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Document 61980CC0070

Schlussanträge des Generalanwalts Reischl vom 10. Dezember 1980.
Tamara Vigier gegen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundessozialgericht - Deutschland.
Soziale Sicherheit - Voraussetzungen für die Zugehörigkeit.
Rechtssache 70/80.

Sammlung der Rechtsprechung 1981 -00229

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1980:285

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS GERHARD REISCHL

VOM 10. DEZEMBER 1980

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Die Klägerin des Verfahrens, das zu dem heute zu behandelnden Vorabentscheidungsersuchen geführt hat, ist 1922 in Jena geboren und mußte Deutschland 1933 im Alter von zehn Jahren als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung verlassen. Sie hat nunmehr die französische Staatsangehörigkeit — die deutsche ist ihr aberkannt worden —, lebt in Frankreich und ist dort offenbar auch als Arbeitnehmerin der Sozialversicherung angeschlossen, während sie von der deutschen Sozialversicherung nie erfaßt worden war. Sie gilt als Verfolgte im Sinne des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes und hat als solche Entschädigung wegen Ausbildungsschadens erhalten.

§ 10 a des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG), der durch das 18. Rentenanpassungsgesetz vom 28. April 1975 in das Gesetz eingefügt worden ist, bestimmt unter anderem:

„(1)   Verfolgte mit einer Versicherungszeit von mindestens 60 Kalendermonaten, die vor Beginn der Verfolgung für mindestens 12 Monate freiwillig Beiträge entrichtet haben, können auf Antrag abweichend von der Regelung des § 1418 der Reichsversicherungsordnung und des § 140 des Angestelltenversicherungsgesetzes für Zeiten vom 1. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 oder bis zu ihrer Rückkehr in den Geltungsbereich dieses Gesetzes, längstens bis zum 31. Dezember 1955, Beiträge nachentrichten, soweit diese Zeiten nicht vor Vollendung des 16. oder nach Vollendung des 65. Lebensjahres liegen und nicht bereits mit Beiträgen belegt oder als Ersatzzeiten anzurechnen sind, es sei denn, die Zeit der Verfolgung ist bereits in einer öffentlich-rechtlichen Versicherung oder einer Versorgung nach dienstrechtlichen Grundsätzen berücksichtigt oder zu berücksichtigen.

(2)   Absatz 1 gilt entsprechend für Verfolgte mit einer Versicherungszeit von mindestens 60 Kalendermonaten, denen wegen eines Schadens in der Ausbildung im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes rechtskräftig oder unanfechtbar eine Entschädigung nach § 116 oder § 118 des genannten Gesetzes zuerkannt worden ist oder bei denen die Verfolgungsmaßnahme innerhalb von 12 Monaten nach Beendigung der Ausbildung begonnen hat.

...“

Von Absatz 2 dieser Vorschrift möchte die Klägerin des Ausgangsverfahrens Gebrauch machen. Ihr bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eingereichter Antrag auf Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen zur Rentenversicherung für Angestellte wurde jedoch abschlägig beschieden mit der Begründung, die Klägerin habe die Voraussetzungen des § 10 a — 60 Monate anrechenbare Versicherungszeiten — nicht erfüllt. Die Klägerin sei auch nicht zur freiwilligen Versicherung nach § 10 des Angestelltenversicherungsgesetzes berechtigt, da sie vorher in der deutschen Rentenversicherung weder pflichtversichert noch freiwillig versichert gewesen sei; hierauf aber komme es nach Anhang VC 8 b zur Verordnung Nr. 1408/71 an, der bestimme:

„§ 1233 Reichsversicherungsordnung und § 10 Angestelltenversicherungsgesetz in der Fassung des Rentenreformgesetzes vom 16. Oktober 1972, welche die freiwillige Versicherung in der deutschen Rentenversicherung regeln, werden auf die Staatsangehörigen der übrigen Mitgliedstaaten und die in deren Gebiet wohnenden Staatenlosen und Flüchtlinge wie folgt angewandt:

Freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung dürfen bei Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen entrichtet werden, wenn

a)

...

b)

die betreffende Person ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat und zu irgendeinem Zeitpunkt vorher in der deutschen Rentenversicherung pflichtversichert oder freiwillig versichert war;

...“

Diesen Bescheid hat die Klägerin sowohl beim Sozialgericht als auch beim Landessozialgericht erfolglos angefochten.

