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Document 61978CC0143

Schlussanträge des Generalanwalts Warner vom 22. Februar 1979.
Jacques de Cavel gegen Louise de Cavel.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesgerichtshof - Deutschland.
Rechtssache 143/78.

Sammlung der Rechtsprechung 1979 -01055

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1979:50

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS J.-P. WARNER

VOM 22. FEBRUAR 1979 ( 1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Diese Rechtssache ist dem Gerichtshof im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens des Bundesgerichtshofs aufgrund des Protokolls vom 3. Juni 1971„betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstrekkung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof“ vorgelegt worden.

Die in dem Vorlagebeschluß gestellte Frage betrifft den Anwendungsbereich des Übereinkommens, und zwar insbesondere die Tragweite der in Artikel 1 Absatz 2 Nr. 1 vorgesehenen Ausnahmen von diesem Anwendungsbereich für Verfahren, die „den Personenstand … von natürlichen Personen“ und „die ehelichen Güterstände“ betreffen.

Wie Sie wissen, gilt das Übereinkommen gegenwärtig nur in den ursprünglichen Mitgliedstaaten und ist nur in der deutschen, der französischen, der italienischen und der niederländischen Fassung verbindlich. Ich habe es bisher in Schlußanträgen, die sich mit vor 1973 erlassenen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen befaßten, von denen es keine verbindliche englische Fassung gab, so gehalten, daß ich auf die französische Fassung Bezug genommen habe. Es ist Ihnen, meine Herren Richter, jedoch ebenfalls bekannt, daß am 9. Oktober 1978 in Luxemburg ein Übereinkommen über den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zum Übereinkommen von 1968 (das „Beitrittsübereinkommen“) unterzeichnet worden ist. Dem Beitrittsübereinkommen sind Fassungen des ursprünglichen Übereinkommens und Protokolls in dänischer, englischer und irischer Sprache beigefügt. In Artikel 37 des Beitrittsübereinkommens ist bestimmt, daß diese Fassungen „gleichermaßen verbindlich wie der ursprüngliche Wortlaut des Übereinkommens von 1968 und des Protokolls von 1971“ sein sollen. Angesichts dessen gedenke ich, nach dem Text zu zitieren, der nach Abschluß der Ratifizierung des Beitrittsübereinkommens zur verbindlichen englischen Fassung werden wird. Der Vorteil dieses Vorgehens liegt darin, daß dieser Text in gewissem Umfang erkennen läßt, wie (zumindest) die Urheber des Beitrittsübereinkommens das ursprüngliche Übereinkommen aufgefaßt haben.

Ich wende mich dem Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache zu.

Am 12. Januar 1977 hatte Herr Jacques de Cavel („der Ehemann“) beim Tribunal de Grande Instance Paris ein Ehescheidungsverfahren gegen seine Frau Luise de Cavel („die Ehefrau“) eingeleitet. Der Ehemann ist französischer Staatsbürger und arbeitet in Frankfurt am Main. Die Ehefrau ist deutscher Herkunft. Sie hatten eine Wohnung in Frankfurt und eine weitere Wohnung in Cannes. Im November 1976 scheint die Ehefrau veranlaßt zu haben, daß einige wertvolle Teppiche, die nach dem Vorbringen des Ehemannes ihm gehörten, aus der Wohnung in Cannes entfernt und auf ihre Rechnung verkauft wurden. Der Ehemann behauptet ebenfalls, er habe Anfang Januar 1977 bei seiner Rückkehr aus dem Urlaub nach Frankfurt festgestellt, daß auch aus der dortigen Wohnung und aus seinem Büro eine Reihe von Gegenständen entfernt worden seien. Gestützt auf diese Behauptungen verband er mit seiner Scheidungsklage einen Antrag an das Tribunal de Grande Instance Paris auf Erlaß einstweiliger Maßnahmen („mesures conservatoires“).

