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Document 61964CC0006

    Schlussanträge des Generalanwalts Lagrange vom 25. Juni 1964.
    Flaminio Costa gegen E.N.E.L.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Giudice conciliatore di Milano - Italien.
    Rechtssache 6-64.

    Englische Sonderausgabe 1964 01253

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1964:51

    Schlußanträge des Generalanwalts

    HERRN MAURICE LAGRANGE

    25. Juni 1964

    Aus dem Französischen übersetzt

    Herr Präsident, meine Herren Richter!

    Der Antrag auf Vorabentscheidung, mit dem Sie nach Artikel 177 EWG-Vertrag befaßt sind, geht diesmal nicht von einem niederländischen, sondern von einem italienischen Gericht aus, und es handelt sich auch nicht um Sozialversicherungsrecht und die Verordnung Nr. 3, sondern um einige Bestimmungen des Vertrages selbst, um deren Auslegung Sie unter solchen Umständen ersucht sind, daß die verfassungsrechtlichen Beziehungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu ihren Mitgliedstaaten zum Gegenstand des Verfahrens werden können. Damit ist über die Bedeutung der Ihnen in dieser Rechtssache obliegenden Entscheidung genug gesagt.

    Der Sachverhalt ist Ihnen bekannt: Herr Costa, ein Rechtsanwalt in Mailand, glaubt einen ihm vom Ente nazionale per l'energia elettrica (E.N.E.L.) für Stromlieferungen berechneten Betrag von 1925 Lire nicht zu schulden. Er hat die Streitsache vor das bei der geringen Höhe der Forderung in erster und letzter Instanz entscheidende Friedensgericht gebracht und geltend gemacht, das Gesetz vom 6. Dezember 1962 über die Verstaatlichung der Stromerzeugungsunternehmen in Italien widerspreche einer Reihe von Bestimmungen des Vertrages von Rom und sei verfassungswidrig. Mit dieser Begründung hat er die Verweisung des Rechtsstreits zur Vorabentscheidung einerseits an den Verfassungsgerichtshof der Italienischen Republik, andererseits nach Artikel 177 EWG-Vertrag an unseren Gerichtshof beantragt und erreicht.

    I. Vorfragen

    Zunächst sind zwei die Wirksamkeit der Anrufung unseres Gerichtshofes betreffende Vorfragen zu entscheiden.

    A —

    Die erste Frage geht dahin, ob das Mailänder Gericht Sie wirklich um die Auslegung des Vertrages ersucht hat. Diese Frage stellt sich, weil sich der Vorlegungsbeschluß in seinem Tenor darauf beschränkt, „auf die Rüge der Unvereinbarkeit des Gesetzes … vom 6. Dezember 1962 und der auf ihm beruhenden Dekrete des Präsidenten der Republik … mit den Artikeln 102, 93, 53 und 37 des … Vertrages“ das Verfahren auszusetzen und „die Übersendung einer Ausfertigung der Akten an den Gerichtshof der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in Luxemburg“ anzuordnen.

    In seinen Gründen erläutert der Beschluß jedoch zwar knapp, aber klar, inwiefern das Verstaatlichungsgesetz die einzelnen Artikel des Vertrages verletzen und infolgedessen mit diesem Vertrag unvereinbar sein könnte. Meines Erachtens kann und muß sich der Gerichtshof unter diesen Umständen der Mühe unterziehen, aus den vier im Beschluß dargelegten Bedenken das herauszuschälen, was die Auslegung der Vertragsbestimmungen betrifft. Zu solchen Anstrengungen, mit denen Sie, ohne Ihre Zuständigkeit zu überschreiten, es den staatlichen Gerichten ermöglichen wollen, in den Grenzen ihrer Zuständigkeit zu entscheiden, haben sie sich schon in anderen Rechtssachen bereitgefunden, was letzten Endes ganz normal ist, da die abstrakte Auslegung des Vertragswortlauts oder der Gemeinschaftsverordnungen immer im Hinblick auf den konkreten Einzelfall gegeben wird, der Gegenstand des Rechtsstreits ist. Es muß nur der mit der Zunahme der Verfahren nach Artikel 177 erkennbar werdenden Gefahr vorgebeugt werden, daß sich der Gerichtshof bei der Ausübung seiner Auslegungszuständigkeit mehr oder weniger an die Stelle der staatlichen Gerichte setzt, die, das darf nicht vergessen werden, zuständig bleiben, den Vertrag und die Gemeinschaftsverordnungen — Rechtsvorschriften, die durch die Ratifikation in das innerstaatliche Recht aufgenommen sind — anzuwenden. Die Abgrenzung der Anwendung von der Auslegung ist gewiß eines der heikelsten Probleme, die Artikel 177 aufwirft, besonders da die Grenzlinie zwischen beiden zugleich den Zuständigkeitsbereich des Gemeinschaftsgerichts von dem der staatlichen Gerichte trennt und kein Gericht berufen ist, im Konfliktsfall zu entscheiden. Nun liegt es auf der Hand, daß Konflikte zwischen dem Gerichtshof und den höchsten staatlichen Gerichten zu schweren Erschütterungen des vom Vertrag geschaffenen Rechtsschutzsystems führen können, das auf der Notwendigkeit der — oft sogar organischen — Zusammenarbeit des Gerichts der Gemeinschaft mit den Gerichten der Mitgliedstaaten beruht.

    B —

    Damit gelangen wir zur Prüfung der zweiten Vorfrage, die gerade diese verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten betrifft.

    Die italienische Regierung vertritt in ihren Erklärungen die Auffassung, die Ihnen vom Friedensgericht Mailand vorgelegte Frage sei absolut unzulässig, weil sie nicht, wie es nach Artikel 177 erforderlich sei, eine Prämisse des Rechtssyllogismus enthalte, den dieses Gericht bilden müsse, um den vor ihm anhängigen Rechtsstreit entscheiden zu können. In diesem Rechtsstreit habe das Gericht nur ein internes Gesetz des italienischen Staates anzuwenden; zur Auslegung des Vertrages von Rom bestehe daher ebensowenig wie zu seiner Anwendung Anlaß. Die italienische Regierung führt aus:

    „In unserem Falle hat das Gericht keine Bestimmung des Vertrages von Rom anzuwenden und kann daher auch nicht die Zweifel über seine Auslegung haben, die Artikel 177 klar voraussetzt; es hat nur das interne Recht (das Gesetz über das E.N.E.L.) anzuwenden, das den ihm zur Prüfung vorliegenden Fall regelt.“

    Andererseits, so fährt die italienische Regierung fort, könne die Frage, ob ein Mitgliedstaat durch ein internes Gesetz gegen seine Pflichten gegenüber der Gemeinschaft verstoßen habe, nur im Verfahren nach Artikel 169, 170 EWG-Vertrag geprüft werden, an dem Privatpersonen nicht einmal mittelbar teilnehmen könnten:

    „… die Rechtsnormen bleiben auch nach Erlaß des Urteils des Gerichtshofes solange in Kraft, bis der Staat seiner allgemeinen Pflicht aus Artikel 5 nachkommt und Maßnahmen zum Vollzug des Urteils trifft.“

    Meine Herren Richter, man brauchte dieser Einrede der „absoluten Unzulässigkeit“ vielleicht nur Ihre Rechtsprechung entgegenzuhalten, daß der Gerichtshof sich kein Urteil über die Erwägungen anmaßen darf, aus denen heraus das staatliche Gericht ihm eine Frage zur Vorabentscheidung vorlegen zu müssen geglaubt hat, es für seine Zuständigkeit vielmehr genügt festzustellen, daß die vorgelegte Frage unter Artikel 177 fällt, das heißt die Auslegung des Vertrages oder die Gültigkeit und die Auslegung einer Gemeinschaftsverordnung betrifft, für die dieser Artikel den Gerichtshof für zuständig erklärt.