Das Landessozialgericht billigte den Standpunkt der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, daß die Voraussetzung einer Versicherungszeit von 60 Monaten nur durch Beiträge zur deutschen Rentenversicherung erfüllt werden könne. Französische Versicherungszeiten seien insofern auch nicht gemäß Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 gleichgestellt. Diese Vorschrift bestimmt:

„Ist nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die freiwillige Versicherung oder freiwillige Weiterversicherung von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig, so werden die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten, soweit erforderlich, wie Versicherungszeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates zurückgelegt worden sind.“

§ 10 a WGSVG verfolge den Zweck, Entschädigungen für Versicherte zu gewähren, die Verfolgte seien und durch die Verfolgung Schaden in der Sozialversicherung erlitten hätten. Da der Sinn der Verordnung Nr. 1408/81 lediglich darin liege, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sozialversicherungsrechtlich abzusichern, müsse angenommen werden, daß der zitierte § 10 a vom sachlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 nicht erfaßt werde.

Daraufhin wandte sich die Klägerin im Wege der Revision an das Bundessozialgericht. Sie machte geltend, bei der Beurteilung ihres Falles sei das Gemeinschaftsrecht unrichtig angewandt worden. So sei davon auszugehen, daß sich der Vorbehalt in Anhang V C 8 b zur Verordnung Nr. 1408/71 nicht auf Artikel 9 Absatz 2 der genannten Verordnung erstrecke; er beziehe sich nur auf die Berechtigung zur Zahlung freiwilliger Beiträge nach § 10 des Angestelltenversicherungsgesetzes, habe aber nichts mit der Anerkennung von Versicherungszeiten anderer Mitgliedstaaten als Vorversicherungszeiten gemäß § 10 a WGSVG zu tun. Jedenfalls müsse angenommen werden, daß durch den genannten Vorbehalt der Grundsatz der Gleichbehandlung nicht aufgehoben werde, der in Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 mit den Wonen zum Ausdruck komme:

„Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen.“

Nach Gemeinschaftsrecht müsse somit davon ausgegangen werden, daß alle Personen, die der Versichertengemeinschaft eines Mitgliedstaats angehörten, auch Mitglieder der deutschen Versichertengemeinschaft seien. Nicht zuletzt verwies die Klägerin zur Begründung ihrer Auffassung auf das von der Bundesrepublik Deutschland mit den USA abgeschlossene Sozialversicherungsabkommen, dem sich entnehmen lasse, daß die 60 Monate Vorversicherung, von denen in § 10 a WGSVG die Rede sei, auch durch amerikanische Versicherungszeiten abgedeckt werden könnten.

Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hat im Revisionsverfahren zwar eingeräumt, daß die Vorschriften des WGSVG insgesamt in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fielen. Deren Artikel 9 Absatz 2 könne demnach insofern angewandt werden, als für die Vorversicherungszeit von 60 Monaten Beitragszeiten in anderen Mitgliedstaaten in Betracht kämen. Entscheidend sei aber in jedem Fall die Legaldefinition des Begriffs „Verfolgte“ in § 1 WGSVG. Danach gelte das Gesetz nur für „Versicherte“; es werde also vorausgesetzt, daß mindestens ein Beitrag an einen deutschen Rentenversicherungsträger gezahlt worden sei. In dieser Hinsicht könne auch Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht dazu führen, daß die genannte Voraussetzung durch eine französische Versicherungszeit erfüllt werde.

Das Bundessozialgericht setzte durch Beschluß vom 19. Dezember 1979 das Verfahren aus und legte dem Gerichtshof gemäß Artikel 177 des EWG-Vertrags folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

„1.

