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Document 61976CC0088

Schlussanträge des Generalanwalts Reischl vom 16. März 1977.
Société pour l'exportation des sucres SA gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Rechtssache 88-76.

Sammlung der Rechtsprechung 1977 -00709

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1977:49

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS GERHARD REISCHL

VOM 16. MÄRZ 1977

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Nach den Bestimmungen der Gemeinsamen Zuckermarktordnung, die in der Verordnung Nr. 3330/74 (ABl. L 359 vom 31. 12. 1974, S. 1) niedergelegt sind, wird bei der Ausfuhr von Zucker aus der Gemeinschaft mit Rücksicht auf das Weltmarktpreisniveau eine Erstattung gewährt. Sie kann in der Exportlizenz, die für die Ausfuhr notwendig ist, im voraus festgelegt werden. Dies geschieht in nationaler Währung, wenn zum Zwecke der Ausfuhr eine Ausschreibung stattfindet.

Nach Maßgabe der genannten Vorschriften und aufgrund der in der Verordnung Nr. 2101/75 (ABl. L 214 vom 12. 8. 1975, S. 5) angeordneten Dauerausschreibung für Weißzucker, in deren Rahmen wöchentliche Teilausschreibungen stattfanden, erhielt die Klägerin des vorliegenden Verfahrens, ein in Belgien ansässiges Exportunternehmen, im Frühjahr 1976, und zwar vor dem 15. März 1976, Exportlizenzen mit vorausfixierter Erstattung für bestimmte Zuckermengen. Gemäß der Verordnung Nr. 2101/75, die vorsieht, daß eine Exportlizenz vom Ausstellungstag bis zum Ablauf des fünften Monats nach dem Monat der Ausschreibung gültig ist, waren die der Klägerin erteilten Lizenzen teils bis zum 31. Juli, teils bis zum 31. August 1976 wirksam. Wie in solchen Fällen nach dem Martkordnungsrecht üblich, mußte die Klägerin zur Sicherung dafür, daß die Exportgeschäfte innerhalb der Gültigkeitsdauer der Lizenzen durchgeführt wurden, eine Kaution stellen.

Nach Ausstellung der Lizenzen erging am 15. März 1976 die Ratsverordnung Nr. 557/76 (ABl. L 67 vom 15. 3. 1976, S. 1), in der gegenüber der Verordnung Nr. 475/75 (ABl. L 52 vom 28. 2. 1975, S. 1) neue, im Agrarbereich geltende repräsentative Kurse, unter anderem für den belgischen Franken, festgelegt wurden. Diese Kurse waren für den Zuckermarkt mit Beginn des neuen Wirtschaftsjahres, d.h. ab 1. Juli 1976 anwendbar.

Mit Rücksicht auf diesen Umstand bestimmt der Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 557/76, daß „die für die Änderung des Verhältnisses zwischen der Währungsparität eines Mitgliedstaats und dem Wert der Rechnungseinheit vorgesehenen Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1134/68“ (ABl. L 188 vom 1. 8. 1968, S. 1) Anwendung finden. Dazu muß man wissen, daß nach Artikel 4 Absatz 1 der letzteren Verordnung folgendes gilt:

„Bei einer Änderung des Verhältnisses zwischen der Währungsparität eines Mitgliedstaats und dem Wert der Rechnungseinheit paßt der betreffende Mitgliedstaat die in Rechnungseinheiten vorgesehenen, nachstehend genannten Beträge an, sofern sie in den für die Durchführung der gemeinsamen Agrarpolitik … erstellten … Lizenzen in Landeswährung aufgeführt sind, entsprechend dem neuen Paritätsverhältnis …:

a)

Beträge, die im voraus für ein Geschäft oder ein Teilgeschäft festgesetzt worden sind, das nach der Änderung des genannten Paritätsverhältnisses noch durchzuführen ist;

…“

Darüber hinaus schreibt Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 2 vor:

„Jedoch wird jeder betroffenen Person, die eine vorherige Festsetzung für ein bestimmtes Geschäft herbeigeführt hat, auf schriftlichen Antrag, der der zuständigen Stelle innerhalb von dreißig Tagen nach dem Inkrafttreten der Maßnahmen zur Festsetzung der angepaßten Beträge zugehen muß, die Annullierung der vorherigen Festsetzung und der entsprechenden Lizenz oder des entsprechenden Titels gewährt.“

Zu diesem Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 1134/68 ordnet Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 557/76 aber ferner an, er sei „nur anwendbar, wenn die Einführung der neuen repräsentativen Umrechnungskurse den Betroffenen, einen Nachteil bringt.“

Ebenfalls am 15. März 1976 erging zur Durchführung der Verordnung Nr. 557/76 die Kommissionsverordnung Nr. 571/76 (ABl. L 68 vom 15. 3. 1976, S. 1). Sie bestimmt in Artikel 1, daß bei Erzeugnissen, für die ein Währungsausgleichsbetrag festgesetzt wird, die in Artikel 4 Absatz 1 letzter Unterabsatz der Verordnung Nr. 1134/68 vorgesehene Annullierung der vorherigen Festsetzung und der entsprechenden Lizenz nur für in Deutschland, Belgien, Luxemburg und in den Niederlanden ausgestellte Ausfuhrlizenzen beantragt werden kann. Zu Artikel 4 Absatz 1 letzter Unterabsatz der Verordnung Nr. 1134/68 wird in Artikel 2 der Verordnung Nr. 571/76 ferner festgelegt, daß er für die genannten Erzeugnisse und die genannten Mitgliedstaaten von den in Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung Nr. 557/76 genannten Zeitpunkten, d. h. für Zucker vom 1. Juli 1976 an gilt. Außerdem ordnet Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung Nr. 571/76 an, daß „diese Bestimmungen … nur für die vorherigen Festsetzungen und die entsprechenden Lizenzen oder Titel (gelten), die vor dem 15. März 1976 ausgestellt worden sind …“.

