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Document 61980CC0218

    Schlussanträge des Generalanwalts Rozès vom 17. September 1981.
    Waltraut Kruse gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
    Beamte - wohlerworbenes Recht auf Wahrnehmung spezifischer Aufgaben.
    Rechtssache 218/80.

    Sammlung der Rechtsprechung 1981 -02417

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1981:211

    SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS SIMONE ROZÈS

    VOM 17. SEPTEMBER 1981 ( 1 )

    Herr Präsident,

    meine Herren Richter!

    I —

    Es kann vorkommen, daß sich Beamte darüber zu beklagen haben, daß sie gezwungen sind, höherwertige Leistungen als die zu erbringen, für die sie aufgrund ihrer Einstufung besoldet werden. Es ist viel seltener, daß sie darauf bestehen, höherwertige Aufgaben als die, die man von ihnen erwarten kann, wahrzunehmen, ohne die entsprechenden Bezüge zu verlangen. Über einen derartigen Fall haben Sie jedoch in der vorliegenden Rechtssache zu befinden.

    Mit ihrer Klage 218/80 beantragt Fräulein Waltraut Kruse, der Kommission aufzugeben, die Aufrechterhaltung ihres Rechts auf Ausübung der Tätigkeit einer Übersetzerin und ihre ausschließliche Verwendung für Aufgaben im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit zu garantieren.

    In ihrer Erwiderung beantragt sie außerdem festzustellen, daß die Kommission gegen ihre Verpflichtung verstoßen hat, ihr ihre berufliche Fortbildung zu erleichtern, und sie beantragt demgemäß, die Kommission zu verurteilen, ihr einen Franken als Ersatz des ihr aus diesem Grund angeblich entstandenen Schadens zu zahlen.

    Die Klägerin ist seit 1961 Beamtin der Kommission. Sie wurde mit Wirkung vom 1. Juni 1962 als Bürosekretärin der Besoldungsgruppe C 3, Dienstaltersstufe 1, zur Beamtin auf Lebenszeit ernannt. In der Laufbahngruppe C gibt es die Laufbahn des Bürosekretärs oder Verwaltungssekretärs, die in zwei Besoldungsgruppen, C 2 und C 3, aufgeteilt ist.

    Seit dem 1. April 1963 dem Exekutivsekretariat der Generaldirektion „Forschung und Unterricht“, Direktion „Programme“, zugewiesen, wurde die Klägerin am 1. Oktober 1964 nach Besoldungsgruppe C 2/1 befördert. Nachdem sie mehrmals in verschiedene Dienststellen umgesetzt worden war, wurde sie seit dem 1. März 1973 im Sekretariat der Generaldirektion „Forschung, Wissenschaft und Bildung“ verwendet; doch wurde sie nicht nochmals befördert, und es scheint, daß sie seit langem die letzte Dienstaltersstufe der letzten Besoldungsgruppe ihrer Laufbahn erreicht hat.

    Seit dem Zeitraum 1970/1971 wurde die Betroffene in zunehmendem Maße mit der Übersetzung und Abfassung von Texten in verschiedenen Sprachen betraut. Ab März 1973 wurde ihr sogar ausschließlich diese Aufgabe übertragen, die sie, wie sich aus ihren Beurteilungen ergibt, in völlig zufriedenstellender Weise erledigte.

    In ihrer Beurteilung für die Zeit vom 1. Juli 1977 bis 30. Juni 1979, die von dem Beurteilenden am 3. Juni 1980 unterzeichnet wurde, wird auf die Frage: „Entsprechen die Aufgaben den Qualifikationen des Beamten?“ geantwortet: „Die Aufgaben entsprechen weder ihrer Befähigung noch ihrer Ausbildung. Sie konnte jedoch aufgrund von Fortbildungskursen und anderen Initiativen Kenntnisse erwerben, die sie im Rahmen der Generaldirektion nutzbringend anwenden kann, zumal sie sich im übrigen aus gesundheitlichen Gründen für unfähig erklärt, sich jeder anderen Art von Tätigkeit zu widmen.“

    In bezug auf die Leistung und dienstliche Führung enthält diese Beurteilung folgende analytische Wertungen: „Setzt selbst ihre Prioritäten; deshalb Unzulänglichkeit im ganzen, auch wenn bestimmte Arbeiten während der freien Stunden und der Wochenenden erledigt werden“; „Eigeninitiative nur dann, wenn es um die Erlernung neuer Sprachen geht; Outsider in jeder Beziehung.“

    Ab Juni 1979 wurde die Klägerin nach ihren eigenen Worten „gezwungen, mehr und mehr ihre Tätigkeit als Übersetzerin aufzugeben, um sich unbedeutenden Sekretariatsarbeiten zu widmen“.

