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Document 61981CC0314

    Schlussanträge des Generalanwalts Rozès vom 17. November 1982.
    Procureur de la République und Comité national de défense contre l'alcoolisme gegen Alex Waterkeyn und andere; Procureur de la République gegen Jean Cayard und andere.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de grande instance de Paris - Frankreich.
    Werbung für alkoholische Getränke.
    Verbundene Rechtssachen 314/81, 315/81, 316/81 und 83/82.

    Sammlung der Rechtsprechung 1982 -04337

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1982:395

    SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS SIMONE ROZÈS

    VOM 17. NOVEMBER 1982 ( 1 )

    Herr Präsident,

    meine Herren Richter!

    Sie sind mit einem Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal de grande instance Paris befaßt.

    I —

    Durch Urteil vom 10. Juli 1980 ( 2 ) haben Sie wie folgt entschieden:

    „Die Französische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag verstoßen, daß sie die Werbung für alkoholische Getränke diskriminierend geregelt und somit Hindernisse für den freien Warenverkehr in der Gemeinschaft aufrechterhalten hat.“

    Eine Reihe von Gesellschaften und deren Geschäftsführer, die in einem Strafverfahren vor dem Tribunal de grande instance Paris wégen verbotener Werbung für alkoholische Getränke angeklagt wurden, machten hiergegen geltend, die Artikel L 17 Absatz 1 und L 18 des französischen Code des débits de boissons et des mesures contre l'alcoolisme, deren Nichtbefolgung ihnen vorgeworfen wurden, seien durch Ihr bereits zitiertes Urteil für mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar erklärt worden und sie seien von jeglicher Anklage freizusprechen.

    Angesichts dieses Verteidigungsvorbringens ersucht Sie das nationale Gericht in vier Gruppen von Rechtssachen, die es Ihnen gemäß Artikel 177 des Vertrages vorgelegt hat und deren Verbindung Sie angeordnet haben, darüber zu entscheiden,

    „ob das sich aus der Entscheidung vom 10. Juli 1980 ergebende Gemeinschaftsrecht im Hinblick auf Artikel 171 EWG-Vertrag in der innerstaatlichen französischen Rechtsordnung unmittelbare und sofortige Wirkung entfaltet“.

    II —

    Die Ratlosigkeit des nationalen Gerichts rührt zum einen von den verschiedenen Getränken her, um die es geht, und zum anderen von den im Anschluß an Ihr zitiertes Urteil getroffenen Ausführungsmaßnahmen.

    Die Erzeugnisse, für die die Angeklagten eine verbotene Werbung betrieben haben sollen, gehören nämlich zu zwei verschiedenen Kategorien.

    Die erste Kategorie umfaßt alkoholische Getränke, die nicht aus den Mitgliedstaaten eingeführt werden, sondern zweierlei Ursprungs sind:

    einheimischen Ursprungs: Es handelt sich um ein alkoholisches Getränk der dritten Gruppe im Sinne von Artikel L 1 des Code, und zwar um den Aperitif auf Weinbasis Saint-Raphaël, für den die Werbung eingeschränkt ist (Rechtssache 314/81);

    mit Ursprung in einem Drittstaat: Es handelt sich um Getränke, die ebenfalls zur dritten Gruppe gehören, und zwar um natürliche Süßweine („Vins doux naturels“) ( 3 ) oder Likörweine, namentlich die aus Portugal eingeführten Portweine Cruz und Cintra (Rechtssachen 315 und 316/81).

    Bei der zweiten Kategorie handelt es sich um ein alkoholisches Getränk der fünften Gruppe, das aus einem Mitgliedstaat eingeführt wird, und zwar um den schottischen Whisky „Label 5“, für das jede Werbung verboten ist (Rechtssache 83/82).

    Bezüglich der zur Ausführung eines Urteils des Gerichtshofes erforderlichen Maßnahmen bestimmt Artikel 171 folgendes:

    „Stellt der Gerichtshof fest, daß ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus diesem Vertrag verstoßen hat, so hat dieser Staat die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofes ergeben.“

    Die einzige im Anschluß an Ihr Urteil tatsächlich getroffene Maßnahme bestand nun in der Versendung eines Rundschreibens des Justizministeriums vom 10. Oktober 1980, mit dem den französischen Gerichten und Staatsanwaltschaften die aus dem Urteil vom 10. Juli 1980 zu ziehenden Schlußfolgerungen mitgeteilt wurden.

