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Document 61983CC0112

Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 14. November 1984.
Société des produits de maïs SA gegen Administration des douanes et droits indirects.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal d'instance de Paris 1er - Frankreich.
Währungsausgleichsbeträge auf Maisfolgeerzeugnisse - Folgen der Ungültigkeit einer Verordnung.
Rechtssache 112/83.

Sammlung der Rechtsprechung 1985 -00719

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1984:347

SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MARCO DARMON

vom 14. November 1984 ( 1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. 

Die Vorabentscheidungsfragen, die Ihnen das Tribunal d'instance Paris zur Prüfung vorgelegt hat, sind ein neuerlicher Ausdruck der Bedeutung und des Widerhalls Ihrer Urteile vom 15. Oktober 1980 ( 2 ) und insbesondere Ihres Urteils in der Rechtssache Roquette.

In dieser Rechtssache hatte Ihnen das Tribunal d'instance Lille mit Urteil vom 29. Juni 1979 sieben Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. In den ersten sechs Fragen ging es mittelbar um die Gültigkeit der Verordnung (EWG) Nr. 652/76 der Kommission vom 24. März 1976„zur Änderung der Währungsausgleichsbeträge infolge der Entwicklung der Wechselkurse des französischen Frankens“.

Mit Ihrem Urteil Roquette haben Sie für Recht erkannt:

„1)

Die Verordnung Nr. 652/76 ... [ist] insoweit ungültig,

als sie die Ausgleichsbeträge für Maisstärke auf einer anderen Grundlage als der des um die Erstattung bei der Stärkeerzeugung verringerten Interventionspreises für Mais festsetzt,

...

als sie die Ausgleichsbeträge für sämtliche aus der Verarbeitung einer gegebenen Menge ein und desselben Grunderzeugnisses, wie Mais oder Weizen, innerhalb einer bestimmten Produktionskette hervorgegangenen Erzeugnisse auf einen Betrag festsetzt, der eindeutig höher ist als der Ausgleichsbetrag für diese gegebene Menge des Grunderzeugnisses,

...

3)

Die Ungültigkeit der genannten Verordnungsbestimmungen berechtigt nicht dazu, die aufgrund dieser Bestimmungen von den nationalen Behörden durchgeführte Erhebung oder Zahlung von Währungsausgleichsbeträgen für die Zeit vor Erlaß dieses Urteils in Frage zu stellen.“

Mit dieser letzten Nummer des Tenors haben Sie die Folgen präzisiert, die nach Ihrer Auffassung der so ausgesprochenen Ungültigkeitserklärung beizumessen sind, indem Sie die Tragweite Ihrer Entscheidung im Sinne einer „ex nunc“-Wirkung begrenzt haben.

Zur Begründung dieser Begrenzung haben Sie folgendes ausgeführt:

„Zwar bestimmt der Vertrag nicht ausdrücklich die Folgen, die sich aus einer Ungültigkeitserklärung im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens ergeben, doch enthalten die Artikel 174 und 176 klare Vorschriften über die Wirkungen der Nichtigerklärung einer Verordnung im Rahmen einer direkten Klage. So hat nach Artikel 176 das Organ, dem das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofes ergebenden Maßnahmen zu ergreifen. In seinen Urteilen vom 19. Oktober 1977 in den Rechtssachen 117/76 und 16/77 (Ruckdeschel und Hansa-Lagerhaus Stroh, Slg. 1977, 1753) und in den Rechtssachen 124/76 und 20/77 (Moulins et Huileries de Pont-à-Mousson und Providence agricole de la Champagne, Slg. 1977, 1795) hat sich der Gerichtshof bereits im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens auf diese Vorschrift berufen.“ (Randnr. 51 der Entscheidungsgründe)

„Im vorliegenden Fall ist die analoge Anwendung des Artikels 174 Absatz 2 EWG-Vertrag, wonach der Gerichtshof diejenigen Wirkungen einer von ihm für nichtig erklärten Verordnung bezeichnen kann, die als fortgeltend zu betrachten sind, aus denselben Rechtssicherheitserwägungen geboten, die auch dieser Bestimmung zugrunde liegen. Zum einen könnte die hier festgestellte Ungültigkeit zu einer Rückforderung von Beträgen führen, die in den Ländern mit schwacher Währung von den betroffenen Unternehmen und in den Ländern mit starker Währung von den betroffenen nationalen Behörden rechtsgrundlos gezahlt worden sind; dies könnte angesichts der mangelnden Einheitlichkeit der einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften zu beträchtlichen Unterschieden in der Behandlung führen und dadurch neue Wettbewerbsverzerrungen hervorrufen. Zum anderen können die wirtschaftlichen Nachteile, die sich aus der Ungültigkeit der fraglichen Verordnungsbestimmungen ergeben, nicht bewertet werden, ohne Beurteilungen vorzunehmen, die gemäß der Verordnung Nr. 974/71 nur die Kommission — unter Berücksichtigung anderer erheblicher Faktoren, wie etwa der Anwendung des grünen Kurses auf die Erstattung bei der Erzeugung — vorzunehmen hat.“ (Randnr. 52 der Entscheidungsgründe)

Ihre Entscheidung war Gegenstand einer Auseinandersetzung in der Lehre. In Frankreich wurde sie allgemein kritisiert. Das vorlegende Gericht war der Auffassung, es sei an die Nr. 3 des Urteilstenors nicht gebunden. Es zog aus der vom Gerichtshof ausgesprochenen Ungültigkeit und aus seiner eigenen Weigerung, die dieser Maßnahme vom Gerichtshof zuerkannte „ex nunc“-Wirkung zu berücksichtigen, die Konsequenzen und verurteilte den französischen Staat (Zollverwaltung), der Firma Roquette Frères die Währungsausgleichsbeträge zu erstatten, die aufgrund der für ungültig erklärten Bestimmungen erhoben worden waren.

Dieses Urteil vom 15. Juli 1981 wurde durch ein am 19. Januar 1983 von der Cour d'appel Douai erlassenes Urteil im wesentlichen bestätigt; hiergegen wurde Beschwerde eingelegt, die derzeit bei der Cour de cassation anhängig ist.

2. 

