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Document 61957CC0013

    Verbundene Schlussanträge des Generalanwalts Lagrange vom 18. März 1958.
    Groupement des hauts fourneaux et aciéries belges gegen Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
    Rechtssache 8-57.
    Chambre syndicale de la sidérurgie française gegen Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
    Rechtssache 9-57.
    Société des anciens établissements Aubert et Duval gegen Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
    Rechtssache 10-57.
    Société d'électro-chimie, d'électro-métallurgie et des aciéries électriques d'Ugine gegen Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
    Rechtssache 11-57.
    Syndicat de la sidérurgie du Centre-Midi gegen Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
    Rechtssache 12-57.
    Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie, Gußstahlwerk Carl Bönnhoff, Gußstahlwerk Witten, Ruhrstahl und Eisenwerk Annahütte Alfred Zeller gegen Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
    Rechtssache 13-57.

    Englische Sonderausgabe 1958 00273

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1958:2

    Schlußanträge des Generalanwalts,

    HERRN MAURICE LAGRANGE

    Aus dem Französischen übersetzt

    GLIEDERUNG

    Seite
     

    I — Vorgeschichte

     

    II — Prüfung der Entscheidung 2/57 vom 26. Januar 1957

     

    III — Anträge, Angriffs- und Verteidigungsmittel der Parteien

     

    IV — Die der Hohen Behörde nach Artikel 53 b zustehenden Befugnisse

     

    a) Die „finanziellen Einrichtungen“

     

    b) Die Voraussetzungen für die Ausübung der in Artikel 53 b vorgesehenen Befugnisse

     

    — der Form nach

     

    — der Ziele nach

     

    — aus Artikel 4 des Vertrages herrührende Einschränkungen

     

    — aus spezifischen Vorschriften des Vertrages herrührende Einschränkungen

     

    — Reihenfolge der Eingriffe

     

    V — Anwendung auf den vorliegenden Fall

     

    a) Zur „Notwendigkeit“ der Abstufung der Ausgleichsbeiträge

     

    b) Zu den Zielen der Entscheidung und zur Einhaltung der Grenzen des Artikels 4

     

    — im Hinblick auf die Ziele des Artikels 3 a, d und g

     

    — im Hinblick auf die Ziele der Artikel 3 b und 4b

     

    c) Zu den aus spezifischen Bestimmungen des Vertrages herrührenden Einschränkungen

     

    — im Verhältnis zu Artikel 59

     

    — im Verhältnis zu Artikel 54

     

    d) Zusammenfassung der Ausführungen zur Hauptsache

     

    e) Verfahren und Zulässigkeit

     

    — Ermessensmißbrauch

     

    im Hinblick auf die Bestimmungen, deren Verkennung gerügt wird

     

    im Hinblick auf die Eigenschaften der Kläge

     

    — Besonderheiten der Rechtssache 13/57

     

    f) Schlußanträge

    Herr Präsident, meine Herren Richter,

    Es erscheint mir — bevor ich in die Prüfung der Klagen eintrete und selbst zur Erleichterung dieser Prüfung — unerläßlich, mit einiger Genauigkeit darzulegen, welche Haltung die Hohe Behörde bis zum Erlaß der Entscheidung Nr. 2/57 dem Schrottproblem gegenüber eingenommen hat, um dann diese Entscheidung näher zu untersuchen, deren wirkliche Natur im Lichte ihrer Vorgängerinnen möglicherweise besser zutage treten wird.

    Als der Gemeinsame Markt eröffnet wurde, war die Schroliversorgung je nach Land sehr unterschiedlich, weil für die jeweilige Stahlindustrie gesonderte Bedingungen gegolten hatten. Frankreich, Deutschland und die Niederlande deckten ihren eigenen Bedarf und führten sogar gewisse Mengen an Schrott aus, während Belgien und Italien auf Einfuhren angewiesen waren (Italien zum Beispiel in Höhe von 637000 Tonnen im Jahre 1952), wobei zwei Drittel der Einfuhren aus Ländern stammten, die nicht zur Gemeinschaft gehören. Es stand daher bereits mit Sicherheit fest, daß in der Gemeinschaft — als Ganzes gesehen — ein Mangel an Schrott herrschen würde. Diese Aussichten erregten um so mehr Besorgnis, als das Zurückgreifen auf Einfuhren zwei größere Übelstände aufweist: zunächst ein Element der Unsicherheit, der Welt-Schrottverbrauch nimmt nämlich ständig zu, so daß die „exportfähigen Überschüsse“ der Ausfuhrländer, wie der Vereinigten Staaten, äußerste Schwankungen aufweisen, und zwar nicht nur infolge der Konjunktur, sondern auch im Verhältnis zu der jeweils verfolgten Wirtschaftspolitik, ja selbst der Politik schlechthin, und eines Tages daher ganz einfach verschwinden können. So ist zum Beispiel ein Teil des aus den Vereinigten Staaten ausgeführten Schrotts der japanischen Stahlindustrie vorbehalten, und zwar zu anderen Preisen als sie von Europa verlangt werden. Es gibt daher in Wirklichkeit keinen eigentlichen internationalen Schrottmarkt mit Weltmarktpreisen, wie zum Beispiel für Kupfer, dessen Preis sich durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Der zweite Grund liegt — zumindest in Zeiträumen hoher oder mittlerer Konjunktur — in dem beträchtlichen Unterschied zwischen den Einfuhrpreisen und den Inlandspreisen.

    Die Hohe Behörde hat sich daher Anfang 1953 veranlaßt gesehen, gewisse Maßnahmen zu treffen, um eine Angleichung der Preise auf dem Gemeinsamen Markt an die ausländischen Preise und die Bildung ungeordneter Austauschwege zwischen den verschiedenen Gebieten der Gemeinschaft zu verhindern.

    Mit der Entscheidung Nr. 2/53 vom 7. Februar 1953 hat die Hohe Behörde daher für einen kurzen, am darauffolgenden 15. März ablaufenden Zeitraum eine Verteilung des Schrotts in den Ländern der Gemeinschaft eingeführt: sie hat jedem Mitgliedstaat dessen eigenes Schrottaufkommen zugeteilt und die Ausfuhr von 5000 t deutschen und 20000 t französischen Schrotts nach Italien genehmigt. Die der Entscheidung vorangestellte Begründung ist für das von der Hohen Behörde von diesem Zeitpunkt ab verfolgte Ziel kennzeichnend, von dem sie in der Folge auch niemals abgewichen ist:

    „In der Erwägung“, heißt es dort, „daß die Spanne zwischen den Preisen des innerhalb der Gemeinschaft anfallenden Sammelschrotts und den Preisen des aus dritten Ländern eingeführten Schrotts solange ernste Störungen in der Versorgung der Eisenindustrie hervorzurufen droht, als nicht eine dieser Lage angemessene Einrichtung für Ausgleichszahlungen ihre Tätigkeit aufnehmen kann …

    In der auf Grund von Artikel 61 des Vertrages ergangenen Entscheidung Nr. 28/53 vom 13. März 1953 hat die Hohe Behörde Höchstpreise für Schrott mit — zonenweisen — Nachlässen festgesetzt, um den Entfernungen zwischen den Sammelstellen und den Standorten der Verbraucher Rechnung zu tragen; sie hat eine Herabsetzung dieser Preise ab 15. Juni um drei EZU-Rechnungseinheiten vorgesehen, um Hortungen zu Spekulationszwecken zu verhindern. Der Schrott wurde in fünf verschiedene Kategorien eingeteilt, diese wiederum in Sorten unterteilt, jede mit einem eigenen Preis.

    Zur gleichen Zeit haben die Stahlerzeuger der sechs Länder die bereits angekündigte Ausgleichseinrichtung geschaffen. In notarieller Form haben sie am 24. April 1953 in Brüssel das Gemeinsame Büro der Schrottverbraucher und die Ausgleichskasse für eingeführten Schrott — Genossenschaften nach belgischem Recht — gegründet, mit der Aufgabe, sich aller die Versorgung des Gemeinsamen Marktes mit Schrott betreffenden Fragen anzunehmen. Aufgabe der Kasse ist es insbesondere — worauf schon ihr Name hinweist —, „den Preisausgleich zwischen dem aus dritten Ländern eingeführten und dem aus der Gemeinschaft stammenden Schrott durchzuführen“, und zwar nach Modalitäten, die „vom Beirat festgesetzt werden“. Die Satzungen des Büros wie auch der Kasse sehen die Teilnahme „eines Beobachters der Hohen Behörde“ an allen Sitzungen des Beirates vor, bestimmen jedoch ausdrücklich, daß dieser Beobachter „über keinerlei' Stimmrecht verfügt, weder beratend noch beschließend…“. Dieses Stimmrecht hat er allerdings später doch erhalten — dank einer Satzungsänderung nach Ablauf eines Jahres.

    Diese notariellen Verträge wurden als mit den Bestimmungen des Artikels 65 des Vertrages vereinbar und geeignet, den für die Befriedung des Bedarfes der Gemeinschaft erforderlichen Schrott durch entsprechende Einfuhren bereitzustellen und seinen Absatz zu Preisen zu ermöglichen, „die in einem angemessenen Verhältnis zu den Höchstpreisen stehen, die die Hohe Behörde … festgesetzt hat“ mit der Entscheidung Nr. 35/53 vom 19. Mai 1953, auf Grund von Artikel 53 a des Vertrages genehmigt. Die Hohe Behörde hat dieser Entscheidung folgendes vorausgeschickt:

    „… daß die Errichtung einer Ausgleichskasse für eingeführten Schrott notwendig ist, um eine geordnete Versorgung des Gemeinsamen Marktes zu gewährleisten sowie allen Verbrauchern innerhalb der Gemeinschaft gleichen Zugang zu den benötigten Schrottmengen zu geben, gleich ob es sich um Einfuhren oder um innerhalb der Gemeinschaft anfallenden Schrott handelt…“.

    Die Entscheidung sah für die genehmigten Organisationen gewisse Kontrollmaßnahmen vor; es war insbesondere die vorherige Genehmigung der von den leitenden Organen über die Modalitäten der Ausgleichsregelung gefaßten Beschlüsse durch die Hohe Behörde vorgeschrieben.

    Parallel hierzu hat die Hohe Behörde die Auflösung oder Umgestaltung aller Büros oder sonstigen Einrichtungen angeordnet, die sich bis dahin in den Mitgliedstaaten mit der Verteilung von Schrott oder mit dem Ausgleich der Preise desselben befaßt hatten, insbesondere der deutschen „Schrottvermittlung“, der italienischen „Campsider“ und der französischen „Union des Consommateurs de Ferraille“.

    Am Ende des Jahres 1953 sah sich die Hohe Behörde infolge einer durch ein Sinken der Stahlerzeugung veranlaßten Schrumpfung der Schrottnachfrage gezwungen, ihre Preisregelung der tatsächlichen Marktlage anzupassen; dies geschah durch erneute Herabsetzung der Preise vom 15. Juni um 3 Dollar. Um zu verhindern, daß diese Herabsetzung einen großen Exportantrieb auslöse — weil die Weltmarktpreise sehr viel höher lagen als die Preise innerhalb der Gemeinschaft —, hat die Hohe Behörde die Mitgliedstaaten aufgefordert, Maßnahmen zur Drosselung der Schrottausfuhren nach dritten Ländern zu erlassen. Da die Gemeinschaft somit „ihren“ Schrott behalten konnte, war sie in diesem Zeitraum schwacher Konjunktur in der Lage, die Schrottkäufe im Ausland auf sehr geringfügige Mengen zu beschränken; erst im vierten Trimester des Jahres 1954 mußte die Gemeinschaft infolge eines bedeutenden Ansteigens der Stahlerzeugung erneut auf Einfuhren aus dem Auslande zurückgreifen (Einfuhr 1954: 118000 t in den ersten drei Trimestern; 565000 t allein im vierten Trimester; Dritter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft, 10. April 1955, S. 87).

    Hat diese Anfang 1954 eingetretene Entspannung auf dem Schrottmarkt dazu geführt, die ein Jahr vorher geschaffene Ausgleichseinrichtung überflüssig zu machen und die Hohe Behörde zu veranlassen, das freie Spiel von Angebot und Nachfrage aller Fesseln zu entkleiden? Nichts dergleichen. Die Ausgleichsregelung hat sich vielmehr als eine Art Versicherung auf Gegenseitigkeit erwiesen, die jedem Schrottverbraucher die Belieferung zu einem angemessenen und vergleichbaren Preise bot; sie hat zu einem Markt geführt, „auf dem es nicht mehr zu regelmäßig eintretenden stürmischen Veränderungen in dem früher herrschenden Ausmaß kommen sollte“ (Zweiter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft, 11. April 1954, Ziff. 79, S. 103). Den gleichen Standpunkt teilend, konnte einer der ausgezeichneten Anwälte der Kläger sagen: „Die Schaffung einer Ausgleichseinrichtung war von Anfang an notwendig, um die Mißbräuche eines zügellosen Wettbewerbes sowohl bei der Einfuhr aus dritten Ländern als auch bei der Verteilung innerhalb der Gemeinschaft zu verhindern.“

    Nachdem sie sich im März 1954 einen neuen Uberblick über die Lage verschafft hatte, faßte die Hohe Behörde den Plan, die Höchstpreisregelung abzuschaffen, was mit einem Schlage auch die aus der starren Regelung der Zonennachlässe herrührenden Übelstände beseitigt hätte, und die Ausgleichsregelung zwangsweise einzuführen — und damit zu verallgemeinern —, wobei die Schrotteinfuhr bei Kostenteilung „der für die Aufrechterhaltung der Stabilität des Gemeinsamen Marktes unerläßliche Bestandteil bleiben [sollte]“ (Zweiter Gesamtbericht).

    Diese Neuregelung ist zunächst Gegenstand der Entscheidung Nr. 21/54 vom 26. März 1954 gewesen, welche die Höchstpreisregelung beseitigt hat, und dann der Entscheidung Nr. 22/54 vom gleichen Datum, die jetzt auf der Grundlage von Artikel 53 b des Vertrages eine finanzielle Einrichtung „für den Ausgleich der Preise des aus dritten Ländern eingeführten Schrotts“ schafft.

    Gerechtfertigt wurde die von der Mehrzahl der Beteiligten geforderte Ausdehnung der Regelung auf alle Schrottverbraucher mit der daraus zu erwartenden Regulierung der Preise:

    „In der Erwägung“, schrieb die Hohe Behörde, „daß ein Preisausgleich sämtlichen Verbrauchern von Zukaufschrott in der Gemeinschaft zugute kommt und daß daher die sich daraus ergebende Belastung billigerweise von der Gesamtheit dieser Verbraucher getragen werden muß …“

    Der Aufschwung in der Stahlerzeugung ab Mitte des Jahres 1954 zeigte jedoch sehr bald, daß neben dem Preisproblem ein unendlich größeres Besorgnis erregendes Mengenproblem entstanden war, dessen Ausmaß sich an Hand von zwei Zahlenangaben aufzeigen läßt: Die Schrotteinfuhren stiegen von 683000 t im Jahre 1954 auf 2952000 t im Jahre 1955. Die Hohe Behörde sah sich nicht mehr lediglich der Aufgabe gegenüber, zwischen den Preisen im Ausland und den Preisen auf dem Gemeinsamen Markt zu vermitteln: Sie hatte von nun ab dafür zu sorgen, daß die außerordentlich angewachsene Erzeugung nicht früher oder später infolge Verknappungserscheinungen bei einem der zur Stahlerzeugung erforderlichen Grundstoffe zusammenbrach.

    Von diesem Zeitpunkt ab ist die Hohe Behörde daher unablässig bemüht gewesen, diese Frage mit Hilfe der ihr nach dem Vertrag übertragenen Befugnisse einer Lösung zuzuführen, und sie hat ihre Bestrebungen auf ein Ziel gerichtet, das ihrer Ansicht nach erreicht werden mußte, sollte der Aufschwung in der Stahlindustrie nicht zum Stillstand kommen: auf die Verringerung des globalen Schrotteinsatzes, eine für die weitere Ausweitung der Stahlerzeugung als unerläßlich angesehene Voraussetzung.

    Dieses Ziel spiegelt sich in allen Veröffentlichungen jener Zeit zu diesem Gegenstand wider.

    So heißt es zum Beispiel in dem Memorandum über die Bestimmung der Allgemeinen Ziele vom Juli 1955 (Amtsblatt der Gemeinschaft Nr. 16 vom 19. Juli 1955, S. 825):

    „Bei einer Stahlproduktion, die zu sehr auf die Verwendung von Schrott abgestellt ist, würde die Gefahr bestehen, daß ihre Ausweitung dadurch eingeengt wird, daß die Schrotterfassung weitgehend von einer lange Zeit zurückliegenden Produktion abhängt.“

    „Unter den derzeitigen Produktionsbedingungen und zur Vermeidung einer ständigen Mangellage bei Schrott ist darauf zu achten, daß ein gutes Gleichgewicht zwischen den Produktionskapazitäten für Thomasstahl, Siemens-Martin-Stahl und Elektrostahl besteht. Die Einführung neuer technischer Verfahren in der Thomasstahl-Gewinnung dürfte … eine Qualitätssteigerung [bewirken], durch welche die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, den Siemens-Martin-Stahl bei gewissen Verwendungszwecken zu ersetzen. Diese Entwicklung ist wegen der relativ begrenzten Schrottversorgung in der Zukunft zu begrüßen.

    Eine zweite Möglichkeit besteht in der Erhöhung des Roheiseneinsatzes bei der Siemens-Martin-Stahl-Produktion.“

    „Auf Grund der Entwicklung der Produktion von Elektro- und Edelstahlen nimmt der Anteil des Roheisens an der Stahlgewinnung ab… Wenn man berücksichtigt, daß die eindeutig zunehmende Elektrostahl-Erzeugung fast gänzlich auf der Verwendung von Schrott beruht, daß aber andererseits die zunehmenden Schwierigkeiten bei der Schrottversorgung eine relative Steigerung des Einsatzes von Stahl- und Spiegeleisen im Siemens-Martin-Ofen und in jedem Falle die volle Versorgung der Thomasstahlwerke mit Thomas-Roheisen notwendig machen werden, ergibt sich allein hieraus der Zwang, eine hinreichende Steigerung der Roheisenerzeugung sicherzustellen.“

    „Gleichzeitig mit dieser Entwicklung muß für ein Gleichgewicht der Preise gesorgt werden, das eine Erhöhung des Roheiseneinsatzes gegenüber dem Schrotteinsatz bei der Stahlherstellung ermöglicht.“

    Der Dritte Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft — veröffentlicht am 10. April 1955 -— ist noch eingehender und zeigt, daß die Hohe Behörde in Übereinstimmung mit dem Ministerrat über den bloßen Preisausgleich für eingeführten Schrott hinaus nunmehr beabsichtigte, diejenigen Spar- und Auswahlmaßnahmen zu erlassen, die sie nach Lage der Dinge für angezeigt hielt. Die in der Sitzung am 21. und 22. März 1955 gemeinsam vom Ministerrat und der Hohen Behörde beschlossenen „sechs Grundsätze“ stellen das Ergebnis der Sachverständigenarbeiten und die Grundlage für die künftige Gesamtpolitik der Hohen Behörde dar. Ich darf sie im Wortlaut anführen:

    „1.

    Das Niveau der Einkaufspreise muß hoch genug liegen, um die Schrotterfassung auf einem hohen Niveau zu halten.

