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Document 52022DC0249

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT Künftige Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für den Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union

COM/2022/249 final

Brüssel, den 25.5.2022

COM(2022) 249 final

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT

Künftige Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für den Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union






















1.EINLEITUNG

1.1.Unionsrecht über restriktive Maßnahmen

Restriktive Maßnahmen sind ein wesentliches Instrument, um das Ziel der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) nach Artikel 21 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) zu erreichen. Zu diesen Zielen zählen die Wahrung der Werte der Union, die Erhaltung des Friedens, die Festigung und Förderung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte und der Grundsätze des Völkerrechts.

Zur Aufrechterhaltung dieser Werte kann die Union restriktive Maßnahmen gegen Drittländer, Organisationen oder Einzelpersonen verhängen. Diese Maßnahmen umfassen gezielte Einzelmaßnahmen wie das Sicherstellen von Vermögenswerten und Einreisebeschränkungen (Reiseverbote) sowie sektorbezogene Maßnahmen, z. B. Waffenembargos oder wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen (z. B. Ein- und Ausfuhrbeschränkungen, Beschränkungen für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen wie Bankdienstleistungen). 1 Die Union wendet derzeit über 40 verschiedene Arten restriktiver Maßnahmen an, deren Anwendung in jüngster Zeit stark gestiegen ist. Einige davon dienen der Umsetzung restriktiver Maßnahmen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, und in einigen Fällen werden zusätzliche Beschränkungen auferlegt; andere werden eigenständig von der Union angenommen. Neben Regelungen in Bezug auf länderspezifische Situationen hat die Union auch horizontale Regelungen angenommen, um gegen die Verbreitung und den Einsatz chemischer Waffen, Cyberangriffe, Menschenrechtsverletzungen und Terrorismus vorzugehen. 2

Die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist angesichts der Invasion der Ukraine durch Russland von entscheidender Bedeutung. Die Union hat eine Reihe restriktiver Maßnahmen gegen russische und belarussische Personen und Unternehmen erlassen, sowie sektorbezogene Maßnahmen, die zum Teil bereits im Jahr 2014 ergriffen wurden. In diesem Zusammenhang und um die Koordinierung bei der Durchsetzung dieser restriktiven Maßnahmen auf Unionsebene zu verbessern, hat die Kommission die Taskforce „Freeze and Seize“ eingerichtet, an der Kommissionsdienststellen, Vertreter der Mitgliedstaaten und Agenturen der Union wie Eurojust und Europol beteiligt sind. 3 Neben der Gewährleistung der Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten soll die Taskforce auch das Zusammenspiel zwischen restriktiven und strafrechtlichen Maßnahmen prüfen.

1.2.Verbesserung der Durchsetzung restriktiver Maßnahmen durch das Strafrecht erforderlich

Für die Durchführung und Durchsetzung restriktiver Maßnahmen sind in erster Linie die Mitgliedstaaten zuständig. Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten müssen prüfen, ob ein Verstoß gegen die einschlägige Verordnung des Rates vorliegt, und geeignete Maßnahmen ergreifen. Diesbezüglich enthalten die nach Artikel 215 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) angenommenen Verordnungen des Rates stets eine Bestimmung, mit der die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, nationale Vorschriften zu erlassen, die wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen für Verstöße gegen die Bestimmungen der einschlägigen Verordnungen vorsehen. 4 Diese Verordnungen umfassen im Allgemeinen:

·die restriktiven Maßnahmen;

·die Antiumgehungsklausel, die die wissentliche und vorsätzliche Beteiligung an Tätigkeiten verbietet, die auf eine Umgehung der jeweiligen restriktiven Maßnahmen abzielen; 5 und

·andere Verpflichtungen, insbesondere die Berichterstattung über die zur Umsetzung der restriktiven Maßnahmen unternommenen Schritte (z. B. Berichterstattung über die Höhe der sichergestellten Vermögenswerte).

Die nationalen Systeme weichen in Ermangelung einer unionsweiten Harmonisierung erheblich voneinander ab, was die Kriminalisierung eines Verstoßes gegen die Unionsvorschriften über restriktive Maßnahmen (im Folgenden „restriktive Maßnahmen der Union“) anbelangt. In 12 Mitgliedstaaten ist ein Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union lediglich eine Straftat. In 13 Mitgliedstaaten stellt der Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union entweder eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat dar. 6 Die Kriterien, nach denen eine Verhaltensweise entweder in den einen oder den anderen Bereich fällt, unterscheiden sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat, beziehen sich jedoch in der Regel auf ihre Schwere (schwerwiegende Art) und werden entweder qualitativ (Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit) oder quantitativ (Schaden) bestimmt. 7 In zwei Mitgliedstaaten zieht konkret die Straftat des Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen der Union derzeit nur verwaltungsrechtliche Sanktionen nach sich. 8