Ist Art. 4 Abs. 1 EWG-VO Nr. 1408/71, wonach diese Verordnung für Rechtsvorschriften über „Zweige der sozialen Sicherheit“ gilt, dahin auszulegen, daß in den Anwendungsbereich dieser Verordnung auch Nachentrichtungsbefugnisse nach dem Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) vom 22. Dezember 1970 i. d. F. vom 27. Juni 1977 (BGBl. 1970 I S. 1846 und BGBl. 1977 S. 1040) fallen, sofern die Verfolgten als Arbeitnehmer im Sinne von Art. 1 Buchst a EWG-VO Nr. 1408/71 anzusehen sind?

Gehört — im Falle der Bejahung — dieses besondere Nachentrichtungsrecht zu einem die Anwendbarkeit der Verordnung ausschließenden Leistungssystem im Sinne des Art. 4 Abs. 4 EWG-VO Nr. 1408/71?

2.

Im Falle der Anwendbarkeit der EWG-VO Nr. 1408/71: Erfaßt Art. 9 Abs. 2 EWG-VO Nr. 1408/71 die nach § 10 a WGSVG erforderlichen 60 Monate Versicherungszeit auch insoweit, als hierdurch die Eigenschaft als Versicherter (und damit als Verfolgter) nach § 1 Abs. 1 WGSVG begründet wird?“

Dazu nehme ich wie folgt Stellung:

1. Zur ersten Frage

Ihrer Untersuchung ist die Feststellung vorauszuschicken, daß das Bundesentschädigungsgesetz ein allgemeines System zur Entschädigung für Opfer nationalsozialistischer Verfolgung geschaffen hat, daß aber seinem § 138 zufolge die Wiedergutmachung für Schäden in der Sozialversicherung aus dem Gesetz ausgeklammert und besonderen Vorschriften vorbehalten worden ist. Demgemäß regeln die Bestimmungen des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) die Entschädigung für Opfer nationalsozialistischer Verfolgung, soweit es um Nachteile in der gesetzlichen Unfall- und Rentenversicherung geht. Dieses Gesetz hat — dies hat das vorlegende Gericht ausdrücklich hervorgehoben — kein in sich geschlossenes Sondersystem der Wiedergutmachung zum Inhalt; seine Vorschriften ergänzen oder ändern vielmehr die allgemeinen Vorschriften der Sozialversicherung (Reichsversicherungsordnung, Angestelltenversicherungsgesetz, Reichsknappschaftsgesetz) und bilden so systematisch einen Bestandteil des allgemeinen deutschen Sozialversicherungsrechts.

Hierzu ist in der Rechtsprechung schon geklärt, daß der Umstand, daß eine Vorschrift zu den Bestimmungen über soziale Sicherheit gehört, für sich allein nicht entscheidend dafür ist, ob einer in einer solchen Vorschrift vorgesehenen Vergünstigung der Charakter einer Leistung der sozialen Sicherheit im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 beizumessen ist (s. Rechtssache 207/78, Ministère public/Gilbert Even und Office Nationale des Pensions pour Travailleurs Salariés, Urteil vom 31. Mai 1979, Slg. 1979, 2032). Andererseits kann — darin ist der Beklagten des Ausgangsverfahrens recht zu geben — für die erste zu entscheidende Frage nicht maßgebend sein, daß das WGSVG nicht in der Erklärung enthalten ist, die von der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 5 der Verordnung Nr. 1408/71 abgegeben worden ist, weil derartige Erklärungen offensichtlich keinen erschöpfenden Charakter haben.