Dies ist der Hintergrund des Vorabentscheidungsersuchens, mit dem Sie das Tribunal d'instance Paris befaßt hat, das über die Klage der Firma Produits de maïs gegen die französische Zollverwaltung auf Erstattung der als Währungsausgleichsbeträge aufgrund der Verordnung Nr. 652/76 erhobenen Beträge zu entscheiden hat und Sie um Beantwortung der folgenden Fragen ersucht:

1)

Sind die Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 652/76 der Kommission vom 24. März 1976, durch die die Währungsausgleichsbeträge für die Ausfuhr von Bruchmais (Tarifnummer 10.05, jetzt 23.02), von Kleber (Tarifnummer 23.03) und der unter die Tarifstellen 11.08 A. I, 17.02 B I a), 17.02 B I b), 17.02 B II a), 17.02 B II b), 17.02-23, 17.02-28.0, 17.02-28.1, 35.05 A, 29.04-77.001 fallenden Erzeugnisse festgesetzt werden, gültig?

2)

Falls sie ungültig sind, in welchem Umfang müssen sie für ungültig erklärt werden?

3)

Falls sie ungültig sind, welches sind die Rechtsfolgen dieser Ungültigkeit im Hinblick auf einen Antrag auf eine vollständige oder teilweise Erstattung von Währungsausgleichsbeträgen, die die innerstaatlichen Stellen aufgrund der Verordnung Nr. 652/76 der Kommission vom 24. März 1976 erhoben haben?

4)

Vorausgesetzt, daß die ordnungsgemäße Feststellung der Ungültigkeit einer Gemeinschaftsverordnung für die Vergangenheit jede Infragestellung der nach dieser Verordnung erfolgten Erhebung von Währungsausgleichsbeträgen ausschließt, schließt dies — und in welchem Umfang — jegliche Zahlung im Zusammenhang mit den betreffenden Währungsausgleichsbeträgen aus?

Nur die Klägerin des Ausgangsverfahrens und die Kommission haben sowohl im schriftlichen Verfahren als auch in der mündlichen Verhandlung Erklärungen abgegeben.

3. 

Die Kommission räumt ein, daß die fraglichen Erzeugnisse alle Maisfolgeerzeugnisse seien. Abgesehen von der Maisstärke gehe es hier allerdings um andere Erzeugnisse als in der Rechtssache Roquette. Mit Ausnahme der Maiskleie (Tarifstelle 23.02 A I) sei jedoch die Ungültigkeit der Verordnung Nr. 652/76 in bezug auf die Festsetzung der für alle anderen Erzeugnisse geltenden Währungsausgleichsbeträge festzustellen. Auf das Urteil Roquette hin seien im übrigen mit Wirkung vom Erlaß dieses Urteils an sowohl für Maisstärke als auch diese anderen Erzeugnisse — Kleie ausgenommen — neue Währungsausgleichsbeträge festgesetzt worden.

4. 

Die Firma Produits de maïs legt dar, die Beträge, deren Erstattung sie vor dem nationalen Gericht verlange, seien vor dem 15. Oktober 1980, dem Zeitpunkt des Erlasses des Urteils Roquette, erhoben worden. Es sei deshalb besonders wichtig, „das schwierige Problem der zeitlichen Wirkung von die Ungültigkeit aussprechenden Vorabentscheidungen vor dem Gerichtshof zu erörtern“. Sie bittet Sie um Überprüfung Ihres Standpunkts und ist der Auffassung, „daß Artikel 174 Absatz 2 EWG-Vertrag im Rahmen eines Verfahrens nach Artikel 177 EWG-Vertrag nicht analog angewandt werden kann“.

Gegen diese analoge Anwendung macht die Firma Produits de maïs im wesentlichen zwei Reihen von Argumenten geltend :

Artikel 174 Absatz 2 müsse als Ausnahmebestimmung restriktiv angewendet werden und könne daher nicht analog auf die Vorlage zur Vorabentscheidung über die Gültigkeit übertragen werden; eine derartige Erstreckung sei auch nicht mit der analogen Anwendung von Artikel 176 Absatz 1 zu rechtfertigen, die nicht die Tragweite von Artikel 177 gefährde, sondern im Gegenteil zu einer Verstärkung der Unmittelbarkeit des Gemeinschaftsrechts führe; schließlich stelle auch Ihr Urteil Defrenne II keine geeignete Rechtfertigung dar ( 3 )

die vom Gerichtshof in der Rechtssache Roquette gewählte Lösung sorge im übrigen für das Weiterbestehen einer Rechtswidrigkeit; sie verstoße gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Unmittelbarkeit des Gemeinschaftsrechts und laufe — würde sie verallgemeinert — darauf hinaus, Artikel 177 seines Wesensgehalts zu berauben, da sie Klagen der vor dem nationalen Gericht erhobenen Art mangels Klageinteresse unzulässig mache.

5. 

Nach Meinung der Kommission liegt die Bedeutung der vom Tribunal d'instance Paris vorgelegten Fragen darin, daß die Problematik der entsprechenden Anwendung von Artikel 174 Absatz 2 vor dem Gerichtshof erörtert werden könne, was im Rahmen der Rechtssache 145/79 nicht geschehen sei, weil diese Problematik von ihr erst in der mündlichen Verhandlung angesprochen worden sei.

Diese Erweiterung sei aus zwei Gründen notwendig: wegen der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts und wegen der Rechtssicherheit. Mit Rücksicht darauf hätten die Vorabentscheidungen des Gerichtshofes allgemeine — jedenfalls über den Einzelfall hinausgehende — Wirkungen „erga omnes“. Die Kommission zitiert insoweit natürlich Ihr Urteil International Chemical Corporation ( 4 ), wobei sie im übrigen darauf verweist, daß Sie in dieser Entscheidung erneut ausgeführt hätten, das Gemeinschaftsorgan, dem das für ungültig erklärte Handeln zur Last falle, haben die zur Beseitigung der festgestellten Unvereinbarkeit erforderlichen Maßnahmen zu treffen, und daß Sie auf diese Weise den normalerweise für Nichtigkeits- oder Untätigkeitsklagen geltenden Artikel 176 EWG-Vertrag analog anwendeten.

