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Document 52021AE2766

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank: Jährliche Strategie für nachhaltiges Wachstum 2021 (COM(2020) 575 final) (ergänzende Stellungnahme)

    ABl. C 105 vom 4.3.2022, p. 152–157 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    4.3.2022   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 105/152


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank: Jährliche Strategie für nachhaltiges Wachstum 2021

    (COM(2020) 575 final)

    (ergänzende Stellungnahme)

    (2022/C 105/27)

    Berichterstatter:

    Gonçalo LOBO XAVIER

    Beschluss des Präsidiums

    26.4.2021

    Rechtsgrundlage

    Artikel 32 Absatz 1 der Geschäftsordnung und Artikel 29 Buchstabe a der Durchführungsbestimmungen zur Geschäftsordnung

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

    Annahme in der Fachgruppe

    5.10.2021

    Verabschiedung im Plenum

    20.10.2021

    Plenartagung Nr.

    564

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    168/0/1

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist weiterhin darüber besorgt, dass in den meisten Mitgliedstaaten zu wenig Klarheit über die Governance-Systeme der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne und die Aufteilung der Zuständigkeiten für deren Umsetzung zwischen der zentralen, regionalen und lokalen Ebene herrscht. Ebenso wenig besteht ausreichend Klarheit über geeignete Mechanismen zur Beteiligung der Organisationen der Zivilgesellschaft und der Sozialpartner an der Umsetzung, Überwachung und Anpassung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne. Darauf wurde in der Entschließung (1) des EWSA vom Februar hingewiesen, und die Lage hat sich trotz der Bemühungen der Kommission nicht verändert. Der EWSA fordert nachdrücklich mehr Kontrolle bei diesen für die Erholung der Union entscheidenden Aspekten.

    1.2.

    Er weist darauf hin, dass die Fortschritte bei der Umsetzung der Aufbau- und Resilienzpläne gemessen werden müssen. Es werden verlässliche Überwachungsindikatoren benötigt, da sie als Kompass für die weitere Entwicklung und Erholung dienen werden. Die Mitgliedstaaten müssen angemessen auf diese Herausforderung reagieren; es erfordert Mut, den Bürgerinnen und Bürgern die künftigen enormen Schwierigkeiten bewusst zu machen.

    1.3.

    Der EWSA ist fest davon überzeugt, dass der nächste Semesterzyklus für die Union ein entscheidendes Instrument bei der Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität sein wird. In den nationalen Plänen gibt es zwei Arten von Instrumenten: Die Mitgliedstaaten können grundlegende strukturelle Veränderungen einerseits durch einen doppelten Übergang und andererseits durch Investitionen und Reformen für die Bürgerinnen und Bürger vornehmen, die unmittelbar unter der Krise leiden (Familien, Arbeitnehmer, Unternehmer usw.). Nach Ansicht des EWSA müssen beide Optionen berücksichtigt werden. Sie erfordern unterschiedliche Instrumente, die zuweilen nicht gleichzeitig eingesetzt werden können. Die Erholung ist wichtig, um die Resilienz des Wirtschaftssystems zu erreichen.

    1.4.

    Die COVID-19-Krise hat einige der gefährlichsten Schwachpunkte Europas zutage treten lassen: die fehlende Koordinierung der Industriepolitik und die Abhängigkeit von anderen Wirtschaftsgebieten bei vielen Waren und Dienstleistungen. Dem EWSA ist bewusst, dass eine Veränderung von Gewohnheiten und Politik schwierig ist und die Wirkung einer neuen Politik erst in einigen Jahren tatsächlich spürbar wird. Die Zeit drängt jedoch, wenn sich die Union verändern und erholen will. Der Anstieg der Rohstoffpreise (und die Verteilungsschwierigkeiten), der Mangel an Halbleitern und die hohen Energiepreise zeigen ebenfalls die Abhängigkeit der Union von kritischen Gütern. Der EWSA fordert, dass alle Mitgliedstaaten konkrete Maßnahmen für Investitionen in Bildung, Infrastrukturen und die Industriepolitik ergreifen, mit denen die Beschäftigung erhöht und die Bürgerinnen und Bürger ermutigt werden, die europäische Industrie zu stärken.

