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Document 52022AE6310

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer“ (COM(2022) 732 final — 2022/0426 (COD)) und „Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Bericht über die Fortschritte bei der Bekämpfung des Menschenhandels (vierter Bericht)“ (COM(2022) 736 final)

EESC 2022/06310

ABl. C 228 vom 29.6.2023, p. 108–113 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

29.6.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 228/108


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer“

(COM(2022) 732 final — 2022/0426 (COD))

und „Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Bericht über die Fortschritte bei der Bekämpfung des Menschenhandels (vierter Bericht)“

(COM(2022) 736 final)

(2023/C 228/15)

Berichterstatter:

José Antonio MORENO DÍAZ

Mitberichterstatter:

Pietro Vittorio BARBIERI

Befassung

Europäische Kommission, 8.2.2023

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

3.4.2023

Verabschiedung im Plenum

27.4.2023

Plenartagung Nr.

578

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

125/01/01

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Menschenhandel ist ein abscheuliches Verbrechen und ein schwerwiegender Verstoß gegen die Grundrechte. In der Sicherheitsstrategie der Europäischen Union von 2020 wird auf die Rolle der organisierten Kriminalität im Menschenhandel und die damit verbundenen persönlichen Kosten hingewiesen.

1.2.

2011 wurde die Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (1) zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer verabschiedet. 2021 legte die Europäische Kommission die Strategie der EU zur Bekämpfung des Menschenhandels 2021-2025 vor. Darin teilte sie bereits mit, dass die Umsetzung der Richtlinie bewertet und in der Folge verbessert werden sollte.

1.3.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den vierten Fortschrittsbericht, in dem die Entwicklung der Phänomene hervorgehoben wird, sowie den Vorschlag zur Änderung der Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels. Der Vorschlag für eine Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels hat zum Ziel, den Menschenhandel zu verhüten und zu bekämpfen sowie die Opfer zu schützen. Dazu sieht der Vorschlag drei Handlungsbereiche vor: i) Einstufung des Menschenhandels als Straftatbestand, Ermittlung und Strafverfolgung in Bezug auf Menschenhandel, einschließlich der Definition von Straftaten, Strafen und Sanktionen, ii) Unterstützung und Betreuung sowie Schutz von Opfern des Menschenhandels und iii) Verhütung des Menschenhandels.

1.4.

Der EWSA begrüßt die Ausweitung der Definitionen der verschiedenen Ausbeutungsformen. Er schließt sich dem Standpunkt an, dass diese Aufzählung als nicht erschöpfend angesehen werden sollte, da bedauerlicherweise jeden Tag neue Facetten der Ausbeutung hinzukommen. Seiner Ansicht nach sollten die Mitgliedstaaten das Problem des Menschenhandels unter umfassender Berücksichtigung aller Aspekte der Ausbeutung erfassen.

1.5.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Geschlechterperspektive in der Richtlinie und bei ihrer Umsetzung gestärkt werden sollte, da die bei Weitem meisten Opfer weiblich sind. Ebenso sollte auf Situationen der Schutzbedürftigkeit geachtet werden, die die Rekrutierung und Ausbeutung durch kriminelle Netzwerke und andere begünstigen können. Darüber hinaus muss anderen schutzbedürftigen Gruppen wie Flüchtlingen, Asylbewerbern und Personen, die keine Ausweispapiere besitzen oder einen prekären Aufenthaltsstatus haben, mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.

1.6.

Der EWSA begrüßt den ausdrücklichen Verweis auf die Online-Dimension von Menschenhandelsdelikten. Der Einsatz neuer Technologien hat solche Straftaten begünstigt, da er den Zugang zu den Opfern und ihre Ausbeutung in größerem Maße ermöglicht und erleichtert sowie die Überwachung der Gewinne aus diesen Straftaten erschwert.

1.7.

Der EWSA unterstützt die Entwicklung eines besseren Sanktionssystems durch die Kommission. Da der Bewertung zufolge die meisten Mitgliedstaaten die fakultativen Sanktionsmaßnahmen nicht vollständig ausgestaltet haben, stärkt das neue verbindliche System, bei dem zwischen gewöhnlichen und schweren Straftaten unterschieden wird, die Bekämpfung von Menschenhandelsdelikten.