Am 19. Januar 1977 verfügte der Richter für Familiensachen („Juge aux Affaires Matrimoniales“) am Tribunal zum einen die Siegelung („l'apposition des scellés“) der Möbel und der sonstigen Vermögenseegenstände in der Wohnung in Frankfurt sowie des Bankschließfachs, das auf den Namen der Frau in einer Frankfurter Bank gemietet war; zum anderen ordnete er die Pfändung („saisie-arrêt“) zweier auf den Namen der Ehefrau lautender Konten bei Frankfurter Banken an. Es besteht wohl Übereinstimmung darüber, daß diese Verfügung auf Antrag einer Partei ohne Anhörung der Gegenseite erlassen worden ist und daß sie gemäß Artikel 257 des französischen Zivilgesetzbuchs ergangen ist, der den Richter zum Erlaß von Eilmaßnahmen („des mesures urgentes“) ermächtigt, sobald eine Scheidungsklage eingereicht worden ist. Im Zuge des Verfahrens ist auf Artikel 220 des französischen Zivilgesetzbuchs verwiesen worden, nach dem solche Maßnahmen auch unabhängig von einem Scheidungsverfahren verfügt werden können. Eine auf diesen Artikel gestützte Verfügung kann jedoch nur vom Präsidenten des Gerichts erlassen werden; die hier in Frage stehende Verfügung ist nicht von ihm erlassen worden.

Der Ehemann beantragte beim Landgericht Frankfurt gemäß Artikel 31 des Übereinkommens von 1968, die Verfügung vom 19. Januar 1977 mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Das Gericht wies seinen Antrag am 3. Mai 1977 mit der Begründung zurück, der Antragsteller habe die nach Artikel 47 des Übereinkommens beizufügenden Urkunden nicht vorgelegt, „aus denen sich ergibt, daß die Entscheidung nach dem Recht des Urteilsstaats vollstreckbar ist und daß sie zugestellt worden ist“.

Der Ehemann legte hiergegen Beschwerde beim Oberlandesgericht Frankfurt ein, das die Erteilung der Vollstrekkungsklausel ebenfalls ablehnte, und zwar mit der abweichenden Begründung, daß vorläufige gerichtliche Maßnahmen während eines Scheidungsverfahrens einen Teil dieses Verfahrens bildeten und demgemäß als den Personenstand natürlicher Personen betreffende Maßnahmen anzusehen seien, die gemäß Artikel 1 Absatz 2 des Übereinkommens von dessen Anwendungsbereich ausgenommen seien. Das Oberlandesgericht vertrat die Auffassung, es komme nicht darauf an, daß die Maßnahmen darauf gerichtet gewesen seien, vermögensrechtliche Belange zu schützen, denn in derselben Bestimmung werde ausdrücklich auch auf „die ehelichen Güterstände“ Bezug genommen.

Der Ehemann hat Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt. Dieser hat dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob, um es kurz zu sagen, das Übereinkommen von 1968 auf eine Verfügung der von dem französischen Richter in der vorliegenden Rechtssache erlassenen Art nicht anwendbar ist, weil diese Verfügung in einem gerichtlichen Verfahren betreffend den Personenstand oder den ehelichen Güterstand erlassen worden ist.

Für ihre Ausführungen haben die Kommission, die deutsche Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs diese Frage in zwei Teilfragen aufgespalten:

1.

Ist das Übereinkommen von 1968 auf eine Nebenentscheidung anwendbar, die in einem Verfahren getroffen wird, in dem der Hauptanspruch außerhalb des Anwendungsbereichs des Übereinkommens liegt; ist das Übereinkommen insbesondere auf eine Entscheidung über einstweilige Maßnahmen anwendbar, die in einem Scheidungsverfahren getroffen wird?

2.

Betreffen im Falle der Bejahung der ersten Frage Maßnahmen der von dem französischen Richter in der vorliegenden Rechtssache verfügten Art „den Personenstand natürlicher Personen“ oder „die ehelichen Güterstände“ im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 des Übereinkommens?

Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat die Ansicht vertreten, die erste Frage solle verneint werden. Sie hat diese Auffassung auf vier Hauptargumente gestützt:

i)

Es bestünden große Unterschiede sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen sich Gerichte der Mitgliedstaaten eine Zuständigkeit für Ehescheidungen beimäßen, wie auch der Gründe — wenn sie überhaupt solche anerkennten —, deretwegen sie die Scheidung einer Ehe zuließen. Hierin liege der Hauptgrund dafür, daß Rechtsstreitigkeiten, die den Personenstand natürlicher Personen beträfen, vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgeschlossen seien. Da das Scheidungsrecht in einer tiefliegenden sozialen, sittlichen und religiösen Einstellung wurzele, sei es für die Gerichte eines Landes schwierig, die Gerichte eines anderen Landes bei der Ausübung dieser Gerichtsbarkeit zu unterstützen. Es wäre unlogisch und würde dem Geist des Übereinkommens zuwiderlaufen, wenn in ihm dennoch vorgeschrieben wäre, daß in der Ausübung dieser Gerichtsbarkeit getroffene Nebenentscheidungen durch die Gerichte eines anderen Landes vollstreckt werden müßten.