Desgleichen weisen die strafrechtlichen Sanktionssysteme der Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede auf. Was Gefängnisstrafen anbelangt, so liegen die Höchststrafen in 14 Mitgliedstaaten bei zwei bis fünf Jahren. In acht Mitgliedstaaten sind jedoch Höchststrafen zwischen acht und 12 Jahren möglich. 9 Die maximalen Geldstrafen, die für einen Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union verhängt werden können – sei es als Straftat oder als Ordnungswidrigkeit – sind in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich und variieren zwischen 1200 EUR und 500 000 EUR. 10

In vierzehn Mitgliedstaaten ist für juristische Personen eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für Verstöße gegen restriktive Maßnahmen der Union vorgesehen. 11 Darüber hinaus sehen zwölf Mitgliedstaaten verwaltungsrechtliche Sanktionen vor, insbesondere Geldbußen, die gegen juristische Personen verhängt werden können, wenn deren Angestellte oder ihre Führungskräfte gegen restriktive Maßnahmen verstoßen. Die maximalen Geldstrafen für juristische Personen liegen zwischen 133 000 EUR und 37,5 Mio. EUR. 12

Die Kommission und der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik haben vorgeschlagen, die Bestimmungen über Sanktionen in den Verordnungen 833/2014 und 269/2014 des Rates im Rahmen des sechsten Pakets restriktiver Maßnahmen als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine zu verschärfen. Die geänderten Bestimmungen würden die Mitgliedstaaten verpflichten, Vorschriften über die Strafen, gegebenenfalls auch strafrechtliche Sanktionen, die bei Verstößen gegen diese Verordnungen zu verhängen sind, festzulegen. Die Mitgliedstaaten müssen alle für die ordnungsgemäße Umsetzung und Anwendung dieser Strafen erforderlichen Maßnahmen treffen. Die Strafen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Mitgliedstaaten müssen auch geeignete Maßnahmen zur Einziehung der Erträge aus solchen Verstößen vorsehen. Restriktive Maßnahmen werden auf der Grundlage von Artikel 29 EUV und Artikel 215 AEUV erlassen. Wenngleich diese Bestimmungen zwar als Rechtsgrundlage dienen, die die Mitgliedstaaten zur Festlegung von Strafen, einschließlich strafrechtlicher Sanktionen, verpflichten, so kann jedoch keine davon für die Festlegung der genauen Art und der Höhe der strafrechtlichen Sanktionen herangezogen werden. Die begrenzte Wirkung einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einführung strafrechtlicher Sanktionen ohne eine Angleichung der strafrechtlichen Definitionen und Strafen anhand einer auf Artikel 83 AEUV gestützten Richtlinie würde dazu führen, dass die Mitgliedstaaten weiterhin keinen harmonisierten Ansatz für Einziehungsmaßnahmen im Zusammenhang mit Verstößen gegen restriktive Maßnahmen der Union sowie für Einziehungs-, Verwaltungs- und Sicherstellungsmaßnahmen verfolgen, wie sie im derzeitigen und künftigen Besitzstand der Union im Bereich der Vermögensabschöpfung vorgesehen sind; und eine Einziehung würde nicht bei Verstößen gegen restriktive Maßnahmen der Union gelten. Selbst wenn der Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union in einigen Mitgliedstaaten bereits unter Strafe steht, so können Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug dennoch zu einem fragmentierten Ansatz führen.

In diesem Zusammenhang unterbreitet die Kommission einen Vorschlag für einen Ratsbeschluss im Hinblick auf die Aufnahme des Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen der Union in die Kriminalitätsbereiche nach Artikel 83 Absatz 1 AEUV. 13 Wird der Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union in die Kriminalitätsbereiche nach Artikel 83 Absatz 1 AEUV aufgenommen, könnte die Kommission als zweiten Schritt im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens unverzüglich einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Angleichung der strafrechtlichen Definitionen und der Strafen unterbreiten. Eine solche Angleichung der strafrechtlichen Definitionen und der Strafen für Verstöße gegen restriktive Maßnahmen der Union würde den ebenfalls heute angenommenen Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten ergänzen. 14 Mit diesem Vorschlag wird der derzeitige EU-Rahmen zur Abschöpfung von Vermögenswerten - bestehend aus der Einziehungsrichtlinie und dem Beschluss des Rates über Vermögensabschöpfungsstellen - erheblich gestärkt. 15  

Die vorgeschlagene Richtlinie über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten trägt auf zweierlei Weise zur wirksamen Anwendung restriktiver Maßnahmen der Union bei. Zum einen werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, Untersuchungen zum Aufspüren und zur Ermittlung von Vermögenswerten einzuleiten, um erforderlichenfalls Straftaten im Zusammenhang mit dem Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union zu verhindern, aufzudecken oder zu untersuchen sowie das Mandat der Vermögensabschöpfungsstellen auszuweiten, um Vermögen von Personen und Organisationen, die gezielten finanziellen Sanktionen der EU unterliegen, rasch aufzuspüren, zu ermitteln und umgehend sicherzustellen, sobald dies notwendig ist, um zu verhindern, dass es aus der Gerichtsbarkeit verbracht wird. Finden zum anderen die verbesserten Vorschriften über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten auf den Straftatbestand des Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen der Union Anwendung, so würde mit dem Vorschlag sichergestellt, dass Erträge aus dem Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union wirksam aufgespürt, sichergestellt, verwaltet und eingezogen werden, solange die Angleichung der strafrechtlichen Definitionen und Strafen für den Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union aussteht.