    Das Rundschreiben führt aus, die französischen Rechtsvorschriften seien nur von dem Urteil betroffen, soweit sie die Diskriminierung eines Erzeugnisses beinhalteten, das aus einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft eingeführt sei. Es unterscheidet danach,

    ob die Werbung für ein französisches, naturgemäß nicht eingeführtes Erzeugnis oder für ein aus einem Drittland eingeführtes Erzeugnis betrieben wird. In diesem Fall sei das Urteil von den französischen Gerichten nicht zu berücksichtigen;

    oder ob die Werbung für ein aus einem Mitgliedstaat eingeführtes Erzeugnis betrieben wird; in diesem Fall sei vom Strafrichter zu beurteilen, ob das Erzeugnis „tatsächlich Gegenstand einer Diskriminierung ist“ gegenüber anderen einheimischen Erzeugnissen, die als. mit diesem in einem Wettbewerbsverbältnis stehend angesehen werden können.

    Die Angeklagten sind der Ansicht, sämtliche französischen Vorschriften über die Werbung für alkoholische Getränke seien in Ihrem Urteil beanstandet worden und die Artikel L 17 und L 18 seien insgesamt unanwendbar geworden, was immer auch der Ursprung oder die Gruppe der Ware sei, für die verbotene Werbung betrieben zu haben sie angeklagt seien.

    Angesichts dieser voneinander abweichenden Rechtsmeinungen möchte das nationale Gericht wissen, welche Folgerungen es aus Ihrem Urteil für die vom Procureur de la République und vom Comité national de défense contre l'alcoolisme aufrechterhaltenen Anklagen ziehen soll.

    Im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 177 ist es nicht Ihre Aufgabe, Ihr Urteil auf den Einzelfall anzuwenden, mit dem das nationale Gericht befaßt ist. Dennoch können Sie ihm nützlichen Aufschluß über die Bedeutung Ihrer Entscheidung für die ihm vorliegenden Anklagen geben, einmal wegen der „unmittelbaren Wirkung“ des Artikels 30 — der einzigen Bestimmung, gegen die die Französische Republik nach Ihrem Urteil verstoßen hat — und zum anderen, weil die französischen Vorschriften über die Werbung für alkoholische Getränke noch nicht förmlich geändert worden sind.

    III —

    So gestellt, ist die Frage theoretisch recht einfach zu beantworten.

    Die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission, die zu Ihrem Urteil vom 10. Juli 1980 geführt hat, bezog sich nur auf Artikel 30 des Vertrages, und dieses Urteil hat folglich nur die Einschränkungen oder Verbote der Werbung als Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen bezeichnet, die Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten betreffen.

    Im übrigen haben Sie in Ihrem Urteil Emi Records vom 15. Juni 1976 ( 4 ) daran erinnert, daß

    „im Rahmen der Vertragsbestimmungen über den freien Warenverkehr... die Artikel 30 ff. über die Beseitigung der mengenmäßigen Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung in Übereinstimmung mit Artikel 3 Buchstabe a EWG-Vertrag ausdrücklich vorgehen], daß solche Beschränkungen und Maßnahmen izwischen den Mitgliedstaaten' verboten sind“.

    1.

    Gemäß der Reihenfolge, in der über diese Rechtssachen verhandelt worden ist, werde ich mit der zweiten Art von Erzeugnissen, um die es hier geht, beginnen, d. h. mit dem aus einem Mitgliedstaat eingeführten Whisky, bei dem die Lösung des Problems auch der französischen Regierung keinerlei Schwierigkeit bereiten dürfte und in bezug auf den das Comité national de defense contre l'alcoolisme nicht als Nebenkläger aufgetreten ist.

