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Document 52022IE0778

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Jugendpolitik auf dem Westbalkan im Rahmen der Innovationsagenda für den Westbalkan“ (Initiativstellungnahme)

EESC 2022/00778

ABl. C 443 vom 22.11.2022, p. 44–50 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

22.11.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 443/44


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Jugendpolitik auf dem Westbalkan im Rahmen der Innovationsagenda für den Westbalkan“

(Initiativstellungnahme)

(2022/C 443/06)

Berichterstatter:

Ionuţ SIBIAN

Ko-Berichterstatter:

Andrej ZORKO

Beschluss des Plenums

20.1.2022

Rechtsgrundlage

Artikel 52 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Außenbeziehungen

Annahme in der Fachgruppe

9.6.2022

Verabschiedung im Plenum

13.7.2022

Plenartagung Nr.

571

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

165/2/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) würdigt die Fortschritte bei der Entwicklung solider jugendpolitischer Rahmen. Er fordert die Regierungen der Partner auf dem Westbalkan auf, weiter in faktengestützte jugendpolitische Maßnahmen zu investieren, die sich mit den Herausforderungen der Jugendentwicklung befassen. Der EWSA ist davon überzeugt, dass für eine erfolgreiche nachhaltige Entwicklung der lokalen Gemeinschaften die institutionellen, programmbezogenen und politischen Entwicklungen von der Denkweise junger Menschen über die menschliche Entwicklung ausgehen müssen. Darüber hinaus ist der EWSA der Ansicht, dass ausreichende und transparente Mittelzuweisungen für die Entwicklung der Jugendpolitik eine Voraussetzung für positive Veränderungen und eine Verbesserung der Lage junger Menschen sind.

1.2.

Der EWSA fordert die nationalen Regierungen des Westbalkans auf, die wichtigsten jugendpolitischen Dokumente der Europäischen Union zu berücksichtigen, ihre nationalen Jugendpolitiken weiterzuentwickeln und junge Menschen zur Teilnahme an der Politikgestaltung zu befähigen.

1.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die systematische Erhebung hochwertiger, aussagekräftiger Daten zu jungen Menschen eine Voraussetzung für fundierte Strategien und Unterstützungsmaßnahmen für junge Menschen aus insbesondere den schutzbedürftigen Gruppen ist. Das System für die Erhebung und Verarbeitung von Daten zur sozialen Dimension der Beteiligung junger Menschen ist besonders verbesserungswürdig (1).

1.4.

Was die Bekämpfung der Armut und die Verbesserung der Bildungsqualität angeht, ist der EWSA der Auffassung, dass die Sozialpartner und die Organisationen der Zivilgesellschaft mit Blick auf eine umfassendere Reform zur Verbesserung der sozialen Rechte und der Perspektiven junger Menschen unbedingt einzubeziehen sind. Die Sozialpartner und andere zivilgesellschaftliche Organisationen sollten im Dialog über soziale und wirtschaftliche Reformen eine größere Rolle spielen. Durch direkte Unterstützung durch die EU sollte sichergestellt werden, dass die Standpunkte der Sozialpartner und der zivilgesellschaftlichen Organisationen berücksichtigt werden.

1.5.

Der EWSA fordert die Stärkung der EU-Programme und regionalen Strukturen mit dem Ziel, auf dem Westbalkan mehr junge Menschen zu erreichen, indem ihnen Möglichkeiten für Bildung, Mobilität, Freiwilligentätigkeit und Beschäftigung eröffnet werden.

1.6.

Der EWSA fordert eine stärkere Fokussierung auf die berufliche Aus- und Weiterbildung durch die Kombination von Systemen der Lehrlingsausbildung mit akademischem Lernen Sekundar- und Hochschulbereich. Der EWSA ist der Auffassung, dass die enge Verzahnung zwischen Bildungs- und Berufsbildungspolitik und der Wirtschaft verbessert werden muss. Dabei müssen die Kompetenzen gegenüber den Qualifikationen stärker gewichtet werden.

1.7.

Der EWSA begrüßt den Wirtschafts- und Investitionsplan für den Westbalkan (EIP), in dem eine Verbesserung der Erwerbsbeteiligung, vor allem von jungen Menschen und Frauen, benachteiligten Gruppen und Minderheiten, insbesondere Roma, gefordert wird. Bei der Umsetzung des EIP sollte der Nutzen für junge Menschen maximiert werden.