Kurze Zeit nach Erlaß dieser Regelung hat die Klägerin — wie sie uns erklärte — beschlossen, von dieser Möglichkeit der Annullierung der Lizenzen Gebrauch zu machen, und sie hat angeblich entsprechende geschäftliche Dispositionen getroffen. Demgemäß reichte sie am 1. Juli 1976 bei der zuständigen belgischen Stelle, dem Office central des Contingents et Licences, einen Antrag auf Aufhebung der Lizenzen bezüglich einer Teilmenge von 11000 t Zucker ein.

Dem Antrag wurde jedoch aus folgenden Gründen nicht stattgegeben:

Weil die Befürchtung bestand, bei einer Geltendmachung von Annullierungsansprüchen in großem Umfang könnte die ordnungsgemäße Gemeinschaftsverwaltung bestimmter landwirtschaftlicher Märkte ernstlich behindert werden, eine Befürchtung, die sich in bezug auf den Zuckermarkt aus dem Abfallen der Weltmarktpreise und einer entsprechenden beträchtlichen Anhebung der Erstattungssätze ergab, hat der Rat am 22. Juni 1976 die Verordnung Nr. 1451/76 (ABl. L 163 vom 24. 6. 1976, S. 5) zur Änderung der Verordnung Nr. 557/76 erlassen. Ihr zufolge wurde dem Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 557/76 ein Unterabsatz hinzugefügt, der bestimmt:

„Es kann bestimmt werden, daß dieser Nachteil (d. h. der Nachteil, der sich aus der Einführung neuer repräsentativer Umrechnungskurse ergibt) durch eine geeignete Maßnahme ausgeglichen wird. In diesem Fall sind die im ersten Unterabsatz genannten Bestimmungen nicht anwendbar.“

Darauf gestützt, erging am 30. Juni 1976 die Kommissionsverordnung Nr. 1579/76 mit besonderen Durchführungsbestimmungen. Sie wurde im Amtsblatt L 172 vom 1. Juli 1976 auf S. 59 veröffentlicht und trat an diesem Tag auch in Kraft. In ihrem Artikel 1 Absatz 1 heißt es:

„Der in Artikel 5 Absatz 2 zweiter Unterabsatz der Verordnung (EWG) Nr. 557/76 genannte Ausgleich wird für die Mengen Weißzucker gewährt, für welche die Äusfuhrzollförmlichkeiten ab 1. Juli 1976 im Rahmen der gemäß Verordnung (EWG) Nr. 2101/75 durchgeführten Teilausschreibungen erfüllt wurden und für die vor dem 15. März 1976 eine Ausfuhrlizenz erteilt worden ist.“

Die Ausgleichsbeträge für die einzelnen Mitgliedstaaten finden sich im Anhang zu dieser Verordnung; für Belgien betrugen sie je 100 kg Weißzucker 10 belgischen Franken. Außerdem heißt es in Absatz 2 von Artikel 1 der Verordnung Nr. 1579/76:

„Für die in Absatz 1 genannten Ausfuhrlizenzen kann das in Artikel 4 Absatz 1 letzter Unterabsatz der Verordnung (EWG) Nr. 1134/68 vorgesehene Annullierungsrecht nicht ausgeübt werden.“

Diese Maßnahmen hält die Klägerin aus verschiedenen Gründen, auf die ich nachher einzugehen habe, nicht für rechtsgültig. Sie hat daher am 16. September 1976 den Gerichtshof angerufen und beantragt,

Artikel 1 Paragraph 2 der Verordnung Nr. 1579/76 für nichtig zu erklären, sowie

hilfsweise: diesen Paragraphen 2 wenigstens in bezug auf Annullierungsanträge, die am 1. Juli 1976 gestellt worden sind, für unwirksam zu erklären.

Auf diese Weise will sie erreichen, daß die ursprünglich vorgesehene Annullierungsmöglichkeit erhalten bleibt und die von ihr gestellten Kautionen nicht wegen Nichtausnützung der Lizenzen für verfallen erklärt werden können.

Erwähnen will ich noch — ehe ich mich der Untersuchung dieser Anträge zuwende — , daß die Klägerin auch einen Antrag nach Artikel 83 der Verfahrensordnung eingereicht hat und daß sie damit insoweit erfolgreich war, als durch Beschluß des Präsidenten vom 19. Oktober 1976 angeordnet wurde, die Kommission solle die zuständigen belgischen Stellen anweisen, bis zum Erlaß des Endurteils in der Sache die Kaution nicht für verfallen zu erklären.

Außerdem ist für die Würdigung des Falles unter Umständen von Wichtigkeit, daß die Kommission im Hinblick auf die Schwierigkeiten, denen sich einzelne Exporteure wegen der geschilderten Maßnahmen ausgesetzt sahen, am 27. Juli 1976 die Verordnung Nr. 1811/76 (ABl. L 202 vom 28. 7. 1976, S. 8) erlassen und in ihr die Gültigkeitsdauer der hier interessierenden Exportlizenzen bis zum 30. September 1976 verlängert hat.

I —

An den Beginn meiner Untersuchung des vorliegenden Falles muß ich einige Bemerkungen zur Zulässigkeit der Klage sowie zu damit zusammenhängenden Fragen, die zweckmäßigerweise vor der Prüfung der Hauptsache untersucht werden, stellen.

1.