1.8.

Der EWSA begrüßt ferner die möglichen Sanktionen für juristische Personen wie den Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen oder Hilfen, die vorübergehende oder endgültige Schließung von Einrichtungen oder das vorübergehende oder ständige Verbot der Ausübung einer Handelstätigkeit. Der EWSA ist der Auffassung, dass die wissentliche Inanspruchnahme von Diensten, für die Menschen ausgebeutet werden, mit der Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit verknüpft werden könnte, damit auch Unternehmen, die von verschiedenen Ausbeutungsformen profitieren, zur Rechenschaft gezogen werden können.

1.9.

Der EWSA ist der Auffassung, dass den Opfern des Menschenhandels in der Richtlinie mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte, und erinnert daran, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Opfer zu betreuen, zu schützen und so weit wie möglich für ihre soziale Inklusion zu sorgen. Opfer des Menschenhandels sollten nicht bestraft werden, und in der Richtlinie sollten außerdem Verfahren und Instrumente zur Betreuung und Unterstützung von Opfern, insbesondere im Falle schutzbedürftiger Gruppen, gestärkt werden.

1.10.

Der EWSA fordert die Kommission auf, in ihrem Vorschlag die Notwendigkeit der Einhaltung der folgenden Richtlinie vorzusehen: Richtlinie 2004/81/EG des Rates (2) über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren.

1.11.

Der EWSA bekräftigt, dass Anstrengungen unternommen werden müssen, um den Menschenhandel zu verhindern, wobei es vor allem gilt, die Nachfrage nach allen Formen der Ausbeutung zu verringern. Die Nachfrage nach billiger Arbeitskraft und Prostitutionsdiensten nimmt weiter zu, auch wenn damit häufig Menschenhandelsdelikte verbunden sind.

1.12.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass nicht nur die Datenerhebung verbessert, sondern auch die Instrumente zur Ermittlung dieser Straftaten optimiert werden müssen. Wie im Bericht hervorgehoben, gibt es offenkundig eine beträchtliche Zahl nicht gemeldeter Fälle; diese Dunkelziffer erfordert ebenfalls eine Korrektur und Reaktion in Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und mit den europäischen Institutionen.

1.13.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Vorlage dieses Richtlinienvorschlags genutzt werden sollte, um die Notwendigkeit einer verstärkten Bekämpfung des Menschenhandels herauszustellen und besser zu vermitteln. Die Verletzung von Rechten durch die verschiedenen Ausbeutungsformen erfordert eine umfassende und vielschichtige Reaktion, bei der die Bürgerinnen und Bürger entscheidend gefragt sind, denn es gilt, Straflosigkeit und Banalisierung solcher Missbräuche zu bekämpfen.

1.14.

Der EWSA weist darauf hin, dass der Menschenhandel durch folgende Faktoren beeinflusst wird: die Feminisierung der Armut, den für Frauen und Männer ungleichen Zugang zu Bildung und Ressourcen, den Ungleichheiten bei der medizinischen und der Gesundheitsversorgung, die weltweite Verbreitung geschlechtsspezifischer Gewalt sowie die allgemeine soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern.

1.15.

Es ist wichtig, dass die Mitgliedstaaten weitere nationale Verweismechanismen entwickeln, bei denen sich zivilgesellschaftliche Organisationen an der Ermittlung von Opfern und der Bereitstellung von Betreuungsdiensten beteiligen. So könnte in den einzelnen Mitgliedstaaten ein weiteres Instrument eingerichtet werden: ein unabhängiges Überwachungs- und Sicherungsgremium mit einem nationalen Berichterstatter, der die Wirksamkeit der von den Mitgliedstaaten zur Bekämpfung des Menschenhandels ergriffenen Maßnahmen überwacht, Forschungsarbeiten durchführt und mit öffentlichen und privaten Interessenträgern zusammenarbeitet, die auf unterschiedlichen Ebenen mit diesem Thema befasst sind.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der Menschenhandel wurde von den Vereinten Nationen im Jahr 2000 wie folgt international definiert:

„Menschenhandel“ bezeichnet „die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung“ (Artikel 3, UN-Protokoll gegen den Menschenhandel, 2000).