ii)

Da Scheidungsverfahren nicht unter das Übereinkommen fielen, brauche ein Gericht, bei dem ein solches Verfahren anhängig sei, die Vorschriften des Übereinkommens betreffend die Gerichtsbarkeit über Personen, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hätten, nicht zu beachten. Folglich könne eine Nebenentscheidung in einem Scheidungsverfahren von einem Gericht getroffen werden, das nach dem Übereinkommen für diese Entscheidung nicht zuständig sei. Keinesfalls dürfe diese Frage später geprüft werden, denn Artikel 28 des Übereinkommens verbiete die Nachprüfung der Grundlagen der Zuständigkeit.

iii)

Die Zuständigkeit zum Erlaß von Nebenentscheidungen, die in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fielen, müsse ihre Grundlage in den Vorschriften des Übereinkommens selbst finden. Einem Gericht, das seine Zuständigkeit für Ehescheidungsverfahren auf eine Grundlage stütze, die nicht allgemein im Übereinkommen anerkannt sei, würde die Befugnis zum Erlaß derartiger Nebenentscheidungen im Verfahren entzogen.

iv)

Artikel 5 Nr. 2 des Übereinkommens schaffe einen Gerichtsstand, „wenn es sich um eine Unterhaltssache handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem der Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat“. Diese Bestimmung werde durch das Beitrittsübereinkommen durch folgende Worte ergänzt:

„… oder im Falle einer Unterhaltssache, über die im Zusammenhang mit einem Verfahren in bezug auf den Personenstand zu entscheiden ist, vor dem nach seinem Recht für dieses Verfahren zuständigen Gericht, es sei denn, diese Zuständigkeit beruht lediglich auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien.“

Diese Ergänzung wäre nach Ansicht der Regierung des Vereinigten Königreichs unnötig gewesen, wenn Unterhaltsverfahren, die im Zusammenhang mit Personenstandsverfahren stehen, ohnehin in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fielen.

Diese Argumente, insbesondere das zweite und dritte, sind nach meiner Auffassung von großem Gewicht. Dennoch bin ich zu dem Schluß gekommen, daß ihnen gegenüber die uns von der Kommission und von der deutschen Regierung vorgetragenen Erwägungen überwiegen.

In Artikel 1 Absatz 1 des Übereinkommens ist ausdrücklich bestimmt, daß es für die Anwendbarkeit des Übereinkommens in einem bestimmten Rechtsstreit nicht „auf die Art der Gerichtsbarkeit“, die mit dem Rechtsstreit befaßt ist, ankommt. Aus den weiteren Bestimmungen des Übereinkommens ergibt sich meiner Ansicht nach eindeutig, daß es hierfür in der Regel auch nicht auf die Art des Verfahrens ankommt. Der entscheidende Gesichtspunkt ist in der Regel der Gegenstand des Verfahrens. Von diesem allgemeinen Grundsatz gibt es ausdrückliche Ausnahmen, wie etwa jene in Artikel 1 Absatz 2 Nrn. 2 und 4 für Konkurse und ähnliche Verfahren sowie für die Schiedsgerichtsbarkeit.

Dies ist nicht überraschend. Es wäre seltsam, wenn die Anwendbarkeit des Übereinkommens davon abhinge, welchen Gerichtsstand oder welche Verfahrensart der Kläger oder Antragsteller gerade wählt; so wie es etwa im vorliegenden Fall seltsam wäre, wenn die Rechtslage für den Fall anders zu beurteilen wäre, daß der Ehemann unabhängig von dem Scheidungsverfahren einen Antrag nach Artikel 220 des Code Civil an den Präsidenten des Tribunal gestellt hätte, und wie es auch merkwürdig wäre, wenn die Vollstreckbarkeit einer Entscheidung der englischen High Court, mit der das Gesamtgut von Eheleuten erhalten werden soll, davon abhinge, ob sie von der Chancery Division in Ausübung ihrer Equity-Gerichtsbarkeit (wie im Rechtsstreit Waller/Waller [1967] 1 WLR 451) oder von der Family Division im Zuge des Ehescheidungsverfahrens getroffen wurde.