Die in Ihren Urteilen vorgenommene Gleichsetzung von Nichtigkeitsurteilen und Ungültigkeitsurteilen impliziere die Anerkennung einer „ex tunc“-Wirkung der letzteren, so daß ein Ungültigkeitsurteil insbesondere wegen der sehr unterschiedlichen Verjährungsfristen in den verschiedenen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten dieselbe Umwälzung bestehender Rechtsverhältnisse bewirken könne wie ein Nichtigkeitsurteil. In den meisten Rechtsordnungen gebe es Möglichkeiten zur Begrenzung der Rückwirkung einer Nichtigerklärung. Eine solche Möglichkeit sei im Gemeinschaftsrecht durch Artikel 174 Absatz 2 EWG-Vertrag gegeben, der es dem Gerichtshof gestatte, dem Grundsatz der Rechtssicherheit Vorrang vor dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit einzuräumen. Der Gerichtshof habe im übrigen von dieser Ausnahme im zitierten Urteil Defrenne Gebrauch gemacht, indem er die unmittelbare Wirkung von Artikel 119 EWG-Vertrag zeitlich begrenzt habe.

Die Kommission führt schließlich folgendes aus:

„Erscheinen Gründe der Rechtssicherheit... geeignet, in einem bestimmten Fall die zeitlichen Wirkungen einer Ungültigkeitserklärung zu begrenzen, so kann ausschließlich der Gerichtshof nach einer Abwägung der verschiedenen betroffenen Interessen im Ungültigkeitsurteil selbst die Wirkungen der Ungültigkeitserklärung begrenzen. Soll die notwendige Einheit des Gemeinschaftsrechts nicht beeinträchtigt werden, kann eine solche Entscheidung keinesfalls von einem einzelstaatlichen Gericht getroffen werden.“

Von Ihrer Rechtsprechung, wie sie sich aus Ihrem Urteil vom 15. Oktober 1980 ergebe, müsse jedoch eine Ausnahme in dem durch Ihr Urteil Defrenne aufgezeigten Sinne gemacht werden: Das Ungültigkeitsurteil habe zwar „ex nunc“-Wirkungen. Gegenüber den Marktteilnehmern, die die Rechtmäßigkeit der für ungültig erklärten Verordnung vorher angefochten hätten, behalte es jedoch eine „ex tunc“-Wirkung. Diese „Ausnahme von der Ausnahme“ sei deswegen gerechtfertigt, weil den einzelnen, die rechtzeitig ein streitiges Verfahren angestrengt hätten, ein wirksamer Rechtsschutz gewährleistet werden müsse; die Kommission sei in der Lage, die Währungsausgleichsbeträge, die hätten angewandt werden müssen, neu zu berechnen.

Eine solche Ausnahme dürfe jedoch dann nicht zum Zuge kommen,

wenn die „ex nunc“-Wirkung für die Betroffenen keine wirkliche Belastung mit sich gebracht habe oder

„wenn der Gerichtshof wie in den Urteilen vom 15. Oktober 1980 feststelle, daß die Rückzahlung der rechtsgrundlos gezahlten Beträge, zu beträchtlichen Unterschieden in der Behandlung führen und dadurch neue Wettbewerbsverzerrungen hervorrufen [könnte]‘, wobei eine derartige Gefahr insbesondere nach den finanziellen Folgen einer Neuberechnung der Währungsausgleichsbeträge durch die Kommission beurteilt werden könne“.

6. 

Der französische Staat hat, obwohl er Beklagter des Ausgangsverfahrens ist und obwohl er in dem vorangegangenen Ausgangsverfahren, das zu dem Urteil Roquette geführt hat, Kassationsbeschwerde gegen das Urteil der Cour d'appel Douai vom 19. Januar 1983 eingelegt hat, im vorliegenden Verfahren keine Erklärungen abgegeben.

7. 

In der vorliegenden Rechtssache werden die Tatsachen, die Sie veranlaßt haben, die Tragweite der Ungültigerklärung der fraglichen Verordnung im Sinne einer „ex nunc“-Wirkung zu begrenzen, von keiner Seite in Zweifel gezogen.

Was die Firma Produits de maïs begehrt, ist somit die Änderung Ihrer Rechtsprechung aus rein rechtlichen Gründen.

Was Ihnen die Kommission vorschlägt, ist eine bloße Lockerung dieser Rechtsprechung.

8. 

Zwei Grundsätze beherrschen die zeitliche Wirkung der Entscheidung, mit der der Gerichtshof die Rechtswidrigkeit eines Gemeinschaftsaktes feststellt: Erstens ist auf diesem Gebiet ausschließlich der Gerichtshof zuständig, und zweitens wird der rechtswidrige Akt so angesehen, als habe er nie existiert.

Die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofes ist Ausfluß des durch den Vertrag begründeten Rechtswegsystems. Aus den Artikeln 173 bis 176 EWG-Vertrag (Nichtigkeitsklage) und Artikel 177 (Vorabentscheidung über die Gültigkeit) ergibt sich eindeutig, daß allein der Gerichtshof befugt ist, über die Rechtmäßigkeit eines abgeleiteten Rechtsakts zu befinden. Dementsprechend haben Sie für Recht erkannt, daß eine Verordnung als rechtswirksam gelten müsse, solange sie nicht vom Gerichtshof selbst für ungültig erklärt worden sei ( 5 ).

Gewiß ist es im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens in erster Linie Aufgabe der innerstaatlichen Stellen, für ihre Rechtsordnung die Konsequenzen aus einer Ungültigkeitserklärung zu ziehen ( 6 ) die strenge Anwendung der sich aus Artikel 177 EWG-Vertrag ergebenden funktionellen Zuständigkeitsverteilung bereitet jedoch auch Schwierigkeiten. Für die Ausübung der Rechte, die die einzelnen unmittelbar aus den Gemeinschaftsvorschriften und insbesondere aus den nach Artikel 189 unmittelbar geltenden Verordnungen herleiten können, gelten nämlich die Regeln der jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnung, haben Sie doch für Recht erkannt, daß in Ermangelung einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung unter bestimmten Voraussetzungen die Verfahrensregeln des innerstaatlichen Rechts gelten ( 7 ). Der auf die vom Gerichtshof festgestellte Rechtswidrigkeit einer Verordnung gestützte Anspruch auf Erstattung des von einer nationalen Verwaltung für Rechnung der Gemeinschaft zuviel Erhobenen muß also genauer gesagt nach den Bestimmungen des innerstaatlichen Verfahrensrechts vor den einzelstaatlichen Gerichten geltend gemacht werden ( 8 ), es sei denn, diese Bestimmungen wären diskriminierend ( 9 ). Diese allgemeine Aufteilung gilt sowohl für den Fall, daß die Klage auf Erstattung auf einer Verletzung oder unzutreffenden Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch eine nationale Verwaltung beruht, als auch für den Fall, daß diese eine später für rechtswidrig erklärte Gemeinschaftsbestimmung durchgeführt hat ( 10 ). Ihr liegt ein wirkliches Verfahrens-„Defizit“ der Gemeinschaft auf einem Gebiet (Erhebung der eigenen Mittel) zugrunde, das gleichwohl in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt und auf dem die nationalen Behörden nur eine Restzuständigkeit in bezug auf das Verfahren haben ( 11 ).