    Denn in einem früheren Urteil vom 27. Februar 1980 zwischen denselben Parteien (Kommission/Republik Frankreich).haben Sie ausgeführt, daß

    „es... allen Branntweinen gemeinsame Züge [gibt], [ob sie aus der Destillation von Getreide oder Wein hervorgehen,] die genügend ausgeprägt sind, um in allen Fällen die Annahme zuzulassen, daß wenigstens ein teilweiser oder potentieller Wettbewerb vorliegt“. ( 5 )

    In Randnummer 16 der Entscheidungsgründe des Urteils vom 10. Juli 1980 ( 6 ) weisen Sie darauf hin, daß

    „das... zwar [als Grundsatz] im Rahmen eines Rechtsstreits über die Besteuerung von Branntwein entschieden [wurde], ... jedoch aus den gleichen Gründen auch für die Prüfung der Frage zu[trifft], ob eines der in den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag genannten Handelshemmnisse vorliegt“.

    Nach Randnummer 20 der Entscheidungsgründe dieses Urteils ( 7 ) hat aber

    „die Französische Republik durch die Regelung der Werbung für alkoholische Getränke... gegen Artikel 30 EWG-Vertrag verstoßen..., da diese eine mittelbare Beschränkung der Einfuhr von alkoholischen Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten dadurch bewirkt, daß der Vertrieb dieser Erzeugnisse rechtlich oder tatsächlich strengeren Vorschriften unterworfen ist, als sie für konkurrierende inländische Erzeugnisse gelten“.

    Daraus ergibt sich meines Erachtens ziemlich klar, daß der aus einem Mitgliedstaat eingeführte Whisky genauso zu behandeln ist wie die inländischen unmittelbar konkurrierenden Getränke, d. h. die Getränke der vierten Gruppe (insbesondere Kognak), für die nach der derzeitigen französischen Rechtslage clic Werbung völlig frei ist

    In diesem Ppnkt erforderte Ihr Urteil grundsätzlich Kein Einschreiten des französischen Gesetzgebers, denn fe naţionale Verbot blieb nur für unmittelbar all'i Drittländern eingeführten Whisky gültig.

    Es ist somit ausreichend — aber auch geboten —, daß die Betroffenen von jeglicher Anklage freigesprochen worden. Denn dies ergibt sich insbesondere aus Ihrem Urteil Schonenberg vom 16. Februar 1978 ( 8 ), in dem Sie ausgeführt haben:

    „Eine strafrechtliche Verurteilung aufgrund einer nationalen Rechtsvorschrift, die für gemeinschaftsrechtswidrig erkannt worden ist, ist ebenfalls mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar.“

    2.

    Im Fall der nicht aus Mitgliedstaaten eingeführten Getränke stellt sich die Frage anders.

    Wie ich ausgeführt habe, gehören zu dieser Art von Erzeugnissen sowohl die französischen als auch die aus Drittländern stammenden Getränke. Ich behandele beide Fälle nacheinander.

    a) Inländische Erzeugnisse

    Die Angeklagten (in der Rechtssache 314/81) tragen vor, wende man den Code des débits de boisson auf aus Mitgliedstaaten eingeführte Erzeugnisse nicht an (z. B. nicht auf Whisky, der nach Ihrem Urteil den Getränken der vierten Gruppe gleichzustellen ist, für die die Werbung nicht eingeschränkt ist), während man ihn auch weiterhin anwende, soweit es sich um inländische Erzeugnisse der dritten Gruppe handele (Saint-Raphaël, für den nur eine eingeschränkte Werbung zulässig ist) stelle dies eine „umgekehrte Diskriminierung“ dar.

    Es handelt sich hier tatsächlich um Erzeugnisse die entweder wenigstens teilweise artig sind — „... der Begriff [ist]... hinreichend flexibel auszulegen“ ( 9 ) — oder die miteinander „teilweise mittelbar oder potentiell im Wettbewerb stehen“ ( 10 ). Nun haben Sie aber schon entschieden, daß es, was die Gleichartigkeit und das Wettbewerbsverhältnis zwischen den erwähnten Erzeugnissen angeht, genügt, auf Ihr Urteil vom 27. Februar 1980 in der Rechtssache 168/78 betreffend die Besteuerung von Branntwein zu verweisen, dem ein Verfahren zwischen denselben Parteien zugrunde lag ( 11 ). Halten wir fest, daß es sich um natürliche Süßweine und eingeführte Likörweine einerseits, und um typische Branntweine der inländischen Erzeugung sowie um eingeführte Branntweine aus Getreide andererseits handelte.