Meiner Ansicht nach sind die von der Regierung des Vereinigten Königreichs vorgenommene Auslegung von Artikel 5 Nr. 2 des Übereinkommens und die von ihr dazu vertretene Auffassung, welche Bedeutung der zukünftigen Ergänzung dieser Vorschrift durch das Beitrittsübereinkommen zukommt, unzutreffend. Artikel 5 Nr. 2 enthält in seiner gegenwärtigen Fassung eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung in Artikel 2, nach der eine Person vor den Gerichten des Staates zu verklagen ist, in dem sie ihren „Wohnsitz“ hat. Diese Ausnahmebestimmung bedeutet, daß ein „Unterhaltsberechtigter“ auch vor den Gerichten des Staates klagen kann, in dem er seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Artikel 5 Nr. 2 sagt nichts über die Frage, ob das Übereinkommen für eine Unterhaltsentscheidung gilt, die während eines Scheidungsverfahrens getroffen wird. Der Bericht von Professor Schlosser zum Entwurf des Beitrittsübereinkommens sieht in Randnummer 32 den Grund hierfür darin, daß zu der Zeit, als das Übereinkommen von 1968 ausgearbeitet worden sei, auch in den ursprünglichen Mitgliedstaaten noch der Grundsatz gegolten habe, daß vermögensrechtliche Streitigkeiten mit Statussachen nicht verbunden werden könnten. Seit 1968 hätten jedoch die allerorts unternommenen Reformen des Familienrechts dort durchgängig zu konzentrierten Sammelverfahren geführt. Das Ergebnis dieser Entwicklung kann an der Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 4. Juni 1976 im Rechtsstreit B.K./P.K. (2 W 7/76; Rechtsprechungsübersicht zum Übereinkommen von 1968, Folge 2, Nr. 54) abgelesen werden. Das Oberlandesgericht gelangte ohne Schwierigkeiten zu der Auffassung, daß eine vom Tribunal de Grande Instance Paris in einem Scheidungsverfahren erlassene Unterhaltsentscheidung nach dem Übereinkommen vollstreckbar sei. Tatsächlich lag dieser Punkt für das Oberlandesgericht zu klar, um eine Vorlage an den Gerichtshof zu rechtfertigen. Nach dieser Ansicht ist die Bedeutung der Ergänzung von Artikel 5 Nr. 2 darin zu sehen, daß ein Gericht eines Mitgliedstaats, in dem weder der „Unterhaltsverpflichtete“ seinen Wohnsitznoch der „Unterhaltsberechtigte“ seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, befugt ist, eine Anordnung zugunsten des letzteren zu treffen, vorausgesetzt, daß die Anordnung als Nebenentscheidung in einem den Personenstand betreffenden Verfahren ergeht, daß dieses Gericht nach seinem Recht für dieses Verfahren zuständig ist und daß diese Zuständigkeit nicht lediglich auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien beruht.

Die Kommission und die deutsche Regierung haben sich für ihre Auslegung von Artikel 1 (mit der ich übereinstimme) auf andere Bestimmungen des Übereinkommens, und zwar vor allem auf die Artikel 42, 5 Nr. 4 und 24, gestützt.

Artikel 42 Absatz 1 lautet:

„Ist durch die ausländische Entscheidung über mehrere mit der Klage geltend gemachte Ansprüche erkannt und kann die Entscheidung nicht im vollen Umfang zur Zwangsvollstreckung zugelassen werden, so läßt das Gericht sie für einen oder mehrere dieser Ansprüche zu.“

Dies bedeutet, daß in den Fällen, in denen eine Entscheidung sowohl unter das Übereinkommen fallende als auch von ihm ausgenommene Ansprüche berührt, die Zwangsvollstreckung hinsichtlich der unter das Übereinkommen fallenden Ansprüche anzuordnen ist. Mit dieser Betrachtungsweise wäre wohl die Ansicht nicht zu vereinbaren, daß eine Nebenentscheidung, die einen unter das Übereinkommen fallenden Anspruch betrifft, dann nicht vollstreckt werden kann, wenn sie in einem Verfahren ergeht, das auch vom Übereinkommen ausgenommene Ansprüche betrifft.

