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Document 61984CC0121

    Schlussanträge des Generalanwalts Sir Gordon Slynn vom 15. Oktober 1985.
    Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik.
    Vertragsverletzung - Beschränkungen der Durchfuhr von lebenden Tieren.
    Rechtssache 121/84.

    Sammlung der Rechtsprechung 1986 -00107

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1985:408

    SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    SIR GORDON SLYNN

    vom 15. Oktober 1985 ( *1 )

    Herr Präsident,

    meine Herren Richter!

    In ihrer nach Artikel 169 EWG-Vertrag erhobenen Klage beantragt die Kommission festzustellen, daß die Italienische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag (Grundsatz der freien Durchfuhr innerhalb der Gemeinschaft, Artikel 30 bis 34 EWG-Vertrag sowie Artikel 20 Absatz 2 der Verordnung Nr. 805/68 und entsprechende Bestimmungen anderer gemeinsamer Marktorganisationen für lebende Tiere) verstoßen hat, indem sie die im Güterkraftverkehr erfolgende Durchfuhr von für einen Mitgliedstaat oder ein Drittland bestimmten lebenden Tieren mit Ursprung in einem anderen Mitgliedstaat durch das italienische Hoheitsgebiet Beschränkungen unterworfen hat.

    Ausgangspunkt dieser Klage der Kommission waren insbesondere Beschwerden der belgischen Behörden über die Schwierigkeiten bei der Beförderung von unter anderem für Griechenland und Jugoslawien bestimmten lebenden Tieren im Wege des Güterkraftverkehrs durch Italien. Nach einem ersten Meinungsaustausch gab die Kommission am 16. März 1982 gegenüber den italienischen Behörden eine mit Gründen versehene Stellungnahme gemäß Artikel 169 Absatz 1 ab. Punkt 1 dieser Stellungnahme lautet folgendermaßen:

    „Die geltende italienische Regelung, insbesondere das Regolamento di polizia veterinaria (viehseuchenrechtliche Vorschriften), erlassen durch Decreto del Presidente della Repubblica Nr. 320 vom 8. Februar 1954, sieht vor, daß die Beförderung von lebenden Tieren im Güterkraftverkehr der Genehmigung durch die zuständigen Behörden unterliegt.

    Bei Einfuhren von Tieren, die für den italienischen Markt bestimmt sind, wird die Genehmigung normalerweise erteilt.

    Bei Beförderungen von lebenden Tieren mit Ursprung in einem anderen Mitgliedstaat, die im Wege des Güterkraftverkehrs an die italienische Grenze gelangen, wird diese Genehmigung im allgemeinen verweigert, wenn es sich um Tiere handelt, die für Drittländer (z. B. Jugoslawien) oder einen anderen Mitgliedstaat (z. B. Griechenland) bestimmt sind. In diesem Fall wird die Durchfuhr der die Tiere befördernden Lastwagen durch das italienische Hoheitsgebiet verboten. Die Durchfuhr ist also nur dann erlaubt, wenn die Tiere für die Durchfuhrstrecke von den Lastwagen auf Eisenbahnwagen umgeladen werden. Anschließend werden sie wieder auf die Lastwagen verladen, um von Italien an ihren Bestimmungsort zu gelangen.

    Bei für den italienischen Markt bestimmten Einfuhren können sich die Wirtschaftsteilnehmer also normalerweise zwischen der Beförderung im Güterkraftverkehr und der Beförderung auf dem Schienenweg entscheiden. Im Fall der Durchfuhr in einen anderen Mitgliedstaat oder ein Drittland sind hingegen nur Beförderungen auf dem Schienenweg zugelassen.“

    In Punkt 2 der mit Gründen versehenen Stellungnahme erklärt die Kommission, sie sei der Auffassung, daß „die italienische Praxis bei der Beförderung von lebenden Tieren“ mehrere Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, die von ihr aufgezählt werden, verletze.

    Festzustellen ist hier, daß die Präsidialverordnung selbst nicht angegriffen wird; die Kommission beanstandet nur die beschriebene italienische Praxis.

    Da die Kommission die Antwort der Italienischen Republik auf die mit Gründen versehene Stellungnahme nicht für zufriedenstellend hielt, hat sie mit Klageschrift vom 8. Mai 1984 die vorliegende Klage vor dem Gerichtshof erhoben. In Punkt 2 dieser Klageschrift werden die „von den italienischen Behörden bei der Einfuhr und internationalen Durchfuhr von lebenden Tieren im Güterkraftverkehr auferlegten Beschränkungen“ erwähnt und folgendermaßen beschrieben:

    „Die italienischen Behörden lassen die Einfuhr von im Güterkraftverkehr beförderten Tieren, die für den italienischen Markt bestimmt sind, zu. Handelt es sich jedoch um Tiere mit Ursprung in einem Mitgliedstaat, die durch Italien hindurchgeführt werden und für einen anderen Mitgliedstaat (typischer Fall: Griechenland) oder ein Drittland (typischer Fall: Jugoslawien) bestimmt sind, so schreiben sie normalerweise vor, daß die Durchfuhr auf dem Schienenweg erfolgt. Dies macht die Entladung der Lastwagen und die Umladung der Tiere auf Eisenbahnwagen sowie unter Umständen die Leerfahrt der Lastwagen bis zur italienischen Grenze erforderlich, um anschließend die Beförderung im Güterkraftverkehr fortzusetzen.“

    In der Klageschrift werden keine weiteren Einzelheiten der behaupteten Beschränkungen der Beförderung von lebenden Tieren im Güterkraftverkehr genannt. Unter Punkt 3 wird nur festgestellt, daß diese Beschränkungen in Ausübung des aufgrund von Artikel 61 des Regolamento di polizia veterinaria, erlassen durch Decreto del Presidente della Repubblica Nr. 320 vom 8. Februar 1954, eingeräumten Ermessens erfolgten. Wie in der mit Gründen versehenen Stellungnahme wird auch in der Klageschrift der Artikel 61 selbst nicht angegriffen, sondern nur die angeblich auf ihn gestützten Praktiken. In der mit Gründen versehenen Stellungnahme und der Klageschrift wird als einzige derartige Praktik das Erfordernis genannt, daß die Durchfuhr von lebenden Tieren durch Italien auf dem Schienenwege zu erfolgen habe.