    Nach Ansicht der Betroffenen verstößt eine derartige unterschiedliche Behandlung gegen:

    Artikel 3 Buchstabe f des Vertrages,

    Artikel 7 Absatz 1 des Vertrages,

    den zu den allgemeinen Rechtsprinzipien des Gemeinschaftsrechts gehörenden Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor der Wirtschaftsgesetzgebung,

    den durch den Gerichtshof gewährleisteten Schutz der Grundrechte.

    In der mündlichen Verhandlung haben sich dieselben Verfahrensbeteiligten auch auf die Ausführungen des Procureur general bei der Cour d'appel Paris vom 24. Mai 1981 sowie auf das Urteil dieses Gerichts vom 14. Juni 1982 in der Strafsache Seul und andere bezogen, die eine Werbekampagne für verschiedene Getränke der fünften Gruppe, namentlich für Pastis, einen Aperitif auf Anisbasis, betraf.

    Der Procureur général hatte ausgeführt, daß „die Aufrechterhaltung der angegriffenen Vorschriften ausschließlich in bezug auf inländische Erzeugnisse eine umgekehrte Diskriminierung darstellen und gegen den Verfassungsgrundsatz der Gleichbehandlung vor dem Gesetz verstoßen würde, wie er in der Erklärung der Menschenrechte niedergelegt ist und nicht nur von der französischen Verfassung, sondern auch von der Europäischen Menschenrechtskonvention aufgegriffen wurde“.

    Die Cour d'appel war der Ansicht, daß

    „von dem Augenblick an, in dem durch das vorstehend erwähnte Urteil ( 12 ) die französischen Rechtsvorschriften als solche und insbesondere der in dem Zitat genannte Artikel L 17 insgesamt für mit dem Römischen Vertrag unvereinbar erklärt worden sind, weil sie in dem fraglichen Bereich eine unterschiedliche Behandlung einführen, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr zu behindern, kein Anlaß besteht, einen Unterschied zwischen den aus einem Mitgliedstaat eingeführten und den übrigen Getränken zu machen“,

    wobei sie hinzufügte, daß,

    „auch wenn gemäß Artikel 36 des genannten Vertrages im vorliegenden Fall die Belange der Volksgesundheit nicht übersehen werden dürfen, es doch darauf ankommt, innerhalb des Gemeinsamen Marktes nicht Rechtsvorschriften bestehen zu lassen, die nach der in diesem Artikel gebrauchten Formulierung einem ‚Mittel zur willkürlichen Diskriminierung‘ oder einer ‚verschleierten Beschränkung‘ in dem zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft bestehenden Warenaustausch gleichkommen können...“

    Wie ich bereits ausgeführt habe, sind im Tenor Ihres Urteils vom 10. Juli 1980 die französischen Vorschriften nicht insgesamt und als solche für mit dem Römischen Vertrag unvereinbar erklärt worden.

    Was die „umgekehrte Diskriminierung“ angeht, so ist der Gerichtshof zweifellos für den Schutz der Grundrechte zuständig, soweit sich Handlungen der Behörden der Gemeinschaften auf diese auswirken können. Die sich in den vorliegenden Verfahren stellende Frage hat jedoch nichts mit einer eventuellen Verletzung der Grundrechte durch Handeln der Organe der Gemeinschaften zu tun. Ihr Urteil verpflichtet die nationalen Behörden nicht zur „Aufrechterhaltung der angegriffenen Vorschriften ausschließlich in bezug auf inländische Erzeugnisse“; es ist in dieser Hinsicht völlig neutral. Es ist somit im Rahmen dieser Verfahren nicht Ihre Aufgabe, über die Vereinbarkeit der Anwendung von Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die Diskriminierungen zum Nachteil von Angehörigen dieses Staates mit sich bringen kann, mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts zu befinden.

