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Document 61982CC0094

Schlussanträge des Generalanwalts Mancini vom 10. Februar 1983.
Strafverfahren gegen De Kikvorsch Groothandel-Import-Export BV.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Arrondissementsrechtbank Arnhem - Niederlande.
Freier Warenverkehr - Inverkehrbringen von Bieren.
Rechtssache 94/82.

Sammlung der Rechtsprechung 1983 -00947

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1983:33

SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

G. FEDERICO MANCINI

VOM 10. FEBRUAR 1983 ( 1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. 

In dieser Vorlagesache sollen Sie erneut Inhalt und Grenzen des in Artikel 30 EWG-Vertrag aufgestellten Verbots bestimmen. Es handelt sich im vorliegenden Fall darum zu klären, ob bestimmte inländische Vorschriften, die das Inverkehrbringen von Bier betreffen und auf inländische wie auf eingeführte Erzeugnisse anwendbar sind, unmittelbar oder mittelbar Einfuhrbeschränkungen hervorrufen können.

Ich fasse den Sachverhalt zusammen. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung De Kikvorsch Groothandel-Import-Ex-port BV (im folgenden Firma De Kikvorsch) mit Sitz in Deest in der Gemeinde Druten (Niederlande) wurde vor den Economische Politerechter (den für Wirtschaftsstrafsachen zuständigen Richter) der Arrondissementsrechtbank Arnhem geladen, um sich wegen verschiedener Anklagepunkte zu verantworten. Einer der Anklagepunkte war der, aus der Bundesrepublik Deutschland ein als „Berliner Kindl Weiße“ bezeichnetes Bier eingeführt und in den Niederlanden in den Verkehr gebracht (oder zumindest bringen gelassen) zu haben, ein Bier, das zwei der nach niederländischem Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen nicht erfüllt. Sein Säuregehalt liegt nämlich bei 3,2 und somit unter dem in Artikel 6 Absatz 4 der im Jahre 1976 ergangenen Bierverordening (Verordeningenblad Bedrijfsorganisatie vom 31. August 1976, Nr. 36) vorgesehenen Mindesgehalt (3,9); außerdem ist das Bier in Behältnissen abgepackt, deren Etikett entgegen dem in Artikel 7 Absatz 3 der genannten Verordnung aufgestellten Verbot den Stammwürzegehalt angibt.

Mit Urteil vom 28. Dezember 1981 hat der niederländische Richter das Strafverfahren ausgesetzt und gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die Anwendung von Vorschriften wie den gerade erwähnten auf Bier, das aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt worden ist, in dem es rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden ist, „als eine nach Artikel 30 EWG-Vertrag verbotene Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung anzusehen [ist], soweit der Handel mit dem Bier dadurch beschränkt oder verhindert wird.“

2. 

Zum richtigen Verständnis des Rechtsstreits ist es angebracht, einiges zu den niederländischen Rechtsvorschriften zu sagen. Man muß in der Tat bedenken, daß die Fragen des vorlegenden Gerichts, auch wenn sie allgemein gehalten sind auf Artikel 30 bezug nehmen, in Wahrheit auf die Klärung abzielen, ob einige innerstaatliche Rechtsvorschriften über den Vertrieb von Bier mit dem Vertrag vereinbar sind. Aber — das ist der Punkt — diese Rechtsvorschriften werden nicht als solche in Betracht gezogen, nämlich in ihrer konkreten Geltung, vielmehr fungieren sie als abstrakter Parameter, an dem die effektive Tragweite der Gemeinschaftsnorm zu messen ist. Um aufrichtig zu sein, es handelt sich hier um einen Kunstgriff; und — so füge ich hinzu — dieser Kunstgriff ist nicht selten. Die nationalen Gerichte bedienen sich oft des Vorabentscheidungsverfahrens in Fällen, in denen eine Behandlung aufgrund direkter Klagen gegen die Mitgliedstaaten wegen Verletzung ihrer Verpflichtungen aus dem Vertrag oder aus abgeleitetem Recht zweckdienlicher wäre, und üben so stellvertretend — wobei sie den Gerichtshof in diese ihre stellvertretende Tätigkeit einbeziehen — Befugnisse aus, die eigentlich der Kommission zustehen, oder ergreifen Initiativen, für die eigentlich die Kommission zuständig wäre.