1.8.

Der EWSA fordert, dass die Jugendgarantie auf dem Westbalkan entsprechend den Empfehlungen des Rates für eine Stärkung der Jugendgarantie umgesetzt wird (2).

1.9.

Im Hinblick auf die Umsetzung einer Jugendgarantie auf dem Westbalkan fordert der EWSA, die Kapazitäten der öffentlichen Arbeitsverwaltungen und ihr Personal in den Ländern der Region aufzustocken.

1.10.

Der EWSA weist darauf hin, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Partnern ist, um das Problem der Jugendarbeitslosigkeit anzugehen. Es sollten Partnerschaften auf allen Regierungsebenen zwischen den für die Jugendgarantie verantwortlichen Kräften und einschlägigen Interessenträgern wie Sozialpartnern, Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen, Jugendorganisationen und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen aufgebaut werden.

1.11.

Der EWSA ist der Auffassung, dass im Sinne weniger prekärer Arbeitsverhältnisse und hochwertigerer Arbeitsplätze dem Kapazitätsaufbau bei den Sozialpartnern und der Entwicklung des sozialen Dialogs und der Tarifverhandlungen Aufmerksamkeit geschenkt und Unterstützung gewährt werden sollte. Darüber hinaus fordert der EWSA die Sozialpartner des Westbalkans auf nationaler und branchenbezogener Ebene auf, junge Menschen aktiv in all ihre Tätigkeiten — einschließlich Tarifverhandlungen — einzubeziehen.

1.12.

Unter Berücksichtigung der Möglichkeiten des für 2022 proklamierten Europäischen Jahres der Jugend ist der EWSA davon überzeugt, dass der Ansatz, jungen Menschen bei der Bewältigung ihrer Probleme zu helfen und Europa jungen Menschen näher zu bringen, nicht nur den in der EU lebenden jungen Menschen vorbehalten sein, sondern auch den jungen Menschen in allen Westbalkanländern gelten sollte.

1.13.

Der EWSA fordert die EU und ihre Partner auf dem Westbalkan auf, im Einklang mit der EU-Jugendstrategie ein Instrument zur Folgenabschätzung für junge Menschen, den sogenannten Jugendtest, einzuführen. Mithilfe dieses Jugendtests könnte sichergestellt werden, dass junge Menschen bei der Politikgestaltung berücksichtigt werden. Zudem könnten gezieltere Strategien entwickelt und Maßnahmen zur Vermeidung negativer Auswirkungen auf junge Menschen ermittelt werden.

1.14.

Der EWSA hält weitere Anstrengungen der Regierungen der Partner auf dem Westbalkan für notwendig, um die regionale Zusammenarbeit zu einer politischen Priorität zu machen. Bei der Unterstützung dieses Wandels und der Förderung der regionalen Zusammenarbeit als politische Priorität sollte die EU den Westbalkan dabei unterstützen, Schlüsselbereiche und Wege zu finden, die Veränderungen für die Bürger des gesamten Westbalkans, insbesondere für junge Menschen, fördern können.

1.15.

In den Schlussfolgerungen des Westbalkangipfels 2021 in Berlin im Rahmen des Berlin-Prozesses (3) wird betont, dass Jugendorganisationen und -netze gestärkt werden müssen. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, weiter zu prüfen, wie einschlägige jugendpolitische Strukturen, z. B. nationale Jugendräte und Jugenddachverbände im Westbalkan, auf regionaler Ebene unterstützt werden können, um einen regionalen jugendpolitischen Dialog zu ermöglichen.

1.16.

Der EWSA ist der Auffassung, dass weitere Anstrengungen erforderlich sind, um die politische Bildung und Vertretung junger Menschen zu verbessern. Das können sowohl die allgemeine Politik als auch Jugendstrukturen, z. B. nationale Jugendräte oder lokale bzw. Gemeinderäte, leisten. Der EWSA fordert die EU-Institutionen daher auf, den Westbalkan bei der Verbesserung der Teilhabe junger Menschen weiter zu unterstützen.

1.17.

