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Έγγραφο 61970CC0009

Verbundene Schlussanträge des Generalanwalts Roemer vom 17. September 1970.
Franz Grad gegen Finanzamt Traunstein.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht München - Deutschland.
Rechtssache 9-70.
Transports Lesage & Cie SA gegen Hauptzollamt Freiburg.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht Baden-Württemberg - Deutschland.
Rechtssache 20-70.
Erich Haselhorst gegen Finanzamt Düsseldorf-Altstadt.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht Düsseldorf - Deutschland.
Rechtssache 23-70.

Sammlung der Rechtsprechung 1970 -00825

Αναγνωριστικό ECLI: ECLI:EU:C:1970:76

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS KARL ROEMER

VOM17. September 1970

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Die drei Vorlageverfahren (Rechtssachen 9/70, 20/70 und 23/70), die uns heute beschäftigen, haben im wesentlichen denselben Gegenstand. Deshalb ist es mir wohl gestattet, sie in gemeinsamen Schlußanträgen zu behandeln. — Zum Sachverhalt ist folgendes vorauszuschicken.

Die Kläger der Ausgangsverfahren, die ich in der Reihenfolge des Eingangs der Vorlagen Kläger zu 1, zu 2 und zu 3 nennen werde, sind Güterfernverkehrsunternehmer. Der Kläger zu 1 hat seinen Geschäftssitz in Österreich, der zu 2 in Frankreich und der zu 3 in der Bundesrepublik Deutschland. Sie wenden sich dagegen, daß sie aufgrund des am 1. Januar 1969 in Kraft getretenen und bis zum 31. Dezember 1970 gültigen deutschen Gesetzes über die Besteuerung des Straßengüterverkehrs vom 28. Dezember 1968 (BGBl. I, S. 1461) zur Steuer veranlagt worden sind. Im einzelnen handelt es sich um einen vom Zollamt Schwarzbach/Autobahn erlassenen Steuerbescheid, mit dem vom Kläger zu 1 Straßengüterverkehrsteuer dafür erhoben wird, daß er am 1. März 1969 mit seinem in Österreich zugelassenen Lastkraftwagen eine bestimmte Warenmenge von Hamburg durch die Bundesrepublik Deutschland nach Linz transportiert hat. Im Falle des Klägers zu 2, der grenzüberschreitenden Güterfernverkehr zwischen Frankreich und Deutschland betreibt, stehen 9 vom Zollamt Neuenburg/Rheinbrücke erlassene und sich auf den Monat September 1969 beziehende Steuerbescheide zur Debatte. Im Ausgangsverfahren des Klägers zu 3 geht es um die vom Finanzamt Düsseldorf aufgrund der Erklärungen des Klägers für den Monat Februar 1969 festgesetzte Beförderungsteuer. — Zu dem den Bescheiden zugrunde liegenden Gesetz muß man wissen, daß es zusammen mit anderen Gesetzen im Rahmen des sogenannten Leber-Planes erlassen wurde und der Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit auf den Straßen, der Wiederherstellung einer geordneten Verkehrswirtschaft und der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Bundesbahn dienen soll. Es sieht — soweit sein Inhalt jetzt von Interesse ist — für die Beförderung von Gütern im grenzüberschreitenden Straßenverkehr und im Straßenfernverkehr der Bundesrepublik Deutschland die Entrichtung einer Steuer vor, die sich nach dem Rohgewicht der transportierten Ware und nach der Entfernung (1 Pfennig pro t/km) bemißt, wobei — was für den Fall des Ausgangsverfahrens 9/70 von Bedeutung ist — für Güter, die mit Seeschiffen eingeführt wurden und deren Beförderung zu Lande im Seehafen beginnt, nur die 170 km übersteigende Tarifentfernung in Betracht kommt. Zu dem Gesetz ist weiterhin zu sagen, daß sein Entwurf zusammen mit anderen, in den Rahmen des verkehrspolitischen Programms für die Jahre 1968 bis 1972 fallenden Entwürfen gemäß Artikel 1 der Ratsentscheidung vom 21. März 1962 über die Einführung eines Verfahrens zur vorherigen Prüfung und Beratung künftiger Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Verkehrs (Amtsblatt Nr. 23 vom 3. April 1962, S. 720) der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Stellungnahme zugeleitet worden ist. Es erging darauf am 31. Januar 1968 eine im Amtsblatt L 35 vom 8. Februar 1968, S. 14, veröffentlichte Empfehlung der Kommission, in der unter anderem erklärt wurde, Steuern zum Zweck der Verkehrsteilung seien mit der gemeinsamen Verkehrspolitik nicht vereinbar. Dementsprechend hat die Kommission der Bundesrepublik empfohlen, auf die Beförderungsteuer zu verzichten und eine Umstrukturierung im Sinne einer Tarifordnung für die Benutzung der Verkehrswege vorzusehen.

Nicht zuletzt auf diese Empfehlung beziehen sich die Kläger, um vor den von ihnen angerufenen Finanzgerichten die Unvereinbarkeit des Gesetzes mit dem EWG-Recht geltend zu machen und so die Aufhebung der an sie gerichteten Bescheide zu erreichen. — Darüber hinaus ist für die Begründung ihrer Klagen aber vor allem folgendes von Bedeutung. In Artikel 4 der Ratsentscheidung vom 13. Mai 1965 über die Harmonisierung bestimmter Vorschriften, die den Wettbewerb im Eisenbahn-, Straßen und Binnenschiffsverkehr beeinflussen (Amtsblatt 1965, S. 1500) heißt es :

„Sobald ein gemeinsames Umsatzsteuersystem vom Rat beschlossen und in den Mitgliedstaaten in Kraft gesetzt worden ist, wenden die Mitgliedstaaten dieses System nach noch zu bestimmenden Modalitäten auf die Güterbeförderung im Eisenbahn-, Straßen und Binnenschiffsverkehr an. Das in Absatz 1 genannte gemeinsame Umsatzsteuersystem tritt spätestens mit seinem Inkrafttreten an die Stelle der spezifischen Steuern, die statt der Umsatzsteuer erhoben werden, soweit die Güterbeförderung im Eisenbahn-, Straßen und Binnenschiffsverkehr solchen Steuern unterliegt.“

