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Document 52022AE3296

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Ein Aktionsplan für Solidaritätskorridore zwischen der EU und der Ukraine zur Erleichterung der Agrarexporte der Ukraine und ihres bilateralen Handels mit der EU (COM(2022) 217 final)

    EESC 2022/03296

    ABl. C 75 vom 28.2.2023, p. 171–177 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    28.2.2023   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 75/171


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Ein Aktionsplan für Solidaritätskorridore zwischen der EU und der Ukraine zur Erleichterung der Agrarexporte der Ukraine und ihres bilateralen Handels mit der EU

    (COM(2022) 217 final)

    (2023/C 75/25)

    Berichterstatter:

    Marcin NOWACKI

    Befassung

    Europäische Kommission, 28.6.2022

    Rechtsgrundlage

    Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

    Annahme in der Fachgruppe

    4.10.2022

    Verabschiedung im Plenum

    26.10.2022

    Plenartagung Nr.

    573

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    156/12/17

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstreicht, dass die ungerechtfertigte militärische Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine zur Zerstörung eines erheblichen Teils der Infrastruktur und zur Blockade der Seehäfen und Seewege geführt hat, was wiederum den Zusammenbruch des ukrainischen Außenhandels zur Folge hatte. Daher ist es notwendig, alternative Handelswege über den Straßen- und Schienenverkehr zwischen der EU und der Ukraine zu ermitteln.

    1.2.

    Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten, die Kommission und den Rat auf, durch die Erhöhung der Zahl der Beamten und durch die Zusammenarbeit zwischen Beamten der EU und denen der Ukraine für eine Verbesserung der Zollabfertigung an den Grenzübergängen zu sorgen. Damit sollte der bereits in einigen EU-Mitgliedstaaten bestehende Trend fortgesetzt werden. So hat Polen beispielsweise an den Grenzübergängen Korczowa-Krakowez und Dorohusk-Jahodyn gesonderte Fahrspuren für den Güterverkehr eingerichtet. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass eine Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten und der Ukraine erforderlich ist, um die Zollabfertigung zu verbessern, u. a. mittels der gleichzeitigen Durchführung der Zollabfertigung durch alle zuständigen Dienststellen unter Einhaltung sämtlicher Verfahren sowohl der EU Mitgliedstaaten als auch der Ukraine.

    1.3.

    Es sollte betont werden, dass eine der jüngsten Kernmaßnahmen zur Stärkung des Handels auf dem Landweg die Unterzeichnung zweier Abkommen zwischen der EU, der Ukraine und der Republik Moldau über die Liberalisierung des Straßengüterverkehrs aus der Ukraine in die EU über Moldau ist. Die Straßentransportabkommen werden zu diesen Bemühungen beitragen, indem sie den Straßengüterverkehr zwischen der EU und der Ukraine und Moldau erleichtern und es ukrainischen, moldauischen und EU-Beförderern ermöglichen, die jeweiligen Hoheitsgebiete zu durchfahren und dort tätig zu sein, ohne für diese Tätigkeiten eine Genehmigung einholen zu müssen. Das Abkommen zwischen der EU und der Ukraine sieht auch die Anerkennung ukrainischer Führerscheine und Berufsqualifizierungsnachweise vor (1).

    1.4.

    Der EWSA weist darauf hin, dass dringend in Infrastruktur investiert werden muss, um die Kapazitäten der Grenzübergänge zu erhöhen und den Handel über den Schienenverkehr zu ermöglichen. Diese Investitionen können nur unter Beteiligung europäischer Fonds getätigt werden. Um das Transportvolumen zu erhöhen, sind die Unterstützung des Investitionsprozesses, Zahlungsgarantien und Sicherheiten für am Güterverkehr zwischen der EU und der Ukraine beteiligte Unternehmen notwendig.

    1.5.

    Der EWSA weist darauf hin, dass eine enge Zusammenarbeit mit den ukrainischen Partnern erforderlich ist, und zwar nicht nur bei der Umsetzung des Investitionsprozesses und der Verbesserung der Verfahren für den Güterverkehr, sondern auch bei der Zulassung ukrainischer Arbeitnehmer zur Beschäftigung in der EU. Dies betrifft sowohl die Regierungspartner als auch die Sozialpartner.

    1.6.