„Ausbeutung“ umfasst „die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen“.

2.2.

Menschenhandel ist ein abscheuliches Verbrechen und ein schwerwiegender Verstoß gegen die Grundrechte. In der Sicherheitsstrategie der Europäischen Union von 2020 wird auf die Rolle der organisierten Kriminalität im Menschenhandel und die damit verbundenen persönlichen Kosten hingewiesen.

2.3.

2011 wurde die Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer (Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels) verabschiedet. Die Annahme dieser Richtlinie war ein wichtiger Schritt zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften zwischen den Mitgliedstaaten. 2021 legte die Kommission die Strategie der EU zur Bekämpfung des Menschenhandels 2021-2025 vor. Darin teilte sie bereits mit, dass die Umsetzung der Richtlinie bewertet und in der Folge verbessert werden sollte.

2.4.

Die von der Kommission durchgeführte Bewertung bezieht sich auf den Zeitraum der Umsetzung der Richtlinie (April 2013 bis März 2022) und stützt sich auf Daten, die auf europäischer Ebene erhoben wurden, wie auch auf qualitative Daten aus Gesprächen mit Sachverständigen und Facheinrichtungen.

2.5.

Die interne Bewertung durch die Kommission hat gezeigt, dass es schwierig ist, die tatsächliche Zahl der Opfer korrekt zu beziffern. Es wird davon ausgegangen, dass es deutlich mehr als die im Zeitraum 2013-2022 ermittelten 55 314 Opfer gibt. Die sexuelle Ausbeutung ist nach wie vor die häufigste Ausbeutungsform im Bereich des Menschenhandels — 55,7 % der im Jahr 2021 gemeldeten Fälle —, wobei die Ausbeutung der Arbeitskraft, insbesondere in Sektoren wie Landwirtschaft, Bauwesen und Pflege, an Bedeutung gewinnt. Kinder machen 21 % der Opfer des Menschenhandels aus; der Anteil von Frauen und Mädchen liegt bei 75 %.

2.6.

In der Bewertung und in dem Bericht wird auch darauf hingewiesen, dass die Zahl der Strafverfolgungen und Verurteilungen sehr gering ist, was zu einer Kultur der Straflosigkeit unter den Menschenhändlern beitragen kann. Die sozialen Medien haben den in der EU tätigen kriminellen Netzwerken, von denen die meisten am Menschenhandel beteiligt sind, neue Möglichkeiten eröffnet. Der Krieg in der Ukraine kann auch zu einer Zunahme von Menschenschmuggel und Menschenhandel führen. Menschenhandel ist nach wie vor eine Straftat mit geringem Risiko und hohen Gewinnen.

2.7.

Mit der Richtlinie wurde ein gemeinsamer Rahmen für Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Menschenhandels geschaffen. Darin wurden aber auch die Faktoren hervorgehoben, die Fortschritte bei der Bekämpfung bestimmter Ausbeutungsformen, die nicht unter die Definition von Menschenhandel und grenzüberschreitender Kriminalität fallen, erschweren. In der Richtlinie werden auch Bereiche genannt, in denen die Ermittlung und Strafverfolgung von Menschenhändlern verbessert werden können. Außerdem wurde betont, dass die Kapazitäten von Polizei- und Justizbehörden für die Durchführung von Finanzermittlungen im Zusammenhang mit Menschenhandel verbessert werden müssen.

2.8.

Auch wenn ein Schwerpunkt der Richtlinie auf dem Schutz vor Menschenhandel liegt, hat die Bewertung ergeben, dass Verbesserungen möglich sind, etwa bei der Anwendung der Grundsätze der Strafverfolgung und der Nichtkriminalisierung der Opfer, dem Schutz der Opfer in Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren und der Betreuung, die den Merkmalen und Bedürfnissen der Opfer (insbesondere Kinder und schutzbedürftige Gruppen) Rechnung trägt. Auch die unzureichende Datenerhebung und -verarbeitung wird als Problem genannt.

2.9.

