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Document 52021AE2534

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Die EU-Strategie für freiwillige Rückkehr und Wiedereingliederung“ (COM(2021) 120 final)

EESC 2021/02534

ABl. C 517 vom 22.12.2021, p. 86–90 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

22.12.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 517/86


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Die EU-Strategie für freiwillige Rückkehr und Wiedereingliederung“

(COM(2021) 120 final)

(2021/C 517/13)

Berichterstatter:

José Antonio MORENO DÍAZ

Befassung

Europäische Kommission, 31.5.2021

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

7.9.2021

Verabschiedung im Plenum

22.9.2021

Plenartagung Nr.

563

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

219/1/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die nachhaltige Strategie für die freiwillige Rückkehr und Wiedereingliederung zielt darauf ab, ein gemeinsames Konzept für die Gestaltung, Entwicklung und Durchführung der Programme der Mitgliedstaaten für die unterstützte freiwillige Rückkehr und Reintegration (AVRR = assisted voluntary return and reintegration) festzulegen, indem gemeinsame Ziele definiert und die Kohärenz der nationalen Programme untereinander bzw. zwischen den nationalen Programmen und den Maßnahmen der EU verstärkt werden. Außerdem geht es darum, gemeinsame Instrumente zu fördern und einzuführen sowie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in den betreffenden Bereichen zu verbessern.

1.2.

Bislang hat die Existenz eines breiten Spektrums an Instrumenten und Konzepten für die freiwillige Rückkehr und Wiedereingliederung zu einem Konglomerat von Initiativen, Programmen und Projekten geführt, die häufig nicht über gemeinsame Referenzrahmen verfügen, was nicht nur ihre Bewertung, sondern auch ihre wirksame Umsetzung erschwert. Mit dieser Strategie sollen die Referenzrahmen weiter harmonisiert und die Zusammenarbeit der europäischen Länder bei der Entwicklung von AVRR-Programmen gefördert werden.

1.3.

Der EWSA begrüßt die Strategie als Verwaltungsinstrument zur Verbesserung der Koordinierung und der gemeinsamen Ziele der Mitgliedstaaten im Bereich der Migrationssteuerung. Er stimmt der Auffassung der Kommission zu, dass bei der Überprüfung und Harmonisierung der Instrumente, der Erhebung von Daten und der Beratung der beteiligten Personen Fortschritte erzielt werden sollten, um die Fragmentierung der Vorgehensweisen zu überwinden, die Kosten der Rückkehr zu verringern, die entsprechenden Programme besser finanziell auszustatten sowie weitere Herausforderungen zu bewältigen.

1.4.

Allerdings äußert der EWSA wie schon bei früheren Gelegenheiten sein Bedauern darüber, dass die Maßnahmen zur Förderung der regulären Einreisewege, die die meisten der in der EU ansässigen Drittstaatsangehörigen betreffen, zu einem späteren Zeitpunkt und in geringerem Umfang als die Vorschläge zur Lösung von Fragen der Irregularität entwickelt werden. Für Alternativen, die über Grenzkontroll- und Rückkehrmaßnahmen hinausgehen, ist ein umfassender Mobilitätsansatz zwingend erforderlich.

1.5.

Der EWSA betont, dass die meisten Rückkehrmaßnahmen aufgrund der mangelnden Beteiligung der Herkunftsländer und der nur widerstrebenden Teilnahme der sich in einer irregulären Situation befindlichen Personen nicht ordnungsgemäß funktionieren. Insofern begrüßt er zwar die Bemühungen der Kommission, kann aber nicht umhin, die Wirksamkeit einiger der unterbreiteten Vorschläge, wie z. B. der Rückkehrpatenschaft, zu bezweifeln.

1.6.

Der EWSA ist auch besorgt über die künftige Rolle von Frontex, insbesondere angesichts der Veröffentlichung des Berichts des Europäischen Parlaments über Rechtsverletzungen durch diese europäische Agentur (1). Seiner Auffassung nach müssen unbedingt flexible und effektive Mechanismen eingeführt werden, mit denen die Tätigkeiten der Frontex-Agentur überwacht und in Bezug auf ihre Rechenschaftspflicht wirksam kontrolliert werden. Es muss auch sichergestellt werden, dass ihre Tätigkeiten im Einklang mit den Menschenrechten stehen.

1.7.