    1.5.

    Der EWSA unterstützt Investitionen in hochwertige Bildung, lebenslanges Lernen und FuE, die von entscheidender Bedeutung sind, um die von NextGenerationEU geförderten wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen voranzutreiben und zu ergänzen. Investitionen zur Stärkung der Gesundheitssysteme und der Gesundheitspolitik von Gesellschaften, die von der COVID-19-Pandemie hart betroffen waren, sind äußerst wichtig. Sie müssen mit einer wirklich robusten Industriepolitik verknüpft werden, mit der die Entwicklung und Produktion von Waren und Dienstleistungen in Europa gefördert werden kann, um eine vollständige Abhängigkeit von anderen Wirtschaftsgebieten zu verhindern.

    1.6.

    Nach Ansicht des EWSA ist die Zeit für eine grundlegende und tiefreichende Reform des Pakts gekommen. Es bedarf einer ausdrücklichen Empfehlung für das neue überarbeitete Semester und eines neuen Pakts, der verbindliche Verfahren und Bestimmungen für die Konsultation der Organisationen der Zivilgesellschaft und der lokalen Gebietskörperschaften vorsieht. Hier muss gehandelt werden. Es ist an der Zeit, verbindliche Regeln für die Einbeziehung in allen Phasen, von der Vorbereitung bis zur Umsetzung, festzulegen, um künftig strukturelle Probleme zu vermeiden.

    1.7.

    Nach Ansicht des EWSA zeigt eine kurze Analyse der wichtigsten Prioritäten der Aufbau- und Resilienzpläne, dass der Schwerpunkt klar auf den Zielen des Grünen Deals liegt. Für den EWSA ist dies natürlich wichtig, doch es bestehen Bedenken hinsichtlich der Umsetzung und Wirkung einiger Maßnahmen, die nicht hinreichend fundiert erscheinen. Die Bürger, Arbeitnehmer und Unternehmen müssen bei der Bewältigung dieses Übergangs unterstützt werden, und die Ziele müssen eindeutig und sinnvoll festgelegt werden, um eine Situation zu vermeiden, in der es eine beeindruckende politische Rhetorik gibt, die praktische Umsetzung jedoch unzureichend ist und mit erheblichen Nebeneffekten „unter der Oberfläche“ einhergeht.

    1.8.

    Der EWSA macht er darauf aufmerksam, dass eines der wertvollsten Ergebnisse des Europäischen Semesters über die Jahre hinweg außer Acht gelassen wurde. Die länderspezifischen Empfehlungen bieten eine Chance für Verbesserungen und beruhen auf einheitlichen Daten. Die Mitgliedstaaten sollten ihre Haltung gegenüber diesem Instrument neu überdenken, insbesondere nach der COVID-19-Krise und angesichts der Chancen, die die Aufbau- und Resilienzfazilität zur Umsetzung von Strukturreformen (in den Bereichen Bildung, Steuerpolitik, Arbeitsmarkt und Sozialschutz gemäß der Säule sozialer Rechte und den Empfehlungen des Gipfels von Porto) bietet, die für die meisten Mitgliedstaaten von wesentlicher Bedeutung sind. Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten nachdrücklich eine Änderung ihres Standpunkts, und zivilgesellschaftliche Organisationen sollten in diesem Prozess sehr aktiv sein und ihn genau überwachen.

    1.9.

    Der EWSA verweist ferner auf die Absorptionskapazität einiger Mitgliedstaaten für Finanzmittel und erinnert an ihre „Erfolgsbilanz“. Die Hälfte der Strukturfonds des mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) 2014-2020 war bis Ende 2020 nicht in Anspruch genommen worden und sollte in den kommenden Jahren ausgegeben werden. Auf der Grundlage ihrer Erfahrungen und der ihr vorliegenden Daten sollte die Kommission entsprechende Warnungen an die Mitgliedstaaten aussenden und ihnen auf diese Weise helfen, die Mittel besser zu verteilen und dabei den Zeitplan nicht aus dem Auge zu verlieren. Es ist sehr wichtig, die Mitgliedstaaten darauf hinzuweisen, dass ihre politischen Entscheidungen den Erholungsprozess nicht untergraben dürfen und dass Maßnahmen ergriffen werden müssen, um zu verhindern, dass Probleme im System auftreten. Dazu gehört nicht nur die Vermeidung von Bürokratie, sondern auch die richtige politische Unterstützung für eine höhere Effizienz.

