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Document 61965CC0021

Schlussanträge des Generalanwalts Gand vom 10. November 1965.
Domenico Morina gegen Europäisches Parlament.
Rechtssache 21-65.

Englische Sonderausgabe 1965 01360

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1965:112

Schlußanträge

des Generalanwalts Herrn Joseph Gand

vom 10. November 1965 ( 1 )

Herr Präsident, meine Herren Richter!

Die Klage des Herrn Morina gegen die im Auswahlverfahren B/12 ergangenen Maßnahmen und gegen die im Anschluß an dieses Auswahlverfahren erfolgte Ernennung des Herrn Piraino wird mich nicht lange beschäftigen. Eine Anzahl der darin enthaltenen Fragen stimmen nämlich mit den Fragen überein, die uns im Zusammenhang mit der Klage 11/65 begegnet sind.

Herr Morina nahm an dem internen Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen teil, das durch Stellenausschreibung vom 19. Januar 1965 eröffnet wurde und zur Besetzung der Planstelle eines Verwaltungsinspektors (Laufbahn B5/B4) in der Generaldirektion Verwaltung dienen sollte. Es wurden eine gute Allgemeinbildung von Oberschulniveau oder gleichwertige Berufserfahrung und Grundkenntnisse in der Buchführung verlangt. Außerdem wurden gründliche Kenntnisse einer Amtssprache der Gemeinschaft und gute Kenntnisse einer weiteren Amtssprache gefordert.

Der Prüfungsausschuß nahm den Namen des Klägers in das Verzeichnis der geeigneten Bewerber auf; da aber der Generalsekretär des Europäischen Parlaments Herrn Piraino, dessen Name ebenfalls auf diesem Verzeichnis stand, in die Planstelle einwies, erhob Herr Morina die Klage 21/65, die sich sowohl gegen diese Ernennungsverfügung als auch gegen die vorher vom Prüfungsausschuß aufgestellte Rangordnung richtet.

Ich gehe nicht auf dié prozeßhindernden Einreden des Beklagten ein. Aus den anläßlich der Klage 11/65 von mir genannten Gründen und mit den dort gemachten Einschränkungen ist Herr Morina berechtigt, sowohl die Maßnahmen des Prüfungsausschusses als auch die im Anschluß an die Ergebnisse des Auswahlverfahrens erfolgte Ernennung zu beanstanden.

Er stützt sich im wesentlichen zunächst darauf, daß der Prüfungsausschuß den Wert seiner Befähigungsnachweise verkannt habe, da sie „bei weitem und ganz offensichtlich besser“ als die des Herrn Piraino seien. Im Anschluß an die auf Ihr Verlangen (nach Einreichung der Gegenerwiderung) erfolgte Vorlage des Protokolls über die Maßnahmen des Prüfungsausschusses hat er in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, daß diese Maßnahmen gegen die in Artikel 5 des Anhangs III zum Statut enthaltenen Vorschriften über das Auswahlverfahren verstießen.

Mag diese Rüge auch als neu zu betrachten sein, so ist sie dennoch zweifellos zulässig, da sie sich auf rechtliche und tatsächliche Gründe stützt, die erst während des schriftlichen Verfahrens zutage getreten sind, und somit die Voraussetzungen erfüllt, unter denen nach Artikel 42 § 2 der Verfahrensordnung neue Angriffsmittel vorgebracht werden können.

Ich will gleich hinzufügen, daß die Rüge nach meiner Ansicht auch begründet ist. Artikel 5 des Anhangs III umschreibt die vom Prüfungsausschuß zu treffenden Maßnahmen wie folgt: Der Ausschuß nimmt von den Bewerbungsunterlagen Kenntnis und stellt das Verzeichnis der Bewerber auf, die den Bedingungen der Stellenausschreibung entsprechen. Bei einem Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen — das ist unser Fall — legt er sodann die Grundsätze für die Bewertung der Befähigungsnachweise der Bewerber fest und prüft die Befähigungsnachweise derjenigen Bewerber, die er vorher in das erwähnte Verzeichnis aufgenommen hat. Unabhängig von der Art des Auswahlverfahrens stellt der Prüfungsausschuß abschließend das Verzeichnis der geeigneten Bewerber auf, das er samt einem mit Gründen versehenen Bericht der Anstellungsbehörde zuleitet.

