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Document 52020IR2016

Stellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen — Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2020-2025

COR 2020/02016

ABl. C 440 vom 18.12.2020, p. 92–98 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

18.12.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 440/92


Stellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen — Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2020-2025

(2020/C 440/16)

Berichterstatterin:

Concepción ANDREU RODRÍGUEZ (ES/SPE), Präsidentin der Regionalregierung von La Rioja

Referenzdokument:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2020-2025

COM(2020) 152 final

POLITISCHE EMPFEHLUNGEN

DER EUROPÄISCHE AUSSCHUSS DER REGIONEN

1.

betont, dass das in Artikel 8 AEUV und in der europäischen Säule sozialer Rechte verankerte Recht auf Gleichbehandlung und Chancengleichheit der Geschlechter in allen Bereichen gewährleistet und gefördert werden muss;

2.

begrüßt die Mitteilung „Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2020-2025“ sowie die Vision, die politischen Ziele und die Maßnahmen, die darin dargelegt werden, und sieht darin eine äußerst wertvolle Grundlage für konkrete Fortschritte im Gleichstellungsbereich in der Europäischen Union;

3.

hält den Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung, der auf den 25. Jahrestag der Erklärung und Aktionsplattform von Beijing, des ersten universellen Aktionsplans zur Förderung der Geschlechtergleichstellung, fällt, für sehr passend. Die darin ausgesprochenen Empfehlungen sind auch heute noch aktuell. Der Zeitpunkt ist auch deshalb günstig, weil die Mitteilung zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele — die Geschlechtergleichstellung bildet in jeder Hinsicht ein Kernelement einer inklusiven und nachhaltigen Entwicklung — beiträgt;

4.

unterstreicht, wie wichtig die gemeinsame Governance mit der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten als Schlüsselakteuren ist, betont jedoch, dass auch die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und der dritte Sektor einbezogen und sichtbar gemacht werden müssen, da sie zentrale Akteure bei der Durchführung von Maßnahmen mit unmittelbarer Auswirkung auf die Bürgerinnen und Bürger sind. In der Strategie wiederum wird auf die Bedeutung hingewiesen, die bei dieser Governance der Zusammenarbeit öffentlicher und privater Akteure in der EU zukommt;

5.

fordert, die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften aufgrund ihrer Zuständigkeiten und der entsprechend von ihnen geleisteten Arbeit bei der Konzipierung, Umsetzung und Überwachung der Strategie als strategische Partner anzuerkennen und die für die Umsetzung der Strategie benötigten Ressourcen sicherzustellen;

6.

hebt hervor, dass mit Organisationen der Zivilgesellschaft, Frauenorganisationen und den jüngeren Generationen zusammengearbeitet werden muss, da ihnen bei der Durchführung der Gleichstellungsmaßnahmen eine wichtige Rolle zukommt;

7.

appelliert daher an die Kommission, zur Gewährleistung eines gleichstellungsorientierten Ansatzes bei den Maßnahmen, Programmen und Projekten eine interinstitutionelle Arbeitsgruppe einzusetzen, die eine solche Multi-Level-Governance sicherstellt, um wirksam auf eine echte Geschlechtergleichstellung hinzuarbeiten;

8.

spricht sich für formelle Treffen der für Gleichstellungsfragen zuständigen Ministerinnen und Minister im EU-Rat aus sowie dafür, wie im siebten Vorschlag der von Deutschland, Portugal und Slowenien unterzeichneten Erklärung des Dreiervorsitzes zur Gleichstellung der Geschlechter angeregt wird, zur Bezeichnung des Rates Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz den Begriff „Gleichstellung“ hinzuzufügen;

9.

betont, dass eine intersektionale Perspektive erforderlich ist, um schutzbedürftige Personen, insbesondere benachteiligte Gruppen wie unter anderem Migrantinnen oder LGBTI-Personen, die möglicherweise aufgrund einer Behinderung, des Alters, der ethnischen Herkunft, der sexuellen Orientierung, der Religion, der Weltanschauung oder der Geschlechtsidentität Mehrfachdiskriminierungen ausgesetzt sind, in die Umsetzung der Strategie einzubeziehen; fordert die Kommission daher auf, diesen intersektionalen Ansatz stärker auszubauen und einen Leitfaden auszuarbeiten, um seine Umsetzung bei der Planung, Verwaltung und Bewertung staatlicher Maßnahmen zu erleichtern;

10.