Dabei kann ich mich ganz kurz fassen zu dem nach Artikel 173 des EWG-Vertrags für Klagen natürlicher und juristischer Personen geltenden Erfordernis, daß die angegriffene Maßnahme solche Kläger unmittelbar und individuell betreffen muß. Insoweit gibt es im vorliegenden Fall offensichtlich keine Probleme. Bei der Schilderung des Sachverhaltes ist klargeworden, daß die angegriffene Verordnung nur für Exportlizenzen gilt, die in der Bundesrepublik Deutschland und in den Benelux-Staaten vor dem 15. März 1976 ausgestellt worden sind und am 1. Juli 1976 noch nicht ausgenützt waren. Es handelt sich also, namentlich wenn man bedenkt, daß die Ausstellung dieser Lizenzen mit Rücksicht auf ihre Gültigkeitsdauer nach dem 1. Februar 1976 erfolgt sein muß, um eine begrenzte und genau bestimmbare Zahl von Betroffenen; wir haben es in Wahrheit mit nichts anderem zu tun — insoweit erinnert der Fall an den Sachverhalt der Rechtssache 41-44/70 (NV International Fruit Company u. a./gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 1. 4. 1971, Slg. 1971, 411 ff.) — als mit einem Bündel individueller Entscheidungen, die nur in die Form einer Verordnung gefaßt wurden. Da die Klägerin aber zweifellos zum Kreis der individuell und unmittelbar Betroffenen gehört, besteht tatsächlich ebensowenig wie in der erwähnten Rechtssache ein Anlaß, die Klage wegen Nichterfüllung der erwähnten Voraussetzung des Artikels 173 des EWG-Vertrags für unzulässig zu erklären.

2.

Zu fragen ist ferner, da die Kommission insofern Zweifel geäußert hat, ob die Klagefrist — nach Artikel 173 des EWG-Vertrags: zwei Monate ab Bekanntgabe der angegriffenen Handlung — eingehalten worden ist.

Dazu räumt die Kommission zwar ein, daß die Klagefrist nach Artikel 81 § 1 der Verfahrensordnung im Falle von Maßnahmen, die veröffentlicht werden, am 15. Tag nach ihrem Erscheinen im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften zu laufen beginnt. Sie meint aber, dies könne, weil die Verfahrensordnung nichts vom Vertrag Abweichendes habe anordnen wollen, nur gelten, wenn der Kläger Kenntnis von der beanstandeten Maßnahme erst nach ihrer Veröffentlichung erlangt habe. Sei dagegen der Beweis möglich, daß die Kenntnis schon zu einem früheren Zeitpunkt erlangt worden sei — und so verhalte es sich im gegenwärtigen Fall, weil die Klägerin spätestens am 5. Juli 1976 vom Inhalt der angegriffenen Verordnung erfahren habe — , so müsse für den Beginn der Klagefrist darauf abgestellt werden. Von da an gerechnet und auch bei Berücksichtigung der für Belgien geltenden Entfernungsfrist sei aber der Klageeingang am 16. September 1976 als verspätet zu bezeichnen.

Diesen Standpunkt halte ich nicht für richtig.

Artikel 81 § 1 der Verfahrensordnung schreibt ganz klar vor, daß es bei veröffentlichten Maßnahmen auf den 15. Tag nach dem Erscheinen im Amtsblatt ankommt, und er enthält keinerlei Einschränkungen im Hinblick auf eine zuvor erlangte Kenntnis. Der Sinn dieser Vorschrift wurde von der Klägerin zutreffend dahin umschrieben, daß der Beginn der Klagefrist mit Rücksicht darauf verschoben werden soll, daß die Verteilung des Amtsblattes Zeit braucht und der Tag der Ausgabe daher namentlich für weit entfernte Gebiete nicht gleichgesetzt werden kann mit dem Tag, an dem eine Kenntnisnahme vom Inhalt des Amtsblattes möglich ist. Diese pauschale Verschiebung — man hätte natürlich auch an eine Differenzierung nach dem Vorbild der Entfernungsfristen denken können — steht sicher nicht im Widerspruch zum Vertrag. Sie stellt nichts anderes dar als eine Präzisierung des Begriffes „Bekanntgabe“, d. h. eine Verdeutlichung des Beginns der Klagefrist, an der es im Vertrag selbst fehlt. Darüber hinaus glaube ich auch nicht, daß man so — im Lichte der Vertragserfordernisse gesehen — in bezug auf individuelle, nicht zugestellte Entscheidungen, die dem Kläger vor ihrer Veröffentlichung bekanntgeworden sind, zu paradoxen Ergebnissen gelangt, wie es die Kommission befürchtet. Tatsächlich darf ja nicht übersehen werden, daß es nach dem Vertrag selbst auf die Erlangung der Kenntnis für den Beginn der Klagefrist nur ankommt, wenn es an einer Veröffentlichung oder an einer besonderen Mitteilung an den Kläger fehlt.

Da im vorliegenden Fall das Amtsblatt, in dem die angegriffene Verordnung veröffentlicht wurde, am 2. Juli 1976, erschienen ist, muß demnach bei Berücksichtigung der für Belgien geltenden Entfernungsfrist die Klage — sie ging am 16. September 1976 beim Gerichtshof ein — als fristgerecht eingereicht angesehen werden.

3.

Die Kommission hat weiterhin die Frage aufgeworfen, ob es in einem Fall wie dem vorliegenden nicht angezeigt gewesen wäre, ein nationales Gericht — etwa gegen die Ablehnung des Annullierungsantrages oder die Anordung des Kautionsverfalles — anzurufen und diesem eine Vorlage nach Artikel 177 des EWG-Vertrags zum Zwecke der Beurteilung der Gültigkeit der hier interessierenden Kommissionsverordnung zu überlassen.

Auch in diesem Punkt möchte ich der Kommission, wenn sie von einem Vorrang der Anrufung nationaler Gerichte vor der Einleitung von Anfechtungsverfahren gemäß Artikel 173 des EWG-Vertrags spricht, nicht folgen.