Die Frage, ob die hier interessierende Regelung in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fällt, ist deshalb entscheidend anhand der Wesensmerkmale der zur Debatte stehenden Leistungen, der Voraussetzungen für ihre Gewährung und der Zweckbestimmung der Regelung zu beantworten. Dazu kann auf das Urteil der Rechtssache 9/78 (Directeur Régionale de la Sécurité Sociale Nancy/Paulin Gillard und Caisse Régionale d'Assurance Maladie du Nord-Est, Nancy, Urteil vom 6. Juli 1978, Slg. 1978, 1661) verwiesen werden. Von Bedeutung ist dabei auch — dies läßt sich dem Urteil vom 31. März 1977 in der Rechtssache 79/76 (Carlo Fossi gegen Bundesknappschaft, Slg. 1977, 678) entnehmen —, daß Rechtsvorschriften, die dem Betroffenen eine gesetzlich umschriebene, von jeder Ermessensbeurteilung der persönlichen Bedürftigkeit und der Verhältnisse im Einzelfall unabhängige Rechtsstellung einräumen, grundsätzlich dem Bereich der sozialen Sicherheit zuzuordnen sind.

Das WGSVG verfolgt den Zweck, Wiedergutmachung zu gewähren, wenn infolge nationalsozialistischer Verfolgung ein Schaden in der gesetzlichen Unfallversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung eingetreten ist, wobei — was die Rentenversicherung im besonderen angeht — die Weiterversicherung und die Nachentrichtung von Beiträgen ermöglicht werden sollen. Ganz klar ist, daß in bezug auf die Nachentrichtungsbefugnis des eingangs zitierten § 10 a bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine gesetzliche Rechtsstellung, ein Anspruch eingeräumt wird, daß also nicht von Ermessensbefugnissen die Rede sein kann, für die es auf Bedürftigkeit und auf die Verhältnisse des Einzelfalls ankommt. Darüber hinaus fügen sich diese Wiedergutmachungsleistungen völlig in den Rahmen des allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Leistungssystems ein. Sie setzen voraus, daß der Anspruchsinhaber Versicherter ist und daß er eine bestimmte Mindestversicherungszeit hinter sich gebracht hat, und sie bestehen im Falle der Nachversicherung für Zeiten, für die der Erwerb von Rentenanwartschaften aus Verfolgungsgründen nicht möglich war, darin, mit Hilfe von regelrechten Versicherungsbeiträgen nachträglich eine solche Deckung zu schaffen. Daneben dürfte — wie die Kommission mit Recht hervorgehoben hat — auch von Bedeutung sein, daß schon unabhängig vom WGSVG eine enge Verzahnung zwischen Entschädigungsrecht und Sozialversicherungsrecht besteht. In den allgemeinen Versicherungsgesetzen (Reichsversicherungsordnung, Angestelltenversicherungsgesetz und Reichsknappschaftsgesetz) finden sich nämlich Vorschriften über die Anrechnung bestimmter Verfolgungszeiten als Ersatzzeiten. Andererseits sieht § 1 Absatz 2 WGSVG vor, „die Ersatzzeiten des § 1251 Absatz 1 Nr. 4 der Reichsversicherungsordnung, des § 28 Absatz 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes und des § 51 Absatz 1 Nr. 4 des Reichsknappschaftsgesetzes“ seien als Verfolgungszeiten, das heißt, ohne Gegenleistung, zu berücksichtigen.

Danach läßt sich tatsächlich die Meinung vertreten, die Nachentrichtungsbefugnis des § 10 a WGSVG sei, weil sie nach Voraussetzungen, Zweckbestimmung und Rechtsfolgen besonders eng an das System der gesetzlichen Rentenversicherung gebunden ist, der Sozialversicherung zuzurechnen und falle daher in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71.

Dem kann außerdem hinzugefügt werden, daß die genannte Nachentrichtungsbefugnis sicher nicht von Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung Nr. 1408/71 erfaßt wird, wo es heißt:

„Diese Verordnung ist weder auf die Sozialhilfe noch auf Leistungssysteme für Opfer des Krieges und seiner Folgen noch auf Sondersysteme für Beamte und ihnen Gleichgestellte anzuwenden.“

Tatsächlich ist unstreitig, daß es bei der Nachentrichtungsbefugnis um keines der ausdrücklich aufgeführten Sondersysteme geht. Weiterer Ausführungen dazu bedarf es wohl nicht.

