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Document 61965CC0020

    Schlussanträge des Generalanwalts Roemer vom 21. Oktober 1965.
    Umberto Collotti gegen Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften.
    Rechtssache 20-65.

    Englische Sonderausgabe 1965 01112

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1965:104

    Schlußanträge

    des Generalanwalts Herrn Karl Roemer

    vom 21. Oktober 1965

    Herr Präsident, meine Herren Richter!

    Der Kläger, damals Leiter unseres Sprachendienstes, hat nach dem Inkrafttreten des neuen Personalstatuts in der Überzeugung, nicht dessen Regeln entsprechend eingestuft worden zu sein, einen Rechtsstreit gegen den Gerichtshof eingeleitet (Rechtssache 70/63) und in ihm ein Urteil erwirkt (7. Juli 1964), das eine seinem Antrag entsprechende Verbesserung der Einstufung anordnete. Dieser Urteilsspruch wurde von der Verwaltung des Gerichtshofes ausgeführt, d.h. die Klassierung des Klägers in der Gehaltstabelle des Personal-statuts wurde mit Rückwirkung auf den 1. Januar 1962 geändert und eine Auszahlung der entsprechenden Gehaltsrückstände vorgenommen (21. Juli 1964).

    Kurze Zeit nachdem der Kläger ein Demissionsgesuch eingereicht hatte (das durch Schreiben des Gerichtshofes vom 4. November 1964 mit Wirkung vom 1. Februar 1965 positiv beschieden wurde), wandte er sich in einem Brief vom 9. Dezember 1964, dem er ausdrücklich den Charakter einer Verwaltungsbeschwerde absprach, an den Präsidenten des Gerichtshofes mit der Bitte, seine Einstufung abermals (mit Wirkung vom 1. Januar 1962) zu revidieren, und zwar anhand gewisser Prinzipien, die der Kläger den Entscheidungsgründen des Urteils 70/63 entnehmen will. Dieser Brief blieb ohne Antwort.

    Schließlich wurde dem Kläger nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst des Gerichtshofes eine Note des Kanzlers vom 18. Februar 1965 zugestellt, die in Abänderung einer Note vom 10. Dezember 1964 eine Abrechnung der Pensionsansprüche des Klägers enthielt. Diese Abrechnung, die nach den Statutsvorschriften die Gehaltsbezüge der letzten drei Jahre vor dem Ausscheiden zu berücksichtigen hatte, stützte sich für die Zeit nach dem 1. Januar 1962 auf die dem Kläger durch den Urteilsspruch in der Rechtssache 70/63 zugewiesene Einstufung.

    Dagegen hat der Kläger am 9. April 1965 Klage eingereicht. In ihr werden folgende Klageziele genannt:

    Nichtigerklärung der dem Kläger durch Schreiben des Kanzlers vom 18. Februar 1965 zugestellten Maßnahme;

    Verurteilung der Verwaltung des Gerichtshofes zur Einstufung des Klägers in LA 3, 8. Stufe, mit Wirkung vom 1. Januar 1962;

    Verurteilung der Verwaltung des Gerichtshofes zur Vornahme einer neuen Abrechnung der Pensionsansprüche unter Berücksichtigung der sich aus dem vorhergehenden Antrag ergebenden Einstufung des Klägers.

    Die Verwaltung des Gerichtshofes hat in der Überzeugung, der Kläger trage dem Gerichtshof ein. Anliegen vor, das nach den prozessualen Regeln nicht mehr behandelt werden könne, auf die eingereichte Klage reagiert mit einem Antrag nach Artikel 91 der Verfahrensordnung und um Abweisung der Klage wegen Unzulässigkeit gebeten.

    Entsprechend war der Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 6. Oktober limitiert, und entsprechend werden auch meine folgenden Untersuchungen des uns unterbreiteten Streitkomplexes beschränkt sein auf die Frage der Klagezulässigkeit.

    Rechtliche Würdigung

    1. Zur Statthaftigkeit des Antrags nach Artikel 91 der Verfahrensordnung

    Der Kläger hat schriftlich und mündlich die Frage aufgeworfen, ob ein Verfahren nach Artikel 91 der Verfahrensordnung zulässig sei, wenn in ihm lediglich die Einhaltung der Klagefrist behandelt werden solle.