Der EWSA begrüßt, dass die Innovationsagenda für den Westbalkan weitere Maßnahmen vorsieht, um dessen Beteiligung an allen EU-Programmen in Forschung, Innovation, Bildung, Kultur, Jugend und Sport zu erhöhen. Angesichts des positiven Einflusses von Bildungs- und Ausbildungsmobilität auf das staatsbürgerliche und politische Engagement junger Menschen können weitere diesbezügliche Anstrengungen zu einer Verbesserung der Teilhabe und des Engagements junger Menschen führen.

1.18.

Der EWSA bekräftigt, wie wichtig junge Menschen für die Zukunft des Westbalkans sind. Daher müssen konkrete Maßnahmen ergriffen werden, um die Region zu einem Ort mit Zukunftsaussichten und -möglichkeiten für junge Menschen zu machen, die es ihnen ermöglichen, dort bleiben und gut leben zu können (4). Es ist äußerst wichtig, dass junge Menschen zeitnah in die Gestaltung und Umsetzung gesellschaftlicher und politischer Veränderungen einbezogen werden.

2.   Einleitung

2.1.

Eurostat (5) zufolge leben insgesamt rund 3,6 Millionen junge Menschen auf dem Westbalkan, was etwa 21 % der Gesamtbevölkerung entspricht. Der Kosovo (*1) hat den höchsten Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung (26,29 %), gefolgt von Albanien (23,4 %), Bosnien und Herzegowina (20,37 %), Nordmazedonien (20,32 %), Montenegro (19,49 %) und Serbien (16,8 %). Der Anteil von Männern und Frauen an der Jugendbevölkerung ist in allen Partnerländern des westlichen Balkans ähnlich, doch gibt es etwas mehr männliche Jugendliche: auf dem Westbalkan sind 51,16 % der jungen Menschen Männer und 48,84 % Frauen (6).

2.2.

Die Partner auf dem Westbalkan können dank einschlägiger Gesetze, Strategien und Aktionspläne erhebliche Fortschritte bei der weiteren Definition und Konsolidierung ihres jugendpolitischen Rahmens vorweisen. Allerdings muss noch eine voll funktionsfähige systematische Jugendpolitik entwickelt werden, die eine wirksame Stärkung, Einbeziehung und Teilhabe junger Menschen an Entscheidungsprozessen gewährleistet. Es gibt verschiedene Schwachpunkte. Sie reichen von allgemeineren politischen Fragen und einer mangelnden Bereitschaft, Jugendpolitik als vorrangige interinstitutionelle und sektorübergreifende Politik zu begreifen, bis hin zu sehr spezifischen Schwierigkeiten bei der systematischen Überwachung und Bewertung der Entwicklung und Umsetzung der Jugendpolitik, der Datenerhebung und der Veröffentlichung (7).

2.3.

Im Interesse des Wohlergehens junger Menschen sollte auch auf die Wahrung der Kinderrechte geachtet werden. Nachhaltige politische Maßnahmen in diesem Bereich fördern das Wohlergehen von Kindern und unterstützen den gelungenen Übergang in das Jugend- und junge Erwachsenenalter.

3.   Entwicklung des Humankapitals

3.1.

Das Niveau und die Relevanz der Bildung entscheiden über die Beschäftigungsaussichten junger Menschen, ihre berufliche Entwicklung und die soziale Inklusion in der Region. Dennoch ist das Bildungswesen nach wie vor mit Mängeln behaftet, wenn es darum geht, allen Lernenden eine passende Ausbildung zu ermöglichen und die jungen Hochschulabsolventen mit relevanten Kompetenzen auszustatten. Die unzureichende oder ineffiziente Einbettung in andere Politikbereiche wie Beschäftigung, Wirtschaft, Sozialleistungen und Sozialschutz führen bei Kindern und Jugendlichen zu hohen Schulabbrecherquoten, sozialer Ausgrenzung und Armut (8).

3.2.

Um eine dynamische Wirtschaft aufzubauen, müssen die westlichen Balkanstaaten in das Wissen und die Kompetenzentwicklung junger Menschen investieren. Reformen des Bildungssystems sind entscheidend, um die Entwicklungsbemühungen voranzubringen (9). Der Westbalkan muss nach wie vor seine Leistungsfähigkeit verbessern und dafür sorgen, dass junge Menschen grundlegende Fähigkeiten erwerben, damit sich die Leistungslücke gegenüber der EU schließt.

3.3.