    1.10.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass durch die unvermeidliche Digitalisierung, insbesondere im Zusammenhang mit öffentlichen Dienstleistungen im Gesundheits- oder Sozialbereich, eine Reihe von Arbeitsplätzen wegfallen wird. Die Digitalisierung könnte auch älteren Bürgerinnen und Bürgern, die sich weniger gut darauf einstellen können, Probleme bereiten. Der EWSA weist darauf hin, dass Programme entwickelt werden müssen, die die Bürger wirklich unterstützen und den Übergang erleichtern können. Die Mitgliedstaaten müssen Investitionsmittel für die Umschulung der von diesem Wandel betroffenen Menschen bereitstellen. Es bedarf sowohl politischen Mutes, um dieser Herausforderung zu begegnen, als auch einer guten Kommunikation mit den Bürgern über die politischen Maßnahmen und Ziele.

    1.11.

    Der EWSA begrüßt die Initiative für einen „Aufbau- und Resilienzanzeiger“. Er ist der Auffassung, dass dies ein sehr wichtiges Instrument sein wird, um den Investitionsprozess anzukurbeln und Mechanismen zu schaffen, die für die Union von entscheidender Bedeutung sein könnten. Der EWSA unterstützt auch den vorgeschlagenen Zeitplan, der eine Annahme durch die Kommission bis Ende September vorsieht (2). Der EWSA besteht jedoch darauf, dass die zivilgesellschaftlichen Organisationen an diesem Prozess beteiligt werden. Dabei geht es nicht um Sichtbarkeit. Es handelt sich vielmehr um eine Frage der Wachsamkeit, und der EWSA weist auch darauf hin, dass die zivilgesellschaftlichen Organisationen mit den nötigen Mitteln ausgestattet und auf diese Herausforderung vorbereitet werden müssen. Es hat keinen Zweck, die zivilgesellschaftlichen Organisationen zum Handeln aufzufordern, wenn sie nicht vorbereitet sind oder nicht über die dafür erforderlichen Mittel verfügen. Für sie ist dies eine enorme Verantwortung und gleichzeitig eine große Chance.

    2.   Allgemeine Bemerkungen

    2.1.

    Der EWSA begrüßt die Veröffentlichung der Mitteilung der Kommission zur wirtschaftspolitischen Koordinierung im Jahr 2021: Überwindung von COVID-19, Unterstützung der Erholung und Modernisierung unserer Wirtschaft (3). Die Welt befindet sich in einer großen Krise, die alle Aufbaupläne und -strategien zu untergraben scheint. Die Resilienz und die Stärke Europas sind jedoch oberstes Gebot, wenn die Union aufrechterhalten werden soll.

    2.2.

    Die Europäische Union hat beispiellose Maßnahmen ergriffen, um die COVID-19-Pandemie zu bekämpfen, die Auswirkungen der Krise abzufedern und unsere Wirtschaft auf einen robusten, nachhaltigen und inklusiven Wachstumspfad zu führen. Die Wirksamkeit der gesundheitspolitischen Maßnahmen ist jedoch weiterhin nicht sicher, da die Krise das Vertrauen der Bürger, das für die wirtschaftliche und soziale Erholung wesentlich ist, erheblich untergraben hat. Das Ziel, eine Impfquote der europäischen Bevölkerung von über 70 % zu erreichen, wird sich beträchtlich auf das Vertrauen der Menschen auswirken; der EWSA begrüßt, dass sich die Mitgliedstaaten abstimmen, um dieses Ziel zu erreichen. Der EWSA weist ferner darauf hin, dass den Bürgern die Bedeutung dieser Fortschritte deutlich gemacht werden muss. Gleichwohl ist nach wie vor Vorsicht geboten, da diese Maßnahmen möglicherweise nicht ausreichen, um die Gesundheitskrise vollständig zu beenden.