Nun hat diese Vertretung der Kommission durch den Richter, wenngleich ihr das Verdienst zukommt, Raum für das Tätigwerden des Gerichtshofes zu schaffen und dadurch die Wahrung des Rechts zu fördern, zumindest zwei Nachteile. Zum einen führt sie zu Entscheidungen, die auf der besonderen Zuständigkeit des Artikels 177 beruhen und deshalb nicht die Wirkung der auf direkte Klagen im Sinne der Artikel 169, 170 und 171 ergehenden Urteile haben. Zum anderen hindert sie den Gerichtshof, der im Vorabentscheidungsverfahren an die ihm vorgelegten Fragen gebunden ist, die innerstaatlichen Rechtsvorschriften, deren Rechtmäßigkeit zweifelhaft ist, unter Berücksichtigung des Regelzusammenhangs zu untersuchen, in den sie eingefügt sind.

Aber kehren wir zum konkreten Fall zurück, und beschäftigen wir uns mit der niederländischen Regelung. Die bereits zitierte Bierverordening wurde von der „Produktschap voor Bier“ erlassen (die ihre Zuständigkeit auf diesem Gebiet aus dem Wirtschaftsorganisationsgesetz, der „Wet op de Bedrijfsorganisatie“, und aus dem Gesetz herleitet, mit dem diese Körperschaft selbst geschaffen wurde, der „Instellingswet Produktschap voor Bier“), um einen Beschluß des Ministerausschusses der Benelux-Wirtschaftsunion vom 31. August 1973 durchzuführen. Dazu gedacht, die das Bier betreffenden nationalen Rechtsvorschriften zu harmonisieren, enthält dieser Beschluß unter anderem das Verbot, Bier mit einem Säuregehalt (pH-Wert) von weniger als 3,9 in den Verkehr zu bringen, während er die Angabe des Stammwürzegehalts nicht verbietet.

Wie bereits gesagt, ist die Verordnung von 1976 wegen zweier Bestimmungen, Artikel 6 Absatz 4 und Artikel 7 Absatz 3, von Bedeutung. Die erste lautet: „Außer bei dem in Artikel 1 Buchstabe j) genannten Getränk“ — hier handelt es sich um Sauerbier — „muß der Säuregehalt (pH-Wert) von Getränken, auf die sich diese Verordnung bezieht, höher als 3,9 sein.“ Die zweite Bestimmung enthält zwei Verbote: das Verbot, den Stammwürzegehalt des Bieres auf der Vorverpackung oder auf dem darauf angebrachten Etikettt anzugeben (Absatz 2), und das Verbot, in den Niederlanden Bier in den Verkehr zu bringen, dessen Stammwürzegehalt nicht in einer der im ersten Absatz dieses Artikels angegebenen Kategorien aufgeführt ist. Über den Stammwürzegehalt muß die Verpackung dennoch etwas aussagen. Dies ist in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe b) festgelegt. Aber anstatt in Zahlen, wird der Stammwürzegehalt unter Bezugnahme auf die zugehörige Kategorie, also in Form eines Kürzels angegeben. So haben wir die „Cat. S“ für Bier mit einem Stammwürzegehalt von 15,5 oder mehr, die „Cat. I“ für Bier mit einem Stammwürzegehalt von 11 bis 13,5, die „Cat. II“ für Bier mit einem Stammwürzegehalt von 7 bis 9,5 und schließlich die „Cat. Ill“ für Bier mit einem Stammwürzegehalt zwischen 1 und 4.