    Vom 6. Juni 1979 an fehlte die Betroffene wegen Krankheit. Sie erschien wieder am 7. Januar 1980, um ihre Tätigkeit unter dem Vorbehalt „aller ihrer wohlerworbenen Rechte“ wieder aufzunehmen. Sie fehlte erneut am 8. Januar 1980 wegen Krankheit, obgleich ihr am 3. Dezember 1979 angeboten worden war, sie in die Bibliothek umzusetzen, wo sie sich — nur halbtags — dringenden Übersetzungsarbeiten hätte widmen können.

    Am 18. April 1980 legte die Betroffene eine Verwaltungsbeschwerde ein, die am 28. Juli 1980 abgewiesen wurde.

    II — Zulässigkeit

    Die Zulässigkeit der am 28. Oktober 1980 in das Register des Gerichtshofes eingetragenen Anträge erscheint mir sehr zweifelhaft, sowohl wegen der Verspätung der Beschwerde vom 18. April 1980 als auch wegen des bloß bestätigenden Charakters der am 28. Juli 1980 erfolgten Abweisung der Beschwerde, auch wenn in dieser abweisenden Entscheidung selbst die Verspätung der Beschwerde nicht erwähnt war.

    Der Anwalt der Klägerin war sich ohne Zweifel selbst darüber im klaren, da er mit seiner am 19. Januar 1981 in das Register des Gerichtshofes eingetragenen Erwiderung Anträge auf Feststellung eines Pflichtverstoßes der Kommission und auf Gewährung von Schadensersatz eingereicht hat. Diese neuen Anträge erscheinen mir jedoch auch unzulässig, zumindest in ihrem ersten Punkt.

    Die Kommission fügt hinzu, daß die Klägerin kein wirkliches Klageinteresse habe, da sich der Invaliditätsausschuß, dem in der Zwischenzeit der Fall vorgelegt worden sei, demnächst zu der Frage äußern werde, ob die Betroffene fähig sei, die ihrer Laufbahngruppe entsprechenden Tätigkeiten zu verrichten; die Kommission beantragt daher, das vorliegende Verfahren bis zur Entscheidung dieses Ausschusses auszusetzen.

    Der Leiter der Abteilung „Persönliche Rechte, Vorrechte“ hatte nämlich die Betroffene am 22. September 1980 gebeten, ihm unverzüglich den Namen des Arztes mitzuteilen, den sie benennen wolle, damit er sie innerhalb des Invaliditätsausschusses vertrete. Am 27. November 1980 erneuerte er seine Bitte und kündigte der Klägerin an, daß er sich, wenn er bis zum 15. Dezember 1980 keine Antwort erhalte, an den Präsidenten des Gerichtshofes wenden werde, damit dieser gemäß Artikel 7 des Anhangs II des Statuts von Amts wegen einen Arzt benenne. Wir haben in der Sitzung gehört, daß diese Bestellung stattgefunden hat und daß der Ausschuß am Tag vorher, dem 3. Juni 1981, zusammengetreten ist.

    Es ist daher nicht angebracht, dem Antrag der Kommission auf Aussetzung des Verfahrens stattzugeben, und es erscheint mir ganz logisch, daß der Invaliditätsausschuß seine Arbeiten auszusetzen hat, damit er Ihrem Urteil nicht vorgreift.

    III — Begründetheit

    Ohne daß auf diese Fragen der Zulässigkeit oder des Klageinteresses ausführlich eingegangen zu werden braucht, denke ich, daß diese beiden Antragspunkte nicht begründet sind.

    1.

    Es ist unstreitig, daß die Beschreibung der Tätigkeiten und Aufgaben, deren Durchführung von der Klägerin verlangt wird, der Grundamtsbezeichnung und der Bezeichnung der Laufbahn C 2/C 3 entspricht. Die Klägerin bezieht im übrigen mindestens seit 1973 die Pauschalzulage gemäß Artikel 4 a des Anhangs VII des Statuts (in der Fassung der Verordnung Nr. 914/78 vom 3. Mai 1978), deren Gewährung an die Ausübung der Tätigkeit einer Bürosekretärin gebunden ist; bei einer Änderung der Tätigkeit wäre ihre Streichung geboten.