    2.

    Für den Stahlerzeuger soll der Schrottpreis, d. h. die Summe des Einkaufspreises und der Ausgleichsabgabe, nicht über ein vernünftiges Niveau hinausgehen, im Vergleich zu dem Niveau, das die Stahlerzeuger in den wichtigsten Konkurrenzländern tragen.

    3.

    Zur Vermeidung einer Überbelastung der Gestehungskosten in der gesamten Gemeinschaft und vor allem einer zu starken Nettobelastung, die einige Gebiete der Gemeinschaft beim Funktionieren der Kasse tragen, dürfen die Ausgleichsumlagen ohne triftigen Grund nicht erhöht werden.

    4.

    Die zugunsten der Einfuhr und eines vernünftigen Preisniveaus gemachte Anstrengung darf weder in den bestehenden Anlagen noch durch die Schaffung neuer Anlagen zu einer unverhältnismäßigen Erhöhung des Schrottverbrauchs führen.

    5.

    Die für die Einfuhr gewährten Erleichterungen dürfen in keinem Land dazu verleiten, in den Anstrengungen zur Erfassung des inländischen Aufkommens nachzulassen.

    6.

    Es müssen alle Anstrengungen gemacht werden, um den Schrottverbrauch nach Maßgabe der technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten sowie der Verfügbarkeiten der übrigen Rohstoffe durch zusätzliche Verwendung von Roheisen zu verringern.“ (Dritter Gesamtbericht, S. 109/110.)

    Diese Ziele fanden ihren Niederschlag in der mit der Entscheidung Nr. 14/55 vom 26. März 1955 verwirklichten Neuordnung der Ausgleichsregelung, der nunmehr ein dreifaches Ziel zugrunde liegt.

    Zunächst wurde die Aufgabe der Brüsseler Organe, die Gewährleistung des Ausgleichs zwischen den Preisen des aus dritten Ländern eingeführten Schrotts und den Preisen für Schrott aus dem Aufkommen des Gemeinsamen Marktes, bestätigt.

    Das Gemeinsame Büro wurde zweitens ermächtigt, „selbst als Treuhänder für später zu bestimmende Empfänger Kaufverträge“ abzuschließen, um auf diese Weise, wie es in der Begründung heißt, über „eine gewisse sofort verfügbare Menge von Einfuhrschrott vorübergehend [zu verfügen], um damit die Fehlmengen zu decken…, die sich aus den Abweichungen zwischen den innerhalb der Gemeinschaft vorausgesehenen und tatsächlich durchgeführten Schrottkäufen [ergeben]“. Artikel 5 b der Entscheidung bestimmt in diesem Zusammenhang: Das Gemeinsame Büro ist zuständig, der Kasse vorzuschlagen:

    „b)

    die Bedingungen, an welche die Gewährung des Preisausgleichs gebunden ist; dabei kann insbesondere die Bedingung gestellt werden, den eingeführten Schrott oder Schrott ähnlichen Charakters gemäß einer allgemeinen und der Versorgungslage der verschiedenen Teile der Gemeinschaft laufend anzupassenden Vorausschau in bestimmten Gebieten der Gemeinschaft zu verwenden.“

    In dem gleichen Artikel ist weiter vorgesehen, daß bei diesen Vorschlägen folgende Reihenfolge zu beachten ist: a) Deckung des laufenden Bedarfes; b) Korrektur der Differenz zwischen Vorausschätzungen und tatsächlichen Lieferungen; c) Auffüllung der Lagerbestände.

    Die Brüsseler Organe wurden schließlich aufgefordert, die Modalitäten für die Gewährung der Ausgleichsleistungen(compensation) festzusetzen, die einen Anreiz dazu bieten sollten, bei der Stahlherstellung an Stelle von Schrott in größerem Umfang Roheisen zu verwenden, und die während der Geltungsdauer der Entscheidung in der Form von Prämien gewährt werden sollten, nämlich in Höhe des „durch erhöhten Einsatz von Roheisen eingesparten Schrotts“ (Art. 2 c; Art. 5 e und f).

    Mit der Entscheidung wurden im übrigen die Aufsichtsbefugnisse der Hohen Behörde bei der Durchführung der Regelung durch Bestimmungen verstärkt, auf die weiter einzugehen mir an dieser Stelle unnötig erscheint. Was die Modalitäten des neuen, in den Rahmen der Ausgleichsregelung miteinbezogenen Ausgleichs Roheisen/Schrott angeht, so sind diese Gegenstand zweier Entscheidungen, die im Anschluß an technische Vorarbeiten ergangen sind, nämlich der Entscheidungen Nr. 26/55 vom 20. Juli 1955 und 5/56 vom 15. Februar 1956, bei denen ich es für angezeigt halte, einen Augenblick zu verweilen.

    Die erste dieser Entscheidungen gewährt denjenigen Unternehmen Prämien, die durch erhöhten Einsatz aus der Gemeinschaft stammenden Roheisens im Siemens-Martin-OfenSchrotteinsparungen erzielen; die zweite Entscheidung erstreckt die Gewäh- nung dieser Prämien wird im wesentlichen auf die Erhöhung des von vorgeblasenem Thomasstahl im Elektroofen. Bei der Berechnung dieser Prämien wird im wesentlichen auf die Erhöhung des Einsatzes an Roheisen oder flüssigem Stahl im Verhältnis zu der Höhe des Schrotteinsatzes während eines von Amts wegen in der Entscheidung festgesetzten Referenzzeitraums (das vierte Trimester 1954) abgestellt. Die Festsetzung der Prämiensätze erfolgt in einem recht komplexen Verfahren; es ist wichtig festzuhalten, daß Artikel 5 der Entscheidung Nr. 26/55 den Grundsatz enthält, wonach die Festsetzung' der Prämien „unter Berücksichtigung des Nachteils [zu erfolgen hat], der sich durch den Ersatz von Schrott im Siemens-Martin-Ofen ergibt“, was darauf hinweist, daß die Urheber der Regelung einen annähernden Ausgleich bei den Gestehungskosten erreichen wollten, um hierdurch zum Ersatz von Schrott durch Roheisen oder durch flüssigen Stahl — ohne den Unternehmen allzu große finanzielle Opfer zuzumuten — anzuregen. Es ist schließlich noch wichtiger festzuhalten, daß die finanziellen Lasten dieser Ausgleichsregelung von der Gesamtheit der Verbraucher von Einfuhrschortt getragen werden. Die Prämien werden nämlich „aus dem Aufkommen der Ausgleichskasse für eingeführten Schrott gezahlt“, und wenn dieses auch aus besonderen, zusätzlich zu der eigentlichen Ausgleichsabgabe zu leistenden Abgaben gespeist wird, so ist nichtsdestoweniger die Gesamtheit der Verbraucher von Einfuhrschrott zur Leistung dieser besonderen Abgabe verpflichtet, nämlich sowohl diejenigen, die aus technischen Gründen die Prämien nicht in Anspruch nehmen können, als auch diejenigen, die Siemens-Martin- oder Elektro-Öfen mit flüssiger Beschickung betreiben und die in die Gruppe der eventuell Begünstigten fallen.

    All dies zeigt, daß die finanzielle Einrichtung der Entscheidung Nr. 14/55 ein einheitliches Ganzes bildet und nicht etwa ein Nebeneinander zweier verschiedener Einrichtungen darstellt, weil die objektive Rechtfertigung für den Zwang zur Leistung der zusätzlichen Abgabe beim Ausgleich Roheisen/Schrott selbst denjenigen Unternehmen gegenüber, die technisch nicht in der Lage sind, die Prämien auszunutzen, darin besteht, daß der Ersatz von Schrott durch Roheisen in den hierfür geeigneten Anlagen im Ergebnis allen Schrottverbrauchern zum Vorteil gereicht. Die Vorstellung geht dahin, daß der Anreiz zum Ersatz von Schrott durch Roheisen zu einer relativen Entspannung bei der Nachfrage führen muß und dadurch auch zu einem Sinken der Preise für diesen knapp gewordenen Rohstoff, was schließlich allen Verbrauchern zugute, kommt.

    In Wirklichkeit schien die Hohe Behörde die Normalisierung einer Lage, die sie als besorgniserregend betrachtet hatte, nicht von dem Inkrafttreten dieser Regelung allein zu erwarten. Gleichzeitig mit der Bekanntmachung der Entscheidung Nr. 14/55 erging eine Erklärung der Hohen Behörde auf der Tagung des Ministerrats am 21.—22. März 1955, in welcher sie sich vorbehielt, zunächst die Ergebnisse der Regelung abzuwarten:

    „Sollte es sich auf Grund von Erfahrungstatsachen ergeben, daß das Preisniveau auf dem Gemeinsamen Markt und das Funktionieren des Systems nicht den Grundsätzen entsprechen, über die zwischen der Hohen Behörde und dem Ministerrat Einverständnis bestand, oder sollten zur Zeit nicht voraussehbare Ereignisse die Versorgungsbedingungen weitgehend verändern, so würde die Hohe Behörde den Ministerrat in kürzester Zeit mit dieser Lage befassen und mit ihm die Maßnahmen erörtern, welche sie zur Behebung dieser Lage zu ergreifen gedenkt…“(Amtsblatt der Gemeinschaft Nr. 8 vom 30. März 1955, S. 688).

    Tatsächlich waren die zugunsten eines Ausgleichs Roheisen/ Schrott erlassenen Maßnahmen, wenn auch vermittels der Prämien 1600000 t „ausgeglichen“ worden sind, weit davon entfernt, den infolge der Ausweitung der Stahlerzeugung innerhalb der Gemeinschaft seit 1954 — insbesondere im Rahmen der auf die Verwendung von Schrott abgestellten Erzeugungsverfahren — entstandenen zusätzlichen Schrottbedarf wettzumachen. Im übrigen hätte die Politik der Lenkung der Investitionen in Richtung auf eine Erhöhung der Roheisenerzeugung erst nach mehreren Jahren Früchte tragen können, ein Umstand, der es erforderlich erscheinen ließ, Maßnahmen zur Verhinderung einer Verschärfung des Schrottmangels während dieser schweren Zeit zu erlassen.

    Unablässig hat die Hohe Behörde während des ganzen Jahres 1956 auf die Notwendigkeit hingewiesen, den Schrottmarkt neu zu ordnen. So zum Beispiel aus Anlaß der ersten Verlängerung der Regelung durch die Entscheidung Nr. 10/56 vom 7. März 1956:

    „In der Erwägung“, sagt sie, „daß es notwendig ist, das derzeitige System auf Grund der gewonnenen Erfahrungen zu überprüfen,

    in der Erwägung, daß das gründliche Studium eines neuen Systems nicht bis zum 31. März 1956 abgeschlossen werden kann und daß daher die Geltungsdauer der vorgenannten Entscheidungen um drei Monate verlängert werden muß …“

    Desgleichen aus Anlaß der Veröffentlichung ihrer Vorausschätzungen, wo sie in bezug auf Schrott erklärt:

    „Unter Berücksichtigung der Einfuhrschwierigkeiten müßten die Lagerbestände reduziert werden, und Maßnahmen zur Einsparung von Schrott sind nach wie vor am Platze.“ (Amisblatt der Gemeinschaft Nr. 10 dom 30. April 1956, S. 127.)

    Als sie schließlich eine feierliche Warnung über die Orientierung der Investitionsprogramme in der Eisen- und Stahlindustrie erlassen hatte und angesichts der Bedeutung, die „sie dem Problem der Schrottversorgung wie auch der Notwendigkeit beimißt, die Entwicklung der Stahlproduktion über eine entsprechende Steigerung der Roheisengewinnung zu betreiben“, hat sie erklärt, sie lenke

    „aufs nachdrücklichste die Aufmerksamkeit der Eisen- und Stahlunternehmen auf die Notwendigkeit, einer ausgeglichenen Entwicklung der Roheisen- und Rohstahlkapazitäten im Zusammenhang mit ihren Investitionsplanungen die größte Bedeutung beizumessen…“ (Stellungnahme, veröffentlicht im Amtsblatt der Gemeinschaft Nr. 17 dom 19. Juli 1956, S. 210 ).

    Kennzeichnend für die Lage Ende 1956 ist ein neues Anwachsen der Einfuhren (3200000 t, ein Ansteigen von 8 % im Vergleich zum Vorjahr), ein relatives Stagnieren des Schrottaufkommens im Inland (+1,5 % im Verhältnis zu 1955 trotz einer Erhöhung der Schrottpreise bis zu 100% im Verhältnis zu 1954 in gewissen Sammelzentren des Gemeinsamen Marktes) und eine leichte Erhöhung des durchschnittlichen Schrotteinsatzes pro erzeugte Tonne Stahl; die Hinwendung zu Schrott ist nämlich in Zeiten hoher Konjunktur die einfachste Lösung für eine Ausweitung der Erzeugung.

    Unter diesen Begleitumständen gelangten schließlich nach langen Verhandlungen — die Ihnen bekannt sind — und nach der Reise des Direktors der Marktabteilung in die Vereinigten Staaten, die schon seit 18 Monaten währenden Anstrengungen der Hohen Behörde in Richtung auf eine Neuordnung des Schrottmarktes zu einem Abschluß. Dieser fand seinen Niederschlag in der Entscheidung Nr. 2/57, auf die nunmehr einzugehen ist.

    Die Ziele der Entscheidung sind in den drei ersten Absätzen der vorangestellten Begründung eindeutig niedergelegt; ich erlaube mir, diese zu zitieren:

    „Die Lage auf dem Schrottmarkt macht es nach wie vor erforderlich, aus dritten Ländern Schrott einzuführen, ferner Abwrackschrott und anderen teuren Schrott zu verwenden sowie schließlich einen Preisausgleich für derartigen Schrott durchzuführen, um eine geordnete Versorgung mit Schrott zu angemessenen Preisen sicherzustellen.

    Es ist deshalb notwendig, das durch die Entscheidung Nr. 14/55 eingeführte System eines gemeinsamen Einkaufs in dritten Ländern und eines Preisausgleichs unter der Verantwortlichkeit der Hohen Behörde aufrecht zu erhalten.

    Jedoch ist mit Rücksicht auf den steigenden Schrottverbrauch das bisher gehandhabte System dadurch zu verbessern, daß ein Anreiz zur Einsparung von Schrott geschaffen wird, ohne dabei die Schaffung neuer Kapazitäten zur Herstellung von Stahl zu erschweren.“

    Der Einrichtung liegt also eine doppelte Zielsetzung zugrunde:

    1.

    Der Ausgleich zwischen den Preisen für eingeführten Schrott und den Preisen für Schrott aus dem Inlandsaufkommen des Gemeinsamen Marktes (um die „Versorgung zu angemessenen Preisen sicherzustellen“) und der gemeinsame Ankauf für Rechnung später zu bestimmender Empfänger (um über einen Notvorrat zur sofortigen Deckung unvorhergesehener Defizite zu verfügen); es handelt sich hier um die Sicherstellung einer ordnungsmäßigen Versorgung des Marktes;

    2.

    die Abstufung der finanziellen Lasten der Ausgleichsregelung im Verhältnis zu dem jeweiligen Verbrauch, der denjenigen eines Referenzzeitraumes übersteigt; das Ziel ist hier, zu Schrotteinsparungen anzuregen, „ohne dabei die Schaffung neuer Kapazitäten zur Herstellung von Stahl zu erschweren“.

    In den zur Erreichung dieser zweiten Zielsetzung vorgesehenen Bestimmungen liegt der Unterschied zwischen der neuen Entscheidung und der früheren Einrichtung; diese Bestimmungen bilden den Gegenstand der vorliegenden Rechtssachen.

    Das Ziel dieser Vorschriften liegt im wesentlichen in der Verstärkung der selektiven Natur der zur Finanzierung der Ausgleichsregelung dienenden Lasten, einer Natur, welche die Einrichtung bereits durch, den mit der Entscheidung Nr. 14/55 der gesamten Regelung einverleibten Ausgleich Roheisen/Schrott angenommen hatte. Der Beitrag jedes Unternehmens wird in Zukunft durch die Anwendung der folgenden zwei unterschiedlichen Sätze auf eine Schrottkäufe errechnet: 1. eines sog. „Basissatzes“ auf den Gesamtschrottverbrauch; 2. eines sog. „Ergänzungssatzes“ auf den im Verhältnis zu einem bestimmten Zeitraum zusätzlichen Schrottverbrauch; diese zweite Modalität der Errechnung der Beiträge zeigt wiederum zwei Eigenheiten: erstens, die progressive Staffelung des Ergänzungssatzes auf Grund aufeinanderfolgender Abrechnungszeiträume und zweitens, die Gewährung von Ermäßigungen auf die derart errechneten Beiträge, jeweils im Verhältnis zu der von den Unternehmen in ihren Anlagen und Erzeugungsverfahren erzielten Verringerung des Schrotteinsatzes.

    Ich werde nun versuchen, diese Einrichtung im einzelnen näher zu untersuchen.

    Wie jede finanzielle Ausgleichseinrichtung weist sie Einnahmen und Ausgaben auf, die von den für die Verwaltung verantwortlichen Organen abschließend auszugleichen sind.

    Artikel 2 der Entscheidung ordnet die Ausgaben in drei Rubriken ein: 1. Preisausgleich für den aus dritten Ländern eingeführten Schrott; 2. Finanzierung des Ankaufs von Schrott in dritten Ländern für Rechnung später zu bestimmender Empfänger; 3. Gewährung von Prämien für den durch erhöhten Einsatz von Roheisen eingesparten Schrott.

    Diese Aufzählung, die mit derjenigen in Artikel 2 der Entscheidung Nr. 14/55 weitgehend identisch ist, gibt zu folgenden Bemerkungen Anlaß:

    Der Posten Nr. 2 zunächst — Käufe für Rechnung später zu bestimmender Empfänger — stellt auf Vorschußgeschäfte aus flüssigen Mitteln ab, die durch die Rückerstattung gleich hoher Beträge bei Übergabe der betreffenden Mengen an die Empfänger auszugleichen sind. Das in den Büchern der Ausgleichskasse hierfür geführte „Sonderkonto“ stellt daher im Ergebnis keine Haushaltsbelastung der Ausgleichseinrichtung dar.

    Bei dem Posten Nr. 3, der die Gewährung von Prämien für den durch erhöhten Einsatz von Roheisen eingesparten Schrott vorsieht, ist darauf hinzuweisen, daß diese Regelung, die einfach aus der Entscheidung Nr. 14/55 und deren Durchführungsbestimmungen (Entscheidungen Nr. 26/55 und 3/56) übernommen worden ist, nur vorläufig, nämlich bis zum 31. Juli 1957, beibehalten wird. Zu diesem Zeitpunkt soll die Ausgleichsregelung Roheisen/Schrott durch ein System des Anreizes zu Schrotteinsparungen ergänzt werden durch eine neue Art und Weise der Errechnung der Ergänzungssätze und der auf Grund der jeweiligen Verringerung des Schrotteinsatzes gewährten Nachlässe.

    Soweit zu den Ausgaben.

    Was die Einnahmen angeht, so bestehen diese aus den Beiträgen aller Schrottverbraucher.

    Gemäß Artikel 3 der Entscheidung wird dieser Beitrag errechnet durch die Anwendung:

    eines Basissatzes auf den Verbrauch von Zukaufschrott während des Abrechnungszeitraums (Art. 3 Abs. 1 a und Art. 4 Abs. 2);

    eines Ergänzungssatzes auf den Mehrverbrauch an Zukaufschrott, d. h. auf die Mengen, um die der Verbrauch von Zukaufschrott während des Abrechnungszeitraums „den Referenzverbrauch von Zukaufschrott“ übersteigt (Art. 3 Abs. 1 b und Art. 5).

