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Document 61981CC0210

Schlussanträge des Generalanwalts Rozès vom 28. Juni 1983.
Oswald Schmidt, Inhaber der Firma Demo-Studio Schmidt, gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Wettbewerb - Vertrieb von Hi-Fi-Geräten.
Rechtssache 210/81.

Sammlung der Rechtsprechung 1983 -03045

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1983:174

SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS SIMONE ROZÈS

VOM 28. JUNI 1983 ( 1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag hat Herr Oswald Schmidt, handelnd unter der Firma Demo-Studio Schmidt, Wiesbaden, am 13. Juli 1981 beim Gerichtshof eine Klage auf Aufhebung des abschließenden Bescheids der Kommission vom 11. Mai 1981 erhoben, mit dem diese einen gemäß Artikel 3 Absatz 2 Buschstabe b der Verordnung Nr. 17 ( 1 ) gestellten Antrag abgelehnt hatte, die Firma Revox dazu zu verpflichten, ihn nach ihrem „EG-Vertriebsbindungsvertrag“ zu beliefern.

I —

Der Sachverhalt ist — kurz zusammengefaßt — folgender:

Neben seiner Tätigkeit als Konstrukteur in einer Maschinenfabrik betreibt der Kläger seit 1975 in Wiesbaden ein Handelsgeschäft auf dem Unterhaltungselektroniksektor. Sein Verkaufsprogramm, das sich anfänglich nur auf Geräte der Firma Studer Revox GmbH in Löffingen (im folgenden als Revox bezeichnet) erstreckte, die nicht der Vertriebsbindung unterlagen, wurde in der Folge auf Fernsehgeräte und Aktivlautsprecher ausgedehnt, die zu zwei anderen Marken gehörten. Seine Geschäftsräume mit einer Fläche von ungefähr 15 m ( 2 ) waren täglich von 15.45 Uhr oder 16 bis 18 Uhr sowie am Samstagvormittag geöffnet.

Die Firma Revox führte mit Wirkung vom 1. September 1977 eine neue „EG-Vertriebsbindung“ für den Fachhandel mit Fernseh-, Rundfunk- und Phonogeräten im Gemeinsamen Markt ein; diese Vertriebsbindung wurde durch die Einführung einer neuen Fassung geändert, die am 10. Februar 1978 in Kraft trat. Die rechtliche Grundlage dieses Vertriebssystems, das für Hochtechnologieerzeugnisse der zweiten Generation, genannt „Serie B“, gilt, bilden Musterverträge, die die Firma Revox mit den von ihr ausgewählten Facheinzelhändlern abschließt. Diese Auswahl erfolgt aufgrund objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art, die sich auf die fachliche Eignung der Wiederverkäufer und ihres Personals, die technische Ausstattung der Verkaufsräume sowie auf die Einhaltung der üblichen Öffnungszeiten beziehen. Dieses Vertriebsbindungssystem verbietet es den Vertragspartnern, Vertragsware an freie Händler abzugeben.

Nach der Einführung der „EG-Vertriebsbindung“ machte die Firma Revox die Lieferung von Geräten der Serie B an den Kläger davon abhängig, daß seine Verkaufsräume ganztägig geöffnet seien. Um diese Bedingung zu erfüllen, stellte der Kläger einen Verkäufer unter dem Vorbehalt ein, daß ihm die durch die Vertriebsbindung erfaßten Waren geliefert würden.

Trotz seiner Bemühungen teilte die Firma Revox dem Kläger mehrfach mündlich und zuletzt am 27. Dezember 1979 schriftlich mit, daß er nicht als Facheinzelhändler zugelassen und auch nicht beliefert werden könne, da er die in der Vertriebsbindung der Firma Revox enthaltenen Voraussetzungen nicht erfülle.

Mit Schreiben vom 7. Juni 1980 erhob der Kläger schließlich bei der Kommission eine Beschwerde gemäß Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe b der Verordnung Nr. 17 gegen die Weigerung, Revox-Erzeugnisse der „Serie B“ zu liefern, und beantragte, die Firma Revox zur sofortigen Belieferung zu verpflichten.

Gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 vom 25. Juli 1963 ( 3 ) teilte die Kommission dem Kläger mit Schreiben vom 18. September 1980 mit, daß das Ergebnis ihrer Untersuchung es nicht rechtfertige, seinem Antrag stattzugeben. Sie forderte ihn auf, zu dieser Beurteilung innerhalb eines Monats Stellung zu nehmen.

Auf die Erklärungen des Klägers hin, mit denen er seine Beschwerde aufrechterhielt, teilte die Kommission am 11. Mai 1981 mit einem mit Gründen versehenen Bescheid die Ablehnung dieser Beschwerde mit. Sie führte insbesondere aus, daß sie keinen Grund habe, die Firma Revox zur Lieferung zu verpflichten, da keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß die Weigerung der Firma Revox den Tatbestand des Mißbrauchs einer beherrschenden Stellung im Sinne des Artikels 86 EWG-Vertrag erfülle oder daß ihr Vertriebssystem gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstoße.

Der Kläger beantragt, diesen Bescheid aufzuheben und die Kommission zu verpflichten, ihn unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichtshofes erneut zu bescheiden.

II —

1. Zum ersten Klageantrag

A — Zur Zulässigkeit

Die Kommission bestreitet die Zulässigkeit dieses Antrags nicht, da ihr Bescheid abschließend und mit einer ausführlichen rechtlichen Begründung versehen sei.

Sie trägt jedoch vor, der streitige Bescheid könne den Kläger nicht beschweren, da er weder die Möglichkeit habe, die Kommission zu verpflichten, gegen Eingriffe in den Wettbewerb vorzugehen, noch einen Anspruch auf eine anfechtbare Entscheidung über seinen gemäß Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe b der Verordnung Nr. 17 gestellten Antrag: Er habe in jedem Fall keinen Schaden erlitten.

Die Firma Revox, die dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Anträge der Kommission auf Klageabweisung als Streithelferin beigetreten ist, ist der Auffassung, die gesamte Klage sei unzulässig, da dem Kläger ein Rechtsschutzinteresse fehle: die Klage sei nämlich darauf gerichtet, mit Hilfe der Kommission und zu Lasten der Streithelferin einen angeblichen Anspruch des Klägers auf Belieferung durchzusetzen.

Ein derartiger Anspruch könne aber allenfalls vor den Gerichten der Mitgliedstaaten nach innerstaatlichem Recht geltend gemacht werden. Selbst wenn der Gerichtshof den streitigen Bescheid aufhebe und dem zweiten Klageantrag stattgebe, erreiche der Kläger keineswegs das Ziel, das er verfolge, nämlich beliefert zu werden. Materiell-rechtlich gesehen beschwere der Bescheid der Kommission vom 11. Mai 1981 den Kläger also nicht. Außerdem räume das Kartellverfahren dem Beschwerdeführer keinen Anspruch darauf ein, die Kommission zum Tätigwerden zu verpflichten. Der Kommission sei im Gegenteil im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens das Recht zuzugestehen, offenkundig unbegründeten oder zu anderen als den angegebenen Zwekken gestellten Anträgen nicht stattzugeben.

a)

Ich weise zunächst darauf hin, daß der Gegenstand der Klage sich allein aus dem Vorbringen und den Anträgen des Klägers ergibt. Nach seinem Wortlaut selbst geht der erste Klageantrag nicht auf Belieferung des Klägers, sondern auf die Aufhebung des Aktes, durch den die Kommission ihm mitgeteilt hat, daß sie seiner förmlichen Beschwerde nicht stattgebe. Auch wenn diese am 7. Juni 1980 eingereichte Beschwerde dahin geht, die Streithelferin zur sofortigen Belieferung des Klägers zu verpflichten, muß sie doch in Wirklichkeit als ein Antrag an die Kommission ausgelegt werden, nach Artikel 3 Absätze 1 und 2 Buchstabe b der Verordnung Nr. 17 eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag festzustellen und die Firma Revox durch Entscheidung zu verpflichten, die festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen.

Der Bescheid der Kommission vom 11. Mai 1981 auf diesen Antrag kann daher nur in dem Sinne verstanden werden, daß die Kommission es abgelehnt hat, ihm stattzugeben.

Allein gegen diese Ablehnung richtet sich der erste Antrag der gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag eingereichten Klage.

