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Document 52021AE2757

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über Strategische Leitlinien für eine nachhaltigere und wettbewerbsfähigere Aquakultur in der EU für den Zeitraum 2021-2030 (COM(2021) 236 final)

    EESC 2021/02757

    ABl. C 517 vom 22.12.2021, p. 103–107 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    22.12.2021   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 517/103


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über Strategische Leitlinien für eine nachhaltigere und wettbewerbsfähigere Aquakultur in der EU für den Zeitraum 2021-2030

    (COM(2021) 236 final)

    (2021/C 517/16)

    Berichterstatter:

    Anastasis YIAPANIS

    Befassung

    Europäische Kommission, 31.5.2021

    Rechtsgrundlage

    Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

    Annahme in der Fachgruppe

    9.9.2021

    Verabschiedung auf der Plenartagung

    22.9.2021

    Plenartagung Nr.

    563

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    233/2/6

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt die Anstrengungen und Initiativen der Europäischen Kommission, mit denen sie dem Aquakultursektor helfen will, zu wachsen und nachhaltiger zu werden. Allerdings hat der Aquakultursektor der EU sein Wachstumspotenzial noch nicht ausgereizt. Der EWSA bringt seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass 65 % der in Europa konsumierten aquatischen Erzeugnisse importiert werden (1).

    1.2.

    Die Verbraucher bevorzugen heute eine ernährungsbewusstere Lebensweise, bei der Fischerei- und Aquakulturerzeugnisse ganz oben auf der Liste stehen. Dies eröffnet der Branche beträchtliche Wachstumsmöglichkeiten, geht aber auch mit der Verantwortung für die Gewährleistung der künftigen Ernährungssicherheit in der EU einher. Die dauerhafte Versorgung der EU mit sicheren, gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln sollte eine der Hauptprioritäten sein.

    1.3.

    Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten müssen ihr Vorgehen aufeinander abstimmen, um die Produktionskapazität und Rentabilität der Branche zu steigern. Die unverzügliche Vereinfachung der Verwaltungsverfahren muss durch hohe Umweltstandards ergänzt werden, um die Ökosysteme und die Biodiversität zu erhalten und die Wasserqualität zu verbessern. Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, in allen Mitgliedstaaten jeweils eine einzige Anlaufstelle für Genehmigungen im Bereich Aquakultur einzurichten.

    1.4.

    Aus Sicht des EWSA muss das richtige Gleichgewicht zwischen der Erhaltung der weltweiten Biodiversität und der Deckung des Nahrungsmittelbedarfs gefunden werden, und zwar unter Berücksichtigung der sozialen Auswirkungen, einer gesunden Lebensweise und des Umweltschutzes. Meeres- und Binnengewässer müssen erhalten und geschützt und gleichzeitig muss eine nachhaltige Aquakultur gefördert werden, die die notwendigen Lebensmittel für die EU-Bevölkerung liefert.

    1.5.

    Der Platzbedarf stellt eine große Hürde für die Entwicklung des Aquakultursektors dar. Der EWSA ist der Ansicht, dass Aquakulturanlagen vor allem an Orten in den Küstenregionen und ländlichen Gebieten der Union weiter ausgebaut werden sollten, die für andere wirtschaftliche Aktivitäten ungeeignet sind. Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, Projekte für eine koordinierte Raumplanung einzuleiten, einschließlich Planung auf der Ebene der einzelnen Meeresbecken, Wiederherstellung stillgelegter Aquakulturanlagen und Big-Data-Analysesystemen.

    1.6.

    Der EWSA ist überzeugt, dass die Einbindung der Sozialpartner und der relevanten Organisationen der Zivilgesellschaft in die künftige Strategie zur Entwicklung der Branche für die Union lohnenswert ist. Diese Interessenträger können sowohl ein hohes Maß an Fachwissen als auch ausgezeichnete Kommunikationsmöglichkeiten bieten.