    Der Referenzverbrauch von Zukaufschrott ist gemäß Artikel 6 Absatz 1 gleich der Hälfte des Verbrauches von Zukaufschrott während eines Zeitraums von sechs Kalendermonaten innerhalb von sieben aufeinanderfolgenden Monaten nach Wahl des Unternehmens zwischen dem 1. Januar 1953 und dem 31. Januar 1957. Diese anscheinend komplizierte Bestimmung soll es jedem Unternehmen gestatten, selbst seinen Referenzverbrauch von Zukaufschrott zu bestimmen, der „abgabefrei“ ist, und sie dividiert diesen dann durch zwei, um ihn mit dem Verbrauch jedes Abrechnungszeitraums, der sich auf drei Monate erstreckt, vergleichbar zu machen.

    Die Festsetzung des Ergänzungssatzes ist unlösbar mit der Festsetzung des Basissatzes verbunden; Artikel 8 bestimmt daher auch, daß der erste dieser Sätze in Prozenten des zweiten festgesetzt wird.

    Aus der Tatsache, daß der Ergänzungssatz erst ab 31. Juli 1957 erhoben wird, d. h. nach Ablauf der Regelung über die Gewährung der Ausgleichsprämien Roheisen/Schrott, erhellt, daß seine Höhe im Ergebnis ausschließlich davon abhängt, welche Mittel für die Ausgleichsregelung für Einfuhrschrott erforderlich sind. Mit anderen Worten, der Ergänzungssatz ist gemäß Artikel 8 arithmetische Funktion des Basissatzes, und dieser wiederum wird nach den Vorschriften der Ausgleichsregelung auf der Grundlage einer Reihe von Faktoren festgesetzt, wie der eingeführten Mengen, des Einfuhrpreises, der auf dem Gemeinsamen Markt gekauften Mengen, des gewogenen Preises für diese Käufe, des Ausgleichspreises …, die alle wiederum unmittelbar vom Stand der Konjunktur abhängen.

    Der Anteil der Ergänzungsbeiträge bei der Aufbringung der für die Durchführung der Ausgleichsregelung für Einfuhrschrott erforderlichen Mittel hängt somit unmittelbar von der Höhe der Einfuhren sowie von dem Unterschied zwischen den Preisen auf dem. Gemeinsamen Markt und in dritten Ländern ab. Nehmen diese Einfuhren und diese Preisunterschiede ab, dann nähert sich der Basissatz und in seinem Gefolge auch der Ergänzungssatz dem Nullpunkt. Steigt die Kurve der Einfuhren und der Abstand der Preise infolge höherer Nachfrage, d. h. höheren Schrottverbrauches, so fällt der Ergänzungssatz schwerer ins Gewicht, und der Anreiz zu Schrotteinsparungen wird entsprechend größer.

    Es besteht somit eine Wechselwirkung zwischen den Konjunkturschwankungen und der Höhe der aus dem Ergänzungssatz herrührenden Belastung, ein Umstand, der diese Belastung bei einer Erhöhung der Nachfrage schwerer ins Gewicht fallen läßt, dafür jedoch relativ leichter zu ertragen — und zwar zu einer Zeit, in der relative Schrotteinsparungen am notwendigsten sind —, umgekehrt fällt sie weniger schwer ins Gewicht, wenn die Nachfrage nachläßt und die Schrotteinsparungen weniger dringlich werden.

    Der Anreiz zu Schrotteinsparungen ist jedoch nicht nur die Folge der Anwendung eines Ergänzungssatzes auf den im Verhältnis zu einem Referenzzeitraum höheren Verbrauch. Wenn diese letztere Maßnahme mit der Abstufung der finanziellen Belastung jeweils nach Mengen — um damit wieder den Marginaleffekt in die ganze Regelung einzuführen, der bei der anfänglichen „reinen“ Ausgleichsregelung fehlte — tatsächlich auch geeignet ist, in absoluten Zahlen gemessen, zu gewissen Rohstoffeinsparungen zu führen, so scheinen die in Artikel 9 der Entscheidung vorgesehenen Ermäßigungen ihrerseits, in relativen Zahlen gemessen, gleichfalls zu Schrotteinsparungen anzuregen. In dieser Bestimmung sind nämlich in dem Umfang Ermäßigungen auf den Ergänzungsbeitrag vorgesehen, in dem die Unternehmen prozentual im Verhältnis zu dem mittleren Schrotteinsatz ihres Referenzzeitraums und zum durchschnittlichen gewogenen Schrotteinsatz der Gemeinschaft ihren Schrotteinsatz verringern, wobei die relative Einsparung bei jeder Anlagenart und bei jedem Erzeugungsverfahren gesondert berechnet wird.

    Die Bedeutung dieser eventuellen Ermäßigungen muß hervorgehoben werden. Gemäß Artikel 9 Absatz 2 ergibt sich „der Prozentsatz der Ermäßigung… aus dem Fünffachen jedes der oben erwähnten Prozentsätze; er darf insgesamt jedoch nicht 100 Prozent des Beitrages zum Ergänzungssatz übersteigen“. Diese selektive Maßnahme kann daher gegebenenfalls zur Befreiung von jeglicher Verpflichtung zur Leistung der Ergänzungsabgabe führen.

    Im Unterschied zu dem früheren Prämiensystem „Roheisen/ Schrott“ sieht Artikel 9 der Entscheidung die Gewährung von Ermäßigungen auf Grund der jeweiligen Verringerung des Schrotteinsatzes für jede Anlagenart und für jedes Erzeugungsverfahren vor, in denen dieser Grundstoff verarbeitet wird, und zwar sowohl bei der Roheisenerzeugung (wo die Einsparung aus dem eventuellen Ersatz von Schrott durch Koks oder Erz erzielt werden soll) wie auch bei der Stahlherstellung (wo die Einsparung durch den eventuellen Ersatz von Schrott durch Roheisen oder flüssigen Thomasstahl erzielt werden soll).

    Diese Prüfung zeigt im übrigen, daß sich zu der Abstufung bei der Finanzierung der Ausgleichsregelung eine ganze Reihe von Übergangsvorschriften hinzugesellen, die diese Regelung durch Bestimmungen, auf die ich jetzt eingehen will, leicht progressiv gestalten.

    Zunächst ist vorgesehen, daß der Ergänzungssatz seinen größten Umfang (100 Prozent des Basissatzes) erst in fünfzehn Monaten — in Wahrheit lediglich während des letzten Anwendungs-Trimesters der Entscheidung — erreicht. Während der ersten sechs Monate der Anwendung der Regelung ist der Ergänzungssatz, wie wir gesehen haben, gleich Null; dann erreicht er ein Viertel des Basissatzes für den ersten Abrechnungszeitraum, der am 1. August 1957 beginnt, zu welchem Zeitpunkt das Prämiensystem „Roheisen/ Schrott“ außer Kraft tritt; er erreicht dann ab 1. November 1957 50 Prozent des Basissatzes und ab 1. Februar 1958 75 Prozent. Diese in Artikel 8 der Entscheidung enthaltenen Vorschriften wirken sich dahin aus, daß die volle Auswirkung der Regelung zeitlich weitgehend hinausgeschoben wird.

    Hinzu kommen die Bestimmungen des Artikels 6, die in die gleiche Richtung gehen und die darauf abzielen, die Auswirkungen des quantitativen Kriteriums des „Referenzverbrauches“ auf die für die Errechnung des Ergänzungssatzes verwendeten Veranlagungsgrundlagen durch die Zubilligung eines fiktiven Referenzverbrauches und eines fiktiven Referenzsatzes wettzumachen, und zwar nicht nur für die im Laufe des Referenzzeitraums in Betrieb genommenen Anlagen und Erzeugungsverfahren, sondern auch für diejenigen, bei denen dies bis zum 1. Februar 1958 der Fall sein wird, d. h. während der Dauer eines Jahres ab Inkrafttreten der Entscheidung.

    Es ist sogar vorgesehen (Art. 6 Abs. 3 am Ende), daß für diejenigen Anlagen, die nach, dem 1. Februar 1958 in Betrieb genommen werden, ein Referenzsatz ermittelt wird, damit dann gegebenenfalls die in Artikel 9 vorgesehenen Nachlässe gewährt werden.

    So sieht — so objektiv wie möglich dargestellt — die mit der Entscheidung Nr. 2/57 eingeführte finanzielle Einrichtung aus.

    Ich halte es nicht für erforderlich, auf die in den verschiedenen Rechtssachen gestellten Anträge und die zu deren Stützung vorgetragenen Klagegründe im einzelnen einzugehen; diese Anträge und Klagegründe wurden im Verlaufe der mündlichen Verhandlung von dem Herrn Berichterstatter in seinen Berichten genau und sehr eingehend dargelegt.

    Ich darf nur, mas die Anträge angeht, daran erinnern, daß alle Kläger die Nichtigerklärung folgender Vorschriften beantragen:

    des Artikels 3 Absatz 1 b, der den Ergänzungssatz einführt,

    des Artikels 6 Absatz 3, der die nach dem 31. Januar 1958 in Betrieb genommenen Anlagen von jeglichem Referenzverbrauch ausnimmt,

    des Artikels 8, der den Ergänzungssatz zeitlich progressiv staffelt,

    und des Artikels 9, der Ermäßigungen vorsieht.

    Diesen Mindestanträgen, wie sie das „Group ement des Hauts Fourneaux et Aciéries Belges“ (Rechtssache 8/57) stellt, fügen die übrigen Kläger weitere hinzu, mit denen sie eine mehr oder weniger große Zahl von Bestimmungen angreifen, die sich nach Sinn und Zweck an die grundlegenden Bestimmungen anschließen.

    In Wirklichkeit sind sie, wie Sie wissen, alle darin einig, die in der Entscheidung Nr. 2/57 enthaltenen Neuerungen anzugreifen, d. h. die Einführung des Ergänzungssatzes und die Modalitäten, die ihm eigen sind, um die Unternehmen zu Schrotteinsparungen zu veranlassen, mit Ausnahme derjenigen Bestimmungen, die sich auf die Ausgleichsregelung für eingeführten Schrott beziehen und aus den früheren Entscheidungen übernommen wurden.

    Was die Klagegründe angeht, so erheben alle Kläger den Vorwurf des Ermessensmißbrauchs jeweils ihnen gegenüber. Alle machen Ermessensmißbrauch geltend im Hinblick auf 1. eine Reihe oder die meisten Ziele des Artikels 3 des Vertrages; 2. Artikel 59 betreffend die Verteilung im Falle einer Mangellage; 3. Artikel 54 betreffend die Investitionen.

    In den Rechtssachen 9/57 (Chambre Syndicale de la Sidérurgie Française) und 12/57 (Syndicat de la Sidérurgie du Centre-Midi) wird darüber hinaus die Verkennung des „gemeinsamen Interesses“ geltend gemacht, das bei jedem Vorgehen nach Artikel 3 zu beachten sei. In der Rechtssache 8/57 (Groupement des Hauts Fourneaux et Aciéries Beiges) wird auf die Verkennung des in der Entscheidung selbst verkündeten Zieles abgestellt (zu Schrotteinsparungen anzuregen, „ohne dabei die Schaffung neuer Kapazitäten zur Herstellung von Stahl zu erschweren“). Gleichfalls wird, wie auch in der deutschen Rechtssache (13/57), Ermessensmißbrauch im Hinblick auf Artikel 4 des Vertrages geltend gemacht. In der deutschen Rechtssache wird darüber hinaus Ermessensmißbrauch im Hinblick auf Artikel 58 (eine Bestimmung, auf welche sich im übrigen viele der Kläger zur Stützung ihrer Klage berufen) und im Hinblick auf Artikel 65 (die angefochtenen Bestimmungen sähen „weitergehende Einschränkungen vor… als dies ihr Zweck erfordert“) behauptet.

    In der Rechtssache 13/57 wird die angefochtene Entscheidung ferner, zumindest in den umstrittenen Punkten, als jeden einzelnen Urheber der gemeinschaftlichen Klage betreffende individuelle Entscheidung angesehen, was es ihnen erlaube, gemäß Artikel 33 Absatz 2 des Vertrages auch verschiedene Klagegründe der Verletzung des Vertrages und nicht nur das Vorliegen eines Ermessensmißbrauchs geltend zu machen.

    Versucht man, die Darlegungen aller Kläger so übersichtlich wie möglich zusammenzufassen, so lassen sich die erhobenen Vorwürfe, wie mir scheint, in drei Gruppen einteilen:

    A)

    In der ersten Gruppe wird im wesentlichen auf die ungleiche Behandlung abgestellt, die der in der Entscheidung Nr. 2/57 enthaltenen Regelung — und zwar deren umstrittenem Teil — zugrunde liege: auf den Ergänzungssatz selbst, dessen Ziel eine höhere Besteuerung des Mehrverbrauches an Schrott sei und der sich daher ungleichmäßig auf den Gesamtverbrauch jedes Unternehmens auswirke; auf die progressive Staffelung dieses Satzes, was eine offensichtlich ungleiche Behandlung der Unternehmen darstelle; auf die Verweigerung jeglichen Referenz Verbrauches für die nach einem bestimmten Zeitpunkt in Betrieb genommenen Anlagen, wo die ungleiche Behandlung nicht mehr die Unternehmen, sondern die Anlagen treffe; schließlich auf die Prämien für Schrotteinsparungen bei Verringerung des Schrotteinsatzes, was eine Benachteiligung insbesondere derjenigen Unternehmen darstelle, denen es aus technischen Gründen nicht möglich sei, ihren Schrotteinsatz herabzusetzen.

    In dieser ersten Gruppe, die in Wirklichkeit alle wesentlichen Vorwürfe der Kläger enthält, wird in erster Linie auf Artikel 3 b des Vertrages abgestellt, wonach die Hohe Behörde „allen in vergleichbarer Lage befindlichen Verbrauchern des Gemeinsamen Marktes gleichen Zugang zu der Produktion zu sichern“ hat; es wird gleichfalls Artikel 4 b ins Feld geführt, der Diskriminierungen insbesondere auf dem Gebiet der Preise untersagt, weil die ganze Regelung zu einem doppelten Preis führen könne (es ist sogar von einem „doppelten Sektor“ gesprochen worden). Allgemeiner gesagt, es wird auf den Gleichheitsgrundsatz als allgemeinen Rechtsgrundsatz und sogar auf denjenigen des „gemeinsamen Interesses“ abgestellt, den die Hohe Behörde in schwerwiegender Weise verkannt habe.

    B)

    Zu der zweiten Gruppe von Vorwürfen gehören diejenigen, mit denen geltend gemacht wird, die angefochtene Entscheidung verkenne die Ziele der Absätze d und g des Artikels 3; Artikel 3 d: „darauf zu achten, daß Voraussetzungen erhalten bleiben, die einen Anreiz für die Unternehmen bieten, ihr Produktionspotential auszubauen und zu verbessern“ (es kommt also nur auf den ersten Teil des Satzes an); Artikel 3 g:„die geordnete Ausweitung und Modernisierung der Erzeugung sowie die Verbesserung der Qualität in einer Weise zu fördern, usw…“ (der Rest wird, im übrigen zu Recht, als für den Rechtsstreit belanglos angesehen). Diese Vorwürfe werden insbesondere von denjenigen Unternehmen oder Unternehmensverbänden erhoben, die ohne entsprechende Ersatzmöglichkeiten auf den Verbrauch von Schrott eingestellt sind, vor allem von denjenigen, die Elektroofen mit fester Beschickung verwenden. Zu der zweiten Gruppe gehört auch der in der Rechtssache 8/57 erhobene Vorwurf, die Entscheidung sei in sich selbst widersprüchlich. Ihrer eigenen Begründung zufolge sollten mit ihr nämlich Schrotteinsparungen erzielt werden, „ohne dabei die Schaffung neuer Kapazitäten zur Herstellung von Stahl zu erschweren“.

    C)

    In eine dritte Gruppe möchte ich schließlich die Vorwürfe einreihen, wonach die Hohe Behörde auf dem Wege über eine finanzielle Einrichtung nach Artikel 53 Ziele verfolgt habe, die sie rechtmäßigerweise nur auf Grund anderer spezifischer Bestimmungen hätte verfolgen dürfen, nämlich: 1. eine Verteilung, die nur nach Artikel 59 zulässig gewesen wäre, und 2. eine Lenkung der Investitionen, ja ein mehr oder weniger direkter Eingriff in die Investitionen, was unter Artikel 54 falle. Die angefochtene Entscheidung sei insofern mit einem „Verfahrensmißbrauch“(détournement de procedure) behaftet.

    Wie Sie wissen, meine Herren, ist die angefochtene Entscheidung auf Grund von Artikel 53 b des Vertrages ergangen. Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist daher die Feststellung wesentlich, wie weit sich die Befugnisse erstrecken, die der Hohen Behörde kraft dieser Bestimmung zustehen: Ich glaube sogar, daß der Rechtsstreit in Wirklichkeit gerade hierin besteht, ist diese Frage nämlich einmal beantwortet, dann würde es genügen, für den vorliegenden Fall hieraus die Folgerungen zu ziehen, und es wäre nur noch zu einigen Tatsachen Stellung zu nehmen oder zu Verfahrensbzw. Zulässigkeitsfragen.

    In der Bemühung um Klarheit eher als um logischen Aufbau werde ich mir daher die Freiheit nehmen, sofort auf diese zur Hauptsache gehörende Frage einzugehen und die formellen Aspekte für später vorzubehalten, insbesondere die unvermeidliche Trennung zwischen allem, was zum Ermessensmißbrauch gehört, und demjenigen, was nicht dazu gehört, wozu uns Artikel 33 nötigt.

    Was ist zunächst unter einer „finanziellen Einrichtung“ im Sinne von Artikel 53 zu verstehen, dieses „geheimnisvollen Artikels 53“, wie ihn Paul Reuter in seinem in Stresa erstatteten Bericht über die Eingriffsmöglichkeiten der Hohen Behörde bezeichnet, wobei er lediglich hinzufügt, es handle sich dabei um „einen Prozeß der Nivellierung der Wettbewerbsbedingungen innerhalb des Gemeinsamen Marktes“? (Centre italien d'Etudes juridiques, Actes officiels du Congres international d'Etudes sur la C.E.C.A., Mailand, S. 14.)