    Die Verteidigung der italienischen Regierung ist einfach und deutlich: Die Italienische Republik unterwerfe diese Durchfuhr keinerlei Beschränkungen. In der Gegenerwiderung wird nochmals ausgeführt: „Italien unterwirft die im Wege des Güterkraftverkehrs erfolgende Durchfuhr von für irgendeinen Mitgliedstaat oder irgendein Drittland bestimmten lebenden Tieren mit Ursprung in irgendeinem anderen Mitgliedstaat durch das italienische Hoheitsgebiet keinerlei Beschränkungen.“ In der mündlichen Verhandlung wurde diese Behauptung erneut bekräftigt.

    Eine den Exporteuren auferlegte Verpflichtung, die Tiere bei der Durchfuhr durch Italien auf dem Schienenweg zu befördern, während bei Tieren, die für den Binnenmarkt bestimmt sind, die Beförderung im Güterkraftverkehr zugelassen wird, kann meines Erachtens eine Beschränkung darstellen, die gegen die Vertragsbestimmungen verstößt.

    Die italienische Regierung räumt ein, daß früher von den Wirtschaftsteilnehmern in einer begrenzten Anzahl von Fällen verlangt worden sei, die Tiere auf dem Schienenweg durch Italien zu befördern. Dies sei im Hinblick auf die unzureichenden Kontroll- und Versorgungskapazitäten für Beförderungen im Güterkraftverkehr und in dem Wunsch geschehen, unnötige Verspätungen oder ein Leiden der betreffenden Tiere zu vermeiden. Diese Praxis bestehe jedoch nicht mehr; die Kommission habe dies anläßlich eines früheren Verfahrens gegen Italien, das die Ausfuhren aus der Bundesrepublik Deutschland betroffen habe (Rechtssache 194/81), anerkannt.

    In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission wohl eingeräumt, daß die Verpflichtung zur Beförderung der Tiere auf dem Schienenweg nicht mehr besteht. Es liegt jedenfalls keinerlei Beweis dafür vor, daß eine solche Verpflichtung zu dem in der vorliegenden Rechtssache erheblichen Zeitpunkt bestand. Die Kommission, der die Beweispflicht obliegt, hat meines Erachtens die in der begründeten Stellungnahme und in der Klageschrift angeführten Gründe nicht belegt.

    Im Laufe des Verfahrens hat die Kommission jedoch einige andere Praktiken im Zusammenhang mit der Durchfuhr von lebenden Tieren durch Italien erwähnt: In erster Linie wurde behauptet, daß, sofern keine bilateralen Abkommen bestünden, eine vorherige Genehmigung für die Durchfuhr der Tiere durch Italien verlangt werde. Dieses Erfordernis gehe über das hinaus, was nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften verlangt werde, die nur die Vorlage der entsprechenden Bescheinigungen an der Grenze vorschrieben. In zweiter Linie wurde behauptet, die italienischen Behörden erlaubten die Durchfuhr nicht, wenn keine Bescheinigung über die Einfuhrbereitschaft des Bestimmungslands vorliege. Diese Argumente wurden von der Kommission zum ersten Mal in der Erwiderung vorgetragen und dann in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof weiter verfolgt. Sie werden weder in der Klageschrift noch in der ihr vorausgehenden mit Gründen versehenen Stellungnahme erwähnt.

    Der Gegenstand dieser Rechtssache ist in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 16. März 1982 umrissen (siehe die Rechtssachen 45/64, Kommission/Italien, Slg. 1965, 1125, 1137 f., und 211/81, Kommission/Dänemark, Slg. 1982, 4547, 4558). Die Kommission kann den Gegenstand des Rechtsstreits nicht im Laufe des Verfahrens erweitern, wie sie dies im vorliegenden Fall versucht hat (siehe Rechtssache 193/80, Kommission/Italien, Slg. 1981, 3019, 3032). Unabhängig davon, ob das Vorbringen der Kommission hinsichtlich der bilateralen Abkommen und des Erfordernisses der Vorlage einer Bescheinigung über die Einfuhrbereitschaft des Bestimmungslands stichhaltig ist, können diese Fragen im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits nicht erhoben werden.

    Es ist also nicht erforderlich, auf die Argumente der italienischen Regierung einzugehen, daß über alle die Beförderung von Tieren betreffenden Fragen mit Belgien Absprachen getroffen worden seien, so daß von den einzelnen Wirtschaftsteilnehmern keine besondere vorherige Genehmigung mehr verlangt werde, und daß etwaige Probleme, die sich aus der Weigerung des Bestimmungslands (hier: Griechenland), die erforderliche Bescheinigung auszustellen, ergeben hätten, der Italienischen Republik, die sich vor der Genehmigung der Durchfuhr der Tiere durch ihr Hoheitsgebiet verständlicherweise von der Einfuhrbereitschaft überzeugen wolle, nicht zuzurechnen seien. Die von der Kommission zu diesen Punkten vorgelegten Beweise sind sowieso unzureichend.

    Demgemäß bin ich der Ansicht, daß die Klage abzuweisen ist und die Kommission zur Tragung der Kosten der italienischen Regierung zu verurteilen ist.


    ( *1 ) Aus dem Englischen übersetzt.

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