Zu dieser Entscheidung erging am 11. April 1967 eine Erste Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer (Amtsblatt 1967, S. 1301). In ihrem Artikel 1 ist angeordnet, daß „die Mitgliedstaaten ihr derzeitiges Umsatzsteuersystem durch das in Artikel 2 bezeichnete gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ersetzen)“. Weiterhin bestimmt Artikel 1 : „In jedem Mitgliedstaat wird das Gesetz über diese Ersetzung sobald wie möglich verkündet, damit es zu einem von dem betreffenden Mitgliedstaat unter Berücksichtigung der Konjunkturlage zu bestimmenden Zeitpunkt, spätestens aber am 1. Januar 1970, in Kraft treten kann.“ Das zuletzt genannte Datum wurde später (in der Dritten Richtlinie des Rates vom 9. Dezember 1969 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer — Einführung der Mehrwertsteuer in den Mitgliedstaaten) durch den 1. Januar 1972 ersetzt (Amtsblatt 1969, L320, S. 34). Aufgrund dieser Vorschriften hat die Bundesrepublik Deutschland die Mehrwertsteuer durch das Umsatzsteuergesetz vom 29. Mai 1967 (BGBl. I, S. 545) mit Wirkung vom 1. Januar 1968 eingeführt und auf Verkehrsleistungen erstreckt. Dementsprechend hat Artikel 31 des Umsatzsteuergesetzes ausdrücklich das Beförderungsteuergesetz in der Fassung vom 13. Juni 1955 aufgehoben, d.h. ein Gesetz, das Verkehrsleistungen zum Teil gleichfalls nach dem Gewicht der transportierten Güter und nach der zurückgelegten Entfernung einer Steuer unterworfen hatte. In der Einführung des neuen Gesetzes über die Besteuerung des Straßengüterverkehrs vom 28. Dezember 1968 sehen die Kläger nun die teilweise Wiederherstellung des alten, aufgrund des früheren Beförderungsteuergesetzes geltenden Zustandes. Dies halten sie im Hinblick auf die erwähnte Ratsentscheidung und die angeführten Ratsrichtlinien nicht für zulässig, und zwar unabhängig davon, ob alle Mitgliedstaaten das Mehrwertsteuersystem bereits eingeführt haben. Da die genannten Bestimmungen nach Ansicht der Kläger unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbar sind und Vorrang vor dem nationalen Recht genießen, kommen sie zu dem Ergebnis, das Gesetz vom 28. Dezember 1968 müsse als unanwendbar angesehen werden. Darüber hinaus begründen sie die Unanwendbarkeit noch unter Hinweis auf eine Reihe von Vorschriften des EWG-Vertrags. Sie vertreten die Ansicht, verletzt seien die Artikel 5 Absatz 2 und 74 des EWG-Vertrags, namentlich in Verbindung mit der im Rahmen der gemeinsamen Verkehrspolitik ergangenen Ratsentscheidung vom 13. Mai 1965. Verletzt ist nach Ansicht des Klägers zu 1 auch Artikel 80 des EWG-Vertrags, und zwar deswegen, weil das neue Gesetz eine Verkehrsteilung zum Schutze der Deutschen Bundesbahn bezwecke. Verletzt ist — wiederum nach Meinung dieses Klägers — Artikel 93 § 3 des EWG-Vertrags, weil das erwähnte Gesetz ohne vorherige Zustimmung der Kommission eine wettbewerbsverfälschende Beihilfe, eine mittelbare Subventionierung der Deutschen Bundesbahn vorsehe. Zu erwähnen ist endlich noch, daß im Ausgangsverfahren des Klägers zu 2 auch eine Verletzung der Artikel 37 und 86 des EWG-Vertrags geltend gemacht wurde, was das vorlegende Gericht selbst allerdings — ebenso wie eine Verletzung des Artikels 74 des EWG-Vertrags — nicht für diskutabel ansieht.

Im Hinblick auf diese Sachlage hielten die angerufenen Gerichte eine vorgängige Klärung verschiedener Fragen aus dem Bereich des Gemeinschaftsrechts zum Erlaß ihrer Entscheidungen für erforderlich. So kam es, den Anregungen der Kläger folgend, durch Beschlüsse vom 23. Februar 1970, 29. April 1970 und 20. Mai 1970 zur Aussetzung der nationalen Verfahren und gemäß Artikel 177 Absatz 2 des EWG-Vertrags zur Anrufung des Gerichtshofes. Dabei wurden uns folgende Fragen unterbreitet :

1.

Begründet Artikel 4 der Entscheidung des Rates vom 13. Mai 1965 über die Harmonisierung bestimmter Vorschriften, die den Wettbewerb im Eisenbahn-, Straßen und Binnenschiffsverkehr beeinflussen (65/271/EWG), in Verbindung mit Artikel 1 der Ersten Richtlinie des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer (67/227/EWG) unmittelbare Wirkungen in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und Einzelpersonen und begründen diese Vorschriften Rechte der einzelnen, welche auch die Gerichte, der Mitgliedstaaten zu beachten haben?

2.

Verbietet Artikel 4 der Entscheidung des Rates vom 13. Mai 1965 (65/271/EWG) in Verbindung mit Artikel 1 der Ersten Richtlinie vom 11. April 1967 (67/227/EWG) einem Mitgliedstaat bereits vor dem 1. Januar 1970 die Wiedereinführung von spezifischen Steuern, die für die Güterbeförderung statt der Umsatzsteuer erhoben werden, wenn dieser Mitgliedstaat das gemeinsame Mehrwertsteuersystem bereits in Kraft gesetzt und die spezifischen Steuern für die Güterbeförderung aufgehoben hat, auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle übrigen Mitgliedstaaten diese Maßnahmen durchgeführt haben ?

3.

Ist die deutsche Straßengüterverkehrsteuer (BGBl. 1968 I, S. 1461), bei der eine Tätigkeit und nicht ein Leistungsaustausch Besteuerungsmerkmal (§ 1 StraGüVStG), ferner nicht das Entgelt für eine Vertragsleistung, sondern das Leistungsprodukt Steuerbemessungsgrundlage ist (§ 3 StraGüVStG), als spezifische Steuer im Sinne von Artikel 4 der Entscheidung des Rates vom 13. Mai 1965 (65/271/EWG) anzusehen, die für die Güterbeförderung statt der Umsatzsteuer erhoben wird?

Diese drei Fragen (zitiert aus der Rechtssache 9/70) finden sich, was ihre Substanz angeht, wenn auch mit abweichenden Formulierungen und in anderer Reihenfolge, gleichermaßen in den Rechtssachen 20 und 23/70. In der Rechtssache 9/70 wurde darüber hinaus hilfsweise für den Fall, daß der Gerichtshof die Fragen 1 bis 3 verneinen sollte, die Vorabentscheidung übor folgende weitere Fragen eingeholt :

4.

Begründet Artikel 5 Absatz 2 EWG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 74 EWG-Vertrag sowie Artikel 4 der Entscheidung des Rates vom 13. Mai 1965 (65/271/EWG) und Artikel 1 der Ersten Richtlinie vom 11. April 1967 (67/227/EWG) unmittelbare Wirkungen in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den einzelnen, auf welche sich die einzelnen auch vor den Gerichten der Mitgliedstaaten berufen können?

5.

Sind unter „Beförderungsbedingungen“ im Sinne vom Artikel 80 Absatz 1 EWG-Vertrag auch Steuern zu verstehen, die spezifisch die Güterbeförderung belasten?

6.

Verbietet Artikel 80 Absatz 1 EWG-Vertrag auch den Schutz von Eisenbahnunternehmen, die von Mitgliedstaaten hoheitlich betrieben werden ?

7.

Erzeugt Artikel 80 Absatz 1 EWG-Vertrag unmittelbare Wirkungen in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den einzelnen, auf welche sich die einzelnen vor den Gerichten der Mitgliedstaaten berufen können?

8.

Gilt das Subventionsverbot der Artikel 92 ff. EWG-Vertrag in seinem sachlichen Geltungsbereich auch für das Gebiet des Verkehrs ?

9.

Verbieten Artikel 92 ff. EWG-Vertrag auch den Schutz von Eisenbahnunternehmen, die von Mitgliedstaaten hoheitlich betrieben werden?

10.

Scheidet die Annahme einer mit dem Gemeinsamen Markt nicht vereinbaren Beihilfe aus, wenn die Kommission eine Entscheidung nach Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag nicht getroffen hat und ihr der entsprechende Sachverhalt bekannt war ?

11.

Erzeugt Artikel 92 EWG-Vertrag unmittelbare Wirkungen in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den einzelnen, auf welche sich die einzelnen vor den Gerichten der Mitgliedstaaten berufen können ?

Zu allen Anfragen hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften gemäß Artikel 20 der EWG-Satzung des Gerichtshofes schriftlich Stellung genommen. Schriftlich geäußert haben sich darüber hinaus in der Rechtssache 9/70 die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und das Finanzamt Traunstein, in den Rechtssachen 20 und 23/70 die Kläger der Ausgangsverfahren sowie — in der Rechtssache 23/70 — , wenn auch nach Ablauf der vorgesehenen Frist, das Finanzamt Düsseldorf-Altstadt. In der mündlichen Verhandlung vom 15. September 1970 haben die Vertreter der Kläger der Ausgangsverfahren sowie die Bevollmächtigten der Bundesregierung und der Komission das Wort ergriffen.

Zur Beantwortung der gestellten Fragen

Wenn man sich um eine Lösung der aufgeworfenen Probleme bemüht, liegt es nahe, sich zunächst den drei Fragen zuzuwenden, die in allen drei Rechtssachen nahezu übereinstimmend gestellt wurden. Dabei spielt die Reihenfolge der Behandlung keine Rolle, faßt man — wie ich es tue — eine erschöpfende Würdigung ins Auge.