    Man kann sich aber fragen, ob diese Rechtsprechung, die an sich sehr weise ist und in der sich der Wille des Gerichtshofes ausdrückt, die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte zu beachten, ohne Einschränkung und Vorbehalt z. B. in solchen Fällen Geltung beanspruchen könnte, in denen die vorgelegte Frage offensichtlich in keinem Zusammenhang zum Hauptprozeß stünde. Müßte sich der Gerichtshof in derartigen Fällen wirklich für verpflichtet halten, eine abstrakte Auslegung des Vertrages zu geben, die unter solchen Umständen als eine rein theoretische Stellungnahme ohne jede Bindung an die Entscheidung eines Rechtsstreites erscheinen müßte, aber sehr bedeutsame oder zu ernsten Konflikten mit den staatlichen Gerichten führende Fragen betreffen könnte? Dies läßt sich durchaus bezweifeln. Aus diesem Grunde glaube ich im Bestreben, alle Unklarheiten auszuräumen, und in der Hoffnung, einen Konflikt der genannten Art zu vermeiden, so klar wie möglich zu den Einwendungen der italienischen Regierung Stellung nehmen zu müssen.

    Zunächst muß dem zweiten Einwand entgegengetreten werden, daß eine Verletzung des Vertrages durch ein nach seinem . Inkrafttreten ergangenes, mit ihm unvereinbares Gesetz nur in dem der Feststellung von Vertragsverletzungen der Mitgliedstaaten dienenden Verfahren der Artikel 169 bis 171 geltend gemacht werden könne, das aber Privatpersonen nicht offenstehe und das Gesetz fortbestehen lasse, bis es im Vollzug eines seine Unvereinbarkeit mit dem Vertrag feststellenden Urteils des Gerichtshofes aufgehoben werde. Dieser Einwand verfehlt das Problem. Zu lösen ist die Frage des Nebeneinanderbestehens zweier (wie zu unterstellen ist) einander widersprechender Rechtsnormen, die beide in der innerstaatlichen Rechtsordnung Geltung beanspruchen und von denen die eine im Vertrag enthalten oder von Gemeinschaftsorganen erlassen, die andere von staatlichen Instanzen gesetzt ist. Welcher von beiden kommt der Vorrang zu, wenn sich ihre Widersprüchlichkeit nicht auflösen läßt? Das ist zu klären.

    Ohne sich auf die — allzu umstrittenen — wissenschaftlichen Konzeptionen vom Wesen der Europäischen Gemeinschaften zu stützen oder im Streit um das „föderierte Europa“ und das „Europa der Vaterländer“ oder um die „Übernationalität“ und die „Internationalität“ Partei zu ergreifen, muß der Richter (das ist seine Aufgabe) den Vertrag so betrachten, wie er ist. Nun schafft — das ist eine bloße Feststellung der Vertrag zur Gründung der EWG wie die übrigen sogenannten Europäischen Verträge eine eigene Rechtsordnung, die zwar von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten verschieden ist, sie aber nach genauen, im Vertrag selbst enthaltenen, in der Übertragung von Zuständigkeiten auf Gemeinschaftsorgane bestehenden Normen teilweise ersetzt.

    Um bei der Frage der Normen zu bleiben, so ist allgemein anerkannt, daß der EWG-Vertrag, wenn auch in geringerem Maße als der EGKS-Vertrag, eine Anzahl Bestimmungen enthält, die ihrem Wesen und ihrem Gegenstand nach in den innerstaatlichen Rechtsordnungen unmittelbar anwendbar sind, in die sie durch die Ratifizierung „aufgenommen“ sind (eine Erscheinung, die übrigens keine Besonderheit der europäischen Verträge ist). Indem Sie entschieden haben, daß die Artikel 12 und 31 EWG-Vertragunmittelbare Wirkung haben und Rechte der Einzelnen begründen, die von den staatlichen Gerichten zu beachten sind, haben Sie selbst ausgesprochen, daß die genannten Bestimmungen in diesem Sinne — um den eingebürgerten Ausdruck zu gebrauchen — „self-executing“ sind. Bestimmungen, die keine solche unmittelbare Wirkung haben, finden auf zweierlei Weise in die innerstaatlichen Rechtsordnungen Eingang, je nachdem, ob den Exekutivorganen der Gemeinschaft (Rat oder Kommission oder, was am häufigsten ist, beide in organischem Zusammenwirken unter Einschaltung des Europäischen Parlaments) die Befugnis zum Erlaß von Verordnungen verliehen ist oder nicht. Ist dies nicht der Fall, so liegt eine Pflicht der Mitgliedstaaten vor, die sie entweder von sich aus oder auf Empfehlungen oder Richtlinien der Exekutivorgane hin zu erfüllen haben; die Bestimmungen des Vertrages finden dann erst durch die innerstaatlichen Maßnahmen der zuständigen Organe der Mitgliedstaaten in die innerstaatlichen Rechtsordnungen Eingang. Sind dagegen die Exekutivorgane der Gemeinschaft zum Erlaß von Verordnungen befugt und machen sie von dieser Befugnis Gebrauch, so erfolgt die Aufnahme in das innerstaatliche Recht ipso jure mit der Verkündung der Verordnung: Das geht aufs deutlichste aus den Vorschriften von Artikel 189 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 191 EWG-Vertrag hervor. Artikel 189 Absatz 2 bestimmt: „Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.“ Artikel 191 Absatz 1 lautet: „Die Verordnungen werden im Amtsblatt der Gemeinschaft veröffentlicht. Sie treten zu dem durch sie festgelegten Zeitpunkt oder andernfalls am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung in Kraft.“

    Zwei Kategorien von Vorschriften sind also unmittelbar anwendbar:

    1.

    die als „self-executing“ anzusehenden Vertragsbestimmungen,

    2.

    die Vertragsbestimmungen, zu denen Ausführungsverordnungen ergangen sind.

    Denn wie ließe sich die Annahme begründen, daß eine Vertragsbestimmung, zu der eine Verordnung ergangen ist, nicht mit der Verordnung, der sie als Rechtsgrundlage dient, in die innerstaatliche Rechtsordnung Eingang finde? Und wie könnte man annehmen, daß eine andere Bestimmung, zu der nur deswegen keine Verordnung oder innerstaatliche Ausführungsmaßnahme ergangen ist, weil sie sich selbst genügt, nicht die gleiche Wirkung haben solle?

