EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 30.9.2020
SWD(2020) 304 final
ARBEITSUNTERLAGE DER KOMMISSIONSDIENSTSTELLEN
Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020
Länderkapitel zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland
Begleitunterlage zur
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN
Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020
Die Lage der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union
{COM(2020) 580 final} - {SWD(2020) 300 final} - {SWD(2020) 301 final} - {SWD(2020) 302 final} - {SWD(2020) 303 final} - {SWD(2020) 305 final} - {SWD(2020) 306 final} - {SWD(2020) 307 final} - {SWD(2020) 308 final} - {SWD(2020) 309 final} - {SWD(2020) 310 final} - {SWD(2020) 311 final} - {SWD(2020) 312 final} - {SWD(2020) 313 final} - {SWD(2020) 314 final} - {SWD(2020) 315 final} - {SWD(2020) 316 final} - {SWD(2020) 317 final} - {SWD(2020) 318 final} - {SWD(2020) 319 final} - {SWD(2020) 320 final} - {SWD(2020) 321 final} - {SWD(2020) 322 final} - {SWD(2020) 323 final} - {SWD(2020) 324 final} - {SWD(2020) 325 final} - {SWD(2020) 326 final}
Zusammenfassung
Das deutsche Justizsystem ist wie die Bundesrepublik selbst föderal gegliedert und spiegelt die wichtige Rolle der Länder bei der Rechtspflege wider. Die richterliche Unabhängigkeit gilt als sehr ausgeprägt. In jüngster Zeit waren Garantien für die Unabhängigkeit der Staatsanwälte Gegenstand der öffentlichen Debatte. Die deutsche Justiz funktioniert größtenteils effizient, auch wenn einige Indikatoren einen Rückgang der Gesamtleistung erkennen lassen. Viel Arbeit wird derzeit in die weitere Digitalisierung der Justiz investiert, was zu mehr Effizienz und Qualität beitragen soll. Der „Pakt für den Rechtsstaat“ zwischen Bund und Ländern von 2019 wird zu zusätzlichen Mitteln für die Justiz und zur Schaffung von 2000 neuen Richter- und Staatsanwaltsstellen bis Ende 2021 führen. Dies ist auch angesichts der steigenden Zahl von Richtern und Staatsanwälten, die in den kommenden Jahren in den Ruhestand treten werden, von Bedeutung.
Der rechtliche, regulatorische und institutionelle Rahmen für die Korruptionsbekämpfung ist weitgehend vorhanden, wobei die Umsetzung repressiver Antikorruptionsmaßnahmen und die strafrechtliche Verfolgung in die Länderzuständigkeit fallen. Auf Bundesebene und in den meisten Ländern gibt es eine Politik der „Drehtürpraxis“. Was Lobbytätigkeiten anbelangt, so fehlt eine obligatorische Registrierung von Kontakten sowohl mit Bundestagsabgeordneten als auch mit Mitgliedern der Bundesregierung, obwohl Reformen in diesem Bereich in Erwägung gezogen werden. Der Schutz von Hinweisgebern stützt sich in Deutschland auf ein System, das innerhalb der Unternehmen integriert ist, so dass den Menschen neben dem institutionellen noch ein zusätzlicher Meldekanal zur Verfügung steht.
Deutschland verfügt über etablierte Rahmenregeln für Medienfreiheit und Medienvielfalt, die zumeist in die Zuständigkeit der Länder fallen. Bei den vierzehn Landesmedienanstalten handelt es sich um staatliche Einrichtungen, die gegen politische oder wirtschaftliche Einflussnahme gesetzlich geschützt sind. Im Hinblick auf die Eigentumsverhältnisse in Medienunternehmen herrscht große Transparenz, und es bestehen Schutzvorkehrungen, um eine politische Einflussnahme auf die Medien zu verhindern. Das Grundgesetz (GG) und das Sekundärrecht garantieren den Journalisten ausdrücklich das Recht, ihre Quellen zu schützen, und regeln das Recht auf Zugang zu Informationen. In den letzten Jahren gab es Bedenken wegen zunehmender Angriffe auf Journalisten.
Die Gewaltenteilung ist in Deutschland fest verankert. Ein Rahmen für die Folgenabschätzung und die Einbeziehung der Interessenträger tragen zur Qualität des Gesetzgebungsprozesses bei. Sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene gibt es eine Verfassungsgerichtsbarkeit. Es sind günstige Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft vorhanden, und der Informationszugang für die Bürgerinnen und Bürger wird politisch aktiv gefördert. Zivilgesellschaftliche Organisationen können in Deutschland frei agieren. Regelmäßige Diskussionen über Fragen der Rechtsstaatlichkeit, sowohl aus nationaler als auch aus europäischer Sicht, werden gefördert, unter anderem durch eine landesweite Informations- und Publizitätskampagne, die 2019 im Rahmen des „Pakts für den Rechtsstaat“ durchgeführt wurde und in deren Mittelpunkt die Vermittlung der Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit und der Garantien stand, die sie für den einzelnen Bürger sowie für eine demokratische Gesellschaft bietet.
I.Justizsystem
Das Gerichtssystem in Deutschland ist föderal aufgebaut. Die Rechtsprechung wird von Bundesgerichten und von den Gerichten der 16 Bundesländer ausgeübt. Der größte Teil der Zuständigkeiten und der Arbeitsbelastung im Bereich der Rechtspflege liegt bei den Ländern. Die Gerichtsbarkeit besteht einerseits aus den ordentlichen Gerichten und andererseits aus den Fachgerichten. Die ordentlichen Gerichte sind für das Zivil- und das Strafrecht zuständig. Die Fachgerichtsbarkeit besteht aus den Verwaltungsgerichten, den Finanzgerichten, den Arbeitsgerichten und den Sozialgerichten. Für die Gerichte der Länder sind die Justizministerien der Länder zuständig. Die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten fällt in die Zuständigkeit der Länder. Eine Ausnahme bilden die Bundesgerichte. Zwar unterscheiden sich die Ernennungsverfahren von Land zu Land im Detail, doch haben alle gemeinsame Kernelemente, insbesondere das Leistungsprinzip
und die gerichtliche Überprüfbarkeit des Ernennungsverfahrens und der Ernennungsentscheidung. Die Richter der Bundesgerichte werden von einem Richterwahlausschuss gewählt, dessen Mitglieder von der Exekutive ernannt werden. Der Präsidialrat des Gerichts, für das ein neuer Richter bestellt werden soll, muss in dem Ernennungsverfahren konsultiert werden.