    Somit ist das übrige Vorbringen der Beteiligten zu prüfen.

    Der zitierte Artikel 3 Buchstabe f des Vertrages bestimmt:

    „Die Tätigkeit der Gemeinschaft... umfaßt nach Maßgabe dieses Vertrages und der darin vorgesehenen Zeitfolge:

    ...

    die Errichtung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen schützt...“

    Auch wenn dieser Artikel einen der Grundsätze aufstellt, auf denen die Gemeinschaft beruht, so entfaltet er doch seine Wirkung lediglich im Rahmen der spezifischen Bestimmungen, auf die er verweist, d. h. im Rahmen der Wettbewerbsregeln ( 13 ) und nicht im Rahmen des freien Warenverkehrs ( 14 ).

    Nach Artikel 7 Absatz 1

    „[ist] unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages... in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten“.

    Stellt diese Bestimmung ein allgemeines Verbot der umgekehrten Diskriminierungen auf?

    Das scheint nicht so.

    Nach Ihrer Rechtsprechung gilt ein derartiges Verbot auf dem Gebiet der Freizügigkeit ( 15 ); im übrigen besteht es hingegen nur aufgrund von Spezialvorschriften des Vertrages oder soweit eine gemeinsame Politik besteht, was im vorliegenden Fall nicht zutrifft.

    Dementsprechend haben Sie im Urteil Peureüx vom 13. März 1979 ( 16 ) entschieden:

    „Weder Artikel 37 noch Artikel 95 EWG-Vertrag verbietet es, daß ein Mitgliedstaat inländische Erzeugnisse — insbesondere bestimmte Branntweine —, mögen sie einem Handelsmonopol unterliegen oder nicht, mit höheren inländischen Abgaben belastet, als sie gleichartige, aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte Erzeugnisse zu tragen haben.“

    In jüngerer Zeit haben Sie in Ihrem Urteil Vedel Vom 16. Februar 1982 ( 17 ) das Vorliegen einer umgekehrten Diskriminierung außer Betracht gelassen, der ein auf dem inländischen Markt hergestelltes Erzeugnis gegenüber gleichartigen, aus anderen Mitgliedstaaten stammenden Erzeugnissen Unterliegen konnte.

    Was die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten angeht, so bestimmt ihr Artikel 6 Absatz 1 :

    „Jedermann hat Anspruch darauf, daß seihe Sache in billiger Weise öffentlich Und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat...“

    Der ebenfalls von den Angeklagten angeführte Artikel 14 bestimmt:

    „Der Genuß der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten muß ohne Unterschied des Geschlechts, der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, politischen oder sonstigen Anschauungen, nationalen oder sozialen Herkunft, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status gewährleistet werden.“

    Diese beiden Bestimmungen sind wohl in den vorliegenden Verfahren nicht einschlägig.

    Schließlich besteht zwar der Grundsatz der Gleichheit vor dem Strafgesetz in der französischen Verfassungsordnung; er scheint mir aber der Gemeinschaftsrechts- ofdnung fremd zu sein, die sozioökonomischer Natur ist.

    Folglich ist es Sache der französischen Gerichte, unter der Kontrolle der Cour de Cassation zu dieser „umgekehrten Diskriminierung“ Stellung zu nehmen.

    Die Cour de cassation hat in dieser Hinsicht bis heute entgegen dem Vorbringen der Kommission in der mündlichen Verhandlung keineswegs entschieden, daß „die Rechtmäßigkeit der (französischen) Strafgesetze im Hinblick auf die Bestimmungen des Vertrages, deren Rang höher ist als der des innerstaatlichen Rechts, nicht je nach der Staatsangehörigkeit der Angeklagten und der Herkunft des Erzeugnisses, das Gegenstand der streitigen Werbung ist, unterschiedlich beurteilt werden kann“; es handelt sich hierbei um einen von einigen der Kassationskläger vorgebrachten Kassationsgrund und nicht um einen Entscheidungsgrund des Urteils, das die Cour de Cassation am 1. Oktober 1979 erlassen hat ( 18 ).

    b) Aus Drittländern eingeführte Getränke

    Die Betroffenen in den Rechtssachen 315/81 und 316/81 berufen sich in ihren schriftlichen Erklärungen ausschließlich auf den umfassenden Charakter der sich aus Ihrem Urteil ergebenden Unvereinbarkeitserklärung.