Seit geraumer Zeit sind die westlichen Balkanstaaten von Abwanderung betroffen. Dieses Problem, hinter dem wirtschaftliche, soziale und institutionelle Faktoren stehen, gefährdet die Entwicklungsperspektiven der Region. Die Abwanderung dürfte in den meisten Regionen auf absehbare Zeit anhalten, doch sollte dies der Ergreifung geeigneter Maßnahmen, um junge Menschen in der Region zu halten, nicht entgegenstehen. Die Menschen wandern aus unterschiedlichen Gründen ab, doch zählen bei einem Verbleib in der Region die mangelnden Aussichten auf eine gute Lebensqualität für einen selbst und die Familie häufig dazu. Die Abwanderung hochqualifizierter Kräfte schmälert das Humankapital der Region, ohne das es kein Wirtschaftswachstum geben kann. Die vorhandene soziale Infrastruktur sorgt indes nicht dafür, die Lebensbedingungen der Zurückbleibenden zu verbessern. Auch müssen geeignete Maßnahmen auf nationaler Ebene ergriffen werden, damit die Abwanderung hochqualifizierter Kräfte („Brain Drain“) ein freier Wissensverkehr („Brain circulation“) wird.

3.4.

Die Abwanderung von Menschen ist für die meisten Länder des Westbalkans nach wie vor ein zentrales Problem, da sie sich auf die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Aussichten der Region auswirkt, die wirtschaftlich immer noch hinter der EU zurückbleibt. Die Gesamtzahl der Menschen, die die Region verlassen haben, kann nur schwer genau beziffert werden. Daten (10) belegen, dass die Abwanderung aus der Region anhält. Zwischen 2012 und 2018 verließen jährlich durchschnittlich 155 000 Menschen den Westbalkan und wanderten in Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ab. Allein 2018 waren es 175 000 Menschen (11).

3.5.

Neben besseren wirtschaftlichen Aussichten im Ausland wurde in Studien auch die wichtige Rolle hervorgehoben, die solide und vertrauenswürdige öffentliche Einrichtungen als Motivationsfaktor für die Auswanderung spielen. Einer IWF-Analyse (2016) (12) zufolge streben alle Migranten nach besseren wirtschaftlichen Möglichkeiten im Ausland, wobei ein Beweggrund für hochqualifizierte Personen eher die institutionellen Missstände im Heimatland (Korruption und Vetternwirtschaft bei der Beschäftigungssuche) waren, Geringqualifizierte hingegen auf bessere und zuverlässigere Sozialleistungen im Ausland hofften (13). Die allgegenwärtige Korruption in der Region ist ein entscheidender Antriebsfaktor für die Abwanderung, und verschärfend kommt hinzu, dass 63 % der Menschen in der Region kein Vertrauen in die Justiz und die Legislative haben (14).

3.6.

Junge Menschen in der Region hegen den starken Wunsch, ins Ausland zu gehen, weil sie dort mehr Chancen haben. Das hat dazu geführt, dass junge Menschen in der Emigrantenpopulation überproportional vertreten sind. So möchten beispielsweise in Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien und Albanien über 50 % der jungen Menschen mindestens 20 Jahre im Ausland leben und arbeiten, was einen potenziell erheblichen und dauerhaften Verlust für die Demografie und die Wirtschaft der Region befürchten lässt (15). Die starke Abwanderung junger Menschen aus dem westlichen Balkan hängt gerade auch damit zusammen, dass junge Menschen keine gute Bildung erhalten können (und die wirtschaftlichen Möglichkeiten begrenzt sind, sobald sie einen Abschluss erworben haben). Dies treibt viele dazu, Bildungschancen im Ausland wahrzunehmen. Im Jahr 2018 absolvierten 6 % der Studierenden im Hochschulalter in der Region ein Auslandsstudium (EU-Durchschnitt: 3 %).

3.7.

Die soziale Infrastruktur des Westbalkans sorgt nicht ausreichend dafür, dass sich in der Region eine solide Humankapitalbasis herausbilden und halten kann, gerade weil die Abwanderung qualifizierter Kräfte das Humankapital erodieren lässt. Das Bildungswesen leidet in den meisten Ländern unter Finanzierungs- und Ressourcenengpässen, die zu suboptimalem Bildungszugang und entsprechenden Ergebnissen führen. Unzureichende Bildungsergebnisse wiederum bieten nicht die notwendigen Kompetenzen, die künftige Generationen benötigen, um den Anforderungen der Unternehmen von heute gerecht zu werden und zur Entwicklung neuer Unternehmen beizutragen.