Derzeit gibt es 638 Amtsgerichte, 115 Landgerichte und 24 Oberlandesgerichte (ordentliche Gerichtsbarkeit). Hinzu kommen 51 Verwaltungsgerichte, 15 Oberverwaltungsgerichte, 18 Finanzgerichte, 108 Arbeitsgerichte, 18 Landesarbeitsgerichte, 68 Sozialgerichte und 14 Landessozialgerichte, verteilt auf die 16 Bundesländer.
Auf Bundesebene ist der Bundesminister für Justiz für den Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht und der Bundesfinanzhof zuständig. Für das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales zuständig. Die verfassungsrechtliche Prüfung wird durch das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsgerichte der Länder gewährleistet. Die Staatsanwaltschaft ist in Deutschland Teil der Exekutive. Auf Bundesebene gibt es den Generalstaatsanwalt, der beim Bundesgerichtshof angesiedelt ist. Die Länder verfügen jeweils über ihre eigene Staatsanwaltschaft. In Deutschland gibt es 27 regionale Anwaltskammern.
Der Dachverband aller 28 Anwaltskammern in Deutschland ist die Bundesrechtsanwaltskammer in Berlin.
Unabhängigkeit
Generell haben Öffentlichkeit und Unternehmen eine hohe Meinung von der Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter. Insgesamt bewerten 76 % der Gesamtbevölkerung und 73 % der Unternehmen die Gerichte und Richter als „ziemlich oder sehr unabhängig“.
Dieses positive Urteil über die richterliche Unabhängigkeit ist in den letzten Jahren stabil geblieben.
Dies wurde auch von Interessenträgern wie dem Deutschen Richterbund (dem Berufsverband von Richtern und Staatsanwälten), dem Deutschen Anwaltverein und der Bundesrechtsanwaltskammer bestätigt.
Die Unabhängigkeit der deutschen Justiz wird durch eine Vielzahl von Garantien gewährleistet, zu denen insbesondere die gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von die Gerichte betreffenden Entscheidungen wie Ernennungen, Beurteilungen, Beförderungen, Disziplinarstrafen und Entlassungen gehört.
Darüber hinaus enthält das deutsche Justizsystem eine Reihe von Elementen der richterlichen Selbstverwaltung.
Das Recht der Justizminister, Staatsanwälten in Einzelfällen Weisungen zu erteilen, ist derzeit Gegenstand einer Debatte. Als Reaktion auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Anwendung des Europäischen Haftbefehls
, in dem festgestellt wurde‚ dass die Unabhängigkeit der deutschen Staatsanwaltschaften von der Exekutive für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls nicht ausreichend gewährleistet sei, wurde eine Gesetzesänderung eingebracht, mit der dieses Weisungsrecht abgeschafft werden sollte. Dier entsprechende Antrag wurde aber am 28. Mai 2020 vom Bundestag abgelehnt.
Strukturell sind die Staatsanwaltschaften Teil der Exekutive. Aus diesem Grund, und wie in den einschlägigen Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes
vorgesehen‚ haben die Justizminister von Bund und Ländern die Möglichkeit, Staatsanwälten in Einzelfällen Weisungen zu erteilen. Diese Befugnis unterliegt rechtlichen Garantien. Neben dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit
, an den jede Tätigkeit der Staatsanwaltschaft gebunden ist, und dem Verfassungsgrundsatz der Rechtsstaatlichkeit
gibt es auf Bundes- und Länderebene zusätzliche Garantien
. Damit wird insgesamt sichergestellt, dass Weisungen in einem konkreten Fall auf keinen Fall die gesetzlichen Grenzen überschreiten dürfen.
Darüber hinaus haben sowohl die Behörden als auch die Interessenträger dargelegt, dass von diesem Weisungsrecht nur in sehr seltenen Fällen tatsächlich Gebrauch gemacht wird.
Diese Praxis mindert offensichtlich in Verbindung mit den bestehenden rechtlichen Garantien das Risiko des Missbrauchs des Weisungsrechts.
Qualität
Die Digitalisierung der Gerichte schreitet voran, bleibt aber eine längerfristige Herausforderung. Am 1. Januar 2018 trat das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs in Kraft. Es verpflichtet Gerichte und Staatsanwaltschaften, die Gerichtsakten spätestens ab dem 1. Januar 2026 elektronisch zu führen. Die Interessenträger erklärten, dass die Nutzung der Informationstechnologie derzeit von Gericht zu Gericht – unabhängig von der Landeszugehörigkeit – unterschiedlich gehandhabt werden könne.
Die Länder haben drei große Netze eingerichtet, um die vollständige Digitalisierung der Gerichtsakten („elektronische Akte“ ) umzusetzen.
Der Bund beteiligt sich je nach Standort des betreffenden Bundesgerichts. Die weitere Digitalisierung wird die Bemühungen um die qualitativen Verbesserungen im Justizsystem verstärken. Deutschland sieht insbesondere Vorkehrungen für die Erstellung maschinenlesbarer Gerichtsentscheidungen, die Förderung der und Anreize für die Anwendung alternativer Streitbeilegungsverfahren, Regelungen für ein kinderfreundlicheres Justizwesen, Schulungen für Richter sowie die Nutzung und Weiterverfolgung von Befragungen der Nutzer von Gerichten vor.
In Deutschland scheinen jedoch die Gerichtsgebühren für bestimmte Kategorien von Rechtssachen vergleichsweise hoch zu liegen, z. B. für geringfügige Verbraucherforderungen oder bestimmte Rechtssachen mit grenzüberschreitendem Bezug.