1. 

Da die Kläger die Unanwendbarkeit des deutschen Beförderungssteuergesetzes vor allem aus Artikel 4 der erwähnten Ratsentscheidung in Verbindung mit Artikel 1 der angeführten Ersten Ratsrichtlinie ableiten wollen, erhebt sich vorweg die Frage, ob derartige, an Mitgliedstaaten gerichtete Akte überhaupt Rechte der einzelnen begründen können, die die Gerichte zu beachten haben, oder ob sie entgegenstehendes nationales Recht grundsätzlich nicht zu verdrängen vermögen. Dazu hat die Bundesregierung mit Entschiedenheit den Standpunkt vertreten, eine unmittelbare Anwendbarkeit komme nicht in Betracht. Die Kommission ist demgegenüber nach Darstellung aller Gründe, die für oder gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit sprechen könnten, zu dem Ergebnis gelangt, es bestünden keine grundsätzlichen Bedenken, keine zwingenden Argumente gegen die unmittelbare Anwendbarkeit, es sei nicht allgemein ausgeschlossen, daß bestimmte Vorschriften aus Entscheidungen, die sich an Mitgliedstaaten richten, derartige Wirkungen hätten. Ganz ähnlich ist der Standpunkt der Kläger der Ausgangsverfahren.

Daß dem aufgeworfenen Problem große grundsätzliche Bedeutung zukommt, ist ohne weiteres zu erkennen. Die Annahme unmittelbarer Anwendbarkeit mancher an die Mitgliedstaaten gerichteter Entscheidungen, d. h. die direkte Durchsetzung derartigen Gemeinschaftsrechtes, ist ohne jeden Zweifel eminent integrationsfördernd und geeignet, den durch die nationalen Gerichte gewährten Rechtsschutz der Marktbürger zu verstärken (also einen Effekt zu erzielen, wie er in den Vorlagesachen 26/62, EuGH — Slg. 1963, 26 und 28/67, EuGH — Slg. 1968, 231, als bedeutsam hervorgehoben worden ist). Im Falle des gegenteiligen Standpunktes bleibt bei Mißachtung gemeinschaftsrechtlicher Entscheidungen tatsächlich nur das langwierige Feststellungsverfahren nach Artikel 169 des EWG-Vertrags, auf das Privatpersonen keinen rechtlichen Einfluß nehmen können und von dem fraglich ist, ob seine Konsequenzen (bei Verurteilung der Mitgliedstaaten) für die Marktbürger denen der unmittelbaren Durchsetzung des Gememschaftsrechtes gleichwertig sind.

Wie alle Beteiligten zutreffend hervorgehoben haben, kann in der Behandlung dieses bedeutsamen Problems nicht unmittelbar auf unsere frühere Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Es scheint in dieser Rechtsprechung aber doch Anhaltspunkte zu geben, die in eine der klägerischen These günstige Richtung weisen und deren Verwertung jetzt naheliegt. So ist zunächst einmal die Erkenntnis aufschlußreich, daß in der Rechtsprechung zu den unmittelbar anwendbaren Vertragsbestimmungen dem Wortlaut der untersuchten Artikel insofern eine untergeordnete Bedeutung zuerkannt wurde, als in ihm eine Adressierung an die Mitgliedstaaten zum Ausdruck kommt. Ich verweise dazu auf die Urteile zu den Artikeln 12, 31, 32 Absatz 1,37 Absatz 2, 53 und 95 Absätze 1 und 2. Durchweg handelt es sich hier um Bestimmungen, die nur Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zu einem Tun oder Unterlassen enthalten. Gleichwohl hat der Gerichtshof darin kein Hindernis gesehen, eine unmittelbare Reflexwirkung zugunsten einzelner, also die unmittelbare Anwendbarkeit anzunehmen, soweit die betreffenden Bestimmungen nach ihrem übrigen Inhalt geeignet erscheinen, solche Wirkungen hervorzurufen. Es könnte demnach auf der Hand liegen, ebenso bei Sekundärrecht entsprechender Ausgestaltung zu urteilen, d.h. bei Entscheidungen, die an Mitgliedstaaten gerichtet sind und diesen ein Tun oder Unterlassen aufgeben. Es könnte — anders gesagt — vertretbar erscheinen, in solchen Fällen gleichermaßen den formalen Aspekt zurücktreten zu lassen und lediglich die Frage zu stellen, ob sie nach ihrem Inhalt und ihrer Natur geeignet sind, unmittelbare Rechte der einzelnen zu begründen.

Sodann ist auf die Rechtsprechung zu Artikel 173 des EWG-Vertrags hinzuweisen, der bekanntlich das Klagerecht von Privatpersonen im Falle der Anfechtung von Entscheidungen, die an andere gerichtet sind, von einem unmittelbaren Betroffensein abhängig macht. Ein derartiges Klagerecht wurde auch im Hinblick auf Entscheidungen anerkannt, die an Mitgliedstaaten gerichtet sind. Daß in diesem Zusammenhang (ich verweise auf das Urteil der Rechtssachen 106 und 107/63, EuGH — Slg. 1965, 556) von „unmittelbar anwendbaren“ Entscheidungen der Kommission gesprochen wurde, erscheint bemerkenswert, obwohl selbstverständlich unmittelbares Betroffensein im Sinne von Artikel 173 und unmittelbare Anwendbarkeit nicht gleichzusetzen sind.

Eine dritte interessante Erscheinung, die sowohl von der Kommission wie von den Klägern zu 2 und zu 3 angeführt wurde, ist das Urteil der Rechtssache 38/69, EuGH — Slg. 1970, 57. In ihm ist zu der sogenannten Beschleunigungsentscheidung des Rates vom 26. Juli 1966 ausgeführt :

„Die Entscheidung soll sich, obwohl sie ausdrücklich nur an die Mitgliedstaaten gerichtet ist, auf dem gesamten Gemeinsamen Markt auswirken; sie regelt das Wirksamwerden in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltender Vorschriften, die in Artikel 9 Absatz 1 des Vertrages und, was insbesondere die Beziehungen zu Drittländern anbelangt, in der Verordnung Nr. 950/68/EWG des Rates vom 28. Juni 1968 über den Gemeinsamen Zolltarif enthalten sind.“

Diese Feststellung wurde zwar in einem Verfahren nach Artikel 169 des EWG-Vertrags getroffen und im Hinblick auf eine nach Artikel 235 des Vertrages zu seiner Ergänzung ergangene Entscheidung. Da es sich aber im weiteren Sinne um Sekundärrecht der Gemeinschaft handelt, erscheint es nicht abwegig, aus dem erwähnten Urteil auf die Bereitschaft des Gerichtshofes zu schließen, eine entsprechende Haltung auch für eindeutig nach Artikel 189 des Vertrages ergangene und an die Mitgliedstaaten gerichtete Entscheidungen einzunehmen.

Schließlich wirken in diesem Sinne auch die von den Klägern zu 2 und zu 3 angeführten Urteile deutscher Gerichte zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Entscheidungen, die an Staaten gerichtet sind, sowie die von diesen Klägern aufgezeigten Ansichten namhafter Autoren. (Letztere will ich jetzt nicht aufzählen; lassen Sie mich dazu auf die in den Schriftsätzen enthaltenen Fundstellen verweisen.)

