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Document 52022DC0133

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN EUROPÄISCHEN RAT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN Gewährleistung der Ernährungssicherheit und Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Lebensmittelsysteme

COM/2022/133 final

Brüssel, den 23.3.2022

COM(2022) 133 final

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN EUROPÄISCHEN RAT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN

Gewährleistung der Ernährungssicherheit und Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Lebensmittelsysteme


1.Einleitung

Die ungerechtfertigte Invasion der Ukraine durch Russland hat die ohnehin anfälligen Agrarmärkte weiter destabilisiert. Aufgrund der COVID-19-Pandemie und des Klimawandels steht die Landwirtschaft weltweit unter Druck. Im jüngsten IPCC-Bericht wird aufgezeigt, wie die Ernährungssicherheit schon jetzt durch Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen sowie den Anstieg des Meeresspiegels bedroht ist und wie diese Bedrohungen aufgrund der Erderwärmung noch weiter zunehmen und insbesondere anfällige Regionen treffen werden. 1  

Auch vor der Invasion war auf den Rohstoffmärkten bereits ein erheblicher Preisanstieg zu verzeichnen, der auf den Agrarmärkten durch den Anstieg der Energie- und Düngemittelkosten und den daraus resultierenden Anstieg der Agrarpreise zu spüren war. Die Lebensmittelpreise in der EU sind gegenüber Februar letzten Jahres um 5,6 % gestiegen.

Die Lebensmittelversorgung in der EU ist derzeit nicht gefährdet. Die EU kann sich weitgehend selbst mit wichtigen landwirtschaftlichen Erzeugnissen versorgen, führt große Mengen Weizen und Gerste aus und kann ihren Verbrauch für andere Grunderzeugnisse wie Mais oder Zucker weitgehend selbst abdecken. Auch in Bezug auf tierische Erzeugnisse, einschließlich Milch- und Fleischerzeugnisse, ist die EU weitgehend unabhängig. Dies gilt jedoch nicht für Meereserzeugnisse.

Die Invasion der Ukraine und eine weltweite Explosion der Rohstoffpreise treiben jedoch die Preise auf den Märkten für Agrar- und Meereserzeugnisse in die Höhe und machen die Schwachstellen unseres Lebensmittelsystems deutlich, nämlich unsere Abhängigkeit von unter anderem Energie-, Düngemittel- und Futtermitteleinfuhren. Dies erhöht die Kosten für die Erzeuger und wirkt sich auf die Lebensmittelpreise aus, was Sorgen hinsichtlich der Kaufkraft der Verbraucherinnen und Verbraucher und des Einkommens der Erzeuger verursacht.

Die Unterbrechung von Handelsströmen aufgrund der kurzfristigen Auswirkungen des Krieges und der damit verbundenen längerfristigen Unsicherheiten gibt Anlass zu ernster Besorgnis hinsichtlich der weltweiten Ernährungssicherheit. In den belagerten ukrainischen Städten gibt es kaum noch Nahrungsmittel. Der zuvor bedeutende Handel mit Getreide und Ölsaaten vom Schwarzen Meer ist praktisch zum Erliegen gekommen.

Der Krieg in der Ukraine hat die Markterwartungen drastisch verändert und sich auf die Preise für alle Rohstoffe, auch für landwirtschaftliche Grunderzeugnisse, ausgewirkt. Die Bedenken im Hinblick auf die Ernährungssicherheit betreffen in erster Linie den Weltmarkt für Weizen. Die Preise auf den Terminmärkten für Weizen sind seit der Invasion um 70 % gestiegen. Die weltweite Weizenproduktion ist sowohl durch den Angebotsschock aufgrund des großen wegbrechenden ukrainischen und russischen Anteils am Weizenmarkt als auch durch den Schock bei den Betriebsmittelkosten, insbesondere bei Erdgas, Stickstoffdünger und Sauerstoff, gefährdet. Um den weltweiten Nahrungsmittelbedarf für die derzeitige und die nächste Vegetationsperiode zu decken, müsste Ersatz für bis zu 25 Mio. Tonnen gefunden werden. 2  

Mehr denn je zuvor müssen wir jetzt unsere Solidarität unter Beweis stellen. In dieser Mitteilung wird dargelegt, wie die Kommission der Aufforderung des Europäischen Rates in seiner Erklärung von Versailles vom 10. und 11. März 2022 nachkommt, mögliche Wege zur Bewältigung der steigenden Lebensmittelpreise und zur Sicherstellung der weltweiten Ernährungssicherheit vorzulegen. Sie basiert auf einer Bewertung der Situation (Anhang 1) und baut auf der Vision für ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem auf, die im europäischen Grünen Deal und in der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ dargelegt ist. In dieser Mitteilung werden kurzfristige Maßnahmen zur Förderung der Ernährungssicherheit und der Landwirtschaft in der Ukraine, der weltweiten Ernährungssicherheit sowie der Erzeugerinnen und Erzeuger und der Verbraucherinnen und Verbraucher in der EU festgelegt. Ferner wird gefordert, die Mängel, die durch die fortschreitende Krise aufgedeckt wurden, derart anzugehen, dass der Übergang zu nachhaltigen, widerstandsfähigen und fairen Lebensmittelsystemen in der EU und weltweit gefördert wird.

2.Weltweite Ernährungssicherheit

Die russische Invasion der Ukraine könnte schwerwiegende Folgen für die Ernährungssicherheit in der Ukraine aber auch in vielen Ländern mit einem Nahrungsmitteldefizit in Afrika (darunter in Subsahara-Afrika), im Nahen Osten und auf dem Westbalkan haben. Zusammen mit den steigenden Nahrungsmittelpreisen dürfte so die Armut und Instabilität in diesen Ländern verschärft werden.

Die Ernährungssicherheit in der vom Krieg erschütterten Ukraine ist stark gefährdet, zumal Russland offenbar gezielt Lebensmittelvorräte und Lebensmittellager ins Visier nimmt und zerstört. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden bis zu 18 Millionen Menschen in der Ukraine von dieser Ernährungsunsicherheit betroffen sein, darunter bis zu 6,7 Mio. neue Binnenvertriebene. Aufgrund des Nahrungsmittelmangels in den Städten und angesichts der Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen muss dringend Nahrungsmittelhilfe für die Ukraine bereitgestellt werden. Akteure der humanitären Hilfe wie das Welternährungsprogramm leisten bereits Nahrungsmittelhilfe und verstärken derzeit ihre Präsenz. Die EU mobilisiert sowohl über ihre Katastrophenschutzmechanismen als auch über ihre humanitären Kanäle Hilfe. Die jetzt schon einsatzbereite humanitäre Hilfe der EU beläuft sich auf 93 Mio. EUR für die Ukraine und die Republik Moldau und umfasst auch Nahrungsmittelhilfe und Unterstützung bei der Deckung des Grundbedarfs.

Die diesjährige Ernte in der Ukraine, der Kornkammer Europas, wird durch den Krieg und die Kriegswirren erheblich beeinträchtigt. Die ukrainischen Landwirtinnen und Landwirte benötigen Saatgut, Diesel, Düngemittel und Pflanzenschutzmittel, um die Erzeugung sicherstellen zu können. Die Kommission unterstützt die Ukraine bei der Entwicklung und Umsetzung einer kurz- und mittelfristigen Ernährungssicherungsstrategie, um zu gewährleisten, dass die Betriebsmittel, soweit möglich, landwirtschaftliche Betriebe erreichen und dass Transport- und Lagereinrichtungen weiter genutzt werden können, damit die Ukraine ihre Bürgerinnen und Bürger ernähren und künftig ihre Ausfuhrmärkte wiedererlangen kann. Die Kommission arbeitet mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) in der Westukraine zusammen, um kleine landwirtschaftliche Betriebe zu unterstützen und die landwirtschaftliche Produktion zu sichern. Darüber hinaus wird die Kommission auf Ersuchen der ukrainischen Landwirtschaftsbehörden sicherstellen, dass der Zugang zu den EU-Märkten sowohl für Einfuhren in die Ukraine als auch für Ausfuhren aus der Ukraine flexibel gehandhabt und aufrechterhalten wird. Als Teil einer Reihe neuer Maßnahmen zur Abfederung des durch den Krieg verursachten wirtschaftlichen Schocks plant die ukrainische Regierung die Übernahme von Darlehenszinsen für Landwirte im Rahmen eines 25 Mrd. Hrywnja (760 Mio. EUR) schweren Programms. Schließlich leisten auch die landwirtschaftlichen Verbände der EU Unterstützung für ukrainische Landwirtinnen und Landwirte.

Der Krieg wirkt sich unmittelbar auf die weltweite Nahrungsmittelversorgung (insbesondere mit Weizen, Mais, Gerste und Sonnenblumenöl) sowie auf die Düngemittel- und Energiepreise aus. Die derzeitigen Preissteigerungen verschärfen die bereits schwierige sozioökonomische Lage, die durch COVID-19, Dürren und andere Konflikte bedingt ist. Im September 2021 litten mehr als 161 Millionen Menschen in 42 Ländern unter akuter Ernährungsunsicherheit. Fast jeder dritte Mensch auf der Welt hat keinen Zugang zu angemessener Nahrung, und für etwa 3 Milliarden Menschen war eine gesunde Ernährung unbezahlbar. Diese Zahlen könnten weiter steigen, sodass die Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung für 2030 in noch weitere Ferne rücken. Einer ersten Analyse der FAO zufolge wird die Zahl der unterernährten Menschen weltweit um zwischen 7,6 Millionen (Szenario eines gemäßigten Schocks) und 13,1 Millionen (Szenario eines schweren Schocks) ansteigen.

Für viele Länder mit niedrigem Einkommen und sogar Länder mit niedrigem mittlerem Einkommen bedeuten diese Umstände eine Zunahme der Einfuhrkosten (für Nahrungsmittel), und das zu einer Zeit, in der die Schuldenlast gestiegen ist und die Wechselkurse unter Druck stehen. Länder, die einen großen Teil ihrer Nahrungsmittel und insbesondere Weizen (ein wichtiges Grundnahrungsmittel) aus Russland und der Ukraine einführen (z. B. in Afrika, dem Nahen Osten und dem Westbalkan), sind besonders stark betroffen. Hier könnten die zunehmenden Spannungen zu sozialen Unruhen, Radikalisierung und Instabilität führen. Länder, die für einen Großteil ihrer landwirtschaftlichen Erzeugung von der Einfuhr von Düngemitteln abhängig sind, und von denen einige auch auf Weizeneinfuhren angewiesen sind, werden mit steigenden und letztendlich möglicherweise untragbaren Kosten konfrontiert sein. Dies könnte zu einem Teufelskreis führen, der die Nahrungsmittelproduktion für die nächsten Ernten ernsthaft gefährden würde.