    Daher läßt sich das Problem nicht umgehen, das sich daraus ergibt, daß in den Mitgliedstaaten zwei Rechtsordnungen, die innerstaatliche und die Gemeinschaftsrechtsordnung, nebeneinanderbestehen, von denen jede ihren eigenen Geltungsbereich besitzt. Infolgedessen kann auch der Frage nicht ausgewichen werden, welche Sanktionen auf Übergriffe der einen Rechtsordnung in den Bereich der anderen stehen.

    Bei Übergriffen seitens der Gemeinschaftsorgane gibt es keine Schwierigkeiten: Die Sanktionen verhängt sowohl zugunsten von Mitgliedstaaten wie von Privatpersonen der Gerichtshof in einem der vom Vertrag vorgesehenen Verfahren, insbesondere dem der Anfechtungsklage (Artikel 173) und dem der Einrede der Unanwendbarkeit (Artikel 184).

    Aber auch gegen Übergriffe staatlicher Behörden sind Sanktionen erforderlich, und zwar gleichfalls nicht nur zugunsten der Staaten, sondern auch der Privaten, die aus dem Vertrag oder aus Gemeinschaftsverordnungen subjektive Rechte herleiten können. Der Schutz dieser Rechte obliegt, wie der Gerichtshof entschieden hat, den staatlichen Gerichten.

    Wie üben nun diese Gerichte ihre Kontrolle aus und wie wenden sie insbesondere Vertragsbestimmungen, die self-executing sind, und rechtmäßig ergangene Gemeinschaftsverordnungen an, wenn eine Norm des innerstaatlichen Rechts entgegensteht? Wenn diese Norm vor Inkrafttreten des Vertrages oder vor Verkündung der Verordnung erlassen ist, müssen die Grundsätze über die stillschweigende Aufhebung genügen. Schwierigkeiten stellen sich aber ein, wenn die innerstaatliche Norm jünger ist als der Vertrag und einer Vertragsbestimmung widerspricht, die self-executing ist, oder wenn sie jünger als eine rechtmäßig erlassene und ordnungsgemäß verkündete Verordnung ist; auch in diesen Fällen gibt es jedoch nur dann echte Schwierigkeiten, wenn die innerstaatliche Norm vom Gesetzgeber erlassen ist, denn handelt es sich nur um einen gewöhnlichen Verwaltungsakt oder um eine Verordnung, so müssen die Nichtigkeitsklage oder der (in den Ländern, die eine Nichtigkeitsklage gegen Verordnungen nicht ohne Einschränkung zulassen) zumindest mögliche Einwand der Unanwendbarkeit genügen, um den innerstaatlichen Akt zugunsten der Norm des Gemeinschaftsrechts seiner Wirksamkeit zu berauben. Handelt es sich dagegen um einen Akt des Gesetzgebers, so stellt sich ein nicht zu umgehendes verfassungsrechtliches Problem.

    Dieses Problem ist, wie Sie wissen, in voll befriedigender Weise in den Niederlanden gelöst, deren kürzlich neu gefaßte Verfassung die Gerichte ermächtigt, Gesetze außer Anwendung zu lassen, wenn sie internationalen Verträgen, jedenfalls solchen, deren Bestimmungen self-executing sind, widersprechen. Im Großherzogtum Luxemburg hat die Rechtsprechung ausdrücklich den gleichen Grundsatz aufgestellt. In Frankreich erkennt ihn die Lehre gleichfalls fast einhellig an; sie stützt sich dabei auf Artikel 55 der geltenden Verfassung, der wie Artikel 28 der Verfassung von 1946 ordnungsmäßig ratifizierten und verkündeten internationalen Verträgen den Vorrang vor dem Gesetz einräumt; einige Entscheidungen gehen zumindest stillschweigend vom gleichen Grundsatz aus. In Belgien unternimmt die Lehre mit öffentlicher Unterstützung durch einen sehr hohen Richter große Anstrengungen, die zum gleichen Ergebnis führen dürften.

    So paradox es auf den ersten Blick erscheinen mag, bestehen grundsätzliche Schwierigkeiten zur Zeit gerade in den beiden Ländern, die einen Verfassungsgerichtshof besitzen, also in Deutschland und Italien. In beiden Fällen rühren die Schwierigkeiten davon her, daß der Vertrag von Rom durch einfaches Gesetz ratifiziert ist, das im Range unter der Verfassung steht, und infolgedessen Verfassungsnormen und -grundsätze nicht ändern kann.

    Wir haben uns selbstverständlich nicht in die Auslegung der Verfassungen der Mitgliedstaaten einzumischen. Deshalb beschränke ich mich auf die Bemerkung, daß in Deutschland (wo bis heute noch keine einschlägige Entscheidung des Verfassungsgerichts ergangen ist) die Einwände ihren Grund darin zu haben scheinen, daß die Rechtsordnung der Gemeinschaft (der man eine eigene, von der der deutschen Rechtsordnung verschiedene Existenz zuerkennt) den Bürgern der Bundesrepublik nicht die gleichen Garantien gewähre wie das Grundgesetz, vor allem insofern, als in der Gemeinschaft nichtparlamentarische Organe (Rat, Kommission) Akte mit Gesetzescharakter in Fällen erlassen könnten, in denen nach innerstaatlichem Recht das Parlament hierfür ausschließlich zuständig wäre. Was soll man hierauf erwidern, als daß die Gemeinschaftsverordnungen, selbst die wichtigsten, keine gesetzgeberischen, nicht einmal, wie man gelegentlich sagt, „quasi-gesetzgeberische“ Akte sind, sondern Akte von Exekutivorganen (Rat oder Kommission), die nur in den Grenzen der ihnen vom Vertrag erteilten Ermächtigungen und unter der richterlichen Kontrolle des Gerichtshofes tätig werden können? Der Vertrag von Rom hat gewiß zum Teil den Charakter einer echten Verfassung der Gemeinschaft (und wird insoweit nicht durch Verordnungen, sondern durch Protokolle oder Anhänge ergänzt, die den gleichen Rang haben wie er selbst), im übrigen ist er aber im wesentlichen ein sogenanntes „Rahmengesetz“, das völlig am Platze ist, wo es sich darum handelt, der Entwicklung unterworfene Materien wie die Einrichtung eines gemeinsamen Marktes zu regeln; insoweit umreißt er das zu erreichende Ziel und die zu erfüllenden Bedingungen, nicht aber die Art und Weise ihrer Verwirklichung, in einer Weise, die Geschmeidigkeit mit Genauigkeit vereinbart: Mit den „Blankovollmachten“, zu denen sich gewisse nationale Parlamente manchmal bereitfinden, hat das nichts zu tun. Die Bürger der Bundesrepublik finden also in der Gemeinschaftsrechtsordnung, vor allem was den richterlichen Rechtsschutz angeht, Garantien, die mit denen, die ihnen ihre nationale Rechtsordnung (vor der sich aus dem Vertrag ergebenden Übertragung von Hoheitsrechten) durch die weiterreichende Zuständigkeit des Parlaments gewährte, zwar nicht völlig übereinstimmen, ihnen aber doch vergleichbar sind. Das eigentliche Problem scheint also darin zu liegen, ob es mit der Verfassung vereinbar war, eine solche Rechtsordnung durch einen Vertrag zu schaffen, der durch einfaches Gesetz ratifiziert wurde: Es liegt auf der Hand, daß zur Entscheidung dieser Frage allein das staatliche Verfassungsgericht zuständig ist.