Dabei verkenne ich nicht, daß es eine Rechtsprechung gibt, die für ihre These zu sprechen scheint. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß es sich dabei vor allem um gegen die Gemeinschaft eingeleitete Schadensersatzverfahren handelte, und zwar teils um solche, in denen es um Leistungen an Exporteure, die den Mitgliedstaaten oblagen, ging (Rechtssache 99/74, Société des Grand Moulins des Antilles/Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 26. 11. 1975, Slg 1975, 1531), teils um solche, in denen eine von nationalen Behörden anzuwendende Berechnungsmethode im Streit war (Rechtssachen 67 bis 85/75, Lesieur Cotelle et Associés SA u. a./Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 17. 3. 1976, Slg. 1976, 391). In dem ebenfalls angeführten Fall Haegeman (Rechtssache 96/71, Slg. 1972, 1005 ff.) war außerdem wichtig, daß es um die Erstattung angeblich zu Unrecht erhobener Abgaben, also um eine Auseinandersetzung ging, von der deswegen gesagt werden konnte, sie gehöre vor nationale Gerichte, weil die Erhebung derartiger Abgaben Sache der Mitgliedstaaten ist.

Im vorliegenden Fall dreht sich dagegen der Streit im Kern um die Rechtmäßigkeit einer von der Kommission getroffenen Maßnahme. Da die Voraussetzungen des Artikels 173 erfüllt sind und sich für das von der Kommission empfohlene Subsidiaritätsverhältnis im Vertrag keine Anhaltspunkte finden, liegt es hier durchaus nahe, an das Urteil der Rechtssache 43/72 (Merkur-Außenhandels-GmbH/Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 24. 10. 1973, Slg 1973, 1070) zu erinnern. Damals wurde zu einem ähnlichen Einwand lediglich festgestellt, daß der Gerichtshof im Rahmen seiner Zuständigkeit befaßt worden sei, und es wurde hinzugesetzt: „Es würde im übrigen gegen die Grundsätze einer guten Rechtspflege sowie der Prozeßökonomie verstoßen, wollte man die Klägerin zwingen, nationale Rechtsbehelfe auszuschöpfen und so längere Zeit auf die endgültige Entscheidung über ihren Antrag zu warten.“ Daran sollten wir uns auch im vorliegenden Fall halten.

4.

Im Zusammenhang mit der soeben behandelten Frage steht die weitere, gleichfalls von der Kommission aufgeworfene Frage, ob es der Klägerin, weil der durch die Kommissionsverordnung Nr. 1579/76 eingeführte Ausgleich offenbar nicht den ganzen von ihr erwarteten Gewinn deckte, im Grunde nicht um die Leistung voller Entschädigung durch die Gemeinschaft geht. Zu dieser Frage sieht sich die Kommission auch durch die Erkenntnis veranlaßt, daß der von der Klägerin geltend gemachte Klagegrund der Verletzung ihres berechtigten Vertrauens eigentlich — jedenfalls nach der bisherigen Praxis — in einen Amtshaftungsprozeß gehört.

Meines Erachtens genügt dazu die Feststellung, daß der von der Klägerin formulierte Hauptantrag eindeutig auf die teilweise Annullierung der Kommissionsverordnung Nr. 1579/76 gerichtet ist. Klar ist auch, daß bei Erreichung dieses Zieles die Möglichkeit der Annullierung von Exportlizenzen, die die Klägerin beantragt hat, erhalten bliebe und daß es dann nicht zum Verfall der Kaution — bislang aufgehalten durch den erwähnten Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes —, sondern zu ihrer Freigabe durch die nationalen Stellen käme. So gesehen ist die Anfechtungsklage also durchaus sinnvoll. In keinem Fall gibt dagegen der Umstand, daß die Klägerin den angeführten Klagegrund geltend gemacht und hervorgehoben hat, der von der Kommission eingeführte Ausgleich könne nicht alle ihre Probleme lösen, Anlaß zur Umdeutung der Klage in eine Leistungsklage gegen die Gemeinschaft, zumal die Gemeinschaft zur Freigabe der Kaution, die das eigentliche Anliegen der Klägerin darstellt, gar nicht befugt ist.

5.

Schließlich hat die Kommission Bedenken noch deswegen geäußert, weil die Klage allein gerichtet ist auf die Aufhebung von Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1579/76, d.h. die Aufhebung der Beseitigung des für Exportlizenzen geltenden Annullierungsrechtes. Bestehen bleiben solle also die in Artikel 1 Absatz 1 der genannten Verordnung vorgesehene Möglichkeit des Ausgleichs, was in Wahrheit auf ein Wahlrecht — Annullierung der Lizenzen oder Ausgleich — hinauslaufe. Demgegenüber stehe fest, daß die Kommissionsverordnung ein unteilbares Ganzes bilde; mit der Einführung des Ausgleichs sei notwendig die Abschaffung des Annullierungsrechtes verbunden, spreche doch auch die ermächtigende Ratsverordnung Nr. 1451/76 deutlich von einer Ersetzung der Annullierungsmöglichkeit durch einen Ausgleichsanspruch.

Nach meinem Eindruck ist es nicht notwendig, auf diese Frage im Zusammenhang mit der Prüfung der Zulässigkeit der Klage einzugehen. Für den Augenblick genügt es, daß die Klägerin, die nur von der früher bestehenden Annullierungsmöglichkeit Gebrauch machen will, die Feststellung begehrt, die Beseitigung des Annullierungsrechtes sei rechtswidrig, und daß dieses Klageziel nicht als unzulässig bezeichnet werden kann. Sollte sich die Klage als begründet erweisen, so wäre dann die weitere Frage, ob ein Teil der angegriffenen Verordnung Bestand haben kann oder ob sie insgesamt aufgehoben werden muß — eventuell unter Aufrechterhaltung bestimmter Wirkungen nach Artikel 174 des EWG-Vertrags —, erst im Zusammenhang mit der Prüfung der Hauptsache, der wir uns jetzt gleich zuwenden wollen, zu untersuchen.