In der Bewertung wird die Bedeutung der Richtlinie als Wendepunkt bei der Bekämpfung des Menschenhandels in der EU anerkannt. Gleichzeitig wird auch darauf hingewiesen, dass die Instrumente für eine bessere Überwachung, Verhütung und polizeiliche und justizielle Verfolgung von Menschenhandel und Menschenhändlern sowie für eine bessere Opferhilfe weiterentwickelt werden müssen.

2.10.

Angesichts dessen handelt es sich bei dem Kommissionsvorschlag um einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie. Der Vorschlag sieht eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels in der EU sowie zur Verbesserung des Opferschutzes vor.

3.   Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels

3.1.

Der Vorschlag für eine Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels hat zum Ziel, den Menschenhandel zu verhüten und zu bekämpfen sowie die Opfer zu schützen. Dazu sieht der Vorschlag drei Handlungsbereiche vor: i) Einstufung des Menschenhandels als Straftatbestand, Ermittlung und Strafverfolgung in Bezug auf Menschenhandel, einschließlich der Definition von Straftaten, Strafen und Sanktionen, ii) Unterstützung und Betreuung sowie Schutz von Opfern des Menschenhandels und iii) Verhütung des Menschenhandels.

3.2.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag zur Änderung dieser Richtlinie, da er die Ansicht teilt, dass weitere Fortschritte und Verbesserungen bei der Bekämpfung des Menschenhandels und dem Opferschutz erzielt werden müssen. Der EWSA teilt die Auffassung, dass der kriminelle Menschenhandel zu einer zunehmenden Bedrohung geworden ist, wobei der Kontext heute schwieriger ist als 2011.

3.3.

Der EWSA begrüßt die Ausweitung der Definition der verschiedenen Formen der Ausbeutung und begrüßt, dass in dem Bericht auf diese verschiedenen Formen Bezug genommen wird. Die sexuelle Ausbeutung ist sicherlich die häufigste Ausbeutungsform im Bereich des Menschenhandels — gefolgt von der Ausbeutung der Arbeitskraft. Doch gibt es noch weitere in der Richtlinie berücksichtigte Formen der Ausbeutung wie Zwangsbettelei, Zwangskriminalität oder illegale Organentnahme, von denen manche in den letzten Jahren ebenfalls an Bedeutung gewonnen haben. Gleichzeitig haben sich andere Formen herausgebildet, die nicht in die Richtlinie aufgenommen wurden, aber auch als Phänomene des Menschenhandels betrachtet werden könnten, wie Zwangsehen, Leihmutterschaften oder illegale Adoptionen. Der EWSA würde die Aufnahme eines Verweises auf „besondere ausbeuterische Arbeitsbedingungen“ begrüßen, wie er in der EU-Richtlinie über Sanktionen gegen Arbeitgeber zum Ausdruck kommt. Der EWSA hält es für notwendig, dass die Kommission weitere Orientierungshilfen zu den Definitionen aller verschiedenen möglichen Ausprägungen gibt, um eine einheitlichere Anwendung durch die Mitgliedstaaten zu gewährleisten.

3.4.

Er schließt sich dem Standpunkt an, dass diese Aufzählung als nicht erschöpfend angesehen werden sollte, da bedauerlicherweise jeden Tag neue Facetten der Ausbeutung hinzukommen. Seiner Ansicht nach sollten die Mitgliedstaaten das Problem des Menschenhandels unter umfassender Berücksichtigung aller Aspekte der Ausbeutung erfassen.

3.5.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Geschlechterperspektive in der Richtlinie und bei ihrer Umsetzung gestärkt werden sollte, da die bei Weitem meisten Opfer weiblich sind. Ebenso sollte besonderes Augenmerk auf bestimmte schutzbedürftige Gruppen gelegt werden, darunter Flüchtlinge, Asylbewerber und Personen, die keine Ausweispapiere besitzen oder einen prekären Aufenthaltsstatus haben, sowie auf schutzbedürftige Situationen geachtet werden, die die Rekrutierung und Ausbeutung durch kriminelle Netzwerke erleichtern können. Der EWSA weist darauf hin, dass der Menschenhandel durch folgende Faktoren beeinflusst wird: die Feminisierung der Armut, den für Frauen und Männer ungleichen Zugang zu Bildung und Ressourcen, den Ungleichheiten bei der medizinischen und der Gesundheitsversorgung, die weltweite Verbreitung geschlechtsspezifischer Gewalt sowie die allgemeine soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern.