Sowohl der Bedarf an humanitärer Hilfe als auch die humanitären Kosten dürften zunehmen und so zusätzlichen Druck auf die humanitäre Hilfe ausüben. Das Welternährungsprogramm schätzt beispielsweise, dass seine Betriebskosten im Vergleich zum derzeitigen Niveau aufgrund der gleichzeitig in die Höhe kletternden Nahrungsmittel- und Kraftstoffpreise um 26,1 Mio. EUR pro Monat steigen werden. Verglichen mit den Ausgaben vor der Pandemie belaufen sich diese zusätzlichen Kosten auf 63,8 Mio. EUR pro Monat.

Die EU spielt eine zentrale Rolle bei der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit im Bereich der Nahrungsmittel- und Ernährungssicherheit und leistet umfangreiche finanzielle und politische Unterstützung. Seit 2015 hat die EU jährlich mindestens 350 Mio. EUR für humanitäre Nahrungsmittelhilfe eingesetzt. Darüber hinaus hat die EU im Zeitraum 2014–2020 mehr als 10 Mrd. EUR im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit für die Verbesserung der Ernährungssicherheit der ärmsten und am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen, für die Beseitigung des Hungers und für eine wirksamere Bekämpfung aller Formen von Unterernährung bereitgestellt. Für den Zeitraum 2021–2024 hat die EU mindestens 2,5 Mrd. EUR (1,4 Mrd. EUR für Entwicklung und 1,1 Mrd. EUR für humanitäre Hilfe) für die internationale Zusammenarbeit zur Sicherung der Ernährung zugesagt. Im Rahmen des Programms für internationale Zusammenarbeit für 2021–2027 wird die EU Lebensmittelsysteme in rund 70 Partnerländern unterstützen.

Der drastische Anstieg der Terminpreise seit der russischen Invasion der Ukraine zeigt, dass hinsichtlich der weltweiten Ernährungssicherheit vor allem der Weizenmarkt Sorge bereitet. Aus geostrategischer Sicht ist es entscheidend, dass die EU dazu beiträgt, die Produktionslücke zu schließen, um die zu erwartende weltweite Weizenknappheit abzufangen. Die EU ist nicht nur eine wichtige Nettoausfuhrregion von Weizen, sondern verzeichnet weltweit die höchsten Erträge. 3 Seit dem vergangenen Sommer hat die EU 19 Millionen Tonnen Weizen ausgeführt, wobei bis Ende Juni weitere 13 Millionen Tonnen erwartet werden. Diese Zahl könnte als Reaktion auf die hohen Preise, die die Ausfuhren ankurbeln, leicht steigen. Die Aussichten für die Winterweizenernte 2022 in der EU stehen gut, da die Flächen im Vergleich zum Vorjahr um 1 % zugenommen haben und die Kulturen während des Winters in den wichtigsten Erzeugermitgliedstaaten nicht unter ungünstigen Witterungsbedingungen zu leiden hatten.

Auf kurze Sicht beobachtet und analysiert die Kommission regelmäßig die Situation bezüglich der Ernährungsunsicherheit und der Nahrungsmittelpreise (einschließlich der Lagerbestände auf Ebene der Länder und Regionen), spricht sich dabei mit anderen globalen Akteuren ab und stützt sich nach Möglichkeit auf das Agrarmarkt-Informationssystem (AMIS). Sie überwacht den Bedarf an Rohstoffen, bei denen die weltweiten Lagerbestände niedrig sind, um die richtigen Marktsignale für eine Steigerung der Produktion nach nachhaltigen Verfahren zu setzen. Die humanitäre Hilfe sollte verstärkt werden, und zwar in Ländern mit Nahrungsmitteldefizit sowie in konfliktgebeutelten Ländern in Nordafrika und im Nahen Osten, in Asien und in Subsahara-Afrika. Die Hilfe sollte gegebenenfalls einen Ansatz verfolgen, bei dem humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung miteinander verknüpft werden, und die Arbeit des Globalen Netzwerks gegen Ernährungskrisen auf nationale und lokale Ebene ausweiten. Darüber hinaus wurde auf dem ersten Europäischen Forum für humanitäre Hilfe (21.–23. März 2022) ein Aufruf zum Handeln veröffentlicht, als Team Europa zusammenzuarbeiten, um die weltweite humanitäre Krise im Bereich der Ernährungssicherheit zu bekämpfen. Durch ihr gemeinsames Handeln können die EU und ihre Mitgliedstaaten zusammen die humanitäre Hilfe für Soforthilfe und Wiederaufbau aufstocken.

Das vorgeschlagene Soforthilfeprogramm der EU für die Ukraine (330 Mio. EUR) soll dazu beitragen, das durch die russische Invasion verursachte Leid der ukrainischen Bevölkerung zu lindern, indem der Zugang zu grundlegenden Gütern und Dienstleistungen sowie Schutz sichergestellt werden. Die Maßnahme wird auch zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Landes allgemein und gegen hybride Bedrohungen beitragen, indem die Regierung, die Wirtschaftsakteure, die Medien und die Zivilgesellschaft noch stärker befähigt werden, den Auswirkungen der Krise standzuhalten und zum Wiederaufbau des Landes beizutragen. Ein Schwerpunkt wird auch auf dem Wiederaufbau kleiner ziviler Infrastruktureinrichtungen und dessen strategischer Planung sowie auf der Energieversorgungssicherheit liegen.

Sind die entsprechenden Beihilfevoraussetzungen erfüllt, kann diese Hilfe durch makroökonomische Unterstützung für Abhilfemaßnahmen zur Unterstützung der am stärksten von Preiserhöhungen (bei Nahrungsmitteln) betroffenen Gruppen und durch die Ausarbeitung von Sozialschutzmechanismen ergänzt werden. Die EU kann auch weiterhin den Schuldenerlass in breiter angelegte Politikdialoge und Finanzierungsstrategien und ‑maßnahmen einbetten, um einen umweltverträglichen Aufschwung zu unterstützen. Es sollten vorausschauende Mechanismen eingerichtet werden, um künftige Schocks vor ihrem Auftreten zu verhindern und, sollten sie dennoch eintreten, ihre Auswirkungen zu verringern, anstatt erst auf die Folgen zu reagieren.

Darüber hinaus wird sich die EU – auch in internationalen Foren – weiterhin nachdrücklich dafür einsetzen, Ausfuhrbeschränkungen und -verbote von Nahrungsmitteln zu vermeiden, da die Erfolgsbilanz dieser Interventionen katastrophal ist, wie zuletzt die Krise von 2007–2008 in verschiedenen Teilen der Welt deutlich gemacht hat. Die Koordinierung im Rahmen der WTO wird von entscheidender Bedeutung sein. Um die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen, werden die Einfuhrländer ermutigt, für eine bessere Diversifizierung ihrer Nahrungsmittelquellen zu sorgen. Darüber hinaus sind gut funktionierende globale Liefer- und Logistikketten für die weltweite Ernährungssicherheit unabdinglich.

Mittelfristig wird die EU die Länder weiterhin beim Übergang zu widerstandsfähigen und nachhaltigen Lebensmittelsystemen in der Landwirtschaft und Aquakultur unterstützen. Dazu gehört auch die analytische und politische Unterstützung, die im Rahmen der Folgemaßnahmen zum Welternährungsgipfel 2021 und zum Gipfel „Ernährung für Wachstum“ ausgearbeitet wurde. In diesem Zusammenhang wird die EU ihre internationale Zusammenarbeit im Bereich der Lebensmittelforschung und -innovation verstärken. Dies beinhaltet auch, dass sie bei der Beratungsgruppe für Internationale Agrarforschung eine führende Rolle einnimmt, insbesondere in Bezug auf die Anpassung an den Klimawandel und den Klimaschutz, die nachhaltige Bewirtschaftung und den Schutz natürlicher Ressourcen, die Nutzung von Ansätzen wie Agrarökologie, Landschaftsmanagement und Agrarforstwirtschaft, die Diversifizierung von Handelsströmen und Produktionssystemen und die Verringerung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung. Darüber hinaus wird die EU unter anderem durch humanitäre Hilfe ihre internationale Zusammenarbeit in den Bereichen Ernährung und gesunde Ernährung, sowie für widerstandsfähige und inklusive Wertschöpfungsketten verstärken. Der 2019 vereinbarte Aktionsplan AU-EU für den Wandel im ländlichen Raum bietet eine Grundlage für eine verstärkte Zusammenarbeit mit Afrika.

Die EU ist bereit, gemeinsam mit internationalen Organisationen und im Rahmen des laufenden G7-Prozesses den Bedarf der Länder, die Nettoeinführer von Nahrungsmitteln sind, zu ermitteln und erforderlichenfalls gezielte, abgestimmte Unterstützung für ländereigene Agenden zu leisten (z. B. im Einklang mit den nationalen Plänen im Anschluss an den Weltgipfel zu Ernährungssystemen und den Plänen des Umfassenden Programms zur Entwicklung der afrikanischen Landwirtschaft (CAADP)).

Die EU mobilisiert die internationale Gemeinschaft, um die multilateralen Maßnahmen über die humanitäre Hilfe hinaus sofort auszuweiten. Dazu gehört auch, dass UN-Gremien mit für die Ernährungssicherheit relevanten Mandaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen können müssen. So steht die Ernährungssicherheit beispielsweise im Zentrum des Mandats der FAO. Sie spielt eine Schlüsselrolle bei der Analyse und Bewältigung der Auswirkungen der russischen Invasion der Ukraine auf die internationalen Lebensmittelsysteme und bei der Verhinderung einer weiteren Verschlechterung, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf dem Schutz der schwächsten Bevölkerungsgruppen liegt. Die EU setzt sich auch dafür ein, dass die Ernährungssicherheit in die Bemühungen des gesamten UN-Systems, einschließlich des UN-Sicherheitsrates und der UN-Generalversammlung einbezogen wird, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen.