II — Zur Hauptsache

Zur Begründung ihres Klageantrags trägt die Klägerin vor allem vor, die Mitte März 1976 geschaffene Regelung habe für die betroffenen Lizenzinhaber Rechte begründet. Deise seien als wohlerworbene Rechte absolut zu schützen, ihre spätere Beseitigung sei, weil mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht zu vereinbaren, unzulässig. Hilfsweise vertritt die Klägerin den Standpunkt, die Betroffenen hätten zumindest darauf vertrauen dürfen, daß sie ab 1. Juli 1976 ihre Lizenzen annullieren lassen könnten, und sie hätten im Hinblick darauf Dispositionen treffen dürfen. Auch dieses Vertrauen sei schutzwürdig. Eine Beeinträchtigung habe allenfalls aufgrund eines überwiegenden öffentlichen Interesses erwogen werden können; daran fehle es jedoch im vorliegenden Fall.

1.

Zunächst ist also zu prüfen, ob nach der Mitte März 1976 bestehenden Rechtslage im Hinblick auf die Möglichkeit der Annullierung von Exportlizenzen tatsächlich von einem wohlerworbenen Recht der Lizenzinhaber gesprochen werden kann.

Hieran bestehen — wenn ich dies gleich sagen darf — nach Analyse der einschlägigen Texte und bei Berücksichtigung von Sinn und Zweck der maßgebenden Vorschriften erhebliche Zweifel.

Weil Artikel 4 der eingangs erwähnten Verordnung Nr. 1134/68 auf eine Änderung des Verhältnisses zwischen der Währungsparität eines Mitgliedstaats und dem Wert der Rechnungseinheit zugeschnitten ist, kam, wie wir im Verfahren gehört haben, eine einfache analoge Anwendung auf einen Sachverhalt nicht in Frage, in dem die für den Agrarbereich geltenden repräsentativen Kurse geändert wurden. Da es hier, wie die Kommission unter Hinweis auf den auf die Erstattungsbeträge anwendbaren Währungskoeffizienten gezeigt hat, im Grunde nicht um eine Änderung der in nationaler Währung ausgedrückten Erstattungsbeträge geht, sondern allein um eine Änderung der Währungsausgleichsbeträge, und da im Währungsausgleich besondere Maßnahmen bei Änderungen der maßgebenden Daten im allgemeinen nicht getroffen werden, war es erforderlich, einen ausdrücklichen Rechtsakt, eben die Ratsverordnung Nr. 557/76, zu erlassen und auf diese Weise die in der Verordnung Nr. 1134/68 vorgesehene Möglichkeit auf Sachverhalte wie den vorliegenden zu erstrecken. So erklärt sich namentlich auch, daß in die Verordnung Nr. 557/76 eine Bedingung aufgenommen wurde; die Möglichkeit der Annullierung von Lizenzen sollte davon abhängen, daß die Einführung der neuen repräsentativen Umrechnungskurse dem Betroffenen einen Nachteil bringt. Demgemäß sollte Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 557/76 nicht mit dem Inkrafttreten der Verordnung — dem 15. März 1976 — anwendbar werden, sondern erst mit der Erfüllung der in Absatz 2 genannten Bedingung.

Nun hat die Klägerin zwar geltend gemacht, es habe, ziehe man nur die unmittelbar mit der Änderung der repräsentativen Kurse verbundenen Auswirkungen, nämlich die Änderungen der Ausgleichsbeträge in Betracht, die notwendige Klarheit insoweit schon Mitte März mit Erlaß der Durchführungsverordnung Nr. 571/76 durch die Kommission bestanden. Tatsächlich seien in diesem Zeitpunkt die Nachteile schon bezifferbar gewesen, und deshalb sei ja auch das Annullierungsrecht auf in Deutschland und in den Beneluxstaaten ausgestellte Ausfuhrlizenzen beschränkt worden.

Daraus jedoch die Schlußfolgerung zu ziehen, von diesem Zeitpunkt an habe für die Betroffenen ein sicheres Recht bestanden, hieße meines Erachtens sowohl Sinn und Tragweite der Kommissionsverordnung als auch den Grundgedanken der vom Rat geschaffenen Regelung mißdeuten.

Nach meiner Auffassung sollte die erwähnte Kommissionsverordnung lediglich zum Ausdruck bringen, daß ein Nachteil für bestimmte Exporteure in Betracht kommt, nicht aber, daß er tatsächlich schon feststeht. Außerdem wird man dem Sinn der vom Rat geschaffenen Regelung nach meiner Überzeugung am ehesten gerecht, wenn man davon ausgeht, daß die Betroffenen mit dem Wirksamwerden der neuen repräsentativen Kurse, d.h. zum 1. Juli 1976, gleichsam Bilanz machen und feststellen sollten, ob sich nicht trotz Änderung der repräsentativen Kurse, etwa im Hinblick auf die Situation des Weltmarktes, die ursprünglich ins Auge gefaßten Transaktionen, für die es eine Vorausfixierung der Erstattung gab, in zufriedenstellender Weise durchführen ließen. Die wird man schon deswegen sagen können, weil die Annullierung von Lizenzen nach dem System der Agrarmarktordnungen den Ausnahmefall bilden muß und die dafür geltenden Voraussetzungen folglich streng zu interpretieren sind.

Außer acht gelassen werden darf zudem nicht, daß es im Währungsbereich nicht möglich ist, die künftige Entwicklung mit Sicherheit vorauszusehen. Daß hier tatsächlich stets mit Änderungen zu rechnen ist, zeigt etwa die Änderung des repräsentativen Kurses des französischen Frankens, die schon bald nach der in der Verordnung Nr. 557/76 erfolgten Festsetzung in einer am 25. März 1976 erlassenen Verordnung Nr. 650/76 vorgenommen wurde.