Indessen soll das Gewicht der Einwendungen, die gegen die Ansicht der Kommission vorgebracht wurden, nicht verkannt werden. Sie leiten sich vor allem aus dem nach dem Vertrag für das Sekundärrecht geltenden System ab, wie es in Artikel 189 zum Ausdruck kommt. Danach wird unterschieden zwischen Verordnungen mit allgemeiner Geltung, die in allen ihren Teilen verbindlich sind und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten; Richtlinien, die für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet sind, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind, die den innerstaatlichen Stellen jedoch die Wahl der Form und der Mittel überlassen; und schließlich den Entscheidungen, die in allen ihren Teilen für diejenigen verbindlich sind, die sie bezeichnen. Aus diesen Definitionen könnte tatsächlich der Schluß gezogen werden, daß eine unmittelbare Rechtsetzung durch die Gemeinschaftsinstanzen nur in Form von Verordnungen möglich ist, weil von ihnen allein gesagt ist, daß sie unmittelbar in den Mitgliedstaaten gelten. In allen anderen Fällen dagegen wäre es erst der staatliche Umsetzungsoder Vollzugsakt, der unmittelbar anwendbares Recht nach Maßgabe der Richtlinien und Entscheidungen schafft. Daß diese scharfe Unterscheidung hinsichtlich der unmittelbaren Anwendbarkeit absolut zwingend sei, will mir jedoch mit der Kommission und den Klägern zu 2 und zu 3 nicht einleuchten.

Wenn der Vertrag einen Unterschied macht zwischen einstufiger Rechtsetzung durch die Gemeinschaftsinstanzen einerseits und zweistufiger Rechtsetzung unter Einschaltung nationaler Instanzen, so ist nach meiner Uberzeugung in dem zuletzt genannten Fall (den bekanntlich manche Vertragsartikel ausschließlich vorsehen) hauptsächlich an Vorgänge gedacht, bei denen zur Schaffung anwendbaren Rechtes ein staatlicher Umsetzungs- oder Vollzugsakt unerläßlich ist, also etwa an Handlungsgebote, die einen staatlichen Ermessensspielraum vorsehen. Vielfach, vielleicht regelmäßig, trifft dies auf Entscheidungen und Richtlinien zu.

Daneben gibt es aber zweifellos auch Entscheidungen oder Entscheidungsteile, die keinen derartigen Umsetzungsakt verlangen (man denke nur an die sogenannten Standstill oder Unterlassungsgebote). Zumindest in solchen Fällen, möglicherweise — was jetzt offenbleiben mag — auch bei Handlungsgeboten ohne staatlichen Ermessensspielraum, erscheint in der Tat die Annahme gerechtfertigt, es seien trotz ausschließlicher Verpflichtung der Mitgliedstaaten Reflexwirkungen zugunsten der Marktbürger gegeben, die ebenso wie bei den entsprechenden Vertragsbestimmungen von den nationalen Gerichten unmittelbar beachtet werden müssen, wenn es sich um klare, eindeutige und bedingungslose Anordnungen handelt. Mit den Klägern zu 2 und zu 3 läßt sich nämlich sagen, daß in derartigen Fällen genau genommen rechtsetzungsähnliche Vorgänge vorliegen. Nicht zuletzt die Erkenntnis dieses Tatbestandes, d.h. der eigentlichen Rechtsnatur der Akte, macht es somit möglich, sie in ihren Rechtswirkungen — was die unmittelbare Anwendbarkeit angeht — den Gemeinschaftsverordnungen gleichzusetzen. Die grundsätzliche Unterscheidung der Akte des sekundären Gemeinschaftsrechtes, wie sie der Vertrag vorsieht, wird dadurch sicher nicht verwischt. Auch eine Gefährdung der Rechtssicherheit ist meines Erachtens nicht zu erkennen. Zumindest wäre zu sagen, daß sie durch die Verstärkung des Rechtsschutzes der einzelnen aufgewogen wird, d.h. durch einen Effekt, der — wie ich schon sagte — für den Gerichtshof bei der Festlegung der für die unmittelbar anwendbaren Vertragsvorschriften geltenden Kriterien von besonderer Bedeutung war.

Schließlich dürfte auch der Einwand ohne Gewicht sein, für Entscheidungen sei nach dem Vertrag eine Veröffentlichung nicht vorgeschrieben, sie werde vielmehr von dem erlassenden Organ von Fall zu Fall ausdrücklich beschlossen. Wo sie unterbleibe, gleichwohl aber die unmittelbare Anwendbarkeit von Entscheidungen angenommen werde, sei die Gleichheit des Rechtsschutzes nicht gewährleistet, dern er hänge davon ab, wann der interessierte einzelne zufällig vom Entscheidungserlaß Kenntnis erlange. Mit Recht wird demgegenüber darauf hingewiesen, daß die Veröffentlichung ohne ausdrückliche Vorschrift keine Rechtswirksamkeitsvoraussetzung ist und daß sie vor allem Schutzfunktion hat, daß es bei ihrem Unterbleiben also ausgeschlossen ist, den in Frage stehenden Akt einem Betroffenen entgegenzuhalten. Gerade umgekehrt ist die Sachlage dort, wo ein einzelner zu seiner Rechtsverteidigung sich auf einen derartigen Akt beruft, aus ihm also Vorteile ableiten will. Im übrigen ist auch, abgesehen davon, daß bei unterbliebener Veröffentlichung alle Betroffenen, was die Möglichkeit der Kenntnisertangung angeht, grundsätzlich in der gleichen Lage sind, anzumerken, daß vor allem Akte wie der jetzt zu beurteilende im Hinblick auf ihre Bedeutung regelmäßig veröffentlicht werden und daß dieser Umstand geradezu das Vertiauen der Marktbürger in die unmittelbare Anwendbarkeit begründen kann. Die Tatsache, daß eine Veröffentlichung von Entscheidungen, die an Mitgliedstaaten gerichtet sind, nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist, sollte also nicht zu dem Schluß verleiten, solche Entscheidungen seien niemals unmittelbar anwendbar.

Insgesamt neige ich somit letztlich der von der Kommission und von den Klägern der Ausgangsverfahren vertretenen Auffassung zu, nach der keine prinzipiellen, zwingenden Argumente gegen die unmittelbare Anwendbarkeit von Vorschriften einer Entscheidung sprechen, die an einen Mitgliedstaat gerichtet ist, falls sie nach ihrem materiellen Gehalt geeignet sind, Rechte der einzelnen zu begründen.

2. 

Dieser grundsätzlichen Feststellung, nach der eine Anwendung von Artikel 4 der eingangs erwähnten Ratsentscheidung durch die nationalen Gerichte nicht a priori auszuschließen ist, muß die Untersuchung der Frage folgen, ob die genannte Bestimmung nach ihrem Inhalt unmittelbare Wirkungen entfaltet. Dabei gilt es, zwei Aspekte auseinanderzuhalten.

a)

Zunächst ist zu prüfen, ob der als Entscheidung bezeichnete Ratsakt tatsächlich eine Entscheidung darstellt oder nur ein Programm, insbesondere ob zu dem jetzt interessierenden Artikel 4 Absatz 2 noch gemeinschaftsrechtliche Durchführungsmaßnahmen ergehen müssen, ehe seine Anwendung in Betracht kommt. Letzteres scheint die Bundesregierung anzunehmen, während die Kommission und die Kläger zu 2 und zu 3 einen konträren Standpunkt vertreten.

Daß die aufgeworfene Frage nicht völlig unberechtigt ist, räumt auch die Kommission ein, ja, sie erkennt sogar im Hinblick auf eine Reihe von Vorschriften der Ratsentscheidung an, daß es sich vorläufig um unverbindliche Bestimmungen handele. Ich verweise dazu auf Seite 14 ihres Schriftsatzes aus der Rechtssache 23/70, der eine Zusammenstellung der genannten Bestimmungen enthält. Für Artikel 4 der Ratsentscheidung erklärt sich die Frage daraus, daß in Absatz 1 von „noch zu bestimmenden Modalitäten“ die Rede ist, nach denen die Mitgliedstaaten das gemeinsame Umsatzsteuersystem auf die Güterbeförderung anwenden sollen. Ob diese — naturgemäß gemeinschaftsrechtlichen — Modalitäten schon vollständig in der auf Artikel 90 und 100 des EWG-Vertrags gestützten Zweiten Umsatzsteuerrichtlinie enthalten sind, ist eine Frage, die die Kommission offenließ. Die Kläger zu 2 und zu 3 haben sie bejaht, und zwar unter Hinweis darauf, daß die genannte Richtlinie (etwa in Artikel 6) auch gewisse Regelungen für Beförderungsleistungen enthält.

