dem Rat am 30. November 1984 einen „Entwurf eines Protokolls über die Revision“ des geltenden Protokolls zur Zustimmung vorgelegt, der eine Änderung von Artikel 10 durch das Weglassen jeder Bezugnahme auf die Dauer der Sitzungsperioden vorsehe.

    Schließlich bringe die Tätigkeit des Parlaments für seine Mitglieder einen besonders vollen Terminkalender mit sich. Zum normalen Arbeitsrhythmus der Versammlung, der sich zum Beispiel aus dem Haushaltsverfahren oder der Beratung über die Agrarpreise ergebe, kämen noch die Belastungen, die sich aus der Kontrollfunktion des Europäischen Parlaments und aus der Notwendigkeit vorbereitender Sitzungen in Ausschüssen und Fraktionen ergäben.

    Dies sind im wesentlichen die dem Gerichtshof von den Beteiligten des Ausgangsverfahrens, von der Kommission und vom Parlament unterbreiteten Argumente.

    7. 

    Den vom Europäischen Parlament erteilten Auskünften ist zu entnehmen, daß es mit Ausnahme des Monats August einmal pro Monat für eine Woche tagt. Zwischen diesen — nach der Definition des Artikels 9 seiner Geschäftsordnung — „Tagungen“ liegen Zeiten der Unterbrechung, in denen insbesondere die Parlamentsausschüsse und die Fraktionen zusammentreten. Der Präsident des Europäischen Parlaments spricht den Schluß der jährlichen Sitzungsperiode jeweils am Vortag der Eröffnung der folgenden Sitzungsperiode aus: Tatsächlich gibt es deshalb keine Unterbrechung zwischen den einzelnen jährlichen Sitzungsperioden der Wahlperiode.

    Diese Praxis bewegt sich in dem rechtlichen Rahmen, den der Gerichtshof mit dem Urteil Wagner in bezug auf die Auslegung des Begriffs der „Dauer der Sitzungsperioden der Versammlung“ in Artikel 10 des Protokolls vorgezeichnet hat. Es läßt sich nämlich sagen, daß sich das Parlament als in einer Sitzungsperiode befindlich ansieht, auch wenn es nicht tatsächlich tagt, solange der Präsident die Sitzungsperiode nicht für geschlossen erklärt hat, so daß es in der Immunität der europäischen Abgeordneten genau wie in der jährlichen Sitzungsperiode keine Unterbrechung gäbe.

    Reicht die Feststellung der Übereinstimmung zwischen Ihrer Auslegung und der beschriebenen Praxis aus, um die zeitliche Geltung der durch Artikel 10 des Protokolls gewährleisteten Immunität zu bestimmen? Den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen lassen sich insoweit zwei Schwerpunkte entnehmen, die natürlich durch die vorhin dargestellte parlamentarische Praxis verbunden sind: Der eine ist die „Aktualität“ Ihrer Entscheidung in der Rechtssache 101/63, der andere die Übereinstimmung der beschriebenen Praxis mit dem Gemeinschaftsrecht. Vor einer Vertiefung dieser beiden Fragen ist zu prüfen, ob zum einen der Begriff der „Sitzungsperioden“ gemeinschaftsrechtlicher Art ist und ob zum anderen sich die Befugnis der Versammlung, über die Dauer seiner Sitzungsperioden zu beschließen, aus der dem Parlament durch die Verträge zuerkannten internen Organisationsgewalt ergibt.

    8. 

    Der Privatkläger des Ausgangsverfahrens verweist darauf, daß eine an das Mandat gebundene Immunität die europäischen Abgeordneten französischer Staatsangehörigkeit gegenüber ihren nationalen Kollegen insoweit besser stellen würde, als diese nur während der beiden jährlichen Sitzungsperioden ihres Parlaments geschützt wären. Eine solche Diskriminierung verstoße gegen Artikel 10 Buchstaben a des Protokolls, der die Gleichbehandlung der Abgeordneten zum Grundsatz mache.

    Gegen dieses Vorbringen sprechen der Wortlaut, der Aufbau und der Zweck des Artikels 10 des Protokolls. Diese Bestimmung verweist nämlich nur für die sachliche Ausgestaltung der Immunität des europäischen Abgeordneten auf das interne Recht. Er begründet ein System der Immunität, das je nach der Staatsangehörigkeit des Parlamentariers unterschiedlich ist, soweit er in seinem eigenen Land verfolgt wird, das hingegen gemeinschaftlich ist, soweit die Strafverfolgung in einem Mitgliedstaat stattfindet, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt.