    1.7.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass die Beziehung zwischen den Interessenträgern der betreffenden Wertschöpfungsketten von ethischen Grundsätzen geprägt sein sollte. KMU und Start-ups sollten umfassend unterstützt werden, damit sie wachsen, gute Arbeitsplätze bieten und neue nachhaltige Wirtschaftsmodelle entwickeln können, und öffentlich-private Partnerschaften sollten wiederum Zugriff auf Finanzierungsinstrumente zur Absicherung langfristiger Verpflichtungen haben.

    1.8.

    Bildungs- und Ausbildungsprogramme können dazu beitragen, den Bedarf der Branche an hoch qualifizierten Arbeitskräften zu decken. Diesbezügliche Ausschreibungen für die Aquakulturbranche können über den Europäischen Sozialfonds finanziert werden.

    1.9.

    Kennzeichnungsvorschriften sind sehr wichtig, um Verbraucher über die Qualität von Aquakulturerzeugnissen zu informieren. Die Unionsbürgerinnen und -bürger müssen verlässliche Informationen erhalten, insbesondere über Erzeugnisse aus Ländern mit schwachen oder gar keinen gesetzlichen Regelungen. Die Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit sollten für alle Erzeugnisse im Binnenmarkt bis zu den Aufzuchtbetrieben gelten. Das letztendliche Ziel sollte zu 100 % gleiche Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt sein.

    1.10.

    Die Kommunikation über die Anstrengungen und Fortschritte der Branche im Bereich der Umwelt- und Klimaleistung ist ungemein wichtig, um die gesellschaftliche Akzeptanz zu sichern und die Verbraucher über die unternommenen Schritte ins Bild zu setzen. Es werden umgehend Abfallbewirtschaftungssysteme benötigt, da die Branche noch viel zur Reduzierung ihres ökologischen Fußabdrucks tun kann. Sie ist außerdem gut aufgestellt, um sich dem Gedanken der Kreislaufwirtschaft zu öffnen, erneuerbare aquatische Ressourcen zu nutzen und ihren Energieverbrauch und ihre Kohlenstoffemissionen zu verringern.

    1.11.

    Es sind rasche und umfangreiche öffentliche und private Investitionen erforderlich, insbesondere in Forschung und Entwicklung. Die Kommission sollte über die Netzwerke der Sozialpartner und der Organisationen der Zivilgesellschaft alle relevanten verfügbaren EU-Mittel und Partnerschaftsmöglichkeiten bewerben, um schlussendlich alle Erzeuger, insbesondere KMU, zu erreichen.

    1.12.

    Der EWSA begrüßt und unterstützt den Vorschlag, einen EU-Mechanismus zur Unterstützung der Aquakultur mit einer speziellen Online-Plattform einzurichten. Er hält eine Wachstumsstrategie für die Aquakultur auf EU-Ebene für dringend erforderlich, um der Branche weiteren Auftrieb zu geben.

    2.   Hintergrund

    2.1.

    Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) könnte die Weltbevölkerung bis 2050 um mehr als zwei Milliarden auf 9,15 Mrd. Menschen anwachsen. Die Einkommen werden noch schneller steigen. Die FAO prognostiziert, dass die weltweite Agrarproduktion 2050 um 60 % höher als 2005 sein wird, um den Mehrbedarf zu decken (2). Angesichts seines Wachstumspotenzials wäre der Aquakultursektor in der Lage, einen Großteil dieser Nachfrage zu bedienen, was den Agrarsektor entlasten würde.

    2.2.

    Die Aquakulturerzeugung wird stark von asiatischen Ländern dominiert, die in den letzten beiden Jahrzehnten einen Marktanteil von rund 89 % hielten (3). In der EU gibt es verschiedene Produktionstechniken, von traditionellen Becken und Lagunen über Käfige und Becken auf offener See bis hin zu Kreislaufanlagen. Im Aquakultursektor sind direkt über 74 000 Menschen in mehr als 12 000 Betrieben beschäftigt (4).

    2.3.