Nach Artikel 5 Nr. 4 ist ein Strafgericht, bei dem die öffentliche Klage erhoben ist, für die Entscheidung von Klagen auf Schadensersatz oder auf Wiederherstellung des früheren Zustandes zuständig, die auf eine mit Strafe bedrohte Handlung gestützt werden. Dies ist ein Fall, in dem das Übereinkommen ausdrücklich für ein Nebenverfahren gilt, obwohl das Verfahren in der Hauptsache eindeutig außerhalb seines Anwendungsbereichs liegt.

Auf Artikel 24 werde ich später in einem anderen Zusammenhang eingehen. An dieser Stelle scheint er mir bedeutungslos zu sein.

Ich wende mich nun der zweiten Frage zu. Insoweit ist es wohl völlig eindeutig, daß eine Anordnung der von dem französischen Richter in der vorliegenden Rechtssache getroffenen Art nicht den Personenstand natürlicher Personen betrifft. Sie betrifft allein den Bereich des Vermögensrechts. Die eigentliche Frage ist daher, ob die Anordnung die „ehelichen Güterstände“ („rights in property arising out of a matrimonial relationship“) betrifft.

Bei der Befassung mit dieser Frage begegnet man zwei Hauptschwierigkeiten.

Erstens haben, worauf uns die Kommission aufmerksam gemacht hat, die Ausdrücke, die dem Begriff „rights in property arising out of a matrimonial relationship“ in den Fassungen des Übereinkommens in den verschiedenen Amtssprachen entsprechen, nicht alle dieselbe Bedeutung. Der Ausdruck „die ehelichen Güterstände“ in der deutschen Fassung scheint besonders eng zu sein.

Zweitens besteht selbst in den Rechtsordnungen der ursprünglichen Mitgliedstaaten eine weitgehende Verschiedenheit im Bereich der Rechtsvorschriften, welche die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Eheleuten regeln. In all diesen Staaten werden diese Beziehungen durch „Güterstände“ geregelt, die jeweils aus einem mehr oder weniger umfassenden Komplex von Bestimmungen bestehen, wie etwa dem der „Gütergemeinschaft“, der „Gütertrennung“ oder der „Zugewinngemeinschaft“, welche die Ehepaare im Zeitpunkt der Eheschließung wählen müssen. In einigen Ländern (zum Beispiel in Deutschland) kann der für ein bestimmtes Ehepaar geltende Güterstand später abgeändert werden. In anderen Ländern ist dies nicht möglich. In einigen Ländern (zum Beispiel in Frankreich) gibt es „régime matrimonial primaire“ genannte Regelungen, die unabhängig von dem im Einzelfall gewählten Güterstand gelten. In anderen Ländern gibt es solche Regelungen nicht. Darüber hinaus unterscheiden sich die für den jeweiligen Güterstand geltenden Regeln von einem Land zum anderen. Letztlich ist es nie möglich, ohne eingehende Untersuchungen festzustellen, welche Ansprüche einem Ehegatten an bestimmten Vermögensgegenständen zustehen oder in welchem Maße sich diese Ansprüche aus dem allgemeinen Recht oder aus dem einschlägigen ehelichen Güterstand herleiten. Mit dem Beitritt Irlands und des Vereinigten Königreichs zum Übereinkommen werden sich diese Unterschiede verstärken; in diesen Ländern sind derartige Güterstandsregelungen unbekannt, jedoch können sich auch dort die Ansprüche eines Ehegatten ganz oder zum Teil entweder aus dem allgemeinen Vermögensrecht oder aus seiner oder ihrer Stellung als Ehegatten (und im letzteren Fall ganz oder zum Teil entweder aus einer Vereinbarung anläßlich der Eheschließung oder aus dem zwischen Ehegatten geltenden allgemeinen Recht) ergeben.