Während es die holländische Regelung verbietet, auf der Verpackung den Zahlenwert des Stammwürzegehalts erscheinen zu lassen, verpflichtet sie andererseits zur Angabe des Alkoholgehalts auf den Behältnissen alkoholischer Getränke (zu denen natürlich auch Bier gehört), wenn sie im Handelsverkehr an Einzelpersonen abgegeben werden und nicht zum sofortigen Verbrauch bestimmt sind. Diese Vorschrift findet sich in Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe b des Getränke- und Gaststättengesetzes vom 7. Dezember 1964 (Stbl. 386), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 1977 (Stbl. 675).

3. 

Zweifellos ist eine Regelung wie die beschriebene geeignet, den innergemeinschaftlichen Handel — zumindest mittelbar — zu beeinträchtigen. Schreibt man vor, daß Bier, um in den Verkehr gebracht werden zu können, einen Säuregehalt von mindestens 3,9 haben muß, so wird damit ein Erfordernis aufgestellt, das den anderen Mitgliedstaaten unbekannt ist, und man verhindert das Eindringen von saurem Importbier auf dem Inlandsmarkt. Was ferner das Verbot betrifft, dem Stammwürzegehalt anzugeben, so liegt es auf der Hand, daß es geeignet ist, die Einfuhr von Bieren zu behindern, auf deren Verpackung aus alter Gewohnheit der entsprechende Wert erscheint: Der nichtniederländische Hersteller, der diesem Verbot entgehen will, muß sein zum Absatz innerhalb der Niederlande bestimmtes Bier anders — und zwar in einer den niederländischen Rechtsvorschriften entsprechenden Weise — verpacken.

Es steht den Mitgliedstaaten natürlich frei, Herstellung, Vertrieb und Verbrauch des Biers in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet zu regeln. Sie haben diese Befugnis behalten, da es noch an einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung fehlt. Ich darf daran erinnern, daß die Kommission dem Rat am 26. Juni 1970 den Vorschlag einer Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bier (ABl. C 105, 1970, S. 17) vorgelegt hat; doch dieser Vorschlag (der im übrigen den Mindestsäuregehalt und die Angabe des Stammwürzegehalts auf der Verpackung nicht regelte) ist inzwischen zurückgezogen worden.

Erkennt man dies an, so bleibt indessen noch die Tatsache, daß die Freiheit der Mitgliedstaaten in Artikel 30 EWG-Vertrag eine Grenze findet. Der Gerichtshof hat hierauf wiederholt hingewiesen. So hat er in seinem Urteil vom 26. Juni 1980 in der Rechtssache 788/79 (Gilli und Andres, Slg. 1980, 2071) ausgeführt: „In Ermangelung einer gemeinschaftlichen Regelung der Herstellung und Vermarktung des in Rede stehenden Erzeugnisses ist es Sache der Mitgliedstaaten, alle die Herstellung, den Vertrieb und den Verbrauch dieses Erzeugnisses betreffenden Vorschriften für ihr Hoheitsgebiet zu erlassen, vorausgesetzt allerdings, daß diese Vorschriften den innergemeinschaftlichen Handel nicht unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell behindern“ (Randnummer 5 der Entscheidungsgründe). Ähnliche Aussagen finden sich in dem etwas später ergangenen Urteil vom 19. Februar 1981 in der Rechtssache 130/80 (Kelderman, Slg. 1981, 527, Randnummer 5 der Entscheidungsgründe).

Um dem in Artikel 30 verankerten Verbot zu entgehen, müßte eine innerstaatliche Regelung mit dem Inhalt der niederländischen Regelung entweder den Voraussetzungen von Artikel 36 genügen, insbesondere derjenigen, die sich auf den Schutz der Gesundheit bezieht, oder sie müßte den zwingenden Erfordernissen — Lauterkeit des Handels und Verbraucherschutz — entsprechen, die nach Ihrer Rechtsprechung geeignet sind, gegenüber dem genannten Verbot den Ausschlag zu geben. Ich erinnere insoweit an die Urteile vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, 649), 26. Juni 1980 in der Rechtssache 788/79 (Gilli, a. a. O.) und 19. Februar 1981 in der Rechtssache 130/80 (Kelderman, a.a.O.). Untersuchen wir nun, ob in einem Fall wie dem vorliegenden die eine oder die andere der beiden Ausnahmen durchgreift.