    Ich glaube, gezeigt zu haben, daß Ihr Urteil nicht diesen Charakter hatte.

    In ihren schriftlichen Erklärungen spricht die Kommission die Frage an, ob sich das am 22. Juli 1972 zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Portugal unterzeichnete Freihandelsabkommen zugunsten dieser Betroffenen auswirke. In der mündlichen Verhandlung haben die Betroffenen (in der Rechtssache 316/81) sich ebenfalls auf die Bestimmungen dieses Abkommens berufen; sie haben geltend gemacht, es sei jedenfalls denjenigen Erzeugnissen aus Drittländern eine Gleichbehandlung zu gewähren, die sich gemäß den Artikeln 9 und 10 des Vertrages in den Mitgliedstaaten im freien Verkehr befänden.

    Obwohl dieser Aspekt des Problems durch das nationale Gericht nicht ausdrücklich aufgeworfen worden ist, will ich kurz auf ihn eingehen; die Auswirkungen Ihres Urteils haben nämlich in Frankreich in einem gewissen Maße eine relative Rechtsunsicherheit erzeugt, die auszuräumen von Interesse sein mag.

    Die Artikel 14 Absatz 2 und 23 des Abkommens EWG—Portugal entsprechen den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag. Die Ähnlichkeit ihres Wortlauts ist jedoch kein ausreichender Grund dafür, Ihre Rechtsprechung vom 10. Juli 1980, die das Verhältnis zwischen dem Schutz der Volksgesundheit und den Vorschriften über den freien Warenverkehr im Rahmen der Gemeinschaft bestimmt, auf das System des Abkommens zu übertragen ( 19 )

    Hingegen sollten die aus Drittländern (Portugal oder andere) eingeführten Getränke, die in einen anderen Mitgliedstaat als Frankreich eingeführt und dort verzollt worden sind, genauso wie gleichartige Getränke dieses anderen Mitgliedstaats in Frankreich Gegenstand von Werbekampagnen sein dürfen, vorausgesetzt, die Marktteilnehmer weisen nach, daß die durchgeführte Werbung nur Waren betrifft, die in den übrigen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft in den freien Verkehr gebracht worden sind.

    IV —

    Abschließend möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch auf einige Überlegungen lenken.

    Wie ich ausgeführt habe, ist es rein unter dem Gesichtspunkt des freien Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten (Artikel 30) ohne Belang, wenn die nationalen Behörden in bezug auf inländische oder unmittelbar aus Drittländern eingeführte Waren Anstrengungen zur Eindämmung des übermäßigen Alkoholkonsums unternehmen. Sie selbst haben dem Umstand, daß die Einteilung des Artikels L 1 des französischen Code auf bestimmten Unterschieden in der Herstellungsart wie in den typischen Eigenschaften des Erzeugnisses beruht, keinerlei Bedeutung beigemessen; es genügte das Bestehen eines, wenn auch nur teilweisen, mittelbaren, potentiellen oder ähnlichen Wettbewerbs zwischen zwei Gruppen von Getränken.

    Unter dem Gesichtspunkt der Volksgesundheit, die mangels einer gemeinsamen Politik auf diesem Gebiet ein legitimes Anliegen des nationalen Gesetzgebers bleibt, sehen die Dinge — unabhängig von dem, was Rechtsanwalt Mortelmans die „Wachstumsstörüng“ nennt, die die umgekehrte Diskriminierung darstelle — jedoch anders aus. Der Kampf gegen den Alkoholismus ist ein unteilbares Gebot, bei dem keine Unterscheidungen gemacht werden sollten, je nachdem, ob man sich auf dem Gebiet des innergemeinschaftlichen Handels befindet oder nicht.