    Der EWSA stellt fest, dass die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung maßgebliche Hürden und ihre Ursachen im Rahmen des Handels zwischen der EU und der Ukraine richtig benennt. Der anhaltende bewaffnete Konflikt auf ukrainischem Gebiet, der durch die völlig ungerechtfertigte Invasion der Russischen Föderation ausgelöst wurde, hat zur Zerstörung eines Großteils der Infrastruktur der Ukraine und zur Blockade ihrer Seehäfen am Schwarzen Meer geführt, wodurch sie von ihrem Kanal für den internationalen Handel abgeschnitten wurde.

    2.   Hintergrund der Stellungnahme

    2.1.

    Die vorliegende Stellungnahme ist eine Reaktion auf die „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Ein Aktionsplan für die Solidaritätskorridore zwischen der EU und der Ukraine zur Erleichterung der Agrarexporte aus der Ukraine und des bilateralen Handels mit der EU“ (2) vom 12. Mai 2022.

    2.2.

    Zu den wichtigsten von der Ukraine produzierten und in die EU sowie zahlreiche Länder Afrikas und Asiens exportierten Gütern gehören Lebensmittel und vor allem Getreide. Die Ukraine ist einer der größten Lebensmittelproduzenten. Die Blockade des Außenhandels mit diesem Land bedeutet einen erheblichen Rückgang der Versorgung mit vielen Lebensmitteln in der EU und weltweit. Die Ukraine und Russland produzieren zusammen 10 % des weltweiten Weizens und haben einen Anteil von 30 % am weltweiten Weizenhandel.

    2.3.

    Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission, alternative und optimierte Logistikrouten — die neuen „Solidaritätskorridore zwischen der EU und der Ukraine“ — zu schaffen, die den Handel mit ukrainischen landwirtschaftlichen Erzeugnissen und den bilateralen Außenhandel erleichtern werden. Die Korridore werden der Ukraine auch Zugang zu den europäischen Handelswegen über die Seehäfen verschaffen, was unserem östlichen Nachbarn die Möglichkeit zur Teilnahme am Welthandel geben wird. Es besteht jedoch allgemein Einigkeit darüber, dass die Ausfuhren über den Landweg nur ein Drittel bis höchstens die Hälfte der Ausfuhren kompensieren dürfen, die die Ukraine normalerweise über das Schwarze Meer tätigt. Im Übrigen sind die Kosten für den Transport auf dem Landweg nach Europa viel höher als für den Transport per Schiff über das Schwarze Meer. Darüber hinaus unterliegen ukrainische Exporte innerhalb des EU-Binnenmarkts bestimmten Beschränkungen. Dadurch werden einerseits den Landwirten Chancen genommen und andererseits viele afrikanische und asiatische Länder bei der Versorgung mit dringend benötigten Lebensmitteln nicht unterstützt.

    2.4.

    Die Öffnung eines sicheren Getreidekorridors im Schwarzen Meer kann eine gute Nachricht für Lebensmittel importierende Länder und für ukrainische Landwirte sein. Angesichts des geringen Vertrauens in Russland steht die eigentliche Bewährungsprobe jedoch noch aus. Erschwerend kommen die derzeit hohen Kraftstoff- und Düngemittelpreise hinzu. Ein Großteil der Agrarflächen der Ukraine wird von Russland kontrolliert bzw. ist von russischen Angriffen bedroht. Sollte die landwirtschaftliche Tätigkeit aufgrund hoher Kosten und geringer Sicherheit nicht mehr möglich sein, dann könnten die Landwirte den Betrieb einstellen, was den Druck auf die internationale Ernährungssicherheit weiter erhöhen und Arbeitsplätze vernichten würde. Hier sind Lösungen dringend erforderlich — es darf keine Zeit verloren werden.

    2.5.

    Der EWSA stellt fest, dass die Kommission die Engpässe — d. h. die problematischsten Bereiche, die den Handel zwischen der EU und der Ukraine erschweren — richtig benennt und eine Reihe von Maßnahmen zur Lösung der festgestellten Probleme vorschlägt.

    2.6.