    Ich finde seine Bedenken jedoch unbegründet. Der Sinn des Verfahrens nach Artikel 91 besteht offensichtlich darin, in einem frühen Prozeßstadium eine Diskussion über die Zulässigkeit eingereichter Klagen zu ermöglichen, um so gegebenenfalls den Parteien unnötige Ausführungen zur Begründetheit zu ersparen. Die einzige Bedingung für die Durchführung des Verfahrens ist die, daß die Hauptsache, der Fond, nicht berührt wird. Ein klassischer Fall der Zulässigkeitseinrede ist aber meines Erachtens gerade derjenige, in dem die Nichteinhaltung der Klagefrist gerügt wird, weil er — wenn die Einrede begründet ist — einen Verlust des Klagerechts und damit der Möglichkeit deutlich macht, den in der Klage bezeichneten Sachverhalt dem Gerichtshof zur sachlichen Prüfung zu unterbreiten.

    Entgegen der Annahme des Klägers gelten insofern auch nach dem deutschen Recht keine abweichenden Regeln, wobei man sich allerdings nicht auf eine Berücksichtigung des Zivilprozeßrechts beschränken darf, für das die Einhaltung von Klagefristen in der Regel keine Rolle spielt. Nach der Verwaltungsgerichtsordnung besteht kein Zweifel darüber, daß ein Prozeßurteil nach § 107, also ein Urteil über Prozeßvoraussetzungen, das die Sache selbst nicht berührt, auch möglich ist, wenn die Zulässigkeit der Klage allein unter dem Gesichtspunkt der Einhaltung der Klagefrist bestritten wird (vgl. Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung von Schunck-de Clerck, 1961, Anmerkung 2 a zu § 107, Anmerkung 3 zu § 82).

    Demnach ist nichts einzuwenden gegen die Durchführung eines Verfahrens nach Artikel 91 der Verfahrensordnimg, obgleich die beklagte Partei zur Begründung ihres Antrags sich nur bezieht auf die Nichteinhaltung der Klagefrist.

    2. Zur Zulässigkeit der Klage 20/65

    Um dies sogleich klarzustellen: Es kann nicht zweifelhaft sein, daß eine Klage gegen die dem Kläger am 18. Februar 1965 zugestellte Note an sich zulässig ist, weil sie eine beschwerende Maßnahme im Sinne des Artikels 91 des Personalstatuts zum Gegenstand hat und weil auch die Klagefrist insofern gewahrt ist.

    Die Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage gehen in eine andere Richtung. Das Ziel der Klage ist nämlich nicht, die Berechnung der Pensionsansprüche an sich in Frage zu stellen, sondern einzig und allein deren Basis, also die Klassierung des Klägers ab 1. Januar 1962 anzugreifen. — Dies geschieht nicht, indem das Urteil 70/63 kritisiert wird (was offensichtlich im Hinblick auf die Rechtskraftwirkung ausgeschlossen wäre), sondern indem das Urteil 70/63, genauer: einige seiner Entscheidungsgründe, als Grundlage für den weitergehenden Einstufungsanspruch des Klägers angerufen werden. — Ein solches Vorgehen hält die Beklagte für unzulässig. Sie weist namentlich darauf hin, daß das bezeichnete Urteil unmittelbar nach seiner Zustellung an den Kläger von der Verwaltung des Gerichtshofes ausgeführt wurde und daß es der Kläger unterlassen habe, die so gegebene Gelegenheit zu ergreifen, um die Frage der Ordnungsmäßigkeit der Urteilsausführung in einem Verwaltungsverfahren, gegebenenfalls in einem Gerichtsverfahren zu diskutieren.

    Soweit die Beklagte in ihren Zulässigkeitseinwendungen sich beruft auf einen angeblichen Verzicht („acquiescement“) des Klägers, der darin zu erblicken sei, daß er die aus dem Tenor des Urteils 70/63 von der Verwaltung errechneten Bezüge widerspruchslos entgegengenommen habe, kann ihr sicher nicht gefolgt werden. Zu Recht werden im allgemeinen in der Rechtsprechung unseres Gerichtshofes an das Vorliegen eines Verzichts strenge Anforderungen gestellt. Demzufolge ist es in Beamtensachen nicht ausreichend, ein rein passives Verhalten nachzuweisen, vielmehr müssen Umstände vorliegen, die mit Deutlichkeit erkennen lassen, daß der Kläger auf ihm zustehende Rechte keinen Wert legt. Daran fehlt es im vorliegenden Fall, wie uns vor allem der Brief des Klägers an den Präsidenten des Gerichtshofes vom 9. Dezember 1964 beweist.