    Für Italien scheint das gleiche zu gelten. In diesem Lande ist, wie Sie wissen, am 24. Februar 1964/7. März 1964 gerade zum Gesetz über die Errichtung des E.N.E.L. ein Urteil des Verfassungsgerichtshofes ergangen, das von der Auffassung ausgeht, daß trotz der Bestimmungen von Artikel 11 der Verfassung die (nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes nur die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Staates betreffende) Frage der Verletzung des Vertrages durch ein ihm widersprechendes Gesetz von der Frage der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes zu trennen sei: Da der Vertrag durch einfaches Gesetz ratifiziert worden sei, müsse ein späteres Gesetz nach den für die zeitliche Aufeinanderfolge geltenden Rechtsgrundsätzen wirksam sein, weshalb „nicht zu prüfen ist, ob das bemängelte Gesetz Verpflichtungen verletzt, die mit diesem Vertrag übernommen worden sind“, und aus den gleichen Gründen die Verweisung der Sache an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (die allenfalls dazu führen könnte, daß auf Grund der Auslegung des Vertrages durch den Gerichtshof eine Verletzung dieses Vertrages festzustellen wäre) zwangsläufig gegenstandslos sein müsse.

    Es steht mir selbstverständlich nicht zu, dieses Urteil zu kritisieren. Ich will nur die (mehr formelle) Bemerkung machen, daß der Verfassungsgerichtshof nur den Konflikt zwischen dem von ihm zu beurteilenden Gesetz und dem Ratifikationsgesetz ins Auge faßt, während es sich doch um einen Konflikt zwischen jenem Gesetz und dem (durch einfaches Gesetz ratifizierten) Vertrag handelt. Nachdrücklich möchte ich aber auf die unheilvollen — das Wort ist nicht zu stark — Folgen für das Funktionieren des vom Vertrage geschaffenen Verfassungssystems und infolgedessen für die Zukunft des gemeinsamen Marktes hinweisen, zu denen es führen müßte, wenn an dieser Rechtsprechung festgehalten würde.

    Denn dieses System beruht, wie ich nachgewiesen zu haben glaube, auf der Errichtung einer Rechtsordnung, die zwar von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten verschieden, aber eng, ja sogar organisch derart mit ihnen verbunden ist, daß die ständige gegenseitige Beachtung der Zuständigkeiten eine Grundvoraussetzung für das vertragsgemäße Funktionieren des Systems und infolgedessen für die Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft darstellt. Wir haben insbesondere gesehen, daß diese gegenseitige Beachtung der Zuständigkeiten bei Vertragsbestimmungen, die self-executing sind, und bei rechtmäßig erlassenen Verordnungen der Gemeinschaftsexekutive die unmittelbare Anwendbarkeit in den Mitgliedstaaten erfordert. Das ist die vom Vertrag von Rom geschaffene Rechtsordnung, und es ist ausschließlich Sache des Gerichtshofes, das gegebenenfalls in seinen Urteilen auszusprechen.

    Sollte der Fall eintreten, daß ein Verfassungsgericht eines Mitgliedstaates in Ausübung seiner Zuständigkeit sich zu der Entscheidung veranlaßt sähe, daß dieses Ergebnis unter der Herrschaft der Verfassungsnormen seines Landes nicht erreichbar sei, weil zum Beispiel einfache Gesetze, die dem Vertrag widersprechen, dem Vertrag vorgingen und kein Gericht (nicht einmal das Verfassungsgericht) befugt sei, sie außer Anwendung zu lassen, solange sie nicht vom Parlament aufgehoben oder geändert wären, so würde diese Entscheidung einen wahrhaft unlösbaren Konflikt zwischen den beiden Rechtsordnungen heraufbeschwören und den Vertrag in seinen Grundlagen erschüttern. Nicht nur würde der Vertrag in dem einen Lande nicht mehr vollinhaltlich angewandt werden können, sondern es würde infolge einer Kettenreaktion das gleiche wahrscheinlich auch in den übrigen Ländern der Gemeinschaft der Fall sein, zumindest in denen, die (wie Frankreich) internationalen Verträgen den Vorrang nur „unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit“ einräumen.

    Unter diesen Umständen würden für den beteiligten Staat nur zwei Möglichkeiten offenbleiben: entweder seine Verfassung zu ändern, um sie mit dem Vertrag in Einklang zu bringen, oder den Vertrag zu kündigen. Denn der Staat ist durch die Unterzeichnung und Ratifizierung des Vertrages und die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde seinen Vertragspartnern gegenüber Verpflichtungen eingegangen und kann nicht untätig bleiben, ohne seine internationalen Verpflichtungen zu verletzen. Es ist daher verständlich, daß die Kommission, die nach Artikel 155 EWG-Vertrag die Aufgabe hat, über die Anwendung des Vertrages zu wachen, dem Gerichtshof in ihren Erklärungen mitgeteilt hat, mit welch „ernster Besorgnis“ sie von dem Urteil vom 24. Februar 1964 Kenntnis genommen habe.

    Es bedarf kaum der Erwähnung, daß ich diese Bemerkungen nur gemacht habe, um die zu entscheidenden Fragen aufzuhellen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß jeder seine Verantwortung übernehmen kann; keinen Augenblick denke ich daran, daß Italien, das immer an der Spitze der Förderer des Europagedankens gestanden hat, Italien, das Land der Konferenz von Messina und des Vertrages von Rom, nicht den verfassungsrechtlichen Weg finden sollte, der es der Gemeinschaft ermöglicht, in voller Übereinstimmung mit den Grundsätzen der gemeinsamen Charta zu leben.

    Um nunmehr auf den Beschluß des Friedensgerichts Mailand zurückzukommen, ist festzustellen, daß dieses Gericht sich genau an die Vorschriften von Artikel 23 des Gesetzes vom 11. März 1953 über die Organisation und das Verfahren des Verfassungsgerichtshofes, insbesondere an den folgenden Absatz gehalten hat:

    „Das Gericht ordnet durch Beschluß, in dem es den Antrag und die Begründung des Einwands der Verfassungswidrigkeit wiedergibt, die sofortige Übersendung der Akten an den Verfassungsgerichtshof an und setzt das Verfahren aus, wenn die Entscheidung des Rechtsstreites von der Entscheidung über den Einwand der Verfassungswidrigkeit abhängt oder das Gericht den Einwand der Verfassungswidrigkeit nicht für offensichtlich unbegründet hält.“ (Im Falle der offensichtlichen Unbegründetheit weist das Gericht den Einwand nach Artikel 24 durch begründeten Beschluß zurück.)