Eines ist sicher: Der eigentliche Zweck des Übereinkommens wird mit Sicherheit vereitelt, wenn ein Gericht, bei dem um die Vollstreckung einer von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats erlassenen Entscheidung nachgesucht wird, in jedem Fall untersuchen müßte, inwieweit sich die vermögensrechtlichen Ansprüche, welche die Entscheidung zuerkennt oder zuzuerkennen den Anschein hat, aus einem ehelichen Güterstand, aus einer güterrechtlichen Vereinbarung anläßlich der Eheschließung, aus allgemeinem ehelichen Güterrecht, aus dem allgemeinen Vermögensrecht oder (vielleicht) aus anderen Bereichen des allgemeinen Rechts herleiten. Damit das Übereinkommen die ihm zugedachte Wirkung entfalten kann, muß das Gericht, bei dem um die Vollstreckung nachgesucht wird, in der Lage sein, möglichst mit einem Blick festzustellen, ob das Übereinkommen auf die Entscheidung anwendbar ist oder nicht. Zudem wäre eine derartige Untersuchung im Falle einer Anordnung sichernder Maßnahmen wie der hier in Frage stehenden nutzlos, denn mit einer solchen Anordnung sollen keine vermögensrechtlichen Ansprüche zuerkannt werden; sie bezweckt vielmehr lediglich die Erhaltung der von ihr erfaßten Vermögensgegenstände, damit über die jeweiligen Rechte der Ehegatten an diesen Vermögensgegenständen später wirksam entschieden werden kann.

In den uns vorgetragenen Ausführungen sind drei Lösungsmöglichkeiten für dieses Problem erörtert worden.

Nach der von der Kommission vertretenen Lösung ist der Begriff der „ehelichen Güterstände“ sehr eng auszulegen und auf Verfahren betreffend die Begründung, das Bestehen oder die Aufhebung eines Güterstands zu beschränken; Fragen im Zusammenhang mit Ansprüchen, die sich aus dem Bestehen oder der Aufhebung eines solchen Güterstands ergeben, fallen nach dieser Auffassung somit nicht unter diesen Begriff. Diese Lösung wäre vermutlich für die Zeit vor Inkrafttreten des Beitrittsübereinkommens durchführbar und steht möglicherweise im Einklang mit den vier gegenwärtig verbindlichen Fassungen des Übereinkommens von 1968. Nach Inkrafttreten des Beitrittsübereinkommens wäre sie jedoch nicht durchführbar und auch unvereinbar mit der zukünftigen englischen Fassung von Artikel 1. Sie würde mit anderen Worten die ausdrückliche Absicht der Urheber des Beitrittsübereinkommens vereiteln, es sei denn, man hätte davon auszugehen, daß das Inkrafttreten des Beitrittsübereinkommens die Bedeutung von Artikel 1 verändert.

Die zweite Lösungsmöglichkeit besteht darin, den Begriff der „ehelichen Güterstände“ ganz wörtlich dahin auszulegen, daß Rechtsbeziehungen zwischen Ehegatten, die auch ohne ihre Verheiratung zwischen ihnen bestanden hätten, nicht unter diesen Begriff fallen. Diese Lösung ist, soweit ich sehe, von keiner Seite vertreten worden. Sie wäre auch mit der Zielsetzung des Übereinkommens insgesamt aus dem soeben von mir angesprochenen Grund unvereinbar, denn sie würde in jedem einzelnen Fall eine Untersuchung durch das Vollstreckungsgericht darüber erforderlich machen, auf welcher Grundlage die Ansprüche beruhen, die mit der Entscheidung durchgesetzt werden sollen.

Somit bleibt allein die Lösung, für die (wenn ich richtig verstanden habe) die deutsche Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs (wenn auch nur mit kurzer Begründung) und die Ehefrau eingetreten sind. Sie besteht darin, dem Begriff aufgrund des Umstands eine weite Bedeutung beizumessen, daß praktisch nur wenige Fälle von vermögensrechtlichen Streitigkeiten zwischen Ehegatten denkbar sind, in denen der „ehelichen Beziehung“ keine Bedeutung zukommt. Zweifellos kann ein Fall vorkommen, in dem diese Beziehung keine Rolle spielt; jedoch kann dieser Umstand dann in der Entscheidung deutlich gemacht werden, und dies wird zweifellos geschehen, wenn unter der Anwaltschaft und den Richtern der Mitgliedstaaten hinreichend bekannt ist, daß es sich dabei um eine Voraussetzung für die Vollstreckbarkeit der Entscheidung in anderen Mitgliedstaaten nach dem Übereinkommen handelt.

Im Ergebnis sollte meiner Ansicht nach eine Vermutung dahin gehend gelten, daß eine Entscheidung oder eine Anordnung, die eine vermögensrechtliche Streitigkeit zwischen Ehegatten betrifft, vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgenommen ist, soweit der jeweils in Frage stehenden Entscheidung oder Anordnung nicht auf den ersten Blick zu entnehmen ist, daß dies nicht der Fall ist.