Die Kommission schlägt folgende Maßnahmen vor und ermutigt die Mitgliedstaaten, diese umzusetzen:

·Solidarität mit der Ukraine durch Bereitstellung von Nahrungsmittelhilfe, humanitärer Hilfe und Unterstützung des Agrar- und Fischereisektors in enger Zusammenarbeit mit internationalen Partnern

·Weitere Einbettung des Schuldenerlasses in breiter angelegte Politikdialoge und Finanzierungsstrategien und ‑maßnahmen, um einen umweltverträglichen Aufschwung zu unterstützen 

·Gewährleistung einer mit anderen globalen Akteuren zu koordinierenden regelmäßigen Beobachtung und Analyse der Situation bezüglich der Ernährungsunsicherheit und der Nahrungsmittelpreise (einschließlich der Lagerbestände auf Ebene der Länder und Regionen), und Bereitstellung von Vorräten für bedürftige Länder

·Anhaltende Unterstützung anderer Länder beim Übergang zu widerstandsfähigen und nachhaltigen Lebensmittelsystemen in der Landwirtschaft und Aquakultur

·Aufstockung der humanitären Hilfe für die am stärksten von Ernährungsunsicherheit betroffenen Regionen und Bevölkerungsgruppen

·Bei Erfüllung der entsprechenden Beihilfevoraussetzungen möglicherweise makroökonomische Unterstützung für Abhilfemaßnahmen in Entwicklungsländern mit niedrigem Einkommen und Nahrungsmitteldefizit, um die Bevölkerungsgruppen zu unterstützen, die am stärksten vom Anstieg der (Nahrungsmittel-)Preise betroffen sind

·Engagement – auch in internationalen Foren – gegen Ausfuhrbeschränkungen und -verbote für Lebensmittel und für einen funktionierenden Binnenmarkt

3.Ernährungssicherheit in der EU

3.1.Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Lebensmitteln

Für die EU ist zwar die Verfügbarkeit von Lebensmitteln gesichert, sie könnten jedoch für einkommensschwache Menschen unerschwinglich werden.

Die EU ist bei vielen landwirtschaftlichen Erzeugnissen weitgehend autonom und ist zudem ein Nettoausführer von Weizen. Sie ist jedoch ein bedeutender Nettoeinführer für bestimmte Erzeugnisse, die (kurzfristig) möglicherweise schwer zu ersetzen sind (z. B. Eiweißfuttermittel, Sonnenblumenöl oder Meereserzeugnisse). Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen keine umfassenden Lebensmittelengpässe befürchten. Die stabile Nahrungsmittelversorgung in der EU ist zwar nicht gefährdet, doch treiben diese Schwachstellen zusammen mit den steigenden Betriebsmittelkosten entlang der Lebensmittelversorgungskette die Lebensmittelpreise weiter in die Höhe. Wenn die deutlich höheren Produktionskosten auf Betriebsebene nicht durch höhere Preise kompensiert werden, kann sich dies auf die Versorgungssicherheit auswirken.

Vor diesem Hintergrund hat die Kommission kürzlich einen neuen europäischen Mechanismus zur Krisenvorsorge und Krisenreaktion im Bereich der Ernährungssicherheit (EFSCM) 4 eingerichtet, der darauf abzielt, die Koordinierung zwischen europäischen und nationalen Verwaltungen sowie betroffenen Nicht-EU-Ländern und privaten Akteuren zu verbessern, um die Nahrungsmittelversorgung und Ernährungssicherheit in Krisenzeiten zu gewährleisten. Über den Mechanismus, der am 9. März 2022 eingesetzt wurde, wird erst eine gründliche Bestandsaufnahme der Risiken und Schwachstellen der EU-Lebensmittelversorgungskette vorgenommen, gefolgt von Empfehlungen und geeigneten Abhilfemaßnahmen.

Ein gut funktionierender Binnenmarkt ist das Fundament für die Ernährungs- und Lebensmittelsicherheit in der EU, auch in der derzeitigen Krise. Unsere Lieferketten sind voneinander abhängig, und jede ungerechtfertigte Einschränkung des Binnenmarkts kann unbeabsichtigte Folgen haben, die unsere Versorgung mit sicheren Lebensmitteln gefährden könnte. Die Kommission lehnt die Maßnahmen der Mitgliedstaaten zum Schutz der heimischen Lebensmittelversorgung durch die Verhinderung von Ausfuhren entschieden ab. Solche handelsverzerrenden Maßnahmen sind grundsätzlich mit dem Binnenmarkt unvereinbar und werden sich letztlich negativ auf die Ernährungssicherheit auswirken. Es ist wichtig, dass die Mitgliedstaaten ihre Maßnahmen koordinieren, um die Handelsströme zu verbessern und Rohstoffe und Lebensmittel dorthin zu transportieren, wo sie am dringendsten benötigt werden. Die Einrichtung des Notfallinstruments für den Binnenmarkt wird die Vorsorge- und Koordinierungsmöglichkeiten der Union stärken und das Risiko ungerechtfertigter Beschränkungen verringern. Die Kommission und die Mitgliedstaaten überprüfen ausländische Direktinvestitionen im Rahmen der Verordnung (EU) 2019/452, der zufolge sie die potenziellen Auswirkungen ausländischer Direktinvestitionen auf die Versorgung mit kritischen Ressourcen sowie auf die Nahrungsmittelsicherheit prüfen können. Neue Fälle werden im Hinblick auf ihre möglichen Auswirkungen auf die Nahrungsmittelversorgung und die Lebensmittelpreise einer eingehenden Prüfung unterzogen.

Besondere Aufmerksamkeit sollte den schutzbedürftigsten Personen gelten, einschließlich Flüchtlingen aus der Ukraine und Menschen mit niedrigem Einkommen, die bereits von den hohen Energiepreisen betroffen sind und immer noch unter dem durch die COVID-19-Pandemie verursachten sozioökonomischen Schock leiden. Studien haben gezeigt, dass die Haushalte nach dem Anstieg der Lebensmittelpreise im Jahr 2008 im Durchschnitt weniger Obst und Gemüse gekauft und auf billigere Lebensmittel zurückgegriffen haben, bei denen es sich tendenziell um kalorienreiche, nährstoffarme Lebensmittel handelt (die wenige Vitamine, Mineralstoffe und Ballaststoffe enthalten, die für eine gesunde Ernährung unerlässlich sind).

Vor dem Hintergrund steigender Lebensmittelpreise sind sozialpolitische Maßnahmen entscheidend, um die am stärksten gefährdeten Bürgerinnen und Bürger vor Ernährungsunsicherheit zu schützen und dafür zu sorgen, dass sich alle Menschen, insbesondere schutzbedürftige Gruppen wie Familien mit Kindern, ältere Menschen und einkommensschwache Personen, ausreichende Mengen gesunder und nahrhafter Lebensmittel leisten können. Diese Maßnahmen müssen in einen integrierten Ansatz zur Bekämpfung der Ursachen von Armut und sozialer Ausgrenzung eingebettet sein. Darüber hinaus bietet die Europäische Garantie für Kinder den Mitgliedstaaten eine Orientierungshilfe, um Kindern in Not wirksam Zugang zu ausreichender und gesunder Ernährung zu gewähren, einschließlich mindestens einer kostenlosen gesunden Mahlzeit pro Schultag.

Die Mitgliedstaaten können auf EU-Fonds wie den Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (FEAD) zurückgreifen, durch den die Maßnahmen der EU-Mitgliedstaaten zur Bereitstellung von Nahrungsmittelhilfe und/oder materieller Basisunterstützung für die am stärksten benachteiligten Personen gefördert werden. Durch diesen Fonds konnte über 15 Millionen Menschen Nahrungsmittelhilfe gewährt werden. Die Mitgliedstaaten können ihre Mittel aufstocken, indem sie die Aufbauhilfe für den Zusammenhalt und die Gebiete Europas (REACT-EU) in Anspruch nehmen und die im Rahmen der „Kohäsionsmaßnahmen für Flüchtlinge in Europa“ (CARE) kürzlich von der Kommission vorgeschlagene zusätzliche Flexibilität für ihre FEAD-Programme optimal nutzen.

Um die Auswirkungen der hohen Lebensmittelpreise auf die Schwächsten abzufedern, können die Mitgliedstaaten ermäßigte Mehrwertsteuersätze anwenden und die Wirtschaftsteilnehmer dazu anhalten, die Verbraucherpreise zu senken. Im Dezember 2021 verabschiedete der Rat eine Reform der Mehrwertsteuersätze auf EU-Ebene, die es den Mitgliedstaaten ermöglicht, ihre Sätze für bestimmte Waren und Dienstleistungen zur Deckung von Grundbedürfnissen, insbesondere für Nahrungsmittel, auf bis zu 0 % zu senken. Die Mitgliedstaaten können von dieser Möglichkeit bereits Gebrauch machen und ebenso pauschale Ausgleichszahlungen an Privathaushalte als effiziente und wirksame Lösung zur Gewährleistung der Erschwinglichkeit nutzen.

3.2.Stabilisierung der EU-Agrarmärkte und Unterstützung der Erzeuger

Die Marktdynamik beeinflusst die Entscheidungen der Erzeuger. Um den Druck durch hohe Preise zu verringern, könnten kurzfristige Anpassungen die Nachfrage nach Weizen als Kraftstoff und Futtermittel verringern und das Angebot erhöhen, indem Anreize für einen verstärkten Sommerweizenanbau geschaffen werden. Die Landwirtinnen und Landwirte wenden zunehmend nachhaltige Verfahren an, die noch stärker gefördert werden sollten.

Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) und die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) sehen eine Reihe von Maßnahmen vor, darunter ein Preissicherheitsnetz und die Möglichkeit, außergewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen. Diese Maßnahmen können ergriffen werden, um stabile Märkte zu gewährleisten und außergewöhnliche Umstände zu bewältigen. Die Erzeuger, die mit einem Anstieg der Betriebsmittelkosten konfrontiert sind, müssen gezielt unterstützt werden, jedoch sollte diese Unterstützung die langfristigen Ziele eines widerstandsfähigeren und nachhaltigeren Lebensmittelsystems nicht untergraben.

Die Kommission verfolgt die derzeitige Lage anhand der seit 2008 entwickelten Marktforschungsinstrumente aufmerksam. 5 Um die Lagerbestände angesichts hoher Preise und der wahrgenommenen Versorgungsunsicherheit besser überwachen zu können, wird die Kommission den Mitgliedstaaten vorschlagen, monatlich Daten über die privaten Bestände an wesentlichen Rohstoffen für Lebens- und Futtermittel zu übermitteln, um ein aktuelles und genaues Bild ihrer Verfügbarkeit zu erhalten.