So bedauerlich diese Beschränkung in bezug auf das Verfahren sein mag ( 12 ), am Grundsatz Ihrer ausschließlichen Zuständigkeit für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Gemeinschaftsakts kann sie nichts ändern. Insbesondere läßt sich aus ihr nicht eine Befugnis der Gerichte der verschiedenen Mitgliedstaaten ableiten, einseitig nach möglicherweise unterschiedlichen innerstaatlichen Vorschriften über die zeitliche Wirkung der so von Ihnen festgestellten Rechtswidrigkeit zu entscheiden, ohne gleichzeitig die Grundlage der ursprünglichen Zuständigkeitsverteilung und den Zweck, dem die einheitliche Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften dient, in Frage zu stellen ( 13 ).

Das ist aber nicht alles. Wie Sie in Ihrem Urteil International Chemical Corporation ausgeführt haben, treten im Rahmen der Vorabentscheidung über die Gültigkeit „zu den Erfordernissen der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts besonders zwingende Erfordernisse der Rechtssicherheit hinzu“; Sie haben daraus gefolgert, daß Ihr Urteil, „obwohl sein unmittelbarer Adressat nur das Gericht ist, das den Gerichtshof angerufen hat, für jedes andere Gericht einen ausreichenden Grund dafür dar[stellt], diese Handlung bei den von ihm zu erlassenden Entscheidungen als ungültig anzusehen“, wobei ihm allerdings die Möglichkeit verbleibe, Ihnen neue Fragen im Wege des Vorabentscheidungsersuchens vorzulegen ( 14 ).

Schließlich ist festzuhalten, daß die bloße Feststellung der Ungültigkeit eines Gemeinschaftsrechtsakts zur Beseitigung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Rechtsvorschrift nicht immer ausreicht: Wegen der vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten, die sich aus der so offenbar gewordenen Rechtswidrigkeit ergeben könne, müssen gegebenenfalls die zuständigen Organe tätig werden, um daraus alle die Konsequenzen zu ziehen, die die nationalen Behörden in die Lage versetzen, sie ihrerseits umzusetzen ( 15 ). Ich sehe darin eine zusätzliche Bestätigung der ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichtshofes und allgemeiner der Gemeinschaft auf diesem Gebiet.

9. 

Der allein zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Gemeinschaftsrechtsaktes berufene Gerichtshof muß folglich immer auch dann ausschließlich zuständig sein, wenn auf einem derartigen Gebiet darüber zu entscheiden ist, welche Wirkungen die von ihm festgestellte Ungültigkeit gegenüber Dritten und im Zeitablauf hat: Die Ausübung der ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichtshofes läßt sich nicht dergestalt „aufteilen“, daß man dem innerstaatlichen Gericht die Befugnis zuweist, die Wirkung der vom Gerichtshof festgestellten Ungültigkeit gegenüber Dritten oder im Zeitablauf nach Maßgabe seiner eigenen einzelstaatlichen Rechtsordnung zu verändern. Wegen der Besonderheiten jeder Rechtsordnung bestünde sonst eine nicht zu leugnende Gefahr der Aufsplitterung in der Anwendung der gemeinsamen Vorschrift, was auf Gemeinschaftsebene zu Verzerrungen und dadurch sogar zu Diskriminierungen führen würde. Die Anwendung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit kann nicht davon abhängen, welche Bedeutung jede einzelstaatliche Rechtsordnung der Rechtswidrigkeit einer Rechtsvorschrift „ratione personae“ oder „ratione temporis“ beimißt, ohne daß die einheitliche Geltung der Individualrechte der Angehörigen der Gemeinschaft ernsthaft gefährdet würde.

Wenn die Kohärenz des Vorabentscheidungsverfahrens und der innere Zusammenhalt des Gemeinschaftsrechts auch gebieten, daß allein dem Gerichtshof die Aufgabe vorbehalten bleibt, die zeitliche Wirkung einer die Rechtswidrigkeit einer Verordnung aussprechenden Entscheidung zu bestimmen, so tragen doch die einzelstaatlichen Gerichte aus denselben beiden Gründen eine gemeinschaftliche Verantwortung.

In diesem Sinne hat das Tribunal d'instance Paris, indem es Sie mit Rücksicht auf die von Ihnen im Urteil Roquette gewählte Lösung zu diesem Problem befragt hat, als für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zuständiges Gericht gehandelt: Artikel 177 EWG-Vertrag soll nämlich

„unterschiedliche Auslegungen des Gemeinschaftsrechts verhindern, das die nationalen Gerichte anzuwenden haben; doch zielt er auch darauf ab, diese Anwendung selbst zu gewährleisten, da er dem nationalen Richter die Möglichkeit gibt, die Schwierigkeiten auszuräumen, die sich aus der Notwendigkeit ergeben können, dem Gemeinschaftsrecht im Rahmen der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zur vollen Geltung zu verhelfen“ ( 16 ).

Indem es Sie mit einer in der Lehre und bei einigen nationalen Gerichten umstrittenen Frage befaßt, führt das Tribunal d'instance Paris die unerläßliche und fruchtbare Zusammenarbeit vor, die es den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof gestattet, im Wege der Vorlage zur Vorabentscheidung zur Beachtung der Gesetzmäßigkeit in der Gemeinschaft beizutragen. Es bringt damit auch ausdrücklich die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofes zum Ausdruck, die Rechtswidrigkeit einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts festzustellen und, soweit dies möglich und erforderlich ist, ihre Tragweite sowohl gegenüber Dritten als auch in zeitlicher Hinsicht zu bestimmen.