weist darauf hin, dass die intersektionalen Maßnahmen mit erfolgreichen sektorspezifischen Maßnahmen gekoppelt werden müssen, da sich nur so ein umfassender und wirksamer gleichstellungsorientierter Ansatz in der öffentlichen Politik erreichen lässt. Hierfür bedarf es unbedingt in Gleichstellungsfragen qualifizierten und/oder geschulten Personals sowie der Förderung einschlägiger Maßnahmen für lebenslanges Lernen in allen Bereichen der Entscheidungsfindung und der politischen Verwaltung;

11.

teilt die Auffassung, dass sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor inklusive und vielfältige Strategien wichtig sind, um die komplexen Herausforderungen und Lebenssituationen, mit denen Frauen in all ihrer Vielfalt konfrontiert sind, besser anzugehen. Zum anderen ist für mehr Frauen in Führungspositionen und ihre verstärkte Einbindung in alle Entscheidungsprozesse Sorge zu tragen;

12.

weist darauf hin, dass die Strategie vor der COVID-19-Krise ausgearbeitet und veröffentlicht wurde und die Erholung von dieser Krise die Zukunft der EU-Politik bestimmen wird. Daher muss die Gleichstellung unbedingt eine Priorität bleiben und der Geschlechterperspektive sowohl bei den Entscheidungen und Maßnahmen in Reaktion auf die Pandemie als auch bei den Initiativen für die wirtschaftliche und soziale Erholung Rechnung getragen werden; hebt hervor, dass die Krise vor Augen geführt hat, wie strategisch wichtig und systemrelevant der Sozial- und Gesundheitssektor für unsere Gesellschaften ist, und dass auf die erheblichen geschlechts- und altersspezifischen Verzerrungen in diesem Sektor aufmerksam gemacht werden muss; stellt zudem fest, dass die COVID-19-Krise die zwischen den Geschlechtern bestehenden Ungleichheiten nur noch mehr verstärkt hat, und fordert eine gleichberechtigte und inklusive Erholung;

Keine Gewalt oder Stereotype

13.

begrüßt, dass die Europäische Kommission die Beendigung geschlechtsspezifischer Gewalt als eine der größten Herausforderungen unserer Gesellschaft anerkennt, und fordert alle Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, das Übereinkommen von Istanbul als zentrale Verpflichtung zur Bekämpfung, Verhütung und Verfolgung von Gewalt gegen Frauen zu ratifizieren;

14.

ruft gemeinsam mit der Kommission die Mitgliedstaaten dazu auf, das Übereinkommen Nr. 190 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) zu ratifizieren;

15.

ersucht die Europäische Kommission nachdrücklich darum, alle Formen der Gewalt gegen Frauen und Mädchen als „EU-Straftatbestand“ in Artikel 83 AEUV aufzunehmen und sich in der Strategie für die Rechte von Opfern, die sie 2020 vorlegen wird, intensiver mit dem Problem der geschlechtsspezifischen Gewalt zu befassen, indem sie darin auf schutzbedürftige Frauen eingeht; schlägt zu diesem Zweck vor, Protokolle für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit innerhalb der Union anzunehmen;

16.

fordert die Kommission auf, legislative Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, Jugendliche und Mädchen zu ergreifen, die mit dem EU-Recht und dem internationalem Recht in Einklang stehen und diese ergänzen und sich gegen alle Formen von Gewalt, einschließlich Gewalt im Internet — die unter jüngeren Menschen zur Norm zu werden droht — und Gewalt im Namen der Ehre, richten;

17.

stimmt der Kommission dahingehend zu, dass eine Empfehlung zur Verhütung schädlicher Praktiken wie unter anderem Genitalverstümmelung oder Zwangsheirat erforderlich ist, in der die Notwendigkeit wirksamer Präventiv- und Bildungsmaßnahmen für alle Altersgruppen und Bereiche der Gesellschaft hervorgehoben wird und die den Ausbau von öffentlichen Dienstleistungen und fachlichen Kapazitäten sowie einen auf die Bedürfnisse der Opfer ausgerichteten Zugang zur Justiz zum Gegenstand hat;

18.

fordert eine strukturierte Einbindung der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften in das EU-Netz zur Verhütung von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt, das im Rahmen der Gleichstellungsstrategie für den Austausch bewährter Verfahren eingerichtet werden soll, sowie in die Finanzierung von Schulungen, des Aufbaus fachlicher Kapazitäten und von Unterstützungsdiensten. Zentrale Bedeutung wird dabei die Gewaltprävention mit dem Fokus auf Männern, Jungen und Männlichkeit haben;

