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Document 61973CC0127(01)

Schlussanträge des Generalanwalts Mayras vom 12. Februar 1974.
Belgische Radio en Televisie und société belge des auteurs, compositeurs et éditeurs gegen SV SABAM und NV Fonior.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Rechtbank van eerste aanleg te Brussel - Belgien.
BRT-II.
Rechtssache 127-73.

Sammlung der Rechtsprechung 1974 -00313

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1974:11

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS HENRI MAYRAS

VOM 12. FEBRUAR 1974 ( 1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Sie haben mit Urteil vom 30. Januar Ihre Zuständigkeit bejaht und die beiden Vorfragen erledigt, die eine Partei des Ausgangsverfahrens aufgeworfen hatte. Gleichzeitig haben Sie mich aufgefordert, meine Auffassung darüber darzulegen, wie die von der Rechtbank van eerste aanleg Brüssel vorgelegten Fragen zu beantworten sind.

I — Problemstellung

Die beiden ersten Fragen betreffen die Auslegung von Artikel 86 des Vertrages. Dabei geht es um den Begriff der mißbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung. Der belgische Richter fragt,

ob eine derartige mißbräuchliche Ausnutzung vorliegt, wenn ein Unternehmen, das in einem Mitgliedstaat bei der Verwaltung der Urheberrechte ein tatsächliches Monopol innehat, von seinen Mitgliedern, den Textdichtern, Komponisten und Musikverlegern, die Globalabtretung aller Urheberrechte verlangt, ohne dabei zwischen bestimmten Sparten von Rechten zu unterscheiden,

ob die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auch darin bestehen kann, daß ein solches Unternehmen sich von dem Urheber dessen gegenwärtigen und zukünftigen Rechte abtreten und sich die Befugnis einräumen läßt, die so übertragenen Rechte noch fünf Geschäftsjahre nach dem Austritt des Mitglieds ausschließlich auszuüben.

Bevor ich mich zu diesen Problemen äußere, halte ich es für notwendig, meine Herren, zunächst die anzuwendende Methode, eine von zwei möglichen Konzeptionen, zu wählen.

Ist im Rahmen von Artikel 177 des Vertrages eine abstrakte Auslegung und somit eine allgemein gehaltene Antwort zu geben, deren Leitgedanken dann der innerstaatliche Richter auf den bei ihm anhängigen Einzelfall anzuwenden hat?

Oder müssen Sie sich nicht im Gegenteil bemühen, diesem Richter eine Auslegung an die Hand zu geben, die ihm für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreites wirklich von Nutzen ist, indem Sie auf die konkreten Angaben abstellen, die in den Entscheidungsgründen des Vorlageurteils sowie in den von den Parteien des Ausgangsverfahrens und der Kommission vor Ihnen abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen enthalten sind?

Sie haben in Ihrer Rechtsprechung den zweiten Weg beschritten. Das ergibt sich vor allem aus Ihrem Urteil 56/65 vom 30. Juni 1966 (Société Technique Minière (LTM)/Maschinenbau Ulm GmbH (MBU) — Slg. 1966, 282, 301). Darin haben Sie hervorgehoben, daß es „in Anbetracht der Notwendigkeit, zu einer zweckdienlichen Auslegung der streitigen Rechtsvorschriften zu gelangen, gerechtfertigt [ist], wenn das innerstaatliche Gericht darlegt, innerhalb welches konkreten rechtlichen Rahmens die erbetene Auslegung erfolgen soll. Der Gerichtshof kann demnach aus der vom [innerstaatlichen Gericht] gegebenen Darstellung der Rechtslage die für das Verständnis der gestellten Fragen und die Erarbeitung einer sachgerechten Antwort erforderlichen Einzelheiten entnehmen“.

Ebenso haben Sie im Urteil 33/65 vom 1. Dezember 1965, Decker (Slg. 1965, 1185), ausgeführt, die Vorlage enthalte eine Frage, die auf die Auslegung des Gemeinschaftsrechts ziele und sich aus den Angaben des vorlegenden Gerichts zum Streitstoff ergebe.

Wir können also in der vorliegenden Rechtssache das nicht unberücksichtigt lassen, was das Verfahren vor der Rechtbank van eerste aanleg und die vor Ihnen abgegebenen Erklärungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ergeben haben.