Hinzuzufügen ist außerdem, daß es, wäre das Vorhandensein von Nachteilen im Sinne der Verordnung Nr. 557/76 im März 1976 schon sicher und demgemäß ein Annullierungsrecht fest begründet gewesen, wenig verständlich erscheinen müßte, daß die Ausübung des Annullierungsrechtes auf einen mit dem 1. Juli 1976 beginnenden Zeitraum verschoben wurde. Bei Richtigkeit der klägerischen These hätte es ja offensichtlich im Interesse der mit der Verwaltung der Marktorganisation betrauten Gemeinschaftsorgane gelegen, eine Ausübung des Annullierungsrechtes schon vorher zuzulassen, damit möglichst früh Klarheit darüber bestand, wie sich die Zuckerbilanz entwickelte, d. h. von welchen Exportlizenzen Gebrauch gemacht wurde und von welchen nicht.

Diesen Überlegungen wird die Kommissionsverordnung Nr. 571/76 dadurch gerecht — und insoweit handelt es sich keineswegs, wie die Klägerin meint, um eine unzulässige Änderung der Tragweite der Ratsverordnung Nr. 557/76 —, daß Artikel 2 ausdrücklich bestimmt, die in der Verordnung Nr. 1134/68 vorgesehene Annullierungsmöglichkeit gelte vom 1. Juli 1976 ab. Richtig verstanden bedeutet dies nicht nur die Aufschiebung der Ausübung des Annullierungsrechts, sondern es wird damit klargemacht, daß es erst entstehen sollte, wenn sich am 1. Juli 1976 zeigen würde, daß sich aus den getroffenen Währungsmaßnahmen tatsächlich Nachteile für die Exporteure ergäben. Demgegenüber läßt sich zu guter Letzt auch nicht auf den Umstand verweisen, daß in der angegriffenen Kommissionsverordnung davon die Rede ist, das vorgesehene Annullierungsrecht könne nicht ausgeübt werden. Nach allem, was bisher schon klargeworden ist, kann daraus nicht geschlossen werden, das Annullierungsrecht habe schon vor dem 1. Juli 1976 bestanden; es sollte damit vielmehr nur zum Ausdruck gebracht werden, daß, da ja in früheren Verordnungen von einer Ännullierungsmöglichkeit gesprochen wurde, diese Rechtslage zu ändern war.

Was die Hauptklagebegründung angeht, so haben wir demnach festzuhalten, daß vor dem 1. Juli 1976 bezüglich der Annullierung von Exportlizenzen keineswegs eine gefestigte Rechtsposition der Exporteure bestand, sondern in einem gewissen Sinne allenfalls ein bedingtes Recht. Insofern weist der gegenwärtige Sachverhalt tatsächlich eine beträchtliche Ähnlichkeit mit dem der Rechtssache 1/73 (Westzucker GmbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Zucker, Urteil vom 5. 7. 1973, Slg. 1973, 728 ff.) auf. Ebensowenig wie in jenem Fall „Westzucker“ kann es deshalb als ausgeschlossen gelten, daß bis zum Eintritt der Bedingung, d. h. bis zur Entstehung eines wirklichen Rechts, noch Rechtsänderungen vorgenommen werden. Kommt es dazu wie im vorliegenden Fall mit Rücksicht auf eine Änderung maßgebender wirtschaftlicher Gegebenheiten — ein im Wirtschaftsrecht durchaus geläufiges Phänomen —, so kann folglich nicht die Aufhebung der Rechtsänderung unter Berufung auf wohlerworbene Rechte verlangt werden.

2.

Kann man nun aber von der angegriffenen Verordnung sagen, sie verletze das berechtigte Vertrauen von Exporteuren, die davon ausgehen durften, daß ab 1. Juli 1976 eine Annullierung von Exportlizenzen möglich sein werde, und die im Hinblick darauf bestimmte Dispositionen getroffen haben?

Was diesen Klagegrund angeht, so kann mit der Kommission vorweg daran gezweifelt werden, daß er im Rahmen eines Anfechtungsverfahrens, in dem es um die Aufhebung einer Maßnahme von beträchtlicher Tragweite geht, überhaupt einen Platz hat. Belegt hat dies die Klägerin — etwa unter Hinweis auf einen derartigen allgemeinen Rechtsgrundsatz — nicht weiter. Sie hat sich nur darauf berufen, daß in Amtshaftungsprozessen wiederholt schon derartig argumentiert wurde. Es ist jedoch offensichtlich, daß nicht ohne weiteres Verfahren gleichgestellt werden können, in denen es — einerseits — um einen finanziellen, einer geschädigten Einzelperson zu gewährenden Ausgleich geht oder in denen — andererseits — die Aufhebung eines Hoheitsaktes mit Wirkung erga omnes zur Debatte steht, also die Interessen Dritter und damit Fragen der Rechtssicherheit berührt werden können. Vieles spricht deshalb dafür, wenn es in einem Fall wie dem vorliegenden um Maßnahmen von allgemeiner Tragweite geht, zumindest zu verlangen, daß nicht nur auf die subjektive Lage der klagenden Partei abgestellt, sondern auf den Nachweis Wert gelegt wird, daß generell das Vertrauen der betroffenen Wirtschaftskreise mißachtet wurde. Da es an einem solchen Nachweis im vorliegenden Fall fehlt, könnte man es also durchaus für vertretbar halten, dem Klagegrund der Verletzung berechtigten Vertrauens nicht weiter nachzugehen.

Will man diesen Bedenken nicht folgen, so ist der Kommission aber auf jeden Fall darin recht zu geben, daß der Vertrauensschutz nicht kategorisch jegliche Rechtsänderung ausschließt. In diesem Zusammenhang sind vielmehr verschiedene Überlegungen anzustellen, bevor der Schluß erlaubt ist, eine Regelung sei wegen Mißachtung des angeführten Grundsatzes aufzuheben. So ist wichtig, welche Interessen auf Seiten der betroffenen Wirtschaftskreise im Spiel sind und ob es sich um eine stabile oder erschütterte Vertrauenslage handelt. Ferner ist wesentlich, ob sich schwerwiegende öffentliche Interessen aufzeigen lassen, die für eine Rechtsänderung sprechen. Schließlich kommt es darauf an, ob die Rechtsänderung in einer Weise erfolgte, die auf berechtigte Interessen ausreichend Rücksicht nahm.