19.

weist darauf hin, dass die Ausgangsbeschränkungen während der COVID-19-Krise zu einem Anstieg der Zahl der bekannten Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt geführt haben; hält es in diesem Zusammenhang für dringend erforderlich, die einschlägigen Maßnahmen für eine wirksame Hilfe und Reaktion in Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt zu verbessern, indem die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet werden, da sie bei der Bekämpfung der Pandemie an vorderster Front stehen;

20.

begrüßt die Anerkennung von Geschlechterstereotypen als eine der Hauptursachen für die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern; unterstreicht zudem, dass mehr Informationen über Maßnahmen und bewährte Verfahren zur Beseitigung dieser Stereotype in Bereichen wie formale und informelle Bildung, Arbeit, Kommunikation und Werbung bereitgestellt werden müssen; betont ferner, dass genauer untersucht werden muss, wie sich die verschiedenen Diskriminierungsgründe innerhalb dieser geschlechtsspezifischen Stereotype im Einzelnen auswirken; betont insbesondere, wie wichtig die Rolle des Bildungssystems und damit der Schulung der Lehrkräfte in Gleichstellungsfragen als entscheidender Motor des Wandels ist, um die dem Patriarchat zugrunde liegenden Werte im Sinne einer Gesellschaft mit einer tatsächlichen Geschlechtergleichstellung zu verändern;

21.

hebt die Schlüsselrolle hervor, die allen Menschen jeglichen Alters, insbesondere jungen Menschen, als Akteuren eines verantwortungsvollen und aktiven Wandels bei der Wahrung der Geschlechtergleichstellung im beruflichen, familiären und persönlichen Bereich zukommt. In diesem Zusammenhang erfüllen die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften eine wesentliche Funktion bei der Förderung der Sensibilisierung und der Aus- und Weiterbildung;

22.

fordert, die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in die Konzipierung und Durchführung der EU-weiten Sensibilisierungs- und Kommunikationskampagne einzubeziehen, die zur Bekämpfung von Geschlechterstereotypen notwendig ist, und betont, dass der Jugend als Katalysator des Wandels besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte;

23.

weist darauf hin, dass im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte nicht nur geschlechtsspezifische Studien durchgeführt werden müssen, sondern es zudem gilt, bewährte Verfahren auszutauschen, den allgemeinen Zugang zu Dienstleistungen im Bereich der Familienplanung sowie der sexuellen und reproduktiven Gesundheit zu gewährleisten oder werturteilsfreie einschlägige Aufklärungs- und Bildungsmaßnahmen mit einem positiven und inklusiven Ansatz zu konzipieren;

Entfaltung in einer geschlechtergerechten Wirtschaft

24.

betont, dass die vertikale und horizontale Segregation zwischen Frauen und Männern bekämpft werden muss, da größtenteils Frauen in den prekärsten und am schlechtesten bezahlten Beschäftigungsverhältnissen stehen, was sich besonders auf das eindeutige Lohn- und Rentengefälle auswirkt. Außerdem muss dafür gesorgt werden, dass auch geschlechtliche Minderheiten im Arbeitsleben vorankommen können;

25.

sieht dem anstehenden Vorschlag der Kommission zur Lohntransparenz, der zur Feststellung und anschließenden Beseitigung des geschlechtsspezifischen Lohn- und damit letztlich des Rentengefälles beitragen dürfte, erwartungsvoll entgegen. Obwohl die Lohnfestsetzung in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, muss der Grundsatz des gleichen Entgelts für gleichwertige Arbeit uneingeschränkt durch Maßnahmen Anwendung finden, die Geheimhaltungsklauseln zum Gehalt, die jährlichen Lohnprüfungen sowie das Recht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern betreffen, von ihren Arbeitgebern geschlechtsspezifische Lohninformationen zu verlangen;

26.

unterstützt die Forderung der Kommission an die Mitgliedstaaten, die Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben so bald wie möglich umzusetzen, damit Männer und Frauen sich sowohl persönlich als auch beruflich gleichberechtigt entfalten können, und mit der Richtlinie für eine ausgewogene und gleichberechtigte Aufteilung der gemeinsamen Pflichten zu sorgen;

27.