Eine hohe Zahl von Richtern und Staatsanwälten wird in den kommenden Jahren in den Ruhestand treten. Sowohl die Behörden als auch die Interessenträger wiesen darauf hin, dass in vielen Ländern‚ insbesondere im Osten, die Zahl der anstehenden Pensionierungen in den nächsten Jahren erheblich zunehmen wird. Das Justiz- und das Finanzministerium müssen darauf achten, dass die Einstellung einer ausreichenden Zahl neuer Richter und Staatsanwälte gewährleistet ist. Die Interessenträger äußerten Bedenken hinsichtlich der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der Einstiegsgehälter für neue Richter und Staatsanwälte, insbesondere im Vergleich zur Privatwirtschaft, wodurch es schwieriger wird, eine ausreichende Zahl qualifizierter Absolventen für Gerichte und Staatsanwaltschaften zu gewinnen.
Diese Gehaltslücke kann in einigen Landesteilen ausgeprägter sein, da die Höhe des Gehalts von Land zu Land bis zu 17 % variieren kann.
Zur Konsolidierung des Justizwesens und der Rechtsstaatlichkeit setzt Deutschland einen „Pakt für den Rechtsstaat“
um‚ der zusätzliche Ressourcen sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene vorsieht. Bund und Länder einigten sich am 31. Januar 2019 auf einen „Pakt für den Rechtsstaat“. Darin sind zusätzliche Bundesmittel in Höhe von 220 Mio. EUR für die Länder vorgesehen, um bis zum 31. Dezember 2021 2000 zusätzliche Stellen für Richter und Staatsanwälte zu schaffen, einschließlich des erforderlichen Verwaltungspersonals. Darüber hinaus schafft der Bund in seinem Zuständigkeitsbereich 24 zusätzliche Stellen beim Bundesgerichtshof und 71 Stellen beim Generalstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, um das Justizsystem zu stärken.
Der „Pakt für den Rechtsstaat“ wird von den Interessenträgern, insbesondere dem Deutschen Richterbund, sehr positiv beurteilt, da er auf seit langem geäußerte Forderungen nach mehr Ressourcen für die Justiz eingeht
‚ was auch angesichts der erwarteten zusätzlichen Herausforderungen wegen der bevorstehenden Pensionswelle von Bedeutung ist.
Effizienz
Die deutsche Justiz funktioniert größtenteils effizient, auch wenn einige Indikatoren einen Rückgang der Gesamtleistung erkennen lassen. Die erstinstanzlichen Gerichte sind weitgehend in der Lage, ihre Arbeitsbelastung in Zivil- und Handelssachen zu bewältigen, wie eine Abschlussquote von nahezu 100 % zeigt. 2018 ging diese Abschlussquote jedoch auf 97,2 % zurück
. Die Dauer der erstinstanzlichen Verfahren in Zivil- und Handelssachen hat seit 2012 stetig zugenommen.
Auch die Interessenträger haben darauf hingewiesen.
Die Verwaltungsgerichte arbeiten weitgehend effizient, insbesondere in der dritten Instanz, wo die für die Entscheidung der Fälle benötigte Zeit erheblich geringer ist als in den Vorinstanzen.
Bei den Verwaltungsgerichten ist jedoch die Zahl der eingehenden Fälle vergleichsweise hoch
‚ was sich auch in einer vergleichsweise hohen Zahl anhängiger Verfahren
widerspiegelt.
II.Rahmen für die Korruptionsbekämpfung
In Deutschland gibt es mehrere Behörden, die für die Prävention und Verfolgung von Korruption zuständig sind, darunter das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, der Bundesrechnungshof, die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen, das Bundesamt für Justiz, das Bundeskriminalamt und die zuständigen Behörden (Staatsanwaltschaften und Gerichte) der Länder. Einige Länder verfügen über spezialisierte Staatsanwaltschaften für Korruptionsdelikte, andere verfügen über spezielle einschlägige Fachabteilungen, die über alle Staatsanwaltschaften verteilt sind. Die Richtlinie zur Korruptionsprävention in der Bundesverwaltung bildet den rechtlichen Rahmen für die Prävention. Sie wird durch detaillierte Leitlinien und umfassende Verhaltenskodizes ergänzt, mit denen Korruption auf Bundesebene verhindert werden soll.
Deutschland liegt im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International mit 80 von 100 Punkten auf Platz 5 in der Europäischen Union und Platz 9 weltweit. 53 % der Befragten der diesjährigen Eurobarometer-Umfrage zur Korruption sind der Ansicht, dass Korruption in ihrem Land weit verbreitet ist (EU-Durchschnitt: 71 %), aber nur 9 % der Menschen fühlen sich im Alltag persönlich von Korruption betroffen (EU-Durchschnitt: 26 %). Unter den Unternehmen sind es 31 %, die die Korruption für weitverbreitet halten (EU-Durchschnitt: 63 %). 22 % der Unternehmen sind der Ansicht, dass Korruption ein Problem bei der Geschäftstätigkeit darstellt (EU-Durchschnitt: 37 %). 33 % der befragten Einzelpersonen glauben, dass die Strafverfolgung erfolgreich genug arbeitet, um Menschen von korrupten Praktiken abzuschrecken (EU-Durchschnitt: 36 %), während 41 % der Unternehmen der Ansicht sind, dass Menschen und Unternehmen, die wegen der Bestechung eines hohen Beamten belangt werden, angemessen bestraft werden (EU-Durchschnitt: 31 %).
Deutschland verfügt über einen umfassenden institutionellen Rahmen zur Korruptionsbekämpfung. Auf Bundesebene sind das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, der Bundesrechnungshof und das Bundeskriminalamt für Korruptionsbekämpfung zuständig. Außerdem wurde ein Netz von Kontaktpersonen für die Korruptionsprävention eingerichtet, das die OECD auf internationaler Ebene als „bewährtes Verfahren“ bezeichnet hat.
Diese Kontaktstellen bieten Bürgern und Arbeitnehmern Unterstützung und Beratung in Korruptionsfragen oder -anliegen.