Angesichts der derzeitigen Ausnahmesituation hat die Kommission ein Hilfspaket von 500 Mio. EUR vorgeschlagen, das auch die Inanspruchnahme der Krisenreserve einschließt, um die von den schwerwiegenden Folgen des Krieges in der Ukraine am stärksten betroffenen Erzeuger zu unterstützen. Auf dieser Grundlage könnten die Mitgliedstaaten Landwirtinnen und Landwirten finanzielle Unterstützung gewähren, um zur weltweiten Ernährungssicherheit beizutragen oder Marktstörungen aufgrund höherer Betriebsmittelkosten oder Handelsbeschränkungen abzufedern. Der Unterstützung von Landwirtinnen und Landwirten, die nachhaltige Verfahren anwenden, sollte Vorrang eingeräumt werden, wobei gleichzeitig sicherzustellen ist, dass die Maßnahmen auf die am stärksten von der Krise betroffenen Sektoren und Landwirtinnen und Landwirte ausgerichtet sind. Um mögliche Liquiditätsprobleme in diesem Herbst zu bewältigen, wird die Kommission den Mitgliedstaaten gestatten, ab dem 16. Oktober 2022 höhere Vorschüsse bei Direktzahlungen sowie flächen- und tierbezogenen Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums an Landwirtinnen und Landwirte zu zahlen.

Die Möglichkeiten der EU, das Angebot zu erhöhen, werden durch die Verfügbarkeit von fruchtbarem Land beschränkt. Um die Produktionskapazität der EU zu erweitern, hat die Kommission heute einen Durchführungsrechtsakt angenommen, mit dem den Mitgliedstaaten ausnahmsweise und vorübergehend gestattet wird, von bestimmten Ökologisierungsanforderungen abzuweichen. Insbesondere können sie im Jahr 2022 die Erzeugung beliebiger Nahrungs- und Futtermittelpflanzen auf Brachflächen zulassen, die Teil von im Umweltinteresse genutzten Flächen sind, und dabei die volle Höhe der Ökologisierungszahlung erhalten. Diese vorübergehende Flexibilität wird es den Landwirtinnen und Landwirten ermöglichen, ihre Anbaupläne in diesem Jahr anzupassen und auszuweiten.

Die Kommission unterstützt die Mitgliedstaaten dabei, den Beimischungsanteil von Biokraftstoffen zu verringern, was zu einer Verringerung der landwirtschaftlichen Flächen in der EU führen könnte, die für die Herstellung von Biokraftstoff-Rohstoffen genutzt werden, wodurch der Druck auf die Märkte für Lebens- und Futtermittel verringert wird.

Was die Wirtschaftsbeteiligten des Fischereisektors betrifft, so erwägt die Kommission die Aktivierung des Krisenmechanismus des EMFAF 6 , der für außergewöhnliche Ereignisse vorgesehen ist, die zu einer erheblichen Störung der Märkte führen. Dieser Mechanismus ermöglicht es den Mitgliedstaaten, Marktteilnehmern ebenso wie anerkannten Erzeugerorganisationen und Vereinigungen, die Fischereierzeugnisse lagern 7 , für Einkommenseinbußen und wirtschaftliche Verluste einen Ausgleich zu gewähren.

Um es den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, die durch den Krieg in der Ukraine verursachten beträchtlichen Störungen im Wirtschaftsleben zu beheben, hat die Kommission am 23. März 2022 einen neuen, eigenständigen befristeten Beihilferahmen zur Bewältigung der Krise angenommen. Durch diesen Rahmen können Unternehmen (einschließlich Landwirtinnen und Landwirte sowie Fischerinnen und Fischer), die direkt oder indirekt von der Krise betroffen sind, durch Liquiditätshilfen und Beihilfen für höhere Gas- und Stromkosten unterstützt werden. Nach diesem Rahmen sind Beihilfen, einschließlich direkter Zuschüsse, für von der Krise betroffene Erzeuger (z. B. diejenigen, die von einem erheblichen Anstieg der Betriebsmittelkosten, insbesondere für Futter- und Düngemittel, betroffen sind) sowie Beihilfen für energieintensive Unternehmen (wie Düngemittelhersteller und die verarbeitende Industrie) zulässig.

Kurzfristig bereitet auch die Verfügbarkeit von Futtermitteln Sorge. Viehzüchter und Aquakulturproduzenten suchen bereits nach alternativen Versorgungsquellen, um die durch den Krieg eingebüßten Lieferungen zu ersetzen. Einige Mitgliedstaaten haben beschlossen, die in den EU-Rechtsvorschriften 8 vorgesehene Flexibilität für Einfuhren, die die Lebensmittelsicherheit und die Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher nicht beeinträchtigen, in hinreichend begründeten Ausnahmefällen vorübergehend zu nutzen. Die Kommission überwacht solche nationalen Maßnahmen. Schließlich werden angesichts der besonderen schwierigen Lage des Sektors für Schweinefleisch Maßnahmen zur Marktstützung für diesen Sektor ergriffen.

Hohe Düngemittelpreise fördern einen effizienteren Einsatz und Innovationen bei der Nutzung nachhaltigerer Alternativen, die zum Ziel der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ beitragen, die Nährstoffverluste bis 2030 um 50 % zu verringern. Im ökologischen/biologischen Landbau werden zum Beispiel nur begrenzte Mengen mineralischer Düngemittel verwendet, sodass diese Art der Landwirtschaft weniger stark von Preiserhöhungen betroffen ist. Dennoch müssen auf kurze Sicht die Kosten und die Verfügbarkeit mineralischer Düngemittel bis zur Umstellung auf nachhaltige Düngemittel oder Düngungsmethoden weiterhin Priorität haben. Die Düngemittelindustrie in der EU muss Zugang zu den notwendigen Einfuhren haben, einschließlich Gas für die Herstellung von Düngemitteln in der EU. Die Düngemittelpreise und die Versorgung der Landwirtinnen und Landwirte werden überwacht, um sicherzustellen, dass die Ernteaussichten in der EU nicht gefährdet werden.

4.Gewährleistung der Widerstandsfähigkeit des Lebensmittelsystems

4.1.Nachhaltige Lebensmittelsysteme

Kurzfristige Soforthilfemaßnahmen sind zwar wichtig, ersetzen aber nicht die langfristige Neuausrichtung des Lebensmittelsektors auf Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit.

Die Nachhaltigkeit der Lebensmittel ist für die Ernährungssicherheit unabdingbar. Ohne den in der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ und der Biodiversitätsstrategie vorgesehenen Wandel wird die Ernährungssicherheit mittel- und langfristig ernsthaft gefährdet, was weltweit irreversible Auswirkungen haben würde. Bei der Umsetzung dieser Strategien möchte die Kommission sicherstellen, dass die Gesamtproduktivität der Landwirtschaft, Fisch- und Meeresfrüchteerzeugung in der EU nicht beeinträchtigt wird.

Im Bewusstsein um die Wechselwirkungen zwischen unserer Gesundheit, den Ökosystemen, Lieferketten, Konsummustern und den Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten hat die Kommission ihre Vision für ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem in der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ dargelegt. In dieser Strategie betonte die Kommission, wie wichtig die Widerstandsfähigkeit des EU-Lebensmittelsystems ist, damit die Bürgerinnen und Bürger unter allen Umständen Zugang zu ausreichend erschwinglichen Lebensmitteln haben und in Übereinstimmung mit der europäischen Säule sozialer Rechte ein gerechter und demokratischer Übergang zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen erfolgt.

Die derzeitige Krise macht die Abhängigkeit des EU-Lebensmittelsystems von eingeführten Betriebsmitteln wie fossilen Brennstoffen, Dünge- und Futtermitteln sowie Rohstoffen deutlich und bestätigt die Notwendigkeit einer grundlegenden nachhaltigen Neuausrichtung der EU-Landwirtschaft und des EU-Lebensmittelsystems im Einklang mit dem Grünen Deal und der überarbeiteten GAP mittels der in der langfristigen Vision für ländliche Gebiete 9 vorgeschlagen Maßnahmen.

Die Verbesserung und Verringerung des Einsatzes von Betriebsmitteln (Nährstoffe, Pestizide) und der Übergang zum ökologischen/biologischen Landbau (der weniger auf solche Betriebsmittel angewiesen ist) tragen entscheidend zum Übergang zu einer nachhaltigen Landwirtschaft bei. Indem den verschwenderischen Rückwürfen auf See ein Ende gesetzt und die illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei bekämpft wird, werden die Fischbestände auf ein nachhaltiges Niveau gebracht. Die derzeitige Krise zeigt auch die Kosten von Untätigkeit auf und verdeutlicht die Dringlichkeit, die Herausforderungen in Bezug auf die Produktivität der Landwirtschaft und die ökologischen Folgen einer indirekten Landnutzungsänderung, auch in Drittländern, anzugehen.

Innovation durch Forschung, Wissen, Technologie, Agrarökologie und die Nutzung bewährter Verfahren kann den Druck auf die Betriebsmittelkosten verringern, ohne die Produktionskapazität zu beeinträchtigen, was zu langfristigen Produktivitätsgewinnen für die Umsetzung des ökologischen Wandels führt. Vor allem aber wird diese Innovation zu einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel beitragen, indem die Lebensmittelverschwendung verringert, eine stärker pflanzenbasierte Ernährung gefördert und Partnerschaften mit Drittländern für die Entwicklung nachhaltiger Lebensmittelsysteme aufgebaut werden. Bessere Informationen über die Nachhaltigkeit unserer Lebensmittel werden die Verbraucherinnen und Verbraucher in die Lage versetzen, eine nachhaltige Wahl zu treffen. Die Bekämpfung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung verringert den Druck auf die begrenzten natürlichen Ressourcen und führt zu Einsparungen. Zudem hilft die Umverteilung überschüssiger Lebensmittel Bedürftigen. 

Ein besonderes Augenmerk sollte auf Maßnahmen zur nachhaltigen Steigerung der Erträge sowohl durch technologische als auch agrarökologische Innovationen liegen. Die Kommission wird neue Vorschriften vorschlagen, um das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, die biologische Wirkstoffe enthalten, zu erleichtern. Sie prüft auch Optionen für Vorschriften für neue genomische Verfahren, die das Potenzial haben, Pflanzensorten zu schaffen, die weniger anfällig für veränderte Temperaturen und klimatische Bedrohungen und resistenter gegen Pflanzenschädlinge sind und weniger Düngemittel benötigen. Um die Bodenfruchtbarkeit zu schützen, zielt die Mission von Horizont Europa „Ein Bodendeal für Europa“ darauf ab, 100 Reallabore und Leuchtturmbetriebe einzurichten, um die Gesundung der Böden voranzutreiben.