3.6.

Der EWSA begrüßt den ausdrücklichen Verweis auf die Online-Dimension von Menschenhandelsdelikten. Der Einsatz neuer Technologien hat solche Straftaten begünstigt, da er den Zugang zu den Opfern und ihre Ausbeutung in größerem Maße ermöglicht und erleichtert sowie die Überwachung der Gewinne aus diesen Straftaten erschwert. Die sozialen Medien haben die Rekrutierung und Ausbeutung von Opfern erleichtert und die Ausbeutungssituationen um weitere Formen von Missbrauch, etwa durch die Verbreitung von Bildern, Videos usw. erweitert.

3.7.

Der EWSA unterstützt die Entwicklung eines besseren Sanktionssystems durch die Kommission. Da der Bewertung zufolge die meisten Mitgliedstaaten die fakultativen Sanktionsmaßnahmen nicht vollständig ausgestaltet haben, stärkt das neue verbindliche System, bei dem zwischen gewöhnlichen und schweren Straftaten unterschieden wird, die Bekämpfung von Menschenhandelsdelikten.

3.8.

Der EWSA begrüßt ferner die möglichen Sanktionen für juristische Personen wie den Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen oder Hilfen, die vorübergehende oder endgültige Schließung von Einrichtungen oder das vorübergehende oder ständige Verbot der Ausübung einer Handelstätigkeit. Der EWSA ist der Auffassung, dass die wissentliche Inanspruchnahme von Diensten, für die Menschen ausgebeutet werden, mit der Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit verknüpft werden könnte, damit auch Unternehmen, die von verschiedenen Ausbeutungsformen profitieren, zur Rechenschaft gezogen werden können. Erfahrungen mit Fällen von Arbeitsausbeutung können als Referenz dienen.

3.9.

Der EWSA hält es für einen Fortschritt, dass es dem Änderungsvorschlag zufolge als Straftat gilt, wenn Dienste oder Tätigkeiten, die sich auf Ausbeutung gründen, in Anspruch genommen werden, wohlwissend, dass es sich bei den Personen, die diese Dienste erbringen oder diese Tätigkeiten ausüben, um Opfer eines Menschenhandelsdelikts handelt. Diese wissentliche Inanspruchnahme (knowing use) kann auch mit strengeren Maßnahmen der Mitgliedstaaten einhergehen. Der EWSA hält es für wichtig, dass die Mitgliedstaaten bei ihrem Vorgehen in dieser Sache stärker unterstützt werden. Im Umsetzungsbericht, den die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat vorzulegen hat, sollten die diesbezüglichen Auswirkungen sowohl auf die Prävention als auch auf die strafrechtliche Verfolgung des Menschenhandels bewertet werden, um sich zu vergewissern, dass es zu keinen Beeinträchtigungen für Opfer oder schutzbedürftige Gruppen, wohl aber zu Fortschritten bei der Bekämpfung der „Kultur der Straflosigkeit“ für solche Vergehen gekommen ist.

3.10.

Der EWSA hält es für angemessen, dass die Kommission den Rechts- und Sanktionsrahmen an die Online-Welt anpasst. In diesem Zusammenhang ist es besonders positiv, dass die Richtlinie das Einfrieren und Einziehen von Vermögenswerten im Einklang mit den einschlägigen EU-Rechtsvorschriften vorsieht. Die von den Tätern eingezogenen Vermögenswerte sollten für die Entschädigung der Opfer zur Verfügung stehen, und den Opfern sollte bei der Rangfolge der Gläubiger Vorrang eingeräumt werden.

3.11.

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission betont, dass die Zusammenarbeit bei Straftaten im Zusammenhang mit dem Menschenhandel zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten verbessert werden muss. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist von entscheidender Bedeutung und kann durch den Austausch von Informationen oder gemeinsame Maßnahmen sowie durch Schulungen des Fachpersonals, das Opfer im grenzüberschreitenden Kontext betreut (insbesondere in Strafverfolgungsbehörden), verbessert werden.

3.12.