    Die größten Schwierigkeiten bei der Entwicklung des Handels zwischen der EU und der Ukraine betreffen die Infrastruktur. Deshalb sind Investitionen dringend erforderlich, um für einen ungehinderten Verkehr an den Grenzübergängen zu sorgen und den Schienenverkehr zwischen der Ukraine und den EU-Mitgliedstaaten zu erleichtern. Auch bedarf es des Auf- und Ausbaus der Zusammenarbeit zwischen Institutionen und Mitgliedstaaten der EU mit der Ukraine und der Republik Moldau, die ebenfalls eine aktive Rolle im Güterverkehr spielen kann.

    3.   Allgemeine Bemerkungen

    3.1.

    Es ist schwierig, den Schaden abzuschätzen, der durch die russische Invasion der Ukraine verursacht wurde, zumal nicht vorhersehbar ist, wie lange der Krieg noch andauert. Dennoch sollte bereits über die Planung des Wiederaufbaus der Ukraine, ihrer wirtschaftlichen Entwicklung und ihrer Integration in das wirtschaftliche Ökosystem der EU nachgedacht werden. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Wiederaufbau der Ukraine war die Lugano-Konferenz am 4./5. Juli 2022. Dies ist umso bedeutender, als die Staats- und Regierungschefs der EU am 23. Juni 2022 beschlossen haben, der Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu gewähren. Der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Plan für die Einrichtung von „Solidaritätskorridoren“ zur Steigerung des Handels zwischen der EU und der Ukraine ist diesbezüglich sicherlich ein wesentlicher Fortschritt.

    3.2.

    Die Ukraine verfügt über 18 Häfen, von denen aus Waren in europäische Länder und andere Teile der Welt exportiert werden können. Nach jüngsten Informationen aus der Ukraine wurden 15 dieser Häfen blockiert. Nur drei Häfen sind in Betrieb: Reni, Ismajil und Ust-Donézki. Russland hat auch das Auslaufen von fast 80 ausländischen Schiffen samt Besatzung verhindert. Ukrainischen Quellen zufolge haben im März nur 400 000 Tonnen Fracht die Häfen verlassen. Im Mai stieg der Hafenumschlag auf 1,3 Mio. Tonnen (3). Dies ist jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ein Abkommen, dem zufolge Russland Handelsschiffen das Verlassen ukrainischer Häfen gestatten soll, gibt Anlass zur Hoffnung. Die ersten Schiffe mit ukrainischem Getreide haben den Hafen von Odessa bereits verlassen. Es ist zu betonen, dass das Abkommen mit Russland fragil ist und die Häfen jederzeit erneut vollständig blockiert werden könnten (4).

    3.3.

    Schließlich ist die Ukraine einer der größten Lebensmittelproduzenten der Welt. Etwa die Hälfte der weltweiten Ausfuhren von Sonnenblumenöl, 16 % des Maises und 10 % des Weizens kommen aus diesem Land. Die Ukraine ist auch ein wichtiger Produzent und Exporteur anderer Getreide- und Lebensmittelerzeugnisse (5). Lebensmittelexporte sind eine wichtige Einnahmequelle für die Ukraine — 2021 beliefen sie sich auf 27,7 Mrd. USD (6). Ukrainische Agrarerzeugnisse werden in Südostasien, im Nahen Osten und in Afrika verkauft. EU-Länder wie Spanien, die Niederlande und Italien gehören ebenfalls zu den größten Importeuren dieser Waren.

    3.4.

    Vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine wurden rund zwei Drittel der ukrainischen Exporte auf dem Seeweg abgewickelt. Gleichzeitig wurde Getreide fast ausschließlich auf dem Seeweg ausgeführt — im Falle von Pflanzenölen zu mehr als 90 % (7). Die Blockade der Handelsseehäfen im Schwarzen Meer wirkt sich unmittelbar auf die internationale Ernährungssicherheit und die Wirtschaftslage in vielen Ländern der Welt aus. Die begrenzte Versorgung mit Lebensmitteln aus der Ukraine ist und bleibt sicherlich ein wichtiger Faktor für den Preisanstieg in der gesamten EU. Die Ernte wurde insofern durch den Krieg erschwert, als Feldfrüchte in besetzten Gebieten von russischen Truppen gestohlen wurden. Darüber hinaus wurden von ihnen Gebiete vermint und Anbauflächen abgebrannt. Unter diesen Bedingungen fällt die Ernte in der Ukraine deutlich geringer aus als in den Vorjahren. Gepaart mit Schwierigkeiten beim Export könnte das in vielen Regionen der Welt zu Hunger führen. Außerdem werden schätzungsweise rund 30 % der Weizenanbaugebiete der Ukraine nun von Russland kontrolliert (Stand: August 2022). In den besetzten Gebieten ist der Produktionsstatus unklar: Wer kontrolliert die Lieferungen, und können diese noch die Weltmärkte erreichen? Beim Kriegsausbruch steckten Schätzungen zufolge 20 bis 25 Mio. Tonnen Getreide aus der Ernte des Jahres 2021 in der Ukraine fest.