    Meine Herren, ist dieser Artikel wirklich so geheimnisvoll, wie behauptet wird? Lassen Sie mich zunächst festhalten, daß es sich um eine „für mehrere Unternehmen gemeinsame“ Einrichtung bandelt, was sofort an Kompensations- oder „Ausgleichseinrichtungen“ denken läßt, wie sie der internen Wirtschaftsgesetzgebung unserer Länder geläufig sind oder vielfach geläufig waren. Auch haben der Vertrag und das Ubergangsabkommen selbst solche Einrichtungen zur Erreichung ganz bestimmter Zwecke vorgesehen oder geschaffen: Ich weise lediglich auf die mit den § § 25 bis 27 des Ubergangsabkommens geschaffene Ausgleichsregelung zugunsten der belgischen und italienischen Kohlenbergwerke hin — mit der Sie wohl vertraut sind — sowie auf die, gleichfalls Kohlenbergwerke betreffenden, in Artikel 62 des Vertrages vorgesehenen Ausgleichszahlungen innerhalb eines Reviers oder zwischen mehreren Revieren. Dieses letztere Beispiel ist von Interesse, weil es zeigt, daß dieses Verfahren angewandt werden kann, wenn es gilt, Schwierigkeiten zu belieben, die aus Ungleichheiten innerhalb der Gemeinschaft herrühren, und nicht etwa nur dann, wenn Einfuhr- und Inlandspreise voneinander abweichen. Dies tritt in einem Absatz des Berichts der französischen Abordnung (S. 152) klar zutage, auf welchen bereits im Verlaufe der mündlichen Verhandlung hingewiesen worden ist und den ich mir gestatte, Ihnen noch einmal zu unterbreiten:

    Unter der Überschrift „Mittelbare Eingriffe in den Markt“ heißt es in diesem Bericht:

    „Zum indirekten Vorgehen gehören:

    die in dem Vertrag und im Übergangsabkommen vorgesehenen finanziellen Einrichtungen;

    die Vorschriften für eine eventuelle Festsetzung der Preise auf dem Gemeinsamen Markt oder sogar für den Export;

    die Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten zur Stabilisierung der Nachfrage“;

    und unter dem Untertitel „Finanzielle Einrichtungen“ heißt es wie folgt:

    „Obwohl es dem Sinn und Zweck des Vertrages entspricht, sich für geordnete Marktverhältnisse soweit wie möglich auf den Preismechanismus zu verlassen, zeigt die Erfahrung, daß allzu große Verschiedenheiten, zum Beispiel zwischen den Bedingungen, unter denen der Bedarf aus verschiedenen Quellen gedeckt wird, oder zwischen den Absatzmöglichkeiten auf verschiedenen Märkten oder schließlich zwischen den Produktionsbedingungen der verschiedenen Unternehmen in den verschiedenen Gebieten selbst, allein durch den Preismechanismus nicht schnell und reibungslos genug beseitigt werden können; in diesen Fällen kann die Gewährung gewisser Kompensationsleistungen unbedingt erforderlich werden.“

    Es handelt sich also um ein mittelbares Verfahren der Marktordnung auf der gleichen Grundlage wie der unmittelbare Eingriff in die Preisgestaltung, und zwar in der Form der Gewährung von Ausgleichsleistungen, die die Auswirkungen des Preismechanismus korrigieren sollen.

    Im vorliegenden Fall haben wir es, wie gezeigt, mit einer Ausgleichseinrichtung des klassischen Typs zu tun, in dem Sinne, daß sie die Angleichung der Preise für Einfuhrschrott an die Inlandspreise zum Ziele hat. Die einzige Schwierigkeit — und ich gestehe gern, daß sie nicht gering ist — geht dahin, festzustellen, ob die ungleiche Verteilung der aus der Ausgleichsregelung herrührenden Lasten auf die einzelnen Verbraucher dieses Rohstoffes innerhalb der Gemeinschaft, so wie sie in der Entscheidung Nr. 2/57 vorgesehen ist — und zwar für die dort umschriebenen Zwecke —, mit dem Vertrag vereinbar ist oder nicht. Wir sehen aber jetzt anscheinend klarer, was unter einer finanziellen Einrichtung nach Artikel 53 zu verstehen ist und welche Bedeutung diesem Artikel — der im IL Kapitel des Dritten Titels unter der Überschrift „Finanzbestimmungen“ bestimmt fehl am Platze ist — nach dem Vertrage zukommt.

    Es ist nunmehr zu prüfen, welche Voraussetzungen die Hohe Behörde bei der Ausübung der ihr nach Artikel 53 übertragenen Befugnisse zu beachten hat.

    Es bestehen zunächst Formerfordernisse, die aus dem Text eindeutig hervorgehen und die keine Schwierigkeiten bereiten. Ich werde in diesem Zusammenhang nur eine einzige Bemerkung machen, die den weniger sachkundigen Leser bestimmt verwundern wird, und zwar, daß der Text, was die Form angeht, einen deutlichen Unterschied macht zwischen den Einrichtungen nach Absatz a (denjenigen, die von den Unternehmen selbst geschaffen werden und der Genehmigung bedürfen) und den Einrichtungen nach Absatz b, die die Hohe Behörde selbst schafft: bloße Anhörung des Beratenden Ausschusses und des Rats im ersten Fall, einstimmige Zustimmung des Rats im zweiten, d. h. das stärkste aller Formerfordernisse, das im Vertrag nur ausnahmsweise anzutreffen ist.

    Ist dieser Unterschied allein durch die Tatsache gerechtfertigt, daß der Beitritt zu der Einrichtung im zweiten Fall zwingend vorgeschrieben ist und daß die Ausübung einer solchen Befugnis mit Zwangscharakter gewöhnlich die Gewährung besonderer Garantien erforderlich macht, oder erklärt er sich nicht auch durch die Tatsache, daß die Einrichtung nach Absatz b, von der Hohen Behörde „geschaffen“, wie es in der Vorschrift heißt, bedeutet, daß die Hohe Behörde die Gesamtverantwortung für die Einrichtung übernimmt, um sich dieser „selbst“ zu bestimmten Zwecken zu bedienen, d. h. zu äußerst dirigistischen Zwecken? Ich will mich im Augenblick damit begnügen, die Frage zu stellen.

    Die zweite in Artikel 53 für die Ausübung der Befugnisse der Hohen Behörde gesetzte Voraussetzung ist eine inhaltliche: Die — genehmigte oder geschaffene — Einrichtung muß „zur Durchführung der Aufgaben nach Artikel 3… erforderlich“ sein.

    Es läßt sich dann aber sofort ein Einwand erheben: Artikel 3, der alle von der Gemeinschaft zu verfolgenden Ziele aufzählt, könnte ohne weiteres für jeden beliebigen Eingriff in jeder beliebigen Richtung als Grundlage dienen. Kann man darin tatsächlich eine rechtliche Beschränkung der Befugnisse der Hohen Behörde von Bedeutung erblicken und insofern irgendeine Rechtsmittelgarantie zugunsten der Betroffenen?

    Dieser Aspekt der Frage ist von den Klägern in der Rechtssache Nr. 13/57 sehr wohl erkannt worden, wenn sie darlegen, die Hohe Behörde müsse gleichzeitig und gleichmäßig alle Ziele des Artikels 3 verfolgen. Sollten zwischen diesen Zielen Widersprüche auftreten, so könne zwar ein Kompromiß erforderlich werden, dieser müsse dann aber „vernünftig“ sein und keines der gesetzlichen Ziele, auch nicht zum Teil, aufopfern; erweise sich ein solches Opfer als erforderlich, d. h. sei die Verfolgung eines Zieles mit einem anderen Ziel nicht vereinbar, so müsse die Hohe Behörde auf die Ausübung ihrer Befugnisse nach Artikel 53 verzichten und könne sich nur an die spezifischen Befugnisse halten, die ihr auf Grund anderer Bestimmungen des Vertrages zustünden.

    Meine Herren, ich halte diese These zwar in ihrem Ausgangspunkt für richtig, jedoch für zu weitgehend. Sie ist insoweit richtig, als im Hinblick auf ein bestimmtes Problem größere oder geringere Widersprüche zwischen den verschiedenen Zielen des Artikels 3 auftreten können, so daß eine Abstimmung derselben aufeinander erforderlich werden kann. Es ist jedoch durchaus in der Ordnung, daß je nach den Umständen die Verfolgung eines bestimmten Zieles für wichtiger erachtet wird als die eines anderen, sonst wäre nämlich jedes wirkliche Handeln, jegliche Politik der Hohen Behörde unmöglich: Erforderlich ist lediglich, daß die Hohe Behörde bei der Verfolgung des wesentlichen Zieles, das sie im Auge hat, die anderen nicht vernachlässigt und daß sie die erforderliche Abstimmung der einzelnen Ziele aufeinander unter gerechtester Abwägung der Interessen, deren Wahrung ihr obliegt, vornimmt. Ihr muß in dieser Hinsicht ein recht weiter, gleichwohl nicht unbegrenzter Ermessensspielraum zugestanden werden. Aufgabe des Richters ist es dann, festzustellen, ob die Hohe Behörde nicht willkürlich oder ohne hinreichende Notwendigkeit eines der Ziele des Artikels 3 verkannt hat: Es handelt sich hier um die Einhaltung des Maßes.

    Für diese Sicht der Dinge findet sich im Vertrag ein ausgezeichnetes Beispiel in Artikel 61 a über die Festsetzung von Höchstpreisen: Diese ist dem Erfordernis untergeordnet, die in Artikel 3, „insbesondere in dessen Absatz c“, bezeichneten Ziele zu erreichen; Absatz c ist derjenige, in dem die Hohe Behörde verpflichtet wird, auf die Bildung niedrigster Preise zu achten. Es liegt klar zutage, daß dies das wesentliche Ziel ist, das mit einer Höchstpreise festsetzenden Entscheidung verfolgt werden muß, was das „insbesondere“ rechtfertigt; die Hohe Behörde darf jedoch nicht die anderen Ziele des Artikels 3 vernachlässigen, und auch insofern ist das gleiche „insbesondere“ — dessen Gegensatz „ausschließlich“ wäre — gerechtfertigt.

    Soweit zu den Formerfordernissen und den zu erreichenden Zielen. Sind dies jedoch die einzigen Grenzen, die der Hohen Behörde bei einem Vorgehen nach Artikel 53 gesetzt sind? Bestimmt nicht. Ich für mein Teil sehe noch drei andere, genauer gesagt, noch drei Arten anderer.

    Da wären zunächst die Verbote des Artikels 4: Diese sind zwingend, allgemein und unbedingt, und wenn auch die in Absatz a (Zölle und mengenmäßige Beschränkungen) und Absatz c enthaltenen (Subventionen, von den Staaten bewilligte Beihilfen oder auferlegte Sonderlasten) auf die Hohe Behörde keine Anwendung finden, so gilt dies jedoch nicht für die Verbote der Absätze b und d, die ersteren Diskriminierungen zwischen Erzeugern, Käufern oder Verbrauchern betreffend und die zweiten „einschränkende Praktiken, die auf eine Aufteilung oder Ausbeutung der Märkte abzielen“. Ohne Zweifel stellen die hier aufgezählten Maßnahmen und Praktiken auf die Unternehmen ab, es wäre aber auch denkbar, daß die Hohe Behörde sich ihrer bediente, und Sie wissen, daß ihr in den verschiedenen Klagen der Vorwurf der Diskriminierung gemacht wird. Es bleibt natürlich zu klären, was unter einer Diskriminierung zu verstehen ist und inwieweit sie bei einer finanziellen Einrichtung der Art, mit der wir es hier zu tun haben, möglich ist; ich bin noch nicht in der Lage, diese Frage zu beantworten. Was ich im Augenblick festhalten will, ist, daß eine gemäß Artikel 53 ergangene Entscheidung wie jede Entscheidung der Hohen Behörde die in Artikel 4 enthaltenen Verbote zu beachten hat.

    Eine andere Art von Einschränkungen der Befugnisse der Hohen Behörde besteht darin, da die spezifischen Bestimmungen des Vertrages, wie Artikel 59 über die Mangellage und Artikel 54 über die Investitionen, zu beachten sind. Sie entspricht der dritten Gruppe von Klagegründen in der Reihenfolge, die ich kurz zuvor aufgestellt habe.

    Ich bin der Auffassung, daß auch in diesem Punkt keine grundsätzlichen Schwierigkeiten bestehen; fest steht (die Hohe Behörde räumt dies im übrigen auch ein), daß die finanziellen Einrichtungen nach Artikel 53 keine Maßnahmen enthalten dürfen, die rechtmäßigerweise nur auf Grund einer spezifischen Bestimmung, die solche Maßnahmen vorsieht, und unter Beachtung des hierfür vorgeschriebenen Verfahrens getroffen werden können. So verhält es sich z. B. mit der Verteilung, die nur in Artikel 59 vorgesehen ist und daher rechtmäßigerweise nur unter Beachtung dieser Bestimmung vorgenommen werden kann. Doch auch hier beginnen die Schwierigkeiten in dem Augenblick der Anwendung des Grundsatzes: Diese Schwierigkeiten würden sich im wesentlichen aus der Abgrenzung des Anwendungsgebietes der betreffenden spezifischen Bestimmung ergeben, was auch auf die Frage nach dem Umfang des vorbehaltenen Gebietes hinausliefe.

    Ich komme jetzt zu der letzten Art von Einschränkungen, deren Prüfung, was ich zumindest hoffe, zu einer Lösung führen wird, weil diese uns zwingen wird, den Artikel 53 im gesamten Zusammenhang des Vertrages zu sehen, ich meine im Zusammenhang mit den Vorschriften, welche die Reihenfolge festsetzen, in der die Hohe Behörde ihre Befugnisse auszuüben hat.

    Die in dieser Hinsicht im Vertrag enthaltenen Bestimmungen sind Ihnen bekannt, es handelt sich im wesentlichen um die folgenden drei:

    Artikel 5 Absatz 1, wonach die Gemeinschaft „ihre Aufgabe unter den in diesem Vertrag vorgesehenen Bedingungen durch begrenzte Eingriffe [erfüllt]“;

    der gleiche Artikel 5, wo es einige Zeilen weiter heißt, daß die Gemeinschaft „… für Schaffung, Aufrechterhaltung und Beachtung normaler Wettbewerbsbedingungen [sorgt] und… in die Erzeugung und den Markt nur dann direkt [eingreift], wenn es die Umstände erfordern“;

    und Artikel 57: „Auf dem Gebiet der Erzeugung bedient sich die Hohe Behörde vorzugsweise der ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten indirekter Maßnahmen. Solche Möglichkeiten sind:

    die Zusammenarbeit mit den Regierungen, um den allgemeinen Verbrauch, insbesondere den der öffentlichen Dienste, gleichmäßiger zu gestalten oder zu beeinflussen;

    das Eingreifen auf dem Gebiet der Preise und der Handelspolitik, wie es dieser Vrtrag vorsieht“.

    Aus diesen Vorschriften ist oft — zweifellos etwas voreilig — geschlossen worden, daß der durch den Vertrag geschaffene Gemeinsame Markt auf der Freiheit des Wettbewerbs beruhe und daß infolgedessen Eingriffe der Hohen Behörde nur ausnahmsweise zulässig seien. Es war leicht, dieser Auffassung eine andere entgegenzuhalten, die sich einerseits auf den gewaltigen Umfang der Ziele der Gemeinschaft stützt, wie sie in den Artikeln 2 und 3 niedergelegt sind und insgesamt in nichts weniger bestehen, als den Völkern der Mitgliedstaaten das — allerdings irdische — Heil zu bringen, und andererseits auf das gewaltige Ausmaß der Befugnisse, über welche die Organe der Gemeinschaft und insbesondere die Hohe Behörde zu diesem Zweck verfügen. Unter diesem Gesichtswinkel betrachtet, macht die „ausnahmsweise“ oder „begrenzte“ Natur der Eingriffe der Hohen Behörde etwas skeptisch, vor allem wenn man bedenkt, daß das einzige Mittel, über das die Gemeinschaft zur Verwirklichung ihrer ehrgeizigen Pläne verfügt, der Gemeinsame Markt ist, dieser darüber hinaus auch noch auf Kohle und Stahl beschränkt!

    Paul Reuter drückt dies nicht ohne Geist in seinem bereits zitierten Bericht von Stresa aus:

    „Was Artikel 3 angeht, so zielt er keineswegs auf automatische Ergebnisse ab, er weist der Gemeinschaft eine ausgesprochen aktive Rolle zu, da diese die Erreichung von sieben Zielen gewährleisten soll, wobei ihr Vorgehen dreimal durch das Tätigkeitswort ‚fördern‘ und einmal durch das Tätigkeitswort ‚sichern‘ definiert wird, die besonders tatkräftige Verben sind. Sollten die dort aufgezählten sieben Ziele innerhalb der Gemeinschaft verwirklicht sein, dann würden Wohlstand und Ausgeglichenheit ein außergewöhnliches Ausmaß erreicht haben; sollten diese Ziele darüber hinaus auch noch ohne Eingriffe erreicht werden, dann würde der wirtschaftliche Wohlstand auf einmaligen Grundlagen beruhen.“ (a.a.O., S. 41)

    Die Wahrheit liegt — wie häufig — zwischen diesen beiden Extremen, dafür aber nicht notwendigerweise in der Mitte. Wo liegt sie nun tatsächlich?

    Man könnte hier versucht sein, sich auf die moderne nationalökonomische Theorie zu berufen, der es — falls ich sie richtig verstanden habe — gelungen ist, Liberale und Dirigisten miteinander zu versöhnen: Die ersteren sollen danach heute dann die Notwendigkeit von Eingriffen zugestehen — und damit auch der hierfür erforderlichen Einrichtungen —, wenn das spontane Marktgeschehen nicht normal verlaufen sollte (was im Falle einer Enthaltung der Fall sei, da diese notwendigerweise zu Monopolbildungen führen müsse), während die zweiten, die Dirigisten, zugeben sollen, daß das Ziel jedes Eingriffs darin liegen müsse, zu einem Ergebnis zu gelangen, wie es einem ideal funktionierenden Markt entspricht. Und selbst wenn man der Ansicht sein sollte, diese vermittelnde Lehre sei nicht nur reine Theorie, sondern auch von praktischer Bedeutung (worüber gewisse Zweifel am Platze sind), dann steht auf jeden Fall fest, daß sie uns keine, wenn auch nur ungenaue, rechtlichen Anhaltspunkte für die Anwendung des Vertrages liefert. Der Jurist ist anspruchsvoller oder er hat zum mindesten andere Ansprüche, er wünscht nämlich zu wissen, auf welche grundlegenden Vorstellungen der Text zurückgeht, den er auszulegen hat.

    Ausgezeichnet formuliert dies Paul Reuter, den ich mit Ihrer Erlaubnis noch einmal zitiere (a.a.O., S. 17):

    „Rein theoretisch sind zwei völlig geschlossene und logische Systeme denkbar, das eine auf reinen Wettbewerb abstellend und das andere in vollem Umfange dirigistisch. Alle anderen Systeme können als Mischungen zwischen diesen beiden bezeichnet werden, wobei das eine den logischen Rahmen stellt, die Begriffe und Definitionen, im Verhältnis zu denen die Anleihen beim anderen System bemessen werden“,

    und er führt weiter aus, daß die im Vertrag getroffene Regelung allem Anscheine nach von der Wettbewerbswirtschaft ausgeht. Es handelt sich aber, wie ich bereits aus Anlaß der Rechtssache Nr. 1/54 hervorzuheben Gelegenheit hatte, um einen sog. „normalen“ Wettbewerb, der sich im Rahmen bestimmter Regeln „abspielt“, auf deren Einhaltung zu achten gerade Aufgabe der Hohen Behörde ist; dieser Umstand erlaubt es dem bereits zitierten Autor, hinzuzufügen, in diesem Sinne stünden

    „Eingriff und freier Wettbewerb miteinander nicht im Widerspruch: Heutzutage erfolgt der Wettbewerb gestützt auf Eingriffe“ (a.a.O., Seite 18).