Zu diesen Gesichtspunkten ergibt sich im vorliegenden Fall folgende Beurteilung:

Fraglich erscheint von vornherein, ob es nach den Grundsätzen des Erstattungsrechtes als schutzwürdig angesehen werden kann, wenn — wie anscheinend im vorliegenden Fall geschehen — Dispositionen getroffen werden, die lediglich in einem Austausch von Lizenzen zum Zwecke der Erzielung eines höheren Gewinns bestehen. Tatsächlich dürfte dies schwerlich mit Sinn und Zweck der Erstattungsregelung zu vereinbaren sein, die darauf gerichtet ist, jeweils bestimmte Absatzgeschäfte gemäß den Bedingungen des Weltmarkts zu ermöglichen.

Nach dem, was ich bereits ausgeführt habe, ist ferner davon auszugehen, daß die interessierten Wirtschaftskreise angesichts einer Regelung, nach der die Wirtschaftslage ab 1. Juli 1976 für die Ausübung des Annullierungsrechtes maßgebend sein sollte, Dispositionen zu einem früheren Zeitpunkt nur mit Vorsicht treffen konnten. Außerdem ist wichtig, daß ein eventuell bestehendes Vertrauen in die unveränderte Fortgeltung der geschaffenen Rechtslage schon sehr früh erheblich erschüttert wurde. Dies war bereits Ende April 1976 der Fall, als im Verwaltungsausschuß für Zucker von der Absicht einer baldigen Änderung der Verordnung Nr. 557/76 gesprochen und vom Vorsitzenden des Ausschusses darum gebeten wurde, die betroffenen Wirtschaftskreise von dieser Absicht zu unterrichten. Noch deutlicher zeichnete sich die beabsichtigte Entwicklung ab mit dem Erlaß der bereits erwähnten Ratsverordnung Nr. 1451/76 vom 22. Juni 1976. Auch wenn in ihr nur von einer Ermächtigung der Kommission die Rede ist, so war doch für Eingeweihte klar, daß von diesem Recht umgehend, und zwar gerade im Hinblick auf den Zuckermarkt, Gebrauch gemacht werden sollte. Klar war außerdem, daß mit der Einführung eines Ausgleichs das Annullierungsrecht verschwinden sollte. Dies folgt meines Erachtens nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift, die durch die Verordnung Nr. 1451/76 dem Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 557/76 hinzugefügt worden ist. Dafür spricht auch die Begründung der Verordnung Nr. 1451/76 mit ihrem Hinweis auf die Störungsgefahr, die sich ergeben würde, wenn Annullierungsansprüche in großem Umfang geltend gemacht würden; denn es ist offensichtlich, daß eine solche Gefahr nur durch die Beseitigung des Annullierungsrechtes, nicht aber durch ein Wahlrecht zwischen Annullierung und Ausgleich ausgeschaltet werden konnte. Nach meiner Überzeugung haben diese Vorgänge sicher ein ähnliches Gewicht wie Vorschläge der Kommission zum Erlaß einer Regelung, denen im Urteil der Rechtssachen 95-98/74, 15 und 100/75 (Union Nationale des Coopératives Agricoles de Céréales u. a./Kommission und Rat der EG, Urteil vom 10. 12. 1975, Slg. 1975, 1615) im Zusammenhang mit der Geltendmachung des Schutzes berechtigten Vertrauens Bedeutung zuerkannt worden ist.

Was andererseits das Vorliegen gewichtiger öffentlicher Interessen, die für eine Rechtsänderung sprachen, angeht, so ergeben sie sich meines Erachtens aus der Befürchtung, es würde in großem Umfang von dem Annullierungsrecht Gebrauch gemacht werden, eine Befürchtung, die sich zur Zeit der Vorbereitung der Regelung Ende April/Anfang Mai 1976 auf die Entwicklung der Weltmarktpreise und auf den dadurch bedingten starken Anstieg der Erstattungen für Zukkerexporte stützte. An welche Mengen dabei zu denken war, wird klar, wenn man sich vor Augen hält, daß Ende April 1976 Exportlizenzen für 60000 t Zucker allein in den Niederlanden und in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht ausgenutzt waren. Dagegen wäre es verfehlt, von einer rückschauenden Betrachtung auszugehen und allein auf die am 1. Juli 1976 tatsächlich eingereichten Annullierungsanträge abzustellen, ist doch die Annahme ohne weiteres naheliegend, daß sich schon die Ankündigung der Absicht einer Rechtsänderung auf das Verhalten der Exporteure ausgewirkt hat.