    Das Gericht, bei dem ein Verweisungsantrag gestellt wird, hat also nicht „blindlings“ und sozusagen automatisch zu verweisen. Es ist zu einer gewissen Kontrolle verpflichtet, die Rechtsanwalt Costa in seinen mündlichen Ausführungen eine „Vorprüfung der Verfassungsmäßigkeit“ genannt hat. Das Friedensgericht hat diese Prüfung auch tatsächlich vorgenommen, nicht nur, wozu es nach italienischem Recht verpflichtet war, soweit die Verweisung an den italienischen Verfassungsgerichtshof in Frage stand, sondern auch hinsichtlich der Verweisung an unseren Gerichtshof. Meines Erachtens hat es damit völlig richtig gehandelt, denn wenn vermieden werden soll, daß Einwendungen nur zur Prozeßverschleppung erhoben werden und unser Gerichtshof mit unüberlegten Vorlegungen überhäuft wird, ist nach meiner Auffassung eine Vorprüfung, die sich auf die Erheblichkeit der Auslegungsfrage für die Entscheidung des Rechtsstreites und darauf zu erstrecken hat, ob der Verweisungsantrag „offensichtlich unbegründet“ ist, unerläßlich, obwohl ausdrückliche Vorschriften wie die des italienischen Gesetzes im Vertrag fehlen. Meine obigen Bemerkungen beweisen aber hinlänglich, daß kein Fall vorlag, in dem das Gericht den Verweisungsantrag ohne weiteres hätte ablehnen können.

    Da es sich im vorliegenden Fall um ein Gesetz handelte, stellte sich als einzige vielleicht die Frage, ob das Gericht, wenn es dieses Gesetz mit dem Vertrag in der ihm vom Gerichtshof zuteil werdenden Auslegung für unvereinbar halten sollte, seine Anwendung ablehnen könnte. Anders ausgedrückt: Sind neben dem Verfassungsgerichtshof auch andere italienische Gerichte befugt, über die Verfassungsmäßigkeit zu entscheiden, oder müssen sie die Sache in jedem Falle dem Verfassungsgerichtshof vorlegen? Letzterenfalls hätte das Gericht sich gewiß auf die Verweisung an den Verfassungsgerichtshof beschränken und es ihm überlassen müssen, ob er Sie um eine Auslegung des Vertrages ersuchen wollte. Das sind aber Fragen der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Gerichten eines Mitgliedstaates, in die Sie, meine Herren Richter, sich nicht einmischen dürfen. Außerdem kann das Urteil, das Sie zu fällen haben, auch für den Verfassungsgerichtshof Bedeutung erlangen, der ihm unter Umständen Rechnung zu tragen haben wird: So wäre die Verweisung an Sie selbst dann, wenn sie nach innerstaatlichem Verfahrensrecht verfrüht sein sollte, nicht ohne Nutzen und würde sogar einen Zeitgewinn zur Folge haben. Kurz, der Fall wäre dann dem analog, daß ein Instanzgericht von der ihm durch Artikel 177 Absatz 2 eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht, die Verweisung an den Gerichtshof auszusprechen, ohne die Erschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges abzuwarten.

    Aus diesen Gründen, die ich wegen ihrer außerordentlichen grundsätzlichen Bedeutung in dieser vielleicht allzugroßen Ausführlichkeit entwickeln zu müssen geglaubt habe, bin ich der Auffassung, daß Sie dem Einwand der „absoluten Unzulässigkeit“, den die italienische Regierung in ihren Erklärungen erhoben hat, nicht stattgeben dürfen.

    II. Untersuchung der vorgelegten Auslegungsfragen

    Diese Fragen sind vier an der Zahl: Artikel 102, Artikel 93, Artikel 53 und Artikel 37.

    A —

    Artikel 102 — Nach dem Vorlegungsbeschluß soll Artikel 102 insofern verletzt sein, als entgegen den Bestimmungen seines Absatzes 1 der italienische Staat sich vor Erlaß des Gesetzes vom 6. Dezember 1962 nicht mit der Kommission ins Benehmen gesetzt habe. Hier wie bei den anderen Punkten gilt es zunächst zu ermitteln, welche Auslegungstrage hiermit gestellt sein soll.

    Ich glaube zwei für den Rechtsstreit bedeutsame Auslegungsfragen zu entdecken, von denen die eine übrigens nur subsidiäre Bedeutung hat:

    1.

    Führt die Nichteinhaltung der Formvorschrift des Artikels 102 ohne weiteres zur Vertragswidrigkeit der Rechtsoder Verwaltungsvorschrift eines Mitgliedstaates mit der Folge, daß die staatlichen Gerichte diese Vorschrift nicht zu beachten haben?

    2.

    Bejahendenfalls, wie ist die Formvorschrift auszulegen? Wird insbesondere der Mangel, der darin liegt, daß die beteiligte Regierung sich nicht offiziell mit der Kommission ins Benehmen setzt, dadurch geheilt, daß die Kommission von dem Plan unter solchen Umständen Kenntnis erlangt, daß sie in der Lage ist, die geeigneten Empfehlungen an die Mitgliedstaaten zu richten?

    Die erste Frage ist meines Erachtens zu verneinen. Wir haben es hier mit einem recht kurzen Kapitel des Vertrages zu tun, das die Überschrift „Angleichung der Rechtsvorschriften“ trägt. Selbstverständlich bestehen diese Rechtsvorschriften fort, solange sie nicht „angeglichen“, d. h. (mit Ausnahme allenfalls derjenigen, an die angeglichen wird) geändert sind. Der Rat arbeitet nach Artikel 100 auf diesem Gebiet übrigens mit „Richtlinien“. Die Artikel 101 und 102 regeln den Fall, daß vor dieser Angleichung und vor Eintritt der von ihr zu erwartenden Wirkungen festgestellt wird, daß vorhandene Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen „die Wettbewerbsbedingungen auf dem gemeinsamen Markt verfälschen und dadurch eine Verzerrung hervorrufen, die zu beseitigen ist“. Sie unterscheiden danach, ob die Verzerrung die Folge bereits bestehender Vorschriften (Artikel 101) oder ob sie von erst zu erlassenden Vorschriften zu befürchten ist (Artikel 102). Im Falle des Artikels 101 sind die Vorschriften schon in Kraft und bleiben es ohne jeden Zweifel auch, solange sie nicht, eventuell auf eine Richtlinie des Rates hin, abgeändert werden; der Fall liegt wie der des Artikels 100.

    Es verbleibt der Fall des Artikels 102. Dieser Artikel soll offensichtlich verhindern, daß vollendete Tatsachen geschaffen werden: Es ist sicherlich besser, dem Erlaß einer gesetzgeberischen oder anderen Maßnahme, von der eine Verzerrung zu befürchten ist, vorzubeugen, als nachträglich auf ihre Aufhebung hinzuwirken; daher die Vorschrift des Artikels 102 über die vorherige Verständigung der Kommission. Ist deswegen Artikel 102 als self-executing anzusehen, so daß die staatlichen Gerichte berufen wären, zugunsten der Einzelnen mit Sanktionen gegen seine Verletzung einzuschreiten?