    Der Inhalt der Immunität ergibt sich aus einer Verweisung auf das jeweilige nationale Recht und aus dem Verbot des Festhaltens und der gerichtlichen Verfolgung. Ihre Dauer bestimmt sich demgegenüber nach derjenigen der „Sitzungsperioden der Versammlung“, also letztlich danach, wie das Parlament seine Arbeit organisiert.

    Artikel 10 des Protokolls koppelt somit den zeitlichen und sachlichen Umfang der Immunität voneinander ab. Diese Abkopplung steht für das Bemühen der Vertragsparteien, die institutionelle Autonomie der Europäischen Versammlung sicherzustellen. Durch die ausdrückliche Erwähnung des Protokolls in Artikel 28 des Fusionsvertrags wird nämlich die Immunität zu einer der Voraussetzungen dafür gemacht, daß die Versammlung der Europäischen Gemeinschaften ihre Aufgabe erfüllen kann. Eine andere grundlegende Voraussetzung ist die dem Parlament zuzuerkennende Freiheit, seine eigene Tätigkeit zu organisieren. Die Verträge haben, wie wir noch sehen werden, dafür Sorge getragen, indem sie dem Parlament uneingeschränkte Zuständigkeit für die Ausarbeitung seiner Geschäftsordnung gegeben haben.

    Daraus ergibt sich, daß die von den Erfordernissen dieser Tätigkeit her gebotene Dauer der Immunität für alle betroffenen Parlamentarier gleich sein muß: Die Dauer der Immunität bestimmt sich nach Gemeinschaftsrecht.

    Somit ist der Sinn des Ausdrucks „während der Dauer der Sitzungsperiode der Versammlung“ aus dem Gemeinschaftsrecht abzuleiten.

    9. 

    Artikel 10 enthält insoweit keinen Hinweis. Auszugehen ist damit von der der Versammlung durch die Verträge zuerkannten internen Organisationsgewalt. Aufgrund dieser Verträge wie aufgrund Ihrer Rechtsprechung ist festzustellen, daß das Parlament die Abfolge und die Dauer seiner Sitzungsperioden nach seinem Ermessen festlegt.

    Diese Feststellung stützt sich zunächst auf die bedeutungsgleichen Artikel 25 Absatz 1 EGKS-Vertrag, 142 Absatz 1 EWG-Vertrag und 112 Absatz 1 EAG-Vertrag, die wie folgt lauten:

    „Die Versammlung gibt sich ihre [EGKS-Vertrag: eine] Geschäftsordnung; hierzu sind die Stimmen der Mehrheit [EGKS-Vertrag: ist Stimmenmehrheit] ihrer Mitglieder erforderlich.“

    Wie Sie in Ihrem Urteil in der Rechtssache 230/81 (Luxemburg/Parlament, Slg. 1983, 255, Randnr. 38 der Entscheidungsgründe) ausgeführt haben,

    „ist das Parlament berechtigt, aufgrund der ihm [durch die zitierten Bestimmungen] zugebilligten internen Organisationsgewalt geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um sein ordnungsgemäßes Funktionieren und die Durchführung seiner Verfahren sicherzustellen“.

    Als Ausdruck der institutionellen Autonomie des Europäischen Parlaments wird diese interne Organisationsgewalt, was die Festlegung der Dauer der Sitzungsperioden betrifft, durch die Verträge kaum eingeschränkt.

    Nach den Artikeln 22 EGKS-Vertrag, 139 EWG-Vertrag und 109 EAG-Vertrag in der Fassung des Fusionsvertrags

    hält das Parlament „jährlich eine Sitzungsperiode ab“,

    tritt es, „ohne daß es einer Einberufung bedarf, am zweiten Dienstag des Monats März zusammen“ und

    kann es auf Antrag der Mehrheit seiner Mitglieder sowie auf Antrag des Rates oder der Kommission zu einer außerordentlichen Sitzungsperiode zusammentreten.

