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Document 52022IE3749

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Behebung struktureller Engpässe und Stärkung der strategischen Autonomie im Halbleiter-Ökosystem“ (Initiativstellungnahme)

EESC 2022/03749

ABl. C 140 vom 21.4.2023, p. 8–13 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

21.4.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 140/8


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Behebung struktureller Engpässe und Stärkung der strategischen Autonomie im Halbleiter-Ökosystem“

(Initiativstellungnahme)

(2023/C 140/02)

Berichterstatter:

Anastasis YIAPANIS

Ko-Berichterstatter:

Guido NELISSEN

Beschluss des Plenums

20.1.2022

Rechtsgrundlage

Artikel 52 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständiges Arbeitsorgan

Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI)

Annahme in der CCMI

9.12.2022

Verabschiedung auf der Plenartagung

24.1.2023

Plenartagung Nr.

575

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

179/0/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) fordert mehr Transparenz und eine stärkere strategische Überwachung und Steuerung der Chip-Lieferketten, eine bessere Vorhersage der Verfügbarkeit von Chips und engere Partnerschaften in Abstimmung mit den europäischen Behörden.

1.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass mit der europäischen Halbleiterstrategie alle Stufen der Halbleiter-Wertschöpfungskette gefördert werden sollten. Dabei sollte ein besonderer Schwerpunkt auf der Entwicklung und Herstellung von Chips und der Back-End-Fertigung liegen. Die Umsetzung des Chip-Gesetzes muss sorgfältig bewertet und anhand klarer wesentlicher Leistungsindikatoren (KPI) überwacht werden, die gemeinsam mit Interessenträgern aus der Industrie und dem Europäischen Halbleitergremium (ESB) festgelegt werden.

1.3.

Der EWSA ist besonders besorgt über die derzeitige Abhängigkeit der EU von der Back-End-Fertigung, insbesondere was China betrifft. Die internationale Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Halbleiter-Clustern und FuE-Einrichtungen ist von entscheidender Bedeutung, um die derzeitigen Engpässe zu beheben, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten und den Bedürfnissen der Gesellschaft als Ganzes Rechnung zu tragen.

1.4.

Der EWSA begrüßt die im EU-Chip-Gesetz angekündigten 43 Mrd. EUR und die künftige Einrichtung des Chip-Fonds und fordert, dass die europäischen Aufbau- und Resilienzpläne in vollem Umfang genutzt werden.

1.5.

Der EWSA stellt jedoch fest, dass die Kommission der Bedeutung von Rohstoffen, der Kreislauforientierung der Produktionsverfahren und der bestehenden Abhängigkeit von Drittländern zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat, und fordert ein verstärktes Augenmerk auf die Gewährleistung des Zugangs zu den wichtigsten Rohstoffen, die bei der Herstellung von Halbleitern verwendet werden.

1.6.

Der EWSA fordert eine sorgfältige Überprüfung der bestehenden Freihandelsabkommen und internationalen Partnerschaften zur Verwirklichung einer offenen strategischen Autonomie und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit Europas.

1.7.

Investitionen sollten gezielt in Bereichen getätigt werden, in denen die Abhängigkeit Europas von ausländischen Technologieanbietern sehr hoch ist. Investitionen in bahnbrechende Technologien, virtuelle Entwurfsplattformen, modernste Chip-Entwicklungskapazitäten und neuartige Anlagen (mit einem Schwerpunkt auf Hochleistungschips) müssen auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten mit öffentlichen Mitteln gefördert werden (wobei jedoch eine übermäßige Subventionierung zu vermeiden ist), um die Risiken zu verringern und die Zeiträume der Kapitalrendite zu verkürzen.

1.8.

Der EWSA spricht sich für eine wirtschaftlich effiziente, aber ausgewogene Verteilung der EU-Mittel zwischen den Mitgliedstaaten und Regionen sowie zwischen Großunternehmen, Start-up-Unternehmen und KMU aus. Er fordert ferner einen soliden Aktionsplan zur Schaffung von Anreizen für ausländische Investitionen führender internationaler Halbleiterunternehmen.

1.9.