    3.5.

    Die vorgenannten Probleme rechtfertigen voll und ganz die Vorschläge der Kommission zur Einrichtung von Solidaritätskorridoren. Der EWSA weist jedoch darauf hin, dass der Vorschlag der Kommission neben Maßnahmen zum Ausbau der Kapazitäten der Grenzübergänge auch Maßnahmen zur Erhöhung der Investitionssicherheit enthalten sollte.

    4.   Besondere Bemerkungen

    4.1.   Koordinierung der Arbeit der Zollbehörden der EU-Mitgliedstaaten und der Ukraine

    4.1.1.

    Gemeinsame Zollkontrollen an der EU-Grenze zur Ukraine sind nicht neu. Ein ähnlicher Mechanismus wurde während der UEFA EURO 2012 angewandt. Während der Europameisterschaft überquerten mehr als eine Million Menschen die polnisch-ukrainische Grenze. Die damaligen Sonderverfahren betrafen jedoch nur den Personen- und nicht den Warenverkehr. Durch die Koordinierung der Zolldienste konnten die Kapazitäten der Grenzübergänge allerdings erheblich gesteigert werden. Die besonderen Umstände infolge der russischen Invasion in der Ukraine rechtfertigen sicherlich die Erwägung ähnlicher Maßnahmen für den Warenverkehr. Es besteht kein Zweifel, dass Zollkontrollen an den Grenzübergängen zur Ukraine notwendig sind. Der EWSA empfiehlt jedoch, dass sie an einem Ort und von Beamten der EU-Mitgliedstaaten und der Ukraine gemeinsam im Rahmen einer umfassenden Kooperation und Koordinierung durchgeführt werden sollten.

    4.2.   Ausbau der Grenzübergangskapazitäten — Lösungen für den Straßenverkehr — Öffnung neuer Grenzübergänge und Fahrspuren für die Abfertigung von Waren, insbesondere von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen

    4.2.1.

    Die Öffnung der Grenzübergänge und die Erhöhung ihrer Kapazitäten sind von entscheidender Bedeutung, um den freien Warenverkehr zwischen den EU-Mitgliedstaaten und der Ukraine zu ermöglichen. Dieser Trend zeichnet sich in den Nachbarstaaten der Ukraine ab und sollte durch Investitionen in die notwendige Infrastruktur auch finanziell unterstützt werden. Es ist notwendig, sowohl die Kapazitäten der bestehenden Grenzübergänge zu erhöhen, z. B. durch Aufstockung des Zollpersonals, als auch neue Grenzübergänge zu schaffen, insbesondere für die Abfertigung von Waren an Orten, an denen dies möglich ist. Erwähnenswert ist das Beispiel Polens, das den Warendurchsatz an den Grenzübergängen Korczowa-Krakowez und Dorohusk-Jahodyn erhöht hat. Dank des Ausbaus und der Nutzung der bestehenden Infrastruktur hat Polen die Wartezeiten für die Abfertigung von Waren an anderen Grenzübergängen in kürzester Zeit verringert.

    4.2.2.

    Es ist zu unterstreichen, dass die Möglichkeit besteht, für den Handel mit ukrainischem Getreide Seehäfen nicht nur in Polen, sondern auch in den baltischen Staaten zu nutzen. Dazu sollte das Schienennetz in Polen wirksam genutzt und die Nutzung von Häfen in Polen, Litauen, Lettland und Estland durch die ukrainischen Behörden und Unternehmen ermöglicht werden. Wichtig ist der Hinweis, dass ein erheblicher Teil des ukrainischen Getreides in Hallen an der polnisch-ukrainischen Grenze gelagert wird. Somit bestehen weiterhin Hindernisse für die Handelslogistik, die es zu beseitigen gilt.

    4.2.3.