    Es lassen sich somit zwei sehr unterschiedliche Arten von Eingriffen unterscheiden:

    1.

    diejenigen, die die Festsetzung der Wettberoerbsregeln selbst und die Durchsetzung ihrer Einhaltung zum Inhalt haben: Es handelt sich hier im wesentlichen um die Durchsetzung der in Artikel 4 erlassenen Verbote, darunter das der Nicht-Diskriminierung (Art. 60 und 70) und der Zusammenschlüsse (Art. 65). In dieser Hinsicht bedarf es einer ständigen Wachsamkeit der Hohen Behörde, und ihre Eingriffe sind nichts Ungewöhnliches, oder genauer, sie sollten nicht als „ausnahmsweise“ angesehen werden, es sei denn, das Verhalten der Beteiligten wäre derart einwandfrei und die Zahl der Übertretungen daher außergewöhnlich gering. Wir haben es hier mit einer Polizeiaktion zu tun, welche wirtschaftlichen Folgen eine solche Aktion auch immer haben sollte;

    2.

    die Eingriffe in die Erzeugung und in das Markigeschehen, die uns im vorliegenden Rechtsstreit interessieren. Auf diese beziehen sich die drei Vorschriften, in denen zum Ausdruck kommt, daß der Vertrag den indirekten Eingriffen den Vorzug gibt, nämlich die beiden Absätze des bereits zitierten Artikels 5 sowie Artikel 57.

    Betrachtet man diese drei Vorschriften genauer, dann drängt sich dreierlei auf. Man stellt zunächst fest, daß Artikel 57 alles klarstellt, was in Artikel 5 nicht einwandfrei zum Ausdruck gekommen sein könnte. Lassen Sie uns den Artikel 57 noch einmal lesen:

    „Auf dem Gebiet der Erzeugung bedient sich die Hohe Behörde vorzugsweise der ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten indirekter Maßnahmen. Solche Möglichkeiten sind:

    die Zusammenarbeit mit den Regierungen usw… (dies ist offensichtlich ein indirektes Mittel);

    das Eingreifen auf dem Gebiet der Preise und der Handelspolitik, wie es dieser Vertrag vorsieht.“

    Nach dem Vertrag stellt somit ein Eingreifen auf dem Gebiet der Preise (z. B. die Festsetzung von Höchstpreisen gemäß Artikel 61), was immerhin einen direkten Eingriff in die Freiheit der Unternehmen bedeutet, einen indirekten Eingriff in die Erzeugung dar. Was heißt das anderes, als daß ein direkter Eingriff in die Preisgestaltung bereits geeignet ist, die Wettbewerbsbedingungen zu verändern und infolgedessen auf „die Erzeugung“ einzuwirken, jedoch auf indirekte Weise, in dem Sinne, daß der freie Wettbewerb nicht beseitigt wird. Dies drückt auch, meines Erachtens in sehr zutreffender Weise, Artikel 61 aus, auf den ich bereits hingewiesen habe; es heißt dort im vorletzten Absatz: „Bei der Festsetzung der (Höchst- oder Mindest-) Preise hat die Hohe Behörde zu berücksichtigen, daß die Wettberoerbsfähigkeit der Kohle- und Stahlindustrie und der Verbraucherindustrie gemäß den in Artikel 3 Absatz c näher bezeichneten Grundsätzen sichergestellt werden muß“, und Sie wissen, wie sehr die „Grundsätze“ des Artikels 3 Absatz c die individuellen Rechte und Interessen der Unternehmen schützen. Es handelt sich hierbei um eine wesentliche Garantie, die im Falle eines direkten Eingriffs in die Erzeugung (Art. 58 und 59) wegfällt, wobei das gesamte Marktgeschehen, insoweit als es auf Wettbewerb gründet, völlig umgestaltet wird.

    An zweiter Stelle noch eine wichtige Bemerkung. Die Abneigung der Verfasser des Vertrages gegen direkte Eingriffe in das Marktgeschehen geht so weit, daß es selbst dann, wenn die für die Zulässigkeit dieser Eingriffe erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen gegeben sind (Art. 58: „offensichtliche Krise“ — es muß tatsächlich zu einer Krise gekommen sein; Art. 59: Vorliegen einer „ernsten Mangellage“ — es genügt nicht, daß das Eintreten einer Mangellage droht, sie muß bestehen), noch erforderlich ist, „daß die in Artikel 57 vorgesehenen Maßnahmen (d. h. die indirekten Maßnahmen) nicht ausreichen“ (entweder um der Krise oder der Mangellage zu steuern): Man hofft immer noch, es werde nicht erforderlich werden, zu den äußersten Mitteln zu greifen.

    Schließlich — und dies ist die dritte Bemerkung — zeigt eine Gegenüberstellung der Vorschriften gleichfalls, neben diesem offensichtlichen Widerwillen gegen die extremen Maßnahmen, daß die Eingriffe in das Marktgeschehen, ganz allgemein, nur im Notfall erfolgen sollen: Diese Voraussetzung, die in den beiden bereits angeführten Absätzen des Artikels 5 enthalten ist, findet sich insbesondere in Artikel 61 bei den Eingriffen auf dem Gebiet der Preise. Dies heißt jedoch nicht, daß die Eingriffe in das Marktgeschehen, die das freie Spiel des Wettbewerbs nicht unterbinden und die mit dem, was man als „Marktwirtschaft“ bezeichnet, vereinbar sind, tatsächlich außergewöhnlich, im Sinne von „selten“, sein sollten. Es hängt dies, wohlgemerkt, von der Konjunktur ab; in weitem Umfange auch von der Politik der Hohen Behörde.

    Den richtigen Ton scheinen mir in dieser Hinsicht die beiden nachfolgenden Abschnitte aus dem Bericht der französischen Abordnung zu treffen:

    Der erste bezieht sich auf die Preise (S. 154):

    „Was die Festsetzung der Preise angeht, so nimmt der Vertrag keinerlei dogmatischen Standpunkt ein. Er unterstellt nicht, daß in der Kohle- und Stahlindustrie eine obrigkeitliche Festsetzung der Preise dauernd erforderlich sei oder daß diese im Gegenteil unbedingt auf außergewöhnliche Zeiträume beschränkt sein müsse. Die Festsetzung von Höchstpreisen ist an die Voraussetzung geknüpft, daß sie zur Erreichung der der Gemeinschaft gesetzten Ziele erforderlich erscheint.“

    Der nächste befindet sich in der Präambel des zweiten Teils, der den Wirtschafts- und Sozialbestimmungen gewidmet ist (S. 71):

    „Wenn sich aus dem Vertrag überhaupt genaue nationalökonomische Vorstellungen herauslesen lassen, dann die, daß es keine — wie auch immer die wirtschaftlichen Gegebenheiten — einheitlich geltende und anwendbare Regeln oder Verfahrensweisen gibt. Die Ziele der Gemeinschaft sollen normalerweise durch einen funktionierenden Markt und die unternehmerische Initiative erreicht werden. Es wäre jedoch unvorstellbar, für außergewöhnliche Zeiträume, in denen ein Eingreifen erforderlich werden sollte, keinerlei entsprechende Sicherheitsmaßnahmen vorzusehen; die im Vertrag festgesetzten Befugnisse mit den sie umgebenden Garantien nun sind solche, deren Nichtvorhandensein die Betroffenen sehr verwundern würde, falls deren entsprechende Voraussetzungen eintreten sollten.“

    Diese Gegenüberstellung ist sehr bezeichnend, weil sich daraus eindeutig entnehmen läßt, welche verschiedenen Vorstellungen einerseits im Hinblick auf die Befugnisse bezüglich der Preise herrschen, auf die zweifellos nur zurückgegriffen wird, falls es notwendig werden sollte, wobei gleichwohl davon ausgegangen wird, daß eine solche Notwendigkeit oft vorkommen kann und daß diese Befugnisse mit einem funktionierenden Markt und der unternehmerischen Initiative verträglich sind, andererseits den „Sicherheitsmaßnahmen“ für den Fall, daß ein „Eingreifen erforderlich werden sollte“, d.h. ein direkter Eingriff in die Erzeugung, der nur für „außergewöhnliche Zeiträume“ vorgesehen ist.

    Es erübrigt sich hinzuzufügen, daß ich diese beiden Abschnitte nur angeführt habe, weil ich glaube, daß sie sehr zutreffend veranschaulichen, was in Wirklichkeit auch schon aus den Vorschriften des Vertrages selbst hervorgeht.

    Sie werden ohne Zweifel verstehen, meine Herren, aus welchem Grunde ich mich für verpflichtet gehalten habe, diese letztere Art von Einschränkungen der Befugnisse der Hohen Behörde, die sich — wie ich mich ausgedrückt habe — auf die „Reihenfolge“ bezieht, in der diese Befugnisse auszuüben sind, näher zu prüfen: Weil wir hier auf die Grundbegriffe der Wirtschaftsverfassung des Vertrages stoßen. Man kann von diesen halten was man will, man muß jedoch, wenn man an einer korrekten, ich würde fast sagen an einer „loyalen“, Auslegung interessiert ist, die Vorschriften, die deren Ausdruck sind, beachten.

    Was die richterliche Nachprüfung der Einhaltung dieser Reihenfolge angeht, so kann sie selbstverständlich nur im Rahmen des Artikels 33 erfolgen.

    Ich glaube, meine Herren, daß es nach dieser Prüfung bereits möglich sein muß, die Frage grundsätzlich zu beantworten, ob eine finanzielle Einrichtung nach Artikel 53 als indirekte Maßnahme dazu verwandt werden kann, eine Änderung in den Produktionsbedingungen herbeizuführen, derart, daß ein Zurückgreifen auf direkte Maßnahmen — wie die Verteilung gemäß Artikel 59 — vermieden wird.

    Diese grundsätzliche Antwort muß, meines Erachtens, in einer Bejahung bestehen, zunächst weil keinerlei Vorschrift entgegensteht und in zweiter Linie, weil dies dem Begriff der finanziellen Einrichtung zuwiderläuft, der — wie wir gesehen haben — auf der Vorstellung des „Ausgleichs“ zu beruhen scheint, jedoch einer ganzen Reihe von Abwandlungen fähig ist — schließlich, weil der Vertrag, wenn ich ihn richtig verstanden habe, eine ganze Stufenfolge, eine wahre Hierarchie von Maßnahmen für die Einwirkung auf die Erzeugung vorsieht, wobei der direkte Eingriff, der das freie Spiel der Marktwirtschaft völlig beseitigt, nur als letztes Mittel vorgesehen ist. Im übrigen stellt — wie wir gleichfalls gesehen haben — eine finanzielle Einrichtung ein indirektes Verfahren der Marktordnung dar. Wenn es daher den Anschein hat, als müsse dieses Verfahren durch bestimmte Modalitäten gekennzeichnet sein, wenn es geeignet sein soll, auf die Produktionsbedingungen so einzuwirken, daß die äußerste Maßnahme der Anwendung direkter Eingriffe vermieden wird, so würde eine solche Entscheidung mit den im Vertrag geäußerten Absichten, wie sie insbesondere in den Artikeln 5 und 57 zum Ausdruck gekommen sind, übereinstimmen.

    Eine solche Entscheidung muß jedoch, wohlgemerkt, alle Einschränkungen beachten, die sich aus dem Vertrag ergeben.

    Ich muß jetzt auf die Entscheidung Nr. 2/57 zurückkommen und prüfen, ob sie diesen verschiedenen Voraussetzungen entspricht.

    Mit dieser Entscheidung wird eine Ausgleichseinrichtung für eingeführten Schrott geschaffen, die unter anderem derart ausgestaltet ist, daß die Belastung mit den Ausgleichsabgaben die Unternehmen ungleich trifft, mit dem Zweck, diese hierdurch zu Schrotteinsparungen anzuregen.

    Die erste Frage in der logischen Reihenfolge geht dahin: Ist die Schaffung der Einrichtung selbst oder vielmehr deren Beibehaltung in der Entscheidung Nr. 2/57 mit dem Vertrag vereinbar? Tatsache ist, daß keiner der Kläger diese Frage aufwirft, weil die Entscheidung nicht grundsätzlich, sondern lediglich teilweise angegriffen wird. Fraglich ist jedoch, ob dies nicht infolge der Einheitlichkeit der Regelung, die ich bereits hervorgehoben habe, von Amts wegen zu prüfen ist. Wie dem auch sei, wir brauchen uns nicht dabei aufzuhalten, und zwar aus folgenden Gründen:

    1.

    Die Frage könnte nur unter dem Gesichtspunkt des Ermessensmißbrauchs geprüft werden: ein Ermessensmißbrauch wird jedoch, was die Beibehaltung der Ausgleichsregelung für eingeführten Schrott angeht, nicht geltend gemacht, alle Kläger stehen vielmehr positiv zu ihr;

    2.

    selbst für den Fall, daß Absatz 1 des Artikels 33 anwendbar sein sollte, könnte dessen Verkennung lediglich unter Berücksichtigung der begrenzten Nachprüfungsbefugnis des Gerichtshofes geltend gemacht werden, wie sie sich aus dem zweiten Satz dieses Absatzes ergibt, der mit den Worten „die Nachprüfung“ beginnt, d. h. im Falle einer „offensichtlichen“ Verkennung. Ließe sich nun behaupten (um mich an die Ausdrucksweise Ihres Urteils Nr. 6/54, Regierung des Königreichs der Niederlande, zu halten), der Gerichtshof könne im vorliegenden Falle das Bestehen einer wirtschaftlichen Lage [feststellen], aus der auf den ersten Blick hervorgeht, daß die angefochtene Entscheidung zur Erreichung der in Artikel 3 des Vertrages … genannten Ziele nicht erforderlich war? Mit anderen Worten, kann man behaupten, nach der am 26. Januar 1957 auf dem Schrottmarkt herrschenden Lage sei die Beibehaltung einer Regelung zum Ausgleich zwischen den Preisen für eingeführten Schrott und für Inlandsschrott ganz offensichtlich unnötig gewesen? Ich halte das für völlig ausgeschlossen.

    Das Problem ist daher auf den Teil der Entscheidung Nr. 2/57 einzuengen, der Gegenstand der Klagen ist, d. h. auf die Bestimmungen, welche die Modalitäten der Belastung mit den Ausgleichsabgaben in der Art und Weise abändern, die Ihnen bekannt ist.

    Zunächst: War diese Änderung, die mittelbar in die Produktionsbedingungen eingreift, überhaupt zur Erreichung der Ziele des Artikels 3 „erforderlich“?

    Meine Herren, die tatsächlichen Gegebenheiten, wie sie im schriftlichen Verfahren und in den mündlichen Ausführungen vorgetragen worden sind, gestatten es meines Erachtens nicht, zu leugnen, daß in den dem Erlaß der Entscheidung Nr. 2/57 vorangegangenen Wochen die Schwierigkeiten der Schrottversorgung innerhalb der Gemeinschaft ernst waren und für die unmittelbare Zukunft schwere Befürchtungen hegen ließen. Daß die Lage sich in der Folge entspannt hat, stimmt zwar, es kommt aber doch für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung offensichtlich auf den dem Erlaß der Entscheidung unmittelbar vorangegangenen Zeitabschnitt an.

    Die Hohe Behörde hatte hier eine „wirtschaftliche Entscheidung“ zu treffen. In Wahrheit war dies, wie Sie wissen, schon seit einiger Zeit vordringlich. Die Ausgleichsregelung für eingeführten Schrott war bis zur Einführung des Ausgleichs „Roheisen/Schrott“ beim klassischen Modell geblieben, d. h. die Aufteilung der aus der Ausgleichsregelung herrührenden Lasten geschah einzig pro Tonne ohne irgendeine Differenzierung, und der „Ausgleichspreis“ wurde von den Brüsseler Organen in Höhe des Durchschnitts der Preise aller Kategorien von Inlandschrott zusammengenommen festgesetzt. Die Hohe Behörde hat selbst ausdrücklich anerkannt, daß diese Regelung, weit davon entfernt, dem Schrottverbrauch Einhalt zu gebieten, so beschaffen war, daß sie selbst einen Anreiz zu solchem Verbrauch bot — daher die Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen: die „Ausgleichsregelung Roheisen/Schrott“ zunächst, die sich als unzureichend erwiesen hat, dann die in der Entscheidung Nr. 2/57 enthaltene Regelung. Die andere „wirtschaftliche Entscheidung“, von der ich gesprochen habe, hätte darin bestanden, sich ausschließlich, zumindest zum größten Teil, auf den Preismechanismus zu verlassen, um zu Schrotteinsparungen zu gelangen. Wenn nun die Hohe Behörde der Auffassung war, es sei nicht möglich, die Ausgleichsregelung für eingeführten Schrott schlechthin aufzuheben, was eine plötzliche Angleichung der Inlandspreise an die Einfuhrpreise zur Folge gehabt hätte (Marginalpreise im vorliegenden Falle) sowie beträchtliche Ungleichheiten in den Versorgungsbedingungen auf dem Markt, hätte sie dann nicht zumindest den Ausgleichspreis dazu verwenden können, um auf irgendeine Weise zwischen den beiden sich widersprechenden Zielen, denen sie sich gegenübergestellt sah, einen Kompromiß zu erreichen? Mit anderen Worten, hätte sie diesen Preis nicht hoch genug ansetzen können, um dadurch zu Schrotteinsparungen anzuregen (und gleichzeitig zur Erhöhung des internen Schrottaufkommens und — was völlig sinnwidrig ist — zur Verhinderung von Schrottausfuhren aus der Gemeinschaft in dritte Länder), gleichwohl jedoch niedrig genug unterhalb des Einfuhrpreises, um die aus dem Preisunterschied zwischen den beiden Schrottkategorien herrührenden Verschiedenheiten auf ein tragbares Maß einzuengen?

    Diese Auffassung ist mit großem Aufwand und — meines Erachtens — nicht ohne eine gewisse Berechtigung vom „Groupement des Hauts Fourneaux et Aciéries Belges“ in der Rechtssache Nr. 8/57 vorgetragen worden, zumindest im schriftlichen Verfahren — denn wie Sie festgestellt haben werden, das mindeste, was man sagen kann, ist, daß die Anwälte dieses Verbandes in ihren Plädoyers hierauf keinen weiteren Nachdruck gelegt haben.

    Eine der Entgegnungen der Beklagten auf diese Auffassung ist unbedingt zurückzuweisen: diejenige, die darin besteht, sich hinter die Brüsseler Organe zu verschanzen, die allein für die Festsetzung des Ausgleichspreises zuständig seien — vorbehaltlich eines Einspruchsrechts der Hohen Behörde. Tatsächlich handelt es sich hier um eine Einrichtung nach Artikel 53 b, d. h. um eine von der Hohen Behörde geschaffene Einrichtung, so daß diese offensichtlich eine Organisationsform wählen muß, die es ihr ermöglicht, darauf hinzuwirken, daß die Linie eingehalten wird, die sie selbst beschlossen hat.