10. 

Der zweite Grundsatz, der für die Bestimmung der Wirkung einer Entscheidung des Gerichtshofes über die Rechtmäßigkeit eines Gemeinschaftsrechtsaktes gilt, ist der der „ex tunc“-Wirkung der festgestellten Rechtswidrigkeit. Es handelt sich dabei um eine allgemeine Aussage, die sowohl für die Ungültigkeitserklärung oder Nichtigerklärung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift als auch für deren Auslegung gilt.

Sie haben nämlich für Recht erkannt, daß die Auslegung einer Vorschrift des GemeinSchaftsrechts im Wege der Vorabentscheidung

„erläutert und erforderlichenfalls verdeutlicht, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre“.

Daraus ergibt sich,

„daß die Gerichte die Vorschrift in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlaß des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen ...“ ( 17 ).

Die „ex tunc“-Wirkung eines Nichtigkeitsurteils ergibt sich eindeutig aus Artikel 174 Absatz 1, der wie folgt lautet:

„Ist die Klage begründet, so erklärt der Gerichtshof die angefochtene Handlung für nichtig.“

Diese Feststellungen machen verständlich, warum Sie den gleichen Lösungsansatz für die zeitliche Wirkung der Ungültigkeitserklärung gewählt haben. In seinen Schlußanträgen in den sogenannten „Quellmehl“-Rechtssachen hatte sich Generalanwalt Capotorti eindeutig für eine solche in der Lehre allerdings umstrittene Lösung ausgesprochen, dabei allerdings für jene Einzelfälle die Bestimmung der praktischen Konsequenzen den Organen zugewiesen ( 18 ).

Die Ungültigkeitserklärung der in den Quellmehl-Rechtssachen angefochtenen Verordnungsbestimmung durch Ihre Urteile vom 19. Oktober 1977 gab die Grundlage ah für die von den Klägern gegen die Gemeinschaft erhobenen Schadensersatzklagen ( 19 ). Generalanwalt Capotorti hob zu Recht die entscheidende Rolle der „ex tunc“-Wirkung der am 19. Oktober 1977 festgestellten Ungültigkeit hervor: Eine bloße „ex nunc“-Wirkung hätte nämlich keine Grundlage für Klagen auf Ersatz der Schäden, die vor der Feststellung der Rechtswidrigkeit durch den Gerichtshof eingetreten sind, geboten ( 20 ).

Mit den auf die Schadensersatzklagen ergangenen Urteilen haben Sie die Gemeinschaft verurteilt, den Klägern die Schäden zu ersetzen, die sie zwischen dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Gemeinschaftsbestimmung und dem Zeitpunkt Ihres die Ungültigkeit feststellenden Urteils erlitten hatten ( 21 ). Diese Lösung wurde in Ihrem Urteil Expresss Dairy Foods eindeutig bestätigt: Vor dem High Court of Justice, Queen's Bench Division, stützte die Firma Express Dairy Foods ihren Antrag auf Erstattung der an die nationale Interventionsstelle gezahlten Währungsausgleichsbeträge auf Ihre Entscheidung Milac vom 3. Mai 1978 ( 22 ), mit der Sie die Ungültigkeit einer Bestimmung einer Verordnung der Kommission festgestellt hatten. Vom nationalen Gericht nach der Wirkung dieser Ungültigkeitserklärung für die Zeit vor Ihrem Urteil Milac gefragt, haben Sie für Recht erkannt, daß die von der Kommission zwischen dem 1. Februar 1973 und dem 11. August 1977 erlassenen Verordnungen als ungültig anzusehen seien ( 23 ).

Dieser Fall zeigt, daß die „ex tunc“-Wirkung zusammen mit der Wirkung „ultra partes“, wie Sie sie im Urteil International Chemical Corporation ( 24 ) definiert haben, den Personen, auf die eine vom Gerichtshof für rechtswidrig erklärte Gemeinschaftsvorschrift angewendet worden ist, ermöglicht, sich auf diese Ungültigkeitserklärung für die Erhebung einer Rückzahlungsklage zu stützen, soweit — das sei hier in Erinnerung gerufen — die durch das innerstaatliche Recht vorgeschriebenen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen dies noch zulassen.

Die nationalen Gerichte können so gegebenenfalls veranlaßt sein — um die von Ihnen zur Charakterisierung der „ex tunc“-Wir-kung der Auslegung des Gemeinschaftsrechts gebrauchte Formulierung aufzugreifen —, Ihre Entscheidung auf Rechtsverhältnisse anzuwenden, die vor Erlaß des auf das Ersuchen um Entscheidung über die Gültigkeit ergangenen Urteils entstanden sind.

Aus der Gesamtheit dieser Erwägungen ergibt sich für mich, daß allein der Gerichtshof dafür zuständig ist, die Rechtswidrigkeit eines Gemeinschaftsrechtsakts „ex tunc“ festzustellen, und deshalb auch allein der Gerichtshof ausnahmsweise deren Wirkungen begrenzen kann. Soll der Grundsatz der „ex tunc“-Wirkung nicht fallengelassen werden, darf diese Möglichkeit jedoch nur in engen Grenzen bestehen.

11. 

Indem man diese Möglichkeit in Betracht zieht, könnte man sich dem Vorwurf aussetzen, den Grundsatz der Rechtssicherheit über den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit zu stellen.

Man sollte insoweit in dieser ohnehin schon komplizierten Frage keinen Zweifel bestehen lassen: Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit gehört zum Grundsatz der Rechtssicherheit. Denn welche Sicherheit wäre größer als die, die sich aus der strikten Anwendung des Gesetzes ergibt? Es kann jedoch vorkommen — manche werden darin eine Veranschaulichung des Spruches „summum ius summa iniuria“ sehen —, daß die völlige und unbegrenzte zeitliche Anwendung einer Norm eine schwerwiegende Unsicherheit für Sachverhalte schafft, die bis dahin als endgültig angesehen worden waren. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gerät in solchen Fällen in Widerspruch zum Grundsatz der Gesetzmäßigkeit. Dieser Konflikt muß gelöst werden.