3.8.

Die maximale Aufwertung des Humankapitals ist entscheidend für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitskräfte müssen heutzutage mit bereichsübergreifenden Kompetenzen, Anpassungsfähigkeit und einer unternehmerischen Einstellung ausgerüstet sein. Gleichzeitig ist eine angemessene soziale Absicherung von Bedeutung.

3.9.

Die Bildungssysteme und Lehrpläne in ihrer jetzigen Form müssen reformiert werden; sie müssen die Beschäftigungsfähigkeit der jüngeren Generationen verbessern, indem die berufliche Aus- und Weiterbildung, digitale Bildung und unternehmerisches Denken gefördert werden.

3.10.

Das unternehmerische Denken junger Menschen sollte unterstützt und gefördert werden. Die politischen Entscheidungsträger müssen ein günstiges Umfeld für junge Menschen schaffen, damit sie eigene Unternehmen gründen und Unternehmer werden; Start-up-Unternehmen benötigen erleichterte Finanzierungen.

3.11.

In der schnelllebigen Welt von heute geht es um den Kampf gegen den Klimawandel, neue Geschäftsmodelle, Forschungs- und Innovationskapazitäten und die Entwicklung neuer technischen Lösungen für den ökologischen Wandel. Zu diesem Zweck müssen junge Menschen und insbesondere junge Frauen verstärkt mit MINT-Fähigkeiten (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) und digitalen Kompetenzen ausgestattet werden.

3.12.

Der ökologische Wandel verändert bestehende Arbeitsplätze: Einige werden verschwinden, wohingegen andere, die neuartige ökologische und digitale Kompetenzen erfordern, neu entstehen werden. Das System der allgemeinen und beruflichen Bildung muss sich an die wandelnde Nachfrage nach neuen Kompetenzen anpassen. Die Programme der allgemeinen und beruflichen Bildung sollten den sich wandelnden Bedürfnissen der Unternehmen und dem doppelten ökologischen/digitalen Wandel Rechnung tragen.

4.   Herausforderungen im Bereich der Jugendbeschäftigung auf dem Westbalkan

4.1.

Mit Blick auf die Jugendbeschäftigungspolitik in der Region sind die wichtigsten Herausforderungen die Koordinierung der Interessenträger auf den verschiedenen Regierungsebenen und in den verschiedenen Politikbereichen (Beschäftigung, Bildung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung), die unzureichende Qualität der Bildungssysteme und die Defizite bei der Vermittlung der auf dem Arbeitsmarkt benötigten Kompetenzen. Des Weiteren ist die Arbeitsvermittlung ineffizient, es herrscht ein Missverhältnis zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage, und der Übergang von der Schule bzw. der Universität ins Erwerbsleben gestaltet sich langwierig. Weiterhin herrschen in einigen Volkswirtschaften prekäre Beschäftigungsverhältnisse vor. Es gibt zu wenig Arbeitsplätze für junge Menschen, und es fehlen Kinderbetreuungseinrichtungen zur Unterstützung von Frauen bei der Rückkehr ins Erwerbsleben. Außerdem ist informelle Arbeit weit verbreitet.

4.2.

Junge Menschen auf dem Westbalkan haben eine ungünstige Position auf den Arbeitsmärkten der Region. Im Jahr 2020 lag in der gesamten westlichen Balkanregion die Jugendbeschäftigungsquote in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen unter 27 %, die Jugendarbeitslosenquote in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen dagegen bei über 26 % (gegenüber nur 16,8 % in der EU-27 in derselben Altersgruppe). Im Kosovo betrug sie fast 50 % (16).

4.3.

Der Anteil junger Menschen, die weder eine Arbeit haben noch eine schulische oder berufliche Ausbildung absolvieren (NEET), betrug in den westlichen Balkanstaaten in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen im Durchschnitt 23,7 %. Er reicht von 15,9 % in Serbien bis 37,4 % im Kosovo, verglichen mit nur 11,1 % in der EU für diese Altersgruppe (17).

4.4.

Fast zwei Drittel der arbeitslosen jungen Menschen in Nordmazedonien, Bosnien und Herzegowina und im Kosovo sowie zwei Drittel der arbeitslosen jungen Frauen in Montenegro sind von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen.