Nach Auffassung des EWSA ist bei jeder Kompetenzstrategie zu berücksichtigen, wie schnell Arbeitsplätze durch die Beschleunigung von Innovationen geschaffen werden bzw. verloren gehen. Die Sozialpartner des Halbleiter-Ökosystems, die Wissenschaft und die einschlägigen Forschungszentren sind einzubeziehen. Es sind erhebliche Anstrengungen zur Weiterbildung und Umschulung der Arbeitskräfte erforderlich und der EU-Arbeitsmarkt muss mit Programmen für lebenslanges Lernen und für die berufliche Aus- und Weiterbildung beim Erwerb grundlegender spezifischer Kompetenzen unterstützt werden. Dies gilt insbesondere für Arbeitnehmer aus dem MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik).

1.10.

Der EWSA betont, dass viele der von den Forschungs- und Technologieorganisationen (Research and Technology Organisations, RTO) in der EU entwickelten Innovationen in anderen Teilen der Welt aufgegriffen werden, und ist der Ansicht, dass es einer stärkeren Annäherung zwischen den Endanwendersektoren und dem Halbleiter-Forschungsstandort Europa bedarf.

1.11.

Der EWSA fordert eine stärkere Unterstützung von Clustern im Bereich der digitalen Technologien und eine bessere Nutzung des Innovationspotenzials von Hightech-KMU. Darüber hinaus fordert der EWSA kohärente Rechtsvorschriften in Bezug auf steuerliche Anreize zur Förderung von FuE-Investitionen mit besonderem Schwerpunkt auf FuE im Bereich Chip-Entwicklung.

1.12.

Der EWSA fordert weitere Innovationen zur Abwehr von und zum verstärkten Schutz vor Cyberangriffen sowie eine verbesserte Abwehrbereitschaft gegenüber weiteren neuartigen Cybersicherheitsbedrohungen.

2.   Herausforderungen mit Blick auf die Halbleiterstrategie der EU

2.1.

Die digitale Revolution und das kontinuierliche Streben nach bahnbrechenden Technologien haben zu einem erheblichen Anstieg der Nachfrage nach Halbleitern geführt. Die COVID-19-Pandemie und die Erholungsphase nach der Pandemie sind von massiven Engpässen in der Lieferkette geprägt, die zusammen mit steigenden Energiepreisen und Versorgungsengpässen bei wichtigen Rohstoffen die wirtschaftliche Erholung behindern und die Industrieproduktion in der EU bremsen.

2.2.

Die europäische Mikroelektronik-Industrie (455 000 direkte Arbeitsplätze) ist weltweit führend bei Prozessoren für eingebettete Systeme, Sensoren, Radiofrequenz-Chips, Leistungselektronik, Siliziumwafern und Chemikalien sowie fortgeschrittenen Chip-Herstellungsanlagen. Die EU ist dank ihrer Forschungszentren und ehrgeizigen FuE-Initiativen auch ein starker Forschungsstandort.

2.3.

Die Nachfrage nach Halbleitern in der Automobilindustrie wird bis 2030 voraussichtlich um 300 % steigen, während sich der Chip-Bedarf der Industrieelektronik bis 2030 verdoppeln dürfte. Das wird durch einige wichtige Trends wie High-End-Fertigungstechnologien der Industrie 4.0 noch verstärkt. Auf den Kommunikationssektor entfallen 15 % der Chipnachfrage in der EU, wobei kritische Chipkomponenten für 5G-Kommunikationsgeräte hauptsächlich außerhalb der EU entwickelt und hergestellt werden. Die Bereiche Gesundheitswesen, Energie, Luft- und Raumfahrt, Verteidigung, Gaming usw. entwickeln sich alle technologisch weiter. Sie erfahren eine steigende Nachfrage sowohl nach ausgereiften als auch nach fortgeschrittenen Chips für ihre Fertigungsprozesse und Produkte. Chips sind auch für die Entwicklung neuer industrieller Anwendungen in den Bereichen KI und Internet der Dinge von entscheidender Bedeutung — ein Markt, der jährlich um 50 % wächst. Die Entwicklung einer Chip-Strategie auf diesen bestehenden und entstehenden starken Endmärkten wird einen positiven Kreislauf in Gang setzen: Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der wichtigsten Fertigungsindustrien in der EU bei gleichzeitiger Stärkung der Halbleiterkapazitäten in der Union.

2.4.