    2.3.

    Die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, nationale Aufbau- und Resilienzpläne vorzulegen, hat entscheidende Bedeutung und muss Vorrang erhalten. Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft eine wesentliche Rolle bei der Umsetzung und Überwachung dieser Pläne spielen können. Dies muss allen Mitgliedstaaten klar sein. In den Worten der Entschließung des EWSA ausgedrückt: „Der EWSA ist der Auffassung, dass alle Reformen im Rahmen des Umstrukturierungsprozesses auf den Grundsätzen der EU beruhen müssen: Schutz der Menschenrechte und der sozialen Rechte, der demokratischen Werte und der Rechtsstaatlichkeit. Die Investitionen im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität müssen darauf abzielen, das volle Potenzial des Binnenmarkts zu erschließen, die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit der EU zu stärken, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu verwirklichen, eine Kreislaufwirtschaft zu schaffen, bis spätestens 2050 Klimaneutralität in der EU zu erreichen, Innovationen und Modernisierungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern und die wirksame Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte sicherzustellen, um den sozialen Zusammenhalt zu gewährleisten, Armut zu beseitigen und Ungleichheiten zu verringern“ (4).

    2.4.

    NextGenerationEU mit seinen 750 Mrd. EUR (wovon bereits 500 Mrd. EUR zugewiesen wurden) ist für die EU ein zentrales Instrument, um Investitionen und die Erholung zu fördern und so gestärkt und widerstandsfähiger aus der aktuellen Krise hervorzugehen.

    2.5.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass der Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte konkrete Maßnahmen zur Stärkung der sozialen Dimension in allen Politikbereichen der Union enthält und dazu beitragen wird, eine inklusive Erholung zu gewährleisten.

    2.6.

    Der EWSA bekräftigt ferner seinen Standpunkt, dass ökologische Nachhaltigkeit, Produktivität, gerechte und ausgewogene Verteilung und makroökonomische Stabilität die Leitprinzipien der EU-Wirtschaftsagenda bleiben. Trotz aller Herausforderungen ist der Grüne Deal weiterhin eine langfristige Priorität, und Europa muss die Chance nutzen, in dieser Frage eine führende Rolle zu spielen.

    2.7.

    Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass eine wirksame politische Koordinierung im Rahmen des Europäischen Semesters nach wie vor von entscheidender Bedeutung ist, um die Wirtschaft in der EU nach der Pandemie auf einen stärkeren nachhaltigen und inklusiven Wachstumskurs zu führen. Dies wurde vom EWSA in den vergangenen Monaten festgestellt und hat weiterhin vorrangige Bedeutung.

    2.8.

    Insgesamt gesehen ist die Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft nach Ansicht des EWSA in den Mitgliedstaaten nach wie vor gering. Ihre Organisationen wurden informiert und in vielen Fällen gehört, doch hat dies kaum zu greifbaren Ergebnissen geführt. In den meisten Mitgliedstaaten gab es — mit wenigen Ausnahmen — keine wirksamen Konsultationen, die zu nennenswerten Änderungen an den ursprünglichen Regierungsvorschlägen geführt hätten.

    3.   Besondere Bemerkungen

    3.1.

    Dank der auf EU- und nationaler Ebene ergriffenen Maßnahmen konnten die Auswirkungen der Pandemie auf die europäischen Arbeitsmärkte in Grenzen gehalten werden. Innerhalb der Union gibt es jedoch weiterhin unterschiedliche Standpunkte und Gegebenheiten. Nach Ansicht des EWSA müssen differenzierte Ansätze verfolgt werden, um die Erholung der Mitgliedstaaten sicherzustellen, die stärker als andere unter der Krise leiden.

    3.2.

    Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Wirtschaftspolitik während der Jahre 2021 und 2022 weiterhin die Stützung der Konjunktur zum Ziel haben muss. Die Mitgliedstaaten führen einen enormen Kampf, der noch lange nicht ausgefochten ist. Die Union muss sich durchsetzen und erkennen, dass die Aufbaupläne Zeit brauchen, um Wirkung zu zeigen, und dass Resilienz nötig ist, um Ergebnisse zu erzielen. Der EWSA fordert nachdrücklich kurz- und mittelfristige Strategien, um die negativen Krisenfolgen in geeigneter Weise zu bewältigen und starkes, nachhaltiges und andauerndes Wachstum zu realisieren.