Die Durchführung repressiver Antikorruptionsmaßnahmen und die strafrechtliche Verfolgung von Korruptionsdelikten obliegt den Ländern. Laut dem offiziellen Polizeibericht über Korruption wurden im Jahr 2017 4894 Korruptionsfälle zur Anzeige gebracht.
Gegenüber dem Vorjahr ist dies ein Rückgang um 25 %. Die Zahl der Verdächtigen nahm hingegen um 15 % zu. Der durch Korruption verursachte finanzielle Schaden belief sich auf 291 Mio. EUR, was einem Anstieg um 137 % entspricht. Einige Länder verfügen über spezialisierte Staatsanwaltschaften für Korruptionsdelikte, andere verfügen über spezielle einschlägige Fachabteilungen, die über alle Staatsanwaltschaften verteilt sind. In Bezug auf Ermittlungen in Sachen Bestechung ausländischer Amtsträger weist Deutschland eine der höchsten Durchsetzungsquoten unter den Vertragsparteien des Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung auf.
Deutschland verfügt über einen dichten rechtlichen Rahmen für die Korruptionsprävention. Der Rahmen für die Korruptionsprävention ist sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene in mehreren Rechtsvorschriften enthalten. Die Richtlinie zur Korruptionsprävention in der Bundesverwaltung bildet den rechtlichen Rahmen für die Korruptionsprävention auf Bundesebene.
Seine Umsetzung wird von verschiedenen Stellen überwacht, z. B. dem federführenden Referat innerhalb des Bundesministeriums des Innern und dem Bundesrechnungshof. Das Bundesministerium des Innern ist derzeit mit einer Überarbeitung der Richtlinie befasst. Die Richtlinie wird durch detaillierte Leitfäden zu ihrer Umsetzung ergänzt (Verhaltenskodex, Leitfaden für Vorgesetzte und Behördenleitungen, Fokus auf Risikobewertung). Darüber hinaus arbeiten die Ministerien eigene Umsetzungsrichtlinien aus.
Deutschland hat Integritäts- und Präventionsmaßnahmen für Beamte und sonstige Bedienstete der öffentlichen Hand eingeführt. Die Regelungen für die Kontakte zu Dritten, die Annahme von Geschenken, die sekundäre Beschäftigung und die Tätigkeiten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses sind im Verhaltenskodex gegen Korruption und im Leitfaden für Vorgesetzte und Behördenleitungen enthalten. Hinzu kommen Bestimmungen im Strafgesetzbuch, im Bundesbeamtengesetz und im Bundesbeamtenstatut sowie Regelungen im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. Der Begriff des Bestechungsdelikts ist weit gefasst, und schon die bloße Annahme von Geschenken kann strafbar sein.
Die Vorschriften über Interessenkonflikte und Vermögenserklärungen für Mitglieder des Bundestags wurden überarbeitet. Die Offenlegung vergüteter Nebentätigkeiten und sonstiger externer Beziehungen von Mitgliedern des Bundestags wird durch das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages
, die Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestags und die Durchführungsbestimmungen zu diesen Verhaltensregeln geregelt.
Die meisten Länder verlangen die Offenlegung vergüteter Nebentätigkeiten für die Parlamentsmitglieder (Nebentätigkeiten sind nicht grundsätzlich verboten), doch mangelt es in einigen Ländern noch an entsprechenden Rechtsvorschriften.
Hinsichtlich der finanziellen Interessen (beispielsweise dem Halten von Beteiligungen) und etwaiger Aufträge von Behörden unterliegen die Bundestagsmitglieder keinerlei Verboten oder Beschränkungen.
Mitglieder des Bundestags müssen ihre Beteiligungen zwar offenlegen, aber nur wenn sie 25 % der Stimmrechte überschreiten. Die Zahl der Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung, die für Interessenkonflikte und Vermögenserklärungen zuständig sind, wurde 2019 erhöht. Die Gruppe der Staaten gegen Korruption (GRECO) stellte fest, es für eine wirksame Kontrolle der Anwendung der Vorschriften zusätzlicher Ressourcen bedarf.
Für die Mitglieder der Bundesregierung sind entsprechende Bestimmungen im Bundesministergesetz
enthalten. Nach diesem Gesetz dürfen Regierungsmitglieder keine anderen Ämter innehaben und müssen Geschenke, die sie im Zusammenhang mit ihrem Amt erhalten haben, anmelden.
Die Offenlegung von Vermögenswerten und Grundeigentum ist nicht geregelt. Auch für Bundestagsmitglieder ist der Besitz von Vermögenswerten oder finanziellen Interessen nicht anzeigepflichtig.
Auf Bundesebene und in den meisten Ländern gibt es eine Politik zur Regelung der „Drehtürpraxis“. 2015 wurde eine gesetzliche Karenzzeit für ausscheidende Bundeskanzler, Minister und parlamentarische Staatssekretäre eingeführt. Die derzeitigen und ehemaligen Mitglieder der Bundesregierung müssen die Bundesregierung benachrichtigen, wenn sie beabsichtigen, innerhalb von 18 Monaten nach dem Ausscheiden aus dem Amt außerhalb des öffentlichen Sektors zu arbeiten. Die parlamentarischen Staatssekretäre unterrichten das zuständige Mitglied der Bundesregierung.
Auch in einigen Bundesländern wurden Karenzzeiten eingeführt. Vorhanden sind solche Bestimmungen derzeit in sieben Bundesländern‚ während in drei weiteren über ihre Einführung nachgedacht wird.
Regelungen für die Kontakte zu Lobbyisten gibt es für die Mitglieder des Bundestages, die Bundesministerien und die Beamten der Bundesverwaltung. Der Bundestag verfügt bislang noch nicht über ein Lobbyregister. Der Bundestagspräsident führt eine öffentliche Liste, und Vertreter von Verbänden, die sich gegenüber dem Bundestag oder der Bundesregierung für die Belange von Interessenträgern einsetzen, können nur dann von den Bundestagsausschüssen angehört werden, wenn sie sich dort eingetragen haben. Die Eintragung erfolgt jedoch auf freiwilliger Basis. Nur Verbandsvertreter (also nicht Vertreter von Unternehmen, selbstständige Lobbyisten und sonstige Kategorien) müssen sich eintragen.
