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Document 61980CC0113

Schlussanträge des Generalanwalts Capotorti vom 5. Mai 1981.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Irland.
Vertragsverletzung - Maßnahmen gleicher Wirkung.
Rechtssache 113/80.

Sammlung der Rechtsprechung 1981 -01625

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1981:95

SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

FRANCESCO CAPOTORTI

VOM 5. MAI 1981 ( 1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. 

Die Kommission hat mit Klageschrift, die am 28. April 1980 beim Gerichtshof eingegangen ist, den Gerichtshof nach Artikel 169 Absatz 2 EWG-Vertrag angerufen und die Republik Irland beschuldigt, gegen Artikel 30 EWG-Vertrag verstoßen zu haben. Sie haben daher einige irische Rechtsvorschriften, die sich auf die Einfuhr und den Verkauf von im Ausland hergestellten Juwelierwaren auswirken, zu prüfen, um darüber zu entscheiden, ob diese Vorschriften mit dem gemeinschaftsrechtlichen Verbot aller Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen vereinbar sind.

Es ist darauf hinzuweisen, daß die Republik Irland mit den 1972 in Kraft getretenen Statutory instruments (Verordnungen) Nrn. 306 und 307/1971 die Anbringung von Warenzeichen auf eingeführten Juwelierwaren aus Edelmetall oder unedlem Metall vorschrieb, die Bilder, Embleme oder andere Motive tragen, die darauf hindeuten, daß es sich um Andenken an Irland handelt. Solche in anderen Staaten hergestellte Waren dürfen nur dann eingeführt und feilgeboten werden, wenn auf sie deutlich sichtbar die Angabe des Ursprungslandes oder das Wort „foreign“ (ausländisch) oder aber andere Worte aufgestempelt sind, die klar erkennen lassen, daß es sich um außerhalb Irlands hergestellte Waren handelt.

Mit Schreiben vom 9. Dezember 1975 hat die Kommission die irische Regierung erstmals um alle Angaben ersucht, die zur Klärung der Frage beitragen könnten, ob es sich bei den genannten Vorschriften um eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung handele. Die irische Regierung kam dieser Bitte nicht nach. Mit einem zweiten, vom 9. März 1977 datierenden Schreiben teilte die Kommission sodann der irischen Regierung mit, daß die Aufrechterhaltung der fraglichen Vorschriften ihrer Ansicht nach im Widerspruch zu Artikel 30 EWG-Vertrag stehe und sich auch nicht nach Artikel 36 rechtfertigen lasse. Die irische Regierung wurde daher aufgefordert zu versichern, daß sie geeignete Maßnahmen ergriffen habe, „um sicherzustellen, daß die Kennzeichnungsvorschriften in Irland, insbesondere die für Juwelierwaren mit irischen Motiven oder Merkmalen, mit den einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts in Einklang stehen“. Die irische Regierung gab wiederum keinerlei Antwort, so daß die Kommission es für angebracht hielt, an sie ein von dem Kommissionsmitglied Davignon unterzeichnetes drittes Schreiben vom 8. Mai 1978 mit gleichem Inhalt wie ihr Schreiben vom 9. März 1977 zu richten.

Nunmehr nahm die irische Regierung (mit Schreiben vom 7. Juli 1978) Stellung, und zwar dahin gehend, daß die beiden strittigen Verordnungen insofern als mit Artikel 30 EWG-Vertrag vereinbar anzusehen seien, als sie dem Ziel des Verbraucherschutzes dienten. Diese Auffassung überzeugte die Kommission jedoch nicht; sie beschloß am 19. März 1979, die in Artikel 169 vorgesehene mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben, in der sie feststellte, daß Irland durch die Aufrechterhaltung der beiden Verordnungen aus dem Jahre 1971 gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag verstoßen habe, und in der sie Irland aufforderte, innerhalb von zwei Monaten die Maßnahmen zu treffen, die erforderlich seien, um das irische Recht in dem vom Gemeinschaftsrecht vorgeschriebenen Sinne zu ändern.

Irland kam dieser Aufforderung nicht nach. Die Kommission hat daher die Klage eingereicht, mit der das vorliegende Verfahren eingeleitet worden ist.

2. 