    Die in Artikel 5 Absatz 4 des Statuts vorgesehene „Übersicht über die Grundamtsbezeichnungen und die ihnen zugeordneten Laufbahnen in den einzelnen Laufbahngruppen und in der Sonderlaufbahn Sprachendienst“ (Anhang I des Statuts) sowie die von jedem Organ erstellte Beschreibung der Tätigkeiten und des Aufgabenbereichs für jede Grundamtsbezeichnung bezwecken nicht nur, es der Verwaltung zu ermöglichen, von einem Beamten die seiner Einstufung und der Beschreibung seiner Tätigkeit entsprechenden Leistungen zu verlangen, sondern auch, die Beamten gegen mißbräuchliche Forderungen der Verwaltung zu schützen (Urteil vom 12. Juli 1973, Tontodonati, Slg. 1973, 779, Randnr. 8 der Entscheidungsgründe: „... die Verwaltung [kann] von einem Beamten nicht verlangen ..., daß er Aufgaben wahrnimmt, die zu einer höheren Laufbahn gehören“). Abgesehen von der vorübergehenden Verwendung kann ein Beamter nicht mit einem Dienstposten in einer Laufbahn seiner Laufbahngruppe oder seiner Sonderlaufbahn betraut werden, die höher ist als seine eigene Laufbahn (Artikel 7 Absatz 2 des Statuts). Die Tatsache, daß sich der Beamte zur Ausübung einer im Vergleich zu seiner Besoldungsgruppe höherwertigen Tätigkeit bereit erklärt, ist höchstens im Hinblick auf eine Beförderung zu berücksichtigen, sie verleiht ihm aber keinen Anspruch auf eine Neueinstufung (Urteil vom 19. März 1975, Van Reenen, Slg.1975, 445, Randnr. 6 der Entscheidungsgründe; Urteil vom 11. Mai 1978, de Roubaix, Slg. 1978, 1081, Randnr. 17 der Entscheidungsgründe).

    Außerhalb der vorübergehenden Verwendung besteht der einzige Weg für einen Beamten, ordnungsgemäß höherwertige Tätigkeiten als die ihm übertragenen auszuüben, darin, nach einem Auswahlverfahren oder ohne ein solches Verfahren befördert zu werden.

    Ausweislich der Akten hat die Klägerin zwar ihre Bewerbung zu einem Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen eingereicht, das 1975 zur Bildung einer Reserve von Hilfsübersetzern der Besoldungsgruppen A 7/A 8 veranstaltet wurde; sie wurde aber nicht zugelassen, weil sie nicht die erforderlichen Befähigungsnachweise (Diplome oder Erfahrung) besaß. Sie hat bei dieser Gelegenheit keine Beschwerde eingelegt.

    Im übrigen erklärt die Klägerin in ihrem Schreiben vom 22. April 1980 selbst, „daß sie absolut nicht ihre Zugehörigkeit zur Laufbahngruppe C bestreitet und daß sie keine Rechte geltend machen will, die sich aus der Tätigkeit der ordnungsgemäß in die Laufbahngruppe L A eingestuften Übersetzer ergeben“.

    In Anbetracht der besonders lobenden Ausführungen in den Beurteilungen der Klägerin für die Zeiträume 1969/1971, 1971/1973, 1973/1975 und 1975/1977 kann man sich jedoch nur darüber wundern, daß die Klägerin, auch wenn sich ihre Verwendung häufig änderte, niemals an einem Auswahlverfahren für einen Dienstposten der in die Laufbahngruppe Β eingestuften neuen Grundamtsbezeichnungen des Verwaltungshauptinspektors und des Sekretariatsinspektors teilgenommen hat, die durch die Verordnung Nr. 1473/72 des Rates vom 30. Juni 1972 eingeführt worden sind, gerade um bestimmten Gruppen von Beamten, die in Besoldungsgruppen der Laufbahngruppe C blockiert waren oder bei denen eine solche Gefahr bestand, die Möglichkeit zu geben, in Besoldungsgruppen der Laufbahngruppe Β aufzusteigen.

    Wie dem auch sei, ich kann nur feststellen, daß Artikel 24 des Statuts keineswegs die Rechte enthält, um deren Zuerkennung die Klägerin Sie in ihrer Klageschrift ersucht. Die Tatsache, daß sie sich selbst als Übersetzerin fortgebildet hat und daß die von ihr zur größten Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten de facto wahrgenommenen Übersetzungsaufgaben einem zunehmenden Bedürfnis in den Dienststellen entsprechen, kann ihr keinen sicheren Anspruch auf Beibehaltung dieser spezialisierten Tätigkeit verleihen.