Der EWSA befürwortet eine verbesserte Koordinierung zwischen allen Interessenträgern sowie die vorgesehenen Verbesserungen zur Stärkung der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten und der Zusammenarbeit mit Drittländern. Er unterstützt auch die Anstrengungen zur Verbesserung der Rückkehrberatung und Vermittlung sowie der Beteiligung der Zivilgesellschaft an Maßnahmen zur Rückkehr und insbesondere zur nachhaltigen Wiedereingliederung. Ebenso begrüßt er die Bemühungen, die Verfügbarkeit von Ressourcen und die Datenerhebung sowie den Austausch bewährter Methoden in diesen Bereichen zu verbessern.

1.8.

Der EWSA ist besorgt über das genannte Ziel, die rasche freiwillige Rückkehr von den EU-Außengrenzen zu fördern, weil damit ein Mangel an Garantien verbunden sein kann. Er hat insbesondere die Sorge, dass „freiwillige Rückkehr“ als Euphemismus verwendet werden könnte, wenn es um Ausweisungen oder die finanzielle Entschädigung von Zielländern geht, die die freiwilligen Rückkehrer aufnehmen, ohne dass deren Wünsche und — was noch besorgniserregender ist — deren Rechte gebührend berücksichtigt werden. Der EWSA gibt auch zu bedenken, dass es widersprüchlich ist, Anreize für Programme zu schaffen, die den irregulären Aufenthalt von Menschen voraussetzen, da dies Herkunftsländer von jeglichem Versuch abhalten könnte, die Migrationsströme zu verringern.

1.9.

In diesem Zusammenhang erachtet der EWSA es weiterhin als strategische Schwäche der Einwanderungs- und Asylpolitik der EU, dass sie fast zur Gänze auf die Bekämpfung irregulärer Situationen ausgerichtet ist — ob an den Grenzen oder durch freiwillige und erzwungene Rückkehr. Deshalb fordert er die Kommission erneut auf, ihren Referenzrahmen zu überprüfen und wirksam auf einen integrierten Ansatz für die Einwanderungs- und Asylpolitik hinzuarbeiten, der eine geordnete, reguläre und sichere Mobilität fördern kann.

2.   Hintergrund

2.1.

Die Erleichterung der freiwilligen Rückkehr ist — seit der 2018 verabschiedeten Rückführungsrichtlinie und wie im neuen Migrations- und Asylpaket bekräftigt — ein strategisches Ziel der Migrationspolitik der EU.

2.2.

Unter freiwilliger Rückkehr versteht man das Instrument, das es irregulär im Hoheitsgebiet der EU aufhältigen Migranten ermöglicht, in ihre Herkunftsländer zurückzukehren. Es wird davon ausgegangen, dass dieses Instrument den Migranten die Möglichkeit einer freiwilligen Entscheidung gibt, die Rückübernahme im Herkunftsland erleichtert und eine bessere Wiedereingliederung in die Aufnahmegesellschaft gewährleisten kann als im Falle von Verfahren der erzwungenen Rückkehr. Von den 491 195 irregulär aufhältigen Drittstaatsangehörigen, gegen die im Jahr 2019 eine Rückkehranordnung erging, kehrten 142 320 tatsächlich in ein Drittland zurück.

2.3.

Die Strategie zielt darauf ab, ein gemeinsames Konzept für die Gestaltung, Entwicklung und Durchführung der Programme der Mitgliedstaaten für die unterstützte freiwillige Rückkehr und Reintegration (AVRR = assisted voluntary return and reintegration) festzulegen, indem gemeinsame Ziele definiert und die Kohärenz zwischen den nationalen Programmen bzw. zwischen den nationalen Programmen und der EU verstärkt werden. Weitere Ziele der Strategie sind die Förderung und Einrichtung gemeinsamer Instrumente und die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten.

2.4.

Die Unterstützung für die Rückkehr und Wiedereingliederung dient dazu, den in einer irregulären Situation befindlichen Migranten zu helfen, freiwillig zurückzukehren und in ihrem Herkunftsland ein unabhängiges Leben zu beginnen, wodurch das Risiko einer erneuten irregulären Einwanderung verringert wird. Die Unterstützung für die Rückkehr kann beispielsweise Beratung vor der Ausreise, psychosoziale Betreuung und Unterstützung bei der Reiseorganisation, Hilfe bei akuten medizinischen Erfordernissen und/oder finanzielle Unterstützung zur Erleichterung der Rückkehr und zur Stabilisierung der Lebensbedingungen nach der Ankunft umfassen. Die Unterstützung für die Wiedereingliederung zielt darauf ab, den Betroffenen bei der erfolgreichen Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu helfen; sie kann in sofortiger Hilfe und Beratung nach der Ankunft, Unterstützung bei der Suche nach bzw. Schaffung von Einkommensquellen für die Rückkehrer sowie Aktivitäten mit den Gemeinschaften vor Ort bestehen.