Indessen kann die Frage nach den noch zu erlassenden gemeinschaftsrechtlichen Modalitäten für den jetzt allein interessierenden Artikel 4 Absatz 2 nach den meines Erachtens überzeugenden Darlegungen der Kommission tatsächlich auf sich beruhen. Bekanntlich sieht diese Bestimmung vor, daß „das in Absatz 1 genannte gemeinsame Umsatzsteuersystem … spätestens mit seinem Inkrafttreten an die Stelle der spezifischen Steuern (tritt), die statt der Umsatzsteuer erhoben werden, soweit die Güterbeförderung im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehr solcher. Steuern unterliegt“. Dem ist die Bundesregierung nachgekommen, sie selbst hat also offenbar gemeinschaftsrechtliche Durchführungsvorschriften insofern nicht für notwendig erachtet. Richtig verstanden ist nun aber mit dem Gebot des Artikels 4 Absatz 2, die spezifischen Güterbeförderungssteuern zu ersetzen, d.h. abzuschaffen, logisch das Verbot verbunden, derartige spezifische Steuern, die statt der Umsatzsteuer erhoben werden, wieder einzuführen. Dieses Unterlassungsgebot kann zweifellos als rechtlich vollkommen in dem Sinne angesehen werden, daß besondere Durchführungsmodalitäten nicht erforderlich sind. Somit ist in der Tat die Entscheidungsqualität der genannten Bestimmung und ihre unmittelbare Anwendbarkeit, jedenfalls was den soeben behandelten Aspekt angeht, schwerlich in Abrede zu stellen.

b)

Bedeutsamer für den vorliegenden Fall ist allerdings die weitere Frage, ob das erwähnte Verbot, neue Steuern vom Typ der ersetzten spezifischen Güterbeförderungssteuern wieder einzuführen, jetzt schon voll wirksam ist, genauer gesagt: vom Zeitpunkt der Ersetzung spezifischer Güterbeförderungsteuern durch das gemeinsame Umsatzsteuersystem an und unabhängig davon, ob auch die anderen Mitgliedstaaten diese Ersetzung bereits vorgenommen haben, oder ob nach Artikel 4 der Ratsentscheidung in Verbindung mit Artikel 1 der Ersten Richtlinie zur Umsatzsteuer (in der Fassung der Dritten Richtlinie) maßgebender Zeitpunkt für das Wirksamwerden des Verbotes der 1. Januar 1972 ist, also der Tag, zu dem nunmehr spätestens das gemeinsame Umsatzsteuersystem in den Mitgliedstaaten eingeführt sein muß. Letzteres halten die Bundesregierung, die Kommission sowie die Finanzämter Traunstein und Düsseldorf-Altstadt für richtig; die Kläger zu 2 und zu 3 dagegen wollen für jeden Mitgliedstaat jeweils auf den Zeitpunkt der Einführung des gemeinsamen Umsatzsteuersystems abstellen.

Zu dieser wichtigen Frage muß mit den vorlegenden Gerichten gesagt werden, daß der Wortlaut von Artikel 4 der Ratsentscheidung in seinen beiden Absätzen nicht eindeutig ist. Einerseits spricht Artikel 4 Absatz 1 davon, daß ein gemeinsames Umsatzsteuersystem „in Kraft gesetzt worden ist“, er verwendet also nicht die Formulierung „in Kraft gesetzt werden soll“ in Verbindung mit einem bestimmten Zeitpunkt; andererseits ist von den Mitgliedstaaten (wenn auch nicht — was deutlicher gewesen wäre — von allen Mitgliedstaaten) die Rede und von einem Ratsbeschluß betreffend das gemeinsame Umsatzsteuersystem, also einem verdeutlichenden Ratsakt. Angesichts dieser Mehrdeutigkeit ist es für die korrekte Auslegung unerläßlich, auf Sinn und Zweck der Ratsentscheidung und der Ratsrichtlinien abzustellen, die für die Einführung des gemeinsamen Umsatzsteuersystems ein Enddatum fixiert haben. So gesehen erscheint insbesondere maßgeblich, daß die Ratsentscheidung ergangen ist zur Harmonisierung nationaler Rechtsvorschriften, durch die die Wettbewerbsbedingungen im Verkehrsbereich verfälscht werden, und im Zusammenhang mit der Förderung einer gemeinsamen Verkehrspolitik. Wie die Kommission mit Recht hervorgehoben hat, kann dies nur eine Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene und zu einem einheitlichen Zeitpunkt, nämlich spätestens dem 1. Januar 1972, bedeuten, an dem alle Mitgliedstaaten die Entscheidung befolgt haben müssen. Mehr verlangt das Gemeinschaftsrecht in der Tat nicht. Befolgt ein Mitgliedstaat die Ratsentscheidung schon zu einem früheren Zeitpunkt, so kann er also nicht von diesem Zeitpunkt an, ohne Rücksicht auf das Verhalten der anderen Mitgliedstaaten, gezwungen sein, das gewählte System nicht mehr zu ändern. Anders urteilen hieße nämlich, gemeinschaftsfreundliches Verhalten zu pönalisieren und den vorzeitig handelnden Mitgliedstaat zu benachteiligen. Er hätte dann nicht mehr die Dispositionsfreiheit, über welche die anderen Mitgliedstaaten bis zur Einführung des gemeinsamen Mehr Wertsteuersystems verfügen. Insbesondere könnte er nicht mehr durch angemessene Maßnahmen auf ein Verhalten anderer Mitgliedstaaten reagieren, das auf dem Gebiet der Beförderungssteuern zu stärkeren Wettbewerbsverzerrungen führt (wobei kaum hervorgehoben werden muß, daß die von den Klägern zu 2 und zu 3 erwähnte Möglichkeit, von den Schutzklauseln des Vertrages Gebrauch zu machen, dem souveränen staatlichen Verhalten nicht gleichwertig ist). Daß dies der Gemeinschaftsgesetzgeber gewollt haben könnte, erscheint schwer vorstellbar. Dazu kommt außerdem die Erkenntnis, daß die von ihm vorgesehene Einführungsfrist sicher auch den Sinn hat, Versuche mit einer für fünf Mitgliedstaaten vollkommen neuartigen Materie zu ermöglichen, ganz abgesehen von den konjunkturpolitischen Erfordernissen, auf die nach Artikel 1 der Ersten Ratsrichtlinie ausdrücklich Rücksicht zu nehmen ist.

Diesen Einsichten gegenüber vermögen die von den Klägern zu 2 und zu 3 vorgetragenen Argumente meines Erachtens nichts Entscheidendes. Einmal gilt das für ihren Hinweis auf die Rechtsprechung in der Rechtssache 13/68, EuGH — Slg. 1968, 691. Hier handelte es sich um das andersartige Problem der Einführung neuer mengenmäßiger Beschränkungen, die nach Artikel 31 des Vertrages untersagt ist. Wenn dafür auf die Notifizierung der Listen der liberalisierten Waren (also die Erfüllung einer Handlungspflicht) bzw. den Ablauf der insofern geltenden Frist abgestellt wurde, so nur deshalb, weil Artikel 31 des Vertrages ein klares entsprechendes Verbot enthält. Dagegen ist dem Vertrag nicht ein allgemeines Prinzip des Standstill, ein allgemeines Verbot der Einführung neuer Beschränkungen im Sinne der klägerischen These, zu entnehmen, das sich ohne weiteres auf die sich über einen längeren Zeitraum hinziehenden Harmonisierungsbemühungen im Verkehrsbereich anwenden ließe. Ein Gleiches gilt für die Bemerkung der Kläger, anders als im Völkerrecht könne nach dem System des Gemeinschaftsrechts die Erfüllung von Vertragspflichten nicht von der Erfüllung der Vertragspflichten durch andere Mitgliedstaaten abhängig gemacht oder, anders gewendet, an eine Erfüllung mit Rücktrittsvorbehalt gedacht werden, es müsse vielmehr auf die besonderen Verfahren der Artikel 169 und 170 zum Zwecke der Durchsetzung der Vertragsnormen zurückgegriffen werden (wobei von den Klägern im Hinblick auf die Erfüllung der Aufsichtspflicht durch die Kommission auf die Rechtsprechung in den Rechtssachen 52 und 55/65 hingewiesen wurde). Tatsächlich hilft dieses Argument nicht, wo es um die Erfüllung einer Vertragspflicht innerhalb einer bestimmten Frist geht und folglich vor Fristablauf an eine Anwendung der erwähnten Vertragsverletzungsverfahren überhaupt nicht gedacht werden kann. Endlich ist auch mit dem Hinweis der Kläger auf den Vertrauensschutz der Rechtsunterworfenen in bezug auf eine bestimmte rechtliche Situation ein Argument zugunsten ihrer These nicht zu gewinnen. Insoweit ist entscheidend, daß nach dem Gemeinschaftsrecht die Herstellung eines bestimmten rechtlichen Zustandes erst für einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt gefordert wird. Ein Zuwiderhandeln gegen den Vertrauensschutz der Rechtsunterworfenen kann folglich nicht aus Gründen des Gemeinschaftsrechts, sondern allenfalls im Rahmen des nationalen Rechts gerügt werden, soweit dieses Hindernisse für entsprechende gesetzgeberische Veränderungen kennt.