    Zwei Grundsätze beherrschen somit die internen Organisationsmaßnahmen, die das Parlament insoweit zu treffen hat:

    Einheitlichkeit der Sitzungsperiode mit Ausnahme von außerordentlichen Sitzungsperioden,

    Jährlichkeit der Sitzungsperiode mit Beginn im Monat März.

    Dagegen schreiben die Verträge der Versammlung keinen Endzeitpunkt für die jährliche und einheitliche Sitzungsperiode vor. Die damit eingeräumte Freiheit berechtigt folglich das Parlament, über den Schluß der jährlichen Sitzungsperiode nach seinem Ermessen gemäß den Bedürfnissen seines Funktionierens zu entscheiden.

    10. 

    Aufgrund dieser zweiten Feststellung läßt sich der Hintergrund, vor dem sich die zu beantwortende Auslegungsfrage stellt, besser umreißen. Anhand welchen Kriteriums ist die Dauer der Immunität zu bestimmen?

    In Ihrem Urteil Wagner haben Sie sich auf ein Kriterium gestützt, das, aus dem Recht der Verträge abgeleitet, die Entscheidung über den Schluß der ordentlichen oder außerordentlichen Sitzungsperioden — zumindest was die EWG und die EGKS betrifft — uneingeschränkt in das Ermessen der Versammlung stellte.

    Entgegen der Ansicht des Privatklägers des Ausgangsverfahrens bin ich der Meinung, daß Sinn und Zweck der Immunität einerseits und die Übereinstimmung der parlamentarischen Praxis mit den Vertragsbestimmungen andererseits Anlaß dazu geben, bei Ihrer Auslegung zu bleiben.

    Zweck der Immunität der Abgeordneten ist es, jede Beeinträchtigung des Funktionierens der Institution, der sie angehören, also jede Beeinträchtigung der Ausübung der Befugnisse dieser Institution, insbesondere ihrer Kontrollbefugnisse, auszuschließen.

    Bei enger Auslegung ließe sich daraus ableiten, daß ein Abgeordneter nur geschützt zu werden braucht, soweit die Gefahr besteht, daß seine Teilnahme an den Sitzungen des Parlaments durch gegen ihn gerichtete strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen in Frage gestellt wird. Eine derart restriktive Auffassung scheint mir jedoch nicht gerechtfertigt. Sie verkennt die Vielzahl der Parlamentstätigkeiten, die sich namentlich aus der wachsenden Notwendigkeit einer ständigen Kontrolle der Gemeinschaftsexekutive ergibt. So umfaßt die Parlamentstätigkeit nicht nur die Sitzungen, in denen die Vorlagen beraten werden, sondern auch die Sitzungen der verschiedenen ständigen oder nichtständigen Parlamentsausschüsse.

    Wie man sieht, wird Ihr auf den Wortlaut der Verträge gestütztes Kriterium auch der institutionellen Wirklichkeit am besten gerecht. Die Immunität ist an die parlamentarische Tätigkeit des europäischen Abgeordneten im weiten Sinne zu binden, da sich die Rolle des Parlaments nicht auf die bloße Aneinanderreihung der Sitzungen, zu denen es tatsächlich zusammentritt, reduzieren läßt.

    Dies ist im übrigen auch die Konzeption, die in den meisten der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft gilt, in denen die Immunität besteht. In Deutschland, Dänemark, Italien, Spanien, Griechenland und Portugal sind nämlich die Parlamentsmitglieder während der gesamten Dauer ihres Mandats gegen strafrechtliche Verfolgung geschützt. In Belgien und Luxemburg wird durch eine Praxis, die derjenigen des Europäischen Parlaments ähnelt, tatsächlich das gleiche Prinzip angewandt. In Frankreich beschränkt zwar Artikel 26 der Verfassung die Immunität auf die Dauer der parlamentarischen Sitzungsperiode im strengen Sinne, macht jedoch gleichwohl die Festnahme eines Abgeordneten außerhalb dieser Sitzungsperiode von der Erlaubnis der Versammlung abhängig, der er angehört; diese kann darüber hinaus die Aussetzung der Haft oder der Verfolgung eines Abgeordneten erwirken.

    Es zeigt sich, daß sich die angeführten nationalen Regelungen nur in Nuancen unterscheiden.

    11. 