Die derzeitige dramatische Krise bestätigt, dass wir den nachhaltigen Wandel des Lebensmittelsystems beschleunigen müssen, um besser auf künftige Krisen vorbereitet zu sein. Als Folgemaßnahme zum Weltgipfel 2021 der Vereinten Nationen zu Ernährungssystemen wird die Kommission acht Koalitionen 10 eingehen, die alle auf den Wandel des Lebensmittelsystems, seine Widerstandsfähigkeit und eine nachhaltige Produktivitätssteigerung abzielen.

Die GAP-Strategiepläne für den Zeitraum 2023–2027 werden eine entscheidende Rolle spielen, wenn es darum geht, den Übergang zu nachhaltigen landwirtschaftlichen Verfahren und widerstandsfähigen Produktionssystemen zu unterstützen, insbesondere durch die Kombination eines stärker ergebnisorientierten politischen Rahmens mit wirksameren politischen Instrumenten und Mechanismen. Dies wird im Mittelpunkt der Bemerkungen der Kommission zu den Entwürfen der Pläne der Mitgliedstaaten stehen, die bald vorgelegt werden.

Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, für eine gerechtere Verteilung der Einkommensstützung zu sorgen, um insbesondere die Widerstandsfähigkeit kleiner und mittlerer landwirtschaftlicher Betriebe zu stärken, die anfällig für Marktschwankungen sind, die ihr Überleben gefährden könnten. Die Kommission ermutigt die Mitgliedstaaten auch, den Fonds für die Entwicklung des ländlichen Raums stärker zu nutzen, um Risikomanagementinstrumente zu finanzieren, Landwirtinnen und Landwirte bei der Bewältigung von Einnahme- und Einkommensverlusten zu unterstützen und die Entwicklung kurzer Versorgungsketten sowie anderer Formen der Diversifizierung des Betriebseinkommens zu unterstützen. Ebenso begrüßt sie die Pläne, den Landwirtinnen und Landwirten den Zugang zu Krediten zu erleichtern, damit sie in nachhaltige Produktionsmethoden investieren können, z. B. in die Erzeugung und Nutzung erneuerbarer Energien.

In diesem Zusammenhang erwartet die Kommission von den Mitgliedstaaten auch, dass sie den neuen Konditionalitätsmechanismus so definieren und umsetzen, dass die Klima- und Umweltziele maximiert und gleichzeitig seine potenziellen kurzfristigen Auswirkungen auf die Produktionskapazität so gering wie möglich gehalten werden. So sollte beispielsweise der Mindestanteil von Ackerland, der der biologischen Vielfalt gewidmet wird, eher auf die Erhaltung und Schaffung von nichtproduktiven Elementen wie Landschaftselementen (z. B. Hecken und Bäumen) anstatt auf brachliegende Flächen ausgerichtet sein (was das Produktionspotenzial der EU einschränken würde).

Die Mitgliedstaaten werden nachdrücklich aufgefordert, ihre GAP-Strategiepläne zu überarbeiten, um die Landwirtinnen und Landwirte bei der Einführung von Verfahren zu unterstützen, die die Effizienz von Düngemitteln optimieren und somit ihren Einsatz verringern. Dies kann insbesondere durch Präzisionslandwirtschaft geschehen, aber auch der ökologische/biologische Landbau, die Agrarökologie und eine effizientere Nutzung der Flächen durch Beratung und Schulung im Bereich der Nährstoffbewirtschaftung spielen eine wichtige Rolle. Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeiten ihres GAP-Strategieplans in dieser Hinsicht in vollem Umfang nutzen, den Einsatz anderer Betriebsmittel wie Antibiotika und Pestizide optimieren und verringern und eine klimaeffiziente Landwirtschaft betreiben.

4.2.Stärkung der Widerstandsfähigkeit durch Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und eingeführten Betriebsmitteln

Die Widerstandsfähigkeit des Lebensmittelsektors der EU erfordert diversifizierte Einfuhrquellen und Absatzmöglichkeiten durch eine ehrgeizige und robuste Handelspolitik, sowohl mittels multilateraler Übereinkünfte als auch durch Handelsabkommen. Die Notwendigkeit, die Abhängigkeit der europäischen Landwirtschaft und Fischerei von Energiezufuhr und energieintensiven Einfuhren anzugehen, wurde durch den Krieg in der Ukraine und die Reaktion der Märkte deutlich.

Die Verringerung der Abhängigkeit von mineralischen Düngemitteln, die mit fossilen Brennstoffen hergestellt werden, ist ein besonders wichtiges Ziel. Stickstoffdünger wird hauptsächlich mit Erdgas (sowohl als Energiequelle als auch als Reaktant) hergestellt. Investitionen in die kreislauforientierte Bioökonomie tragen dazu bei, auf fossilen Ressourcen basierende Produkte, Materialien und Energie zu ersetzen und so zur Dekarbonisierung der Wirtschaft beizutragen. 11 Die Herstellung mineralischer Düngemittel mit sauberer Technologie ist ein wichtiger Innovationszweig. Die Kommission unterstützt den Übergang zu umweltfreundlichem Ammoniak 12 etwa für Düngemittelhersteller durch die Einführung von sauberem Wasserstoff, wie in der Wasserstoffstrategie der Kommission 13 dargelegt. Diese Bemühungen werden von der Allianz für sauberen Wasserstoff unterstützt und mit 800 Mio. EUR an Investitionen gefördert.

Phosphat und Pottasche sind wichtige Nährstoffe, um gute Erträge hochwertiger Ackerkulturen zu gewährleisten. Es besteht eine akute Abhängigkeit von Einfuhren dieser beiden Stoffe, da sich die meisten Reserven in Drittländern befinden, darunter Russland, China, Marokko und Belarus. 40 % des Welthandelsvolumens von Pottasche entfallen auf die Ausfuhren aus Russland und Belarus. Infolge der kürzlich beschlossenen Sanktionen wird die EU den Einfuhranteil dieser beiden Länder, d. h. 60 % für Pottasche und 35 % für Phosphate, durch andere Quellen ersetzen müssen. Bereits bestehende Freihandelsabkommen können die Beschaffung dieser Betriebsmittel aus anderen Ursprungsländern erleichtern. Die Kommission wird die Situation aufmerksam verfolgen, um etwaige Engpässe vorauszusehen, und erforderlichenfalls vorübergehende Abhilfemaßnahmen ergreifen, um eine solche Beschaffung zu erleichtern.

Die Union wird im Rahmen von Horizont Europa weiter in Forschung und Innovation investieren, um synthetische Düngemittel zu ersetzen und den Übergang zu nachhaltigen, kreislauforientierten und ressourceneffizienten Lebensmittelsystemen in der EU zu beschleunigen. Im Rahmen eines der Arbeitsprogramme von Horizont Europa für den Zeitraum 2021–2022 werden umfangreiche Mittel in Höhe von 268,5 Mio. EUR für die Kreislaufwirtschaft und die Bioökonomie bereitgestellt. Darüber hinaus wird die Partnerschaft für ein kreislauforientiertes biobasiertes Europa, durch die die Position der Primärerzeuger gestärkt wird, mit bis zu 1 Mrd. EUR für einen Zeitraum von sieben Jahren ausgestattet. Dadurch werden vielversprechende, in der Bioökonomie-Strategie aufgezeigte Ansätze gefördert, etwa die stärkere nachhaltige Nutzung von Biomasse, die Rückgewinnung wertvoller Nährstoffe, einschließlich Phosphate 14 und Nährstoffe aus Gülle, und die Herstellung biobasierter Alternativen, unter anderem durch die Verwendung von Nebenerzeugnissen sowie Abfall- und Reststoffströmen, um den Nährstoffkreislauf zu schließen und gleichzeitig die Wasser-, Luft- und Bodenqualität zu schützen. Der Zugang von Erzeugnissen der Kreislaufwirtschaft zum Binnenmarkt wird erleichtert. 15 Die Kommission wird weitere sichere Regulierungsmaßnahmen prüfen, um umfassendere Möglichkeiten für die Verwendung von aus Gülle zurückgewonnenen Nährstoffen zu ermöglichen. Die Kommission wird zudem gemeinsam mit den Mitgliedstaaten einen Plan für integriertes Nährstoffmanagement entwickeln, mit dem die Nährstoffbelastung an der Quelle bekämpft und die Nachhaltigkeit des Tierhaltungssektors verbessert werden soll.

Der Energieverbrauch in der Landwirtschaft und der Produktion von Meereserzeugnissen ist in den Industrieländern aufgrund von Effizienzgewinnen bereits rückläufig. 16 Durch eine effizientere Nutzung von Stickstoff, die Valorisierung von Biomasse und die Verringerung der Lebensmittelverschwendung können weitere Einsparungen erzielt werden. Gezielte Forschung und Innovation werden darauf abzielen, die Effizienz der Ausbringung von Düngemitteln auf Betriebsebene weiter zu verbessern, unter anderem durch den Einsatz von Präzisionslandwirtschaftstechniken. Darüber hinaus fördert die EU die Erforschung nachhaltiger Lebensmittelerzeugungssysteme, einschließlich der gemischten Landwirtschaft, der Agrarökologie oder der ökologischen/biologischen Produktion, finanziell. Leguminosen, die Stickstoff binden und weniger Stickstoffdünger benötigen, spielen in diesen Produktionssystemen eine wichtige Rolle und werden besondere Aufmerksamkeit erhalten. Durch Innovationen, die den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und die Notwendigkeit der mechanischen Unkrautbekämpfung verringern, könnte eine Verringerung des Einsatzes von Diesel für Zugmaschinen bewirkt werden.

Eine nachhaltige Bewirtschaftung der Fischbestände in Verbindung mit energieeffizienteren Fischereifahrzeugen wird auch zu einer Verringerung des Einsatzes fossiler Brennstoffe für die Erzeugung von Meereserzeugnissen beitragen.

Die Beschleunigung der Erzeugung und Nutzung erneuerbarer Energien ist eine weitere Priorität, zu der die GAP-Strategiepläne, der EMFAF 17 und das Programm „NextGenerationEU“ beitragen. In landwirtschaftlichen Betrieben durch Wind, Sonne oder Biogas erzeugte Energie wird nicht nur die Widerstandsfähigkeit dieser landwirtschaftlichen Betriebe stärken, sondern auch zur Sicherheit und Nachhaltigkeit der europäischen Energieversorgung beitragen. Angesichts der derzeitigen Krise müssen wir verhindern, dass die Verwendung von Nahrungs- und Futtermittelpflanzen als Ausgangsstoffe für Biokraftstoffe zunimmt. Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, die Investitionen in landwirtschaftlichen Betrieben oder landwirtschaftlichen Genossenschaften in Biogas aus nachhaltigen Biomassequellen, insbesondere aus landwirtschaftlichen und Aquakultur-Abfällen und Nebenbestandteilen, zu verstärken und so die Wertschöpfung in der ländlichen Wirtschaft zu verankern.