Welchen Zielen sollen diese Erfordernisse dienen? Das Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen kann zweifellos am leichtesten zu subjektiven Beurteilungen führen, und es können in den einzelnen Auswahlverfahren recht verschiedene Befähigungsnachweise in Betracht kommen. Indem die Verfasser des Statuts die Festlegung von Bewertungsgrundsätzen vorsahen, wollten sie sicherstellen, daß die dem Prüfungsausschuß eingeräumte Ermessensfreiheit sich innerhalb eines vorher festgelegten und objektiv bestimmten Rahmens halte.

Das Erfordernis eines mit Gründen versehenen Berichtes soll es der Anstellungsbehörde ermöglichen, von seiner freien Wahl unter den Bewerbern, die in das Verzeichnis der geeigneten Bewerber aufgenommen sind, sinnvoll Gebrauch machen zu können. Wenn das Protokoll lediglich eine Rangordnung aufstellt, ohne anzugeben, auf welcher Grundlage dies geschieht, oder wenn es, um mit den Worten des Urteils Mirossevich, die sich auf den Fall des Auswahlverfahrens anwenden lassen, zu sprechen, nicht „die Mittel und Wege, die zu dieser Beurteilung geführt haben“, nennt, kann die Anstellungsbehörde nur blindlings die vom Prüfungsausschuß aufgestellte Rangordnung übernehmen.

Gewiß müssen die an den Prüfungsausschuß zu stellenden Anforderungen in Anbetracht der ihm eingeräumten Befugnisse geschmeidig gehalten werden; aber im vorliegenden Fall ergibt die Prüfung des Ihnen vorliegenden Protokolls deutlich, daß im Auswahlverfahren B/12 zumindest in zwei Punkten gegen die klaren Bestimmungen des Artikels 5 verstoßen worden ist.

Ich übergehe den unklaren und wenig schlüssigen Wortlaut dieses Schriftstücks, in dessen Abschnitt IV es heißt, die „in der Stellenausschreibung“ genannten Bedingungen seien von einem Bewerber nicht erfüllt, von dem in Abschnitt II gesagt ist, daß seine Bewerbung zulässig sei.

Ich möchte Ihnen nur den Abschnitt III dieses Protokolls vorlesen, der wie folgt lautet: „Nach Prüfung der Befähigungsnachweise der Bewerber im Hinblick auf die in der Stellenausschreibung im einzelnen aufgeführten Erfordernisse hat der Prüfungsausschuß in seiner Sitzung vom 3. März 1965 das nachstehende Verzeichnis der geeigneten Bewerber aufgestellt.“ Danach folgen in der Reihenfolge der Verdienste sieben Namen, an der Spitze derjenige des Herrn Piraino.

Zwar hat das Europäische Parlament in der mündlichen Verhandlung mehr oder weniger klar angedeutet, daß der Prüfungsausschuß, von dem ein Mitglied an der Beurteilung des mit der Klage 11/65 angefochtenen Auswahlverfahrens B/10 teilgenommen hatte, vielleicht zumindest stillschweigend auf den sehr vollständigen Bericht über dieses Auswahlverfahren, in dem die Befähigungsnachweise der Herren Piraino und Morina geprüft worden waren, habe verweisen wollen. Aber nichts spricht für diese Vermutung. Sollte sie zutreffen, so wäre übrigens nicht ersichtlich, warum Herr Morina, der in dem Auswahlverfahren B/10 unmittelbar hinter Herrn Piraino, jedoch gleichrangig mit einer Mitbewerberin eingestuft war, im Auswahlverfahren B/12 zwei Plätze hinter derselben Bewerberin eingestuft wurde.

Wir haben uns also lediglich an die Angaben des Protokolls über das Verfahren B/12 zu halten. Dieses Protokoll enthält jedoch im Unterschied zu dem, was wir im Protokoll B/10 gesehen haben, weder Angaben über die Bewertungsgrundsätze, auf die sich der Prüfungsausschuß gestützt hat, noch einen mit Gründen versehenen Bericht.

Das Verzeichnis der geeigneten Bewerber erscheint demnach als fehlerhaft aufgestellt. Ohne daß auf den Vergleich, den der Kläger zwischen seinen Befähigungsnachweisen und denen des Herr Piraino gezogen hat, näher einzugehen wäre, folgt aus diesen Feststellungen — wie in der Rechtssache Alvino — die Rechtswidrigkeit des Auswahlverfahrens und der nachfolgenden Ernennung.

Ich beantrage, das Auswahlverfahren B/12 und die Verfügung des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments vom 10. März 1965 über die Ernennung des Herrn Piraino in der Laufbahn eines Verwaltungsinspektors für nichtig zu erklären.

Ich beantrage außerdem, die Kosten dem Europäischen Parlament aufzuerlegen.


( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt.

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