Die Fragen betreffen die Belgische Vereniging der Auteurs, Componisten en Uitgevers, deren Satzungs- und Geschäftsordnungsbestimmungen über ihre Beziehungen zu ihren Mitgliedern im Streit sind.

Es kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Kommission von Amts wegen ein Verfahren nach Artikel 86 des Vertrages gegen diese vergleichbaren Unternehmen in den übrigen Mitgliedstaaten eingeleitet hat.

Der Dienstleistungsmarkt, der die Verwaltung von musikalischen Urheberrechten zum Gegenstand hat, weist innerhalb der Gemeinschaft Eigentümlichkeiten auf, wegen deren die Kommission glaubte, die Arbeitsweise der mit dieser Interessenwahrnehmung beauftragten Unternehmen untersuchen zu müssen, um sich ein Urteil darüber zu bilden, ob das Verhalten dieser Unternehmen den Wettbewerbsregeln des Gemeinschaftsrechts entspricht.

Das tatsächliche Monopol, das diese Unternehmen in den betreffenden Mitgliedstaaten ausüben, die übereinstimmende Beschränkung ihrer unmittelbaren Tätigkeit auf den Staat, dem sie angehören, und das Bestehen gegenseitiger Absprachen zwischen ihnen über die Nutzung ihres Repertoires erweckten bei der Kommission den Eindruck, daß jeder in einem dieser Staaten ansässige Textdichter, Komponist oder Verleger darauf angewiesen sei, die Dienste einer Verwertungsgesellschaft seines Heimatstaates in Anspruch zu nehmen, da die persönliche Wahrnehmung der Urheberrechte sich in den meisten Fällen als praktisch unmöglich erweise.

Die Kommission hat übrigens ihren schriftlichen Erklärungen die Darstellung der gegen SABAM in Betracht gezogenen Beschwerdepunkte als Anlage beigefügt. Dieses Dokument führt die Satzungsund Geschäftsordnungsbestimmungen der SABAM auf, in deren Anwendung nach Meinung der Kommission eine mißbräuchliche Ausnutzung der beherrschenden Stellung zum Ausdruck kommt, die das Unternehmen in Belgien innehat.

Die Kommission hat zwar bedauerlicherweise im Falle SABAM noch keine Entscheidung getroffen, unstreitig hat sich dieses Unternehmen aber auf den Meinungsaustausch hin, der im Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in den Jahren 1971 und 1973 bereitgefunden, einige der umstrittenen Satzungsbestimmungen zu ändern.

Ferner hat die Kommission in der das Verfahren gegen die deutsche Verwertungsgesellschaft GEMA abschließenden Entscheidung vom 2. Juni 1971 die Satzungsbestimmungen dieses Unternehmens ausdrücklich aufgezählt, die Zuwiderhandlungen gegen Artikel 86 des Vertrages darstellen. Diese Entscheidung ist zwar nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits, aber sie unterrichtet uns über die Auffassung, von der die Kommission hinsichtlich der Urheberrechtsverwertungsgesellschaften ausgeht und darüber, wie sie deren Tätigkeit im Hinblick auf Artikel 86 beurteilt.

In diesem allgemeinen Rahmen, meine Herren, sind die von der Rechtbank Brüssel vorgelegten Fragen zu prüfen. Von ihm ausgehend will ich diese Frage in ihren sachlichen und rechtlichen Zusammenhang stellen, um Ihnen eine Antwort vorzuschlagen, die den belgischen Richter soweit als möglich in die Lage versetzt, seine eigene Entscheidung in voller Kenntnis der Rechtslage zu treffen.

Denn er muß wissen, ob die zwischen den Herren Rozenstraten und Davis einerseits und der SABAM andererseits gemäß deren Satzung und Geschäftsordnung abgeschlossenen Verträge im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit nicht deshalb gegen ein Verbot verstießen, weil das Unternehmen bei ihrem Abschluß eine beherrschende Stellung mißbräuchlich ausgenutzt hat.

Daher sind die Satzungs- und Geschäftsordnungsbestimmungen zu prüfen, die den umstrittenen Verträgen zugrunde liegen, und ist von diesen Bestimmungen ausgehend das Verhalten der SABAM zu untersuchen, um zu ermitteln, ob der Tatbestand des Artikels 86 erfüllt ist.

II — Die Tatbestandsmerkmale von Artikel 86 des Vertrages

Welches sind diese Tatbestandsmerkmale?

A —

Der nach Artikel 86 verbotene Mißbrauch muß zunächst begangen sein:

durch ein oder mehrere Unternehmen

mit einer beherrschenden Stellung

auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben.