4.5.

Die Erwerbsbeteiligung junger Menschen (Erwerbsquote) war ebenfalls niedriger als in der EU, und es herrscht ein großes geschlechtsspezifisches Gefälle bei der Erwerbsbeteiligung, was zum Teil auf einen Mangel an Kinderbetreuungseinrichtungen für junge Mütter zurückzuführen ist, die in den Arbeitsmarkt eintreten möchten. Das geschlechtsspezifische Gefälle spiegelt sich auch in den Beschäftigungsquoten junger Frauen wider, die überall in der Region unter den Beschäftigungsquoten von Männern liegen. Dort, wo die Jugendarbeitslosenquoten am höchsten sind (Bosnien und Herzegowina, der Kosovo, Nordmazedonien, Serbien) liegt die Jugendarbeitslosenquote bei Frauen über der Quote der Männer. In Albanien und Montenegro hingegen liegt die Jugendarbeitslosenquote genau wie in der EU bei Frauen unter der Quote der Männer.

4.6.

Junge Menschen sind auf den Arbeitsmärkten in einer prekären Lage. In allen Volkswirtschaften der Region entfällt auf die junge Generation ein höherer Anteil befristeter Arbeitsverträge als in der EU, was insbesondere im Kosovo und in Montenegro der Fall ist, wo mehr als drei Viertel der erwerbstätigen jungen Menschen diese Art von Arbeitsverträgen haben; in Serbien ist es mehr als die Hälfte. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse dieser Art können sich negativ auf das Wohlergehen des Einzelnen und die Produktivität der Volkswirtschaften auswirken.

4.7.

Die Bedürfnisse der jungen Bevölkerung sollten nicht zuletzt angesichts der hohen Zahl von NEET prioritär berücksichtigt werden. Vor allem in Krisenzeiten sind Maßnahmen nach dem Vorbild der EU-Jugendgarantie gefragt. Dadurch könnten jungen Menschen Arbeitsplätze, Weiterbildungsmöglichkeiten, Lehrstellen oder Praktikumsplätze geboten werden. Diese wiederum könnten jungen Menschen Lösungen und Perspektiven eröffnen, was zur Eindämmung der Abwanderung qualifizierter Kräfte beitragen würde.

5.   Junge Menschen auf dem Westbalkan als eine wichtige Kraft der regionalen Zusammenarbeit und der europäischen Integration

5.1.

Wohlstand und Konvergenz mit der EU sollten auf den Grundsätzen Inklusivität, Vertrauen und Zusammenarbeit beruhen. Der EWSA weist darauf hin, dass sich die Regierungen des Westbalkans mit der Durchführung der von der EU angestoßenen Reformen und der Umsetzung von Investitionsplänen zu den europäischen Grundwerten Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte sowie Aussöhnung verpflichtet haben (18).

5.2.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass die regionale Zusammenarbeit in den westlichen Balkanstaaten für den Erweiterungsprozess von entscheidender Bedeutung ist und weiter gestärkt werden sollte, um den Wandel voranzutreiben. Eine glaubwürdige Beitrittsperspektive ist der wichtigste Anreiz und Motor für den Wandel in der Region. Sie ist ein wichtiges Instrument zur Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Grundrechte, die nicht nur die wichtigsten Triebkräfte für wirtschaftliche Integration, sondern auch die unverzichtbare Grundlage für die Förderung von Aussöhnung und Stabilität in der Region bilden (19).

5.3.

Der EWSA erkennt an, dass in den letzten Jahren mehrere wichtige europäische und regionale Initiativen insbesondere für die Region des Westbalkans auf den Weg gebracht wurden, um sie näher an die EU heranzuführen, aber auch um die Zusammenarbeit zwischen jungen Menschen zu stärken. Die EU ist nach wie vor der wichtigste strategische Partner der Region und stellt über verschiedene Programme (IPA, Erasmus+ usw.) Mittel und Unterstützung bereit. Darüber hinaus wurde 2016 — aufbauend auf dem erfolgreichen Beispiel des deutsch-französischen Jugendwerks — das Regionalbüro für Jugendzusammenarbeit (RYCO) ins Leben gerufen, um durch Jugendaustauschprogramme einen Geist der Aussöhnung und der Zusammenarbeit zwischen den jungen Menschen in der Region zu fördern.

5.4.