    Die EU ist nach China weltweit der zweitgrößte Händler für Fischerei- und Aquakulturerzeugnisse. Als Nettoimporteur verzeichnete die EU 2019 ein Handelsbilanzdefizit von 21 Mrd. EUR. Die Aquakulturerzeugung in der EU macht laut den neuesten Zahlen nur 1,15 % der weltweiten Gesamtproduktion aus (5). Laut einer Eurobarometer-Studie von 2017 (6) konsumiert die überwiegende Mehrheit der EU-Bürger mindestens einmal im Monat Meereserzeugnisse, wobei ältere Verbrauchern dies öfter tun.

    2.4.

    Die Mitteilung der Europäischen Kommission zu strategischen Leitlinien für eine nachhaltigere und wettbewerbsfähigere Aquakultur in der EU (7) enthält eine sehr umfassende Analyse der aktuellen Situation im Aquakultursektor und zeigt viele schlüssige Handlungsoptionen auf, wie die Branche nachhaltiger und wettbewerbsfähiger werden kann. Die EU bekennt sich eindeutig zur weiteren Umsetzung des europäischen Grünen Deals und der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“.

    3.   Allgemeine Bemerkungen

    3.1.

    Fisch und andere aquatische Erzeugnisse weisen einen hohen Nährwert auf und werden im Sinne einer gesunden Ernährung nachdrücklich empfohlen. Die Nachfrage und die Erwartungen der Verbraucher im Hinblick auf hochwertige und nachhaltige Produkte für eine gesunde Ernährung haben zugenommen. Die ausgezeichnete Qualität aquatischer Erzeugnisse aus der EU stellt nach wie vor einen großen Wettbewerbsvorteil dar. Allerdings schöpft der Aquakultursektor sein Wachstumspotenzial nicht voll aus, und sein Anteil an der weltweiten Produktion schrumpft im Vergleich zu anderen Weltregionen.

    3.2.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass der EU-Aquakultursektor deutlich mehr Erzeugnisse anbieten sollte, um die Nachfrage am Binnenmarkt zu bedienen. Es ist immer noch unglaublich, dass 65 % der in Europa konsumierten aquatischen Erzeugnisse importiert werden. Nach dem jetzigen Stand setzt die Europäische Union ihre künftige Ernährungssicherheit aufs Spiel. Der EWSA hat bereits betont, dass „die unausgeglichene Außenhandelsbilanz […] für Fischerei- und Aquakulturerzeugnisse weder wirtschaftlich (wegen des damit einhergehenden Handelsdefizits) noch sozial (aufgrund der mangelnden Ausschöpfung des Beschäftigungspotenzials) hinnehmbar ist“ (8). Der EWSA ist sehr enttäuscht, dass sich daran auch fünf Jahre später nichts geändert hat und die erwarteten Ergebnisse nicht erreicht wurden.

    3.3.

    Die kontinentale Aquakultur besitzt ein herausragendes Wachstumspotenzial. Die Teichwirtschaft ist zweifellos die umweltfreundlichste Form der Süßwasseraquakultur, hat aber nur eine geringe Produktivität. Die EU verfügt jedoch über genug praktische Erfahrung, um Teichwirtschaft und Intensivhaltung ganz und gar im Sinne des Umwelt- und Klimaschutzes sowie nach den Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft zu betreiben. Klimafreundliche Technologien müssen umfassend in die Taxonomie für grüne Investitionen aufgenommen werden, um eine nahtlose Finanzierung sicherzustellen. Abschließend kann die vertikale und horizontale Weiterentwicklung der Lebensmittelverarbeitung (einschließlich neuer Arten) den Mehrwert und die Verbraucherakzeptanz erhöhen, die Beschäftigungssituation verbessern und dafür sorgen, dass Lebensmittel und Abfall in den Kreislauf zurückgeführt werden.

    3.4.

    Der wachsenden Nahrungsmittelnachfrage in den kommenden Jahren muss mit nachhaltigen Projekten entsprochen werden, die nicht nur für hochwertige Lebensmittel sorgen, sondern auch die Umwelt schützen. Die EU ist bei der Umsetzung der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung Vorreiter, und der EWSA hält dies für den richtigen Weg nach vorn. Der Aquakultursektor ist von größter Bedeutung für die Realisierung dieser Nachhaltigkeitsziele, insbesondere von Ziel 2 „Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern“, Ziel 12 „Für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sorgen“ und Ziel 15 „Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern“.