    Meine Herren, wie verführerisch diese Auffassung auch sein möge, sie ist nicht ganz hieb- und stichfest. Es ist zunächst nicht sicher, es steht auf jeden Fall nicht fest, daß der „Kompromiß“, auf welchen ich hingewiesen habe, möglich gewesen wäre, d. h. daß es tatsächlich möglich gewesen wäre, allein durch das — selbst kontrollierte — Spiel des Preismechanismus, die Unternehmen in ausreichendem Maße zu den erforderlichen Schrotteinsparungen anzuregen, ohne allzu plötzliche oder weitreichende Disparitäten bei den Bedingungen der Marktversorgung hervorzurufen. Ferner — und dies gilt auf jeden Fall — sollte tatsächlich eine schlechte Wahl getroffen worden sein, dann bereits am Anfang und nicht erst in dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung Nr. 2/57 erging. Maurice Allais drückt dies sehr richtig in seiner Denkschrift vom 1. September 1957 aus, die seine persönlichen Gedanken über den Kongreß von Stresa wiedergibt (Bulletin de la Société d'Études et de documentation économiques, industrielles et sociales, Nr. 682, S. 20):

    „Diejenigen, die heute die Richtung in der Praxis der EGKS bemängeln, übersehen, daß nach Anerkennung der ersten Maßnahmen der Hohen Behörde als rechtmäßig, alle späteren, ab 1955 getroffenen Maßnahmen unter Berücksichtigung der allgemeinen Ziele des Vertrages auf die ersteren zurückzuführen sind.“

    Diese Auffassung verdient es um so mehr, angeführt zu werden, als sie von einem Verfasser stammt, der ein aufrichtiger Verfechter der monistischen Theorie ist, die einen Ausgleich zwischen Liberalen und Dirigisten anstrebt, der sich jedoch bei allen konkreten Gelegenheiten tatsächlich als Anhänger der liberalen Lösung erwiesen hat.

    Ich bin der Auffassung, daß die „wirtschaftliche Lage“, die zu der von der Hohen Behörde getroffenen Wahl geführt hat, unter diesen Umständen zum mindesten so unterschiedlich beurteilt werden kann, daß der Richter es nicht verantworten könnte, seine Beurteilung an die Stelle derjenigen der Exekutive zu setzen. Nicht lediglich Artikel 33, sondern auch, wenn es diesen Artikel nicht geben sollte, das einfache Gebot der Klugheit, die sich darüber hinaus noch auf die Grundsätze der Gewaltenverteilung berufen kann, verbieten es ihm.

    Nachdem ich den Eingriff somit grundsätzlich für zulässig halte, bedarf es nunmehr der Prüfung, ob die Hohe Behörde die übrigen Einschränkungen ihrer Befugnisse beim Vorgehen nach Artikel 53 b eingehalten hat.

    Zunächst, stimmen die Ziele der Entscheidung überhaupt mit denjenigen des Artikels 3 überein?

    Die Hohe Behörde hat sich in dieser Hinsicht vor allem an die Bestimmungen des Artikels 3 Absatz a gehalten: „… auf eine geordnete Versorgung des Gemeinsamen Marktes … zu achten“.

    Die Mehrzahl der Kläger hat ihr dies zum Vorwurf gemacht, in der Ansicht, daß dieses — in der Aufzählung des Artikels 3 — erste Ziel unter den Aufgaben der Gemeinschaft derart allgemeiner Natur sei, daß ihm überhaupt keine rechtliche Bedeutung zukomme. Dies geht zweifellos zu weit, weil die Bestimmung doch einen klaren Sinn hat, und man könnte sich sehr wohl den Fall einer Verkennung des Artikels 3 a vorstellen. Es steht auch eindeutig fest, daß die Ausgleichsregelung für eingeführten Schrott in ihrer Gesamtheit sehr wohl dem Ziel der „geordneten Versorgung des Gemeinsamen Marktes“ mit Schrott dient. Die Kritik der Kläger zu diesem Punkt ist aber zum Teil tatsächlich berechtigt, wenn sie darlegen, die Verfolgung lediglich des in Absatz a niedergelegten Ziels reiche nicht aus, um jedes Vorgehen der Hohen Behörde zu rechtfertigen. Wie diese selbst dargelegt hat, können mit ein und derselben Entscheidung mehrere Ziele verfolgt werden, und andererseits finden wir hier den Gedanken eines eventuellen Ausgleichs zwischen den verschiedenen Zielen des Artikels 3, wobei die Betonung auf einem von ihnen liegen kann, unter der Bedingung jedoch, daß die anderen nicht vernachlässigt werden.

    Welches ist nun das Ziel oder welches sind die Ziele der Entscheidung Nr. 2/57?

    Hält man sich an die der Entscheidung vorangestellten „Erwägungen“, die ich bereits angeführt habe, so wären es zwei, und zwar 1.:

    „eine geordnete Versorgung mit Schrott zu angemessenen Preisen sicherzustellen“;

    zu diesem Zweck hält es die Hohe Behörde für erforderlich, die mit der Entscheidung Nr. 14/55 eingeführte geltende Regelung beizubehalten; und 2., ich zitiere:

    „Jedoch ist mit Rücksicht auf den steigenden Schrottverbrauch das bisher gehandhabte System dadurch zu verbessern, daß ein Anreiz zur Einsparung von Schrott geschaffen wird, ohne dabei die Schaffung neuer Kapazitäten zur Herstellung von Stahl zu erschweren.“

    Dieser zweite Punkt, der uns hier angeht, gehört noch in gewisser Weise zu dem Ziel des Absatzes a, insofern als die „geordnete Versorgung“ mit einem knappen Rohstoff erfordern kann, daß Einsparungen versucht werden. Ich glaube jedoch, daß der Absatz, der sich am unmittelbarsten auf das zweite, mit der Entscheidung Nr. 2/57 verfolgte Ziel bezieht, der zweite Teil des Absatzes d ist: „darauf zu achten, daß Voraussetzungen erhalten bleiben, die einen Anreiz für die Unternehmen bieten …, eine Politik rationeller Ausnutzung der natürlichen Hilfsquellen unter Vermeidung von Raubbau zu verfolgen“. Bei dieser Formulierung ist, wohlgemerkt, an Grubenerzeugnisse gedacht worden, wie z. B. an Eisenerze. Wenn man jedoch bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise der Eigenart des Schrotts als Rohstoff zur Stahlerzeugung Rechnung trägt, dann dürfte — mutatis mutandis — dieser Absatz sehr genau zutreffen.

    Die Unternehmen zu Schrotteinsparungen anzuregen, und zwar durch eine Politik der rationellen Ausnutzung dieses Rohstoffes, das ist genau das Ziel, das die Hohe Behörde verfolgt hat.

    Hat sie dabei etwa versäumt, die übrigen entgegenstehenden Ziele des Artikels 3 zu berücksichtigen?

    Diese anderen Ziele sind zunächst diejenigen, die ihren Niederschlag im ersten Teil des Absatzes d und am Anfang des Absatzes g gefunden haben, nämlich: Absatz d:„darauf zu achten, daß Voraussetzungen erhalten bleiben, die einen Anreiz für die Unternehmen bieten, ihr Produktionspotential auszubauen und zu verbessern“, und Absatz g:„die geordnete Ausweitung und Modernisierung der Erzeugung sowie die Verbesserung der Qualität… zu fördern“.

    Daß diese letzteren Ziele zu dem von der Hohen Behörde in erster Linie verfolgten Ziel im Widerspruch stehen, scheint mir auf der Hand zu liegen, weil einerseits der technische Fortschritt innerhalb der gesamten Stahlindustrie mehr und mehr die Verwendung von Siemens-Martin- und Elektroofen, die Schrott verbrauchen, angezeigt erscheinen läßt, wobei der Fortschritt darüber hinaus noch zu einer Verringerung des Anfalls von Abfallschrott führt, und weil andererseits die Herstellung gewisser Erzeugnisse, der Spezialstähle, die „edle“ Erzeugnisse sind, bei denen ständig versucht wird, „die Qualität zu verbessern“, technisch und jedenfalls rentabilitätsmäßig nur im Elektroofen möglich ist, in dem ausschließlich Schrott Verwendung findet.

    Ein Ausgleich war daher notwendig, die Hohe Behörde war auch gewillt, ihn zu verwirklichen, wie aus der bereits angeführten Erwägung hervorgeht: zu Schrotteinsparungen anzuregen, „ohne dabei die Schaffung neuer Kapazitäten zur Herstellung von Stahl zu erschweren“.

    Es stimmt zwar, daß hier nur eine Absicht geäußert wird, diese ist aber gleichwohl von Bedeutung, handelt es sich doch um die Bestimmung eines Zieles.

    Man muß sich allerdings durch eine nähere Prüfung der Entscheidung selbst vergewissern, daß das wirklich verfolgte Ziel auch dem erklärten entspricht.

    Meine Herren, dies scheint mir sicher der Fall zu sein: Die ganze Entscheidung Nr. 2/57 zielt, was die Verteilung der aus der Ausgleichsregelung herrührenden Lasten angeht, darauf ab, jedes Unternehmen zu veranlassen, Schrott nur wohlüberlegt zu verbrauchen. Alle Unternehmen sind dank dieser Regelung in der Lage, den auf den Zukaufschrott, den sie verwenden wollen, entfallenden Anteil der Gestehungskosten genau zu errechnen, und sie haben alles Interesse daran, so wenig wie möglich darauf zurückzugreifen, sei es dank eines höheren Roheisenverbrauchs oder der Inbetriebnahme von Anlagen, die weniger Schrott verbrauchen. Entscheiden sich die Unternehmen, diesen Anreiz unbeachtet zu lassen, so werden sie vornehmlich technische Gründe dazu veranlassen, was insbesondere bei Elektrostahlwerken der Fall sein wird, die Edelstahle herstellen. Das verfolgte Ziel ist also verwirklicht worden: die rationellste Verwendung dieses zu knappen Rohstoffes zu fördern, ohne dabei die Schaffung neuer Kapazitäten zur Herstellung von Stahl zu erschweren. Kurz, zwischen allen Verbrauchern wird eine Solidarität hergestellt; alle ziehen daraus Nutzen, weil die aus der Ausgleichsregelung herrührende Belastung das Gegenstück zu der Beibehaltung der Ausgleichsregelung für eingeführten Schrott darstellt, die, zu Recht oder Unrecht, für die Gewährleistung einer geordneten Versorgung zu einem als „angemessen“ erachteten durchschnittlichen Preis als unumgänglich angesehen wird, wobei die relative Belastung für jeden einzelnen um so höher ist, je dringender er den Schrott benötigt.

    Im Verhältnis zu den Absätzen d und g scheint mir die Entscheidung Nr. 2/57 im Ergebnis die gesetzlichen Ziele nicht verkannt zu haben; das gleiche gilt aus den gleichen Gründen für den in der Rechtssache 8/57 gerügten, angeblich in der Entscheidung selbst enthaltenen „inneren Widerspruch“.

    Das andere Ziel, das nach Ansicht aller Kläger mit der Entscheidung verkannt worden sei, ist das des Artikels 3 Absatz b:„allen in vergleichbarer Lage befindlichen Verbrauchern des Gemeinsamen Marktes gleichen Zugang zu der Produktion zu sichern“. Dieser Vorwurf hängt eng mit dem zusammen, der sich auf Artikel 4 — das Diskriminierungsverbot — bezieht. Vorbehaltlich dessen, was ich später noch im Zusammenhang mit diesen beiden Bestimmungen zum Ermessensmißbrauch sagen werde, will ich diese Vorwürfe jetzt zusammen dem Grunde nach prüfen. Es hat tatsächlich den Anschein, als ob der Anwendungsbereich des Artikels 3 b denjenigen des Artikels 4, somit auch von dessen Absatz b, vollständig deckte. Dies geht zum mindesten aus dem Bericht der französischen Delegation hervor, den ich glaube, noch einmal zitieren zu müssen (S. 103):

    „Um andererseits jedem einzelnen Wirtschaftsgebiet in diesem Teil der Welt einheitliche Entwicklungsgrundlagen zu sichern, kommt es wesentlich darauf an, daß alle in vergleichbarer Lage befindlichen Verbraucher zu vergleichbaren Preisen versorgt werden (es handelt sich also um Artikel 3 b). Diese Voraussetzung ist durch die Beseitigung der Mengenbeschränkungen und der Zölle, eine Anpassung der Verkehrstarife und schließlich durch das den Verkäufern auferlegte Diskriminierungsverbot gegeben.

    Dieses letztere Verbot stellt daher einen der Aspekte der sehr allgemeinen Regel des Artikels 3 b dar. Im vorliegenden Falle handelt es sich jedoch weder um Zölle noch um Verkehrstarife, sondern lediglich um das Diskriminierungsverbot auf dem Gebiet der Preise.

    Ich sehe mich somit gezwungen, das gefürchtete Gebiet des Diskriminierungsverbots zu betreten. Ich werde dort jedoch nur so kurz wie möglich verweilen, weil es zweifellos meine Möglichkeiten übersteigt, eine Theorie der Diskriminierung aufzustellen, was — wie ich zum mindesten glaube — für die Lösung des Rechtsstreits auch nicht erforderlich ist.

    Ich möchte mich zunächst auf den Hinweis beschränken, daß das Diskriminierungsverbot nach meiner Meinung notwendigerweise von verschiedenen Gesichtspunkten aus zu beurteilen ist, je nachdem, ob das Verhalten eines Unternehmens oder das einer Behörde zu prüfen ist, und was das letztere Verhalten angeht, je nachdem, ob es vermittels eines dirigistischen Eingriffs in das Marktgeschehen erfolgt oder nicht.

    Was die von den Unternehmen auf dem Gebiet der Preise begangenen Diskriminierungen angeht, so finden sich entsprechende Anhaltspunkte in einer besonderen Bestimmung des Vertrages, mit der Sie wohl vertraut sind, in Artikel 60. Dieser Artikel verbietet die „Praktiken unlauteren Wettbewerbs“ und „die diskriminierenden Praktiken, die auf dem Gemeinsamen Markt die Anwendung von ungleichen Bedingungen auf vergleichbare Geschäfte durch ein und denselben Verkäufer mit sich bringen, insbesondere wenn die Käufer wegen ihrer Nationalität unterschiedlich behandelt werden“. Da es sich hier um privatrechtliche Beziehungen handelt, werden vergleichbare Geschäfte — ein Begriff, der genauer ist als der der vergleichbaren Lage — zugrunde gelegt. Nichtsdestoweniger hat, wie Sie wissen, die Hohe Behörde, obwohl sie Artikel 60 dazu ermächtigt, darauf verzichten müssen, in einer Entscheidung näher zu bezeichnen, was unter vergleichbaren Geschäften zu verstehen sei. Wieviel schwieriger muß es da ohne Zweifel sein, den Begriff der vergleichbaren Lage beim Vorgehen der Hohen Behörde in eine Formel zu fassen.

    Dieser Begriff scheint eng mit dem in den innerstaatlichen Rechtsordnungen herrschenden „Gleichheitsgrundsatz“ zusammenzuhängen, den alle unsere Länder kennen und auf den sich im übrigen mehrere Klagen stützen. Es handelt sich hier unbestreitbar um einen jener „allgemeinen Rechtsgrundsätze“, die der Gerichtshof gegebenenfalls beachten kann und muß. Ich will diese Frage kurz nach französischem und nach deutschem Recht prüfen.

    Im französischen Recht ist der Gleichheitsgrundsatz in der Rechtsprechung des „Conseil d'Etat“ entwickelt worden. Dieser hält es tatsächlich für einen ungeschriebenen Rechtsgrundsatz, daß „für jeden, der sich einer Behörde gegenüber in der gleichen Lage befindet, auch die gleichen Vorschriften gelten müssen“. Der „Conseil d'Etat“ hat auf diese Weise den Grundsatz der Gleichheit aller Staatsbürger vor der Gesetzgebung über die öffentlichen Lasten, der Gleichheit vor der Steuergesetzgebung, der Gleichbehandlung bei der Benutzung öffentlicher Einrichtungen und der Gleichheit vor der Wirtschaftsgesetzgebung herausgearbeitet ( 1 ). Ich kann nicht daran denken, diese Rechtsprechung hier vollständig darzulegen, und werde mich daher darauf beschränken, zu der letztgenannten Frage, die uns hier angeht — der Gleichheit vor der Wirtschaftsgesetzgebung —, die folgenden vier Urteile anzuführen:

    i.

    Syndicat départemental des industriels en lentilles de la Raute-Loire“,30. Januar 1948, Recueil, Seite 43. Dieses Urteil bestätigt den Grundsatz der Gleichbehandlung von Kaufleuten durch die Nichtigerklärung einer Entscheidung, die einige Importeure unter willkürlichem Ausschluß des Zwischenhandels zwang, ihren Bedarf an Linsen „allein bei den Erzeugern — ob einzeln oder genossenschaftlich zusammengeschlossenen —“ zu decken.

    2.

    Societe des ciments français“,22. März 1950, Recueil, Seite 175, ein Urteil, das eine Entscheidung für rechtmäßig erklärt, in der für ein und dasselbe Erzeugnis ein einheitlicher Preis festgesetzt wird, wodurch infolge der unterschiedlichen Standortbedingungen zwischen den Unternehmen eine Ungleichheit geschaffen wird. Der Gleichheitsgrundsatz bedeutet danach Gleichheit vor dem Recht und nicht Gleichheit in tatsächlicher Hinsicht.

    3.

    Les Savonneries de Bourgogne“,16. Februar 1946, Recueil, Seite 49, ein Urteil, in welchem die willkürliche Zuweisung der Talggewinnung an eine einzige Siederei, obwohl im gleichen Departement noch weitere vorhanden waren, für rechtswidrig erklärt wird.

    4.

    C ie navale des petroles“, 13. Juni 1947, Recueil, Seite 265, wo es sich umgekehrt um die willkürliche Ausschließung eines Unternehmens von Geschäften handelt, die anderen, die das gleiche Gewerbe betreiben, gestattet waren.

    Aus diesen wenigen Beispielen ist ersichtlich, wie weitgehend Eingriffe in die Wirtschaft von allein den Anwendungsbereich des Gleichheitsgrundsatzes einengen. Ich sehe dabei von einem weiteren Vorbehalt ab, der nach dem Conseil d'Etat bei der Anwendung dieses Grundsatzes zu beachten ist, derjenige des öffentlichen Interesses, das stets unter Verletzung dieses Grundsatzes ergangene Maßnahmen rechtfertigt: Solche Vorbehalte, die im Rahmen der innerstaatlichen Souveränität denkbar sind, scheiden jedoch bei der Anwendung des Vertrages aus, dessen Vorschriften für die Gemeinschaft verbindlich sind.

    Was das deutsche Recht angeht, so möchte ich Ihnen einige Abschnitte aus dem Werk von Huber, Wirtschafts-Verwaltungsrecht, Tübingen 1954, über Wirtschaftslenkung und Gleichheitssatz vortragen, die mir sehr interessant erschienen sind:

    „a)

    Es ist fast allgemein anerkannt, daß die in Artikel 3 GG statuierte, Gleichheit vor dem Gesetz' auch den Gesetzgeber bindet, und zwar in dem Sinne, daß in den Gesetzen Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden muß. Damit ist die differenzierende Behandlung von Tatbeständen statthaft, die nur bei einer formalistischen Betrachtung als gleichgelagert erscheinen, während bei einer auf das Wesen achtenden Betrachtung ihr unterschiedlicher Charakter hervortritt. Die sachlich gebotene Differenzierung wesenhaft ungleichartiger Tatbestände ist dem Gesetzgeber geradezu zur Pflicht gemacht

    c)

    Mit dem Gleichheitssatz ist ein derart differenzierendes System der Wirtschaftslenkung vereinbar, solange der Gesetzgeber sich von vernunftgemäß begründeten Erwägungen leiten läßt und nicht zu willkürlichen Privilegien und Diskriminierungen übergeht. Auch im Rahmen der wirtschaftslenkenden Gesetzgebung ist es die legitime Aufgabe des Gesetzgebers, wertend zu entscheiden, welche Tatbestände als gleichgelagert und welche als ungleichgelagert anzusehen und entsprechend zu behandeln sind. Das kann in der Bedarfslenkung zu starken Verschiedenheiten der Kontingentierung, zu einer stark differenzierten Skala von Dringlichkeitsstufen oder zu einer scharfen Unterscheidung von Inlandsverbrauch und Auslandsabsatz führen, ohne daß das Gleichheitsprinzip preisgegeben ist.