Für Beamte in der Bundesverwaltung enthält die Korruptionspräventionsstrategie Leitlinien für Kontakte zwischen Beamten und Dritten.
In verschiedenen sektorspezifischen Gesetzen gibt es Vorschriften zum Schutz von Hinweisgebern und Meldeverfahren für Hinweisgeber. Nach geltendem Recht gibt es beispielsweise im Gesundheitswesen die Verpflichtung, Meldekanäle für die Entgegennahme und Bearbeitung bestimmter Informationen von Hinweisgebern einzurichten.
Darüber hinaus haben viele Unternehmen von sich aus entsprechend den Empfehlungen des deutschen Kodexes für gute Unternehmensführung und -kontrolle („Deutscher Corporate Governance Kodex“) Systeme zum Schutz von Hinweisgebern eingerichtet.
Die Interessenträger haben Bedenken angemeldet, dass das Schutzniveau für Hinweisgeber von den jeweils geltenden Rechtsvorschriften abhängt und möglicherweise nicht immer ausreicht.
III.Medienpluralismus
Die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit
und das Recht auf Information sind im Grundgesetz
(GG) garantiert. Die Unabhängigkeit der 14 Medienbehörden ist in Staatsverträgen auf nationaler Ebene sowie in den Rundfunk- und Mediengesetzen der Länder verankert.
Das deutsche Recht sieht Transparenzvorschriften vor, die die Offenlegung der Eigentumsverhältnisse im Bereich der Nachrichtenmedien und die Offenlegung jeglicher Beteiligung politischer Parteien an Medienunternehmen vorschreiben.
Die inhaltsbezogene Medienregulierung fällt in die Zuständigkeit der Länder. Private Rundfunkanstalten werden von den 14 unabhängigen Landesmedienanstalten reguliert, die für die Erteilung von Lizenzen, die Zuteilung von Frequenzen und die Beaufsichtigung von privaten Rundfunkanstalten zuständig sind.
Sie überwachen die Einhaltung der Werbevorschriften und der Bestimmungen zum Jugendschutz und fördern Projekte zur Verbesserung der Medienkompetenz. Sie unterstützen ferner die Einführung neuer Rundfunktechnologien und tragen zur Sicherung der Vielfalt im privaten Rundfunk bei.
Bei den vierzehn Landesmedienanstalten handelt es sich um öffentliche Einrichtungen, deren Unabhängigkeit von politischer und kommerzieller Einflussnahme rechtlich garantiert ist. Sie verfügen über weitreichende Regelungsbefugnisse, wobei ihre Entscheidungen vor Verwaltungsgerichten angefochten werden können. Laut Überwachungsmechanismus für Medienpluralismus 2020 (Media Pluralism Monitor 2020 – „MPM 2020“; in englischer Sprache) ist der Indikator für die Unabhängigkeit und Leistungsfähigkeit der Medienanstalten in Deutschland mit einem sehr geringen Risiko behaftet.
Der Deutsche Presserat ist die von Medienherausgebern gegründete Organ der freiwilligen Selbstkontrolle der Printmedien
. Die wirksame Umsetzung des Grundgesetzes, das die Pressefreiheit garantiert und Zensur verbietet, gewährleistet die Unabhängigkeit der Presse und ihrer Selbstregulierungsorgane von politischer Einflussnahme. Der Presserat ist als eingetragener Verein organisiert, dem zwei Verleger- und zwei Journalistenorganisationen angehören: Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), Deutscher Journalisten-Verband (DJV), Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Anhand von Beschwerden überprüft er die Einhaltung ethischer Regeln für die tägliche Arbeit von Journalisten, die im Pressekodex festgehalten sind, und kann den betreffenden Pressedienst wegen Verstoßes gegen den Pressekodex öffentlich rügen. Finanziert wird die Arbeit des Presserates aus Beiträgen der Trägerverbände, und der Bund gewährt einen zweckgebundenen Zuschuss für die Arbeit des Beschwerdeausschusses.
Was die Transparenz der Eigentumsverhältnisse betrifft, so enthält das deutsche Recht spezifische Bestimmungen, die die Offenlegung der Eigentumsverhältnisse in der Medienbranche vorschreiben.
Private Rundfunkanstalten müssen Angaben zu den Eigentumsverhältnissen machen, um eine Rundfunklizenz zu beantragen und zu erhalten, und sie müssen über Pläne berichten, die sich auf die Aktionärsstruktur auswirken. Online-Medienunternehmen müssen ihre Informationen zu den Eigentumsverhältnissen über das Impressum auf ihren Internet-Seiten transparent darstellen. Im Hinblick auf die Presse werden diese Transparenzverpflichtungen für das Impressum in den jeweiligen Landespressegesetzen festgelegt. Politische Parteien müssen ihre Beteiligung an Medienunternehmen gemäß dem Gesetz über die politischen Parteien von 1967
offenlegen. Laut MPM 2020 ist der Indikator für die Transparenz der Eigentumsverhältnisse im Mediensektor mit einem sehr geringen Risiko behaftet.
Deutschland verfügt über funktionierende Schutzbestimmungen gegen die formelle Kontrolle der Medien durch politische Parteien. Der Indikator für die politische Unabhängigkeit der Medien ist mit einem geringen Risiko behaftet.
Nach dem Rundfunkstaatsvertrag ist Werbung politischer, weltanschaulicher oder religiöser Art in Radio, Fernsehen und audiovisuellen Mediendiensten auf Abruf (Video-on-demand) grundsätzlich unzulässig.
Politische Werbung ist ausschließlich während der Wahlperioden zulässig, in denen allen an den Wahlen teilnehmenden Parteien nach dem Grundsatz der Chancengleichheit angemessene Sendezeit einzuräumen ist.