    3.3.

    Unter den europäischen Bürgern ist eine interessante Tendenz zu einer stärkeren Spartätigkeit zu beobachten. Dieser Trend sollte auch genutzt werden, um eine Mischung aus privaten und öffentlichen Investitionen zu fördern, mit der ein wichtiger Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Erholung geleistet werden kann. Der EWSA fordert in diesem Zusammenhang konkrete Maßnahmen und ist der Ansicht, dass die Kommission die Mitgliedstaaten auffordern sollte, eine robuste Haushaltspolitik zu verfolgen. Es bedarf kreativer Strategien, um diese Ersparnisse in intelligente Investitionen zu lenken. Dies ist eine gemeinsame Verantwortung der Regierungen, Interessenträger und Finanzinstitute.

    3.4.

    Der EWSA beabsichtigt, mit der aktiven Unterstützung und Arbeit der Gruppe Europäisches Semester (GES) in den nächsten Monaten wieder eine Entschließung zu erarbeiten, in die die Beiträge der 27 dreiköpfigen GES-Delegationen einfließen sollen, die zu diesem Zweck eingerichtet wurden. Ziel ist es, die Beteiligung der Zivilgesellschaft am Umsetzungsprozess zu verfolgen und die politischen Inhalte aus Sicht der Zivilgesellschaft zu analysieren. Bislang wurde nur eine geringfügige Verbesserung verzeichnet, vor allem in Bezug auf formelle Informationssitzungen, wobei jedoch nur sehr begrenzte Möglichkeiten bestehen, Einfluss auf die Pläne zu nehmen.

    3.5.

    Über die Aussicht, dass die Regierungen die Mittel für die Ankurbelung von Investitionen verwenden, äußern sich die Organisationen der Zivilgesellschaft optimistischer als über die Aussicht, dass die Mittel für die Einleitung wachstumsfördernder Reformen genutzt werden. Viele Mitglieder sind der Ansicht, dass es den Aufbau- und Resilienzplänen ihrer Länder an Ehrgeiz und Engagement für Reformen fehlt. Andere wiederum kritisieren den Mangel an zusätzlichen Investitionen über die bereits vor der COVID-19-Krise geplanten hinaus.

    3.6.

    Europa wurde von der COVID-19-Krise schwer getroffen, die einige gefährliche Schwächen der EU aufdeckte: die fehlende Koordinierung der Industriepolitik und die Abhängigkeit von anderen Wirtschaftsgebieten bei vielen Waren und Dienstleistungen. Dieser Tatsache muss auf koordinierte Weise Rechnung getragen werden, um die Erholung zu erleichtern. Es bedarf mehr denn je einer angemessenen Industriepolitik, und jetzt ist es an der Zeit, zu handeln. Der Anstieg der Rohstoffpreise zeigt ebenfalls die Abhängigkeit der Union von kritischen Gütern. Der EWSA fordert, dass alle Mitgliedstaaten konkrete Maßnahmen für Investitionen in Bildung, Infrastrukturen und die Industriepolitik ergreifen, mit denen die Beschäftigung erhöht und die Bürgerinnen und Bürger ermutigt werden, die europäische Industrie zu stärken.

    3.7.

    Eine große Mehrheit der zivilgesellschaftlichen Organisationen (71 %) ist der Ansicht, dass ihre Beteiligung an der Gestaltung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne ihrer Länder recht unzureichend bis extrem eingeschränkt war.

    3.8.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass der Digitalisierungsprozess für die Ankurbelung von Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend ist. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch Programme entwickeln und Ressourcen bereitstellen, um diesbezügliche Hindernisse zu beseitigen, insbesondere mit Blick auf Bevölkerungsgruppen wie ältere Menschen und Geringqualifizierte. Deshalb müssen vorrangig wirkungsvolle IT-Programme im Sinne einer für alle Bürger nutzbringenden Software entwickelt werden. Digitalisierung ja, aber nicht um jeden Preis.