Wie ausführlicher im Vorschlag für einen Beschluss des Rates über Aufnahme des Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen der Union in die Kriminalitätsbereiche nach Artikel 83 Absatz 1 AEUV 16 beschrieben, werden die in Artikel 83 Absatz 1 AEUV genannten Kriterien für die Aufnahme eines neuen Kriminalitätsbereichs in Bezug auf die grenzüberschreitende Dimension dieses Kriminalitätsbereichs (nämlich die Art oder die Auswirkungen der Straftaten oder die besondere Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen) erfüllt.

Dies ist deshalb der Fall, da der Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union als Kriminalitätsbereich eingestuft werden sollte und von der Mehrheit der Mitgliedstaaten 17 bereits als solcher eingestuft wird, jedoch bislang nicht unter die bestehende Liste von Straftaten der Union nach Artikel 83 Absatz 1 AEUV fällt. Es handelt sich ferner um einen Bereich besonders schwerer Kriminalität, der den Weltfrieden und die internationale Sicherheit dauerhaft bedrohen, die Festigung und Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten untergraben und erheblichen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Schaden verursachen kann.

Darüber hinaus haben Verstöße gegen restriktive Maßnahmen der Union eine klare und manchmal sogar inhärente grenzüberschreitende Dimension, die eine einheitliche Reaktion auf EU-Ebene und weltweit erfordert. Diese Straftaten werden in der Regel nicht nur von weltweit tätigen natürlichen und juristischen Personen begangen, sondern in einigen Fällen verbieten restriktive Maßnahmen der Union sogar grenzüberschreitende Geschäfte (beispielsweise Beschränkungen für Bankdienstleistungen).

Des Weiteren deutet die Tatsache, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen ihres Verwaltungs- und/oder Strafrechts sehr unterschiedliche Definitionen und Strafen im Falle von Verstößen gegen restriktive Maßnahmen der Union haben, darauf hin, dass ein und dieselbe Verhaltensweise mit unterschiedlichen Strafen und auf unterschiedlichen Durchsetzungsebenen geahndet werden könnte. Dies birgt die Gefahr, dass Personen und Unternehmen den günstigsten Gerichtsstand wählen und untergräbt damit generell die Glaubwürdigkeit der Ziele der Union, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit wie auch die gemeinsamen Werte der Union zu wahren. Daher besteht ein besonderer Bedarf an einem gemeinsamen Vorgehen auf Unionsebene, um Verstößen gegen restriktive Maßnahmen der Union strafrechtlich zu begegnen. Die Union könnte diesbezüglich auch weltweit gleiche Rahmenbedingungen fördern.

Schließlich stellen die unterschiedlichen Definitionen und Strafen im Falle von Verstößen gegen restriktive Maßnahmen der Union im Rahmen des Verwaltungs- und/oder Strafrechts der Mitgliedstaaten ein Hindernis für die einheitliche Anwendung der Politik der Union in diesem Bereich dar.

Angesichts der dringenden Notwendigkeit, die an Verstößen gegen die Unionsvorschriften über restriktive Maßnahmen beteiligten natürlichen und juristischen Personen zur Rechenschaft zu ziehen, werden im Anhang zu dieser Mitteilung bereits die wichtigsten Elemente dargelegt, die eine künftige Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen bei Verstößen gegen die Unionsvorschriften über restriktive Maßnahmen beinhalten könnte. Dies wird ein rasches Vorankommen mit dem Europäischen Parlament und dem Rat in dieser Angelegenheit erleichtern.

(1)

     Der Rat erlässt restriktive Maßnahmen. Er nimmt zunächst einen GASP-Beschluss nach Artikel 29 EUV an. Die im Beschluss vorgesehenen Maßnahmen des Rates werden entweder auf Unionsebene oder auf nationaler Ebene durchgeführt. Bisher war es gängige Praxis, dass Maßnahmen wie Waffenembargos oder Einreisebeschränkungen unmittelbar von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden, die rechtlich verpflichtet sind, im Einklang mit den GASP-Beschlüssen des Rates zu handeln. Andere Maßnahmen, die auf die vollständige oder teilweise Aussetzung oder Einschränkung der Wirtschaftsbeziehungen zu einem Drittstaat abzielen, sowie Einzelmaßnahmen zur Sicherstellung von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen, mit denen die Bereitstellung von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen verboten wird, werden durch eine Verordnung umgesetzt, die vom Rat nach einem gemeinsamen Vorschlag des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und der Kommission auf der Grundlage von Artikel 215 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union mit qualifizierter Mehrheit angenommen wird. Beide Arten von Rechtsakten enthalten Antiumgehungsbestimmungen.