1.

Wenn auch der belgische Richter die Frage, ob die SABAM ein Unternehmen im Sinne von Artikel 86 ist, anscheinend für geklärt hält, ist es nicht überflüssig daran zu erinnern, daß die Verfasser des Vertrages, wie Professor Goldman ausführt, mit dem Ausdruck „Unternehmen“ einen wirtschaftlichen Begriff verbinden wollten: den einer „koordinierten Gesamtheit von Personen und Sachen, die zu einem bestimmten Zweck geschaffen worden und deren Tätigkeit darauf gerichtet ist, diesen Zweck zu erreichen“.

Sie haben in Ihrem allerdings zum EGKS-Vertrag ergangenen Urteil 19/61 vom 13. Juli 1962 (Mannesmann AG/Hohe Behörde — Slg. 1962, 717, 750) folgende ähnliche Formulierung gebraucht:„Das Unternehmen stellt sich als eine einheitliche, einem selbständigen Rechtssubjekt zugeordnete Zusammenfassung personeller, materieller und immaterieller Faktoren dar, mit welcher auf die Dauer ein bestimmter wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird.“

Als zusätzliches Merkmal ergibt sich aus dieser Definition das Vorhandensein einer selbständigen Rechtspersönlichkeit.

Die Rechtsform, in der das Unternehmen errichtet ist, hat aber für die Anwendung des Wettbewerbsrechts keine entscheidende Bedeutung. Ist eine juristische Person Trägerin des Unternehmens, dann ist die gewählte Rechtsform unerheblich, gleichgültig ob es sich um eine Handelsgesellschaft, eine Genossenschaft, eine bürgerlich-rechtliche Gesellschaft oder einen Verein handelt.

Artikel 86 gilt also wie Artikel 85 für alle Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, d. h. entgeltlich irgendwelche Gegenstände oder Dienstleistungen austauschen.

Eine Gesellschaft mit dem Zweck Urheberrechte entgeltlich zu verwalten und zu betreuen, „übt … eine unternehmerische, aus Dienstleistungen bestehende Tätigkeit sowohl gegenüber den Musikanbietern als auch gegenüber den Musikverbrauchern aus“, wie die Kommission in ihrer GEMA-Entscheidung ausführt.

Dieser Auffassung schließe ich mich um so bereitwilliger an, als Sie in Ihrem Urteil 78/70 vom 8. Juni 1971 (Deutsche Grammophon — Slg. 1971, 487) Artikel 86 unbedenklich auf einen „Hersteller von Tonträgern, der ein dem Urheberrecht verwandtes Schutzrecht innehat“ angewandt haben.

Daß die SABAM eine Genossenschaft ist, die ihre Mitglieder bei der Wahrnehmung ihrer Urheberrechte vertritt, schließt die Unternehmenseigenschaft nicht aus, denn die SABAM nimmt Rechte, die ihr übertragen sind, im eigenen Namen wahr, trägt die mit der Ausübung dieser Rechte verbundenen Kosten und bestimmt die Höhe der Gebühren nach Gutdünken.

Sie ist daher nicht als die „Beauftragte“ ihrer Mitglieder anzusehen; sie ist nicht rechtlich von ihnen abhängig.

Wenn schließlich in der SABAM vor allem freiberuflich tätige Textdichter und Komponisten vertreten sind, so ist auch dieser Umstand nicht geeignet, ihre Unternehmenseigenschaft zu beeinträchtigen, denn ihre Tätigkeit besteht darin, deren Urheberrechte wirtschaftlich zu nutzen.

2.

Zur Auslegung des im Artikel 86 nicht definierten Begriffs der beherrschenden Stellung ist der in Artikel 3 Buchstabe f des Vertrages aufgestellte Grundsatz heranzuziehen, daß die Tätigkeit der Gemeinschaft die Errichtung eines Systems umfaßt, das den Wettbewerb innerhalb des gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen schützt.

Wie Sie in Ihrem Urteil 6/72 vom 21. Februar 1973 (Europemballage und Continental Can — Slg. 1973, 245) ausgeführt haben, verlangt dieser Grundsatz „erst recht, daß der Wettbewerb nicht ausgeschaltet wird“. Wenn schon eine spürbare Verringerung des tatsächlichen Wettbewerbs es rechtfertigen kann, eine beherrschende Stellung auf einem bestimmten Markt als gegeben anzunehmen, so erfüllt die Ausübung einer Monopolstellung, die zur vollständigen Beseitigung des Wettbewerbs führt, den Begriff der beherrschenden Stellung und geht sogar über ihn hinaus.