Die verschiedenen nationalen Rechtsordnungen kennen Regeln und Übungen zu seiner Bewältigung. Die Verjährung, sei sie rechtsbegründend oder rechtsvernichtend, ist ein Beispiel hierfür. Ein anderes sind die „lois de Validation“ (Gesetze zur Wirksamerklärung aufgehobener Verwaltungsakte). Diese „Konsolidierung“ kann auf einem Gesetz oder einer Gerichtsentscheidung beruhen. Im Gemeinschaftsrecht ist sie ausdrücklich im Rahmen der Nichtigkeitsklage in Artikel 174 Absatz 2 vorgesehen, der wie folgt lautet:

„Erklärt der Gerichtshof eine Verordnung für nichtig, so bezeichnet er, falls er dies für notwendig hält, diejenigen ihrer Wirkungen, die als fortgeltend zu betrachten sind.“

Diese Ausnahme entspricht der Notwendigkeit, wie ich bereits angedeutet habe, die Erfordernisse der gemeinschaftsrechtlichen Gesetzmäßigkeit mit jenen der Rechtssicherheit in Einklang zu bringen. Die Wahrscheinlichkeit eines derartigen Widerspruchs hängt insbesondere von der Geltungsdauer des geprüften Gemeinschaftsakts ab. Bei der Nichtigkeitsklage ist die Klageerhebungsfrist ausreichend kurz, um eine solche Möglichkeit zu verringern, was im übrigen Ihre Rechtsprechung bestätigt. Die Gefahr ist hingegen größer beim Vorlageverfahren, da die Auslegung wie die Gültigkeitsprüfung mehrere Jahre nach Inkrafttreten der betreffenden Vorschrift erfolgen können.

Dies hat Sie dazu gebracht, in diesem Zusammenhang die Geltungsvoraussetzungen der „ex nunc“-Wirkung Ihrer Entscheidungen zu präzisieren. Ausgangspunkt Ihrer Rechtsprechung ist insoweit das Urteil Defrenne II, in dem Sie die unmittelbare Geltung von Artikel 119 EWG-Vertrag auf die Zeit nach der Verkündung Ihres Urteils begrenzt haben, „soweit nicht Arbeitnehmer bereits Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt haben“ ( 25 ).

Sie verwiesen zwar darauf, man dürfe

„nicht so weit gehen, daß die Objektivität des Rechts gebeugt und seine zukünftige Anwendung unterbunden wird, nur weil eine Gerichtsentscheidung für die Vergangenheit gewisse Auswirkungen haben kann“,

wollten aber doch „ausnahmsweise“ dem Verhalten mehrerer Mitgliedstaaten und der Haltung der Kommission Rechnung tragen, die die Betroffenen irreführen konnten, mit dem Ergebnis, daß

„zwingende Erwägungen der Rechtssicherheit, die sich aus der Gesamtheit der beteiligten öffentlichen und privaten Interessen ergeben, es grundsätzlich ausschließen, die Entgelte für in der Vergangenheit liegende Zeiträume noch in Frage stellen zu lassen“ ( 26 ).

Wie Sie mit Ihrer späteren Rechtsprechung klargestellt haben, ging es dabei darum, „aufgrund des der Gemeinschaftsrechtsordnung innewohnenden allgemeinen Grundsatzes der Rechtssicherheit“„erhebliche Schwierigkeiten“ zu vermeiden, die Ihr Urteil „bei in gutem Glauben begründeten Rechtsverhältnissen für die Vergangenheit hervorrufen“ konnte, indem „die Möglichkeit ..., sich auf diese Auslegung der Vorschrift mit dem Ziel zu berufen, eine erneute Sachentscheidung über die Rechtsverhältnisse herbeizuführen“ ( 27 ), eingeschränkt wurde.

Sie haben ferner festgestellt, daß „aus dem grundlegenden Erfordernis, daß das Gemeinschaftsrecht in allen Fällen einheitlich anzuwenden ist, folgt, daß es allein Sache des Gerichtshofes ist, darüber zu entscheiden, wie die zeitliche Geltung der von ihm vorgenommenen Auslegung abzugrenzen ist,“ und haben mit Rücksicht auf den Ausnahmecharakter einer solchen Entscheidung darauf hingewiesen, daß „eine solche Einschränkung ... jedoch in dem Urteil selbst enthalten sein [muß], durch das über das Auslegungsersuchen entschieden wird“ ( 28 ).

12. 

Diese Rechtsprechung mußte in Verbindung mit der Serie von Entscheidungen, mit denen Sie allmählich Urteile über die Gültigkeit mit Nichtigkeitsurteilen gleichgestellt haben ( 29 ), dazu führen, daß unter den in Ihrem Urteil Denkavit festgelegten Voraussetzungen — Gefahr erheblicher Schwierigkeiten für in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse bei rückwirkender Anwendung Ihres Urteils, falls die zeitlichen Wirkungen nicht beschränkt werden — diese Ausnahme auch im Rahmen des Ersuchens um Vorabentscheidung über die Gültigkeit angewendet wird, wenn ein genau gleicher Widerspruch zu lösen ist.

Es ist gewiß, daß diese Voraussetzungen um so enger auszulegen sind, als es sich um eine Ausnahme handelt. Deshalb kann eine „ex nunc“-Wirkung nur Platz greifen, „wenn keine andere Lösung möglich erscheint“, wobei jedoch eine solche Ausnahme in dem Urteil enthalten sein muß, das über das Auslegungsersuchen oder das Ersuchen um Entscheidung über die Gültigkeit entscheidet ( 30 ).

In den Mais-Rechtssachen, die Gegenstand der drei Urteile vom 15. Oktober 1980 waren, haben Sie die Auffassung vertreten, daß die zwischen den betroffenen Marktteilnehmern und ihren nationalen Verwaltungen, oder genauer zwischen diesen Marktteilnehmern und der Gemeinschaft über diese Verwaltungen, in gutem Glauben begründeten Rechtsverhältnisse nicht ohne die Gefahr erheblicher Schwierigkeiten durch die rückwirkende Anwendung Ihrer Ungültigerklärung in Frage gestellt werden konnten. Die Rechtssicherheit als „der Gemeinschaftsrechtsordnung innewohnender allgemeiner Grundsatz“ ( 31 ) verlangte mangels einer anderen Lösung eine Ausnahme von den gewöhnlichen Wirkungen der von Ihnen ausgesprochenen Ungültigkeit.