(2)

   Einen Überblick enthält die Weltkarte der EU-Sanktionen, abrufbar unter https://www.sanctionsmap.eu/#/main .

(3)

   Durchsetzung von Sanktionen gegen gelistete russische und belarussische Oligarchen: Die Taskforce „Freeze and Seize“ der Kommission intensiviert Zusammenarbeit mit internationalen Partnern, Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 17.3.2022, abrufbar unter https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_22_1828 ; Taskforce „Freeze and Seize“: Vermögenswerte russischer und belarussischer Oligarchen und Unternehmen in Höhe von bislang knapp 30 Mrd. EUR von der EU eingefroren, Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 8.4.2022, abrufbar unter https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_22_2373 .

(4)

   Siehe beispielsweise Artikel 8 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, konsolidierte Fassung abrufbar unter EUR-Lex - 02014R0833-20220413 - DE - EUR-Lex (europa.eu) .

(5)

     Siehe beispielsweise Artikel 12 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates. Es gilt festzustellen, dass diese Klausel auch dann anwendbar ist, wenn nicht gegen die restriktiven Maßnahmen verstoßen wurde; eine Beteiligung an Tätigkeiten zu diesem Zweck ist ausreichend.

(6)

   Genozid-Netz, Prosecution of sanctions (restrictive measures) violations in national jurisdictions: a comparative analysis, 2021, Anhang, abrufbar unter https://www.eurojust.europa.eu/sites/default/files/assets/genocide_network_report_on_prosecution_of_sanctions_restrictive_measures_violations_23_11_2021.pdf . Im Hinblick auf seine Vorlage in der Ratsarbeitsgruppe „Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen“ (COPEN), wurde der Bericht auch als Dokument 7274 des Rates vom 16. März 2022 veröffentlicht.

(7)

   Genozid-Netz, Prosecution of sanctions (restrictive measures) violations in national jurisdictions: a comparative analysis, 2021, Abschnitt 5.1., S. 22.

(8)

       Ebda.

(9)

       Ebda, Abschnitt 5.2., S. 23.

(10)

       Ebda, Abschnitt 5.3., S. 24.

(11)

     Ebda., auf der Grundlage des Berichts des Genozid-Netzes und weiterer Untersuchungen der Kommission.

(12)

       Ebda.

(13)

     Europäische Kommission, Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Aufnahme des Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen der Union in die Kriminalitätsbereiche nach Artikel 83 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (COM(2022) 247 vom 25.5.2022).

(14)

     Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten (COM(2022) 245 vom 25.5.2022).

(15)

   Richtlinie 2014/42/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union (ABl. L 127 vom 29.4.2014, S. 39). Beschluss 2007/845/JI des Rates vom 6. Dezember 2007 über die Zusammenarbeit zwischen den Vermögensabschöpfungsstellen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Aufspürens und der Ermittlung von Erträgen aus Straftaten oder anderen Vermögensgegenständen im Zusammenhang mit Straftaten (ABl. L 332 vom 18.12.2007, S. 103).

(16)

     Europäische Kommission, Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Aufnahme des Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen der Union in die Kriminalitätsbereiche nach Artikel 83 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

(17)

     Siehe Überblick des Genozid-Netzes, Prosecution of sanctions (restrictive measures) violations in national jurisdictions: a comparative analysis, 2021.

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Brüssel, den 25.5.2022

COM(2022) 249 final

ANHANG

der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat

Künftige Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für den Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union


1.1. Einführung

Die Aufnahme des Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen der Union in die Kriminalitätsbereiche gemäß Artikel 83 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im Folgenden „AEUV“) würde es der Kommission ermöglichen, im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens eine Richtlinie vorzuschlagen, mit der die Definitionen von Straftaten und Sanktionen angeglichen werden könnten.

Ein solcher Vorschlag der Kommission müsste den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit entsprechen, die für alle EU-Maßnahmen gelten. 1 Er müsste auch mit den Anforderungen an eine bessere Rechtsetzung im Einklang stehen. 2 Darüber hinaus müssten in dem Vorschlag die Besonderheiten des Strafrechts berücksichtigt werden. 3 Insbesondere müssten bei der Angleichung der strafrechtlichen Definitionen und Sanktionen die Unterschiede zwischen den Strafrechtssystemen der Mitgliedstaaten, v. a. in Bezug auf Sanktionen, beachtet werden.

Ferner müsste die entsprechende Richtlinie die Grundrechte achten und mit den Grundsätzen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union 4 (im Folgenden die „Charta“) im Einklang stehen. Es müsste vor allem sichergestellt werden, dass die Bestimmungen der Richtlinie mit dem Recht auf Freiheit und Sicherheit, dem Schutz personenbezogener Daten, dem Eigentumsrecht, dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht, der Unschuldsvermutung und dem Recht auf Verteidigung, den Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit einschließlich des Verbots der Rückwirkung strafrechtlicher Sanktionen und der Verhältnismäßigkeit von Straftaten und Strafen sowie mit dem Grundsatz „ne bis in idem“ in Einklang stehen.