Die Verringerung der Abhängigkeit von Futtermitteleinfuhren ist Teil des umfassenderen Wandels des Lebensmittelsystems der EU hin zu einer stärker pflanzenbasierten Ernährung, was auch zu einem widerstandsfähigeren und autonomeren Lebensmittelsystem beiträgt. In seiner Erklärung von Versailles rief der Europäische Rat dazu auf, die Erzeugung von proteinhaltigen Pflanzen in der EU zu fördern.

Mindestens 19 Mitgliedstaaten beabsichtigen, die Möglichkeit zur Gewährung einer „gekoppelten Stützung“ für Eiweißpflanzen in ihren GAP-Strategieplänen für 2023–2027 zu nutzen. Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, auch andere Möglichkeiten zur Unterstützung der Erzeugung von proteinhaltigen Pflanzen als Teil nachhaltiger Bewirtschaftungssysteme auf der Grundlage diversifizierter Futtermittelquellen zu nutzen, einschließlich gezielter sektorbezogener Interventionen. Die Kommission wird Eiweißpflanzen in ihrer zusammenfassenden Bewertung der GAP-Strategiepläne 18 der Mitgliedstaaten besondere Aufmerksamkeit widmen und die in ihrem Bericht von 2018 über die Entwicklung von Pflanzenproteinen in der EU 19 dargelegte Politik überprüfen.

Die Kommission wird

Die Mitgliedstaaten werden aufgerufen,

·durch den Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen die Maßnahmen der EU-Mitgliedstaaten zur Bereitstellung von Nahrungsmittelhilfe und/oder materieller Basisunterstützung für die am stärksten benachteiligten Personen fördern.

·ein Unterstützungspaket in Höhe von 500 Mio. EUR zur Unterstützung der am stärksten betroffenen Landwirtinnen und Landwirte bereitstellen.

·Maßnahmen zur Marktstützung einführen, um bestimmte Märkte zu unterstützen und im weiteren Verlauf dieses Jahres höhere Vorschüsse bei Direktzahlungen zu ermöglichen.

·einen neuen, eigenständigen vorübergehenden Beihilferahmen zur Bewältigung der Krise anwenden.

·es den Mitgliedstaaten ermöglichen, 2022 von bestimmten Ökologisierungsanforderungen abzuweichen, um zusätzliche landwirtschaftliche Flächen zu bewirtschaften.

·die neuen GAP-Strategiepläne zu nutzen, um Investitionen zur Verringerung der Abhängigkeit von Gas, Brennstoffen und Betriebsmitteln (wie Pestiziden und Düngemitteln) Vorrang einzuräumen, wie z. B.:

oInvestitionen in die nachhaltige Biogaserzeugung, um die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern

oInvestitionen in die Präzisionslandwirtschaft, um die Abhängigkeit von synthetischen und mineralischen Düngemitteln sowie von chemischen Pestiziden zu verringern

oUnterstützung der klimaeffizienten Landwirtschaft, Verringerung der Treibhausgasemissionen und bessere Einkommen für Landwirtinnen und Landwirte

oUnterstützung agrarökologischer Verfahren, Verringerung der Abhängigkeit von chemischen Betriebsmitteln und Gewährleistung einer dauerhaften Ernährungssicherheit

·die Wirksamkeit und den Leistungsumfang der Sozialschutzsysteme und den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen für Bedürftige sicherzustellen.

5.Schlussbemerkungen

Ein Angriffskrieg auf dem europäischen Kontinent hat in der Ukraine, einem Land mit einigen der fruchtbarsten Böden in Europa, eine neue Nahrungsmittelkrise ausgelöst.

In der Erklärung von Versailles des Europäischen Rates wird die Kommission aufgefordert, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um schnellstmöglich Wege zur Bewältigung der steigenden Nahrungsmittelpreise und zur Sicherstellung der weltweiten Ernährungssicherheit aufzuzeigen. In der vorliegenden Mitteilung werden unmittelbar geplante und bereits laufende Maßnahmen zur Förderung der Ernährungssicherheit für die Bevölkerung der Ukraine sowie zur Förderung der Ernährungssicherheit in Ländern mit einem Nahrungsmitteldefizit beschrieben. Zudem werden die Erschwinglichkeit von Lebensmitteln in der EU und die besonderen unmittelbaren Herausforderungen für Erzeuger, die hohe Betriebsmittelkosten tragen müssen, thematisiert. In der Mitteilung werden erneut das Engagement der Kommission bei der Verwirklichung des Grünen Deals und der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ hervorgehoben und mittelfristige Maßnahmen zur Unterstützung des Übergangs zu einem nachhaltigen Lebensmittelsystem dargelegt.

Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, sich aktiv einzubringen und rasch die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um dringende Probleme und langfristig bestehende Schwachstellen anzugehen. Die Mitgliedstaaten können viele dieser Maßnahmen ohne weitere legislative Maßnahmen auf EU-Ebene umsetzen. Insbesondere fordert die Kommission die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, ihre GAP-Strategiepläne erforderlichenfalls zu überarbeiten, um die Widerstandsfähigkeit der Lebensmittelsysteme zu gewährleisten.

Gleichzeitig wird die Kommission ihre Anstrengungen verstärken und ihre Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen und anderen wichtigen Akteuren intensivieren, um die Auswirkungen der russischen Invasion der Ukraine auf die weltweite Ernährungssicherheit rasch und wirksam abzufedern.

(1) Klimaänderung 2022: Auswirkungen, Anpassung und Schwachstellen | Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability (ipcc.ch) .
(2)    Schätzungen zufolge können bis Ende Juni 2022 rund 5 Mio. Tonnen Weizen nicht aus der Ukraine ausgeführt werden. Zudem werden für das Wirtschaftsjahr 2022/2023 weitere 20 Mio. Tonnen ukrainischer Weizenausfuhren erwartet, die möglicherweise ausbleiben werden. Nicht berücksichtigt sind die Auswirkungen auf die russischen Weizenausfuhren.
(3)    Die EU verzeichnet durchschnittliche Weizenerträge von 5,3 t/ha gegenüber 4,3 t/ha in der Ukraine und knapp oder weniger als 3 t/ha in anderen Teilen der Welt.
(4)    COM(2021) 689 vom 12.11.2021 „Notfallplan zur Gewährleistung der Lebensmittelversorgung und Ernährungssicherheit in Krisenzeiten“.
(5)    Beobachtungsstellen für den Agrar- und Lebensmittelmarkt der EU: https://ec.europa.eu/info/food-farming-fisheries/farming/facts-and-figures/markets/overviews/market-observatories_de .
Europäische Marktbeobachtungsstelle für Fischerei und Aquakultur (EUMOFA): https://www.eumofa.eu/.

Kurzfristige Marktaussichten für landwirtschaftliche Erzeugnisse (nächste Ausgabe voraussichtlich am 4. April 2022):
https://ec.europa.eu/info/food-farming-fisheries/farming/facts-and-figures/markets/outlook/short-term_en#arablecrops .
(6)    Europäischer Meeres-, Fischerei- und Aquakulturfonds (EMFAF) gemäß Artikel 26 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2021/1139.
(7)    Im Einklang mit dem Lagerhaltungsmechanismus gemäß den Artikeln 30 und 31 der Verordnung (EU) Nr. 1379/2013 über die gemeinsame Marktorganisation für Erzeugnisse der Fischerei und der Aquakultur.
(8)    Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Februar 2005 über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Futtermitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs und zur Änderung der Richtlinie 91/414/EWG des Rates
(9)    Eine langfristige Vision für die ländlichen Gebiete der EU – Für stärkere, vernetzte, resiliente und florierende ländliche Gebiete bis 2040 – COM/2021/345 final.
(10)    Die acht Koalitionen, an denen die Kommission sich beteiligen wird, sind: Food is never waste, Healthy Diets from Sustainable Food Systems for Children & all, School Meals, Aquatic and Blue foods, Agroecology, Zero Hunger, Fighting food crises along the HDP nexus, Sustainable Productivity Growth. Weitere Informationen: https://foodsystems.community/coalitions/.
(11)    https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/food-farming-fisheries/farming/documents/factsheet-agri-value-chains_en.pdf https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/food-farming-fisheries/farming/documents/factsheet-agri-water-nutrients-waste_en.pdf
(12)    Kurz- bis mittelfristig könnten z. B. in Spanien, den Niederlanden, Österreich und Schweden Projekte in der Größenordnung von 30–35 Mrd. EUR durchgeführt werden.
(13)    COM(2020) 301 final.
(14)    Zum Beispiel: „Phos4You: deploying phosphorus recycling from wastewater in North-West Europe“ (Phos4You: Phosphorrückgewinnung aus Abwasser in Nordwesteuropa). Phos4You - PHOSphorus Recovery from waste water FOR YOUr Life | Interreg NWE (nweurope.eu) .
(15)    Nach dem Inkrafttreten der Verordnung (EU) 1009/2019 über die Bereitstellung von EU-Düngeprodukten auf dem Markt am 15. Juli 2022.
(16)    Crippa et al. (2021) Nature Food. http://www.nature.com/articles/s43016-021-00225-9 .
(17)    Europäischer Meeres-, Fischerei- und Aquakulturfonds.
(18)    Artikel 141 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2021/2115.
(19)    COM(2018) 757 final.
Top

Brüssel, den 23.3.2022

COM(2022) 133 final

ANHÄNGE

der

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN EUROPÄISCHEN RAT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN

Gewährleistung der Ernährungssicherheit und Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Lebensmittelsysteme




Anhang 1

Weltweite Ernährungssicherheit und die EU-Nahrungsmittelkette

Die Situation in der EU

Die EU kann sich weitgehend selbst mit den wichtigsten Lebensmitteln versorgen. Sie führt große Mengen Weizen und Gerste aus und deckt ihren Verbrauch für andere Grunderzeugnisse wie Mais oder Zucker weitgehend selbst ab. Auch in Bezug auf tierische Erzeugnisse, einschließlich Milch- und Fleischerzeugnisse (mit Ausnahme von Schaf- und Ziegenfleisch und Meereserzeugnissen), sowie bestimmtes Obst und Gemüse (Pfirsiche, Nektarinen, Äpfel, Tomaten, Orangen) ist die EU weitgehend unabhängig.