teilt die in der Strategie zum Ausdruck gebrachte Notwendigkeit, eine ausgewogene Aufteilung der bezahlten und unbezahlten Betreuungs- und Pflegeaufgaben zu fördern, um die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen zu gewährleisten; fordert die Europäische Union nachdrücklich auf, die Barcelona-Ziele zu überprüfen und auszubauen, indem sie verbindlich vorgeschrieben werden, sowie über Barcelona hinausgehende Ziele für die Betreuung und Pflege (Barcelona+) einzuführen, um dem Bedarf in alternden Gesellschaften Rechnung zu tragen und anzuerkennen, dass der Pflegebereich stark von Frauen dominiert wird, die Entlohnung jedoch nicht seinem gesellschaftlichen Wert entspricht;

28.

ersucht die Europäische Kommission, nach dem Vorbild der Jugendgarantie eine unionsweite Betreuungs- und Pflegevereinbarung in Erwägung zu ziehen, um den Bedarf im Rahmen eines rechtebasierten Ansatzes zu decken, bei dem Betreuung und Pflege im Mittelpunkt der Wirtschaftstätigkeit stehen und die Investitionen in Gesundheit sowie Betreuung und Pflege im Einklang mit der Strategie für die Ökonomie des Wohlergehens erhöht werden; ersucht die Kommission und appelliert nachdrücklich an die Mitgliedstaaten, die Forderungen der Hausangestellten in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in das IAO-Übereinkommen Nr. 189 aufzunehmen;

29.

hält es für wichtig, dass in der Strategie ausdrücklich auf die territoriale Dimension und aufgrund ihrer spezifischen Merkmale insbesondere auf die ländlichen und dünn besiedelten Gebiete Bezug genommen wird; unterstreicht die Schlüsselrolle der Frauen im ländlichen Raum als entscheidender Faktor für seine territoriale, wirtschaftliche und soziale Struktur; hält es für unabdingbar, die Einbindung von Frauen in lokale Aktionsgruppen und Netze zur Entwicklung des ländlichen Raums sowie ihre Führungsrolle in diesen zu stärken; weist zusätzlich darauf hin, dass gerade im ländlichen Raum Betreuungs- und Pflegeangebote für Kinder und Angehörige auszubauen sind;

30.

begrüßt, dass in der Strategie die Notwendigkeit hervorgehoben wird, das geschlechtsspezifische Gefälle im Zusammenhang mit digitalem Wandel und Innovation abzubauen, indem der Anteil von Frauen an Studiengängen und Berufen in den Bereichen MINKT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Künste und Technik) und IKT gefördert wird, und fordert nachdrücklich, dass auch neue Formen des Sexismus im Internet und am Arbeitsplatz, wie sie in einigen diskriminierenden Systemen der künstlichen Intelligenz vorkommen, angegangen werden; hebt in diesem Zusammenhang die Bedeutung einer gleichstellungsorientierten Kodierung hervor und fordert eine gleichberechtigte Beteiligung aller Geschlechter an der Konzipierung, Umsetzung und Bewertung von ethischen Grundsätzen und Normen für KI-Technologien sowie an der diesbezüglichen Debatte; teilt die Auffassung, dass die Zahl der Frauen in digitalen und innovativen Sektoren steigen muss, da diese für den Wandel in unseren Gesellschaften grundlegend sind; betont in diesem Zusammenhang, dass bei der Ausbildung und beim lebenslangen Lernen in Bezug auf die sachgemäße und sichere Nutzung neuer Technologien und sozialer Medien für Gleichbehandlung zu sorgen ist;

31.

fordert im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben eine geschlechtsspezifische Analyse der Schwierigkeiten, die viele Familien in der gesamten EU dabei haben, während der COVID-19-Krise Telearbeit mit der Belastung durch Betreuung und Pflege zu vereinbaren. Im Hinblick auf eine mögliche Regulierung der Telearbeit gilt es, darauf zu achten, dass diese nicht zu einem Mechanismus wird, der Frauen zu Heim und Herd zurückbringt; unterstreicht die besondere Notwendigkeit, auf die Situation derjenigen Familien zu achten, die größere Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit haben, wie etwa Einelternfamilien, in denen die Alleinerziehenden hauptsächlich Frauen sind;

32.