Die künftige Richtlinie würde eine Reihe strafrechtlicher Aspekte umfassen, die in Richtlinien der Union auf der Grundlage von Artikel 83 AEUV gewöhnlich enthalten sind. Im Folgenden sind Beispiele möglicher Bestimmungen aufgelistet, die in den künftigen Legislativvorschlag aufzunehmen wären.

1.2. Anwendungsbereich

In der ersten Bestimmung würden Zweck und Anwendungsbereich der Richtlinie festgelegt und es würde insbesondere klargestellt, dass sie für den Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union gilt. Diese restriktiven Maßnahmen werden gemäß Artikel 29 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und Artikel 215 AEUV erlassen und umfassen gezielte Einzelmaßnahmen, d. h. die Sicherstellung von Vermögenswerten, Verbote der Bereitstellung von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen und Einreisebeschränkungen (Reiseverbote) sowie sektorbezogene restriktive Maßnahmen, d. h. Waffenembargos oder wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen (z. B. Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen, Beschränkungen für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen wie Bankdienstleistungen).

1.3. Begriffsbestimmungen

Dieser Artikel der Richtlinie würde alle einschlägigen Begriffsbestimmungen enthalten, gegebenenfalls auch durch Querverweise auf die Bestimmungen der Verordnungen und Beschlüsse des Rates über restriktive Maßnahmen. Diese Begriffsbestimmungen würden unter anderem die Begriffe „restriktive Maßnahmen“, „benannte Organisation“ und „benannte Person“ umfassen. Ein relevantes Beispiel für eine strafrechtliche Maßnahme, die ähnliche Querverweise enthält, ist die Richtlinie 2014/57/EU über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsrichtlinie) 5 .

1.4. Straftaten einschließlich Anstiftung, Beihilfe und Versuch

Die Artikel über die Straftaten, die durch die Richtlinie angeglichen werden sollen, würden präzise Definitionen verschiedener Straftaten im Zusammenhang mit Verstößen gegen restriktive Maßnahmen der Union enthalten, wie z. B.:

·die direkte oder indirekte Bereitstellung von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen für eine benannte Person/Organisation oder zu deren Gunsten;

·die unterlassene Sicherstellung von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen, die sich im Besitz einer gelisteten Person oder Organisation befinden oder von dieser gehalten oder kontrolliert werden;

·die Mitwirkung an verbotenen Finanztätigkeiten, z. B. die Bereitstellung verbotener Darlehen oder Kredite;

·die Beteiligung an verbotenen Handels-, Geschäfts- oder sonstigen Tätigkeiten wie der Ein- oder Ausfuhr von Waren und Technologien, die Gegenstand von Handelsverboten sind, oder die Erbringung verbotener Dienstleistungen;

·der Verstoß gegen geltende Bedingungen im Rahmen von Genehmigungen, die von den zuständigen Behörden erteilt wurden;

·die Nichteinhaltung jeglicher Informationspflichten gegenüber den Behörden, z. B. der Verpflichtung, Vermögenswerte anzugeben, die sich im Besitz einer benannten Person oder Organisation befinden oder von dieser gehalten oder kontrolliert werden;

·die Mitwirkung an Handlungen oder Tätigkeiten, mit denen direkt oder indirekt versucht wird, die restriktiven Maßnahmen wissentlich und absichtlich zu umgehen, unter anderem durch Beteiligung an Systemen zur Verschleierung der Vermögenswerte oder der Beteiligung benannter Personen/Organisationen, durch Unterstützung der Adressaten restriktiver Maßnahmen, um deren Auswirkungen zu umgehen, oder durch Bereitstellung irreführender Informationen für Behörden;

·die Nichtmeldung eines Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen oder Tätigkeiten, mit denen unter Verstoß gegen eine spezifische Meldepflicht Maßnahmen umgangen werden sollen.

Die Straftaten, die angeglichen werden sollen, müssten, sofern nichts anderes bestimmt ist, vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig erfolgen, in dem Wissen, dass das Verhalten Personen, Organisationen, Tätigkeiten oder Vermögensgegenstände betrifft, die restriktiven Maßnahmen unterliegen, bzw. es müssten restriktive Maßnahmen oder damit zusammenhängende rechtliche Verbote missachtet werden (absichtliche Unkenntnis).

Die Richtlinie würde auch damit zusammenhängende Straftaten wie Geldwäsche umfassen. In Bezug auf letztere würden die Mitgliedstaaten durch eine Bestimmung verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass der Straftatbestand der Geldwäsche gemäß Artikel 3 der Richtlinie (EU) 2018/1673 6 für Vermögensgegenstände gilt, die aus von der Richtlinie erfassten Straftaten stammen.