Im übrigen hat die Rechtbank Brüssel die Stellung der SABAM auf dem belgischen Hoheitsgebiet als ein „tatsächliches Monopol“ bezeichnet. Unbestrittenermaßen ist seit 1940 dieses Unternehmen das einzige in Belgien, das sich mit der Nutzung der Urheberrechte insbesondere an musikalischen Werken befaßt. Es hat — wie die GEMA in der Bundesrepublik Deutschland — keinen Wettbewerber.

Dies führt dazu, daß in der Praxis jeder Komponist, Textdichter und Musikverleger darauf angewiesen ist, für die Wahrnehmung seiner Rechte die Dienste der SABAM in Anspruch zu nehmen, denn die persönliche Wahrnehmung der Urheberrechte ist praktisch unmöglich; sie würde bedeutende Mittel voraussetzen und sicherlich einen übermäßigen Kostenaufwand erfordern.

Ferner ist zwar ein belgischer Urheber oder Verleger theoretisch nicht gehindert, eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft mit der Wahrnehmung seiner Rechte zu betrauen, es steht aber fest, daß er sich dann damit abfinden muß, ein Mitglied mit beschränkten Gesellschafterrechten zu werden, und daß die verschiedenen nationalen Urheberrechtsgesellschaften durch gegenseitige Absprachen ihre unmittelbare Tätigkeit auf ihren Sitzstaat beschränken, die Ausübung der Rechte des Urhebers oder Verlegers in Belgien also dem Monopol der SABAM doch nicht entgehen würde. Demnach steht außer Zweifel, daß dieses Unternehmen eine beherrschende Stellung einnimmt.

3.

Diese muß aber im Hinblick auf einen bestimmten Markt beurteilt werden: den „relevanten Markt“. Diesen Begriff des „relevant market“ hat die amerikanische Bundesrechtsprechung aus dem amerikanischen Antitrust-Recht entwikkelt.

Die bei Märkten für Industrieerzeugnisse gewöhnlich zu beantwortende Frage, ob es Substitutionserzeugnisse gibt oder nicht, stellt sich bei den Rechten der Textdichter, Komponisten oder Musikverleger nicht.

Der „relevante Markt“ muß aber nicht nur hinsichtlich der zugehörigen Erzeugnisse oder Dienstleistungen abgegrenzt werden, sondern auch geographisch und nach seiner mengenmäßigen Bedeutung, wie es Artikel 86 mit der Bestimmung verlangt, daß eine beherrschende Stellung auf „einem wesentlichen Teil des gemeinsamen Marktes“ gegeben sein muß. Hierfür ist nicht erforderlich, daß der beherrschte Markt das Gebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten umfaßt. Die geographische Ausdehnung des Marktes ist ebensowenig ausschlaggebend. Wesentlich kommt es auf das mengenmäßige Verhältnis des Marktes zum gesamten gemeinsamen Markt an, also auf seine relative wirtschaftliche Bedeutung. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Dichte, das Einkommens- und das Kaufkraftniveau der Bevölkerung zu berücksichtigen. An Hand dieser Kriterien ist Belgien eindeutig als ein „wesentlicher Teil des gemeinsamen Marktes“ zu qualifizieren.

B —

Artikel 86 verbietet nicht die beherrschende Stellung als solche, sondern ihre mißbräuchliche Ausnutzung, soweit diese dazu führen kann, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

1.

Sie haben in Ihrem Urteil 40/70 vom 18. Februar 1971 (Sirena — Slg. 1971, 69) entschieden, daß der Begriff des Mißbrauchs objektiv zu verstehen ist und nicht notwendigerweise ein vorsätzliches Verhalten beinhaltet. Artikel 86 definiert ihn aber nicht, sondern zählt nur einige Mißbrauchsbeispiele auf, die Begriffsbestimmung ist also von Fall zu Fall zu erarbeiten.