weist darauf hin, dass Frauen in der gesamten Europäischen Union während der COVID-19-Pandemie an vorderster Front gearbeitet haben (Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung, Altenpflege, Hausarbeit und Einzelhandel usw.), was die Ansteckungsgefahr für sie erhöhte. Darüber hinaus gehören einige dieser Berufe zu den in der EU am wenigsten angesehenen und am schlechtesten bezahlten; fordert deshalb, dass das Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern in denjenigen Berufen, die sich während der Pandemie, insbesondere in Bezug auf Betreuung und Pflege, als wesentlich erwiesen haben, bei den Maßnahmen zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Prekarität berücksichtigt wird. Zudem darf nicht vergessen werden, dass viele der Berufe, die sich auf Pflege und häusliche Arbeit konzentrieren, von Migrantinnen ausgeübt werden, denen gegenüber es gleich ein doppeltes Vorurteil gibt; der Geschlechterperspektive muss in den Aufbauplänen Rechnung getragen werden und die Unternehmerinnen und ihre Unternehmensprojekte sowie Frauen in Führungspositionen müssen gefördert werden, wobei die Zusatzbelastung durch die Telearbeit hervorgehoben werden muss;

33.

fordert die Kommission auf, eine Analyse der kurz- und langfristigen Auswirkungen von COVID-19 auf die Gleichstellung der Geschlechter durchzuführen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Da Frauen und Männer die Pandemie unterschiedlich erfahren haben, sind nach Geschlecht aufgeschlüsselte Daten sehr wichtig, um in vollem Umfang erfassen zu können, auf welche Weise Frauen und Männer von dem Virus betroffen sind. Hierbei sollten nicht nur die Auswirkungen auf die unmittelbar von der Krankheit Betroffenen oder diejenigen, die in der Gesundheitskrise an vorderster Front tätig sind, sondern auch die Auswirkungen auf die Wirtschaft, die Bildung, die Verteilung von Pflege- und Betreuungsarbeit und das Ausmaß der häuslichen Gewalt berücksichtigt werden;

Gleichstellung in Entscheidungsprozessen

34.

unterstreicht den geringeren Anteil von Frauen an Führungspositionen sowie die Tatsache, dass nur 15 % der Bürgermeister, 21 % der Regionalpräsidenten, 35 % der Mitglieder regionaler Parlamente und 23 % (1) der Mitglieder des Ausschusses der Regionen Frauen sind; bedauert, dass diese Daten in der Strategie nicht erwähnt werden, da sie die in diesem regionalen und lokalen Umfeld bestehende Kluft sichtbar machen;

35.

fordert die Kommission auf, die Mitgliedstaaten zu ersuchen, mit Blick auf Kommunal- und Regionalwahlen Initiativen zur Stärkung der Rolle der Frau zu organisieren und zu unterstützen, um Diskriminierung und Hindernisse zu überwinden, denen sich Frauen hier gegenübersehen, einschließlich Stereotypen und sozialer Normen, die dazu führen, dass Frauen in Führungspositionen weniger Anerkennung erfahren als Männer. Auch die Kandidatur von Frauen bei Kommunal- und Regionalwahlen muss unbedingt unterstützt werden;

36.

weist darauf hin, dass das Problem der Gewalt gegen politische Mandatsträgerinnen und Frauen des öffentlichen Lebens, einschließlich der Online-Einschüchterung über soziale Medien, konkret angegangen werden muss. Dabei handelt es sich um einen Faktor, der sich auf die Fähigkeit von Frauen auswirkt, gleichberechtigt am politischen und öffentlichen Leben teilzunehmen;

37.

fordert die europäischen Institutionen, zu denen der Ausschuss der Regionen gehört, auf, Verhaltenskodizes anzunehmen, die ein ausgeglichenes Verhältnis von Frauen und Männern bei ihrer Zusammensetzung und ihren Führungspositionen fördern, wobei das Endziel darin besteht, unter den Mitgliedern des Ausschusses für Geschlechterparität zu sorgen;

38.

hält es für erforderlich, die Annahme und Umsetzung des Verhaltenskodex für die kommenden Jahre zu einer seiner Prioritäten zu machen, und betont, dass die Anwendung des Grundsatzes der Geschlechterparität mittels jährlicher Berichte überprüft werden muss, in denen die ergriffenen Maßnahmen (zur Gewährleistung einer ausgewogenen Verteilung in verschiedenen Rechtsakten und Berichten) analysiert werden. Die Ergebnisse sollten auf der Plenartagung mitgeteilt werden, die am ehesten mit dem Internationalen Frauentag zusammenfällt;

39.