    2.

    Artikel 24 Absätze 3 und 4 des Statuts bestimmen:

    „[Die Gemeinschaften] erleichtern die berufliche Fortbildung der Beamten, soweit dies mit dem reibungslosen Arbeiten ihrer Dienststellen vereinbar ist und ihren eigenen Interessen entspricht.

    Für das Aufsteigen innerhalb der Laufbahn ist diese Fortbildung zu berücksichtigen.“

    Auch wenn die „Beistandspflicht“ (Artikel 24), deren Verletzung die Klägerin in ihrer Erwiderung geltend macht, die Tragweite hat, die sie ihr beimißt, so bin ich doch der Ansicht, daß die Verwaltung diese Pflicht erfüllt hat, soweit ihre eigenen Interessen ihr dies erlaubten.

    Der behandelnde Arzt der Betroffenen hatte am 22. Oktober 1979 bescheinigt, daß „sie fähig ist, ihre Tätigkeit wieder aufzunehmen, soweit die ihr angebotene Arbeit ihren Qualifikationen entspricht. Andernfalls ist ein Rückfall ihres medizinisch-psychologischen Zustands zu befürchten.“ Am 2. Januar 1980 erklärte er außerdem: „Nur die Tätigkeit als Übersetzerin kann zur Stabilisierung ihres medizinisch-psychischen Gleichgewichts beitragen.“

    Die Kommission scheint dieser Empfehlung gefolgt zu sein, indem sie im November 1979 der Klägerin über den Wissenschaftlichen Assistenten der Generaldirektion mitteilte, daß sie in der Hälfte der normalen Arbeitszeit Bibliotheksarbeiten und in der anderen Hälfte dringende Übersetzungsarbeiten erledigen solle. Die Kommission hat überzeugend dargelegt, daß es mit dem reibungslosen Arbeiten der Dienststellen unvereinbar wäre, wenn die Klägerin mehr als die Hälfte ihrer Zeit Übersetzungsarbeiten widmete. Es erscheint auch, will man den Bestimmungen über die Entsprechung zwischen Grundamtsbezeichnungen und Laufbahnen nicht jede Bedeutung nehmen, nicht möglich, weiter zu gehen und die Klägerin, wie in der Vergangenheit, ausschließlich mit Übersetzungsarbeiten zu betrauen.

    3.

    Nach den Ausführungen des Anwalts der Klägerin „stellen innerhalb jeder Laufbahngruppe die Arbeitsbedingungen und die von den Beamten erworbenen Spezialisierungen und Privilegien ein unbestreitbares Recht dar, so daß jede einseitig von der Verwaltung aufgezwungene Änderung dieser Bedingungen, Spezialisierungen oder Privilegien, die darauf gerichtet ist, diese einzuschränken oder ihre Anwendung mühsamer zu machen, einen Amtsfehler bedeutet“.

    Dieses Vorbringen erscheint mir völlig unbegründet: Die Klägerin hatte kein Privileg innerhalb ihrer Laufbahngruppe erworben. Die Forderung, daß sie die ihrer Einstufung entsprechenden Tätigkeiten — mit den Änderungen, die ihr zuletzt vorgeschlagen wurden — wieder aufnimmt, stellt keine „einseitige“ Handlung dar, die die Haftung der Kommission auslösen könnte.

    Ich erlaube mir noch den Hinweis, daß aus der Sicht der Bestrebungen, die die Kommission geleitet zu haben scheinen, als sie beschloß, einen „medizinisch-sozialen Sektor“ zu schaffen, der Fall der Klägerin wohl viel eher zu diesem Sektor als vor den Invaliditätsausschuß gehört.

    Die Kommission hat, so scheint es, einen Schritt in diese Richtung getan, indem sie der Klägerin vorgeschlagen hat, sich in der Hälfte ihrer Zeit mit Übersetzungsarbeiten zu beschäftigen; die Klägerin sollte diese Chance, die man ihr geboten hat, nutzen, bevor der Invaliditätsausschuß über ihren Fall befindet.

    Ich schlage vor, die Klage abzuweisen und jede Partei ihre eigenen Kosten tragen zu lassen.


    ( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt.

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