    Allerdings ist zwischen Differenzierung und Diskriminierung, also zwischen sachlich begründeten Werturteilen und unsachlichen Willkürurteilen, sorgfältig zu unterscheiden. Einwendungen gegen wirtschaftslenkende Gesetze, die Differenzierungen vorsehen, können aus Artikel 3 GG solange nicht hergeleitet werden, als der Gesetzgeber sich nicht der willkürlichen Begünstigung oder Benachteiligung schuldig macht.“

    Ich glaube, daß es im Ergebnis — um die Tragweite des Diskriminierungsverbotes richtig einzuschätzen — vor allem auf den Begriff der Willkür ankommt, wenn es sich um eine interventionistische Entscheidung der Hohen Behörde handelt.

    Stellt man im vorliegenden Fall auf die Unternehmen selbst ab, so scheint eine Diskriminierung sicher nicht vorzuliegen. Auch wenn man auf die Unternehmensarien abstellt, glaube ich nicht, daß sich eine Überschreitung des Diskriminierungsverbotes feststellen läßt, sei es durch die Anwendung gleicher Vorschriften auf nicht vergleichbare Lagen oder durch die Anwendung unterschiedlicher Vorschriften auf vergleichbare Lagen.

    Gleichwohl scheinen in zweierlei Hinsicht Zweifel am Platze, so daß es hier einer näheren Prüfung bedarf. Der erste Fall betrifft die „Edelstahlwerke“; der zweite die Anwendung unterschiedlicher Vorschriften, und zwar je nach dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme der Anlagen.

    Was die Edelstahlwerke angeht, so könnte man unter zweierlei Gesichtspunkten an eine Diskriminierung denken (was die Kläger auch tun): zunächst die Diskriminierung schlechthin auf dem Gebiet der Preise. Die Entscheidung Nr. 2/57 würde, was diese Unternehmen angeht, zu einem doppelten Preis führen (man hat selbst von einem doppelten Sektor gesprochen), weil es diesen unmöglich sei, ihren Schrotteinsatz fühlbar zu verringern.

    Meine Herren, falls Sie die Ausführungen für zutreffend halten, die ich eben vorgetragen habe, müßten Sie diese Behauptung zurückweisen: Der Unterschied in den Gestehungskosten für Schrott, der sich für die verschiedenen Unternehmen aus der Entscheidung Nr. 2/57 ergibt, darf nicht als ein Preisunterschied bei ein und demselben Erzeugnis betrachtet werden. Es handelt sich hier um die Auswirkungen der Modalitäten für die Verteilung der aus der Ausgleichsregelung herrührenden Lasten nach den in der Entscheidung Nr. 2/57 enthaltenen Kriterien, zu deren Bedeutung ich mich bereits geäußert habe.

    Es ist auch von Steuern gesprochen worden. Allein, meine Herren, wenn es wirklich so sein sollte, daß sich hier ein Analogieschluß zu der steuerlichen Belastung ziehen ließe, so möge der Hinweis darauf genügen, daß es Steuern der Verteilung gibt und daß der Grundsatz der Gleichheit vor der Steuergesetzgebung mit ungleichen Verteilungsmodalitäten keineswegs unvereinbar ist, soweit letzteren objektive Kriterien zugrunde liegen.

    In Wirklichkeit (und dies ist der andere Aspekt, unter dem die Frage der Diskriminierung einer Kategorie von Unternehmen gegenüber zu prüfen ist) ist erforderlich, und die Betroffenen haben einen Anspruch darauf, daß die Gleichheit der Wettberoerbsbedingungen für die betreffende Kategorie nicht beeinträchtigt werde.

    Es ist Ihnen geläufig, daß Artikel 67, der allein ein ganzes Kapitel des Vertrages bildet, in vollem Umfang den „Beeinträchtigungen der Wettbewerbsbedingungen“ gewidmet ist. Diese Vorschrift stellt in Wahrheit nur auf die Eingriffe der Mitgliedstaaten ab; es läßt sich aus ihr jedoch entnehmen, welche Bedeutung diesen Beeinträchtigungen für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes — der völlig auf Wettbewerb eingestellt ist — zugebilligt wird. Es existiert vor allem noch eine andere Bestimmung, auf die ich schon hingewiesen habe und die ihrerseits auf Eingriffe der Hohen Behörde — auf dem Gebiet der Preise — Anwendung findet: nämlich Artikel 61, vorletzter Absatz: „Bei der Festsetzung der Preise hat die Hohe Behörde zu berücksichtigen, daß die Wettbewerbsfähigkeit der Kohle- und Stahlindustrie und der Verbraucherindustrie gemäß den in Artikel 3 Absatz c näher bezeichneten Grundsätzen sichergestellt werden muß.“ Ich glaube, daß diese Bestimmung auch bei den finanziellen Einrichtungen, die die Preise betreffen, zu beachten ist.

    Beeinträchtigt die Entscheidung Nr. 2/57 die „Wettbewerbsfähigkeit“ gewisser Arten von Unternehmen? Diese Frage war, wie Sie sich erinnern, im Zusammenhang mit den Edelstahlproduzenten umstritten. Nun besteht jedoch zwischen diesen Produzenten und den Erzeugern anderer Stahlsorten innerhalb der Gemeinschaft kein Wettbewerb. Die Frage stellt sich nur im Verhältnis solcher Konkurrenten, die in dritten Ländern die gleichen Erzeugnisse herstellen; hier stellt sie sich aber auch.

    Sie erinnern sich, meine Herren, daß Zahlen genannt worden sind.

    Auf Grund teils geschätzter, teils buchmäßig belegter Zahlenunterlagen versuchen die Kläger, den Gerichtshof davon zu überzeugen, daß die Anwendung des Ergänzungssatzes eine Erhöhung der Gestehungskosten bei Edel- und Spezialstählen von ungefähr 5 % zur Folge haben würde. Die Hohe Behörde bestreitet die Richtigkeit dieser Zahlenangaben ausdrücklich, indem sie einerseits die geschätzten in Zweifel zieht (Zugrundelegung früherer Verkaufspreise, eines zukünftigen Ergänzungssatzes in maximaler Höhe, eines Basissatzes für die Ausgleichsabgabe, von dem angenommen wird, daß er mindestens in Höhe von 10 Dollar beibehalten werde), und andererseits auf eine Anzahl in der Entscheidung enthaltener Vorschriften hinweist, die geeignet sind, die Ausgleichsabgabe zu verringern (Herausnahme des legierten Schrotts; Möglichkeit von Ermäßigungen bei Verringerung des Schrotteinsatzes in immerhin nicht unbeträchtlichem Umfang, wie aus vorgelegten Urkunden hervorgehe, usw …).

    Sie sehen bereits, meine Herren, daß nichts von alledem entscheidend ist. Es sind keinerlei genaue Angaben vorgelegt worden über die Lage der Edelstahlindustrie (ob gespannt, schwierig oder entspannt), was den Absatz ihrer Erzeugnisse auf den ausländischen Märkten oder die Verteidigung ihrer Positionen im Inland gegen Einfuhren angeht. Ich halte es daher nicht für erwiesen, daß die vorhersehbaren Auswirkungen der Entscheidung Nr. 2/57 geeignet gewesen seien, die Wettbewerbsfähigkeit der Edelstahlproduzenten zu beeinträchtigen, so daß es erforderlich gewesen wäre, den betreffenden Industriezweig aus der Ausgleichsregelung auszunehmen oder für ihn besondere Vorschriften vorzusehen.

    Der zweite Gesichtspunkt, der geeignet ist, Zweifel auftauchen zu lassen, bezieht sich, wie gesagt, auf den Zeitpunkt der Inbetriebnahme der neuen Anlagen, darauf, ob der Entzug jeglichen Referenzverbrauches für die nach dem 31. Januar 1958 in Betrieb genommenen Anlagen eine diskriminierende Maßnahme darstellt.

    Meine Herren, hält man die von mir am Anfang meiner Ausführungen gegebene Auslegung der Entscheidung Nr. 2/57 für richtig, dann wäre dies nicht der Fall. Die ungleiche Verteilung der aus der Ausgleichsregelung herrührenden Lasten, wie sie der Entscheidung Nr. 2/57 zugrunde liegt, geht tatsächlich auf die Absicht zurück, durch die Schaffung eines Anreizes für die Unternehmen, ihren Verbrauch soweit wie möglich einzuschränken oder sowenig wie möglich auszuweiten, das Anwachsen des Schrottverbrauches einzudämmen. Es liegt daher in der Logik der Dinge, die neuen Anlagen schwerer zu belasten, weil dies darauf hinausläuft, zur Erstellung neuer Anlagen mit geringerem Schrottverbrauch anzuregen; im übrigen werden sich, wie ich bereits dargelegt habe, die Unternehmen nur insoweit, als sie der Ansicht sein sollten, sie hätten trotz der Erhöhung der daraus für sie herrührenden Lasten ein Interesse an einem höheren Schrottverbrauch, hierzu entschließen, was im Ergebnis auf einen rationelleren Verbrauch dieses •Grundstoffes, zu seiner „wirtschaftlichsten“ Verwendung im wahrsten Sinne des Wortes führen wird.

    Die Hohe Behörde war jedoch — zu Recht — der Auffassung, •daß eine sofortige Anwendung dieser Vorschriften unbillig gewesen wäre, die Auswirkungen der neuen Entscheidung hätten nämlich bei den noch nicht in Betrieb genommenen, aber bereits im Bau befindlichen oder in Auftrag gegebenen Anlagen in keiner Weise berücksichtigt werden können. Daher die angefochtene Bestimmung, •die, weit davon entfernt diskriminierender Natur zu sein, im Gegenteil — wie wir bereits gesehen haben — eine Übergangsmaßnahme mit dem Ziel darstellt, die neuen Vorschriften erst nach und nach in Kraft treten zu lassen. Es läßt sich in diesem Zusammenhang meines Erachtens die Bedeutung der ineinandergreifenden Vorschriften der Artikel 9 und 6 Absatz 3 der angefochtenen Entscheidung nicht genug hervorheben, die selbst für nach dem 31. Januar 1958 in Betrieb genommene Anlagen im Falle einer Verringerung des Schrotteinsatzes Ermäßigungen vorsehen.

    Um mit der Verkennung der Bestimmungen des Artikels 4 abzuschließen, ist noch kurz auf die in der Rechtssache 13/57 gerügte Verkennung des Artikels 65 einzugehen.

    Die Urheber dieser Klage schließen aus der Verweisung in Absatz b des Artikels 53 auf Absatz a des gleichen Artikels und von diesem letzteren auf Artikel 65 darauf, daß die Hohe Behörde gehalten sei, die Bestimmungen des Artikels 65 § 2 b zu beachten, wonach die genehmigte Vereinbarung keine „weitergehenden Einschränkungen [vorsehen darf], als dies ihr Zweck erfordert“. Die Verweigerung eines Referenzverbrauches für die unter Artikel 6 Absatz 3 der angefochtenen Entscheidung fallenden Anlagen sowie die zusätzliche Belastung des Mehrverbrauches seien nach Ansicht der Kläger „weitergehende Einschränkungen, als dies der Zweck einer Ausgleichsregelung für eingeführten Schrott erfordert“. Es ist dies, wie Sie sehen, meine Herren, ein leicht mißbräuchliches Verfahren, um die Entscheidung Nr. 2/57 selbst noch einmal grundsätzlich in Frage zu stellen, ohne dabei etwas Neues vorzutragen, denn es ist ja offensichtlich nicht die „Ausgleichsregelung für eingeführten Schrott“ selbst, die den angefochtenen Teil der Entscheidung Nr. 2/57 trägt. Selbst wenn man daher der Auffassung sein sollte, die Verweisung auf Artikel 65 beziehe sich auf die Einrichtungen nach Artikel 53 Absatz b und nicht nur auf diejenigen nach Absatz a (wozu ich persönlich neige, weil Artikel 65 bei den von der Hohen Behörde geschaffenen Einrichtungen gleichfalls zu beachten ist), halte ich diese Berufung auf Artikel 65 für belanglos.

    Es bleibt noch zu prüfen, ob mit der angefochtenen Entscheidung diejenigen Bestimmungen des Vertrages beachtet worden sind, die ich als „spezifisch“ bezeichnet habe.

    Die Frage ist, wie Sie wissen, in zweifacher Hinsicht aufgeworfen worden, nämlich im Hinblick auf Artikel 59 und im Hinblick auf Artikel 54.

    Was Artikel 59 angeht, so halte ich die Frage für sehr einfach: Dieser Artikel enthält genaue Tatbestandsmerkmale und Verfahrensvorschriften für eine Verteilung des Aufkommens an Kohle und Stahl, und zwar sowohl unter die Mitgliedstaaten als auch unter die Unternehmen. Der Wortlaut ist völlig eindeutig: Er stellt ausschließlich auf eine Verteilung in natura ab, d. h. in Kategorien und Mengen, und auf nichts anderes. Man hat sich auch auf Artikel 58 berufen, der es nach einer Einführung von Quoten im Falle einer Krise gestattet, „die Kapazitätsausnutzung der Unternehmen durch geeignete Umlagen auf die Mengen [zu] regeln, die ein Vergleichsniveau überschreiten, das durch eine allgemeine Entscheidung festgesetzt worden ist“, d. h. auf dem Wege über eine finanzielle Einrichtung. Was nun aber gerade für den Fall einer Krise vorgesehen ist, ist es für den Fall einer Mangellage nicht (ein Unterschied, der im übrigen leicht erklärlich ist), und Artikel 53 erwähnt in seinem Anfang nicht zufällig zwei Bestimmungen, die für besondere Fälle bereits finanzielle Einrichtungen vorsehen, nämlich Artikel 58 und (unter der Bezeichnung „Kapitel V des Titels III“) Artikel 62.

    Der einzige Fall, in welchem eine finanzielle Einrichtung somit gegen die Bestimmungen des Artikels 59 verstieße (sei es durch Verletzung oder auf dem Wege über einen „Verfahrensmißbrauch“ [détournement de procédure]), wäre dann gegeben, wenn die Vorschriften dieser Einrichtung sich in Wirklichkeit in einer Verteilung auswirken würden. Dies würde hier z. B. dann der Fall sein, wenn erwiesen wäre, daß für eine bestimmte Kategorie von Unternehmen oder Anlagen der Schrottanteil bei den Gestehungskosten infolge der angefochtenen Entscheidung so beschaffen ist, daß jede Erhöhung des Schrottverbrauches prohibitiv wirken würde und infolgedessen unmöglich wäre. Dies ist aber nicht einmal behauptet worden.

    In Wirklichkeit geht die Entscheidung dahin, zur Einschränkung auf den unbedingt erforderlichen Schrottverbrauch anzuregen, was unzweideutig eine „indirekte Maßnahme“ darstellt, von der man sich eine Vermeidung extremer Verteilungsmaßnahmen erhoffen kann. Die angefochtene Entscheidung ist also weit davon entfernt, eine Verletzung des Artikels 59 darzustellen; sie entspricht ihm vielmehr voll und ganz.

    Was den Artikel 54 über die Investitionen angeht, so sind ihm im mündlichen wie auch im schriftlichen Verfahren lange Ausführungen gewidmet worden, so daß ich es für unnötig halte, näher auf ihn einzugehen. Ich darf nur darauf hinweisen, daß Artikel 54 ein eindeutig festgelegtes Ziel hat, nämlich der Hohen Behörde zu gestatten, die Unternehmen bei der Verwirklichung ihrer Investitionsprogramme finanziell zu unterstützen und gewisse Maßnahmen vorzusehen, „um eine aufeinander abgestimmte Entwicklung der Investitionen zu begünstigen“. Wie gewöhnlich werden die zu diesem Zweck erforderlichen Befugnisse der Hohen Behörde unter genau umrissenen Voraussetzungen übertragen.

    Dies will natürlich nicht heißen, daß eine Beeinflussung der Investitionen der Unternehmen nur kraft dieser Bestimmung möglich wäre. Sie könnte vermittels einer ganzen Reihe auf Grund vieler Artikel des Vertrages ergangener Entscheidungen erfolgen, und es unterliegt keinem Zweifel, daß die in das Marktgeschehen und noch mehr die in die Produktion eingreifenden Entscheidungen insbesondere die Investitionen beeinflussen können. Welches die Auswirkungen der Entscheidung Nr. 2/57 auf die Verwirklichung der Investitionen der Unternehmen jedoch auch immer sein sollten, ich sehe nicht ein, inwiefern mit ihr die spezifische Bestimmung des Artikels 54 durch einen Eingriff in das dieser Vorschrift vorbehaltene Gebiet verkannt worden sein kann.

    Ich bin im Ergebnis folgender Auffassung:

    In tatsächlicher Hinsicht:

    1.

    Die angefochtenen Bestimmungen der Entscheidung Nr. 2/57 stellen nur eine der Modalitäten der von der Hohen Behörde kraft Artikel 53 b zur Gewährleistung eines Preisausgleiches zwischen eingeführtem Schrott und Inlandschrott geschaffenen finanziellen Einrichtung dar;

    2.

    mit diesen Modalitäten wird im Rahmen der Regelung ein ganz bestimmter Zweck verfolgt, nämlich alle Schrott verbrauchenden Unternehmen der Gemeinschaft zu Schrotteinsparungen anzuregen, „ohne dabei die Schaffung neuer Kapazitäten zur Herstellung von Stahl zu erschweren“;

    3.

    dieser Zweck muß durch eine ungleiche Verteilung der aus de Ausgleichsregelung herrührenden Lasten erreicht werden, und zwar durch eine Staffelung der Schrottkosten in der Weise, daß die Ausweitung der Stahlerzeugung nur insoweit durch erhöhte Schrottverwendung erfolgt als unbedingt erforderlich.

    In rechtlicher Hinsicht:

    1.

    Die kraft Artikels 53 des Vertrages geschaffenen finanziellen Einrichtungen stellen indirekte Verfahren der Marktordnung dar;

    2.

    diese Einrichtungen können notfalls zum indirekten Eingriff in die Produktion verwandt werden und sind nach Artikel 57 den direkten Eingriffen vorzuziehen;

    3.

    sie müssen einem oder mehreren der in Artikel 3 des Vertrages als Aufgaben der Gemeinschaft aufgezählten Ziele entsprechen, ohne die anderen dabei jedoch aufzuopfern, wobei es eventuell erforderlich werden kann, daß diese Ziele miteinander in Einklang gebracht werden, was dann wiederum im Rahmen von Artikel 33 der richterlichen Nachprüfung unterliegt;

    4.

    die in Artikel 4 enthaltenen Verbote sind zu berücksichtigen;

    5.

    die spezifischen Bestimmungen des Vertrages sind zu beachten.

    Ich bin schließlich der Auffassung, daß die Entscheidung Nr. 2/57, innerhalb der durch die Anträge, die Angriffs- und Verteidigungsmittel der Parteien sowie der Zuständigkeit des Gerichtshofes gezogenen Grenzen, allen diesen Anforderungen entspricht.