2. Zur zweiten Frage

Hier geht es um die Auslegung des bereits zitierten Artikels 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71. Es soll geklärt werden, ob er die nach § 10 a WGSVG erforderlichen 60 Monate Versicherungszeit auch insoweit erfaßt, als hierdurch die Eigenschaft als Versicherter nach § 1 Absatz 1 WGSVG begründet wird.

Nach Ansicht der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und der Kommission ist dies zu verneinen.

Nach Meinung der Klägerin des Ausgangsverfahrens verlangen Wortlaut und Zweck der Vorschrift eine Gleichstellung von in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten, ohne weitere Bedingungen festzulegen. Eine einschränkende Auslegung dahin, daß sie nicht für Beitragszeiten, die den Versichertenstatus begründeten, gelte, komme nicht nur in Konflikt mit dem Grundsatz, durch die Wahl des Wohnsitzes innerhalb der Gemeinschaft dürften Nachteile in der Sozialversicherung nicht entstehen; sie verstieße auch gegen die Prinzipien des Artikels 3 der Verordnung Nr. 1408/71, nach denen Personen, die der Sozialversicherung eines Mitgliedstaats angehören, gleichzeitig Mitglieder der Versichertengemeinschaften der anderen Mitgliedsländer seien.

Meines Erachtens kann der Ansicht der Klägerin in diesem Punkt nicht gefolgt werden.

Dafür läßt sich zwar nicht unmittelbar auf Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 und den vorhin zitierten Anhang V C 8 b zurückgreifen, woraus sich ergibt, daß eine Mitgliedschaft in der deutschen Rentenversicherung früher schon erworben worden sein muß. Ganz unzweifelhaft ist nämlich, daß diese Vorschriften nicht auf die Nachentrichtungsbefugnis des WGSVG angewandt werden können, weil sich Artikel 9 Absatz 1 auf Vorschriften bezieht, nach denen die Voraussetzung des Wohnsitzes in dem betreffenden Mitgliedstaat gilt, was für das WGSVG, das ein solches Wohnsitzerfordernis nicht kennt, nicht zutrifft; zum anderen ist nach Anhang V klar, daß er nur die §§ 1233 der Reichsversicherungsordnung und 10 des Angestelltenversicherungsgesetzes in Betracht zieht, während es hier um § 10 a des WGSVG geht, der von § 10 des Angestelltenversicherungsgesetzes systematisch ganz unabhängig ist.

Offensichtlich zutreffend ist aber die Meinung, daß dem Artikel 9 Absatz 2 stillschweigend ein Prinzip zugrunde liegt, wie es in Absatz 1 zum Ausdruck kommt. Er stellt nur eine Vorschrift zur Zusammenrechnung dar, bewirkt also eine Gleichstellung von ausländischen Versicherungszeiten, soweit Leistungen von der Versicherungsdauer abhängen, so daß auf sie etwa für die Frage zurückgegriffen werden kann, ob eine Mindestversicherungzeit von insgesamt 60 Monaten gegeben ist. Sinn der Vorschrift ist es dagegen nicht, den Versichertenstatus zu begründen, vielmehr setzt sie einen solchen voraus. Dies ist — wie die Kommission gezeigt hat — ein die ganze Verordnung Nr. 1408/71 beherrschendes Prinzip. Tatsächlich betrifft keine der Vorschriften, die der Rat gemäß Artikel 51 des EWG-Vertrags im Hinblick auf das Erfordernis der Zusammenrechnung von Versicherungszeiten erlassen hat (Artikel 18, 38, 45, 64, 67 und 72 der Verordnung Nr. 1408/71), die Begründung der Versicherteneigenschaft. Auf letztere nimmt — dies hebt die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zu Recht hervor — das Gemeinschaftsrecht der sozialen Sicherheit grundsätzlich keinen Einfluß. Die Begründung des Versichertenstatus ist vielmehr Sache des nationalen Rechts und eine der notwendigen Voraussetzungen für die Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71.