    Man kann sich nämlich fragen, warum die Werbung für die inländischen Anis-Aperitifs wie den Pastis völlig verboten, während sie für Getreide- Und Wacholderbranntwein aus den arideren Mitgliedstaaten geduldet Sein soll. Soll ferner für die zuletzt genannten Getränke die Werbung nach dem Muster der Getränke der zweiten Und vierten Gruppe völlig frei sein, während für die Getränke der dritten Gruppe hur eine eingeschränkte Werbung zulässig ist? Sollen alle natürlichen Süßweine Und alle Aperitifs auf Weinbasis aus den anderen Mitgliedstaaten (für die die Werbung derzeit noch eingeschränkt ist) wie die der Steuerregeluhg für Weine unterliegenden französischen natürlichen Süßweine behandelt werden (für die die Werbung frei ist)?

    So gesehen kann die allgemeine Gleichbehandluhg der aus den anderen Mitgliedstaaten eingeführten Erzeughisse zu einer Woge von Werbeannoncen führen, die dem vom Gesetzgeber angestrebten Ziel genau zuwiderliefe. Dies würde auf eine Änderung der nationalen Regelung hinauslaufen, so daß sie für den freien Warenverkehr optimal, für die Volksgesundheit jedoch so schlecht wie möglich ausgestaltet wäre.

    Nach meiner Ansicht kann dieser Lage nur auf zweierlei Weise abgeholfen werden:

    entweder durch die Harmonisierung oder Angleichung der nationalen Vorschriften auf dem Gebiet der Werbung für alkoholische Getränke (gestützt auf die Artikel 100 oder 235 des Vertrages), wobei die steuerliche Behandlung soweit wie möglich den Erfordernissen der Volksgesundheit entsprechen müßte,

    oder durch eine völlige Neugestaltung der französischen Rechtslage in bezug auf die Werbung für alkoholische Getränke, Diese Richtung haben offenbar die französischen Stellen mit der Einreichung eines Gesetzentwurfs über die Werbung für alkoholische Getränke am 24. Mai 1980 eingeschlagen.

    Beim derzeitigen Stand der Dinge kann ich Ihnen nur vorschlagen, auf die von dem nationalen Gericht vorgelegte Frage wie folgt für Recht zu erkennen:

    Die Regelung eines Mitgliedstaats über die Werbung für alkoholische Getränke, die der Gerichtshof als Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag qualifiziert hat, ist gemäß Artikel 171 nur auf gleichartige Waren aus den anderen Mitgliedstaaten unanwendbar.


    ( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt.

    ( 2 ) Rechtssache 152/78 — Kommission/Frankreich — Slg. 1980, 2300.

    ( 3 ) Soweit sie nicht der Steucrregelung für Weine der zweiten Gruppe unterliegen.

    ( 4 ) SIg. 1976, 904, Randnummer 8 der EntK'licidungsgründe.

    ( 5 ) SIg. 1980, 362, Randnummer 12 der Hnischcidungsgründe.

    ( 6 ) SIg. 1980,2316.

    ( 7 ) SIg. 1980, 2317.

    ( 8 ) SIg. 1978, 493.

    ( 9 ) Urteil vom 27. Februar 1980, Slg. 1980, 359, Randnummer 5 der Entscheidungsgründe.

    ( 10 ) Urteil vom 27. Februar 1980, Slg. 1980, 360, Randnummer 6 der Entscheidungsgründe.

    ( 11 ) Urteil vom 10. Juli 1980, Slg. 1980, 2315, Randnummer 13 der Entscheidungsgründe.

    ( 12 ) Ihr Urteil vom 10. Juli 1980.

    ( 13 ) Titel I des Dritten Teils.

    ( 14 ) Titel I des Zweiten Teils.

    ( 15 ) Niederlassungsrecht des Artikels 52; Urteil Knoors vorri 7. Februar 1979, Slg. 19/9, 400.

    ( 16 ) Slg. 1979, 915; siehe Schlußanträge von Generalanwalt Mayras vom 14. Dezember 1978, Slg. 1979, 920—921.

    ( 17 ) Siehe meine Schlußanträge vom 20. Oktober 1981, Slg. 1982,481—486.

    ( 18 ) Rossi di Montalcra und andere.

    ( 19 ) Siehe Randnummer 15 der Enischeidungsgründe Ihres Urteils Polydor vom 9. Februar 1982.

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