Auch der zweite Klageantrag richtet sich nicht auf ein Vorgehen der Kommission gegen eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 oder Artikel 86, sondern allein auf die Abgabe eine neuen Stellungnahme aufgrund einer zutreffenden rechtlichen Beurteilung.

b)

Nach dem Gegenstand des Rechtsstreits hängt die Zulässigkeit der Klage daher nicht davon ab, ob der Kläger das Recht hat, die Kommission zum Tätigwerden gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu verpflichten, oder ob er einen Anspruch darauf hat, daß auf seinen Antrag eine anfechtbare Entscheidung ergeht; nach ihrer im IBM-Urteil ( 4 ) zusammengefaßten ständigen Rechtsprechung ist der erste Klageantrag in jedem Fall dann zulässig, wenn der streitige Bescheid eine Maßnahme darstellt, „die verbindliche Wirkungen erzeug[t], welche die Interessen des Klägers durch einen Eingriff in seine Rechtsstellung beeinträchtigen“. In diesem Urteil haben Sie auch darauf hingewiesen, daß die Zulässigkeit der Klage insbesondere weder von der Form, in der diese Maßnahme getroffen worden ist, noch von ihrer Qualifizierung im Rahmen des Artikels 189 EWG-Vertrag abhängt; es ist auf ihr Wesen abzustellen.

Nach diesen Kriterien ist daher nicht nur von Bedeutung, daß das Schreiben an den Kläger vom 11. Mai 1981 nach Auffassung der Kommission eine anfechtbare Entscheidung im Sinne von Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag darstellt, sondern auch daß ihr Adressat verstehen konnte, daß es sich nach Inhalt und Form um eine derartige Entscheidung handelte. Insbesondere aus dem Wortlaut dieses Schreibens ergibt sich, daß die Kommission auf die Erklärungen des Klägers zu der Mitteilung gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 diesem einen „abschließenden Bescheid“ erteilt hat. Es handelt sich also nicht um ein schlichtes Verwaltungsschreiben einer Generaldirektion wie in den Rechtssachen Giry und Guerlain ( 5 ). Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit ist es daher unerheblich, ob die Kommission für den Erlaß eines derartigen Aktes, der nicht ausdrücklich in der Verordnung Nr. 17 vorgesehen ist, zuständig war oder ob — wie in der Rechtssache GEMA ( 6 ) — die Stellung eines Antrags im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 einen Anspruch entstehen läßt, von der Kommission eine anfechtbare Entscheidung zu erhalten.

c)

Schließlich beschwert die ablehnende Entscheidung — entgegen der von der Kommission und der Streithelferin vertretenen Auffassung — den Kläger, und es erscheint gerechtfertigt, die Zulässigkeit der Klage zu bejahen. Die Kommission verfügt bei der Entscheidung über die Eröffnung eines Verfahrens nach der Verordnung Nr. 17 über einen weiten Ermessensspielraum; wie ich in meinen Schlußanträgen in der Rechtssache FEDIOL ( 7 ) unterstrichen habe, ist aber ein vollkommen freies Ermessen der Verwaltung unvereinbar mit der Vorstellung von Recht, die der Gemeinschaftsrechtsordnung zugrunde liegt. Die Ausübung von Ermessen setzt notwendigerweise die Beachtung der Zweckbestimmung dieses Ermessens voraus. Die einzelnen haben folglich einen Anspruch darauf, daß das Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt wird, da die Vorschrift, die dieses Ermessen einräumt, auch in ihrem Interesse erlassen worden ist. Im vorliegenden Fall genügt Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe b der Verordnung Nr. 17, der natürlichen und juristischen Personen, die ein berechtigtes Interesse darlegen, das Recht einräumt, einen Antrag zu stellen, um nachzuweisen, daß bestimmte Individualinteressen bei der Ausübung dieser Befugnisse zu berücksichtigen sind, und bei Ablehnung eines Antrags ist die gerichtliche Kontrolle der ordnungsgemäßen Ausübung dieses Ermessens zuzulassen.

d)