Prüfen wir zunächst, ob die oben beschriebene irische Regelung den innergemeinschaftlichen Handel behindert, und vor allem, ob sie Artikel 30 EWG-Vertrag widerspricht. Wenn diese Frage zu bejahen sein sollte, wird außerdem zu prüfen sein, ob die Regelung durch Artikel 36 EWG-Vertrag gedeckt oder jedenfalls durch eines jener Erfordernisse allgemeiner Art (darunter der Verbraucherschutz) gerechtfertigt ist, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes das Verbot des Artikels 30 unwirksam machen können.

Wie bereits gesagt, sind ausländische Hersteller durch die beiden irischen Verordnungen gezwungen, auf jeder Ware einen Hinweis auf das Ursprungsland anzubringen oder zumindest anzugeben, daß es sich um ein ausländisches Erzeugnis handelt.

Für das Feilhalten der Ware bestimmt die Verordnung Nr. 306, daß die vorgeschriebene Angabe auch in das eventuell an der Ware befestigte Etikett aufzunehmen oder auf der Verpackung der Ware anzubringen ist. Die Verordnung Nr. 307 hingegen schreibt vor, daß die auf das eingeführte Erzeugnis aufgestempelte Angabe (nicht nur sichtbar und lesbar, sondern auch) unauslöschbar sein muß. Derartige Vorschriften erlegen den ausländischen Herstellern und den Importeuren zweifellos diskriminierende Belastungen auf, die vor allem zusätzliche Kosten verursachen. Diese werden sich um so mehr auf die Gesamtkosten des einzelnen Erzeugnisses auswirken, je geringer die Stückkosten des Erzeugnisses sind. Bedenkt man nunmehr, wie sehr Souvenirs aus unedlem Metall auf dem Markt verbreitet sind, so wird der häufigste Fall gerade der sein, daß die Kosten der Kennzeichnung einen hohen Prozentsatz ausmachen und daher die Gesamtkosten spürbar erhöhen. Überdies ist der Wert (oder zumindest die Anziehungskraft) einer Ware mit einer Kennzeichnung, die deutlich sichtbar sein muß, zweifellos geringer als der Wert des gleichen Erzeugnisses ohne eine solche Kennzeichnung, d. h. im vorliegenden Fall, des im Inland hergestellten Souvenirs. All dies hat eine Beschränkung der Handelsströme der fraglichen Waren nach Irland und eine dieser entsprechende privilegierte Lage der irischen Hersteller zur Folge. Im übrigen scheint sich die beklagte Regierung selbst der Tatsache, daß die strittige Regelung auf dem irischen Markt zu einer Diskriminierung ausländischer Erzeuger gegenüber einheimischen Erzeugern führt, durchaus bewußt zu sein, und zwar so sehr, daß sie lediglich geltend macht, diese Ungleichbehandlung sei durch das Erfordernis gerechtfertigt, Verbraucher wie Hersteller vor unlauteren Handelspraktiken zu schützen. Letztlich scheint es mir somit außer Zweifel zu stehen, daß die Vorschriften der irischen Verordnungen Nrn. 306 und 307/1971 gleiche Wirkungen wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen haben und daher Maßnahmen darstellen, die Irland nach Artikel 42 Absatz 2 der Beitrittsakte spätestens am 1. Januar 1975 zu beseitigen hatte.

3. 

In meinen Schlußanträgen vom 29. Mai 1980 in der Rechtssache 788/79 (Gilli, Slg. 1980, 2080) habe ich bereits darauf hingewiesen, daß den Mitgliedstaaten trotz der Verbote der Artikel 30 und 34 EWG-Vertrag nicht völlig die Befugnis genommen ist, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen Vorschriften zu erlassen, die ein unmittelbares oder mittelbares Hindernis für den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr errichten. Ich habe mich dabei sowohl auf Artikel 36 EWG-Vertrag als auch auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes bezogen, durch die anerkannt wurde, daß restriktive nationale Maßnahmen, die „notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes“, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind. (Die genannte Formulierung ist in dem Urteil vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78, Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, 649, enthalten, dem der Gerichtshof in der Entscheidung vom 26. Juni 1980 in der erwähnten Rechtssache Gilli gefolgt ist.) Tatsächlich hat der Gerichtshof auch in anderen als den in Artikel 36 EWG-Vertrag erwähnten Fällen die Rechtmäßigkeit nationaler Bestimmungen, die von den Verboten der Artikel 30 und 34 abweichen, anerkannt, sofern diese Bestimmungen ein „im allgemeinen Interesse liegendes Ziel [verfolgen], das den Erfordernissen des freien Warenverkehrs, der eine der Grundlagen der Gemeinschaft darstellt, [vorgeht]“ (Randnr. 14 der Entscheidungsgründe des vorgenannten Urteils vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache Rewe).