    Diese Schlußfolgerung, meine Herren — sowie der Wunsch, diese bereits zu lang geratenen Ausführungen zum Abschluß zu bringen —, gestatten es mir, die von den Parteien aufgeworfenen Verfahrens- und Zulässigkeitsfragen nur sehr oberflächlich zu behandeln.

    Was zunächst die Frage des Ermessensmißbrauchs angeht, die Definition und Tragweite dieses Begriffes nach dem Vertrag, so habe ich mich hierzu bereits sehr, vielleicht sogar zu eingehend geäußert; ich kann nicht noch einmal darauf zurückkommen.

    Diese Zurückhaltung ist meines Erachtens um so eher gerechtfertigt, als die Rechtsprechung des Gerichtshofes zu dieser Frage festzustehen scheint. Zieht man nämlich ihre Urteile heran, so läßt sich feststellen, daß Sie in jedem einzelnen Fall den Ermessensmißbrauch als folgendes betrachtet haben: als eine Verkennung des gesetzlichen Zweckes seitens der Hohen Behörde bei der Ausübung ihrer Befugnisse (Urteil 1/54, Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes, Bd. I, S. 34; Urteil 6/54, Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes, Bd. I, S. 238/239). Das letztere Urteil enthält eine der am häufigsten zur Bezeichnung des klassischen Ermessensmißbrauchs verwandten Formulierungen, nämlich „[die Ausübung der Befugnisse durch die Hohe Behörde] zu einem anderen Zweck … als zu demjenigen, für den ihr diese Befugnisse gewährt worden sind“.

    In Ihrem Urteil 8/55 vom 29. November 1956 ist diese Formulierung durch den Begriff des „schwerwiegenden Mangels an Voraussicht oder Umsicht“ ergänzt worden, worüber in der mündlichen Verhandlung ausführlich die Rede gewesen ist. Meine Herren, ich stimme mit dem Anwalt der Hohen Behörde darin überein, daß es Ihnen und nur Ihnen allein obliegt, Ihre Urteile gegebenenfalls auszulegen. Ich muß jedoch sagen, daß die in Frage stehende Formulierung meiner Ansicht nach die sogenannte klassische Definition, wie Sie diese früher zugelassen haben, nicht berührt, sondern sich darauf beschränkt, ein Beweiserfordernis näher zu bezeichnen. Um sich hiervon zu überzeugen, ist es erforderlich, aber auch ausreichend, den ganzen Absatz zu lesen, aus dem diese Formulierung stammt:

    „Selbst wenn der Beklagten bei der Auswahl der Unterlagen für ihre Berechnungen gewisse Fehler unterlaufen sein sollten, wie dies z. B. im Hinblick auf das Vergleichsjahr der Fall ist und wie es sich auch bei den Abschreibungen und bei der Zusammenfassung der Kohlenarten herausstellen könnte, so würde daraus noch nicht folgen, daß mit diesen Irrtümern ipso facto der Nachweis für das Vorliegen eines Ermessenmißbrauchs erbracht wäre, wenn nicht gleichzeitig bewiesen würde, daß die Hohe Behörde im vorliegenden Falle objektiv, infolge schwerwiegenden Mangels an Voraussicht oder Umsicht, was einer Verkennung des gesetzlichen Zweckes gleichkäme, andere Ziele als diejenigen verfolgt habe, zu deren Erreichung die in § 26, 2a vorgesehenen Befugnisse übertragen worden sind.“ (Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes, Bd. II, S. 317/318)

    Was heißt das anderes, als daß Tatsachenirrtümer als solche allein — oder wie Sie sagen ipso facto — zum Nachweis für das Vorliegen eines Ermessensmißbrauchs nicht ausreichen, daß diese Irrtümer jedoch dann, wenn sie — wegen ihrer Art, Schwere und Natur — „unentschuldbar“ sind — solcherart, daß sie, wäre wirklich das gesetzliche Ziel verfolgt worden, vernünftigerweise nicht erklärt werden könnten, ohne (was bei einer Behörde nicht vermutet wird) einen „schwerwiegenden Mangel an Voraussicht oder Umsicht“ erkennen zu lassen —, beweisen, daß die Behörde tatsächlich ein anderes als das gesetzliche Ziel verfolgt hat, da ihr Verhalten sonst unverständlich wäre.

    Was die Anwendung auf den vorliegenden Fall angeht, so werde ich mich auf die nachfolgenden Bemerkungen beschränken.

    Zunächst zu Artikel 4 des Vertrages, der die Verbote enthält. Ich glaube, daß ein Ermessensmißbrauch hier nicht denkbar ist. Hätte die Hohe Behörde bei der Verfolgung der Ziele des Artikels 3 — wozu sie gemäß Artikel 53 gehalten ist — die Verbote des Artikels 4 übertreten, dann hätte sie damit die Bestimmungen dieses Artikels verletzt und nicht etwa einen Ermessensmißbrauch begangen. Der Ermessensmißbrauch setzt, worauf ich bei anderer Gelegenheit bereits hingewiesen habe, einen gewissen Ermessensspielraum bei der Ausübung der Befugnisse voraus: Dies ist bei einer gesetzlichen Verbotsbestimmung unmöglich.

    Was hingegen Artikel 3 angeht, der völlig auf den Begriff des Zieles abstellt, wenn er die Aufgaben der Gemeinschaft aufzählt, so müßte das Vorliegen eines Ermessensmißbrauchs dann angenommen werden, wenn erwiesen wäre, daß die gesetzlich umschriebenen Ziele in Wirklichkeit nicht verfolgt worden sind, es sei denn, sie wären zum Zwecke einer eventuellen Abstimmung aufeinander — wie oben dargelegt — aufgeopfert worden. Die Hohe Behörde räumt dies im übrigen auch ein.

    Sie nimmt jedoch eines der Ziele des Artikels 3, dasjenige des Absatzes b:„allen in vergleichbarer Lage befindlichen Verbrauchern des Gemeinsamen Marktes gleichen Zugang zu der Produktion zu sichern“, unter dem Vorwand aus, es handle sich hier um eine gesetzliche Vorschrift, die lediglich den in Artikel 4 b niedergelegten Grundsatz des Diskriminierungsverbotes wiedergebe.

    Ich kann der Beklagten darin nicht folgen. Wie ich bereits dargelegt habe, deckt sich der Anwendungsbereich des Artikels 3 b zweifellos im vollen Umfang mit demjenigen des Artikels 4, einschließlich dessen Absatz b. Es ist aber nicht erwiesen, daß beiden Bestimmungen (3 b und 4 b) die gleiche rechtliche Bedeutung zukommt. Dieser Auffassung ist auch Paul Reuter, nach dessen Ansicht Artikel 3 b„schwerlich Gradunterschiede kennt, weil er ein besonders wichtiges Beispiel des Diskriminierungsverbotes wiederholt“ (zitierter .ericht, S. 43). Anderer Auffassung scheint jedoch Demaria zu sein, der ausgezeichnete Berichterstatter des fünften Ausschusses beim Kongreß in Stresa, der auf das genaueste zwei „oberste Grundsätze“ unterscheidet, den des Diskriminierungsverbotes und den der Vergleichbarkeit (S. 50 ff.).

    Welcher Theorie man in dieser Frage auch immer folgen sollte, meine Herren, fest steht jedenfalls, daß jede der beiden Bestimmungen — von dem Gesichtspunkt aus gesehen, der uns hier interessiert — von verschiedener Tragweite ist, weil die eine auf die Vorschrift selbst abstellt, indem sie diese definiert und ein Verbot hinzufügt (Art. 4), während die andere (Art. 3 b) dies als ein von den Organen der Gemeinschaft zu verfolgendes Ziel aufstellt. Sollte die Hohe Behörde also „im Rahmen der ihr zugewiesenen Befugnisse“ bewußt das in Artikel 3 b definierte Ziel vernachlässigen, dann beginge sie (vorbehaltlich — wie bereits dargelegt — der Notwendigkeit, sich widersprechende Ziele aufeinander abzustimmen) einen Ermessensmißbrauch. Es wird in diesem Falle sehr wahrscheinlich eine Häufung vorliegen: eine Verletzung des Vertrages nach Artikel 4 b und ein Ermessensmißbrauch nach Artikel 3 b; dies steht jedoch der Zulässigkeit des gerügten Ermessensmißbrauchs keinesfalls im Wege, des einzigen Klagegrundes, den die Unternehmen gegen allgemeine Entscheidungen geltend machen können.

    Man halte mir nicht entgegen, es entspreche nicht den Absichten der Verfasser des Vertrages, den Anwendungsbereich des Ermessensmißbrauchs allzu weit auszudehnen, eine Besorgnis, die in Ihrem ersten Urteil 8/55 (Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes, Bd. II, S. 226 und 227) zum Ausdruck gekommen ist: Die Bedeutung des Klagegrundes des Ermessensmißbrauchs nach dem Vertrage hängt in Wirklichkeit nämlich ganz einfach davon ab, wie zahlreich die Fälle sind, in denen der Vertrag selbstdas zu verfolgende Ziel zu einer Bedingung der Rechtmäßigkeit macht; und solche Fälle sind zahlreich.

    Soweit zu Artikel 3.

    Was die von mir als „spezifisch“ bezeichneten Vorschriften angeht, so würde es sich eher um einen Verfahrensmißbrauch (détournement de procédure) handeln, den man sich im übrigen im Hinblick auf Artikel 54 betreffend die Investitionen schwerer vorstellen kann als im Hinblick auf Artikel 59 betreffend die Mangellage.

    Einen Ermessensmißbrauch kann ich mir dagegen im Hinblick auf Artikel 65 sehr gut vorstellen: so z. B. dann, wenn die Hohe Behörde es vorziehen sollte, um der Verantwortung einer Genehmigungsentscheidung gemäß Artikel 65 aus dem Wege zu gehen, eine von Unternehmen gegründete finanzielle Einrichtung zu genehmigen oder, gestützt auf Artikel 53 Absatz b, eine unter den gleichen Bedingungen zustande gekommene Einrichtung für allgemeinverbindlich zu erklären.

    Nachdem gezeigt worden ist, welchen von den Klägern herangezogenen Artikeln des Vertrages gegenüber ein Ermessensmißbrauch gellend gemacht werden könnte, bleibt noch zu prüfen, welche Kläger zulässigerweise behaupten könnten, die Entscheidung Nr. 2/57 stelle — soweit gerügt — ihnen gegenüber einen Ermessensmißbrauch dar.

    Ihre Rechtsprechung scheint es zu gestatten, diese Frage ohne weiteres zu beantworten.

    Es muß zwischen Unternehmen und Unternehmensverbänden unterschieden werden.

    Über die ersteren heißt es in Ihrem Urteil 8/55 vom 16. Juli 1956, daß: „Der Ausdruck, ihnen gegenüber' keinen anderen Sinn hat, als den Sinn der Worte, der darin zum Ausdruck kommt, das heißt, es muß sich um ein Unternehmen handeln, das den Gegenstand oder zum mindesten das Opfer des von ihm behaupteten Ermessensmißbrauchs bildet“ (Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes, Bd. II, S. 225). Das Recht auf Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen eine allgemeine Entscheidung wegen Ermessensmißbrauchs einem Unternehmen gegenüber ist nämlich „eine Ausnahme, die sich daraus erklärt, daß in diesem Fall immer noch das individuelle Moment überwiegt“. (Urteil 8/55, Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes, Bd. II, S. 227).

    Was die Verbände angeht, so scheint das zweite Urteil 8/55 vom 29. November 1956 die wertvollsten Hinweise zu enthalten, auch wenn es an theoretischen Ausführungen fehlt. Es heißt dort nämlich, insbesondere auf Seite 313 der Rechtsprechungssammlung (Band II), daß der Ermessensmißbrauch, zu dem der Gerichtshof Stellung nehme, in dem bestehe, was die Hohe Behörde bei der Verfolgung der Ziele des § 26 des Übergangsabkommens betreffend „die Festsetzung der belgischen Kohlenpreise“ getan habe. Wäre der Ermessensmißbrauch gegeben gewesen, so wäre er gegenüber der „Fédération des Charbonnages de Belgique“ begangen worden, die ihrerseits die gemeinsamen Interessen aller belgischen Kohlenbergwerke vertritt. Man müsse daher, da es sich um einen Verband handele, ein Kollektivinteresse anerkennen, dessen Wahrnehmung gewöhnlich dem betreffenden Verband obliege und das die Entscheidung infolge des unterstellten Ermessensmißbrauchs unmittelbar verletze. Ich teile in dieser Hinsicht den Standpunkt der Hohen Behörde, wie er in der Klagebeantwortung 13/57 (§ 11) und insbesondere im Hinblick auf Ihre Rechtsprechung zum Ausdruck gekommen ist. In einem Punkt bin ich jedoch anderer Auffassung: Ich halte die von einem Verband erhobene Klage selbst dann für zulässig, wenn die Interessen seiner Mitglieder in der einen oder anderen Frage oder im Verhältnis zu der einen oder anderen Bestimmung der angefochtenen Entscheidung auseinandergehen oder entgegengesetzt sein sollten; es genügt meines Erachtens, daß sie alle (oder zum mindesten größtenteils) ein Interesse an der Nichtigerklärung der Entscheidung haben.

    Setzt man diese Vorstellungen in die Praxis um, meine Herren, dann müßten die Klagen der Unternehmensverbände, und zwar sowohl derjenigen, in denen die gesamte Eisen schaffende Industrie eines Landes zusammengefaßt ist (Rechtssachen 8/57, 9/57 und 13/57), wie auch der Chambre Syndicale du Centre-Midi, die sich auf ein Gebiet Frankreichs beschränkt, für zulässig erklärt werden.

    Umgekehrt glaube ich nicht, daß für die individuellen Klagen das gleiche gilt, nämlich für Ugine (10/57), Aubert et Duval (11/57) und die vier deutschen Unternehmen in der Rechtssache 13/57, und zwar aus folgenden Gründen: In welcher Lage sich diese verschiedenen Unternehmen auch immer befinden sollten und welche verschiedenen Auswirkungen die angefochtene Entscheidung für jedes von Ihnen mit sich bringen sollte, fest steht doch offensichtlich, daß keines dieser Unternehmen, allein genommen, der Gegenstand oder selbst das Opfer eines Ermessensmißbrauchs gewesen ist. Wäre ein solcher begangen worden, dann z. B. gegenüber den Edelstahlerzeugern oder den Benutzern bestimmter Anlagen oder etwa gegenüber den nach dem 31. Januar 1958 in Betrieb genommenen Anlagen; nicht aber dem Unternehmen X… oder dem Unternehmen Y… gegenüber. Das individuelle Moment, das nach Ihrem Urteil 8/55 überwiegen muß, würde hier fehlen. In der Rechtssache 13/57 wird dies im übrigen ausdrücklich anerkannt: „Die Klägerin zu 1“, (d.h. der Verband), heißt es in der Klageschrift § 40, „macht sich zur Begründung ihres Antrages das Vorbringen der Klägerinnen zu 2) bis 5) [d. h. der vier Unternehmen] zu eigen und trägt es hiermit vor. Zu ihren Mitgliedern gehören zahlreiche Unternehmen, die in gleicher oder ähnlicher Lage wie die Klägerinnen zu 2) bis 5) sind.

    Zum Abschluß noch einige Worte zu zwei Fragen, die sich nur in der Rechtssache 13/57 stellen.

    Die erste geht dabin, ob die von dem Verband und von vier Unternehmen, die diesem im übrigen angehören, gemeinsam erhobene Klage zulässig ist.

    Man kann in dieser Hinsicht zweifeln, nicht nur weil das Rechtsschutzinteresse(intérêt à agir) der verschiedenen Kläger nicht unbedingt das gleiche zu sein braucht, sondern weil auch die Natur dieses Interesses, wie ich gezeigt habe, dazu führen kann, die Zulässigkeit der Klage bei jedem von ihnen verschieden zu beantworten.

    Ich bin nichtsdestoweniger eher geneigt, über diesen Einwand hinwegzugehen. Feststeht nämlich, daß im vorliegenden Falle die Voraussetzungen für eine Verbindung der Klagen (falls mehrere erhoben worden wären) gegeben gewesen wären: Die Kläger fechten alle die gleiche Entscheidung an, in den gleichen Punkten und mit den gleichen Klagegründen. Der Gerichtshof hätte diese Klagen daher, ohne natürlich dazu verpflichtet zu sein, verbindenkönnen. Ich glaube nun, daß die für eine Verbindung erforderlichen Voraussetzungen auch die Erhebung einer gemeinsamen Klage rechtfertigen. Zweifellos sind in einigen unserer Länder die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Kollektivklage strenger als für die Anordnung der Verbindung mehrerer Klagen, was aber vor allem auf fiskalische Erwägungen zurückgeht, die wir hier nicht kennen.

    Die zweite Frage, die sich im Zusammenhang mit der Klage 13/57 stellt, betrifft die Natur der angefochtenen Entscheidung: Ist sie eine allgemeine oder eine individuelle Entscheidung?

    Die Urheber der Klage 13/57 behaupten als einzige unter allen Klägern, die Entscheidung Nr. 2/57 stelle eine Zusammenfassung individueller Entscheidungen dar, was es ihnen erlaube, Klagegründe der Verletzung des Vertrages und nicht nur des Ermessensmißbrauchs geltend zu machen.

    Auf diese individuelle Natur lasse sich aus folgenden drei Gründen schließen:

    1.

    Die verschiedenen Bestimmungen der Entscheidung würden eine Gruppe genau bezeichneter Unternehmen treffen, „deren Kreis nicht vergrößert werden kann“ (z. B. die Unternehmen, auf die Artikel 6 § § 2 und 3 abstellt, diejenigen, die in der Zeit vom 1. Februar 1957 bis zum 31. Januar 1958 neue Anlagen im Sinne dieses Artikels in Betrieb nehmen);

    2.

    der Ergänzungssatz habe Straf charakter;

    3.

    Artikel 13 der Entscheidung verpflichte die Mitgliedsunternehmen des Gemeinsamen Büros und der Kasse, die Statuten dieser Organe zu ändern.

    In jedem dieser drei Fälle sei der Kreis der Betroffenen genau bezeichnet.

    Diese Auffassung, meine Herren, ist unhaltbar. Sie wird in Ihrem Urteil 8/55 so eindeutig widerlegt, daß es mir unnötig erscheint, näher auf sie einzugehen. Die Entscheidung Nr. 2/57 ist das Musterbeispiel selbst einer allgemeinen Entscheidung normativer Art.

    Ich erinnere zum Abschluß daran, daß eine der Klägerinnen in der Rechtssache 13/57, die Ruhrstahl AG. Hattingen, auf die weitere Verfolgung ihrer Klage verzichtet hat. Die Gründe hierfür sind in der betreffenden Erklärung — die bedingungslos ist — angegeben. Es handelt sich um eine ganz einfache Klagezurücknahme, von der Kenntnis zu nehmen ist. Da es sich um eine Nichtigkeitsklage handelt, bedarf es nicht der Zustimmung der Beklagten. (Art. 81 § 2 der Verfahrensordnung).

    Ich beantrage daher:

    von der Klagezurücknahme der Ruhrstahl AG. Hattingen Kenntnis zu nehmen;

    die Klage abzuweisen

    und im übrigen die Kosten jedem der Kläger insoweit aufzuerlegen, als sie von ihm verursacht worden sind.


    ( 1 ) Les grands arrêts de la jurisprudence administrative, Paris, Sirey 1956, Seite 326

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