    Es ist zu erwähnen, dass die Kommission auch vorschlägt, Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der EU und der Ukraine über den Straßengüterverkehr aufzunehmen. Nach seiner ursprünglichen Laufzeit könnte dieses Abkommen so lange in Kraft bleiben, wie die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine schwerwiegende Auswirkungen auf die Verkehrsinfrastruktur und den Verkehrsbetrieb hat. Es ist jedoch zu betonen, dass sich die Rahmenbedingungen für Unternehmen in der Ukraine und der EU erheblich unterscheiden. So muss ein mögliches Abkommen zwischen der EU und der Ukraine unbedingt einen Fahrplan für regulatorische Änderungen in der Ukraine enthalten, damit die nationalen Vorschriften mit den europäischen Standards, einschließlich des Mobilitätspakets, in Einklang stehen. Andernfalls könnten ukrainische Transportunternehmen einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren europäischen Konkurrenten erlangen, was schwerwiegende wirtschaftliche Folgen für die europäische Transportindustrie hätte.

    4.2.4.

    Die Kommission fordert im Rahmen von Aktion 4 eine Priorisierung der ukrainischen Agrarexporte über Güterverkehrskorridore, in denen die bestverfügbaren Kapazitäten eingesetzt werden. Diese Maßnahme ist verwaltungstechnisch wichtig. Es ist jedoch zu betonen, dass private Transportunternehmen ohne zusätzliche wirtschaftliche Anreize und angemessene Versicherung möglicherweise nicht bereit sind, die mit der Beförderung landwirtschaftlicher Erzeugnisse verbundenen Risiken auf sich zu nehmen. Private Unternehmen werden sich vom Grundsatz der Gewinnmaximierung und Risikominimierung leiten lassen, sodass sie sich möglicherweise anstelle des Transports von Agrarerzeugnissen aus der Ukraine für andere Waren oder ganz andere Geschäftstätigkeiten entscheiden.

    4.2.5.

    Der EWSA begrüßt, dass die Kommission zu Recht darauf hinweist, dass zahlreiche Hindernisse beseitigt werden müssen, damit ukrainische Fahrer auf dem Unionsgebiet arbeiten könnten. Es sollten gemeinsame Maßnahmen mit den ukrainischen Partnern ergriffen werden, um ukrainischen Staatsangehörigen die Arbeit für europäische Transportunternehmen und den freien Grenzübertritt zu ermöglichen. Die in der Region tätigen europäischen Transportunternehmen sind schließlich mit einem erheblichen Mangel an Arbeitskräften konfrontiert. Viele ukrainische Bürgerinnen und Bürger hatten vor dem Krieg in EU-Mitgliedstaaten gearbeitet, waren aber nach Kriegsausbruch gezwungen, in ihr Heimatland zurückzukehren. Derzeit können sie nicht die Ukraine verlassen und in der EU arbeiten, was die Situation der europäischen Unternehmen erheblich erschwert.

    4.3.   Schienenverbindungen zwischen der EU und der Ukraine

    4.3.1.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass die Europäische Kommission die Probleme im Schienengüterverkehr treffend benennt. Die Spurweite in der EU beträgt 1 435 mm, in der Ukraine hingegen 1 520 mm. Dadurch können europäische Güterzüge nicht auf ukrainischen Gleisen fahren und umgekehrt. Die Kommission verweist jedoch auf die Praxis des Austauschs von Waggon-Drehgestellen, die sich nicht in jedem Fall als ausreichend erweisen dürfte. Es ist zu unterstreichen, dass ukrainische Waggons manchmal breiter sind als die in Europa verwendeten, was dazu führen kann, dass sie nicht auf europäischen Gleisen fahren können.

    4.3.2.

    Im Rahmen von Aktion 5 verpflichtet sich die Kommission, mit den Mitgliedstaaten und der Industrie zusammenzuarbeiten, um die wichtigsten Umschlagzentren bzw. Zentren zur Änderung der Spurweite an den Grenzen zwischen der EU und der Ukraine und darüber hinaus zu ermitteln und die Umschlagmengen für Massengut- und Containertransporte auf Tagesbasis festzulegen. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Koordinierungshilfe der EU über den Verkehr hinausgehen und auch die Warenbeförderung einschließen sollte. Derzeit haben ukrainische Unternehmen große Schwierigkeiten, neue Logistikketten aufzubauen (Buchung von Grenzterminals und Organisation des Schienengüterverkehrs, Buchung von Hafenterminals, Vertragsabschlüsse mit Reedereien). Sie liefern das Getreide oft nur bis zur Grenze, was zu Engpässen führt. Das Problem könnte durch groß angelegte Matchmaking-Veranstaltungen und -Mechanismen (auch online) gelöst werden, etwa um ukrainische Exporteure mit europäischen Spediteuren, Logistikunternehmen usw. zusammenzubringen.