Davon ausgehend kann man der irischen Regierung keinen Vorwurf daraus machen, daß sie die zuvor beschriebene Regelung mit außerhalb des Artikels 36 liegenden Gesichtspunkten zu rechtfertigen versuchte, als sie geltend gemacht hat, diese Regelung sei getroffen worden, um den Verbraucherschutz und die Lauterkeit des Handelsverkehrs zu gewährleisten. Der Gerichtshof ist jedoch befugt und verpflichtet zu prüfen, ob diese Rechtfertigung auf einer objektiven Grundlage beruht, genauer: ob die von der irischen Regierung getroffenen und aufrechterhaltenen Maßnahmen tatsächlich notwendig waren, um die Verbraucher zu schützen und ein normales Maß an Lauterkeit im Handel mit den Erzeugnissen, mit denen wir es hier zu tun haben, zu gewährleisten.

Zur Untermauerung ihrer Auffassung hat die irische Regierung vorgetragen, Juwelierwaren, die den Charakter von Souvenirs eines bestimmten Landes hätten, veranlaßten den Verbraucher zu der Annahme, sie seien in diesem Land selbst hergestellt. Wenn es sich hingegen um Waren handele, die im Ausland hergestellt und dann eingeführt worden seien, so müßten die potentiellen Käufer über ihren Ursprung unterrichtet werden; andernfalls würden sie insofern getäuscht, als sie Gefahr liefen, ausländische Waren in der Überzeugung zu kaufen, daß es sich um einheimische Waren handele. Deshalb sei es — zum Schutz der Verbraucher einerseits und der einheimischen Hersteller andererseits — notwendig vorzuschreiben, daß auf alle im Ausland hergestellte Juwelierwaren, die als „Andenken an Irland“ angeboten würden, ein Hinweis auf den ausländischen Ursprung aufzustempeln sei.

Meines Erachtens kann dieser Ansicht nicht gefolgt werden, und zwar aus mehreren Gründen. Zunächst trifft die Behauptung nicht zu, das wesentliche — oder zumindest das sie am anziehendsten machende — Merkmal von Souvenirs bestehe darin, daß sie am Ort hergestellt worden seien. Unter Souvenir versteht man, vom bloßen Wortsinn her gesehen, einen Gegenstand, der, entweder weil er etwas Bestimmtes (zum Beispiel Denkmäler oder Naturschönheiten) darstellt oder weil er an einem bestimmten Ort erworben wurde oder aber aus beiden Gründen, an eine Sache, einen Ort oder ein Ereignis erinnert. Im vorliegenden Fall betreffen die strittigen Vorschriften eine besondere Art von Souvenirs, nämlich Gegenstände, die in der Regel an Touristen verkauft werden und an einen bestimmten Ort erinnern sollen, den diese besucht haben. Meines Erachtens erwerben Touristen diese Gegenstände nicht deshalb, weil es sich nach ihrer Überzeugung um einheimische Erzeugnisse handelt, denn aufgrund alltäglicher Erfahrung ist bekannt, daß die fraglichen Waren oft anderswo hergestellt werden. (Man denke an die zahlreichen Nachbildungen des Eiffelturms oder der Freiheitsstatue oder auch an die zahlreichen Miniaturen venezianischer Gondeln!) Das wesentliche Merkmal von Souveniers, dessentwegen diese die Erinnerung an Orte, die man besucht hat, zu wecken oder wachzuhalten vermögen, besteht vor allem in den Bildern, die sie enthalten, sowie in dem Umstand, daß sie am Ort gekauft wurden. Deshalb erweist sich die Vorschrift, auf importierten Erzeugnissen eine Ursprungsangabe anzubringen, als eine weder um des Verbraucherschutzes noch um der Lauterkeit des Handelsverkehrs willen gebotene Maßnahme und stellt sich lediglich als eine ungerechtfertigte Beschränkung des freien Warenverkehrs dar.