    Läuft — wie der Kläger des Ausgangsverfahrens geltend macht — eine derartige Konzeption, die Sinn und Zweck der Immunität entspricht, dem Recht der Verträge zuwider, weil in der Praxis die jährlichen Sitzungsperioden ohne Unterbrechung aufeinanderfolgen?

    Insoweit verdient das Argument Beachtung, das sich auf die außerordentlichen Sitzungsperioden bezieht. Der Privatkläger des Ausgangsverfahrens macht geltend, vor 1965 habe sich die Versammlung vom Schluß der EGKS-Sitzungsperiode im Juni bis zur Eröffnung der EWG/EAG-Sitzungsperiode im Oktober nicht in Sitzung befunden. Dieser Zeitraum habe die „Zwischenzeiten“ ausgemacht, die der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache 101/63 gerade als für die Abhaltung außerordentlicher Sitzungsperioden geeignet angesehen habe. Da in der durch den Fusionsvertrag von 1965 vereinheitlichten Fassung der einschlägigen Vertragsbestimmungen der Begriff des Schlusses der Sitzungsperiode nicht mehr ausdrücklich erwähnt werde, sei — um die Möglichkeit außerordentlicher Sitzungsperioden zu erhalten — für den Begriff der Sitzungsperiode in Abweichung vom Urteil Wagner allein auf die Zeiträume, in denen das Parlament tatsächlich tage, abzustellen.

    Diese Erwägungen und der aus ihnen gezogene Schluß sind zurückzuweisen. Erstens wurde, wie ich bereits erwähnt habe, in Ihrem Urteil festgestellt, daß die jährliche EWG/EAG-Sitzungsperiode erst beendet war, wenn die Versammlung den Beschluß über die Schließung gefaßt hatte. Folglich war es schon damals der Versammlung nicht verwehrt, durch Schließung der jährlichen Sitzungsperiode am Vortag der Eröffnung der folgenden Sitzungsperiode ohne Unterbrechung zusammenzutreten.

    Von dieser Fallgestaltung ging im übrigen Generalanwalt Lagrange aus, als er folgendes feststellte:

    „Die vom Europäischen Parlament angenommene Geschäftsordnung beruht... auf dem Grundsatz einer jährlichen Sitzungsperiode, die niemals abgeschlossen (auch nicht ausgesetzt), sondern zu Zeitpunkten und für eine Dauer, die vom Parlament selbst festgesetzt werden, ausnahmsweise unter bestimmten Umständen vom ‚Erweiterten Präsidium‘‚unterbrochen‘ wird.“

    Er setzte seine Untersuchung mit der Frage nach der Vereinbarkeit einer permanenten Sitzungsperiode

    „mit der in den Verträgen vorgesehenen Möglichkeit außerordentlicher Sitzungsperioden“ fort (Schlußanträge in der Rechtssache 101/63, a. a. O., 446, 447).

    Sonach stellte sich die damals dem Gerichtshof vorgelegte Auslegungsfrage vor demselben Hintergrund wie die Frage, um deren Prüfung Sie heute ersucht werden.

    Diese Feststellung genügt jedoch nicht. Es muß noch geprüft werden, ob das Parlament durch seine Praxis nicht die Möglichkeit ausgeschlossen hat, zu außerordentlichen Sitzungsperioden zusammenzutreten.

    Hierzu mache ich die beiden folgenden Bemerkungen.

    Die Bestimmungen des Vertrags sind für die Versammlung verbindlich wie für jedes andere Organ. Die Geschäftsordnung hält sich im übrigen ausdrücklich an sie, indem sie in ihrem Artikel 9 Absatz 5 die Möglichkeit vorsieht, das Parlament „ausnahmsweise“ einzuberufen. Die Europäische Versammlung hat im übrigen nicht das Monopol der Initiative zur Abhaltung außerordentlicher Sitzungsperioden, denn nicht nur die Abgeordneten selbst, sondern auch der Rat und die Kommission können außerordentliche Sitzungen herbeiführen. Die Parlamentspraxis kann deshalb diesen beiden Organen ein in den Verträgen vorgesehenes Recht nicht nehmen.