    3.9.

    Der EWSA begrüßt nachdrücklich die Kommissionsinitiative für einen „Aufbau- und Resilienzanzeiger“. Dies ist ein wichtiger Schritt, um die Umsetzung der nationalen Reformpläne zu überwachen. Der EWSA hält dies für eine Gelegenheit, den Investitionsprozess anzukurbeln und Mechanismen zu schaffen, die für die Union von entscheidender Bedeutung sein könnten. Auch hier können zivilgesellschaftliche Organisationen eine entscheidende Rolle spielen, sie sind zur Zusammenarbeit bereit.

    4.   Die Aufbaupläne und die verschiedenen Ansätze

    4.1.

    Was den bestehenden Rahmen anbelangt, so ist der EWSA der Auffassung, dass Maßnahmen im Hinblick auf das nachhaltige und inklusive Wachstum und die Haushaltssalden der Mitgliedstaaten Vorrang haben müssen. Es steht außer Frage, dass eine Anpassung an eine neue Phase stattfinden muss, sobald die gesundheitlichen Gefahren aufgrund der COVID-19-Pandemie bewältigt sind. Es sollte eine Alternative zu einem übermäßigen Ungleichgewicht als einziger Perspektive nach dem enormen Anstieg von Schulden und Defiziten in den Mitgliedstaaten geben. Der EWSA ist der Auffassung, dass dies der Zeitpunkt für eine radikale und tiefgreifende Reform des haushaltspolitischen Steuerungsrahmens ist, und warnt nachdrücklich vor einer Rückkehr zu den „alten“ Haushaltsregeln. Wir brauchen eine nachdrückliche Empfehlung für das neue überarbeitete Semester und einen neuen Pakt, der verbindliche Verfahren und Bestimmungen für die Konsultation der Organisationen der Zivilgesellschaft und der lokalen Gebietskörperschaften vorsieht; hier muss gehandelt werden. Es ist an der Zeit, verbindliche Regeln für die Einbeziehung in allen Phasen — von der Vorbereitung bis zur Umsetzung — festzulegen. Die Mitgliedstaaten sollten neue Ziele für den Defizitabbau mit Schwerpunkt auf Wachstum und auch auf Governance prüfen.

    4.2.

    Es ist unbedingt notwendig, den haushalts- und wirtschaftspolitischen Rahmen zu modernisieren, einen wohlstandsorientierten Kurs zu verfolgen und eine goldene Regel umzusetzen. Die Kommission prüft nun die Ausgabenseite, aber auch — sehr zu Recht — die Einnahmenseite. Der EWSA empfiehlt, den Schwerpunkt von der Besteuerung des Faktors Arbeit auf Umweltsteuern zu verlagern, gleichzeitig aber auch einen regressiven Ansatz zu verfolgen und Haushalte mit niedrigem Einkommen nicht zu belasten. Der EWSA fordert auch die Bekämpfung von aggressiver Steuerplanung und Steuerbetrug, da dies die wirtschaftliche und fiskalische Erholung der Mitgliedstaaten und der EU insgesamt untergraben könnte. Hier bedarf es eines intelligenten Ansatzes und einer stärkeren Konvergenz in der Union, um Fortschritte zu erzielen. Die Geld- und Fiskalpolitik, ggf. mit progressiven Umweltsteuern und stufenweisen Steuersenkungen muss ebenfalls eine Option sein. Es liegt auf der Hand, dass der Steuerwettbewerb mit Drittländern anstatt innerhalb der EU etwas bewirken kann.

    4.3.

    Der EWSA betont, dass zusätzlich zur Pandemie auch noch ein Druck auf die Rohstoffpreise besteht. Diese Frage muss äußerst umsichtig behandelt werden. Der EWSA glaubt an einen fairen Wettbewerb und hält gleiche Ausgangsbedingungen für unbedingt erforderlich, weist jedoch darauf hin, dass die Lage ernst wird und großer Schaden für die gesamte Union droht. Die Rohstoffpreise sind in den letzten Monaten zwischen 30 % und 120 % gestiegen, und der Druck hält an.