2.5.

Die EU finanziert eine beträchtliche Anzahl von Maßnahmen im Zusammenhang mit der freiwilligen Rückkehr und Wiedereingliederung direkt oder über Programme der Mitgliedstaaten. Zwischen 2014 und 2018 wurden fast 60 AVRR-Programme aus AMIF-Mitteln finanziert, und ähnliche Initiativen wurden auch über den Europäischen Entwicklungsfonds und Instrumente wie das Instrument für Entwicklungszusammenarbeit (DCI) und das Instrument für Heranführungshilfe (IPA) finanziert. Andererseits verfügen viele Mitgliedstaaten über eigene AVRR-Programme.

2.6.

Die Existenz eines derart breiten Spektrums an Instrumenten hat zu einem Konglomerat von Initiativen, Programmen und Projekten geführt, die häufig nicht über gemeinsame Referenzrahmen verfügen, was nicht nur ihre Bewertung, sondern auch ihre wirksame Umsetzung erschwert. Mit dieser Strategie sollen die Referenzrahmen weiter harmonisiert und die Zusammenarbeit der europäischen Länder bei der Entwicklung von AVRR-Programmen gefördert werden.

2.7.

In der von der Kommission vorgelegten Strategie werden die folgenden Ziele genannt: 1) Stärkung der Akzeptanz der freiwilligen Rückkehr unter den Migranten und Erhöhung des Anteils der freiwilligen Rückkehr an allen Rückkehrmaßnahmen; 2) Schaffung eines zusätzlichen Weges für die Zusammenarbeit und Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, der zur Übernahme von Rückkehrpatenschaften beiträgt; 3) Verbesserung der Effizienz der individuellen und gemeinschaftlichen Hilfe durch Verringerung von Mängeln und Überschneidungen und Erhöhung der Synergien mit anderen Gebern und mit Drittländern, u. a. durch einen besseren Schutz gefährdeter Migranten; 4) Festlegung nachhaltiger Rückkehr- und Wiedereingliederungsmaßnahmen, die den Bedürfnissen des Einzelnen Rechnung tragen und gerecht werden; 5) Förderung der Nachhaltigkeit der Rückkehr und Verringerung der erneuten irregulären Einwanderung, u. a. durch Unterstützung der Aufnahmegemeinschaften; 6) Verbesserung der Nachhaltigkeit von Wiedereingliederungsmaßnahmen auf individueller und gemeinschaftlicher Ebene und ihres Beitrags zu den Entwicklungsplänen von Drittländern, u. a. durch Verknüpfung mit anderen finanzierten Entwicklungsmaßnahmen auf nationaler oder gemeinschaftlicher Ebene; 7) Stärkung der Kapazitäten und der Einbindung von Drittländern in Bezug auf Rückkehr-, Rückübernahme- und Wiedereingliederungsverfahren; 8) Verknüpfung der vorgenannten Ziele im Rahmen eines auf Rechten basierenden und auf die Migranten ausgerichteten Ansatzes.

2.8.

Die freiwillige Rückkehr bietet den betreffenden Migranten echte Chancen und trägt ihren Bedürfnissen, Erwartungen und Aussichten nach der Rückkehr Rechnung. Darüber hinaus lässt sich dabei im Rahmen der Zusammenarbeit mit Drittländern die Beteiligung der Rückkehrländer vorsehen. Die Wiedereingliederung ist von entscheidender Bedeutung für die Effizienz und Glaubwürdigkeit der Rückkehrprogramme, da sie die Entwicklung von Instrumenten impliziert, die Migranten dabei helfen, die sozioökonomischen und psychosozialen Schwierigkeiten, mit denen sie bei ihrer Rückkehr in ihre Gemeinschaft konfrontiert sind, zu überwinden und ihre Rückkehr nachhaltiger zu gestalten. Die Wiedereingliederung muss unter Einbeziehung der nationalen und lokalen Behörden, der Aufnahmegemeinschaften und der Zivilgesellschaft konzipiert werden, um den Rückkehrern und ihrer lokalen Gemeinschaft konkrete Zukunftsperspektiven bieten zu können.

2.9.