Auf der anderen Seite ist die EU-Industrie in einer Reihe wichtiger Endmärkte für Halbleiter, wie Cloud- und Datenspeicherung, Personal Computing, drahtlose Kommunikation (Smartphones) und Endverbrauchergeräte (Gaming), weniger stark vertreten. Darüber hinaus ist die EU mit nur 50 Halbleiterwerken (Fabs) als Produktionsstandort eher schwach; ferner kann die EU keine Chips mit einer Größe von weniger als 22 nm herstellen und ist im Bereich der Entwurfs- und Entwurfsautomatisierungswerkzeuge schlecht aufgestellt. Aus diesem Grund verzeichnete die EU im Jahr 2021 bei Halbleitern ein Handelsdefizit von 19,5 Mrd. EUR (Einfuhren in Höhe von 51 Mrd. EUR gegenüber Ausfuhren in Höhe von 31,5 Mrd. EUR) (1).

2.5.

Da die Nachfrage nach und die Nutzung von Chips in Zukunft nur zunehmen werden, fordert der EWSA ehrgeizige Programme zur Verringerung der Treibhausgasemissionen des Sektors mithilfe von Energieeffizienz, erneuerbaren Energien und bahnbrechenden Technologien.

3.   Wettbewerbsfähigkeit und strategische Autonomie

3.1.

Die zahlreichen den Halbleitersektor betreffenden Risiken (strukturelle Engpässe, Lieferkettenrisiken, Monopolmächte in Schlüsselbereichen der Wertschöpfungskette, geopolitische Risiken) und ihre Auswirkungen auf ein breites Spektrum von Industriezweigen haben das Bewusstsein dafür geschärft, dass die technologische Souveränität Europas in diesem Bereich gestärkt werden muss.

3.2.

Störungen bei der Versorgung mit Halbleitern haben erhebliche negative Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft und Gesellschaft. Durch die Komplexität der Halbleiter-Lieferkette ist es schwierig, störungsbezogene Risiken zu erkennen und zu bewerten und geeignete Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Chip-Wertschöpfungskette durch mehr Transparenz und Sichtbarkeit, eine strategischere Überwachung und Verwaltung der Lieferkette, bessere Prognosen hinsichtlich der Verfügbarkeit von Chips und engere Partnerschaften auf allen Ebenen der Lieferkette in Abstimmung mit den europäischen Behörden gestärkt werden kann.

3.3.

Nach Ansicht des EWSA sollte die europäische Halbleiterstrategie alle Stufen entlang der Halbleiter-Wertschöpfungskette fördern Dies gilt auch für die Halbleiterforschung, Entwicklung, Chip-Herstellung, Montage, Prüfung und Packaging, um langfristige Lieferprobleme zu beheben und bei der Entwicklung und Fertigung immer komplexerer hochmoderner Halbleiter-Komponenten im globalen Wettbewerb bestehen zu können.

3.4.

Der EWSA ist insbesondere der Auffassung, dass die EU in Bereiche investieren muss, in denen die Abhängigkeit Europas von ausländischen Technologieanbietern sehr hoch ist, wie z. B. in den Bereichen Entwurf und Entwurfsautomatisierung, Fertigungskapazitäten und fortgeschrittenes Packaging.

3.5.

Da Halbleiter eindeutig zu einem strategischen Technologiebereich geworden sind und es der EU an Produktionskapazitäten sowohl für ausgereifte als auch für Hochleistungschips mangelt, muss die EU Investitionen in die Chipherstellung unterstützen, da dies für die Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Fertigung in Schlüsselsektoren von entscheidender Bedeutung ist. Tatsächlich nimmt die bereits hohe Nachfrage nach ausgereiften Chips (12-40 nm-Technologie) in den europäischen Industriezweigen weiter zu. Gleichzeitig wird die Nachfrage nach Hochleistungschips (unter 10 nm-Prozessknoten) aufgrund der Verlagerung hin zu Edge- und Quanteninformatik, dem Internet der Dinge, automatisiertem Fahren und künstlicher Intelligenz voraussichtlich viel schneller wachsen. Diese Technologien treiben in vielen Industriezweigen wie Ingenieurwesen, Automobilindustrie, Elektronik, Gesundheit, Verteidigung und erneuerbare Energien einen radikalen Wandel voran. Diese Branchen haben sicherlich das Potenzial, einen europäischen Markt zu schaffen, der die europäische Herstellung von Spitzenknotendichten auf längere Sicht unterstützt.