Das RYCO spielt im westlichen Balkan eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Zusammenarbeit und bei der Aussöhnung zwischen jungen Menschen. Die Unterstützung der EU bei der reibungslosen Organisation der regionalen jugendpolitischen Zusammenarbeit als wesentliches Element für Frieden und Stabilität in der Region war von entscheidender Bedeutung. Die Rolle junger Menschen bei der Förderung der Perspektiven der Region sollte nicht nur durch die Bemühungen des RYCO gestärkt werden.

5.5.

Die Europäische Jugendhauptstadt wird vom Europäischen Jugendforum verliehen. Mit dieser Initiative soll das Selbstbewusstsein junger Menschen erhöht, ihre Teilhabe gefördert und die europäische Identität in Städten gestärkt werden. 2022 ist Tirana die Europäische Jugendhauptstadt. Unter dem Motto „Activate Youth“ soll vor allem eine aktive Beteiligung gefördert werden, die heute und morgen auf die Bedürfnisse junger Menschen ausgerichtet ist. Das Programm umfasst Aktivitäten zur Förderung der Freiwilligenarbeit, zur Befähigung von Jugendorganisationen und zur Schaffung von Netzwerken und Synergien zwischen jungen Menschen aus ganz Europa.

5.6.

Verstärkte Kooperation und gegenseitiges Lernen, gemeinsam von den EU-Institutionen und den Akteuren der Jugendpolitik des Westbalkans organisiert, sollten die erfolgreiche Umsetzung der Innovationsagenda für den Westbalkan weiter unterstützen.

5.7.

Die Bemühungen um die Einbeziehung des Westbalkans in die Jugendprogramme der EU sollten mit den laufenden Programmen des RYCO koordiniert werden. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, den Westbalkan bei der Schaffung neuer intraregionaler Mobilitätsprogramme zu unterstützen.

6.   Der Stimme der jungen Menschen auf dem Westbalkan mehr Gehör verschaffen

6.1.

Der politische Plan der EU im Hinblick auf die Innovationsagenda für den Westbalkan besteht darin, eine faktengestützte Politikgestaltung zu erleichtern (20). Zuverlässige und transparente Statistiken sind ein wichtiges Anliegen der EU für alle Länder in der Heranführungsphase (21).

6.2.

Die EU-Jugendstrategie 2019-2027 zielt darauf ab, die inklusive demokratische Teilhabe aller jungen Menschen an demokratischen Prozessen und in der Gesellschaft zu fördern, sie aktiv einzubinden, die Vertretung junger Menschen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zu unterstützen und den Einsatz innovativer und alternativer Formen der demokratischen Teilhabe, z. B. Instrumente der digitalen Demokratie, zu erkunden und zu fördern (22).

6.3.

Der EU-Jugenddialog ist ein etablierter Mechanismus für den Dialog zwischen jungen Menschen und Entscheidungsträgern. Der EWSA begrüßt die Vorschläge der Kommission, auf diesem Mechanismus aufzubauen und ihn in den Rahmen für die regionale Zusammenarbeit im Westbalkan aufzunehmen, um sicherzustellen, dass die Ansichten und Bedürfnisse junger Menschen und der Jugendorganisationen bei der Festlegung der jugendpolitischen Prioritäten berücksichtigt werden. Darüber hinaus sollten auf dem Westbalkan die bestehenden partizipativen Prozesse und Mechanismen, an denen junge Menschen beteiligt sind, begrüßt und gefördert werden.

6.4.

Dem Jugendbeteiligungsindex (23) zufolge sind junge Menschen im Westbalkan im politischen Leben nach wie vor stark unterrepräsentiert. Aktuelle Daten zeigen, dass die überwiegende Mehrheit (78 %) der Ansicht ist, dass junge Menschen ein größeres Mitspracherecht in der Politik haben sollten (24).

6.5.

Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Einbeziehung junger Menschen in die Entscheidungsprozesse zu den sie betreffenden Themen. Neben der individuellen Teilhabe kommt den Jugendorganisationen eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der Stellung junger Menschen auf politischer, wirtschaftlicher und sozialer Ebene zu. Wie in der Verordnung über IPA III und der Verfahrensweise bei der Erweiterung betont wird, muss daher beachtet werden, wie wichtig die Finanzierung und Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen ist, um den Bedürfnissen junger Menschen gerecht zu werden.

6.6.