Es ist wichtig, dass die Mitgliedstaaten weitere nationale Verweismechanismen entwickeln, bei denen sich zivilgesellschaftliche Organisationen an der Ermittlung von Opfern und der Bereitstellung von Betreuungsdiensten beteiligen. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kommission die Mitgliedstaaten bei der Schaffung oder Stärkung dieser Instrumente unterstützen sollte, die auf europäischer Ebene koordiniert werden können, um die Unterstützung und den Schutz der Opfer des Menschenhandels zu verbessern. Die Entwicklung eines europäischer Verweisinstruments müsste vorangebracht werden, um die Harmonisierung der Betreuung und Unterstützung von Opfern und die Entwicklung von Systemen der Opferhilfe zu verbessern. So könnte in den einzelnen Mitgliedstaaten ein weiteres Instrument eingerichtet werden: ein unabhängiges Überwachungs- und Sicherungsgremium mit einem nationalen Berichterstatter, der die Wirksamkeit der von den Mitgliedstaaten zur Bekämpfung des Menschenhandels ergriffenen Maßnahmen überwacht, Forschungsarbeiten durchführt und mit öffentlichen und privaten Interessenträgern zusammenarbeitet, die auf unterschiedlichen Ebenen mit diesem Thema befasst sind.

3.13.

Der EWSA ist der Auffassung, dass den Opfern des Menschenhandels in der Richtlinie mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte, und erinnert daran, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Opfer zu betreuen, zu schützen und so weit wie möglich für ihre soziale Inklusion zu sorgen. Opfer des Menschenhandels sollten nicht bestraft werden, und in der Richtlinie sollten außerdem Verfahren und Instrumente zur Betreuung und Unterstützung von Opfern, insbesondere im Falle von schutzbedürftigen Gruppen wie Minderjährigen, Angehörigen von Minderheiten, Flüchtlingen oder Migranten ohne Ausweispapiere, gestärkt werden. Auch sollten Instrumente für die Opferentschädigung und Prävention geprüft und weiter verstärkt werden, einschließlich sicherer Anzeige- und Beschwerdeverfahren und Entschädigungsfonds.

3.14.

Die Integration im Zielland wird dadurch erreicht, dass die Opfer des Menschenhandels an maßgeschneiderten Unterstützungs-, Informations-, Schulungs- und Empowerment-Projekten teilnehmen, und zwar durch: die Aufnahme in speziellen Schutzeinrichtungen; die obligatorische Erteilung eines Aufenthaltstitels als unabdingbare Voraussetzung für den Ausstieg aus dem Menschenhandel; die gesundheitliche Versorgung, Aufklärung und Vorsorge; die psychologische Unterstützung und kulturelle Mediation; die sozial und rechtliche Information und Beratung; Sprach- und Alphabetisierungskurse; die Bewertung von Fähigkeiten und Kompetenzen; die Berufsberatung und Berufsbildung; die Eingliederung in den Arbeitsmarkt.

3.15.

Gegenstand der Richtlinie sind weder legislative Änderungen beim Schutz der Opferrechte noch bei der Unterstützung und Betreuung von Opfern des Menschenhandels — hier besteht noch viel Spielraum für Verbesserungen. Der EWSA erinnert daran, dass in der Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (3) über Mindeststandards für die Rechte, die Betreuung und den Schutz von Opfern von Straftaten u. a. auf die besonderen Bedürfnisse bestimmter Kategorien von Opfern von Menschenhandel, sexuellem Missbrauch, sexueller Ausbeutung und Kinderpornografie eingegangen wird.

3.16.

Der EWSA fordert die Kommission auf, in ihrem Vorschlag zur Änderung der Richtlinie festzuschreiben, dass die folgende Richtlinie eingehalten werden muss: Richtlinie 2004/81/EG.

3.17.

Die Zusammenarbeit des Opfers sollte als der Wunsch verstanden werden, sich an einem individuellen Projekt der sozialen Integration und des Ausstiegs aus der Ausbeutung zu beteiligen. Aufenthaltstitel sind die notwendige Voraussetzung für Alternativen zum Menschenhandel, d. h. den Zugang zu örtlichen Dienstleistungen, die Selbstbestimmung und Handlungskompetenz ermöglichen, und sollten daher nicht nur denjenigen erteilt werden, die mit der Justiz kooperieren.