Für die Zulässigkeit der Klage spricht auch noch, wie in der vorletzten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 17 hervorgehoben wird, daß „alle Entscheidungen, welche die Kommission in Anwendung dieser Verordnung erläßt, ... unter den im Vertrag bestimmten Voraussetzungen der Überwachung durch den Gerichtshof [unterliegen]“.

e)

Sie sind offenbar von diesen Überlegungen ausgegangen, als Sie im Metro-Urteil ( 8 ) entschieden, es liege im Interesse eines sachgerechten Rechtsschutzes und einer ordnungsgemäßen Anwendung der Artikel 85 und 86, daß natürliche oder juristische Personen, die nach Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe b der Verordnung Nr. 17 einen Antrag zu stellen berechtigt seien, bei völliger oder teilweiser Ablehnung ihres Antrags über eine Klagemöglichkeit zum Schutz ihrer berechtigten Interessen verfügen. Sie haben daraus hergeleitet, daß der Antragsteller im Sinne von Artikel 173 Absatz 2 durch die an eine andere Person gerichteten Entscheidungen unmittelbar und individuell betroffen sei. Die Notwendigkeit eines gleichwertigen Rechtsschutzes ist in jedem Fall dann anzuerkennen, wenn der Antragsteller selbst der Adressat der ablehnenden Entscheidung ¡st. Es ist folglich davon auszugehen, daß die Klage gegen das Schreiben der Kommission vom 11. Mai 1981 zulässig ist.

B — Zur Begründetheit

Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, die Weigerung der Kommission, gegen die Firma Revox wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsvorschriften vorzugehen, stelle eine Verletzung des Vertrages und der bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnormen sowie einen Ermessensmißbrauch von Seiten der Kommission dar. Der Kläger ist der Auffassung, er sei von dem Vertriebssystem für die Erzeugnisse der Marke Revox in einer Weise ausgeschlossen worden, die den Wettbewerb beschränke, und meint, die Kommission hätte gegen eine derartige Zuwiderhandlung vorgehen und insbesondere die Firma Revox dazu verpflichten müssen, ihn zu beliefern.

Die angefochtene Entscheidung kann jedoch nur dann für rechtswidrig erklärt und dementsprechend aufgehoben werden, wenn die Kommission das ihr in Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 eingeräumte Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt hat. Die Erfüllung dieser Voraussetzung setzt aber ihrerseits die Feststellung eines Verstoßes gegen Artikel 85 oder Artikel 86 EWG-Vertrag voraus.

a)

Der Kläger behauptet, die Tatsache, daß er aufgrund des Vertriebsbindungssystems der Firma Revox nicht als Fachhändler zugelassen oder beliefert worden sei, stelle einen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag dar. Er zieht die grundsätzliche Gültigkeit eines derartigen Vertriebssystems nicht in Zweifel, das es den Herstellern ermöglicht, nach festgelegten Auswahlkriterien bestimmte Händler für den Vertrieb ihrer Erzeugnisse auszuwählen; er lehnt aber das Kriterium der Öffnungszeiten eines Geschäfts ab. Es ist daher an erster Stelle zu prüfen, ob das Vertriebsbindungssystem der Firma Revox in diesem Punkt mit Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag vereinbar ist.

Wie Sie im bereits zitierten Metro-Urteil entschieden haben, sind selektive Vertriebssysteme insbesondere im Bereich der Herstellung von langlebigen, hochwertigen und technisch hochentwickelten Verbrauchsgütern wie Geräten der Unterhaltungselektronik neben anderen Vertriebswegen ein mit Artikel 85 Absatz 1 vereinbarer Bestandteil des Wettbewerbs, „sofern die Auswahl der Wiederverkäufer aufgrund objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgt, die sich auf die fachliche Eignung des Wiederverkäufers, seines Personals und seiner sachlichen Ausstattung beziehen, und sofern diese Voraussetzungen einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden“.

Alle Kriterien der in Frage stehenden Vertriebsbindungsverträge sind — wie die Kommission zu Recht vorträgt — objektive Kriterien qualitativer und nicht quantitativer Art und wirken sich folglich nicht als Wettbewerbsbeschränkungen aus. Diese Beurteilung gilt insbesondere für das Kriterium der Öffnung der Verkaufsräume zu den üblichen Öffnungszeiten, die ein wesentliches Merkmal eines Einzelhandelsgeschäft darstellt. Gerade bei kostspieligen Waren, bei denen ein Kundendienst und eine Beratung erforderlich sind, wie bei denen, die Gegenstand der streitigen Vertriebsbindungsverträge sind, entsprechen ganztägige Öffnungszeiten der Erwartung des Kunden, ohne daß dieses Erfordernis den Zugang zum Vertriebssystem über Gebühr beschränken würde.