4. 

Ich beginne mit der Untersuchung des Verbots, Bier mit einem Säuregehalt von weniger 3,9 in den Verkehr zu bringen, und weise sogleich darauf hin, daß das Bier um so saurer ist, je niedriger der — mit dem Zeichen pH angegebene — Säuregehalt ist.

Der vorlegende Richter, der mit Auskünften eher geizt, sagt uns nicht, unter welchem Gesichtspunkt die einschlägige Vorschrift gerechtfertigt werden könnte. Unter Nr. 5 des Vorlageurteils beschränkt er sich auf die Feststellung, daß für die Entscheidung der dem Gerichtshof vorgelegten Probleme „die Auslegung von Artikel 30 und gegebenenfalls von Artikel 36 EWG-Vertrag erforderlich ist“. Mehr wird nicht gesagt. Auf die Ausnahmen, von denen ich gesprochen habe, sind aber die Beteiligten — die niederländische Regierung, die Firma De Kikvorsch, die Kommission und die französische Regierung — im schriftlichen Verfahren und noch klarer in der mündlichen Verhandlung ausführlich eingegangen. Aus den mitgeteilten Daten und den Bekundungen der Sachverständigen im Rahmen des Ausgangsverfahrens gewinne ich nun die Überzeugung, daß Artikel 6 Absatz 4 der Verordnung von 1976 nicht an dem Erfordernis, die Gesundheit von Menschen zu schützen, ausgerichtet ist und deshalb nicht gemäß Artikel 36 gerechtfertigt werden kann.

Wie im Protokoll der Sitzung vom 19. Oktober 1981 nachzulesen ist, hat ein Sachverständiger der Produktschap voor Bier erklärt: „Um zu klären, ob der niedrigere Säuregehalt Konsequenzen für die Haltbarkeit des Bieres ...“ — und damit indirekt für die Gesundheit des Verbrauchers — „hat, wäre eine gründlichere Untersuchung erforderlich“. In derselben Sitzung hat ein zweiter Sachverständiger ausgeführt, der Säuregehalt sei in den niederländischen Rechtsvorschriften unter Bezugnahme auf das in den Niederlanden herkömmlicherweise hergestellte und verkaufte Bier festgesetzt worden, und ferner: „Der Schutz der öffentlichen Gesundheit hatte bei seiner Festlegung keine Rolle gespielt“.

Die niederländische Regierung hat ihrerseits im schriftlichen Verfahren vorgetragen, die Festlegung des Säuregehalts durch den Ministerausschuß der Benelux-Wirtschaftsunion, die in die Verordnung von 1976 Eingang gefunden habe, beruhe auf einem traditionellen Verständnis vom richtigen Biergeschmack. Sie hat dagegen nicht einmal andeutungsweise behauptet, daß zwischen der Festlegung des Säuregehalts und der Haltbarkeit des Erzeugnisses eine Verbindung besteht. In der mündlichen Verhandlung sodann hat der Vertreter der niederländischen Regierung den eigenen Standpunkt zu dieser Frage noch verdeutlicht und ausgeführt, die Vorschrift über den Säuregehalt habe nicht die mindeste Beziehung zum Gesundheitsschutz.

Schließlich hat die Kommission sowohl im schriftlichen Verfahren als auch in der mündlichen Verhandlung immer geltend gemacht, die genannte Vorschrift sei von den niederländischen Behörden srlassen worden, um die in den Benelux-Ländern herkömmlicherweise erzeugten und vertriebenen Bierarten zu schützen. Zur Bekräftigung dieses Standpunktes bat sie unter anderem auf ein Gutachten Bezug genommen, das in einem dem innerstaatlichen Richter vorgelegten Schreiben vom 18. November 1981 enthalten ist und vom Direktor des Civo-Analyse-Instituts TNO verfaßt worden ist. In diesem Schreiben wird nun gerade folgendes ausgeführt: „Die Festsetzung eines pH-Wertes von 3,9 in Artikel 6 der Bierverordening soll vor allem die kontinuierliche Herstellung einer bestimmten Bierart dadurch sicherstellen, daß soweit als möglich Reinzuchthefen verwendet werden. Auf diese Weise kann man die Bildung einer zu starken Säure vermeiden, die nicht der gewünschten Bierart entspricht. Zugleich gewinnt man so einen Schutz gegen ein mögliches Schlechterwerden des Bieres, was ebenfalls zu niedrigeren pH-Werten als 3,9 führen kann.“