Der sozioökonomische Status und das Bildungsniveau gelten als wichtige Vorhersageindikatoren für die Bereitschaft des Einzelnen, zur Wahl zu gehen oder sich auf andere Weise politisch zu engagieren. Die Analyse regionaler Statistiken fördert durchgängig sozioökonomische Ungleichheiten zu Tage, wenn es um das Engagement junger Menschen in der Region des westlichen Balkans geht (25).

Brüssel, den 13. Juli 2022

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Jugendbeteiligungsindex für 2020, Stiftung Ana und Vlade Divac, Seite 31.

(2)  Empfehlung des Rates vom 30. Oktober 2020 zum Thema „Eine Brücke ins Arbeitsleben — Stärkung der Jugendgarantie“ und zur Ersetzung der Empfehlung des Rates vom 22. April 2013 zur Einführung einer Jugendgarantie (ABl. C 372 vom 4.11.2020, S. 1).

(3)  Gipfeltreffen EU-Westbalkan im Rahmen des Berlin-Prozesses, Berliner Gipfel 2021, Schlussfolgerungen des Vorsitzes.

(4)  Abschlusserklärung des achten Forums der Zivilgesellschaft des Westbalkans.

(5)  Basic figures on Western Balkans and Turkey, Factsheets, Ausgabe 2022.

(*1)  Diese Bezeichnung berührt nicht die Standpunkte zum Status und steht im Einklang mit der Resolution 1244 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zur Unabhängigkeitserklärung des Kosovo.

(6)  Regionaler Kooperationsrat, Mapping of Youth Policies and Identification of Existing Support and Gaps in the Financing of Youth Actions in the Western Balkans — Vergleichsbericht, Januar 2021, S. 4.

(7)  Regionaler Kooperationsrat, Mapping of Youth Policies and Identification of Existing Support and Gaps in the Financing of Youth Actions in the Western Balkans — Vergleichsbericht, Januar 2021, S. 4.

(8)  Europäische Stiftung für Berufsbildung (ETF), Unlocking youth potential in South Eastern Europe and Turkey: Skills development for labour market and social inclusion, 2020.

(9)  Die Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudie der OECD (PISA-Studie) für 2018 zeigen, dass fast alle Länder des Westbalkans in den Schlüsselkompetenzen weit zurückliegen (Schülerinnen und Schüler, die Niveau 2 der PISA-Skala in Lesen, Mathematik und in den Naturwissenschaften nicht erreichen).

(10)  Entwicklungsbank des Europarates: Social Infrastructure in the Western Balkans — Increasing the region’s economic resilience, enhancing human capital and counteracting the effects of brain drain, November 2021.

(11)  Die Genauigkeit der Migrationsstatistiken für die Region des westlichen Balkans wird durch verschiedene Probleme beeinträchtigt, die umfassende länderübergreifende Vergleiche erschweren.

(12)  Emigration and Its Economic Impact on Eastern Europe, 2016.

(13)  Sozialleistungen in den westlichen Balkanländern können in Bezug auf die Abdeckung lückenhaft sein, und die Auszahlung von Leistungen erfolgt oft schleppend.

(14)  Regionaler Kooperationsrat, Balkan Barometer 2020: Public Opinion Survey.

(15)  Lavric, Tomanovic und Jusic, FES, Youth Study Southeast Europe 2018/2019.

(16)  Regionaler Kooperationsrat, Study on Youth Employment in the Western Balkans, 2021.

(17)  Regionaler Kooperationsrat, Study on Youth Employment in the Western Balkans, 2021.

(18)  REX/184 — Abschlusserklärung des achten Forums der Zivilgesellschaft des Westbalkans, S. 3.

(19)  ABl. C 220 vom 9.6.2021, S. 88.

(20)  Western Balkans Agenda on Innovation, Research, Education, Culture, Youth and Sport.

(21)  Europäische Kommission — Kapitel des Besitzstands/Verhandlungskapitel.

(22)  Beteiligung, Begegnung und Befähigung: eine neue EU-Strategie für junge Menschen (COM(2018) 269 final).

(23)  Jugendbeteiligungsindex für 2020, Stiftung Ana und Vlade Divac.

(24)  FES (2019), Jusic, Political alienation of a precarious generation, S. 5.

(25)  FES (2019), Jusic, Political alienation of a precarious generation, S. 5.


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