Die Rechtbank Brüssel hat geglaubt, in ihren Fragen nur zwei Beispiele für das mißbräuchliche Verhalten der SABAM gegenüber ihren Mitgliedern und den Musikverbrauchern anführen zu müssen. Das eine besteht darin, daß die SABAM nach Artikel 10 ihrer Satzung in der Fassung, die 1968 galt, die ausschließliche Abtretung sämtlicher Urheberrechte an sie verlangt, ohne nach Rechtssparten zu unterscheiden; das zweite darin, daß die Abtretung für die gegenwärtigen und künftigen Rechte gilt, und daß der Gesellschaft die Befugnis eingeräumt wird, diese Rechte nach dem Ausscheiden eines Mitglieds noch fünf Jahre lang ausschließlich auszuüben.

Dies sind einige, aber eben nur einige, der Beschwerdepunkte, welche die Kommission gegenüber der SABAM erhoben hat; nach Ansicht der Kommission läßt sich nicht geltend machen, der Urheberschutz gebiete stets und ausnahmslos, eine Verwertungsgesellschaft einzuschalten. Es genüge, wenn der Komponist die Dienste der SABAM in dem Falle in Anspruch nehmen könne, daß er sich einem übermäßigen wirtschaftlichen Druck seitens der Musikverbraucher ausgesetzt sieht.

Zunächst kann man sich fragen, ob diese Auffassung nicht der Natur der Sache und den wirtschaftlichen Gegebenheiten widerspricht. Denn ein Textdichter oder Komponist, ja sogar ein Musikverleger, wenn es sich nicht um ein sehr mächtiges Unternehmen handelt, ist praktisch nicht in der Lage, seine Rechte selber auszuüben. Er verfügt nicht über die Mittel, die einzelnen Verwendungen zu kontrollieren, die möglicherweise von seinem Werk gemacht werden. Aber noch schwerer wiegt, daß bestimmte Musikverbraucher wie Schallplattenhersteller, öffentliche und private Rundfunk- und Fernsehstationen auf dem Markt eine so starke Stellung haben, daß sie die Textdichter und Komponisten in ein Abhängigkeitsverhältnis bringen könnten, indem sie die Abtretung bestimmter Werke, vor allem der erfolgsträchtigen, deren Nutzung besonders interessant ist, von ihnen verlangten.

Die Kommission hat die Gefährlichkeit dieser Situation erkannt und zugegeben, daß die Mitgliedschaft in einer Verwertungsgesellschaft wie der SABAM den Betroffenen einen unerläßlichen Schutz gewährt.

Umstritten ist hier jedoch nicht das Ob der Mitgliedschaft in einer Urheberrechtsgesellschaft, sondern es geht zum einen darum, wie weitgehend und einschneidend die in Artikel 10 der Satzung vorgeschriebene und in Artikel 11 des Mustervertrags erklärte ausschließliche Rechtsabtretung ist, zum anderen um die Bestimmungen, die den Mitgliedern unmittelbare Beziehungen zu ausländischen Verwertungsgesellschaften praktisch untersagen.

Nach Ansicht der Kommission liegt in diesen Bestimmungen insofern ein Mißbrauch, als die SABAM ihre Mitglieder in einer zur Erreichung des Gesellschaftszwecks nicht notwendigen Weise an sich binde und dadurch den Übertritt eines Mitglieds in eine andere Gesellschaft unbillig erschwere.

Mit anderen Worten — so drückt es übrigens die Kommission in ihrer GEMA-Entscheidung aus — ein marktbeherrschendes Unternehmen unterliegt dem Ubermaßverbot und muß zur Erreichung seines Gesellschaftszwecks unter den jeweils möglichen Mitteln das mildeste wählen.

Das obenbezeichnete Verhalten der SABAM läßt sich dem ersten in Artikel 86 Absatz 2 Buchstabe a aufgeführten Beispiel zuordnen, wonach der Mißbrauch bestehen kann in „der unmittelbaren oder mittelbaren Erzwingung von unangemessenen … Geschäftsbedingungen“.

Im übrigen ergibt sich die Übermäßigkeit auch aus der Dauer der ausschließlichen Abtretung, die für die Zeit der Mitgliedschaft gilt (Artikel 3 der Satzung), und daraus, daß die Abtretung, wie wir gesehen haben, ganz allgemein die gegenwärtigen und zukünftigen Rechte umfaßt.

Denn derartige Bestimmungen scheinen in den mit der Ausübung der Urheberrechte verbundenen praktischen Notwendigkeiten keine ernsthafte Rechtfertigung zu finden und obendrein den Zweck zu haben, die Mitglieder vollständig zu binden und daran zu hindern, einer anderen Gesellschaft beizutreten.