    Über diese grundsätzlichen Erwägungen hinaus ist festzustellen, daß die Abhaltung außerordentlicher Sitzungsperioden keineswegs rein theoretisch ist. Mit der außerordentlichen Sitzungsperiode sollen nicht nur die parlamentarischen Arbeiten nach dem Ablauf der ordentlichen Sitzungsperiode um einen zusätzlichen Zeitraum verlängert werden; vielmehr kann sie auch das geeignete Mittel darstellen, um die Bedeutung der auf ihre Tagesordnung gesetzten Fragen zu betonen. So erklären sich — über die nach der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments bestehende Möglichkeit, eine Aussprache für dringlich zu erklären oder eine Aussprache über ein aktuelles Thema abzuhalten (Artikel 48 und 57), hinaus — die erwähnte Möglichkeit nach Artikel 9 Absatz 5 und das dem Rat und der Kommission durch die Verträge eingeräumte Recht. Hierauf haben Sie im Zusammenhang mit dem wesentlichen Formerfordernis der Konsultation des Parlaments durch den Rat in Ihrem Urteil Roquette wie folgt hingewiesen:

    „Zum anderen hätte [der Rat] um so eher nach Artikel 139 EWG-Vertrag eine außerordentliche Sitzung des Parlaments beantragen können, als ihn das Präsidium des Parlaments am 1. März und am 10. Mai 1979 auf diese Möglichkeit hingewiesen hatte. “ (Urteil in der Rechtssache 138/79, Slg. 1980, 3333, Randnr. 36 der Entscheidungsgründe, Hervorhebungen vom Verfasser).

    Es ist deshalb denkbar, daß das Parlament, um eine außerordentliche Sitzungsperiode abzuhalten, beschließt, die jährliche Sitzungsperiode früher zu beenden. Haben Sie doch in Ihrem Urteil in der Rechtssache 101/63 festgestellt, daß außerordentliche Sitzungsperioden „lange Zeit im voraus festzusetzen ... nirgends verboten ist“ (Urteil in der Rechtssache 101/63, a. a. O., 433).

    Wie auch immer die Praxis derzeit tatsächlich sein mag, das Vorliegen einer zusammenhängenden ordentlichen Sitzungsperiode hindert das Parlament nicht daran, die zur Abhaltung einer außerordentlichen Sitzungsperiode erforderlichen Intervalle zu schaffen, und verpflichtet es sogar dazu, sobald die in den Verträgen aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind.

    12. 

    Die beiden letzten vom Privatkläger des Ausgangsverfahrens vorgebrachten Argumente werde ich sehr viel kürzer abhandeln.

    Was die praktische Wirksamkeit des Artikels 10 Absatz 2 angeht, wonach, ich zitiere, die Parlamentsmitglieder „Unverletzlichkeit... auch während der Reise zum und vom Tagungsort der Versammlung“ genießen, ist folgendes zu bemerken. Ich habe zwar gesagt, daß die Praxis des Parlaments auf eine ständige Immunität seiner Mitglieder hinausläuft. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine Praxis, die vom Parlament durch Schließung seiner Sitzungsperiode geändert werden kann, so daß sich eine Zeit zwischen zwei Sitzungsperioden ergibt. In diesem Falle käme diese „Immunität während der Reise“ zur Anwendung. Die fragliche Bestimmung widerspricht nicht der sich aus dem Vertrag ergebenden Autonomie des Funktionierens des Parlaments, sondern erklärt sich gerade aus ihr.

    Zur Zuständigkeit der Europäischen Versammlung für die Aufhebung der Immunität seiner Mitglieder ist lediglich zu sagen, daß diese sich aus den Verträgen ergibt und daß ihr Umfang nur das Kennzeichen der institutionellen Autonomie des Parlaments ist.

    Ich schlage Ihnen deshalb vor, bei Ihrer Rechtsprechung im Urteil Wagner zu bleiben und wie folgt für Recht zu erkennen:

    Für die Zwecke der Anwendung des Ausdrucks „während der Dauer der Sitzungsperiode der Versammlung“ in Artikel 10 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen ist das Europäische Parlament bis zu dem Beschluß, durch den es den Schluß der jährlichen oder außerordentlichen Sitzungsperioden ausspricht, als in einer Sitzungsperiode befindlich anzusehen, selbst wenn es nicht tatsächlich tagt.


    ( *1 ) Aus dem Französischen übersetzt.

    ( *2 ) Anm. d. Übers.: Die französische Fassung lautet: „La session correspond à une période de un an, comme cela ressort de l'acte et des traités.“

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