Um die Interessenträger bei der Umsetzung zu unterstützen, werden in der Strategie spezifische praktische Vorkehrungen zur Erreichung der vorgenannten Ziele sowie ein Bündel von Instrumenten vorgeschlagen, die von IT-Lösungen zur Schließung von Datenlücken und zur Erleichterung der Datenverwaltung bis hin zu Projektmanagement, Entwicklungsplanung und Kapazitätsaufbau reichen.

2.10.

Die Strategie ist Ergebnis eines offenen partizipativen Prozesses, an dem verschiedene Schlüsselakteure wie auch für AVRR-Programme zuständige nationale Behörden, in Rückkehrprojekte involvierte Einrichtungen, Dienstleistungsnetze usw. beteiligt waren.

3.   Allgemeine Bemerkungen zur Strategie für freiwillige Rückkehr und Wiedereingliederung

3.1.

Der EWSA begrüßt die Strategie für freiwillige Rückkehr und Wiedereingliederung als Verwaltungsinstrument zur Verbesserung der Koordinierung und der gemeinsamen Ziele der Mitgliedstaaten im Bereich der Migrationssteuerung.

3.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass es im Zuge der Überarbeitung eines Instruments wie der freiwilligen Rückkehr und der Wiedereingliederung einen Spielraum für Verbesserungen gibt wie jene, auf die die Kommission selbst in ihrer Mitteilung hinweist. Folgendes erachtet der EWSA als notwendig, um die Wirksamkeit der Instrumente zu erhöhen: Überwindung der Fragmentierung der Ansätze, Verringerung der Kosten für die Rückkehr, Verbesserung der Sammlung von Informationen, Verbesserung des Beratungssystems für Rückkehrer, Verbesserung der Koordinierung zwischen den beteiligten Akteuren, Unterstützung der Nachhaltigkeit von Projekten zur freiwilligen Rückkehr und Wiedereingliederung und Verbesserung der Finanzausstattung dieser Programme. Außerdem hält er es im Hinblick auf den Austausch der gewonnenen Erkenntnisse für unerlässlich, die Datenerhebung und die Ermittlung bewährter Verfahren zu verbessern.

3.3.

Allerdings äußert der EWSA wie schon bei früheren Gelegenheiten (Stellungnahme SOC/649 (2)) sein Bedauern darüber, dass die Maßnahmen zur Förderung der regulären Einreisewege, die die meisten der in der EU ansässigen Drittstaatsangehörigen betreffen, zu einem späteren Zeitpunkt und in geringerem Umfang als die Vorschläge zur Lösung von Fragen der Irregularität entwickelt werden. Er weist darauf hin, dass für Alternativen, die über Grenzkontroll- und Rückkehrmaßnahmen hinausgehen, ein umfassender Mobilitätsansatz unerlässlich ist.

3.4.

Der EWSA ist sich der Schwierigkeiten der meisten Mitgliedstaaten in Bezug auf wirksame Rückkehrmaßnahmen bewusst und nimmt die Bereitschaft der Kommission zur Kenntnis, Schritte hin zu einem gemeinsamen und wirksamen europäischen Rückkehrsystem zu unternehmen. Er merkt jedoch an, dass die meisten Rückkehrmaßnahmen aufgrund der mangelnden Beteiligung der Herkunftsländer und der nur widerstrebenden Teilnahme der sich in einer irregulären Situation befindlichen Personen nicht ordnungsgemäß funktionieren. Die freiwillige Rückkehr zur Vermeidung einer Abschiebung kann nicht als Akt der Freiwilligkeit angesehen werden.

3.5.

Der EWSA äußert erneut Zweifel an der Rückkehrpatenschaft, da nicht klar ist, worin die Anreize für die Mitgliedstaaten bestehen, sich an diesem weiterhin auf freiwilliger Solidarität beruhenden Mechanismus zu beteiligen.

3.6.

Der EWSA würdigt die bisherigen Anstrengungen der Kommission im Bereich der Rückkehr, sowohl hinsichtlich der Überwachung der einzelstaatlichen Programme als auch hinsichtlich der von der EU selbst finanzierten Initiativen. In diesem Zusammenhang ist auf das Europäische Netz für Rückkehr und Wiedereingliederung hinzuweisen, das die Zusammenarbeit zwischen den Migrationsbehörden erleichtert. Die Kommission plant, dass Frontex ab 2022 die Tätigkeiten dieses Netzes übernehmen soll, was der EWSA angesichts des Berichts des Europäischen Parlaments über Rechtsverletzungen durch die europäische Agentur als äußerst besorgniserregend erachtet. Nach Auffassung des Ausschusses macht diese Planung die Einführung flexibler und effektiver Mechanismen erforderlich, mit denen die Tätigkeiten der Frontex-Agentur überwacht und in Bezug auf ihre Rechenschaftspflicht wirksam kontrolliert werden. Außerdem muss sichergestellt werden, dass ihre Tätigkeiten im Einklang mit den Menschenrechten stehen (3). Dieser Aspekt ist unbedingt herauszustellen, da der Schutz der Menschenrechte ein Kernelement aller Maßnahmen der EU — u. a. im Bereich der Migrationspolitik, einschließlich der Rückkehr- und Wiedereingliederungsverfahren — ist und die Rolle von Frontex in Echtzeit überwacht (und ggf. korrigiert) werden können muss.