Insofern läßt sich nicht zuletzt auf zwei Urteile verweisen, von denen im Verfahren auch die Rede war. So wurde im Urteil der Rechtssache 266/78 (Bruno Brunori/Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz, Urteil vom 12. Juli 1979, Slg. 1979, 2712) betont, in Artikel 45 der Verordnung Nr. 1408/71 sei zwar eine Zusammenrechnung der Versicherungszeiten vorgesehen; die Zusammenrechnung betreffe als solche aber „nicht die Fragen der Zugehörigkeit und der Beendigung der Zugehörigkeit zu den verschiedenen Systemen der sozialen Sicherheit, deren Regelung sich allein nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften richtet“. Desgleichen wurde im Urteil der Rechtssache 110/79 (Una Coonan/Insurance Officer, Urteil vom 24. April 1980) hervorgehoben, die Artikel 18 und 46 der Verordnung Nr. 1408/71 regelten die Zusammenrechnung anrechenbarer Versicherungszeiten, „jedoch nicht die Vorfrage, unter welchen Voraussetzungen ein Angehöriger eines Mitgliedstaats dem System der sozialen Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats beitreten kann oder muß ...“. Es sei — so heißt es in diesem Urteil weiter — Sache jedes Mitgliedstaats, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen eine Person einem System der sozialen Sicherheit oder einem bestimmten Zweig eines solchen Systems beitreten kann oder muß; hänge der Beitritt zu einem System der sozialen Sicherheit oder einem seiner Zweige nach innerstaatlichem Recht von der Voraussetzung ab, daß der Betroffene zuvor dem innerstaatlichen System der sozialen Sicherheit angehört habe, so verpflichte die Verordnung Nr. 1408/71 die Mitgliedstaaten nicht, in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegte Versicherungszeiten den im eigenen Staatsgebiet zurückgelegten Zeiten gleichzustellen.

Demgegenüber ist die Bezugnahme der Klägerin auf das Gleichbehandlungsgebot des Artikels 3 der Verordnung Nr. 1408/71 und ihr Hinweis auf die Tatsache, daß sie ihren Wohnsitz in Deutschland nicht freiwillig aufgegeben hat und daß ihr die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt worden ist, ohne Bedeutung. Dazu hat die Kommission mit Recht ausgeführt, es sei nicht der Sinn des genannten Gleichbehandlungsgebotes, für eine generelle Gleichstellung aller Versicherungstatbestände zu sorgen, da dies weit über die Koordinierungsfunktion der Verordnung Nr. 1408/71 hinausgehen würde. Was aber die beiden anderen angeführten Umstände angeht, so können sie deshalb nicht zu einer besonderen Auslegung der Verordnung Nr. 1408/71 führen, weil es sich um typisch wiedergutmachungsrechtliche Gesichtspunkte handelt, die als solche nach der Funktion der Verordnung Nr. 1408/71 keine Berücksichtigung verlangen können.

3.

Auf die Fragen des Bundessozialgerichts sollte demnach wie folgt geantwortet werden:

a)

Für die Anwendung von Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, also für die Beantwortung der Frage, ob eine gesetzliche Regelung zum Bereich der sozialen Sicherheit gehört, kommt es auf die Wesensmerkmale der vorgesehenen Leistungen, ihre Zweckbestimmung und die Voraussetzungen für ihre Gewährung an. Danach fallen die Nachentrichtungsbefugnisse, die im Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vorgesehen sind, in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71, soweit Verfolgte als Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 1 der Verordnung anzusehen sind. Das genannte Nachentrichtungsrecht gehört dagegen nicht zu einem die Anwendbarkeit der Verordnung ausschließenden Leistungssystem im Sinne des Artikels 4 Absatz 4 der Verordnung Nr. 1408/71.

b)

Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 erfaßt die nach § 10 a Absatz 2 WGSVG erforderlichen 60 Monate Versicherungszeit nur insoweit, als hierdurch nicht die Eigenschaft als Versicherter nach § 1 Absatz 1 WGSVG begründet wird.

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