3.18.

Die Opfer zögern, gegen ihre Menschenhändler auszusagen. Sie leben oft in einem dauerhaften Erpressungszustand, und sie bringen ihr eigenes Leben und das ihrer Familienangehörigen in Gefahr, wenn sie als Zeugen aussagen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Einwilligung eines Opfers des Menschenhandels in die Ausbeutung unerheblich ist (Artikel 3 Buchstabe b des UN-Protokolls gegen den Menschenhandel, 2000).

3.19.

Der EWSA fordert die Kommission ferner auf, bei der Umsetzung der in ihrer Veröffentlichung Rechte der Opfer von Menschenhandel in der EU (4) enthaltenen Empfehlungen Fortschritte zu erzielen, damit die Mitgliedstaaten den Opfern des Menschenhandels in folgenden Fällen immer Aufenthaltstitel erteilen:

wenn die Anwesenheit des Opfers für die Ermittlung oder das Gerichtsverfahren erforderlich ist;

wenn das Opfer eine klare Bereitschaft zur Zusammenarbeit bekundet hat;

wenn das Opfer alle Verbindungen zu dem oder den Straftäter(n) abgebrochen hat;

wenn das Opfer keine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten ferner auf, die Möglichkeit, Opfern aus humanitären oder persönlichen Gründen Aufenthaltstitel zu erteilen, stärker zu nutzen, auch wenn die oben genannten Bedingungen nicht erfüllt sind.

3.20.

Der EWSA bekräftigt, dass Anstrengungen unternommen werden müssen, um den Menschenhandel zu verhindern, wobei es vor allem gilt, die Nachfrage nach allen Formen der Ausbeutung zu verringern. Die Nachfrage nach billiger Arbeitskraft und Prostitutionsdiensten nimmt weiter zu, auch wenn damit häufig Menschenhandelsdelikte verbunden sind.

3.21.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die zahlreichen Maßnahmen zur besseren Information über und Sensibilisierung für diese Themen verstärkt werden sollten, ggf. mithilfe von neuen Kommunikationsinstrumenten, Schulungen, Bildungsprogrammen und Sensibilisierungskampagnen, die die Bekämpfung des Menschenhandels in allen EU-Mitgliedstaaten stärken.

3.22.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass nicht nur die Datenerhebung verbessert, sondern auch die Instrumente zur Ermittlung dieser Straftaten optimiert werden müssen. Offenkundig gibt es eine beträchtliche Zahl nicht gemeldeter Fälle; diese Dunkelziffer erfordert ebenfalls eine Korrektur und Reaktion in Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und mit den europäischen Institutionen. Der Vorschlag für einen jährlichen statistischen Bericht über den Menschenschmuggel kann dazu beitragen, bessere Daten zu erhalten, die Maßnahmen zu verbessern und die Öffentlichkeit für diese Straftaten zu sensibilisieren.

3.23.

Ebenso begrüßt der EWSA, dass die Kommission es als notwendig erachtet, dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat einen Jahresbericht über die Fortschritte der Mitgliedstaaten bezüglich der Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels vorzulegen und darin die Umsetzung dieser Maßnahmen und ihre Auswirkungen hervorzuheben.

3.24.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Vorlage dieses Vorschlags zur Änderung der Richtlinie genutzt werden sollte, um die Notwendigkeit einer verstärkten Bekämpfung des Menschenhandels herauszustellen und besser zu vermitteln. Die Verletzung von Rechten durch die verschiedenen Ausbeutungsformen erfordert eine umfassende und vielschichtige Reaktion, bei der die Bürgerinnen und Bürger entscheidend gefragt sind, denn es gilt, Straflosigkeit und Banalisierung solcher Missbräuche zu bekämpfen.

Brüssel, den 27. April 2023

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Oliver RÖPKE


(1)  Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates (ABl. L 101 vom 15.4.2011, S. 1).

(2)  Richtlinie 2004/81/EG des Rates vom 29. April 2004 über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren (ABl. L 261 vom 6.8.2004, S. 19).

(3)  Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI (ABl. L 315 vom 14.11.2012, S. 57).

(4)  The EU rights of victims of trafficking in human beings.


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