Darüber hinaus würde die Richtlinie eine Bestimmung enthalten, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, sicherzustellen, dass die Anstiftung, die Beihilfe zur Begehung der in der Richtlinie genannten Straftaten sowie der Versuch, solche Straftaten zu begehen, als Straftaten geahndet werden können. 7  

1.5. Sanktionen gegen natürliche und juristische Personen

Die nach Artikel 215 AEUV angenommenen Verordnungen des Rates enthalten stets eine Bestimmung, mit der die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, nationale Vorschriften zu erlassen, die wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen für Verstöße gegen die Bestimmungen dieser Verordnungen vorsehen. 8 Da diese Verpflichtung erhebliche Unterschiede zwischen Höhe und Art der Sanktionen aufweist, sollte die künftige Richtlinie einen Artikel über Sanktionen für natürliche Personen enthalten. Diese Sanktionen würden für alle in Abschnitt 1.4 genannten Straftaten gelten und die Mitgliedstaaten verpflichten, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen zu verhängen und ein bestimmtes Mindestmaß an strafrechtlichen Höchststrafen, einschließlich Geldbußen für natürliche Personen, festzulegen. Diese Sanktionen sollten in einem angemessenen Verhältnis zur erheblichen Schwere der Straftaten stehen. 9

Darüber hinaus würde die Richtlinie eine Bestimmung über die Verantwortlichkeit juristischer Personen enthalten. Diese Bestimmung würde für alle in Abschnitt 1.4 genannten Straftaten gelten. Gemäß dieser Bestimmung müssten die Mitgliedstaaten Sanktionen und die Verantwortlichkeit juristischer Personen vorsehen für:

I)eine Straftat nach Abschnitt 1.4, die zu ihren Gunsten von Personen begangen wurde, die eine Führungsposition innerhalb der juristischen Person innehaben; oder

II)mangelnde Überwachung oder Kontrolle durch Personen in Führungspositionen, die die Begehung einer der oben genannten Straftaten durch eine ihr unterstellte Person zugunsten dieser juristischen Person ermöglicht haben. 10

Die Richtlinie würde auch die für juristische Personen geltenden Sanktionen angleichen. Insbesondere wären die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass gegen eine im Sinne der in Abschnitt 1.4. erörterten einschlägigen Bestimmungen verantwortliche juristische Person wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen verhängt werden, darunter:

·Geldstrafen oder Geldbußen;

·vorübergehender Ausschluss vom Zugang zu öffentlicher Finanzierung, darunter auch Ausschreibungsverfahren, Beihilfen und Genehmigungen;

·vorübergehendes oder dauerhaftes Verbot der Ausübung einer Geschäftstätigkeit;

·Entziehung von Genehmigungen und Zulassungen für Tätigkeiten, die zur Begehung der Straftat geführt haben;

·Unterstellung unter gerichtliche Aufsicht;

·gerichtlich angeordnete Auflösung und

·die vorübergehende oder endgültige Schließung von Einrichtungen, die zur Begehung der Straftat genutzt wurden. 11

Darüber hinaus könnte die Richtlinie vorsehen, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen sollten, um juristische Personen, die von der Begehung von Straftaten durch andere begünstigt werden, die gegen restriktive Maßnahmen der Union verstoßen, mit Geldstrafen zu ahnden, deren Höchstmaß mindestens einen bestimmten Prozentsatz des weltweiten Gesamtumsatzes der juristischen Person im Geschäftsjahr vor der Entscheidung zur Verhängung einer Geldbuße betragen sollte.

Die Verantwortlichkeit juristischer Personen würde die Möglichkeit eines Strafverfahrens gegen natürliche Personen, die die in Abschnitt 1.4 genannten Straftaten begangen haben, nicht ausschließen. 

1.6. Erschwerende und mildernde Umstände

Die Richtlinie würde auch einen Artikel mit den erschwerenden Umständen, die bei der Verhängung von Sanktionen für eine Straftat im Sinne von Abschnitt 1.4 zu berücksichtigen sind, enthalten. Diese erschwerenden Umstände wären u. a.:

·Schwerwiegende Folgen des Verstoßes im Hinblick auf die Zwecke der restriktiven Maßnahmen;

·hoher Wert der betreffenden Gelder, wirtschaftlichen Ressourcen, Güter oder Technologien;

·die Straftat wurde von einem Beamten in Ausübung seiner Dienstpflichten begangen;

·die Straftat wurde im Rahmen einer privaten beruflichen Tätigkeit begangen, unter anderem durch Verletzung der jeweiligen beruflichen Pflichten;

·die Straftat wurde im Zusammenhang mit einer kriminellen Vereinigung im Sinne des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI begangen 12 ;

·für die Straftat wurden falsche oder gefälschte Dokumente verwendet;

·der Täter hat ähnliche frühere Verstöße gegen das Unionsrecht über restriktive Maßnahmen begangen;

·der Täter hat Ermittlungstätigkeiten aktiv behindert oder Zeugen eingeschüchtert oder auf diese eingewirkt, und

·mit der Straftat wurden direkt oder indirekt erhebliche finanzielle Vorteile erwirtschaftet oder sollten erwirtschaftet werden (wobei der Begriff „erhebliche finanzielle Vorteile“ in einem Erwägungsgrund näher definiert werden sollte).