Daß die Berufung auf den Gesundheitsschutz nicht möglich ist, wird außer durch die Ergebnisse der Beweisaufnahme in einem gewissen Sinne auch noch durch die niederländische Regelung selbst bewiesen, die das Inverkehrbringen von Bieren mit einem niedrigeren Säuregehalt als 3,9 gestattet, sofern sie nur besonderen Erfordernissen entsprechen und eine spezielle Bezeichnung tragen. So bestimmt Artikel 1 Buchstabe j) der Verordnung von 1976, daß unter Sauerbier zu verstehen ist „das Getränk, 1. das entweder durch Selbstgärung gewonnen wird, einen Extraktgehalt der Stammwürze von mindestens 11 % Plato, einen Gesamtsäuregehalt von mindestens 30 Milligrammäquivalenten NaOH und einen Gehalt an flüchtigen Säuren von mindestens 2 Milligrammäquivalenten pro Liter hat und aus einer Würze zubereitet sein muß, bei der mindestens 30 % des Gesamtgewichts der verarbeiteten stärke- und zuckerhaltigen Grundstoffe aus Weizen bestehen, 2. oder das durch Obergärung gewonnen wird und denselben Säuregehalt und Extraktgehalt der Stammwürze wie das Bier nach Nr. 1 hat.“ Nach Artikel 9 Absatz 4 muß das Getränk außerdem „eine der nachstehenden Bezeichnungen tragen: ‚gueuze‘, ‚gueuze-lambic‘, ‚lambic‘ oder auch ‚kriek lambic‘“, wenn zu seiner Herstellung „Kirschen, Kirschsaft oder Kirschextrakt“ verwandt worden ist.

All diese Gesichtspunkte geben zu zwei Bemerkungen Anlaß. Die erste liegt auf der Hand: Die Bestimmung über den Mindestsäuregehalt des Bieres wurde ausschließlich erlassen, um sicherzustellen, daß das in den Niederlanden (und in den anderen Benelux-Ländern) hergestellte und vertriebene Bier dem Bier entspricht, das dort herkömmlicherweise hergestellt und getrunken wird. In diesem Zusammenhang sollte ich vielleicht darauf hinweisen, daß Bier auf zweierlei Weise hergestellt wird: durch alkoholische Gärung mit Hilfe von Hefen (die Biere mit einem Säuregehalt nicht unter 3,9 ergibt) und durch gemischtsaure Gärung (die Biere mit einem niedrigeren Satz ergibt). Es braucht wohl nicht eigens gesagt zu werden, daß in den Niederlanden das erste Verfahren vorgezogen wird. Die zweite Bemerkung betrifft den Gesichtspunkt „Schutz der Gesundheit“. Es hat sich herausgestellt, daß der Säuregehalt — zumindest theoretisch — einen gewissen Einfluß auf die Haltbarkeit des Erzeugnisses haben kann, aber genau so klar hat sich ergeben, daß der Parameter 3,9 unter diesem Gesichtspunkt nicht zu rechtfertigen ist. Auch spürbar niedrigere Werte garantieren in nicht geringerem Maße die Haltbarkeit des Erzeugnisses und damit die Gesundheit der Verbraucher.