3.6.

Was die Priorisierung der Investitionen angeht, ist der EWSA jedoch der Auffassung, dass in erster Linie in modernste Chip-Entwurfskapazitäten investiert werden sollte. Denn es mangelt in Europa an Chip-Entwurfskapazitäten für fortgeschrittene Halbleiter.

3.7.

Besondere Aufmerksamkeit muss auch der Back-End-Fertigung (einschließlich Montage, Prüfung und Packaging) gelten, die arbeitsintensiver ist und sich strategisch auf Südosteuropa konzentrieren könnte, wo die Arbeitskosten geringer sind. Der EWSA ist besorgt über die verschiedenen Risiken, denen die EU aufgrund ihrer derzeitigen Abhängigkeit von der Back-End-Fertigung ausgesetzt ist, insbesondere wo China mit im Spiel ist.

3.8.

Die Gewährleistung des Zugangs zu den wichtigsten bei der Herstellung von Halbleitern verwendeten Rohstoffen wie z. B. hochreine Chemikalien (Germanium, Bor, Indium), Spezialgase (Neon, Helium, Argon) oder Silizium-Ersatzstoffe (z. B. Siliziumcarbid für ein besseres Leistungsmanagement) ist von entscheidender Bedeutung. Da die Nachfrage nach Chips steigt, wird aufgrund der zunehmenden Komplexität der Chips auch die Nachfrage nach diesen Materialien weiter steigen.

3.9.

Nach Dafürhalten des EWSA hat die Kommission der Bedeutung von Rohstoffen, der Kreislauforientierung der Produktionsverfahren und der bestehenden Abhängigkeit von Drittländern zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Er hat darauf hingewiesen, dass „Kommission, Mitgliedstaaten und Industrie […] daher gemeinsam diskutieren [sollten], wie Bezugsquellen diversifiziert werden können und insbesondere wie im Zuge einer industrialisierten Kreislaufwirtschaft in der Mikroelektronik kritische Rohstoffe besser recycelt werden können“ (2).

3.10.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Umsetzung des Chip-Gesetzes sorgfältig bewertet und überwacht werden muss, und fordert klare KPI zur Beurteilung der Fortschritte. Diese Indikatoren müssen gemeinsam mit den Interessenträgern aus der Industrie und dem ESB festgelegt werden.

4.   Einbeziehung von Interessenträgern in der EU, internationale Zusammenarbeit und strategische Partnerschaften

4.1.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Europäische Allianz für Prozessoren und Halbleitertechnologien, die von der Kommission im Juli 2021 ins Leben gerufen wurde, eine sehr wichtige Rolle bei der Ermittlung bestehender Defizite im Produktionsprozess und bei der Einführung neuer Technologien in der EU spielen muss. Die Stärkung der Resilienz der EU und die Gewährleistung der Sicherheit der Lieferketten sollte im Rahmen der Allianz unter Einbeziehung der Sozialpartner aus dem Halbleiter-Ökosystem, der Wissenschaft und der einschlägigen Forschungszentren eingehend erörtert werden.

4.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die internationale Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Halbleiter-Clustern und FuE-Einrichtungen von entscheidender Bedeutung ist, um die derzeitigen Engpässe zu beheben und gegenseitiges Vertrauen zu schaffen und so für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen. Darüber hinaus wird die Stärkung des europäischen Halbleiter-Ökosystems zu gegenseitigen Abhängigkeiten in den globalen Wertschöpfungsketten führen, wodurch wiederum die Position bei internationalen Verhandlungen gestärkt und die allgemeine Widerstandsfähigkeit des gesamten Sektors gefördert wird. Allerdings hat der EWSA bereits deutlich gemacht, dass „es gilt, einen Subventionswettlauf zu vermeiden und für eine wirksame Mittelnutzung zu sorgen, ohne Überkapazitäten und Marktverzerrungen zu verursachen“ (3).

4.3.