    Ich glaube nicht. Denn damit würde den staatlichen Gerichten die Befugnis zuerkannt zu beurteilen, ob Verzerrungen im Sinne von Artikel 102 „zu befürchten“ sind, was ein mehr oder weniger heikles Werturteil einschließt, das vernünftigerweise nicht ohne jede Mitwirkung der Gemeinschaftsorgane, insbesondere der Kommission, gefällt werden kann. Allerdings lehne ich es ab, die Entscheidung dem beteiligten Staat allein zu überlassen und es seinem Ermessen anheimzustellen, ob er sich mit der Kommission ins Benehmen setzen will: Es ist Sache der Kommission, sich objektiv über die Berechtigung solcher „Befürchtungen“ zu äußern und erforderlichenfalls von ihren Befugnissen nach Artikel 169 Gebrauch zu machen, um durch den Gerichtshof feststellen zu lassen, daß der Staat gegen seine Verpflichtungen verstoßen hat, indem er sich nicht im voraus mit der Kommission ins Benehmen gesetzt hat. Es sei noch bemerkt, daß die Kommission tatsächlich ausreichende Informationsmöglichkeiten besitzt, um zumindest in den wichtigen Fällen rechtzeitig einschreiten zu können, vor allem gegen Gesetzgebungsakte, die in unseren Ländern doch nicht im Geheimen ausgearbeitet zu werden pflegen! Wir wissen, daß es auch im vorliegenden Fall so war.

    Zur zweiten Frage, die ich also nur noch für alle Fälle erörtern will, möchte ich folgende Auslegung geben: Die Formvorschrift des Artikels 102 ist für den beteiligten Staat zwingend. In welcher Weise ist ihr zu genügen? Meines Erachtens kann ihr nur durch eine amtliche Mitteilung der Regierung an die Kommission entsprochen werden: Eine Anfrage im Parlament ist für diese Mitteilung beispielsweise kein ausreichender Ersatz. Handelt es sich um einen Gesetzentwurf, so muß vernünftigerweise verlangt werden, daß er mitgeteilt wird, bevor er dem Parlament übergeben wird, zumindest aber, bevor das parlamentarische Verfahren zu weit fortgeschritten und die Regierung auf innerstaatlicher Ebene mehr oder weniger festgelegt ist.

    Was die Sanktion betrifft, muß aber meines Erachtens die Nichteinhaltung der Formvorschrift nicht notwendigerweise dazu führen, daß die Pflichtverletzung des Staates festgestellt wird, wozu übrigens der Gerichtshof zuständig wäre. Wenn feststeht, daß die Kommission rechtzeitig ausreichende Kenntnis von dem Entwurf gehabt hat, um sich mit der beteiligten Regierung in Verbindung setzen zu können, und wenn sie (wie im vorliegenden Fall) in voller Kenntnis des Sachverhalts davon abgesehen hat einzuschreiten, so ist meiner Auffassung nach der Mangel als geheilt anzusehen. Man darf die Beziehungen der Kommission zu den Mitgliedstaaten, die von dem für die vernünftige Anwendung des Vertrages unerläßlichen Geist der Zusammenarbeit geprägt sein müssen, nicht allzu formalistisch gestalten.

    Ich wiederhole, daß ich diese Bemerkungen nur hilfsweise gemacht habe, weil ich der Auffassung bin, daß Verstöße der Mitgliedstaaten gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 102 nur das Verfahren nach Artikel 169 bis 171 EWG-Vertrag auslösen, nicht aber dazu führen können, daß vor den innerstaatlichen Gerichten die Anfechtbarkeit oder Unanwendbarkeit der im Widerspruch zu jenem Artikel ergangenen Maßnahmen geltend gemacht werden könnte.

    B —

    Artikel 93 — Für Artikel 93 gebe ich die gleiche Antwort. Nach meiner Ansicht kommt als Sanktion für die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus Absatz 3 dieses Artikels („Die Kommission wird von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig unterrichtet, daß sie sich dazu äußern kann …“) nur das Verfahren der Artikel 169 bis 171 EWG-Vertrag in Betracht. Was die Frage angeht, ob „das Vorhaben nach Artikel 92 mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar ist“, wovon es abhängt, ob eine Vertragsverletzung vorliegt, so genügt es, diesen Artikel 92, insbesondere seinen Absatz 3, zu lesen, um sich davon zu überzeugen, daß die Entscheidung dieser Frage gleichfalls ein heikles Werturteil erfordert, das die Interessen des beteiligten Staates, die gegen die Erfordernisse des gemeinsamen Marktes abgewogen werden müssen, unmittelbar berührt. Es geht keinesfalls an, dieses Urteil ohne jede Mitwirkung der Gemeinschaftsbehörden und der Regierungen den staatlichen Gerichten allein zu überlassen. Deshalb erscheint es mir unmöglich, die Vorschriften von Artikel 93 als self-executing zu betrachten.

    C —

    Artikel 53 — Es geht hier um das Niederlassungsrecht. Das Friedensgericht Mailand führt diesen Artikel an, weil „das Gesetz … vom 6. Dezember 1962 … für die Gründung und Betätigung von Elektrizität erzeugenden und verteilenden Unternehmen aus anderen Staaten auf italienischem Staatsgebiet Beschränkungen einführt“. Dieser Feststellung lassen sich zwei Auslegungsfragen entnehmen:

    Die erste Frage ist wiederum die, ob Artikel 53 self-executing ist oder nicht. Der Artikel lautet: „Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist, führen die Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet für Angehörige der anderen Mitgliedstaaten keine neuen Niederlassungsbeschränkungen ein.“

    Anders als bei den Artikeln 102 und 93 bin ich hier in der Tat der Auffassung, daß die Vorschrift self-executing ist. Sie ist klar und präzis und erfordert anscheinend weder eine Vorprüfung durch die Kommission und die Mitgliedstaaten noch ein Werturteil: Sie steht Rechtsnormen wie denen der Artikel 12 oder 31 über den „standstill“ auf dem Gebiet der Zölle und Einfuhrbeschränkungen wesentlich näher als den oben genannten Bestimmungen.

    Artikel 53 kann aber — das ist der zweite Teil der Auslegung, die, wie ich glaube, zu geben ist — nach meinem Dafürhalten nur von Artikel 52 her verstanden werden. Dieser Artikel befaßt sich mit „Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates“ und definiert die Niederlassungsfreiheit selbst in seinem Absatz 2 folgendermaßen: „… umfaßt die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen.“ Um der Vorschrift von Artikel 53 zu genügen, braucht demnach nur von der Einführung solcher neuen Beschränkungen Abstand genommen zu werden, die Diskriminierungen zwischen den Angehörigen verschiedener Mitgliedstaaten mit sich bringen würden; führt eine Maßnahme nicht zu solchen Diskriminierungen, so kommt die Anwendung dieses Artikels nicht in Betracht. Es kann gewiß vorkommen, daß sich aus Maßnahmen von Mitgliedstaaten, beispielsweise aus Verstaatlichungen, die als solche nach Artikel 222 durchaus zulässig sind, gewisse Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Ausländern ergeben. Solche Maßnahmen widersprechen dem Artikel 53 trotzdem nicht, wenn sie den Zugang zu der von ihnen betroffenen Tätigkeit für Inländer ebenso einschränken oder sperren, ohne Ausländer zu diskriminieren. Wir wissen, daß dies im Fall des E.N.E.L. zutrifft, die Entscheidung hierüber steht aber dem staatlichen Gericht zu.