Die Sendezeit für politische Werbespots ist unentgeltlich, und es können keine zusätzlichen Sendezeiten erworben werden. Die Verbreitung politischer Online-Werbung (über audiovisuelle Mediendienste auf Abruf hinaus) ist derzeit nicht geregelt. Allerdings wird der neue Rundfunkstaatsvertrag eine Bestimmung zur Transparenz politischer Werbung enthalten. Politiker und Parteien berichten in der Regel nicht über ihre Ausgaben für Werbung auf Online-Plattformen.
Der Rechtsrahmen für den Schutz von Journalisten ist vorhanden, wenngleich zunehmende Angriffe auf Journalisten Anlass zu Sorge geben. Der Rahmen für den Schutz von Journalisten wird durch die im Grundgesetz verankerte Pressefreiheit und Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film vorgegeben.
Ergänzt wird dies durch die einschlägigen Presse- und Mediengesetze der Länder. Journalisten haben das Recht, ihre Quellen zu schützen und ihre Aussage in Straf-, Zivil- und Verwaltungssachen zu verweigern. Bei berechtigtem Interesse garantiert das Grundgesetz das Recht auf Zugang zu Informationen. Der Zugang zu Informationen der Bundesregierung wird durch das Informationsfreiheitsgesetz geregelt. Dreizehn Bundesländer haben einen vergleichbaren Rechtsrahmen geschaffen. Journalisten werden auf der Grundlage der für alle Bürger/innen geltenden Strafgesetze vor Straftaten geschützt. Derzeit gibt es in Deutschland kein spezielles Gesetz zum Schutz von Journalisten vor Straftaten oder zu entsprechenden Ermittlungen. In der Polizeilichen Kriminalstatistik werden Angriffe auf Journalisten nicht separat bewertet, sondern als Straftaten gegen die Medien im Allgemeinen dargestellt. Die deutschen Behörden sind jedoch der Auffassung, dass vor dem Hintergrund der verfügbaren Statistiken über das Ausmaß des Problems ein gesondertes Gesetz zum Schutz von Journalisten und eine gesonderte Erfassung von Angriffen auf Journalisten nicht erforderlich sein dürften.
In Deutschland kann Verleumdung mit Freiheitsstrafe geahndet werden, wobei dies in der Praxis nur äußerst selten geschieht.
Dem MPM 2020 zufolge sind die allgemeinen grundlegenden Schutzindikatoren in Bezug auf den Beruf, die Standards und den Schutz von Journalisten mit einem geringen Risiko behaftet. Der einschlägige MPM-2020-Indikator für physische Sicherheit ist jedoch mit einem hohen Risiko behaftet. Nach Angaben von „Reporter ohne Grenzen“ waren im Jahr 2018 mindestens 22 und im Jahr 2019 mindestens 13 gewalttätige Angriffe auf Journalisten zu verzeichnen.
In den Jahren 2019 und 2020 veröffentlichte die Plattform des Europarats zum Schutz des Journalismus und der Sicherheit von Journalisten fünf Warnmeldungen in Bezug auf Deutschland, die Angriffe auf die physische Sicherheit, Schikanierung und Einschüchterung von Journalisten und andere Handlungen betrafen, die die Medienfreiheit beeinträchtigen.
IV.Sonstige institutionelle Fragen im Zusammenhang mit der Gewaltenteilung
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer Bundesstaat mit sechzehn Bundesländern. Die Staatsgewalt wird vom Bund und von den Ländern ausgeübt. Die Gewaltenteilung ist im Grundgesetz
und in den Verfassungen der Länder verankert. Auf Bundesebene liegt die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes beim Bundestag sowie beim Bundesrat, in dem die Länder vertreten sind.
Legislativvorschläge können von der Regierung, dem Bundesrat oder Mitgliedern des Bundestages eingebracht werden.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes tragen zur Wahrung der Grundrechte bei.
Die Durchführung von Folgenabschätzungen und die Konsultation von Interessenträgern sind bewährte Verfahren im Rahmen der Rechtsetzung. In Deutschland gibt es seit 2006 eine nationale Stelle für bessere Rechtsetzung, die die Bundesregierung in diesen Fragen berät. Um die Transparenz des Gesetzgebungsverfahrens auf Bundesebene zu erhöhen, beschloss die Bundesregierung im November 2019, alle Beiträge der Interessenträger zu Gesetzgebungsvorschlägen des Bundes online zu veröffentlichen. Diese Entwicklung wurde auch von der Staatengruppe des Europarates gegen Korruption (GRECO) als wichtiger Schritt zur Verbesserung der Transparenz des Gesetzgebungsverfahrens seitens der Bundesregierung begrüßt.
Ferner ist die Zusammenfassung der Beiträge auf einer einzigen Plattform geplant, da derzeit jedes Bundesministerium derartige Beiträge auf seiner eigenen Website veröffentlicht.
Die Achtung der Grundrechte und der Verfassungsrechte ist auf verschiedene Weise gewährleistet. Die verfassungsrechtliche Prüfung erfolgt sowohl auf Ebene des Bundes als auch auf Länderebene. Auf Bundesebene sieht das Grundgesetz eine Reihe unterschiedlicher Verfahren vor, die eine verfassungsrechtliche Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht ermöglichen.
Dazu gehören die abstrakte Normenkontrolle, die konkrete Normenkontrolle, Bund-Länder-Streit, Organstreitverfahren und Verfassungsbeschwerden; letztere können in Ausnahmefällen auch als Rechtssatzverfassungsbeschwerde eingereicht werden. Das Bundesverfassungsgericht kann auch einstweilige Anordnungen erlassen. Eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit besteht auch auf Länderebene. Bei Gesetzen der Länder wird sie von den jeweiligen Verfassungsgerichten der Länder vollzogen. Das System der verfassungsrechtlichen Kontrolle wird im Allgemeinen als wirksam angesehen. Das kürzlich ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020
hat jedoch Bedenken hinsichtlich des Umfangs seiner verfassungsrechtlichen Kontrolle gegenüber der Rechtsordnung der Europäischen Union aufgeworfen.