3.7.

Rückkehr- und Wiedereingliederungsprogramme sind mit einer erheblichen Zahl von Akteuren, Dienstleistern, Schulungen und Verfahren zum Austausch von Informationen und Ressourcen sowohl in den Ausreise- als auch in den Einreiseländern verbunden. Diese Entwicklung beruht auf der Tatsache, dass es in der EU irregulär aufhältige Menschen gibt. Deshalb ist der Gedanke beunruhigend, dass hierdurch ein Geschäftsbereich entstehen kann, dessen Fortbestand eben die Existenz solcher Menschen voraussetzt — was wiederum dieser Form der Einwanderung in Verbindung mit der Aussicht auf (freiwillige oder erzwungene) Rückkehr Vorschub leistet.

4.   Ergänzende Bemerkungen zum Ansatz der Strategie

4.1.

Der EWSA erachtet es weiterhin als strategische Schwäche der Einwanderungs- und Asylpolitik der EU, dass sie fast zur Gänze auf die Bekämpfung irregulärer Situationen ausgerichtet ist — ob an den Grenzen oder durch freiwillige und erzwungene Rückkehr. Reguläre, flexible, sichere und effiziente Einreiseverfahren sind notwendig, um irreguläre Situationen zu vermeiden und außerdem die Möglichkeiten für eine auf diesen Situationen basierende wirtschaftliche Ausbeutung einzuschränken.

4.2.

Der EWSA ist besorgt über das genannte Ziel, die rasche freiwillige Rückkehr von den EU-Außengrenzen zu fördern, weil damit ein Mangel an Garantien verbunden sein kann. Wenn der Prozess der freiwilligen Rückkehr auf einer durchdachten Entscheidung (der betroffenen Person) in Verbindung mit Wiedereingliederungsmaßnahmen (an denen Behörden beider Länder beteiligt sind) beruhen soll, dann ist dieses Modell des Grenzverfahrens nicht nachvollziehbar. Andernfalls könnte „freiwillige Rückkehr“ als Euphemismus verstanden werden, wenn es um Ausweisungen oder die finanzielle Entschädigung von Zielländern geht, die die freiwilligen Rückkehrer aufnehmen, ohne dass deren Wünsche und — was noch besorgniserregender ist — deren Rechte gebührend berücksichtigt werden.

4.3.

Wirksame Koordinierung zwischen allen Beteiligten: Der EWSA unterstützt mit allem Nachdruck die Verbesserungen bei der Koordinierung der an einer öffentlichen Maßnahme Beteiligten. Es besteht jedoch die Sorge, dass sich das Netz der Akteure und Interessenträger, die in der freiwilligen Rückkehr eine Geschäftsmöglichkeit sehen, ausweitet und dass den Bedürfnissen der Rückkehrer nicht angemessen Rechnung getragen wird.

4.4.

Stärkung von Solidarität und Zusammenarbeit: Rückkehr- und Wiedereingliederungsmaßnahmen sollten im Rahmen der Zusammenarbeit und Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten durchgeführt werden. Hier geht es darum, die Koordinierungsinstrumente über den wirtschaftlichen Beitrag hinaus zu stärken, auch durch die Unterstützung mit Fachwissen, Engagement und Erkenntnissen. Darüber hinaus sollten alle Maßnahmen auf dem Respekt vor und der Partnerschaft mit den Drittländern beruhen, in denen diese Initiativen durchgeführt werden, wobei nicht nur die institutionelle Beteiligung, sondern auch die Kooperation und Mitwirkung der Zivilgesellschaft gefördert werden sollten.

4.5.