Angesichts der ihres Erachtens mit Artikel 86 unvereinbaren Bestimmungen hat sich die Kommission verständlicherweise unter Berücksichtigung des Umstandes, daß Verwertungsgesellschaften wie die SABAM den Urhebern von Musikwerken den Schutz gewähren, dessen sie bedürfen, darum bemüht, das zu definieren, was sie „annehmbare Bindungen“ nennt.

Dabei hat sie zwischen den verschiedenen Rechtssparten unterschieden, die durch eine Urheberrechtsverwertungsgesellschaft genutzt werden können, und Satzungsänderungen vorgeschrieben, die es den Mitgliedern ermöglichen, die Abtretung ihrer Rechte für alle ihre Werke auf bestimmte Verwertungsformen zu beschränken.

Diese Kompromißlösung ist in der zweiten GEMA-Entscheidung gefunden worden; ihr hat sich schließlich auch die SABAM gefügt, denn sie hat sich 1971 bereitgefunden, den Artikel 10 ihrer Satzung in dem von der Kommission gewünschten Sinne zu ändern. In diesem Zusammenhang ist es nicht uninteressant zu bemerken, daß die Société française des auteurs et compositeurs de musique (SACEM) sich im Verlauf des gegen sie eingeleiteten Verfahrens dieser Ansicht angeschlossen hat, und daß die niederländische Gesellschaft BUMA unáufgefordert dieselbe Entscheidung getroffen hat.

Ebenso hat die Kommission die Änderung der Satzungsbestimmung (Artikel 15 der SABAM-Satzung) erreicht, wonach die Verwertungsgesellschaft berechtigt war, nach dem Ausscheiden eines Mitglieds die abgetretenen Rechte für die Dauer von fünf Jahren weiter auszuüben.

Die Kommission war der Ansicht, die Abwicklung der laufenden Verträge erfordere keinen so langen Zeitraum, diese Bestimmung sei daher übermäßig streng und binde die Mitglieder mehr als unbedingt notwendig. Daher hielt sie es für angemessen, den fraglichen Zeitraum auf drei Jahre zu verkürzen, wenn dem Urheber die Möglichkeit geboten wird, seine Rechte nur hinsichtlich einzelner Verwertungsformen abzutreten, und auf ein Jahr, wenn er seine Rechte hinsichtlich bestimmter Verwertungssparten abgetreten hat.

Ich will über diese Lösungen, die in dem der Kommission zustehenden Beurteilungsspielraum liegen, kein Urteil abgeben, sondern nur festhalten: die SABAM hat damit, daß sie sich bereitgefunden hat, diese Lösungen in ihre Satzung einzuarbeiten, anerkannt, daß die frühere Fassung dieser Satzung an den geänderten Stellen Bestimmungen enthielt, die mit Artikel 86 EWG-Vertrag unvereinbar waren.

Ich gelange daher dazu, die ersten beiden von der Rechtbank Brüssel vorgelegten Fragen zu bejahen.

In meiner Überzeugung werde ich übrigens durch eine Erwägung bestärkt, die der belgische Richter im Vorlageurteil nicht angestellt hat, die aber Ihre Aufmerksamkeit verdient. Ein weiterer der im wesentlichen gegen die SABAM erhobenen Beschwerdepunkte wurde aus der Diskriminierung hergeleitet, deren Opfer unter der Herrschaft der im Jahre 1970 geltenden Fassung der Satzung diejenigen waren, die einem anderen Mitgliedstaat als Belgien angehörten. Artikel 6 schloß nämlich für diese Staatsangehörigen die Möglichkeit aus, als Genossen oder „stagiaires“ Mitglied der SABAM zu werden. Sie konnten der Genossenschaft nur als „titularissen“ beitreten. Trotz dieser Bezeichnung erwarben sie in dieser Stellung kein Recht, bei der Verwaltung des Unternehmens mitzuwirken. Auch blieben sie von den Leistungen der Hilfs- und Unterstützungskasse ausgeschlossen, obwohl sie verpflichtet waren, zu ihrer Finanzierung beizutragen.