Nach Sinn und Zweck der Ratsentscheidung in Verbindung mit den einschlägigen Ratsrichtlinien bleibt es also dabei, daß das Verbot der Wiedereinführung spezifischer Steuern für die Güterbeförderung in einem Mitgliedstaat nicht schon wirksam wird mit der Ersetzung dieser Steuern durch das gemeinsame Umsatzsteuersystem, sondern erst in dem Zeitpunkt, zu dem die Steuerharmonisierung in der Gemeinschaft spätestens durchgeführt sein muß. Im Sinne der Rechtsprechung zu den unmittelbar anwendbaren Vertragsvorschriften bedeutet dies weiterhin, daß Artikel 4 Absatz 2 der Ratsentscheidung in Verbindung mit den erwähnten Ratsrichtlinien noch nicht uneingeschränkt und vorbehaltlos anwendbar ist (EuGH 26/62 — Slg. 1963, 25) und daß das kritisierte deutsche Beförderungsteuergesetz daher nicht unter Hinweis auf die genannten Vorschriften zu Fall gebracht werden kann.

3. 

Das so erarbeitete Untersuchungsergebnis erübrigt es an sich, auf die dritte gestellte Frage noch einzugehen, mit deren Hilfe die vorlegenden Gerichte bekanntlich erfahren wollen, ob das deutsche Straßengüterverkehrsteuergesetz ein spezifisches Steuergesetz im Sinne von Artikel 4 der Ratsentscheidung darstellt, d.h. eine Steuer zum Inhalt hat, die für die Güterbeförderung statt der Umsatzsteuer erhoben wird und deren Wiedereinführung verboten sein soll. Wie schon eingangs erwähnt, werde ich hilfsweise aber auch dieses Problem noch kurz behandeln. Dabei ist allerdings vorauszuschicken, daß eine Beantwortung der Frage in der gestellten Form nicht in Betracht kommt, weil sie eine Qualifizierung des nationalen Gesetzes verlangen, also die Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf einen konkreten Fall bedeuten würde, was dem Gerichtshof im Verfahren nach Artikel 177 des EWG-Vertrags bekanntlich versagt ist. In Anwendung einer längst gängigen Methode müssen wir daher aus der gestellten Frage den zulässigen, die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffenden Kern herausschälen. Das bedeutet im gegenwärtigen Fall, daß wir uns allein mit den Begriffsmerkmalen der „spezifischen Steuern“ im Sinne des Artikels 4 der Ratsentscheidung vom 13. Mai 1965 zu befassen haben.

Auch insofern stimmen die Äußerungen der Beteiligten nicht überein. Die Bundesregierung, die Kommission und das Finanzamt Düsseldorf-Altstadt gelangen zu einer Definition, von der die Güterbeförderungsteuer nicht erfaßt wird. Die Kläger der Ausgangsverfahren dagegen halten einen weiteren Begriff, namentlich zur Vermeidung möglicher Umgehungen, für richtig. Nach ihrer Meinung kann nicht verlangt werden, daß die für die Umsatzsteuer geltenden Merkmale erfüllt sind, ausreichen müsse vielmehr, daß es sich um der früheren Beförderungsteuer vergleichbare Sondersteuern handele. Nach Sinn und Zweck von Artikel 4 Absatz 2 der Ratsentscheidung müßten die Wirkungen der Steuer in den Vordergrund gestellt und demgemäß eine die Wettbewerbsbedingungen verzerrende Erhöhung der Steuerlast als untersagt angesehen werden.

Lassen Sie mich sogleich sagen, daß mir auch in diesem Punkte die von der Bundesregierung und der Kommission vertretene Ansicht die zutreffende zu sein scheint. Tatsächlich macht schon der Wortlaut des Artikels 4 klar, daß es nur um die Inkraftsetzung des gemeinsamen Umsatzsteuersystems und seine Erstreckung auf die Güterbeförderung geht. Daraus läßt sich das Verbot der Wiedereinführung spezifischer Steuern ableiten, die statt der Umsatzsteuer erhoben werden, also allein das Verbot derartiger Doppelbelastungen. Im Vordergrund müssen somit die entscheidenden Merkmale und Funktionen des Umsatzsteuersystems stehen, wohingegen es nicht auf irgendeine Besteuerung des Verkehrswesens ankommt. So gesehen kann es sich nur um Steuern handeln, die auf einen Leistungsaustausch abheben, deren Bemessungsgrundlage in der Regel das Entgelt für eine Beförderungsleistung darstellt und deren Ziel allein in der Verschaffung staatlicher Einnahmen besteht. Dagegen würde Artikel 4 eine unzulässige Ausdehnung erfahren, würde man eine gewisse Ähnlichkeit, Vergleichbarkeit mit der Umsatzsteuer namentlich hinsichtlich der Auswirkungen und Belastungen genügen lassen, denn sein Ziel ist ersichtlich nur eine Harmonisierung der Steuerstrukturen. Auch aus der von den Klägern angeführten Vorgeschichte der Entscheidung läßt sich demgegenüber nicht ableiten, sie bezwecke eine weiterreichende Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen im Verkehrswesen, wird doch nicht einmal eine Vereinheitlichung der Steuersätze angestrebt. Folgen diese Erkenntnissezwingend aus dem maßgeblichen Entscheidungstext, so ist eine weiterreichende Definition des Begriffs „spezifische Steuern“ auch nicht — wie die Kläger zu 2 und zu 3 es tun wollen — unter Heranziehung verschiedener Vertragsvorschriften zu rechtfertigen, die — wie Artikel 12 „Abgaben gleicher Wirkung“ erfassen oder die — wie Artikel 95 — die mittelbare Erhebung von Abgaben bzw. — wie Artikel 37 — die mittelbare Kontrolle, Lenkung oder Beeinflussung der Ausfuhr nennen. An derartige Vergleiche ist schon deswegen nicht zu denken, weil die genannten Vertragsbestimmungen im wesentlichen andersartige Tatbestände, nämlich die Beseitigung von Handelshemmnissen an den Grenzen, im Auge haben. Tatsächlich liegt hier eine umfassende Bereinigung weit eher nahe, als es bei einem ersten Schritt zur Harmonisierung der Steuerstrukturen der Fall ist.