Bei einigen spezifischen Erzeugnissen ist die EU jedoch ein großer Nettoeinführer. In einigen Fällen ist es schwierig, Einfuhren zu ersetzen, sei es in Bezug auf Menge, Einfuhrquellen, Qualität oder Kosten. Dies gilt für tropische Erzeugnisse (tropische Früchte, Kaffee, Kakao), Fischerzeugnisse, Futtermittel und eine Reihe von Zusatzstoffen wie Vitamine und Aminosäuren, die wichtig für die Herstellung von Futtermitteln oder Lebensmitteln sind. So stammten etwa 22 % der Futtermittelproteine im Zeitraum 2021/22 nicht aus der EU, und bei Ölkuchen 1 (hauptsächlich Soja) liegt dieser Anteil sogar bei 75 %.

Die Auswirkungen des weltweiten Anstiegs der Rohstoffpreise

Der derzeitige allgemeine Anstieg der Rohstoffpreise weist gewisse Ähnlichkeiten mit der im Jahr 2008 verzeichneten Preisexplosion bei den Nahrungsmittelrohstoffen auf, da in beiden Fällen alle Rohstoffpreise auf hohem Niveau liegen, miteinander verknüpft sind und stark schwanken. In beiden Fällen beläuft sich der Anstieg der Betriebsmittelpreise für landwirtschaftliche Erzeugnisse auf ein Vielfaches der Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln und verdeutlicht erneut das Problem von Engpässen und Verzögerungen bei der Preisweitergabe in der Nahrungsmittelkette für Erzeuger, bedeutet aber letztendlich immer noch einen erheblichen Anstieg der Nahrungsmittelpreise.

Abbildung 1 Rohstoffpreiswellen

Es gibt jedoch einige große Unterschiede zwischen den beiden Situationen. Die Lager für die wichtigsten landwirtschaftlichen Grunderzeugnisse sind heute verhältnismäßig besser gefüllt. Auch wenn die Lagerbestände von wichtigen Grundnahrungsmitteln in den letzten vier Jahren leicht geschrumpft sind, ist das Verhältnis der Lagerbestände zum Verbrauch nicht vergleichbar mit dem Niveau, das dem Preisanstieg 2008–2010 vorausging, selbst wenn man bedenkt, dass die Ukraine und Russland die Märkte in diesem Wirtschaftsjahr nicht in vollem Umfang beliefern werden.

Die Regulierung und Transparenz der Rohstoffmärkte wurde seit der Mitteilung von 2008 über die Lebensmittelpreise in Europa 2 , die nach dem Anstieg der Lebensmittelpreise 2007/2008 veröffentlicht wurde, erheblich verbessert. Damals empfahl die Kommission die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Lebensmittelversorgungskette, die rigorose Durchsetzung der Wettbewerbs- und Verbraucherschutzvorschriften, die Überprüfung und erforderlichenfalls Verbesserung der Rechtsvorschriften über die Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette, die Verbesserung der Verbraucherinformation und die Verhinderung von Spekulationen auf den Märkten für landwirtschaftliche Grunderzeugnisse und Derivate. Alle diese Empfehlungen wurden in legislative und politische Maßnahmen umgesetzt (siehe Anhang 2), die einen soliden Ausgangspunkt bilden, um den heutigen Sturm abzuwettern.

Auswirkungen hoher Energiepreise auf die Landwirtschaft und die Fischerei in der EU

Neben der unmittelbaren Belastung durch den Anstieg der Energiepreise ist der Nahrungsmittelsektor auch den preistreibenden Impulsen einer Reihe von Erzeugnissen und Dienstleistungen ausgesetzt. Der Sektor ist der wichtigste Abnehmer von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, Maschinen und Verpackungsmaterialien für Lebensmittel, und er ist vom Anstieg der Transportkosten betroffen.

Die Auswirkungen der steigenden Düngemittelkosten haben sich besonders schnell bemerkbar gemacht. Düngemittel machen für Ackerbäuerinnen und -bauern 18 % der Betriebsmittelkosten aus (Durchschnitt 2017–2019). Erdgas ist der wichtigste Faktor für den Preis stickstoffhaltiger Düngemittel. Auf Erdgas entfallen 60–80 % der variablen Betriebsmittelkosten für ihre Produktion. Hohe Großhandelspreise für Erdgas führen zu hohen Düngemittelpreisen (für stickstoffhaltige Düngemittel wie Harnstoff erreichten die Preise ein Niveau, das dem Niveau während der Finanzkrise 2007–2008 entsprach). Einige Düngemittelhersteller in der EU stellten ihre Produktion vorübergehend ein, da die Energiekosten zu hoch waren. Die Preise für mineralische Dünger (Phosphat und besonders Kalium) sind weniger eng mit den Energiepreisen verknüpft, wenngleich sie aufgrund des russischen und belarussischen Anteils an der Weltproduktion ebenfalls unter Druck stehen.

Obwohl die EU Düngemittel im Wert von 3 Mrd. EUR aus Russland einführt, ist die Abhängigkeit von Einfuhren stickstoffhaltiger Düngemittel relativ gering, da mehr als 90 % des EU-Verbrauchs von der heimischen Industrie gedeckt werden. Die Industrie ist jedoch in hohem Maße von russischem Gas abhängig.

Der Fischereisektor ist ebenfalls stark vom Anstieg der Preise für Schiffskraftstoffe betroffen. Der Preis für Schiffskraftstoffe ist derzeit so hoch wie in den letzten zwei Jahrzehnten nicht mehr und ist im Vergleich zum Durchschnittspreis von 2021 um 100 % gestiegen. Bei diesen Kraftstoffpreisen liegen die meisten Flottensegmente der EU unter ihrer Gewinnschwelle und können ihre Betriebskosten nicht decken. Der Anstieg der Stromkosten ist für den Aquakultursektor (Wasserpumpen und -umlauf) und die Verarbeitungsbranche (Produktionslinien und Speicher-/Gefrieranlagen) ein großes Problem.

Situation bei den Betriebseinkommen

Ein hohes Produktionsniveau und hohe Preise für die landwirtschaftliche Erzeugung in der EU führten im Jahr 2021 zu einem höheren Betriebseinkommen je Arbeitnehmer im Vergleich zum EU-Durchschnitt der Jahre 2017–2019. Der drastische Anstieg der Betriebsmittelkosten übt Druck auf die Margen aus, insbesondere für die Viehzucht (vor allem Schweinefleisch) und für Aquakulturerzeuger, die bereits deutlich höhere Futtermittelkosten zu tragen haben. Es wird daher davon ausgegangen, dass das durchschnittliche Betriebseinkommen je Arbeitnehmer in den Jahren 2022 und 2023 sinken wird, wodurch die in den Jahren 2020 und 2021 erzielten Gewinne zusammenschmelzen – ein Rückgang, der bei den Viehzüchtern besonders dramatisch sein dürfte.

Steigende Kosten für Logistik und andere Betriebsmittel

Lebensmittelhersteller, -händler und -einzelhändler verzeichnen höhere Transport- und Logistikkosten (Schüttgut, Container oder Luftweg). Die Folgen der COVID-19-Pandemie und die anschließende starke wirtschaftliche Erholung führten zu einer Überlastung der Seefrachtkapazitäten. Durch die zusätzlichen Störungen im Schwarzen Meer wird die Seefracht weiter unter Druck geraten. Auch bei anderen Betriebsmitteln ist ein Kostenanstieg zu verzeichnen, so etwa bei Verpackungskosten (Holzbehälter + 37 %, Papier und Zellstoff + 26 %, Kunststoff + 13 %). 3 Der Arbeitskräftemangel und die Schwierigkeiten bei der Einstellung von Arbeitskräften in der EU-Lebensmittelindustrie spielen wohl ebenfalls eine Rolle (+ 62 % offene Stellen im verarbeitenden Gewerbe).

Steigende Lebensmittelpreise in der EU

Nicht zuletzt sind die Verbraucherpreise für Lebensmittel seit Sommer 2021 gestiegen und erreichten im Februar 2022 einen Anstieg von 5,6 % im Vergleich zum Vorjahr, der höchste Anstieg seit Beginn der COVID-19-Pandemie. Nahrungsmittel sind ein wichtiger Bestandteil der Gesamtinflationsrate (HVPI 4 ) mit einem Anteil von durchschnittlich 16 % in der EU-27, zu dem weitere 6 % für die Gastronomie hinzugerechnet werden können. Im Vergleich dazu machen die Energiekosten für Wohnen und Verkehr einen Anteil von 10 % am durchschnittlichen Warenkorb eines Haushalts aus.

Die Mitgliedstaaten sind je nach nationalem wirtschaftlichen Kontext, der Struktur ihrer Lebensmittelversorgungsketten und den nationalen Verbrauchernachfragemustern unterschiedlich betroffen.

Abbildung 2: Inflation bei den Nahrungsmittelpreisen nach Mitgliedstaat

Quelle: Eurostat (ausgewählte Mitgliedstaaten).

Die Ukraine, Russland und die globale Ernährungssicherheit

Die russische Invasion der Ukraine hat die Situation auf den bereits angespannten (Energie-)Rohstoffmärkten und den Inflationsdruck weiter verschärft. 5 Darüber hinaus wirkt sie sich auf die weltweite Ernährungssicherheit aus: Die Ukraine und Russland sind wichtige Akteure auf dem Weltmarkt für Getreide und Ölsaaten. Auf die Ukraine entfallen 10 % des weltweiten Weizenmarkts, 13 % des Marktes für Gerste und 15 % des Maismarktes, und das Land ist der wichtigste Akteur auf dem Markt für Sonnenblumenöl (über 50 % des Welthandels). In Bezug auf Russland liegen diese Werte bei 24 % (Weizen), 14 % (Gerste) bzw. 23 % (Sonnenblumenöl). Russland ist auch ein wichtiger Ausführer von Weißfisch, insbesondere von Pazifischem Pollack für die Verarbeitungsindustrie (16 % des Angebots).

Nordafrika und der Nahe Osten führen über 50 % ihres Getreidebedarfs aus der Ukraine und Russland ein. Die ostafrikanischen Länder führen 72 % ihres Getreides aus Russland und 18 % aus der Ukraine ein. Die Ukraine ist auch ein wichtiger Lieferant von Mais (als Futtermittel) für die Europäische Union und China.