Wie die Kommission feststellt, könnte in jedem Fall — auch wenn man anderer Meinung ist — der zwischenstaatliche Handel durch diese Klausel nicht erheblich beeinflußt werden, da sie nur den Ausschluß einer beschränkten Zahl von fachlich geeigneten Wiederverkäufern zur Folge hat.

Dadurch, daß der Kläger sein Geschäft nur zwei Stunden täglich und am Samstagvormittag öffnet, erfüllt er nicht alle objektiven und qualitativen Auswahlkriterien, und man kann nicht behaupten, daß die Firma Revox ihr Vertriebssystem in diskriminierender Weise angewendet hat. Es ist unerheblich, daß der Kläger, wie er vorträgt, im Oktober 1977 Maßnahmen ergriffen hat, um sein Geschäft ganztägig zu öffnen, oder daß er bereit ist, es in Zukunft zu den üblichen Zeiten zu öffnen: Ausschlaggebend ist allein, daß er zu keinem Zeitpunkt die Kriterien für den Fachhandel tatsächlich erfüllt hat. Der Hersteller ist nicht verpflichtet, seine Waren zu liefern, wenn der Wiederverkäufer eines dieser Kriterien noch nicht erfüllt hat. Anderenfalls trüge der Hersteller allein das Risiko der Nichterfüllung, was im Widerspruch zum Sinn und Zweck eines Vertriebsbindungsvertrags steht.

Wenn die Zulassung jemandem erteilt würde, der die Auswahlkriterien nicht oder noch nicht erfüllt, könnte sich unter Umständen eine Diskriminierung gegenüber Fachhändlern ergeben, die im allgemeinen höhere Kosten haben, und man müßte dann prüfen, ob eine derartige Anwendung eines Vertriebsbindungsvertrags nicht im Widerspruch zu dem in Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag ausgesprochenen Verbot stünde.

Entgegen der Auffassung des Klägers läßt sich schließlich auch daraus, daß dieser im Namen der Firma Sony durch den Prozeßbevollmächtigten der Firma Revox als Facheinzelhändler für Sony-Geräte anerkannt worden ist, kein widersprüchliches und diskriminierendes Verhalten bei der Anwendung der in Frage stehenden Kriterien herleiten. Abgesehen davon, daß das Kriterium der Öffnungszeiten in der vorgelegten Fassung des Vertriebssystems der Firma Sony nicht ausdrücklich aufgeführt ist, setzt eine Diskriminierung voraus, daß eine und dieselbe Person ohne objektive Begründung vergleichbare Situationen verschieden behandelt, was im vorliegenden Fall offensichtlich nicht gegeben ist. Außerdem setzt die diskriminierende Anwendung eines Vertriebsbindungssystems auch voraus, daß der Hersteller die Kriterien für die Auswahl der Einzelhändler nicht einheitlich anwendet oder daß er den Einzelhändlern, die diese Kriterien nicht mehr erfüllen, die Anerkennung nicht entzieht. Die Tatsache, daß eine andere Firma, die durch die Firma Revox nicht als Facheinzelhändler anerkannt ist, angeblich Erzeugnisse dieser Firma vertreibt, läßt daher nicht den Schluß zu, daß ein Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag vorliegt.

Selbst wenn man das Vorliegen eines Verstoßes gegen diese Vorschrift im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung bejaht, kann sich der Kläger nicht darauf berufen, um einen Anspruch auf Zulassung als Facheinzelhändler oder sogar auf Belieferung durch die Streithelferin geltend zu machen. Der Kläger verkennt nämlich, daß das Verbot von Vereinbarungen, die den Wettbewerb beschränken, als solches keine Rechtsgrundlage für einen Eingriff in die Vertragsfreiheit der Wirtschaftsteilnehmer bietet. Die Unvereinbarkeit eines Vertriebsbindungssystems oder seiner diskriminierenden Anwendung mit Artikel 85 könnte daher keine Verpflichtung der Firma Revox zur Folge haben, den Kläger als Fachhändler zuzulassen, wie dieser es fordert.