Die Richtlinie würde ebenso einen Artikel mit den mildernden Umständen, die bei der Verhängung von Sanktionen für eine Straftat im Sinne von Abschnitt 1.4 zu berücksichtigen sind, enthalten. Insbesondere wären die Mitgliedstaaten gemäß diesem Artikel verpflichtet, dafür zu sorgen, dass im Zusammenhang mit den oben genannten Straftaten bestimmte Tatsachen als mildernde Umstände betrachtet werden. Dies würde beispielsweise für die Tatsache gelten, dass ein Täter den Verwaltungs- oder Justizbehörden Informationen zur Verfügung gestellt hat, die sie auf andere Weise nicht hätten erhalten können, und ihnen dabei geholfen hat, die anderen Straftäter zu identifizieren oder vor Gericht zu bringen oder Beweise zu finden.

1.7. Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit

Die Richtlinie würde auch eine Bestimmung über die gerichtliche Zuständigkeit enthalten. Unter anderem müsste ein Mitgliedstaat nach dem Beispiel des Artikels 11 der Richtlinie (EU) 2017/1371 über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtetem Betrug („PIF-Richtlinie“) die gerichtliche Zuständigkeit für die in Abschnitt 1.4 genannten Straftaten begründen, wenn die Straftat ganz oder teilweise in seinem Hoheitsgebiet begangen wird oder wenn es sich bei dem Täter um einen seiner Staatsangehörigen handelt. Darüber hinaus wären die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Kommission zu unterrichten, wenn sie beschließen, ihre Zuständigkeit auf folgende Straftaten auszuweiten:

I)wenn sie von Personen begangen wurden, deren gewöhnlicher Aufenthalt in ihrem Hoheitsgebiet liegt,

II)wenn sie zugunsten einer in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen juristischen Person begangen wurden, oder

III)wenn sie von einem ihrer Beamten bei der Ausübung seiner Dienstpflichten begangen wurden.

In Fällen, in denen es sich bei dem Täter um einen ihrer Staatsangehörigen handelt, dürften die Mitgliedstaaten die Ausübung der Gerichtsbarkeit nicht an die Bedingung knüpfen, dass die Strafverfolgung nur

I)nach einer Anzeige des Opfers an dem Ort, an dem die Straftat begangen wurde, oder

II)nach einer Benachrichtigung durch den Staat, in dem sich der Tatort befindet, eingeleitet werden kann.

Die gemäß Artikel 215 AEUV erlassenen Verordnungen des Rates enthalten systematisch die folgende Gerichtsstandsklausel:

„Diese Verordnung gilt

a) im Gebiet der Union einschließlich ihres Luftraums,

b) an Bord von Luftfahrzeugen und Schiffen, die der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaats unterstehen,

c) für alle Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, innerhalb und außerhalb des Gebiets der Union,

d) für alle nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten oder eingetragenen juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen innerhalb und außerhalb des Gebiets der Union,

e) für juristische Personen, Einrichtungen oder Organisationen in Bezug auf Geschäfte, die ganz oder teilweise in der Union getätigt werden.“

Dies würde auch in der Richtlinie zum Ausdruck kommen. Insbesondere wären die Mitgliedstaaten nach Buchstabe e verpflichtet, ihre strafrechtliche Zuständigkeit auf Personen aus Drittstaaten außerhalb der EU auszuweiten, sofern ihre Geschäftstätigkeit einen Zusammenhang mit der EU aufweist (der auch ihre Vermögenswerte betreffen kann).

1.8. Verjährungsfristen

Die Richtlinie würde eine Bestimmung enthalten, die für alle in Abschnitt 1.4 genannten Straftaten gilt, für die eine Mindestverjährungsfrist festgelegt werden muss, sowie eine Bestimmung über die Verjährungsfrist für die Vollstreckung von Sanktionen nach einer rechtskräftigen Verurteilung. Ein einschlägiges Beispiel findet sich in Artikel 12 der PIF-Richtlinie. Gemäß diesem Artikel müssen die Mitgliedstaaten

I)Verjährungsfristen für einen ausreichend langen Zeitraum nach Begehung der Straftaten im Sinne der Richtlinie festlegen, damit diese Straftaten wirksam bekämpft werden können, wobei Mindestverjährungsfristen für Straftaten gelten müssen, die mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens vier Jahren geahndet werden können;

II)die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Vollstreckung von Sanktionen zu ermöglichen.