Der EWSA fordert eine sorgfältige Überprüfung der bestehenden Freihandelsabkommen und internationalen Industriepartnerschaften mit dem klaren Ziel der Verwirklichung einer offenen strategischen Autonomie und der Stärkung der Widerstandsfähigkeit Europas in einem zunehmend schwierigen geopolitischen Kontext. Die Gespräche im ESB sollten intensiviert und die Mitgliederzahl im ESB sollte erhöht werden, indem Interessenträger aus der Industrie und die repräsentativen Sozialpartner in der EU sowie die wichtigsten Forschungszentren zur Teilnahme eingeladen werden.

4.4.

Schwerpunkt der Debatten in den europäischen Foren muss auch die Umsetzung der vorgeschlagenen Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für neue Anlagen sein, die ein wichtiger Anreiz für die Aushandlung umfassender ausländischer Investitionen (4) sein könnte, welche wiederum zu einer unmittelbaren Nachfrage führen würden. Mit der Verringerung des Verwaltungsaufwands und der Umsetzung von Regulierungsstandards in allen Mitgliedstaaten wird zudem dafür gesorgt, dass die Fragmentierung verringert und die Planbarkeit mit Blick auf künftige Investitionen gewährleistet wird.

5.   Finanzierung

5.1.

Der EWSA begrüßt die im europäischen Chip-Gesetz angekündigten 43 Mrd. EUR und die künftige Einrichtung des Chip-Fonds. Er fordert jedoch, detailliert zu klären, wie diese öffentlichen und privaten Mittel beschafft und zugewiesen werden. Darüber hinaus betont er, dass die europäischen Aufbau- und Resilienzpläne, deren Mittel zu 20 % für den digitalen Wandel in den Mitgliedstaaten verwendet werden sollen, in vollem Umfang genutzt werden sollten.

5.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass Investitionen in bahnbrechende Technologien, virtuelle Entwurfsplattformen und neuartige Anlagen (mit einem Schwerpunkt auf Hochleistungschips) auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten mit öffentlichen Mitteln gefördert werden müssen, um Risiken zu verringern und die Rendite-Zeiträume bei neu zu errichtenden Anlagen zu verkürzen.

5.3.

Da dem vorgeschlagenen ESB auch Vertreter der Mitgliedstaaten angehören werden, hat der EWSA die Sorge, dass es die Mitgliedstaaten sein werden, die untereinander um einen größeren Anteil der Mittel ringen werden. Er spricht sich daher für eine wirtschaftlich effiziente, aber ausgewogene Verteilung der EU-Mittel zwischen den Mitgliedstaaten und Regionen sowie zwischen Großunternehmen, Start-up-Unternehmen und KMU aus, damit niemand außen vor bleibt. Was das Gemeinsame Unternehmen für Chips angeht, hat der EWSA zudem bereits erklärt, dass spezifische Kriterien erarbeitet werden sollten und dass „sozialpolitische Kriterien, wie etwa die Haltung des betreffenden Unternehmens in Bezug auf den sozialen Dialog und Kollektivverhandlungen, eine prioritäre Zusammenarbeit mit in der Union ansässigen Zulieferern, aber auch die Zahl der durch die Investitionen zusätzlich entstehenden nachhaltigen Arbeitsplätze sowie die Qualität der Arbeitsbedingungen […] hier eine Rolle spielen [sollten]“ (5).

5.4.

Mit dem vorgeschlagenen Chip-Fonds wird sich die Verfügbarkeit von Darlehen und Risikokapitalfinanzierungen erhöhen, während das weitere Wachstum kleiner innovativer Halbleiterunternehmen gefördert wird. Allerdings ist ein vollständig entwickelter europäischer Risikokapitalmarkt erforderlich, um diesen Unternehmen dabei zu helfen, das „Tal des Todes“, d. h. den von der Demonstration bis zur Markteinführung reichenden Zeitraum, zu überstehen. Der EWSA fordert insbesondere für Start-up-Unternehmen und KMU praktische Leitfäden zu den Möglichkeiten einer Inanspruchnahme dieser Mittel.

5.5.

Der EWSA spricht sich zudem für einen soliden Aktionsplan zur Anziehung ausländischer Investitionen, insbesondere von führenden internationalen Halbleiterunternehmen, aus, um die EU sowohl für Kapital als auch für Know-how attraktiv zu machen.

6.   Kompetenzen

6.1.