Kommt man aber nach alledem in Übereinstimmung mit der Bundesregierung und der Kommission zu einem engeren Begriff der spezifischen Steuern, so ergibt sich gleichzeitig die Erkenntnis, daß die neueingeführte Güterbeförderungsteuer trotz zweifellos bestehender Ähnlichkeiten in den Besteuerungsmodalitäten der früheren Sonderbeförderungsteuer, also der Umsatzsteuer für die Güterbeförderung, im Kern nicht entspricht. Sie gilt nur für den Straßengüterverkehr, und zwar grundsätzlich nur für den Fernverkehr, ihr Zweck ist die Begünstigung der Bundesbahn, also eine Art der Verkehrslenkung. Dazu treten eine Reihe weiterer Gesichtspunkte (Besonderheiten für die Besteuerung des Werkverkehrs, Steuerbefreiungen, Steuerermäßigungen, Steuererlasse und viele Ausnahmebestimmungen), die es — wie die Kommission gezeigt hat — ausschließen, der neuen Beförderungsteuer die Merkmale der Umsatzsteuer und damit der spezifischen Steuern im Sinne des Artikels 4 der Ratsentscheidung zuzuerkennen. So erklärt es sich übrigens auch, daß sie nicht statt, sondern zusätzlich zu der Mehrwertsteuer erhoben wird (obgleich einzuräumen ist, daß dieses formale Kriterium Entscheidendes nicht besagt).

Zusammenfassend läßt sich demnach festhalten, daß in Beantwortung der dritten Frage nach den Begriffsmerkmalen der spezifischen Steuer ein den Klägern der Ausgangsverfahren günstiges Ergebnis nicht zu erzielen ist.

4. 

Nach alledem bleiben noch diejenigen Fragen zu behandeln, die in der Rechtssache 9/70 für den Fall der Verneinung der Fragen 1 bis 3 gestellt wurden und die zum Teil auch in den Fragen 1 und 2 der Rechtssache 23/70 anklingen, nämlich soweit in ihnen auf die Artikel 5, 74 und 80 des Vertrages hingewiesen wird.

An erster Stelle gilt es in diesem Zusammenhang zu überlegen, ob sich aus Artikel 5 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 74 des EWG-Vertrags sowie den bereits erwähnten Ratsakten und — so ist aus der Begründung des Vorlagebeschlusses zu ergänzen — der eingangs erwähnten Empfehlung der Kommission zum verkehrspolitischen Programm der Bundesregierung unmittelbar Rechte der Marktbürger ableiten lassen. Dazu sind lange Erwägungen nicht anzustellen. In Übereinstimmung mit der von der Bundesregierung, der Kommission und dem Finanzamt Traunstein vertretenen Ansicht drängt sich auch hier eine negative Antwort auf.

Vergleicht man den Inhalt der Unterlassungspflichten des Artikels 5 mit den Bestimmungen, von denen der Gerichtshof eine unmittelbare Anwendbarkeit angenommen hat, so kommt man sicher nicht an der Feststellung vorbei, daß er zu allgemein und unbestimmt und deshalb nicht ohne Rückgriff auf andere materiell-rechtliche Vertragsvorschriften konkreteren und präziseren Inhalts für die unmittelbare Anwendung durch die nationalen Gerichte geeignet ist. Eine derartige materiell-rechtliche Vorschrift stellt der Artikel 74 des EWG-Vertrags ohne Zweifel nicht dar. Auch er ist zu unbestimmt, denn er legt den Inhalt der gemeinsamen Verkehrspolitik noch nicht fest (für ihre Festlegung sind vielmehr im folgenden Artikel nur einige Verfahrensregeln vorgesehen). Somit ist aus Artikel 5 in Verbindung mit Artikel 74 für eine Begründung individueller Rechte sicher nichts zu gewinnen.

Da zu der hier interessierenden Ratsentscheidung und den Ratsrichtlinien betreffend die Umsatzsteuer bereits festgestellt wurde, daß aus ihnen, jedenfalls vor dem 1. Januar 1972, unmittelbar Rechte der einzelnen nicht abzuleiten sind, steht weiterhin fest, daß auch aus einer Verbindung dieser Akte mit den soeben erwähnten Vertragsartikeln Rechte der einzelnen nicht herzuleiten sind.

Einzig wäre demnach im gegenwärtigen Zusammenhang noch auf die Empfehlung der Kommission aus dem Jahre 1968 einzugehen. Bei ihr handelt es sich jedoch, wie die Kommission selbst sagt, nur um die Meinungsäußerung eines der für die Verkehrspolitik verantwortlichen Gemeinschaftsorgane, also nicht um einen Akt, dessen Nichtbeachtung die Verwirklichung der Vertragsziele gefährden würde. Da es den Empfehlungen überdies nach der Definition des Artikels 189 an der Verbindlichkeit fehlt, kann folglich auch eine zusammenfassende Würdigung der Artikel 5 und 74 des Vertrages in Verbindung mit der Kommissionsempfehlung keineswegs zu dem Ergebnis führen, Rechte der einzelnen würden auf diese Weise begründet.

Die vierte Frage muß also — wie schon erklärt — insgesamt verneint werden.

5. 

Die Fragen 5 bis 8 der Rechtssache 9/70 betreffen, wie die in der Frage 1 der Rechtssache 23/70 enthaltenen Hinweise, die Auslegung des Artikels 80 des EWG-Vertrags. Sie können daher — so haben es auch die am Verfahren Beteiligten gehalten — zusammen behandelt werden.

Dabei müßte an sich zunächst untersucht werden, ob Artikel 80, jedenfalls mit Beginn der zweiten Stufe, im bisher besprochenen Sinne unmittelbar anwendbar ist, denn bei Verneinung dieser Frage würde es sich erübrigen, die inhaltliche Deutung dieser Vorschrift zu vertiefen. Was diese erste Überlegung angeht, so schlägt die Bundesregierung mit Entschiedenheit eine verneinende Antwort vor, und zwar unter Hinweis darauf, daß das Verbot der Unterstützungstarife mit einem Genehmigungsvorbehalt versehen ist, d.h. von einer mit einem beträchtlichen Ermessensspielraum verbundenen Entscheidung der Kommission abhängt, einer Entscheidung zudem, die nicht zu veröffentlichen ist, die nicht stets vor Inkrafttreten der staatlichen Maßnahmen ergeht und der Rückwirkung beigelegt werden kann. Die Kommission befürwortet demgegenüber, ebenso wie der Kläger zu 1, eine bejahende Antwort, also die Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit des Artikels 80.

Indessen kann diese Frage wohl offenbleiben, und zwar weil sich zeigen läßt, daß im vorliegenden Fall ein Eingehen auf die Auslegungsprobleme des Artikels 80 überflüssig erscheint, weil diese Bestimmung — mit anderen Worten — (wie das Urteil der Rechtssache 13/68, EuGH — Slg. 1968, 690, formuliert hat) „offensichtlich irrtümlich herangezogen worden“ ist. In der Tat kommen Bundesregierung und Kommission übereinstimmend und zutreffend zu der Ansicht, daß zu den „Beförderungsbedingungen“ des Artikels 80 zwar auch Steuern für die Güterbeförderung gehören können (dies ergibt sich schon aus dem Urteil der Rechtssache 18/58, EuGH — Slg. 1960, 407, daß Artikel 80 jedoch nur eingreift, wenn die für die Beförderungsleistungen geltenden rechtlichen Bestimmungen das Verhältnis Verkehrsunternehmer — Verkehrsnutzer betreffen, genauer gesagt, wenn die staatlichen Maßnahmen die Verkehrsnutzer (Empfänger oder Versender oder beide) begünstigen, nicht dagegen, wenn sie anderen Verkehrsträgern einen Vorteil verschaffen sollen. Die Bundesregierung hat in diesem Zusammenhang auf eine vom Europäischen Parlament aufgestellte terminologische Liste verkehrswirtschaftlicher Begriffe vom 11. Dezember 1961 Bezug genommen, nach der man „unter Beförderungsbedingungen … die Gesamtheit der neben den Preisen zwischen den Verkehrsunternehmen und dem Verkehrsnutzer geltenden gesetzlichen und vertraglichen Klauseln“ versteht. Außerdem hat sie mit Recht hervorgehoben, daß Maßnahmen zugunsten der Verkehrsträger, also Maßnahmen, die den Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern beeinflussen, von Artikel 77 des EWG-Vertrags erfaßt würden. Da das jetzt zur Debatte stehende deutsche Gesetz aber — wie schon gesagt — die Begünstigung eines Verkehrsträgers (der Bundesbahn), und nicht die eines Verkehrsnutzers bezweckt, erscheint es tatsächlich abwegig, für seine Beurteilung auf den Artikel 80 des EWG-Vertrags zurückzugreifen. Auf die insofern erbetene Einzelauslegung braucht folglich nicht eingegangen zu werden.