Das geschilderte Ausmaß der zu erwartenden Annullierungen war am Ende des Zuckerwirtschaftsjahres sicher als ein erheblicher Störungsfaktor für die Zuckerbilanz anzusehen, sei es, daß man davon ausging, daß entsprechende Mengen auf dem Inlandsmarkt bleiben, also Lagerkosten verursachen und die künftige Exportpolitik beeinflussen würden, oder sei es, daß angenommen wurde, sie würden zum Teil aufgrund neuer Lizenzen exportiert, also mit höheren Erstattungen und unter Verursachung einer größeren finanziellen Belastung des Gemeinschaftshaushaltes. Daran ändert nichts der klägerische Hinweis darauf, daß für Exporte ohnehin eine Toleranzgrenze von 5 % galt, was auf das Jahr bezogen — die Ausschreibungen im Wirtschaftsjahr 1975/76 beliefen sich auf über 1000000 t — eine Unsicherheit ungefähr gleicher Größenordnung bedeuten mußte wie die sich aus der Annullierung von Exportlizenzen ergebende, im vorliegenden Verfahren interessierende. Denn zweifellos macht es einen wichtigen Unterschied, ob sich eine solche Unsicherheit auf das gesamte Wirtschaftsjahr verteilt oder ob sie sich konzentriert auf das Ende des Wirtschaftsjahres und die besonders heikle Phase des Übergangs zum nächsten Wirtschaftsjahr ergibt. Auch kann gegen die Wertung der Kommission nicht eingewendet werden, sie habe die Möglichkeit gehabt, durch ihre Erstattungspolitik die Gefahr abzuwenden, die mit einer weitgehenden Annullierung von Exportlizenzen verbunden war. Tatsächlich nämlich konnte man sich von einer Gestaltung der Erstattungspolitik nicht die gleiche Wirksamkeit versprechen wie von einer Beseitigung der Annullierungsmöglichkeit, ganz abgesehen davon, daß eine brüske Änderung der Exportpolitik am Ende des Wirtschaftsjahres und bezogen auf einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum schwerlich vertretbar erscheinen konnte.

Schließlich ist noch von Bedeutung — und dies bezieht sich auf ein letztes in diesem Zusammenhang wichtiges Element — , daß sich die Rechtsänderung nicht auf die Beseitigung des Annullierungsrechtes beschränkte. Damit verbunden war, wie wir wissen, die Einführung eines Ausgleichs, der dem Unterschied zwischen den vor und nach dem 1. Juli 1976 geltenden Währungsausgleichsbeträgen entsprach. Dies konnte im Interesse der Exporteure als ausreichend angesehen werden, denn dies führte zur Verhinderung von Nachteilen, für die die Ratsverordnung Nr. 557/76 im Grunde allein eine Garantie gab. Tatsächlich war so dafür gesorgt, daß jeder, der sich systemgerecht verhielt, d. h. seine Dispositionen erst ab 1. Juli 1976 traf, Exporte aufgrund der ursprünglich ausgestellten Lizenzen ohne einen Nachteil durchführen konnte.

Zudem tat die Kommission am 27. Juli 1976 noch ein übriges, d.h. sie verlängerte durch die Verordnung Nr. 1811/76 die Gültigkeitsdauer der betroffenen Lizenzen bis zum 30. September. Offenbar hat zumindest dies bewirkt — irgendwelche Beschwerden anderer Exporteure sind jedenfalls nicht bekanntgeworden —, daß eventuelle Schwierigkeiten auch für diejenigen überwunden werden konnten, die schon andere Dispositionen getroffen hatten und von ihren ursprünglich erlangten Lizenzen eigentlich keinen Gebrauch mehr machen wollten.

Vorausgesetzt, daß im Anfechtungsprozeß überhaupt der Klagegrund der Verletzung einer berechtigten Vertrauensposition geltend gemacht werden kann, bleibt somit nur die Feststellung, daß im vorliegenden Fall mangels der notwendigen Voraussetzungen ein derartiger Vorwurf nicht berechtigt ist. Die hilfsweise angestellten Erwägungen der Klägerin reichen also nicht zur Annullierung der angegriffenen Kommissionsverordnung aus.

3.

Demnach ist nur noch zu untersuchen, ob sich eine andere Beurteilung mit Rücksicht darauf ergibt, daß die am 30. Juni 1976 beschlossene Rechtsänderung am 1. Juli in Kraft trat, wegen verspäteter Auslieferung des Amtsblattes aber erst am 2. Juli 1976 der Klägerin bekannt wurde, d. h. nachdem sie von ihrem Annullierungsrecht durch Einreichung der Anträge bei der zuständigen belgischen Stelle Gebrauch gemacht hatte.

Auch das dürfte nicht der Fall sein, und zwar selbst wenn man davon ausgeht, daß wir es mit einem Fall von Rückwirkung zu tun haben, weil die effektive Bekanntgabe an die Betroffenen, notwendige Wirksamkeitsvoraussetzung der Regelung, nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens erfolgte. Ich habe keine Bedenken, in diesem Punkt der Kommission zu folgen, wenn sie sagt, von einem kategorischen Ausschluß derartiger „Rückwirkung“ könne nicht die Rede sein, eine definitive Entstehung des Annullierungsrechts am 1. Juli 1976 brauche keineswegs zwingend angenommen zu werden.

Für die Rechtfertigung der „Rückwirkung“ im vorliegenden Fall spricht einmal, daß befürchtet werden mußte, die Zulassung der Annullierung von Exportlizenzen auch nur an einem Tag könne zu einer erheblichen Beeinträchtigung der auf dem Spiel stehenden Gemeinschaftsinteressen führen. Zum anderen spielt auch in diesem Zusammenhang eine Rolle, daß die Beteiligten ausreichend durch den Erlaß der Ratsverordnung Nr. 1451/76 vorgewarnt waren. Endlich ist — ganz abgesehen davon, daß die Beteiligten nach dem System der Regelung gleichsam erst am 1. Juli 1976 Bilanz zu machen und danach ihre Dispositionen zu treffen hatten — von Bedeutung, daß für einen Schutz legitimer Interessen gesorgt war durch die gleichzeitig erfolgte Einführung eines Ausgleichs, also einer Art Entschädigung, und die später vorgenommene Verlängerung der Gültigkeitsdauer der Lizenzen.

Ich glaube deshalb, daß es auch nicht möglich ist, die „Rückwirkung“ auf den 1. Juli 1976 zu kritisieren und die angefochtene Verordnung insoweit aufzuheben, als sie Wirkungen schon am 1. Juli 1976 entfalten sollte.

III —

Nach alledem bleibt nur die Schlußfolgerung, daß die Klage zwar nicht als unzulässig, aber doch als unbegründet zurückgewiesen werden muß. Die Kosten des Verfahrens hat bei diesem Prozeßausgang die Klägerin zu tragen.

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