Die Interessenträger wiesen auch auf konkrete Aspekte im Zusammenhang mit den bestehenden Mechanismen zur Kontrolle der korrekten Umsetzung von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts hin. Es bestehen einige Bedenken, dass es keinen wirksamen Mechanismus gibt, um sicherzustellen, dass Urteile innerhalb einer bestimmten Frist umgesetzt werden; dies wird durch fehlende legislative Folgemaßnahmen zur Umsetzung eines richtungsweisenden Urteils zum Erbschaftsteuerrecht aus dem Jahr 2014
oder durch Fälle auf Ebene einiger Bundesländer belegt, in denen die Exekutive Verwaltungsgerichtsurteile im Bereich des EU-Rechts zur Luftqualität nicht umgesetzt hat
. Ein weiterer angesprochener Aspekt ist das Fehlen einer beschleunigten verfassungsrechtlichen Kontrolle neuer Gesetze, deren Verfassungsmäßigkeit fraglich ist und die Grund zu der Annahme geben, dass der Gesetzgeber frühere Urteile des Bundesverfassungsgerichts nicht vollständig umsetzt. Der einzige mögliche Rechtsbehelf in diesem besonderen Fall ist die Einreichung einer neuen Beschwerde, was mit erheblichen Belastungen für die beschwerdeführende Partei einhergehen kann.
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurde das Bundesverfassungsgericht mit bestimmten Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie
befasst und erließ gegen einige Maßnahmen einstweilige Anordnungen
. Darüber hinaus wurden in ganz Deutschland Verwaltungsgerichte in Verfahren für einstweilige Verfügungen in Bezug auf bestimmte staatliche Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie angerufen – in einigen Fällen mit Erfolg, wobei die Hauptverfahren noch nicht abgeschlossen sind.
Unabhängige Behörden spielen bei der Wahrung der Grundrechte eine wichtige Rolle. Dem Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR) wurde von der Globalen Allianz der nationalen Menschenrechtsinstitutionen im Einklang mit den sogenannten Pariser Grundsätzen der A-Status zuerkannt.
Was die Antidiskriminierungsstelle des Bundes betrifft, bei der es sich um die nationale Gleichstellungsstelle handelt, scheint das Ernennungsverfahren für ihre Leitung anfällig für längere Verzögerungen und Spannungen zu sein. Seit April 2018 wird sie nur ad interim geleitet.
Neben dem Bund haben auch acht Bundesländer Antidiskriminierungsstellen eingerichtet.
Es sind günstige Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft vorhanden, und der Informationszugang für die Bürgerinnen und Bürger wird politisch aktiv gefördert. Zivilgesellschaftliche Organisationen können in Deutschland frei agieren.
Diskussionen gibt es über ein Urteil des Bundesfinanzhofs aus dem Jahr 2019, in dem es um die Kriterien geht, nach denen zivilgesellschaftliche Organisationen Steuerprivilegien für gemeinnützige Organisationen ohne Erwerbszweck in Anspruch nehmen können.
Interessenträger wie z. B. das Deutsche Institut für Menschenrechte sind der Ansicht, dass dieses Urteil den Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft einschränkt.
Regelmäßige Debatten und Veröffentlichungen zu Themen der Rechtsstaatlichkeit, sowohl aus nationaler als auch aus europäischer Sicht, tragen zur Förderung einer dynamischen Kultur der Rechtsstaatlichkeit bei. Eine weit beachtete Plattform für Diskussionen über Fragen der Rechtsstaatlichkeit
hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen und ist zu einem Forum für innerstaatliche wie auch europäische Diskussionen über die Rechtsstaatlichkeit geworden. Im Jahr 2019 führte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Rahmen des „Pakts für den Rechtsstaat“ eine landesweite Informations- und Öffentlichkeitsarbeitskampagne durch. Im Mittelpunkt dieser Kampagne stand die Sensibilisierung für die Bedeutung des Rechtsstaats und der Garantien, die er sowohl für jede Bürgerin und jeden Bürger als auch für eine demokratische Gesellschaft bietet. Dies spiegelt sich auch im Programm des deutschen Ratsvorsitzes (2020) wider.
Anhang I: Verzeichnis mit Quellenangaben (alphabetisch geordnet)*
* Die Liste der Beiträge, die im Rahmen der Konsultation zum Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020 eingegangen sind, ist abrufbar unter (Website der Kommission).
Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (1993): Grundsätze zum Status nationaler Stellen (Pariser Grundsätze – in englischer Sprache) – von der Generalversammlung mit Resolution 48/134 vom 20. Dezember 1993 angenommen.
Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2020), Beitrag zum Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020.
Bundesanwaltskammer (2020), Beitrag zum Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 10. Januar 2019, V R 60/17.
Bundeskriminalamt (2018), Bundeslagebild Korruption 2017.
https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/Korruption/korruptionBundeslagebild2017.html?nn=28078
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Bundeskriminalamt (2019), Bundeslagebild Korruption 2018.
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2017), Gerichte des Bundes und der Länder.
https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF/Anzahl_der_Gerichte_des_Bundes_und_der_Laender.pdf?__blob=publicationFile
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Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019), Pakt für den Rechtsstaat.
https://www.bmjv.de/SharedDocs/Artikel/DE/2019/020119_Rechtstaat.html
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Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2019), Korruptionsprävention in der Bundesverwaltung – Jahresbericht 2018.
https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/moderne-verwaltung/korruptionspraevention/korruptionspraevention-jahresbericht-2018.pdf?__blob=publicationFile&v=2
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Bundesregierung (2004), Richtlinie der Bundesregierung zur Korruptionsprävention in der Bundesverwaltung.
http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_30072004_O4634140151.html
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Bundesregierung (2020), Beitrag Deutschlands zum Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020.
Bundestag (2020), Plenarprotokoll 19/163.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15. April 2020, 1 BvR 828/20.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29. April 2020, 1 BvQ 44/20.
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17. Dezember 2014, 1 BvL 21/12.
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 5. Mai 2015, 2 BvL 17/09.
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 5. Mai 2020, 2 BvR 859/15.