13. 

Eine solche Ausnahme muß jedoch unbedingt auf die Maßnahmen beschränkt sein, die dazu bestimmt sind, das Auftreten derartiger Schwierigkeiten zu verhindern. Dies läge im übrigen auf der Linie Ihrer Rechtsprechung Defrenne II, deren Übertragung auf den vorliegenden Fall die Kommission anregt.

Trotz gewisser Ähnlichkeiten sind jedoch die Sachverhalte nicht ganz vergleichbar. In der Rechtssache Defrenne befanden sich alle Arbeitgeber, denen die rückwirkende Anwendung der unmittelbaren Geltung von Artikel 119 EWG-Vertrag drohte, in gewisser Weise in der gleichen Lage. Es ist deshalb verständlich, daß die „ex nunc“-Wirkung Ihrer Entscheidung dem Schutz „der Gesamtheit der beteiligten öffentlichen und privaten Interessen“ diente und auf diese Weise die sozioökonomischen Folgewirkungen verhinderte, die ihre Anwendung auf die Vergangenheit hätte hervorrufen können ( 32 ).

In den Mais-Rechtssachen befanden sich demgegenüber die Markttteilnehmer der „Hartwährungsländer“ und diejenigen der „Abwertungsländer“ wegen der Wirkung der Währungsausgleichsbeträge in einer unterschiedlichen Lage. Nur die ersten erhielten von der Gemeinschaft Währungsausgleichsbeträge. Geschah dies auch in Durchführung einer später für ungültig erklärten Verordnung, waren dennoch die auf gutem Glauben beruhenden Rechtsbeziehungen zu schützen. In Anbetracht der Umstände gab es keine andere Lösung, um diesem Gebot der Rechtssicherheit gerecht zu werden, als die, die Sie für jene Fälle gewählt haben.

Hängt jedoch die — wie bereits gesagt eine Ausnahme darstellende — Aufrechterhaltung von Rechtsbeziehungen, die aufgrund einer rechtswidrigen Norm zum Vorteil von Wirtschaftsteilnehmern begründet worden sind, davon ab, daß die Auswirkungen dieser Rechtswidrigkeit auf andere Wirtschaftsteilnehmer, die im Gegensatz zu den erstgenannten die betreffenden Beträge entrichtet haben, ebenfalls aufrechterhalten werden?

Ich glaube dies nicht, denn die Ausnahme muß in ihrer Tragweite auf die Maßnahmen begrenzt werden, die zur Verhinderung erheblicher Schwierigkeiten unbedingt erforderlich sind. Die Ungültigkeit muß gegenüber den Wirtschaftsteilnehmern, die Währungsausgleichsbeträge entrichtet haben, ihre gewöhnliche Wirkung, das heißt ex tunc, entfalten, ohne daß diese Wirtschaftsteilnehmer dadurch selbstverständlich in den Genuß einer ungerechtfertigten Bereicherung kommen dürfen, soweit sie die von ihnen gezahlten Beträge über den Verkaufspreis der betreffenden Erzeugnisse abgewälzt haben ( 33 ).

14. 

Ich meine deshalb, daß zwar die von der Firma Produits de maïs geforderte Kehrtwendung der Rechtsprechung nicht erfolgen darf, die von der Kommission vorgeschlagene Lockerung jedoch auch nicht befriedigt. Die Änderung, die ich Ihnen vorschlage, erscheint mir geeignet, den mit Ihrem Urteil Roquette erreichten Stand zu erhalten und zugleich den außergewöhnlichen und engen Charakter jeder Ausnahme von der „ex tunc“-Wirkung nachdrücklich zu betonen.

15. 

Würden Sie sie aufgreifen, so würde die damit vorgeschlagene Lösung die Fragen 2 und 3 des vorlegenden Gerichts beantworten und die Frage 4 gegenstandslos machen.

Soweit das vorlegende Gericht wissen will, ob die Verordnung Nr. 652/76 im Hinblick auf die in der ersten Frage aufgeführten Erzeugnisse ungültig ist, ist darauf zu verweisen, daß nur noch die auf Maiskleie oder Bruchmais (Tarifstelle 23.02 A I) angewendeten Währungsausgleichsbeträge im Streit sind. Es geht genauer gesagt darum, ob dieses Erzeugnis wegen des vom Gerichtshof für ungültig erklärten Systems der Berechnung von einer zusätzlichen Belastung betroffen war.

Insoweit war es Sache der Klägerin, den Beweis dafür zu erbringen, daß das fragliche Erzeugnis zu einer bestimmten Produktionskette gehörte, und gegebenenfalls darzutun, daß es wegen dieses Systems der Berechnung von einer zusätzlichen Belastung betroffen war. Dieser Beweis wurde nicht erbracht.

16. 

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich Ihnen deshalb folgende Antworten vor:

1)

In bezug auf die Festsetzung der Währungsausgleichsbeträge für die Erzeugnisse der Tarifstelle 23.02 A I wurde nach Lage der Dinge nichts dargetan, was die Gültigkeit der Verordnung Nr. 652/76 beeinträchtigen könnte.

2)

In bezug auf die Festsetzung der Währungsausgleichsbeträge für die Erzeugnisse der Tarifstellen 11.08 A I, 17.02 B I, 17.02 B II, 23.03 A I, 29.04 C III b) 1 und 35.05 A ist die Verordnung Nr. 652/76 der Kommission vom 24. März 1976 aus den im Urteil vom 15. Oktober 1980 in der Rechtssache 145/79 (Nr. 1 erster Gedankenstrich des Tenors) dargelegten Gründen ungültig.

3)

Die Ungültigkeit der genannten Verordnungsbestimmungen berechtigt nicht dazu, die aufgrund dieser Bestimmungen von den nationalen Behörden durchgeführte Zahlung von Währungsausgleichsbeträgen für die Zeit vor dem 15. Oktober 1980 in Frage zu stellen.


( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt.