    3.5.

    Die Branche ist aus Sicht des EWSA gut aufgestellt, um sich dem Gedanken der Kreislaufwirtschaft zu öffnen, erneuerbare aquatische Ressourcen zu nutzen und ihren Energieverbrauch und ihre Kohlenstoffemissionen zu verringern. Die Kommunikation über die Anstrengungen und Fortschritte der Branche zur Verbesserung der Umwelt- und Klimaleistung ist ungemein wichtig, um die gesellschaftliche Akzeptanz für das weitere Wachstum dieses Wirtschaftszweiges und die Verbrauchernachfrage zu sichern.

    3.6.

    Die Bürger erwarten heute eine höherwertige Ernährung, wobei Fischerei- und Aquakulturerzeugnisse mit am beliebtesten sind (9). Andererseits sorgt die Lebensmittelerzeugung für einen erheblichen ökologischen Fußabdruck und hohe Kosten. Es liegt auf der Hand, dass die Devise „weiter so“ nicht als nachhaltig aufgefasst werden kann und dass neue Wirtschaftsmodelle entwickelt werden sollten.

    3.7.

    Laut diesem Bericht gibt es nur einen Weg, um deutlich mehr Lebensmittel und Biomasse aus dem Ozean zu gewinnen: die Ernte von Meereserzeugnissen, die durchschnittlich gesehen von einer niedrigeren Trophieebene stammen, als es heute der Fall ist. Die Marikultur scheint hier am naheliegendsten zu sein. Tatsächlich würde dies ein neues Geschäftsmodell bedeuten, das sich auf die Ernte von Arten konzentriert, die heute überhaupt nicht oder nur in begrenztem Umfang verwertet werden.

    3.8.

    Weichtiere und Algen spielen eine wichtige Rolle, da sie am Anfang der Nahrungskette stehen und ihre Nährstoffe direkt aus dem Wasser extrahieren. Obwohl Algen in vielen asiatischen Ländern im großen Stil angebaut und gegessen werden, gelten sie in der EU eher als neues Produkt und werden auch nur in geringem Maß erfolgreich gezüchtet. Algen haben zwar nicht viele Kalorien, sind dafür aber reich an Ballaststoffen, die verschiedene Gesundheitsvorteile bieten. Der EWSA begrüßt die Absicht der Europäischen Kommission, eine spezifische Initiative zur Unterstützung des Algenkonsums vorzubereiten.

    3.9.

    Der EWSA hält es für möglich, die Wettbewerbsfähigkeit des Aquakultursektors deutlich zu steigern und gleichzeitig gute Arbeitsplätze an Orten in den Küstenregionen und ländlichen Gebieten der Union zu schaffen, die für andere wirtschaftliche Aktivitäten eher ungeeignet sind. Er ist der Auffassung, dass es sowohl für die Schaffung von Arbeitsplätzen als auch für die Lieferketten extrem wichtig ist, Sozialstandards für die Zukunft zu entwickeln, angemessene Arbeitsbedingungen sicherzustellen und inakzeptable Vorgehensweisen zu unterbinden. Bei der Gewährleistung der Ernährungssicherheit muss ein Gleichgewicht zwischen den drei Säulen der nachhaltigen Entwicklung herrschen: Ökologie, Soziales und Ökonomie.

    4.   Besondere Bemerkungen

    4.1.

    Da die Aquakultur unter die gemeinsame Zuständigkeit der Europäischen Kommission und der Mitgliedstaaten fällt, bedarf es eines abgestimmten Vorgehens, um die Nachhaltigkeit und Rentabilität dieses Wirtschaftszweiges zu steigern. Dies beinhaltet die Vereinfachung der Verwaltungsverfahren und die uneingeschränkte Zusammenarbeit zwischen der Kommission sowie den nationalen und regionalen Behörden. Der Abbau des unnötigen und anhaltenden Verwaltungsaufwands innerhalb des Aquakultursektors muss außerdem durch hohe Umweltstandards ergänzt werden, um die Ökosysteme und die Biodiversität zu erhalten und die Wasserqualität zu verbessern.