Bundesverfassungsgericht, Webseite zu den Verfahrensarten.
https://www.bundesverfassungsgericht.de/EN/Verfahren/Wichtige-Verfahrensarten/wichtige-verfahrensarten_node.html
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Centre for Media Pluralism and Media Freedom [Zentrum für Medienpluralismus und -freiheit] (2020), Media pluralism monitor [Überwachungsmechanismus für Medienpluralismus] 2020
https://cmpf.eui.eu/media-pluralism-monitor/mpm-2020
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CIVICUS, Monitor tracking civic space: Germany [Mechanismus zur Einstufung des zivilgesellschaftlichen Raums: Deutschland].
https://monitor.civicus.org/country/germany/
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Der Spiegel (2017), Was Abgeordnete nebenher verdienen.
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/nebeneinkuenfte-in-den-landtagen-das-sind-die-top-verdiener-a-1136866.html
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Deutscher Anwaltverein (2020), Beitrag zum Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020.
Deutscher Presserat, Pressekodex.
https://www.presserat.de/pressekodex.html
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Deutscher Richterbund (2020), Beitrag zum Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020.
Die Linke, Vorschlag zur Einführung eines verbindlichen Transparenzregisters:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/000/1900015.pdf
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Europäische Kommission (2013, 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019, 2020), EU-Justizbarometer.
Europäische Kommission (2019), Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über den Umfang, in dem die Mitgliedstaaten die für die Einhaltung des Rahmenbeschlusses 2003/568/JI des Rates vom 22. Juli 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor erforderlichen Maßnahmen getroffen haben (COM(2019) 355 final).
Europäische Kommission (2020), Bericht über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten,
Europarat, Plattform zum Schutz des Journalismus und der Sicherheit von Journalisten.
https://www.coe.int/en/web/media-freedom
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Europarat: Ministerkomitee (2000), Empfehlung Rec(2000) 19 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten zur Rolle der Staatsanwaltschaft in der Strafjustiz (in englischer Sprache).
European Network of National Human Rights Institutions [europäisches Netz nationaler Menschenrechtsinstitutionen] (2020), Beitrag zum Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020.
European University Institute, Centre for Media Pluralism and Media Freedom, Media Pluralism Monitor 2020 [Europäisches Hochschulinstitut, Zentrum für Medienpluralismus und -freiheit, Überwachungsmechanismus für Medienpluralismus 2020].
Generaldirektion Kommunikation (2019, 2020), Flash Eurobarometer 482: businesses’ attitudes towards corruption in the EU [Einstellung der Unternehmen zur Korruption in der EU].
Generaldirektion Kommunikation (2020), Special Eurobarometer 502: corruption [Korruption].
Gerichtshof der Europäischen Union (2020), Pressemitteilung im Nachgang zum Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020, Nr. 58/20.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 27. Mai 2019‚ OG und PI, verbundene Rechtssachen C-508/18 und C-82/19.
GRECO (2015), vierte Evaluierungsrunde – Evaluierungsbericht über Deutschland zur Korruptionsprävention in Bezug auf Mitglieder des Bundestags, Richter und Staatsanwälte (in englischer Sprache).
GRECO (2019), vierte Evaluierungsrunde – zweiter Compliance-Bericht über Deutschland zur Korruptionsprävention in Bezug auf Mitglieder des Bundestags, Richter und Staatsanwälte (in englischer Sprache).
Medienanstalten, „Rechtsgrundlagen“.
https://www.die-medienanstalten.de/service/rechtsgrundlagen
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Medienanstalten, „Über uns“.
https://www.die-medienanstalten.de/ueber-uns
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OECD (2018), Implementing the OECD anti-bribery convention – Phase 4 report: Germany [Umsetzung des OECD-Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung – Phase-4-Bericht: Deutschland].
https://www.oecd.org/corruption/anti-bribery/Germany-Phase-4-Report-ENG.pdf
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Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen (2020), Erklärung von Präsidentin von der Leyen, Erklärung/20/846.
Reporter ohne Grenzen (2019, 2020), Rangliste der Pressefreiheit (in englischer Sprache).
https://rsf.org/en/ranking/2019
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https://rsf.org/en/ranking/2020
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Transparency International (2019), Corruption Perceptions Index 2019 [Korruptionswahrnehmungsindex 2019].
https://www.transparency.org/en/cpi/2019/results/deu
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UN Office on Drugs and Crime (2019), Review of implementation of the United Nations Convention against Corruption – Executive summary: Germany [Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (2019), Überprüfung der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Korruption – Zusammenfassung: Deutschland].
https://www.unodc.org/documents/treaties/UNCAC/WorkingGroups/ImplementationReviewGroup/17-18December2019/V1911805e.pdf
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Verfassungsblog: on matters constitutional. https://verfassungsblog.de/.
Virtueller Länderbesuch in Deutschland im Zusammenhang mit dem Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020.
Weltbank, Länderprofil: Deutschland (in englischer Sprache).
https://star.worldbank.org/sites/star/files/germany-ad-country-profile.pdf
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Anhang II: Länderbesuch in Deutschland
Die Dienststellen der Kommission hielten im Juni 2020 virtuelle Sitzungen mit folgenden Stellen ab:
·Bayerische Staatskanzlei
·Bundeskriminalamt
·Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
·Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat
·Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK)
·Deutscher Anwaltverband (DAV)
·Deutscher Richterbund
·Europaausschuss der Justizministerkonferenz der Bundesländer
·Gemeinsame Geschäftsstelle der Medienanstalten
·Transparency International Deutschland
* Die Kommission traf außerdem in einer Reihe horizontaler Sitzungen mit Vertreterinnen und Vertretern folgender Organisationen zusammen:
·Amnesty International
·Civil Liberties Union for Europe
·Civil Society Europe
·EuroCommerce
·Europäisches Bürgerforum
·Europäisches Zentrum für Presse- und Medienfreiheit
·European Center for Not-for-Profit Law
·Fédération internationale des ligues des droits de l’Homme
·Free Press Unlimited
·Front Line Defenders
·ILGA-Europe
·International Press Institute
·Internationale Juristenkommission
·Konferenz Europäischer Kirchen
·Lifelong Learning Platform
·Open Society Justice Initiative/Open Society European Policy Institute
·Reporter ohne Grenzen
·Transparency International EU