    4.4.

    Die nationalen Aufbau- und Resilienzpläne machen deutlich, dass zwischen den Mitgliedstaaten unterschiedliche Standpunkte im Hinblick auf die Erholung der einzelnen Volkswirtschaften und der sozialen Lage bestehen. Dies zeigt auch die Ungleichheiten in den Mitgliedstaaten. Der EWSA fordert eine stärkere Koordinierung von Maßnahmen, mit denen die Union gestärkt werden kann. Die Mitgliedstaaten müssen zusammenarbeiten, und bewährte Verfahrensweisen sollten weitergegeben werden, um Fehlentscheidungen zu vermeiden. Branchen wie u. a. der Tourismus und die verarbeitende Industrie haben am stärksten gelitten; sie wieder auf ein höheres Niveau zu heben, sollte Vorrang haben. Dies wird große Bedeutung für die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Anpassung der Arbeitskräfte an die tatsächlichen Bedürfnisse der Wirtschaft und die Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Organisationen am Umsetzungsprozess haben.

    4.5.

    Der EWSA ist besorgt darüber, dass die länderspezifischen Empfehlungen der Kommission bislang von einigen Mitgliedstaaten weitgehend ignoriert wurden. Ob sie künftig ihre Haltung ändern werden, darf stark bezweifelt werden. Darüber hinaus sind die Absorptionskapazität bestimmter Mitgliedstaaten und die transformative Wirkung von Investitionen im Rahmen der Fazilität zu hinterfragen und somit Zweifel an ihrer potenziellen Effizienz und Wirksamkeit angebracht. Der EWSA betont, dass daher eine genaue Überwachung erforderlich ist.

    4.6.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass die Umsetzung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne nicht einfach nur ein „Abhaken“ sein darf, sondern im ursprünglichen Geist dieses Instruments erfolgen muss: Die Rolle der Organisationen der Zivilgesellschaft sollte anerkannt werden, und Konsultationen sollten in öffentlichen Foren und nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden.

    4.7.

    Die COVID-19-Krise hat die seit Langem bestehenden Ungleichheiten in unseren Gesellschaften deutlich gemacht und verschärft, und die schwächsten Bevölkerungsgruppen wurden häufig am stärksten getroffen. Die höchste Inzidenz von COVID-19-Infektionen ist bei den am stärksten von Armut betroffenen Personen zu verzeichnen, und verschiedene Teile der Gesellschaft sind häufig besonders stark den Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise ausgesetzt. Der Beschäftigungsrückgang infolge der Krise war bei Geringqualifizierten und/oder jungen Menschen am stärksten. Darüber hinaus kam es für viele zu erheblichen Beeinträchtigungen im Bildungsbereich. Die Gefahr von Ungleichheiten in Bezug auf geringer qualifizierte Gruppen von Bürgern hat sich enorm verschärft.

    5.   Der Binnenmarkt als Motor der europäischen Lebensweise

    5.1.

    Die COVID-19-Krise war in allen Mitgliedstaaten spürbar, sie hatte jedoch unterschiedliche Folgen. Durch ein abgestimmtes Vorgehen bei der Impfung konnte die Union sehr gute Ergebnisse erzielen. Das Ziel, eine Impfquote von 70 % der EU-Bevölkerung zu erreichen, war eine enorme Aufgabe, die die EU hervorragend gemeistert hat. Trotz einiger Probleme (die bei einem derartigen Vorhaben zu erwarten waren) ist dies als Erfolg zu werten und war ein gutes Beispiel für das „Projekt des Friedens“, das die Union seit ihren Anfängen darstellt.

    5.2.

    Der Binnenmarkt und seine Integration müssen mehr denn je Vorrang haben, und politische Streitigkeiten sollten vermieden werden. Die den Binnenmarkt gefährdende politische Rhetorik in einigen Mitgliedstaaten wurde durch die Fakten widerlegt: Nur mit einer starken Union und einem abgestimmten Vorgehen konnten die Aufbau- und Resilienzpläne in so kurzer Zeit ausgehandelt und aufgestellt werden. Kommunikation ist wichtig, um die europäischen Werte zu fördern, und der Binnenmarkt ist Teil des Prozesses. Alle europäischen Bürgerinnen und Bürger sollten vom Binnenmarkt profitieren, damit sie auf Europas Fähigkeit zur Bewältigung der Krise stolz sein können — trotz aller Rückschläge bei der Herausforderung, in koordinierter Weise auf die Krise zu reagieren.