    4.2.

    Der EWSA hat bereits darauf hingewiesen, dass „die Verwaltungsverfahren für den Aquakulturbetrieb langwierig und nur wenige entsprechende Standorte verfügbar sind und dass der Grund dafür vor allem die komplizierte Umsetzung der EU-Umweltvorschriften durch die Behörden der Mitgliedstaaten und Regionen ist — insbesondere die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie und der Richtlinien zum Natura-2000-Netz. Dies führt zu wirtschaftlich übermäßig belastenden Anforderungen an die Aquakulturbetriebe — und paradoxerweise wird dadurch die Umwelt nicht besser geschützt“ (10).

    4.3.

    Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, in allen Mitgliedstaaten jeweils eine einzige Anlaufstelle für Genehmigungen im Bereich Aquakultur einzurichten. Dies würde den bestehenden, unglaublich langwierigen Genehmigungsprozess deutlich verkürzen.

    4.4.

    Die Bereitstellung einer angemessenen privaten und öffentlichen Finanzierung für nachhaltige Aquakulturinitiativen ist überaus wichtig. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Kommission über die Netzwerke der Sozialpartner und der Organisationen der Zivilgesellschaft alle relevanten verfügbaren EU-Mittel bewerben sollte, um schlussendlich alle Erzeuger, insbesondere KMU, zu erreichen. Start-ups sollten umfassend unterstützt werden, damit sie wachsen und gute Arbeitsplätze bieten können, und neue öffentlich-private Partnerschaften sollten Zugriff auf Finanzierungsinstrumente zur Absicherung langfristiger Verpflichtungen haben. Der EWSA ist ferner der Auffassung, dass die Beziehung zwischen Erzeugern, Einzelhändlern und anderen Interessenträgern in allen Verarbeitungs-, Umschlags- und Vertriebsphasen von ethischen Grundsätzen geprägt sein sollte, um Kleinerzeugern den Marktzugang zu sichern und unlauteren Methoden einen Riegel vorzuschieben.

    4.5.

    Der Aquakultursektor möchte wachsen und ist in der Lage, sowohl gesunde als auch nachhaltige Lebensmittel zu liefern. Hierfür bedarf es jedoch schneller und massiver Investitionen in Forschung und Entwicklung. Die EU muss eine Aquakultur-Wachstumsstrategie ausarbeiten, die das Potenzial des Sektors verstärkt. In einer überwiegend von KMU geprägten Branche ist es extrem wichtig, die verfügbaren EU-Finanzierungsmöglichkeiten unter den Erzeugern besser bekannt zu machen.

    4.6.

    Der EWSA hält den Binnenmarkt für fähig, mindestens das Dreifache der aktuellen Produktionskapazität zu absorbieren. Die dauerhafte Versorgung der EU mit sicheren, gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln sollte eine der Hauptprioritäten sein. Zudem sollte der neue Ansatz für eine nachhaltige Aquakultur den Auswirkungen des Brexits Rechnung tragen, da der europäische Aquakultursektor vom EU-Austritt Großbritanniens hart getroffen wurde.

    4.7.

    Der EWSA ruft die Europäische Kommission auf, sicherzustellen, dass importierte Erzeugnisse dieselben Anforderungen und Standards erfüllen, die auch für lokale Erzeuger gelten. Der EWSA hat die Behörden bereits aufgerufen, „von Einfuhren dieselbe Gesundheitssicherstellung zu fordern, die für die europäische Produktion verlangt wird — mit einer umfassenden Rückverfolgbarkeit ‚vom Meer bis auf den Tisch‘“ (11). Die Rückverfolgbarkeit sollte für alle importierten Erzeugnisse am Binnenmarkt bis zu den Aufzuchtbetrieben hinunterreichen. Ziel muss es sein, gleiche Wettbewerbsbedingungen für europäische Hersteller sowie hochwertige und sichere Produkte für die Verbraucher zu gewährleisten.