Wenn man ferner weiß, daß die Satzungen der übrigen Urheberrechtsverwertungsgesellschaften entsprechende Bestimmungen enthielten, und daß diese Gesellschaften sich darauf geeinigt hatten, daß jede von ihnen ihre unmittelbare Tätigkeit auf ihren Sitzstaat zu beschränken hatte, gelangt man zu der Feststellung, daß die Arbeitsweise dieser Unternehmen tatsächlich dazu führte, die nationalen Märkte für musikalische Werke abzuriegeln, was zu den Zielen des Gemeinsamen Marktes im Widerspruch steht und geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

III — Die Auslegung der Wendung „Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind“

Bei der Prüfung der beiden letzten von der Rechtbank Brüssel vorgelegten Fragen kann ich mich kürzer fassen.

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts muß bei der Prüfung, ob die SABAM eine beherrschende Stellung mißbräuchlich ausgenutzt habe, auch Artikel 90 Absatz 2 des Vertrages berücksichtigt werden. Deshalb ersucht es Sie, die Wendung „Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind“, auszulegen und zu entscheiden, ob dieser Begriff beinhaltet, daß das Unternehmen bestimmte Vorrechte genießen muß, die anderen nicht zustehen.

Der Sinn dieser Frage ist klar: Artikel 90 Absatz 2 enthält eine Sonderregelung insbesondere für diejenigen Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind. Sie unterliegen den Wettbewerbsregeln des Vertrages nur insoweit, als diese Vorschriften nicht die Erfüllung ihrer besonderen Aufgabe hindern. Wenn daher die SABAM mit einer derartigen Aufgabe betraut und als ein Unternehmen anzusehen sein sollte, für das die Sonderregelung des Artikels 90 Absatz 2 gilt, müßte dann nicht Artikel 86 auf ihr Verhalten jedenfalls insoweit unanwendbar sein, als es die Erfordernisse ihrer Aufgabe rechtfertigen?

Bei dieser Frage hat mittelbar, aber offensichtlich die GEMA-Entscheidung der Kommission Pate gestanden.

Das deutsche Unternehmen hatte während des Verfahrens behauptet, es sei durch das Bundesgesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten vom 9. September 1965 mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut worden.

Die Kommission hat diese Ansicht nicht geteilt und festgestellt, es fehle an einer derartigen Betrauung; diese sei weder in den Vorschriften des zitierten Gesetzes noch in der der GEMA aufgrund von § 1 dieses Gesetzes erteilten Erlaubnis zu finden. Das Gesetz sehe nur vor, daß die GEMA bestimmte, ihr Finanzgebaren betreffende Verpflichtungen zu erfüllen habe, wie das beispielsweise bei Banken und Versicherungen der Fall ist. Die darüber hinausgehenden Pflichten des § 6 (Wahrnehmungszwang), des § 11 (Abschlußzwang) und des § 12 (Gesamtverträge) ergäben sich aus der tatsächlichen Monopolstellung der GEMA und entsprächen der Rechtslage in Deutschland bei allen Monopolen, die dem Kontrahierungszwang und dem Diskriminierungsverbot unterlägen.

Der Grund für die Entscheidung der Kommission lag darin, daß weder ein Gesetz noch irgendein Hoheitsakt das deutsche Unternehmen mit der Aufgabe von allgemeinem Interesse betraut hatte, die es angeblich wahrnahm.

Diese Auffassung entspricht meines Erachtens einer richtigen Auslegung von Artikel 90 Absatz 2.

Wenn auch der Begriff des allgemeinen wirtschaftlichen Interesses äußerst weit ist und über den des, service public économique' oder den des, service public à caractère industriel ou commercial' hinausgeht, muß doch die Dienstleistung einem Unternehmen durch Hoheitsakt übertragen sein, um unter Artikel 90 Absatz 2 zu fallen.

Diese Auffassung läßt sich meines Erachtens Ihrem Urteil 10/71 vom 14. Juli 1971 (Hein — Slg. 1971, 730) entnehmen, wo Sie entschieden haben, daß „unter [Artikel 90 Absatz 2]… ein Unternehmen fallen [kann], das zur Ausübung einer ihm gesetzlich übertragenen Aufgabe bestimmte Vorrechte genießt und zu diesem Zweck enge Beziehungen mit der öffentlichen Hand unterhält …“

Gewiß ging es in der zitierten Entscheidung um ein Unternehmen, das mit der Verwaltung des Flußhafens von Mertert an der Mosel betraut war, dessen Umschlag für das Großherzogtum Luxemburg von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse ist. Dieses Kriterium war also zweifelsfrei erfüllt, aber ein zweites für die Anwendung von Artikel 90 Absatz 2 notwendiges Merkmal bestand darin, daß die Verwaltung des Hafens dem Unternehmen durch einseitigen Hoheitsakt, nämlich durch Gesetz, übertragen worden war.