Die Ukraine ist der viertgrößte Lebensmittellieferant der EU und eine wichtige Quelle für Getreide (52 % der EU-Maiseinfuhren, 19 % der Weichweizeneinfuhren), Pflanzenöle (23 % der EU-Einfuhren) und Ölsaaten (22 % der EU-Einfuhren, insbesondere Rapssamen: 72 % der EU-Einfuhren). Russland führt weniger in die EU aus.

Angesichts des Gewichts der Ukraine im internationalen Handel hat die Unterbrechung der landwirtschaftlichen Produktion und Logistik der Ukraine in Verbindung mit einem Anstieg der Fracht- und Versicherungskosten erhebliche Auswirkungen auf die Weltmärkte und damit auf die Getreidepreise. Seit Beginn des Konflikts ist bereits ein starker Anstieg der Weltmarktpreise für Getreide zu verzeichnen, die nun über den Preisen von 2007/2008 liegen. Diese Situation gefährdet nicht nur die Nahrungsmittelversorgung der ukrainischen Bevölkerung, sondern auch die Ernährungssicherheit der Drittländer, die von Rohstoffeinfuhren aus der Ukraine abhängig sind.

Das landwirtschaftliche Produktionspotenzial der Ukraine wird durch die russische Invasion stark beeinträchtigt. Neben den zahlreichen Opfern, der Zerstörung und den Gefahren der Kriegsführung fehlt es zudem an Arbeitskräften für landwirtschaftliche Betriebe und für die Bestellung der Felder, auch in benachbarten Mitgliedstaaten. Wesentliche Betriebsmittel sind knapp und schwer oder unmöglich zu beschaffen. In der Ukraine wird viel davon abhängen, ob im Jahr 2022 Frühjahrskulturen gesät und sowohl Frühjahrs- als auch Winterkulturen geerntet werden können. Die Auswirkungen des Krieges werden sich wahrscheinlich über mehrere Jahre erstrecken, nicht zuletzt aufgrund von Kriegsschäden an Infrastruktur- und logistischen Einrichtungen. In Russland wird die Produktion zwar nicht durch Krieg beeinträchtigt, doch ist nicht klar, ob das Land in der Lage sein wird, große Mengen über das Schwarze Meer auszuführen.

Ernährungssicherheit im globalen Kontext

Die weltweite Ernährungssicherheit bietet Anlass zu wachsender Besorgnis. Die Vereinten Nationen haben betont, dass der Klimawandel und der Verlust an biologischer Vielfalt die größten globalen Bedrohungen für die Ernährungssicherheit darstellen. 6 Der FAO zufolge sind 811 Millionen Menschen chronisch unterernährt und eine Kombination von Faktoren erschwert die Fortschritte bei der Verwirklichung des Ziels für nachhaltige Entwicklung Nr. 2 „Kein Hunger“. Ohne wirksame Eindämmungs- und Anpassungsmaßnahmen dürfte sich die Lage durch den Klimawandel weiter verschlechtern. Steigende Nahrungsmittelpreise wirken sich unmittelbar auf die Bevölkerung in Entwicklungsländern sowie in den am wenigsten entwickelten Ländern aus, die von Lebensmittelimporten abhängig sind. Der FAO-Lebensmittelpreisindex, mit dem monatliche Veränderungen der internationalen Rohstoffpreise erfasst werden, deutet auf eine immer schwierigere Situation hin: Im Februar 2022 lag der Index durchschnittlich bei 140,7 Punkten und damit um 3,1 Punkte über dem vorherigen Spitzenwert von Februar 2011.

Während Berichten zufolge wichtige Abnehmer von ukrainischem und russischem Weizen über für einige Monate reichende Vorräte verfügen, sind Preissteigerungen bereits in Ländern wie Syrien und Libanon, die sich in einer prekären Lage befinden, sowie in Algerien zu spüren.

Im Jahr 2021 erreichte die weltweite Ernährungsunsicherheit ein nie da gewesenes Niveau: Mehr als 161 Millionen Menschen benötigten dringende Nahrungsmittelhilfe und fast 0,6 Millionen Menschen waren von Hungersnot bedroht. Diese Situation könnte sich noch verschlimmern, wenn die Nahrungsmittelpreise weiter steigen.



Anhang 2

Folgemaßnahmen zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen von 2008 - Lebensmittelpreise in Europa (KOM/2008/0821 endgültig)

Empfehlungen in der Mitteilung von 2008

Folgemaßnahmen

Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Lebensmittelversorgungskette

Verschiedene GAP-Reformen (2008, 2013, 2021)

Hochrangiges Forum für die Verbesserung der Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette (2010-2019)

Freihandelsabkommen (z. B. Japan, Vietnam, Singapur, Kanada, Mexiko, SADC-WPA-Staaten), die zur Marktöffnung und zum Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse für Lebensmittelausfuhren geführt haben

Marktüberwachung und Einrichtung der Taskforce für die Durchsetzung der Binnenmarktvorschriften

Programm „InvestEU“: Unterstützung von KMU im Agrar- und Lebensmittelsektor über das EEN-Netz und Zugang zu Finanzinstrumenten

EU-Partnerschaft für Kompetenzen im Agrar- und Lebensmittelsektor

EU-Verhaltenskodex für verantwortungsvolle Unternehmens- und Marketingpraktiken in der Lebensmittelversorgung

Gewährleistung einer rigorosen und kohärenten Durchsetzung der Wettbewerbs- und Verbraucherschutzvorschriften auf den Versorgungsmärkten durch die Europäische Kommission, die Mitgliedstaaten und die nationalen Wettbewerbs- und Verbraucherschutzbehörden

Die Kommission intervenierte in einer Reihe von Fällen auf den Lebensmittelmärkten und verhängte Sanktionen für Beschränkungen des Parallelhandels.

Die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden verhinderten eine Reihe nationaler protektionistischer Initiativen im Bereich Lebensmittel.

Die Kommission genehmigte vorbehaltlich von Maßnahmen, die Preiswettbewerb, Auswahl und Innovation schützen, einige Zusammenschlüsse bei landwirtschaftlichen Betriebsmitteln (z. B. Pflanzenschutzmittel) und bestimmten Lebensmitteln und Getränken (z. B. Milcherzeugnisse, Bier).

Umfassende Studie der Kommission über die Bündelung des Angebots im modernen Einzelhandel und über die Entwicklung der Auswahl und Innovation für Verbraucherinnen und Verbraucher im Einzelhandel im Zeitraum 2004–2012 I  

Überprüfung von Vorschriften, die sich für die Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette als problematisch erweisen könnten, auf nationaler und/oder gemeinschaftlicher Ebene

Bericht der Task Force „Agrarmärkte“: Bessere Marktergebnisse: Stärkung der Position der Landwirte in der Lebensmittelversorgungskette (2016) II

Klarstellung der Wettbewerbsbestimmungen in der GMO-Verordnung III (gemeinsame Marktorganisation), 2018, 2021

Richtlinie (EU) 2019/633 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette

Vereinfachung der Vorschriften zur Lebensmittelsicherheit, einschließlich Eignungsprüfung der Verordnung über das Allgemeine Lebensmittelrecht

Bessere Unterrichtung von Verbrauchern, Behörden und Marktteilnehmern durch Einführung einer permanenten Überwachung von Lebensmittelpreisen und Versorgungskette auf europäischer Ebene

Einrichtung von sechs Beobachtungsstellen für den Agrarmarkt IV und eines AGRIFOOD-Datenportals

Veröffentlichung regelmäßiger Berichte über die kurzfristigen Aussichten V

Einrichtung des Eurostat-Instruments für die Überwachung der Lebensmittelpreise VI

Verbesserte Bestimmungen zur Markttransparenz für landwirtschaftliche Erzeugnisse (Verordnung (EU) 2019/1746 der Kommission; Änderungen der GMO von 20211)

Einrichtung des internationalen Agrarmarkt-Informationssystems (AMIS – siehe Abschnitt 3): Eurostat-Daten zu Nahrungsmittelpreisen

Prüfung von Maßnahmen zur Verhinderung von Spekulationen zulasten der gewerblichen Teilnehmer auf den Agrarrohstoffmärkten

Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Stärkung des Anlegerschutzes und zur Verbesserung der Funktionsweise der Finanzmärkte, um sie effizienter, widerstandsfähiger und transparenter zu machen

Mit der Richtlinie (EU) 2021/338 des Europäischen Parlaments und des Rates wird die Richtlinie 2014/65/EU geändert, um die Erholung von der COVID-19-Krise zu unterstützen.

Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates über Marktmissbrauch

Die Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister gilt für ein breites Spektrum von OTC-Derivaten, darunter bestimmte Warenderivate, und erhöht die Transparenz von Warenderivaten, die Gegenstand des OTC-Handels sind.

(1)    EU-Futterprotein-Bilanz, GD AGRI.
(2)      KOM(2008) 821 endg.
(3)     https://www.fooddrinkeurope.eu/wp-content/uploads/2022/03/Economic-Bulletin-on-Input-Costs-NovDec-2021-FINAL-public-version.pdf
(4)    Harmonisierter Verbraucherpreisindex.
(5)    Eine ausführliche Analyse ist dem Informationsvermerk der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen „The importance of Ukraine and the Russian Federation for global agricultural markets and the risks related with the current conflict“ (Die Bedeutung der Ukraine und der Russischen Föderation für die globalen Agrarmärkte und die mit dem derzeitigen Konflikt verbundenen Risiken), 11. März 2022, https://www.fao.org/3/cb9013en/cb9013en.pdf oder folgendem Artikel zu entnehmen: „The Ukraine Conflict and Global Food Price scares“ (Der Ukraine-Konflikt und die globale Nahrungsmittelpreiskrise), R. Vos, J. Glauber, M. Hernandez und D. Laborde, 1. März 2022, https://www.foodsecurityportal.org/node/1921.
(6)     https://www.ipcc.ch/srccl/chapter/chapter-5/ , https://www.fao.org/documents/card/en/c/ca3129en/ .
(I)

   https://ec.europa.eu/competition/sectors/agriculture/retail_study_report_en.pdf

(II)

   https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/food-farming-fisheries/farming/documents/amtf-report-improving-markets-outcomes_en.pdf

(III)

   Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse.

(IV) https://ec.europa.eu/info/food-farming-fisheries/farming/facts-and-figures/markets/overviews/market-observatories_de  
(V)

    https://ec.europa.eu/info/food-farming-fisheries/farming/facts-and-figures/markets/outlook/short-term_en  

(VI)

    https://ec.europa.eu/growth/sectors/food-and-drink-industry/competitiveness-european-food-industry/european-food-prices-monitoring-tool_en  

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