    4.3.3.

    Die Einrichtung von Solidaritätskorridoren erfordert eine Reihe von Investitionen in die Infrastruktur, insbesondere im Bereich des Schienenverkehrs. Ein bemerkenswertes Beispiel ist der Ausbau der europäischen Eisenbahninfrastruktur innerhalb des vorgeschlagenen Korridors Polen-Ukraine-Rumänien auf der Strecke Danzig–Lublin/Przemyśl–Lwiw–Tscherniwzí–Suceava–Constanța. Das Projekt könnte ein östliches Element des neuen TEN-V-Korridors Ostsee-Schwarzes Meer-Ägäis sein, das im Rahmen der zyklischen Überarbeitung des TEN-V-Netzes erörtert wird. Sobald die notwendigen Investitionen in Polen getätigt worden sind — z. B. in den „Solidarity Transport Hub“ und die Anpassung der Hochgeschwindigkeitsbahnstrecken an den Güterverkehr — dürfte dies die schnellste Route für die Beförderung von Gütern von der Ukraine zu den Ostseehäfen sein. Investitionen in den Schienenverkehr im Rahmen des TEN-V-Netzes werden Moldau in die Lage versetzen, die Verbindungen mit der EU zu verbessern und mehr Güterverkehrswege nach Odessa und Chișinău zu öffnen.

    4.4.   Finanzielle Unterstützung und Risikominderung für Unternehmer

    4.4.1.

    Der Wiederaufbau der Ukraine ist mit sehr hohen Investitionen verbunden. Ein bedeutender Teil der Infrastruktur und der Landwirtschaft der Ukraine wurde durch militärische Handlungen zerstört. Diese Investitionen erfordern Finanzquellen und Zahlungsgarantien, um Sicherheit in den Fällen zu schaffen, in denen der Investor nicht in der Lage ist, den Auftragnehmer zu bezahlen. Daher müssen auch europäische Finanzmittel zur Unterstützung von Unternehmern, die in der Ukraine Investitionen tätigen, vorgesehen werden. Angesichts der hohen Kraftstoff-, Düngemittel- und Versicherungskosten werden viele Landwirte keine Investitionen riskieren wollen. Es wird zur Aufgabe zahlreicher Agrarbetriebe in den besetzten Gebieten kommen; das bedeutet, dass es keine Beschäftigung für die Bevölkerung und keine Lebensmittelerzeugung gibt.

    4.4.2.

    Die Kommission weist richtigerweise darauf hin, dass die Waggoneigentümer der EU bisher zögerlich waren, ihr Eisenbahnmaterial und ihre Fahrzeuge in die Ukraine einreisen zu lassen. Als Reaktion auf diese Bedenken hat die Ukraine ein Regierungsdekret erlassen, in dem sich das Land dazu verpflichtet, die Kosten der Schäden durch verlorengegangene Waggons und Lastkähne zu übernehmen. Der Erlass impliziert jedoch keinen Ausgleich von Versicherungsrisiken und gilt nicht für den Straßenverkehr. Teilweise gelangen derzeit europäische Fahrzeuge zwar bereits in die Ukraine, allerdings immer noch in nur begrenzter Zahl. Es ist in der Tat angebracht, die EU in Zusammenarbeit mit der Ukraine zu unterstützen und diesem Instrument spezifische Mittel zuzuweisen. Das Risiko von Kriegshandlungen auf ukrainischem Hoheitsgebiet beeinträchtigt ganz erheblich die Bereitschaft von Unternehmen (auch im Bereich des Straßengüterverkehrs), sich am Warenaustausch zwischen der EU und der Ukraine zu beteiligen.

    4.4.3.