Im vorliegenden Fall fehlt es an einer Verbindung zwischen der SABAM und dem Staat. Sie ist nicht von der öffentlichen Hand mit ihrer Aufgabe betraut worden. Es handelt sich bei ihr um eine Genossenschaft, deren Gründung ausschließlich auf private Initiative zurückzuführen ist und die den allgemein für diese Gesellschaften geltenden belgischen Rechtsnormen untersteht. Ihr stehen keine speziellen gesetzlichen Privilegien zu.

Unter diesen Umständen erscheint es mir überflüssig zu prüfen, ob die Aufgaben der SABAM tatsächlich dem allgemeinen wirtschaftlichen Interesse dienen.

Folglich wird die letzte Frage gegenstandslos, mit der die Rechtbank Brüssel Sie um Auskunft darüber ersucht, ob Artikel 90 Absatz 2 des Vertrages zugunsten der einzelnen Rechte begründen kann, die der nationale Richter zu wahren hat.

Es sei aber doch daran erinnert, daß Sie im Urteil Hein vom 14. Juli 1971 diese Frage wie folgt entschieden haben: „[Artikel 90] Absatz 2 enthält keine unbedingte Vorschrift. Die Anwendung dieser Bestimmung erfordert eine Würdigung der Erfordernisse, die sich einerseits aus der Erfüllung der den fraglichen Unternehmen übertragenen besonderen Aufgabe und andererseits aus der Wahrung der Interessen der Gemeinschaft ergeben. Diese Würdigung betrifft die Ziele der allgemeinen Wirtschaftspolitik, welche die Mitgliedstaaten unter der Aufsicht der Kommission verfolgen. Infolgedessen ist Artikel 90 Absatz 2 unbeschadet der Ausübung der in Absatz 3 des Artikels vorgesehenen Befugnisse durch die Kommission beim gegenwärtigen Stande nicht geeignet, individuelle Rechte zu begründen, die die nationalen Gerichte zu beachten haben.“

Die Einschränkung, die Sie unter Hinweis auf Absatz 3 dieses Artikels gemacht und um derentwillen Sie die Wendung „beim gegenwärtigen Stande“ gebraucht haben, bedeutet lediglich, daß Sie sich vorbehalten, Ihre Auslegung zu ändern, falls die Kommission den Inhalt von Artikel 90 Absatz 2 durch die Anwendungsentscheidungen näher bestimmt, die zu erlassen sie nach Absatz 3 befugt ist. Das ist meines Wissens bisher nicht geschehen, so daß die von Ihnen 1971 gewählte Lösung heute noch gilt.

Ich beantrage, wie folgt zu erkennen:

1.

Bei einem Unternehmen, das im Bereich der Nutzung der Urheberrechte auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes eine beherrschende Stellung einnimmt, können nach Artikel 86 des Vertrages verbotene mißbräuchliche Praktiken vor allem darin bestehen,

a)

daß es von seinen Mitgliedern, den Textdichtern, Komponisten und Musikverlegern die Globalabtretung ihrer sämtlichen Rechte an allen ihren gegenwärtigen und zukünftigen Werken verlangt,

b)

daß es für den Fall des Ausscheidens vertraglich bestimmt, daß ein Mitglied erst nach Ablauf einer Frist von mehreren Jahren die Verfügung über seine Rechte wiedererlangt;

ein Mißbrauch ist gegeben, soweit das Unternehmen seinen Mitgliedern durch derartige Vertragsbestimmungen unangemessene Verpflichtungen auferlegt, die nach Ausmaß und Strenge weiter gehen, als es zum Schutz der Mitglieder und zur wirtschaftlichen Nutzung ihrer Rechte erforderlich ist.

2.

Mit der Wendung „Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind“, will Artikel 90 Absatz 2 des Vertrages nur solche Unternehmen erfassen, denen eine derartige Aufgabe rechtmäßig durch innerstaatlichen Hoheitsakt übertragen ist.

3.

Artikel 90 Absatz 2 ist unbeschadet der Ausübung der in seinem Absatz 3 vorgesehenen Befugnisse durch die Kommission beim gegenwärtigen Stande nicht geeignet, individuelle Rechte zu begründen, welche die nationalen Gerichte zu beachten haben.


( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt.

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