1.9. Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie mit Drittstaaten

Um die Untersuchung von Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug zu verbessern, würde die Richtlinie eine Bestimmung zur Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, einschließlich Eurojust und Europol, enthalten. 13 Diese Bestimmung der Richtlinie würde auch den Austausch von praktischen Informationen (insbesondere Umgehungsmuster, z. B. Strukturen zur Verschleierung des tatsächlichen Eigentums/der tatsächlichen Kontrolle von Vermögenswerten) mit Behörden in anderen Mitgliedstaaten und mit der Kommission erleichtern.

1.10. Hinweisgeber

Um die Wirksamkeit der restriktiven Maßnahmen der Union zu erhöhen, hat die Kommission kürzlich das „EU Sanctions Whistle-blower Tool“ 14 eingeführt. Angesichts der Bedeutung der Beiträge von Hinweisgebern zur ordnungsgemäßen Anwendung der restriktiven Maßnahmen der Union würde der Vorschlag der Kommission die Mitgliedstaaten verpflichten, Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass der durch die Richtlinie (EU) 2019/1937 15 gewährte Schutz für Personen gilt, die Straftaten im Sinne der Richtlinie melden. Ferner würden die Mitgliedstaaten verpflichtet, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass Personen, die Straftaten im Sinne der Richtlinie melden und Beweise vorlegen oder anderweitig an der Ermittlung, Strafverfolgung oder gerichtlichen Entscheidung hinsichtlich dieser Straftaten mitwirken, im Rahmen von Strafverfahren die notwendige Unterstützung und Hilfe erhalten. 16

2. AUSBLICK

Sobald der Rat eine Einigung erzielt und das Europäische Parlament seine Zustimmung dazu erteilt, den Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union in die Kriminalitätsbereiche nach Artikel 83 Absatz 1 AEUV aufzunehmen, könnte die Kommission im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens unverzüglich einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Angleichung der strafrechtlichen Definitionen und Strafen unterbreiten.

Ein solcher Vorschlag der Kommission müsste den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit entsprechen, die für alle EU-Maßnahmen gelten. 17 Er müsste auch mit den Anforderungen an eine bessere Rechtsetzung im Einklang stehen. 18

(1)

     Artikel 5 Absätze 1 und 4 des Vertrags über die Europäische Union; Protokoll Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäβigkeit.

(2)

     Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung (ABl. L 123 vom 12.5.2016, S. 1).

(3)

     Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Auf dem Weg zu einer europäischen Strafrechtspolitik: Gewährleistung der wirksamen Durchführung der EU-Politik durch das Strafrecht“, KOM(2011) 573 endg. vom 20.9.2011; Schlussfolgerungen des Rates zu Leitlinien für künftige strafrechtliche Bestimmungen im EU-Recht, Ratsdokument 14162/09 vom 9.10.2009; Entschließung des Europäischen Parlaments vom 22. Mai 2012 zu einem EU-Ansatz zum Strafrecht, ABl. C 264 E vom 13.9.2013, S. 7.

(4)

     Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 326 vom 26.10.2012, S. 391).

(5)

     Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie), ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 179, Artikel 2.

(6)

     Richtlinie (EU) 2018/1673 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2018 über die strafrechtliche Bekämpfung der Geldwäsche (ABl. L 284 vom 12.11.2018, S. 22).

(7)

     Richtlinie (EU) 2017/1371 über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtetem Betrug („PIF-Richtlinie“), ABl. L 198 vom 28.7.2017, S. 29, Artikel 5; Marktmissbrauchsrichtlinie, Artikel 6.

(8)

   Siehe beispielsweise Artikel 8 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, konsolidierte Fassung abrufbar unter EUR-Lex - 02014R0833-20220413 - DE - EUR-Lex (europa.eu) .

(9)

   Siehe auch PIF-Richtlinie, Artikel 7; Marktmissbrauchsrichtlinie, Artikel 7.

(10)

   Siehe auch PIF-Richtlinie, Artikel 6; Marktmissbrauchsrichtlinie, Artikel 8.

(11)

   Siehe auch PIF-Richtlinie, Artikel 10; Marktmissbrauchsrichtlinie, Artikel 9.

(12)

   Rahmenbeschluss 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (ABl. L 300 vom 11.11.2008, S. 42).

(13)

     Siehe auch PIF-Richtlinie, Artikel 15.

(14)

     Europäische Kommission, Überblick über Sanktionen und damit zusammenhängende Instrumente, abrufbar unter https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/banking-and-finance/international-relations/restrictive-measures-sanctions/overview-sanctions-and-related-tools_en#whistleblower .

(15)

     Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (ABl. L 305 vom 26.11.2019, S. 17).

(16)

     Siehe auch Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt und zur Ersetzung der Richtlinie 2008/99/EG, COM(2021) 851 final vom 15.12.2021, Artikel 13.

(17)

     Artikel 5 Absatz 1 und Artikel 5 Absatz 4 EUV; Protokoll Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäβigkeit.

(18)

     Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung (ABl. L 123 vom 12.5.2016, S. 1).

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