Digitale Kompetenzen sind inzwischen ein zentrales immaterielles Gut der digitalen industriellen Revolution und die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte ist zu einem wichtigen Element für Investitionsentscheidungen geworden, während der Mangel an Kompetenzen den Einsatz digitaler Kapazitäten erheblich verlangsamt. Digitale Bildung und die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die gesellschaftlichen Auswirkungen digitaler Anwendungen (sowohl im Hinblick auf ihren Nutzen als auch die Risiken bezüglich Machtkonzentration oder Achtung der Privatsphäre) sind entscheidende Instrumente für die Verbraucher und die Zivilgesellschaft, um verantwortungsvoll zu künftigen Entwicklungen im Chip-Ökosystem beitragen und die jüngere Generation gewinnen zu können. Der EWSA fordert ferner, besonders darauf zu achten, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer, die bei der Chipherstellung gefährlichen Stoffen ausgesetzt sind, geschützt werden muss.

6.2.

Derzeit nimmt die Zahl der offenen Stellen für Ingenieure, Entwicklungsspezialisten und Techniker alarmierend schnell zu. Der EWSA begrüßt die kürzlich geschaffene Kompetenzpartnerschaft für das digitale Ökosystem. Als Teil der Europäischen Kompetenzagenda sollte sie dazu beitragen, die Ziele des Programms „Weg in die digitale Dekade“ (Ausstattung von 80 % der Menschen mit grundlegenden digitalen Kompetenzen, Verringerung des Geschlechterungleichgewichts und Beschäftigung von 20 Mio. IKT-Fachkräften bis 2030), die Ziele der EU-Kompetenzagenda und die Ziele der europäischen Säule sozialer Rechte (Teilnahme von 60 % der Erwachsenen an Fortbildungen) zu erreichen.

6.3.

Bei jeder Kompetenzstrategie ist zu berücksichtigen, wie schnell Arbeitsplätze durch die Beschleunigung von Innovationen geschaffen werden bzw. verloren gehen, und es ist dem durch technologische Entwicklungen im Bereich der KI verursachten Wandel des Arbeitsmarktes Rechnung zu tragen. Bei Arbeitsplätzen mit geringem und mittlerem Qualifikationsniveau ist das Risiko besonders hoch, dass diese verloren gehen (sie werden durch digitale Werkzeuge und Automatisierung ersetzt), während die Nachfrage nach fortgeschrittenen digitalen Kompetenzen weiter zunehmen wird. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Bewältigung dieser Herausforderungen erhebliche Anstrengungen zur Weiterbildung und Umschulung der Arbeitskräfte, insbesondere der Arbeitnehmer, deren technologische Kompetenzen veraltet sind, erfordert. Darüber hinaus muss mit Programmen für lebenslanges Lernen und für die berufliche Aus- und Weiterbildung zu einer Spezialisierung des EU-Arbeitsmarkts durch den Erwerb grundlegender spezifischer Kompetenzen beigetragen werden. Daher wird es von entscheidender Bedeutung sein, dass Studierende Zugang zu modernster Entwurfs- und Fertigungsausrüstung haben und Praxiserfahrung sammeln können.

6.4.

Der EWSA ist ferner der Auffassung, dass die EU einen kohärenten Rechtsrahmen benötigt, um ausländische, auf Halbleiter spezialisierte Arbeitskräfte anzuwerben. Der EWSA begrüßt die Mitteilung der Kommission zur Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte aus Drittländern (6) und ist der Ansicht, dass dies durch Weiterbildungs- und Umschulungsprogramme, auch für Arbeitnehmer aus dem MINT-Bereich, ergänzt werden muss.

6.5.

Andererseits ist der EWSA besorgt, dass der weltweite Mangel an Kompetenzen zu einem Kampf um Talente führen wird, der eine interne (innerhalb der EU) oder internationale Abwanderung von Fachkräften nach sich zieht. Der EWSA sieht daher der bevorstehenden Mitteilung „Abwanderung von Fachkräften (Braindrain) — Abmilderung der mit dem Bevölkerungsrückgang verbundenen Herausforderungen“ erwartungsvoll entgegen.

7.   Forschung, Entwicklung und Innovation

7.1.