Ich übersehe dabei nicht das Argument der Kommission, daß diese Auslegung notwendig zu einer Beschränkung des Anwendungsbereichs des Übereinkommens führen muß. Das besagt jedoch nicht, daß diese Auslegung unrichtig wäre, wie auch der Gerichtshof unlängst in seinem Urteil in der Rechtssache 133/78 (Gourdain/Nadler) bestätigt hat, in der die Kommission ein ähnliches Argument vorgetragen hatte.

Die Kommission hat ebenfalls ausgeführt, eine solche Auslegung stünde nicht im Einklang damit, daß das Übereinkommen für Unterhaltssachen gelte. Dem kann ich mich nicht anschließen. Anordnungen in Unterhaltssachen sind in der Regel auf die Zahlung von Geld gerichtet. Sie entfalten schuldrechtliche Wirkungen und lassen den vermögensrechtlichen Bereich unberührt mit Ausnahme des Falles, daß eine dinglich gesicherte Unterhaltsleistung angeordnet wird, doch ist das Vermögen dann nur in beschränktem Umfang und auf besondere Weise betroffen.

Die Kommission hat ferner ausgeführt, diese Auslegung stehe nicht im Einklang damit, daß die Urheber des Übereinkommens von 1968 bewußt von der Formulierung im Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen abgewichen seien; dieses gelte nach der Artikel 1 Absatz 2 Nr. 1 des Übereinkommens von 1968 entsprechenden Vorschrift nicht für Entscheidungen, die „den Personenstand, die Rechts- und Handlungsfähigkeit oder das Familienrecht, einschließlich persönlicher geldlicher Ansprüche und Verpflichtungen zwischen Eltern und Kindern und zwischen Ehegatten“ beträfen. Es genügt jedoch ein Blick in den Jenard-Bericht zum Übereinkommen von 1968 (Drittes Kapitel, Abschnitt IV A), um zu erkennen, warum die Urheber des Übereinkommens diese Abweichung vorgenommen haben. Ihre Gründe hatten mit der vorliegenden Streitfrage nichts zu tun, außer insoweit, als sie die Anwendbarkeit des Übereinkommens in Unterhaltssachen beabsichtigten.

Das gesamte Vorbringen des Ehemannes beruhte im Grunde genommen auf Artikel 24 des Übereinkommens, der folgenden Wortlaut hat:

„Die in dem Recht eines Vertragsstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen eischließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, können bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Vertragsstaats aufgrund dieses Übereinkommens zuständig ist.“

Meiner Ansicht nach ist dieser Artikel hier nicht einschlägig, da er nur den Fall betrifft, daß die Gerichte eines bestimmten „Vertragsstaats“ aufgrund des Übereinkommens bezüglich eines bestimmten Anspruchs für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig sind. Mit anderen Worten gilt Artikel 24 dann nicht, wenn die „Hauptsache“ außerhalb des Anwendungsbereichs des Übereinkommens liegt. Etwas anderes wäre auch überraschend, denn es würde bedeuten, daß die Gerichte der Mitgliedstaaten in Rechtsstreitigkeiten, die nicht unter das Übereinkommen fallen, einander dennoch zur Vollstreckung ihrer einstweiligen Maßnahmen verpflichtet wären.

Im Ergebnis bin ich der Ansicht, Sie, meine Herren Richter, sollten auf die dem Gerichtshof vom Bundesgerichtshof vorgelegte Frage erkennen, daß eine Anordnung sichernder Maßnahmen, die von einem Gericht eines Mitgliedstaats in einem Ehescheidungsverfahren erlassen wird, nicht allein deshalb vom Anwendungsbereich des Übereinkommens vom 27. September 1968 ausgenommen ist, weil sie in einem solchen Verfahren erlassen wird, sondern daß eine solche Anordnung dann als nicht unter das Übereinkommen fallend anzusehen ist, wenn sie Vermögen betrifft, das den Gegenstand einer Auseinandersetzung zwischen den Parteien des Scheidungsverfahrens bildet, es sei denn, der Anordnung ist auf den ersten Blick zu entnehmen, daß die im Streit befindlichen Rechte einen von der ehelichen Beziehung zwischen den Parteien unabhängigen Entstehungsgrund haben.


( 1 ) Aus dem Englischen übersetzt.

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