    Ich folge also der ersten der beiden von der Kommission in ihren Erklärungen zur Wahl gestellten Auslegungen, da mir die zweite in den Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit, wie sie sich aus den Artikeln 52 ff. ergeben, keine Grundlage zu finden scheint.

    D —

    Artikel 37 — Hier ist der Vorlegungsbeschluß besonders lakonisch. Er sagt: „Schließlich [kann] Artikel 37 EWG-Vertrag [verletzt sein], weil das Gesetz vom 6. Dezember 1962 ein neues öffentlich-rechtliches Monopol errichtet, das die Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten ausschließt.“

    Ich glaube zwei Auslegungsfragen zu Artikel 37 zu entdekken, die für den Rechtsstreit von Bedeutung sind:

    1.

    Welchen Anwendungsbereich hat dieser Artikel, ist er insbesondere auf einen Elektrizität erzeugenden und verteilenden „Service public“ wie das E.N.E.L. anwendbar?

    2.

    Sind bejahendenfalls die Bestimmungen von Artikel 37 zumindest teilweise self-executing?

    Erste Frage. Die italienische Regierung und das E.N.E.L. stützen sich im wesentlichen darauf, daß das E.N.E.L. ein Service public ist; hieraus folgern sie, daß seine Tätigkeit überhaupt nicht von Artikel 37 erfaßt werde. Sie betonen insbesondere, diese Tätigkeit habe nichts mit der von „Handelsmonopolen“ zu tun, die allein unter Artikel 37 fielen und für den internationalen Warenaustausch hauptsächlich von Bedeutung seien. Ferner betonen sie, die Errichtung des E.N.E.L. habe vornehmlich den Zweck gehabt, die Kartelle zu zerschlagen, die vorher eine wahre Monopolstellung innegehabt hätten, und widerspreche deshalb den Normen des Vertrages keineswegs, sondern stehe vielmehr mit seinen Zielen im Einklang.

    Meine Herren Richter, ich bin überzeugt, daß dieses Vorbringen vieles Richtige enthält. Rechtlich ist es aber nicht zwingend. Denn der Vertrag hat sich jedenfalls in Artikel 37 nicht darauf eingelassen, danach zu unterscheiden, ob es sich um einen service public handelt oder nicht. Und das ist zu verstehen: Dieser Begriff hat von Land zu Land einen recht verschiedenen Inhalt und läßt sich schon für das innerstaatliche Recht nur schwer, auf Gemeinschaftsebene aber ohne Zweifel überhaupt nicht genau definieren.

    Artikel 37 ist im Kapitel „Beseitigung der mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten“ enthalten. Der Vertrag geht aber davon aus, daß die Handelsmonopole in dieser Hinsicht ein besonderes Problem darstellen, das über die bloße arithmetische Erhöhung der Kontingente nach Artikel 33 hinausgehende schrittweise Umformungsmaßnahmen erfordert, wenn schon diese Monopole nicht einfach beseitigt werden sollen, was nicht vorgeschrieben ist. Hauptziel dieser Maßnahmen bleibt aber der freie Warenverkehr im Sinne der Überschrift des Ersten Titels, in dem sich die genannten Vorschriften finden, und einengend im Sinne von Artikel 37 sind solche Maßnahmen, die diesem freien Warenverkehr dadurch entgegenstehen, daß sie zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten diskriminieren.

    In diesem Lichte ist der Begriff der „staatlichen Handelsmonopole“ zu verstehen, auf die Artikel 37 anwendbar sein soll, und die dieser Artikel übrigens in seinem Absatz 1 Unterabsatz 2 definiert: „Dieser Artikel gilt für alle Einrichtungen, durch die ein Mitgliedstaat unmittelbar oder mittelbar die Einfuhr oder die Ausfuhr zwischen den Mitgliedstaaten rechtlich oder tatsächlich kontrolliert, lenkt oder merklich beeinflußt. Er gilt auch für die vom Staat auf andere Rechtsträger übertragenen Monopole.“ (Diese übertragenen Monopole fallen offensichtlich unter die im ersten Satz gegebene Definition.)

    In der gebotenen Weise aus ihrem Zusammenhang heraus verstanden, erscheint mir diese Vorschrift völlig klar: Es kommt nicht auf die Rechtsform, auch nicht auf die Rechtsnatur der Einrichtung nach innerstaatlichem öffentlichem Recht an, sondern auf die tatsächliche Rolle, die sie im Warenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten spielt.

    Man kann also einen „Service public“ nicht von vornherein aus dem Anwendungsbereich von Artikel 37 ausnehmen, wenn es sich um einen „service public industriel ou commercial“ handelt. In der Regel nicht in diesen Anwendungsbereich fallen indessen — hier sind die Ausführungen der italienischen Regierung und des E.N.E.L. durchaus berechtigt — selbstverständlich öffentliche Stromerzeugungs- und Stromverteilungsunternehmen, deren Hauptzweck offensichtlich nicht darin besteht, den von ihnen erzeugten oder zu verteilenden elektrischen Strom zum Gegenstand des internationalen Handels zu machen. Dem wäre nur anders, wenn die Stromverkäufe ins Ausland, ohne daß sie deswegen den Hauptzweck der Organisation darzustellen brauchten, einen solchen Umfang erreichten oder zu erreichen drohten, daß die Organisation den Handel mit den Mitgliedstaaten „merklich“ beeinflussen würde oder zu beeinflussen in der Lage wäre. Zwar ist das Wort „merklich“ grammatisch nur auf das Wort „beeinflußt“, nicht aber auf die beiden vorangehenden Verben („kontrolliert“ und „lenkt“) bezogen; nach dem Zweck der Vorschrift kommt es aber nur auf den — wirklichen oder nur möglichen — merklichen Einfluß, auf die Einfuhr oder Ausfuhr zwischen Mitgliedstaaten an, mag sich dieser Einfluß nun in den Auswirkungen einer Kontroll- oder Lenkungsmöglichkeit oder auf andere Weise ausdrücken. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, gegebenenfalls die erforderlichen schrittweisen Umformungen vorzunehmen, und der Kommission, nach Absatz 6 des Artikels alle hierfür sachdienlichen Empfehlungen an sie zu richten.

    Im vorliegenden Fall erscheint es ausgeschlossen, daß die Organisation „merklichen Einfluß“ auf den Handel mit den Mitgliedstaaten ausüben kann, da der „internationale Handel“ des E.N.E.L. sich auf einen geringfügigen Austausch im italienischfranzösischen Grenzgebiet beschränkt. Ob sich aus den Lenkungsbefugnissen der Organisation und den Kontrollbefugnissen des Staates eine „Beeinflussungsmöglichkeit“ ergibt, die es erforderlich macht, die Organisation tatsächlich Umformungsmaßnahmen nach Absatz 1 Unterabsatz 1 zu unterwerfen und unter Umständen nach Absatz 6 Empfehlungen an den beteiligten Mitgliedstaat zu richten, hat die Kommission zu beurteilen; bis dahin aber gelten die Bestimmungen, die, wie zu unterstellen war, schon vor dem Vertrag in Kraft getreten sind, in den innerstaatlichen Rechtsordnungen weiter und sind von den staatlichen Gerichten anzuwenden.