Unterstützung von Maßnahmen der freiwilligen Rückkehr von Migranten aus und zwischen Drittländern sowie der Wiedereingliederung der betreffenden Personen: Nach Ansicht des EWSA ist die Zusammenarbeit mit Drittländern ein Schlüsselfaktor für die Migrationssteuerung. Die Ausrichtung dieser Zusammenarbeit auf Instrumente, bei denen vorhandene Ressourcen mit irregulären Situationen verbunden werden, scheint nicht der beste Weg, um solchen Situationen entgegenzuwirken.

4.6.

Wirksame Rückkehrberatung und Vermittlung: Die Verbesserung der Informationen, die den Migranten während des gesamten Prozesses zur Verfügung gestellt werden, ist von entscheidender Bedeutung — mit der Maßgabe, dass die Rechte dieser Menschen selbst in einem Abschiebungsverfahren unveräußerlich sind und garantiert werden müssen. Genau aus diesem Grund und wegen der Vielzahl von Akteuren, die ihren Beitrag zum Erfolg eines Programms für freiwillige Rückkehr leisten müssen (im Herkunfts- und Zielland, in der Diaspora usw.), können derartige Programme nicht als „Express-Instrumente“ oder ohne eindeutige Verknüpfung mit Wiedereingliederungsprojekten konzipiert werden.

4.7.

Gewährleistung hochwertiger Unterstützung: Auch hier stimmt der EWSA zu, dass die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr in Form vielfältiger Dienstleistungen und Leistungen erfolgen muss, wie etwa Beratung, medizinische und psychologische Hilfe sowie finanzielle, rechtliche und logistische Unterstützung für die Reisedurchführung. Deshalb weist er erneut darauf hin, dass die AVRR-Programme nicht als Instrumente für den massenhaften oder pauschalen Einsatz aufgefasst werden können. Beispielsweise erfordert die freiwillige Rückkehr von Familien die besondere Aufmerksamkeit für die betroffenen Minderjährigen, wodurch sich diese Rückkehrsituation von anderen unterscheidet. Die Rolle von Frontex bei der Erbringung und Bewertung einiger dieser Dienstleistungen gibt derzeit Anlass zur Sorge.

4.8.

Förderung einer nachhaltigen Unterstützung bei der Wiedereingliederung und der Eigenverantwortung der Partnerländer: Dieser Punkt ist nicht nur für die Zukunft der Rückkehrer ausschlaggebend, sondern auch für das Ziel, die erneute irreguläre Einwanderung zu verhindern. Der EWSA gibt einmal mehr zu bedenken, dass es widersprüchlich ist, Anreize für Programme zu schaffen, die den irregulären Aufenthalt von Menschen voraussetzen, da dies Herkunftsländer von jeglichem Versuch abhalten könnte, die Migrationsströme zu verringern. Wenn die gesamte Wirksamkeit einer Politik wie die der freiwilligen Rückkehr auf einer Lage beruht, die vom Willen der Drittstaaten abhängt, könnte dies außerdem die Glaubwürdigkeit und Kohärenz der europäischen Migrationspolitik entscheidend schwächen.

4.9.

Finanzierung der freiwilligen Rückkehr und Wiedereingliederung: Offenkundig ist die EU ein maßgeblicher Akteur bei der Finanzierung unterschiedlicher Aspekte der AVRR-Programme. Die Zusammenarbeit mit Drittländern muss in jeder Hinsicht unbedingt darauf fußen, dass die betreffenden Drittstaaten das Völkerrecht achten und den Schutz der Menschenrechte und der individuellen Grundfreiheiten gewährleisten. Jeder Bereich für die Zusammenarbeit mit Drittländern bezüglich der Menschenrechte sollte vom Europäischen Parlament begrüßt werden. Wenn die Zusammenarbeit bei Rückkehrmaßnahmen zu einer Voraussetzung für die Außen- und Nachbarschaftspolitik der EU gemacht wird, so ist dies realitätsfremd und ein Mechanismus, der irreguläre Situationen eher begünstigt als sie zu verringern.

Brüssel, den 22. September 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Siehe den Bericht des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) vom 14. Juli 2021: Report on the fact finding investigation on Frontex concerning alleged fundamental rights violations. Hier abrufbar: https://www.europarl.europa.eu/cmsdata/238156/14072021%20Final%20Report%20FSWG_en.pdf.

(2)  ABl. C 123 vom 9.4.2021, S. 15.

(3)  Siehe die diesbezüglichen Empfehlungen im Bericht des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) vom 14. Juli 2021: Report on the fact finding investigation on Frontex concerning alleged fundamental rights violations. Hier abrufbar: https://www.europarl.europa.eu/cmsdata/238156/14072021%20Final%20Report%20FSWG_en.pdf.


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