    Wohl aber dürften die anderen Bemerkungen der Beklagten stichhaltig sein. Wir müssen feststellen, daß es stets ein Anliegen des Gerichtshofes war, in Personalangelegenheiten den Belangen der Verwaltung hinsichtlich der Sicherung des Rechtsfriedens und der Gewährleistung der Rechtssicherheit Rechnung zu tragen. Deshalb wurde in der Rechtsprechung wiederholt der Grundsatz unterstrichen, es müsse ein Betroffener dann, wenn sich die Ansicht der Verwaltung zu einer bestimmten Streitfrage in eindeutiger Weise manifestiert habe, unverzüglich seine Rechtsverteidigung betreiben, sei es im Wege der unmittelbaren Anfechtung eines Verwaltungsaktes oder — was neuerdings mehr in den Vordergrund gerückt wird — mit Hilfe der Einleitung eines Verwaltungsverfahrens und gegebenenfalls anschließender Karenzklage. Dieses Prinzip erscheint mir gut; es sollte an ihm in der Rechtsprechung festgehalten werden, damit die Verwaltung nach Ablauf bestimmter Fristen absolute Klarheit darüber hat, welche Faktoren sie als unanfechtbar in ihre Dispositionen einsetzen kann.

    Im vorliegenden Fall kann nun zwar gewiß nicht die am 7. Juli 1964 erfolgte Zustellung des Urteils 70/63 als eine solche Manifestation des Verwaltungswillens zu einer bestimmten Frage angesehen werden, weil in dem Urteil selbst — obwohl eine solche Unterscheidung künstlich anmuten mag — nur der richterliche Wille zum Ausdruck kommt. Maßgeblich ist dagegen, daß dem Kläger von der Verwaltung des Gerichtshofes am 21. Juli 1964 eine detaillierte Abrechnung der für die Vergangenheit wie für die Zukunft aufgrund des Urteils 70/63 zu beanspruchenden Summen mitgeteilt wurde. Damit war für ihn — wie übrigens auch anhand der Gehaltsabrechnungen der folgenden Monate — mit Deutlichkeit erkennbar, welche Konsequenzen die Verwaltung des Gerichtshofes aus dem Urteil 70/63 zu ziehen gewillt war. War der Kläger mit diesen Konsequenzen nicht einverstanden, so mußte er zur Wahrnehmung seiner Rechte unmittelbar danach aktiv werden, und zwar, wenn nicht in Form einer Anfechtungsklage, so doch zumindest mit Hilfe einer Verwaltungsbeschwerde, die zur Auslösung eines Verwaltungsverfahrens geführt hätte. Wie nach der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. Rechtssache 30/64) feststeht, hätte diese Verwaltungsbeschwerde in der Klagefrist des Artikels 91 des Personalstatuts, also spätestens am 21. Oktober 1964, bei der Anstellungsbehörde eingehen müssen. Während des Laufes dieser Frist ist indessen von seiten des Klägers nichts geschehen. Seine erste Reaktion auf das Vorgehen der Verwaltung bestand in der Adressierung eines Briefes an den Präsidenten des Gerichtshofes (9. Dezember 1964), der aber — wie schon erwähnt — vom Kläger selbst nicht als eine Verwaltungsbeschwerde qualifiziert wurde.

    Damit hat der Kläger nach richtiger Auffassung das Recht verwirkt, die korrekte Ausführung des Urteils 70/63 und alles, was mit ihr zusammenhängt, zum Gegenstand eines neuen Rechtsstreits zu machen.

    Anders könnte es sich nur verhalten, wenn der Gerichtshof in einem späteren Akt, etwa nach Bekanntwerden neuer Elemente, den bezeichneten Sachverhalt erneut geprüft und zum Gegenstand eines selbständigen Verwaltungsaktes gemacht hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Insbesondere stellt nicht die nunmehr unmittelbar angegriffene Note vom 18. Februar 1965 über die Berechnung der Pensionsansprüche des Klägers einen solchen Akt dar. Sein einziger Gegenstand ist die rein rechnerische Ermittlung der Ruhegehaltsansprüche auf der Basis des Urteilstenors aus dem Verfahren 70/63 und auf der Basis der darauf zurückgehenden Verwaltungspraxis des Gerichtshofes. Eine derartige Wiederholung früherer Verwaltungsakte allein zum Zwecke des Erlasses eines neuen, sich darauf gründenden Bescheides kann nach richtigem Verständnis ein bereits erloschenes Klagerecht nicht wieder aufleben lassen.

    Wenn es sich aber so verhält, wenn das einzige Anliegen, das in Wirklichkeit Gegenstand der Klage 20/65 ist, mit Rücksicht auf den Ablauf der maßgeblichen Fristen nicht mehr diskutiert werden kann, dann erweist sich die ganze Klage 20/65 wegen Fehlens eines zulässigen Inhalts als unzulässig.

    3. Zusammenfassung

    Abschließend lautet somit mein Schlußantrag:

    Der Antrag der Beklagten auf Vorabentscheidung über die Zulässigkeit ist begründet. Die Klage 20/65 ist mit den sich aus der Verfahrensordnung ergebenden Kostenfolgen als unzulässig zurückzuweisen.

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