    Bemerkt sei noch, daß nach Artikel 90 auch für Geschäfte beschränkten Umfangs der „Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind“, die Vorschriften des Vertrages — insbesondere die Wettbewerbsregeln — jedenfalls grundsätzlich gelten, die Unanwendbarkeit von Artikel 37 daher nicht zur Folge hat, daß diese Unternehmen diesen Vorschriften entkommen können.

    Zweite Frage. Ist Artikel 37 self-executing? Für seinen Absatz 1 habe ich diese Frage schon im voraus verneint. Meines Erachtens liegt es auf der Hand, daß diese Bestimmung, die durch die Absätze 3 bis 5 ergänzt wird, im innerstaatlichen Recht nicht unmittelbar anwendbar sein kann: Sie handelt von der schrittweisen Umformung der Monopole, zu der die Mitgliedstaaten auf Empfehlungen hin zu schreiten haben, die die Kommission nach Absatz 6 an sie richten kann. Schwierigkeiten ergeben sich dagegen bei der Stillhaltevorschrift von Absatz 2.

    Es ist von vornherein klar, daß eine Stillhaltevorschrift strenger befolgt werden muß als eine Bestimmung, die ein Umformungsprogramm enthält, Übrigens finden wir in Absatz 2 die drastische Formulierung der Artikel 12 und 31 wieder: „Die Mitgliedstaaten unterlassen…“; sie steht nach Ihrer Rechtsprechung der unmittelbaren, von den staatlichen Gerichten zu sanktionierenden Geltung nicht entgegen. Trotz seiner Aufgabe, das besondere Problem der Monopole zu regeln, ist Artikel 37 übrigens in Kapitel 2 des Ersten Titels enthalten, das der Beseitigung der mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten gewidmet ist. Artikel 37 Absatz 2 erscheint daher als Wiederholung der von Ihnen für unmittelbar anwendbar erklärten Stillhaltevorschrift von Artikel 31 und als ihre Anpassung an den Fall der Monopole.

    Die unmittelbare Wirksamkeit von Artikel 37 Absatz 2 läßt sich daher nur verneinen, wenn dies aus zwingenden Gründen von der Art derer erforderlich ist, die meines Erachtens im Fall der Artikel 102 und 93 gegeben sind. Trifft dies zu?

    Ich glaube zwischen dem ersten und dem zweiten Teil der Vorschrift unterscheiden zu müssen.

    Im ersten Teil wird gesagt, daß „die Mitgliedstaaten … jede neue Maßnahme (unterlassen), die den in Absatz 1 genannten Grundsätzen widerspricht …“. Der Ausdruck „Grundsätze“ ist beredt: ohne eine mehr oder weniger subjektive und heikle Beurteilung, die sich zwangsläufig auf den allgemeinen Charakter des Umformungsprogramms erstreckt, das nach Absatz 1 aufgestellt ist oder werden kann, läßt sich nicht entscheiden, ob eine Maßnahme diesen Grundsätzen widerspricht. Für diese Beurteilung kann vernünftigerweise außerhalb des Rahmens der Diskussion zwischen der Kommission und dem oder den beteiligten Mitgliedstaaten kein Raum sein: Es handelt sich um eine Frage, die in erster Linie das Verhältnis Staaten/Gemeinschaft betrifft; etwaige Verstöße der Mitgliedstaaten gegen Artikel 37 Absatz 2 sind daher ausschließlich im Verfahren nach den Artikeln 169 bis 171 zu verfolgen.

    Anders verhält es sich meines Erachtens dagegen mit dem zweiten Halbsatz von Artikel 37 Absatz 2: „… oder die Tragweite der Artikel über die Abschaffung der Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten einengt.“ Denn hier haben wir es mit einer unmittelbareren Anwendung der für 'Zölle und Kontingente geltenden Stillhaltevorschrift zu tun. Zwar betrifft die Vorschrift nicht nur Maßnahmen, die an sich schon Zölle oder mengenmäßige Beschränkungen wieder einführen oder verschärfen, sondern allgemeiner solche Maßnahmen, die „die Tragweite der Artikel“ über die Abschaffung der Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten „einengen“. Ein gewisser Beurteilungsspielraum kann daher bestehen. Trotzdem kann meines Erachtens daraus, daß diese oft gewiß heikle Beurteilung in manchen Fällen notwendig sein mag, nicht gefolgert werden, daß die staatlichen Gerichte nicht zugunsten der Einzelnen gegen Verletzungen der Vorschrift einzuschreiten haben; denn die Stillhaltevorschrift wird hier unmittelbar berührt, und ihre Verletzung kann die Rechte der Einzelnen und private Rechtsverhältnisse unmittelbar beeinflussen. Indessen kann dieses Einschreiten meines Erachtens nur bei tatsächlich einengenden Maßnahmen zulässig sein, die unmittelbar in „wohlerworbene Rechte“ eingreifen, die die Einzelnen aus der geltenden Regelung erlangt haben: Gegen rein „potentielle“ Einengungen kann meines Erachtens nur die Kommission im Verfahren nach den Artikeln 169 bis 171 vorgehen.

    Ich beantrage:

    1.

    Den von der Regierung der Italienischen Republik erhobenen Einwand der „absoluten Unzulässigkeit“ zurückzuweisen;

    2.

    die Artikel 102, 93, 53 und 37 EWG-Vertrag wie folgt auszulegen:

    a)

    Die Verletzung der den Mitgliedstaaten nach Artikel 102 obliegenden Pflichten kann nur das Verfahren nach den Artikeln 169 bis 171 auslösen und führt nicht dazu, daß vor den innerstaatlichen Gerichten die Anfechtbarkeit oder Unanwendbarkeit der unter Verstoß gegen diese Pflichten erlassenen Rechtsvorschrift geltend gemacht werden könnte;

    b)

    ebenso ist Artikel 93 auszulegen;

    c)

    Artikel 53 hat unmittelbare Wirkung und begründet Rechte der Einzelnen, die von den staatlichen Gerichten zu beachten sind; er ist in Verbindung mit Artikel 52 Absatz. 2 so auszulegen, daß er die Einführung neuer, zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten diskriminierender Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit untersagt;

    d)

    Artikel 37 Absatz 2 hat unmittelbare Wirkung und begründet Rechte der Einzelnen, die die staatlichen Gerichte zu beachten haben, soweit er neue Maßnahmen der Mitgliedstaaten betrifft, die tatsächlich sei es Zölle oder Abgaben gleicher Wirkung neu einführen oder erhöhen, sei es mengenmäßige Beschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung neu einführen;

    3.

    die Kostenentscheidung dem Friedensgericht Mailand vorzubehalten.

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