6. 

Eine weitere Gruppe von gleichfalls nur in der Rechtssache 9/70 gestellten Fragen bezieht sich auf die Artikel 92 ff. des EWG-Vertrags. Auch sie sollen zusammenfassend behandelt werden.

Nach den Formulierungen des vorlegenden Gerichts müßte dabei wiederum die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit vorweg beantwortet werden, weil es von ihr abhängt, ob auf die Definition einzelner Begriffe der genannten Artikel überhaupt einzugehen ist. Zu dieser Frage will ich jetzt nur andeuten, daß Bundesregierung und Kommission meines Erachtens überzeugende Gründe gegen eine vom Kläger zu 1 befürwortete unmittelbare Anwendbarkeit angeführt haben. Tatsächlich handelt es sich, abgesehen davon, daß die Umschreibung der unvereinbaren Beihilfen sehr allgemein gehalten ist, nicht um ein uneingeschränktes Verbot. Unvereinbar sind Beihilfen nur, soweit nichts anderes bestimmt ist. Eine Reihe von Beihilfen sind im Vertrag selbst (Artikel 92 und Artikel 77) für zulässig erklärt oder können in abgeleiteten Akten für vertragsgemäß erklärt werden. Im Falle der Unvereinbarkeit ergeht eine Entscheidung der Kommission, für die ein Ermessensspielraum gilt. Darüber hinaus sieht Artikel 94 Durchführungsvorschriften des Rates vor, der Beihilfen im übrigen auch nach Artikel 93 für zulässig erklären kann.

Im Grunde bedarf die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit aber keiner Vertiefung, denn auch im gegenwärtigen Zusammenhang läßt sich unter Beachtung der Gedanken des Urteils zur Rechtssache 13/68, EuGH — Slg. 1968, 690, die Feststellung treffen, daß im Hinblick auf das deutsche Beförderungsteuergesetz zu Unrecht an eine Anwendung der Beihilfevorschriften des Vertrages gedacht wurde. Tatsächlich kann, obwohl der- Zweck des Gesetzes in einer Begünstigung der Bundesbahn besteht, von Beihilfen im Sinne des Artikels 92 nicht die Rede sein. Der Beihilfebegriff verlangt nämlich, wie schon in anderen Rechtssachen präzisiert wurde (z.B. im Urteil der Rechtssache 30/59, EuGH — Slg. 1961, 42-43) eine Zuwendung zu Lasten staatlicher Mittel oder die Verminderung von Belastungen, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat. Im vorliegenden Fall dagegen geht es um die mittelbare Begünstigung eines Verkehrsträgers durch den Staat in der Form, daß konkurrierenden Verkehrsträgern steuerliche Lasten auferlegt werden. Derartige wirtschaftslenkende Maßnahmen des Steuerrechts fallen, entgegen der Ansicht des Klägers zu 1, sicher nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 92. Dies dürfte im gegenwärtigen Zusammenhang, namentlich im Hinblick auf andere Vertragsbestimmungen, die andernfalls ihrer Bedeutung beraubt würden, die entscheidende Aussage sein. Da sie sich auf eine Interpretation des Gemeinschaftsrechtes stützt, kann sie getroffen werden, ohne den Vorwurf auszulösen, der Gerichtshof mische sich ungebührlich in Fragen der Entscheidungserheblichkeit ein, die dem vorlegenden Gericht vorbehalten sind. Mit dieser Aussage erübrigt es sich aber auch, auf die Frage einzugehen, ob die Artikel 92 ff. überhaupt für den Verkehrsbereich gelten (was aufgrund der Artikel 61 und 77 des Vertrages und der Ratsentscheidung vom 13. Mai 1965 grundsätzlich zu bejahen wäre). Es entfällt weiterhin die Notwendigkeit zu untersuchen, ob diese Vorschriften auch im Hinblick auf den Schutz hoheitlich betreibener Eisenbahnunternehmen von Bedeutung sind (was gleichfalls vorbehaltlich der Anwendung des Artikels 90 Absatz 2 zu bejahen wäre) und es kann dahingestellt bleiben, ob die Annahme einer mit dem Gemeinsamen Markt nicht zu vereinbarenden Beihilfe so lange ausscheidet, wie die Kommission trotz Kenntnis des entsprechenden Sachverhalts eine Entscheidung nach Artikel 93 Absatz 2 des EWG-Vertrags nicht getroffen hat.

Zu der letzten Fragengruppe bleibt somit nur festzuhalten, daß aus den Artikeln 92 ff. des EWG-Vertrags für die Beurteilung des Sachverhalts durch den vorlegenden Richter nichts zu gewinnen ist.

7. 

Zusammenfassend schlage ich nach alledem folgende Beantwortung der gestellten Fragen vor :

1)

Entscheidungen der Gemeinschaftsorgane, die an Mitgliedstaaten gerichtet sind, können Vorschriften enthalten, die für die Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und Einzelpersonen unmittelbare Wirkungen haben und Rechte der einzelnen begründen, welche die Gerichte der Mitgliedstaaten beachten müssen.

2)

Artikel 4 Absatz 2 der Ratsentscheidung vom 13. Mai 1965 enthält ein klares Verbot, dessen Beachtung nicht vom Erlaß weiterer gemeinschaftsrechtlicher Akte abhängig ist. Aus Artikel 4 der genannten Ratsentscheidung in Verbindung mit Artikel 1 der Ersten Umsatzsteuerrichtlinie vom 11. April 1967 (in der Fassung der Dritten Richtlinie vom 9. Dezember 1969) ergibt sich jedoch, daß das Verbot der Wiedereinführung von spezifischen Steuern, die für die Güterbeförderung statt der Umsatzsteuer erhoben werden, erst vom 1. Januar 1972 an wirksam ist.

3)

Spezifische Steuern im Sinne von Artikel 4 der Ratsentscheidung vom 13. Mai 1965, die für die Güterbeförderung statt der Umsatzsteuer erhoben werden, sind nur Steuern, die die wesentlichen Merkmale der Umsatzsteuer aufweisen.

4)

Artikel 5 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 74 des EWG-Vertrags sowie Artikel 4 der Ratsentscheidung vom 13. Mai 1965, Artikel 1 der Ersten Ratsrichtlinie vom 11. April 1967 und der Kommissionsempfehlung vom 31. Januar 1968 begründen keine unmittelbaren Wirkungen in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den einzelnen, auf welche sich die einzelnen vor den nationalen Gerichten berufen können.

5)

Beförderungsbedingungen im Sinne von Artikel 80 des EWG-Vertrags können auch Steuern für die Güterbeförderung sein. Artikel 80 ist jedoch nur anwendbar, wenn eine Begünstigung der Verkehrsnutzer bezweckt wird, nicht dagegen bei einer Begünstigung anderer Verkehrsträger als solcher.

6)

Die Artikel 92 ff. des EWG-Vertrags gelten auch für den Verkehrsbereich. Die genannten Beihilfebestimmungen erfassen jedoch nicht eine mittelbare Begünstigung bestimmter Verkehrsträger durch den Staat, die in Form von steuerlichen Belastungen konkurrierender Verkehrsträger erfolgt.

Die zu Artikel 80 und den Artikeln 92 ff. gestellten Fragen bedürfen im übrigen wegen offensichtlich irrtümlicher Heranziehung dieser Bestimmungen keiner Beantwortung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes ist auch eine Kostenentscheidung nicht erforderlich; sie bleibt den vorlegenden Gerichten vorbehalten.

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