Aus allen diesen Gründen kann der Kommission nicht zur Last gelegt werden, nicht die Folgerungen aus dem in Artikel 85 festgelegten Verbot gezogen und dadurch ihr Ermessen mißbräuchlich ausgeübt zu haben.

b)

Nach Artikel 85 EWG-Vertrag kann die Kommission bei Mißbrauch einer beherrschenden Stellung tätig werden. Nach der Klageschrift selbst, die ausgehend von einer einfachen Mitteilung in einem privaten Informationsblatt den Marktanteil der Firma Revox im Radiound Fernsehfachhandel Deutschlands, Österreichs und der Schweiz mit etwa 13 % ansetzt, kann man dieser Firma und ihren Erzeugnissen keine derartige Stellung auf dem in Frage kommenden Markt zusprechen. Nach den Angaben der Kommission und der Firma Revox beträgt der Anteil, über den diese Firma auf dem in Frage stehenden Markt verfügt, bei Plattenspielern, Verstärkern, Rundfunkempfängern und Lautsprecherboxen nur etwa 1 %.

Selbst wenn man das Vorliegen einer beherrschenden Stellung bejaht, kann im übrigen — wie auch die Firma Revox hervorhebt — nicht von der mißbräuchlichen Ausnutzung einer derartigen Stellung die Rede sein, wenn das in Frage stehende Unternehmen ohne Diskriminierung ein Vertriebssystem anwendet, das technisch gerechtfertigt ist. Die angefochtene Entscheidung ist daher auch gemessen an Artikel 86 EWG-Vertrag nicht zu beanstanden.

2. Zum zweiten Klageantrag

a)

Da der Antrag auf Aufhebung der Entscheidung der Kommission vom 11. Mai 1981 nicht begründet ist, ist der Antrag, die Kommission zu verpflichten, unter Berücksichtigung dieser Aufhebung erneut zu entscheiden, gegenstandslos, und es erübrigt sich daher, zu ihm noch weiter Stellung zu nehmen.

b)

Falls Sie dem ersten Klageantrag trotzdem stattgeben und die angefochtene Entscheidung aufheben sollten, wäre hilfsweise mit der Kommission und der Streithelferin festzustellen, daß eine derartige Verpflichtungsklage oder Klage auf Feststellung einer Verpflichtung im EWG-Vertrag nicht vorgesehen ist; sie ist folglich unzulässig. Hierbei genügt der Hinweis, daß ein gemäß Artikel 173 erlassenes Urteil sich darauf beschränkt, die angefochtene Handlung für nichtig zu erklären; nach Artikel 176 EWG-Vertrag hat das Organ, dem das für nichtig erklärte Handeln zu Last fällt, die sich aus diesem Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen. Sinn und Zweck dieser Vorschriften stehen daher einer Auslegung des Artikels 173 Absatz 2 in dem vom Kläger gewünschten Sinn entgegen.

Ich beantrage, die Klage abzuweisen und die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Streithelferin dem Kläger aufzuerlegen.


( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt.

( 2 ) ABI. vom 21. 2. 1962, S. 204.

( 3 ) ABl. vom 20. 8. 1963, S. 2268.

( 4 ) Urteil vom 11. November 1981, International Business Machines Corporation/Kommission, Rechtssache 60/81, Slg. S. 2639.

( 5 ) Urteil vom 10. Juli 1980, Procureur de la République und andere/Bruno Giry und Guerlain S.A. und andere, Rechtssache 253/78, Slg. S. 2327.

( 6 ) Urteil vom 18. Oktober 1979, GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfalligungsrcchte)/Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Slg. S. 3173.

( 7 ) Rechtssache 191/82, Vereinigung der Ölmühlenindustrie der EWG (FEDIOL)/Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Slg. S. 2913.

( 8 ) Urteil vom 25. Oktober 1977, Metro SB-Großmärkte GmbH und Co. KG/Kommission, Rechtssache 26/76, Slg. S. 1875.

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