    5.3.

    Dem EWSA ist bewusst, dass die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die gesundheitliche Lage unterschiedliche Ansätze gewählt haben; er unterstreicht jedoch auch, dass Koordinierung und bewährte Verfahrensweisen nach dem Impfprozess stärker gefördert werden sollten. Die Union muss ihre Stärken nutzen — insbesondere die Freizügigkeit und den freien Waren- und Kapitalverkehr. Der EWSA möchte diese Freiheiten unterstützen, ohne die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten zu gefährden; dies ist nur durch eine Koordinierung des Binnenmarktes möglich. Die Mitgliedstaaten haben mehrmals in der Geschichte gezeigt, dass dies möglich ist. Die Zeit für eine angemessene Reaktion ist nun gekommen.

    5.4.

    Der EWSA setzt sich ein für den Binnenmarkt und seine Chancen in Verbindung mit einer starken sozialen Marktwirtschaft, die von zentraler Bedeutung sowie ein Kennzeichen der Union ist. Dies ist eine Errungenschaft, die verteidigt werden muss.

    6.   Die Organisationen der Zivilgesellschaft und die Aufbaupläne

    6.1.

    Der EWSA betont, dass die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen für die wirtschaftliche Erholung von entscheidender Bedeutung ist, zumal die Soforthilfemaßnahmen zugegebenermaßen sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene dauerhaften Charakter bekommen könnten.

    6.2.

    Die Organisationen der Zivilgesellschaft unterstützen hochwertige Investitionen in Bildung, lebenslanges Lernen und FuE. Sie sind von entscheidender Bedeutung, um die von NextGenerationEU geförderten wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen voranzutreiben und zu ergänzen. Dies gilt auch für Investitionen zur Stärkung der Gesundheitssysteme und der Gesundheitspolitik der von der COVID-19-Pandemie stark betroffenen Gesellschaften. Die Organisationen vor Ort haben mehr denn je die Fähigkeit und die Pflicht, Möglichkeiten zur Bewältigung der wirklichen Herausforderungen aufzuzeigen und vorzuschlagen, und die Mitgliedstaaten müssen den Mut haben, sie in den Entscheidungsfindungsprozess einzubeziehen. Der EWSA vertritt diesen Ansatz insbesondere aufgrund der Erfahrungen und des Wissens, die jahrzehntelang mit sehr guten Ergebnissen zu unterschiedlichen Themen erworben wurden.

    6.3.

    Die Stimme der zivilgesellschaftlichen Organisationen ist in Krisenzeiten wichtiger denn je, nicht nur wegen der Erfahrungen dieser Organisationen, sondern vor allem, weil sie einen direkten Kontakt zur Realität haben, der für die Überwachung und Umsetzung wirksamer Maßnahmen äußerst wichtig ist.

    Brüssel, den 20. Oktober 2021

    Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Christa SCHWENG


    (1)  Einbeziehung der organisierten Zivilgesellschaft in die nationalen Aufbau- und Resilienzpläne — was funktioniert und was nicht? (ABl. C 155 vom 30.4.2021, S. 1).

    (2)  Aufbau- und Resilienzanzeiger — gemeinsame Indikatoren und Einzelheiten, Entwurf eines Rechtsakts: Aufbau- und Resilienzanzeiger — gemeinsame Indikatoren und Einzelheiten.

    (3)  COM(2021) 500 final vom 2.6.2021, Wirtschaftspolitische Koordinierung im Jahr 2021: Überwindung von COVID-19, Unterstützung der Erholung und Modernisierung unserer Wirtschaft.

    (4)  Einbeziehung der organisierten Zivilgesellschaft in die nationalen Aufbau- und Resilienzpläne — was funktioniert und was nicht? (ABl. C 155 vom 30.4.2021, S. 1).


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