Es ist nun noch zu fragen — und damit prüfe ich den zweiten der beiden Gesichtspunkte, unter denen Artikel 6 Absatz 4 der Verordnung von 1976 grundsätzlich als rechtmäßig angesehen werden könnte —, ob das Verbot, andere als Sauerbiere und Biere mit einem pH-Gehalt von 3,9 in den Verkehr zu bringen, sich mit dem Schutz des Verbrauchers rechtfertigen läßt. Die niederländische Regierung scheint dieser These zuzuneigen. Nach ihrer Auffassung haben die Vorschriften von 1976, die die Eigenschaften des Bieres (einschließlich des Mindestsäuregehalts) und insbesondere die Erfordernisse (und die speziellen Bezeichnungen) des Sauerbieres festlegen, wie wir gesehen haben, lediglich den Zweck, die in den Benelux-Staaten am weitesten verbreiteten Bierarten zu beschreiben. Nun hat, abgesehen vom Sauerbier, die normalerweise in Holland durch Gärung mit Hilfe von Hefen erzeugte Bierart gerade einen Säuregehalt von nicht weniger als 3,9. Indem die niederländischen Behörden, wenn auch mit den begrenzten Ausnahmen, von denen die Rede war, das Inverkehrbringen sauerer Biere verbieten, so verfolgen sie damit im Ergebnis den Zweck, die örtlichen Verbrauchergewohnheiten zu schützen. Zwar sind dies alte Gewohnheiten, die den höchsten Respekt verdienen; sie jedoch in die Kategorie der zwingenden Wertvorstellungen Eingang finden zu lassen, deren Schutz nach Ihrer Rechtsprechung etwaige Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels rechtfertigt, ist sicherlich nicht möglich. Im übrigen ist nicht einmal die Vertretung der niederländischen Regierung so weit gegangen, eine so kühne These durchzuhalten. Bei dieser Sachlage stellt meines Erachtens das untersuchte Verbot offensichtlich eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung dar.

Auf einer anderen Linie hat sich der Vertreter der französischen Regierung bewegt. Er weist darauf hin, daß die niederländische Regelung die Herstellung und den Vertrieb von Sauerbier gestattet, jedoch andere Bezeichnungen verlangt: Daraus ist nach seiner Meinung abzuleiten, daß das Kernproblem der Ihnen vom Richter in Arnhem vorgelegten Sache in der Definition des als „Bier zu bezeichnenden Erzeugnisses“ liegt. Dies ist eine scharfsinnige Bemerkung. Das Problem, zu bestimmen, was unter „Bier“ zu verstehen ist, besteht, und es wird sich weiter stellen, solange auf diesem Gebiet die nationalen Regelungen nicht harmonisiert worden sind. Dennoch, die Frage des vorlegenden Richters deutet dieses Problem nicht einmal an und verlangt, wie mir scheint, nicht notwendig seine Behandlung. In diesem Sinne hat sich der Vertreter der niederländischen Regierung geäußert, und ich stimme mit ihm völlig überein.

5. 

Ich gehe nun zur Prüfung des zweiten Teils der Frage über, der Frage nämlich, ob das Verbot, auf der Vorverpakkung oder auf dem darauf angebrachten Etikett den Stammwürzegehalt des Bieres anzugeben, mit Artikel 30 des Vertrages vereinbar ist. Die niederländische Regierung bestreitet nicht, daß diese Vorschrift die Einfuhr mittelbar behindern kann, sie macht jedoch geltend, sie sei zum Schutz der Verbraucher gerechtfertigt. Es gehe nämlich darum zu vermeiden, daß der Verbraucher den Stammwürzegehalt mit dem Alkoholgehalt verwechselt und so über ein charakterbestimmendes Merkmal des Erzeugnisses irregeführt wird. Eine derartige Verwechslung ist in der Tat möglich, weil, wie ich bereits ausgeführt habe, die niederländischen Rechtsvorschriften im Gegensatz zu denen anderer Mitgliedstaaten (ich denke hier zum Beispiel an die deutschen Bestimmungen) verlangen, daß der Alkoholgehalt auf der Vorverpackung des Bieres angegeben wird.