Für Erzeugnisse, die typisch für das örtliche Handwerk sind, sind andere Erwägungen anzustellen. Bei Waren dieser Art läßt sich der Käufer in der Tat von der Überzeugung leiten, sie seien am Ort hergestellt, so daß eine Person, die sie kaufen würde, ohne zu wissen, daß sie in Wirklichkeit aus dem Ausland stammen, eindeutig Opfer einer unlauteren Handelspraxis würde. In diesem Fall ist daher ein entsprechender Schutz des Verbrauchers zweifellos notwendig und damit nach Gemeinschaftsrecht rechtmäßig. Aber die strittigen irischen Vorschriften betreffen, wie wir gesehen haben, Juwelierwaren aus — edlem oder unedlem — Metall, die „Andenken an Irland“ darstellen, und nicht etwa Erzeugnisse, die für das örtliche Handwerk typisch sind. Das Gebot, auf eingeführten Erzeugnissen der genannten Art den Ursprungsort anzugeben oder einen Hinweis auf die Herkunft aus dem Ausland anzubringen, läßt sich somit nicht rechtfertigen.

Jedenfalls bezweifle ich, auch was für das örtliche Handwerk typische Erzeugnisse angeht, daß der Verbraucherschutz und die Lauterkeit des Handelsverkehrs nicht anders gewährleistet werden können als durch einen Hinweis auf den ausländischen Ursprung. Diese Ziele könnten und müßten in der Weise verfolgt werden, daß man den einheimischen Herstellern die Anbringung eines Ursprungszeichens auf ihren Erzeugnissen vorschreibt. Die eventuellen Mehrkosten würden in diesem Fall durch die Vorrangstellung ausgeglichen, die einheimische Erzeuger natürlich auf dem Markt einnehmen und die sich in der Aussicht auf höhere Gewinne niederschlägt.

Aus diesen Erwägungen lassen sich noch weiter gehende Folgerungen ableiten. Auch bei den Souvenirs, die unter die hier zu prüfenden irischen Vorschriften fallen, wäre es unschwer möglich gewesen, die Verbraucher dadurch über ihren Ursprung aufzuklären, daß man bei einheimischen Erzeugnissen die Anbringung von Warenzeichen vorgeschrieben hätte. Der Umstand, daß dieser Weg nicht eingeschlagen wurde, zeigt, daß der irische Staat sich für die Regelung entschied, die die einheimischen Erzeuger — auch hinsichtlich der Kosten — stärker begünstigt; gerade deshalb kann man nicht bestreiten, daß eingeführte Erzeugnisse einer gegenüber einheimischen Erzeugnissen diskriminierenden Behandlung ausgesetzt sind, die sich restriktiv auf den innergemeinschaftlichen Handel auswirkt. Tatsächlich wäre, auch wenn man annehmen wollte, daß ein Schutz der Verbraucher gegen die Gefahr des Erwerbs von im Ausland hergestellten Souvenirs notwendig sei, ein Verstoß gegen Artikel 36 letzter Satz EWG-Vertrag allein deshalb zu bejahen, weil eine außer Verhältnis zum angestrebten Ziel stehende Belastung auferlegt wurde, indem Anforderungen an ausländische Erzeugnisse der Vorzug vor der Anordung gegeben wurde, auf einheimischen Erzeugnissen Warenzeichen anzubringen.

4. 

Aufgrund all dieser Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof somit vor, der Klage der Kommission gegen Irland vom 28. April 1980 stattzugeben und demgemäß festzustellen, daß der beklagte Staat gegen die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus Artikel 30 EWG-Vertrag verstoßen hat, indem er das Verbot, im Ausland hergestellte Juwelierwaren, die nicht mit einem Hinweis auf ihren ausländischen Ursprung versehen sind, einzuführen, zu verkaufen oder feilzuhalten, als Teil seiner Rechtsordnung aufrechterhalten hat.


( 1 ) Aus dem Italienischen übersetzt.

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