Der EWSA betont, dass viele der von den RTO in der EU entwickelten Innovationen leider in anderen Teilen der Welt aufgegriffen werden und nicht zu einer Stärkung des Produktionsstandorts EU geführt haben. Daher ist der EWSA der Auffassung, dass die RTO in der EU die gesamte industrielle Basis und das vorhandene Halbleiter-Know-how bündeln, Halbleiter-Pilotanlagen aufrüsten und bauen und Möglichkeiten für die Zukunft in Schlüsselbereichen wie Edge-Computing, künstliche Intelligenz und Cybersicherheit erkunden und nutzen müssen. In diesem Zusammenhang wird eine stärkere Annäherung zwischen den Endanwendersektoren und dem Forschungsstandort Europa von entscheidender Bedeutung sein.

7.2.

Der EWSA fordert langfristige Innovationsfahrpläne zur Unterstützung des digitalen Wandels, da sie einen proaktiven Ansatz zur Förderung von FuE-Investitionen in längerfristige strategische Ziele und zur Schließung der Lücken im Halbleiter-Ökosystem ermöglichen. Darüber hinaus fordert der EWSA eine bessere Nutzung des Innovationspotenzials von Hightech-KMU, sind diese Unternehmen doch häufig hochspezialisiert, flexibel und auf Nischenmärkten mit hohem Wertschöpfungspotenzial tätig.

7.3.

Der EWSA weist darauf hin, dass ein besserer Schutz des in Chips befindlichen wertvollen geistigen Eigentums von Unternehmen gewährleistet werden muss, und begrüßt die im Chip-Gesetz angekündigten klaren Regeln. Zur künftigen Tätigkeit des Europäischen Halbleitergremiums muss auch die rechtzeitige Konsultation von Interessenträgern aus der Industrie zum wirksamen Schutz der EU-Rechte des geistigen Eigentums gehören.

7.4.

Nach Auffassung des EWSA sollte speziell in FuE im Bereich Chip-Entwicklung investiert werden, da dies den Löwenanteil an der Wertschöpfung ausmacht und zudem stärkere wirtschaftliche Argumente für fortschrittlichere Fertigungskapazitäten liefert. In diesem Zusammenhang sollte auch die sich stark entwickelnde Bioökonomie mit umfangreichen künftigen Anwendungen berücksichtigt werden. Die Kommission sollte prüfen, ob kohärente Rechtsvorschriften in Bezug auf steuerliche Anreize zur Förderung von FuE-Investitionen insbesondere in Bezug auf künftige Konsortien, denen Großunternehmen, KMU, Start-up-Unternehmen und Spin-offs von Forschungseinrichtungen angehören, erlassen werden könnten.

7.5.

Die Cybersicherheit ist für viele Industriezweige wie Automobilindustrie, Ingenieurwesen, Kommunikation, Gesundheitswesen, Luft- und Raumfahrt und Verteidigung zu einem wichtigen Thema geworden. Der EWSA fordert weitere Innovationen zur Abwehr von und verstärkten Schutz vor Cyberangriffen sowie Abwehrbereitschaft gegenüber weiteren neuartigen Cybersicherheitsbedrohungen. Der EWSA unterstützt den Vorschlag für ein Cyberresilienzgesetz, mit dem neue Cybersicherheitsanforderungen eingeführt und ein besseres Verständnis der Cyberbedrohungen für Hersteller und Verbraucher geschaffen werden sollen. Der EWSA fordert ferner, die Rolle der Agentur der Europäischen Union für Cybersicherheit weiter zu stärken.

Brüssel, den 24. Januar 2023

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen — A Chips Act for Europe.

(2)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für Maßnahmen zur Stärkung des europäischen Halbleiter-Ökosystems (Chip-Gesetz)“ (COM(2022) 46 final — 2022/0032 (COD)) (ABl. C 365 vom 23.9.2022, S. 34).

(3)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Chip-Gesetz für Europa“ (COM(2022) 45 final) (ABl. C 365 vom 23.9.2022, S. 23).

(4)  Siehe die laufenden Verhandlungen mit Intel aus den USA, Samsung aus Südkorea und TSMC aus Taiwan.

(5)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für Maßnahmen zur Stärkung des europäischen Halbleiter-Ökosystems (Chip-Gesetz)“ (COM(2022) 46 final — 2022/0032 (COD)) (ABl. C 365 vom 23.9.2022, S. 34).

(6)  COM(2022) 657 final — Mitteilung der Kommission zur Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte aus Drittländern.


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