Abstrakt gesehen ist das Argument stichhaltig. Es muß einem Mitgliedstaat möglich sein, spezifische, auf inländische und eingeführte Erzeugnisse anwendbare Rechtsvorschriften zu erlassen, um den Verbraucher vor einer Verwechslungsgefahr zu schützen. Im übrigen hat der Rat, gerade um einen wichtigen Aspekt der wirtschaftlichen Betätigung unter Berücksichtigung der Verbraucherinteressen zu regeln, am 18. Dezember 1978 die Richtlinie 79/112/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. L 33, 1979, S. 1) erlassen.

Dennoch sind den staatlichen Eingriffen Grenzen gesetzt, auch wenn sie wie im vorliegenden Fall auf einem Gebiet erfolgen, das noch der Harmonisierung harrt. Wir können nämlich solche Eingriffe nur dann als rechtmäßig ansehen, wenn sie sich keiner Mittel bedienen, die über das angestrebte Ziel — im vorliegenden Fall der Schutz der Verbraucher — hinausgehen. Der Gerichtshof hat zuletzt in seinem Urteil vom 9. Dezember 1981 (Rechtssache 193/80, Kommission/Italien, 1981, Slg. 3019) diese Thematik behandelt. Es ging um die Feststellung, ob eine italienische Vorschrift, die den Handel und die Einfuhr von in anderer Weise als durch die Gärung von Wein gewonnenem Essig landwirtschaftlicher Erzeugung verbot und die Bezeichnung „aceto“ dem Weinessig vorbehielt, mit Artikel 30 des Vertrages vereinbar war. Der Gerichtshof entschied sich für die Unvereinbarkeit, erkannte aber an, daß die italienische Regierung das Recht hat, die einheimischen Verbraucher, die sich „daran gewöhnt haben, daß der Begriff ‚aceto‘ im Handel nur für Weinessig gebraucht wird“, mit anderen Mitteln als dem Verbot des Inverkehrbringens zu schützen, und zwar „insbesondere durch die Verpflichtung zu einer angemessenen Etikettierung hinsichtlich der Art des verkauften Erzeugnisses mit Angaben oder ergänzenden Hinweisen, aus denen hervorgeht, um welche Art von Essig es sich bei dem angebotenen Erzeugnis handelt“ (Randnummer 27 der Entscheidungsgründe).

Wenden wir nun diesen Grundsatz auf den vorliegenden Fall an. Es erscheint einleuchtend, daß man den Verbraucher vor der Gefahr einer Verwechslung des Stammwürzegehalts mit dem Alkoholgehalt schützen kann, ohne das Inverkehrbringen des Erzeugnisses zu verbieten, auf dessen Etikett der Stammwürzegehalt angegeben ist. Meines Erachtens wird es genügen, daß diese Angabe in klarer Weise erfolgt. Oder anders gesagt, jeder muß sie als das erkennen, was sie ist, und sie leicht von der Angabe des Alkoholgehalts unterscheiden können.

6. 

Aus allen dargelegten Gründen rege ich an, die mit Urteil vom 28. Dezember 1981 in dem Strafverfahren gegen die Gesellschaft mit beschränkter Haftung De Kikvorsch vom Economische Politierechter der Arrondissementsrechtbank Arnhem gestellten Fragen wie folgt zu beantworten: Unter den Begriff „Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen“ im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag fallen das Verbot, Bier mit einem Säuregehalt (pH-Gehalt) von weniger als 3,9 in den Verkehr zu bringen oder bringen zu lassen, so wie das Verbot, den Stammwürzegehalt des Bieres auf der Vorverpackung oder dem darauf angebrachten Etikett anzugeben. Dies gilt auch, wenn die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats das Inverkehrbringen von Bieren mit niedrigerem Säuregehalt (den sogenannten „Sauerbieren“) gestatten, es jedoch davon abhängig machen, daß diese bestimmte wesentliche Eigenschaften aufweisen und eine bestimmte Aufmachung haben.


( 1 ) Aus dem Italienischen übersetzt.

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