    4.8.

    Kennzeichnungsvorschriften sind sehr wichtig, um europäische Verbraucher über die Qualität nachhaltiger Aquakulturerzeugnisse zu informieren. Die EU-Gesetzgebung bietet zwar den erforderlichen Rechtsrahmen für gleiche Wettbewerbsbedingungen, wird aber nicht immer oder nicht immer vollständig beachtet. Qualitätskontrollen und Kennzeichnungen müssen verstärkt werden, um sowohl Verbraucher als auch seriöse Unternehmen zu schützen und verlässliche Informationen zu liefern, insbesondere über Erzeugnisse aus Ländern mit schwachen oder gar keinen gesetzlichen Regelungen.

    4.9.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass das Ziel der Kommission und der Mitgliedstaaten letztendlich in zu 100 % gleichen Wettbewerbsbedingungen am Binnenmarkt bestehen sollte. Dies lässt sich nur erreichen, wenn sichergestellt wird, dass alle Erzeugnisse am Binnenmarkt unabhängig davon, ob sie vor Ort hergestellt oder aber importiert wurden, die EU-Standards uneingeschränkt erfüllen. Der EWSA fordert umfassend rückverfolgbare Erzeugnisse, die den Umwelt- und Qualitätsnormen entsprechen. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Rückverfolgbarkeit von Aquakulturerzeugnissen und die Transparenz auf der Ebene der Lieferketten überaus wichtig sind, vor allem in Bezug auf gefährdete Arten.

    4.10.

    KMU leiden unverhältnismäßig unter dem bürokratischen Aufwand und den hohen Verwaltungskosten im Zusammenhang mit der Gründung und Führung eines Aquakulturbetriebs. Da der Aquakultursektor von KMU und kleinen Familienunternehmen dominiert wird, fordert der EWSA die Einrichtung einheitlicher Informationszentren in allen Mitgliedstaaten. Diese sollten voll digitalisiert sein und Erzeugern, Investoren und Verbrauchern in Echtzeit aktuelle Informationen liefern. Ferner ist der EWSA der Ansicht, dass mehr Erzeugerorganisationen geschaffen werden sollten, da diese für die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors, vor allem der KMU, von großer Bedeutung sind. Auch eine spezielle Plattform, die die Fortführung und Übernahme von Unternehmen unterstützt, hält der EWSA für nötig.

    4.11.

    Der EWSA fordert ein spezifisches Anreizsystem, das den Aquakultursektor unterstützt und in Richtung Nachhaltigkeit lenkt. Der EWSA empfiehlt die sofortige Entwicklung eines Anreizsystems auf Nachhaltigkeitsbasis im Rahmen des Nachhaltigkeitsziels 14. Steuerliche Anreize für eine nachhaltige Aquakulturproduktion sind eine weitere Alternative, die weiterverfolgt werden sollte.

    4.12.

    Die Raumverfügbarkeit ist eine weitere Herausforderung für den Aquakultursektor, da dieser oft mit anderen Branchen konkurriert, etwa Schiffbau, erneuerbare Energien, Freizeitaktivitäten, Rohstoffgewinnung usw. Die Mitgliedstaaten sollten Projekte für eine koordinierte Raumplanung starten, einschließlich Planung auf der Ebene der einzelnen Meeresbecken, Wiederherstellung stillgelegter Aquakulturanlagen und Big-Data-Analysesystemen.

    4.13.

    Die Datenerhebung und -auswertung kann bei der Entwicklung dieses Wirtschaftszweiges eine große Rolle spielen, weshalb der EWSA hier ein möglichst baldiges Tätigwerden fordert. Die Ergebnisse werden von der Verfügbarkeit der notwendigen Finanzierung und der direkten Einbindung von Behörden und privaten Einrichtungen abhängen. Darüber hinaus werden der Wissenstransfer von lokalen Aktionsgruppen (LAG) zu lokalen Fischereiaktionsgruppen (FLAG) und die Aufstockung der Mittel für FLAG die Kapazitäten der Kleinerzeuger erhöhen.