( 2 ) Sogenannte Mais-Rechtssachen: 4/79, Providence agricole de la Champagne, Sig. 1980, 2823; 109/79, Maïseries de Beauce, Sig. 1980, 2883; 145/79, Roquette Frères, Sig. 1980, 2917, Schlußanträge von Generalanwalt Mayras, S. 2855.

( 3 ) Urteil vom 8. April 1976 in der Rechtssache 43/75, Slg. 1976, 455.

( 4 ) Urteil vom 13. Mai 1981 in der Rechtssache 66/80, Slg. 1981, 1191.

( 5 ) Rechtssache 101/78, Granaria, Sig. 1979, 623, Randnrn. 4 und 5 der Entscheidungsgründe.

( 6 ) Rechtssache 23/75, Rey Soda, SIg. 1975, 1279, Randnr. 51 der Entscheidungsgründe.

( 7 ) Rechtssache 33/76, Rewe, Slg. 1976, 1989, Randnr. 5 der Entscheidungsgründe.

( 8 ) Rechtssache 26/74, Roquette, Sig. 1976, 677, Randnrn. 9 bis 11 der Entscheidungsgründe.

( 9 ) Rechtssache 265/78, Ferwerda, Slg. 1980, 617, Randnrn. 10 und 12 der Entscheidungsgründe, und Rechtssache 130/79, Express Dairy Foods, Slg. 1980, 1887, Randnr. 12 der Entscheidungsgründe.

( 10 ) S. Schlußantrage des Generalanwalts Capotorti in der Rechtssache Express Dairy Foods, a. a. O., S. 1908-1910 und die angegebene Rechtsprechung.

( 11 ) Rechtssache 130/79, a. a. O., Randnrn. 10 und 11 der Entscheidungsgründe.

( 12 ) Rechtssache 130/79, a. a. O., Randnr. 12 der Entschcidungsgründe.

( 13 ) Rechtssache 166/73, RheinraUhlen, Slg. 1974, 33, Randnr. 2 der Entscheidungsgründe.

( 14 ) Urteil vom 13. Mai 1981 in der Rechtssache 66/80, Slg. 1981, 1191, Randnrn. 12 bis 14 der Entscheidungsgründc.

( 15 ) Rechtssachen 117/76 und 16/77, Ruckdeschel, Slg. 1977, 1753, Randnrn. 11 bis 13 der Entscheidungsgründe.

( 16 ) Rechtssachen 166/73, a. a. O., Randnr. 2 der Entscheidungsgründe.

( 17 ) Rechtssache 61/79, Dcnkavit, Slg. 1980, 1205, Randnr. 16 der Entscheidungsgründe; s. auch Rechtssachen 66, 127 und 128/79, Salumi, Slg. 1980, 1237, Randnrn. 7 bis 9 der Entscheidungsgründc, Rechtssache 811/79, Ariete, Slg. 1980, 2545, Randnrn. 5 und 6 der Entscheidungsgründc, und Rechtssache 222/82, Apple and Pear, Urteil vom 13. Dezember 1983, Slg. 1983, 4083, Randnr. 38 der Entscheidungsgründc.

( 18 ) Verbundene sogenannte „Quellmehl“-Rechtssachen 117/76 und 16/77, 124/76 und 20/77, 64 und 113/76, Schlußanträge des Generaianwalts Capotorti zum Urteil 117/76 und 16/77, Ruckdeschel, Slg. 1977, 1753 (1788 und 1792 f.).

( 19 ) Verbundene Rechtssachen 64 und 113/76, 167 und 239/78, 27, 28 und 45/79; 241, 242, 245 bis 250/78; 238/78; 261 und 262/78 (Urteile vom 4. Oktober 1979, Slg. 1979, 2955 ff.); siehe auch Schlußanträge des Generalanwalts Reischl in der Rechtssache 66/80, a. a. O-, S. 1229.

( 20 ) Rechtssache 238/78, Ireks-Arkady, Slg. 1979, 2955, Schlußanträge des Generaianwalts Capotorti, S. 2991.

( 21 ) Siehe insbesondere Rechtssache 238/78, a. a. O., Randnr. 1 der Entscheidungsgründc, 2975, und Urteil Birra Wuhrer vom 13. November 1984 in den verbundenen Rechtssachen 256, 257, 265, 267/80, 5 und 51/81 und 282/82, Slg. 1984, 3693, Randnr. 2 der Entscheidungsgründc

( 22 ) Urteil in der Rechtssache 131/77, Slg. 1978, 1041.

( 23 ) Rechtssache 130/79, a.a.O., Randnr. 8 der Entscheidungsgründc, und Schlußanträge S. 1905 ff.

( 24 ) Rechtssache. 66/80, a. a. O., in der Sie übrigens die Frage aufgeworfen haben, welche Wirkungen einer für ungültig erklärten Verordnung „in der Fassung, in der sie vor der Feststellung ihrer Ungültigkeit angewandt wurde“, zukamen (Randnr. 22 der EntscheidungsgrUnde).

( 25 ) Rechtssache 43/75, a. a. O., Randnr. 75 der Entscheidungsgründe.

( 26 ) Rechtssache 43/75, a.a.O., Randnrn. 71 bis 74 der Entscheidungsgründc.

( 27 ) Rechtssache 61/79, a. a. O., Randnr. 17 der Entscheidungsgründe.

( 28 ) Rechtssache 811/79, a.a.O., Randnrn. 7 und 8 der Entscheidungsgründe, ebenfalls Rechtssache 128/79, a. a. O., Randnrn. 10 bis 12 der Entscheidungsgriinde, Rechtssache 61/79, a. a. O., Randnr. 18 der Entscheidungsgründe.

( 29 ) Siehe insbesondere die Schlußanträge von Generalanwalt Reischl in der Rechtssache 66/80, a. a. O., S. 1227—1230.

( 30 ) Siehe in diesem Sinne die Schlußanträge von Generalanwalt Reischl in der Rechtssache 66/80, a. a. O., S. 1236.

( 31 ) Rechtssache 61/79, a. a. O., Randnr. 17 der Entscheidungsgründe.

( 32 ) Rechtssache 43/75, a. a. O., Randnr. 74 der Entscheidungsgründe.

( 33 ) Rechtssache 130/79, a. a. O., Randnrn. 13 und 14 der Entscheidungsgründe.

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