    Die Kommission verweist an vielen Stellen auf die Notwendigkeit erheblicher Investitionen, z. B. in den Ausbau von Schienenstrecken, in die Infrastruktur für den Güterumschlag oder die Lagerung von Waren. Es ist darauf hinzuweisen, dass die größte Herausforderung für private Investitionen in Getreide-Infrastrukturen (Terminals, Silos, Anschaffung von Waggons und Material, Ausbau von Hafenmolen usw.) derzeit in der Ungewissheit über den Kriegsverlauf und damit der Gefahr von Überinvestitionen besteht. Angesichts der globalen Dimension des Problems erscheint es gerechtfertigt, die Unterstützung durch Staaten und internationale Organisationen zu fordern, um Finanzinstrumente zu schaffen, mit denen private Unternehmen gegen das Risiko von Schlüsselinvestitionen in Infrastrukturen zur Beförderung und Lagerung von Getreide abgesichert werden sollen. Zu den potenziellen Interessenträgern gehören die Europäische Investitionsbank und andere Entwicklungsbanken der Länder in der Region.

    Brüssel, den 26. Oktober 2022

    Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Christa SCHWENG


    (1)  Supporting Ukrainian exports and improving connections to the EU: EU strengthens cooperation with Ukraine and Moldova (europa.eu).

    (2)  COM(2022) 217 final.

    (3)  https://ubn.news/russian-invaders-have-seized-and-blocked-15-ukrainian-ports/

    (4)  https://www.business-standard.com/article/international/ukraine-russia-sign-un-deal-to-export-grain-and-fertiliser-on-black-sea-122072201213_1.html

    (5)  https://www.bbc.com/news/world-europe-61583492; https://www.apk-inform.com/en/news/1526701; siehe auch The importance of Ukraine and the Russian Federation for global agricultural markets and the risks associated with the war in Ukraine, Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO).

    (6)  https://www.weforum.org/agenda/2022/07/ukraine-s-food-exports-by-the-numbers/

    (7)  https://www.bbc.com/news/world-europe-61583492


    ANHANG

    Der folgende abgelehnte Änderungsantrag erhielt mindestens ein Viertel der Stimmen:

    ÄNDERUNGSANATRAG

    von:

    CAÑO AGUILAR Isabel

    HAJNOŠ Miroslav

    QUAREZ Christophe

    SZYMAŃSKI Mateusz

    TEN/781 — Solidaritätskorridore zwischen der EU und der Ukraine

    Ziffer 4.5

    Neue Ziffer nach Ziffer 4.4.3

    Stellungnahme der Fachgruppe

    Änderung

     

    4.5.

    Schutz der Arbeitnehmerrechte im neuen Entwurf des Arbeitsgesetzbuchs

    Das ukrainische Parlament hat vor kurzem Abstand von seinem seit langem bestehenden Grundsatz der Konsultation von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden zu politischen Maßnahmen im Zusammenhang mit Änderungen des Arbeitsrechts genommen. Infolgedessen hat das ukrainische Parlament das Gesetz 2434-IX verabschiedet. Es ist im August 2022 in Kraft getreten und diskriminiert Arbeitnehmer in Organisationen mit weniger als 250 Beschäftigten und einem Lohn, der das Achtfache des Mindestlohns übersteigt, da es dem Arbeitgeber die Möglichkeit einräumt, individuelle Arbeitsverträge vorzuschlagen, die nach der Unterzeichnung dem Arbeitnehmer zusätzliche Aufgaben und Pflichten auferlegen können, die im Arbeitsrecht oder in den Tarifverträgen nicht vorgesehen sind. Das Gesetz wurde zwar für das Kriegsrecht verabschiedet, ist jedoch offensichtlich Teil eines weiterreichenden Plans der Deregulierung und Aushöhlung der Arbeitnehmerrechte. In Friedenszeiten stünde die Verabschiedung eines solchen Gesetzes und seine Aufnahme in neue arbeitsrechtliche Vorschriften im Widerspruch zum EU-Besitzstand, einschließlich der Dienstleistungsfreiheit, der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeitnehmer, nachhaltiger Beschäftigungsbedingungen und des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung, aber auch der Verpflichtungen im Rahmen der ratifizierten Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation und der europäischen Säule sozialer Rechte zu sicherer und anpassungsfähiger Beschäftigung, angemessenen Mindestlöhnen und Mindesteinkommen.

    Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag:

    Ja-Stimmen:

    81

    Nein-Stimmen:

    97

    Enthaltungen:

    17


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