    4.14.

    Bildungs- und Ausbildungsprogramme können zur Bedarfsdeckung der Aquakulturbranche beitragen und zugleich der jungen Generation ein Bild von den Beschäftigungsmöglichkeiten und Laufbahnen in diesem Bereich vermitteln. Der EWSA fordert außerdem lebenslange Weiterbildungen zu nachhaltigen Methoden der Aquakultur. Diesbezügliche Ausschreibungen können über den Europäischen Sozialfonds finanziert und speziell auf die Aquakulturbranche zugeschnitten werden.

    4.15.

    Es werden umgehend Abfallbewirtschaftungssysteme benötigt, da die Branche noch viel zur Reduzierung ihres ökologischen Fußabdrucks tun kann. Außerdem sollte es Qualitätskontrollen sowie Standards für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit geben. Dies wäre insbesondere für die künftige Nachhaltigkeit des Sektors wichtig.

    4.16.

    Die Maßnahmen, die in den nächsten fünf Jahren zur Unterstützung des Aquakultursektors ergriffen werden, sind für seine Zukunft ausschlaggebend und werden maßgeblich für den Grad der Importabhängigkeit sein. Der EWSA ist überzeugt, dass die Einbindung der Sozialpartner und der Organisationen der Zivilgesellschaft in die jeweiligen Entwicklungs- und Implementierungsprozesse extrem wichtig ist und für die Union insofern einen Mehrwert bedeutet, als die nachhaltige Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit der Branche gestärkt werden.

    4.17.

    Der EWSA erachtet es als notwendig, Meeres- und Binnengewässer zu erhalten und zu schützen und gleichzeitig nachhaltige Aquakulturtätigkeiten zu fördern, die die notwendigen Lebensmittel für die EU-Bevölkerung liefern. Es gilt, das richtige Gleichgewicht zwischen der Erhaltung der weltweiten Biodiversität und der Deckung des Nahrungsmittelbedarfs zu finden, und zwar unter Berücksichtigung der sozialen Auswirkungen, einer gesunden Lebensweise und des Umweltschutzes. Wasser, Nährstoffe, Standort und Energie gehören zu den wichtigsten Faktoren, nach denen sich die ökologische Nachhaltigkeit von Aquakulturbetrieben bemisst.

    4.18.

    Abschließend würdigt der EWSA die Anstrengungen und Initiativen der Europäischen Kommission, dem Aquakultursektor dabei zu helfen, zu wachsen und nachhaltiger zu werden. Der Vorschlag zur Einrichtung eines EU-Unterstützungsmechanismus für die Aquakultur mit einer spezifischen Online-Plattform ist für die Erzeuger von großer Bedeutung. Ebenso muss der Austausch bewährter Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten verbessert werden.

    Brüssel, den 22. September 2021

    Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Christa SCHWENG


    (1)  https://www.eumofa.eu/documents/20178/415635/DE_Der+EU-Fischmarkt_2020.pdf.

    (2)  http://www.fao.org/fileadmin/user_upload/esag/docs/AT2050_revision_summary.pdf.

    (3)  Sachverständigenarbeitsgruppe zum Wirtschaftsbericht über den EU-Aquakultursektor.

    (4)  https://stecf.jrc.ec.europa.eu/reports/economic/-/asset_publisher/d7Ie/document/id/2871698.

    (5)  https://www.eumofa.eu/documents/20178/415635/DE_Der+EU-Fischmarkt_2020.pdf.

    (6)  Special Eurobarometer 450: EU consumer habits regarding fishery and aquaculture products.

    (7)  Strategische Leitlinien für die nachhaltige Entwicklung der Aquakultur in der EU.

    (8)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Beseitigung der Hindernisse für eine nachhaltige Aquakultur in Europa“ (ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 73).

    (9)  Science Advice for Policy by European Academies — Food from the Oceans.

    (10)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Beseitigung der Hindernisse für eine nachhaltige Aquakultur in Europa“ (ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 73).

    (11)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Strategische Leitlinien für die nachhaltige Entwicklung der Aquakultur in der EU“ (ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 150).


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