fordert, die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften am Programm für gegenseitiges Lernen im Bereich der Geschlechtergleichstellung zu beteiligen, um den Austausch bewährter Verfahren zu fördern, und fordert, spezifische Schulungen zu gleichstellungsbezogenen Themen auf allen Ebenen zu fördern sowie das Berufsbild des Gleichstellungsbeauftragten einzuführen;

40.

merkt an, dass sich die EU-Plattform der Chartas für Vielfalt stark auf den Privatsektor konzentriert, weshalb sie für die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften geöffnet werden könnte, damit repräsentative Beispiele und bewährte Verfahren der unterschiedlichen Ebenen und Gebiete der Union zur Verfügung stehen; schlägt vor, die Charta für die Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene unter die Chartas für Vielfalt aufzunehmen;

Die Geschlechterperspektive in Politik und Haushalt

41.

teilt die Auffassung, dass die zentralen Herausforderungen, vor denen die Europäische Union heute steht, allesamt eine geschlechtsspezifische Dimension haben; ist jedoch der Ansicht, dass die Geschlechterperspektive weder in der Politik noch im Haushalt der Europäischen Union klar und ausreichend berücksichtigt wird;

42.

fordert, die Strategie deutlicher mit den wichtigsten politischen Prioritäten und Strategien der Union zu verknüpfen, insbesondere hinsichtlich des Übergangs zu einer klimaneutralen Wirtschaft, des digitalen Wandels und der demografischen Herausforderung; weist darauf hin, dass die strategischen Prioritäten der EU von erheblichen geschlechtsspezifischen Vorurteilen geprägt sind, deren Beseitigung für den Erfolg unserer Gesellschaften auf dem Weg zur Defossilierung, Digitalisierung oder Integration der territorialen Dimension von entscheidender Bedeutung ist;

43.

unterstützt die Anwendung von Methoden zur Berücksichtigung des Gleichstellungsaspekts bei der Haushaltsplanung für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027. Die Finanzierungsregelungen auf Unionsebene sollten überarbeitet werden, um die Vorgaben und Zielsetzungen der Strategie zu erreichen und in alle Finanzierungsprogramme ein spezifisches Ziel „Geschlechtergleichstellung“ sowie einen Konditionalitätsmechanismus aufzunehmen, der die Gleichstellung durch entsprechende Zielvorgaben und Strategien für den Zugang zu Finanzmitteln gewährleistet; betont in diesem Zusammenhang, dass das Europäische Semester und der Bericht zur Rechtsstaatlichkeit dazu dienen könnten, Herausforderungen im Bereich der Geschlechtergleichstellung durch die länderspezifischen Empfehlungen und durch die Aufnahme gezielter Maßnahmen in die nationalen Reformprogramme und in die nationalen Programme für Wiederaufbau und Widerstandsfähigkeit zu überwachen;

44.

vertritt die Auffassung, dass der Überwachungsrahmen für die Umsetzung der Strategie durch wirksame Indikatoren für die Messung und Bewertung der geschlechtsspezifischen Auswirkungen sowie durch die Einführung von Zeitplänen und Maßnahmen zur Gewährleistung der Rechenschaftspflicht gestärkt werden muss; erinnert daran, wie wichtig Jahresberichte sind, in denen die Fortschritte der Mitgliedstaaten in Gleichstellungsfragen sowie die bewährten Verfahren der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften festgehalten werden; unterstreicht die Notwendigkeit, in der gesamten Gemeinschaftspolitik nach Geschlecht aufgeschlüsselte sowie geschlechtsspezifische Indikatoren einzubeziehen und einen internationalen Ansatz zu verfolgen, um Aspekte wie Alter, sexuelle Identität, Art der Behinderung, Migrationsstatus oder Dimension Stadt/Land anzugehen;

45.

fordert, in die von der Europäischen Kommission neu eingerichtete Task-Force für Gleichheitspolitik einbezogen zu werden, um eine wirksame Berücksichtigung des Gleichstellungsaspekts in allen Politikbereichen und Programmen sicherzustellen;

46.

fordert eine offizielle Rolle des Ausschusses der Regionen bei der Unterstützung des Kapazitätsausbaus des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE) mit dem Ziel, die Datenerhebung und -analyse nach Geschlecht sowie für geschlechtsspezifische Indikatoren zu verbessern und zu standardisieren, insbesondere für Elemente wie die Vertretung von Frauen und Männern in Entscheidungsprozessen auf lokaler und regionaler Ebene;

47.

fordert die Mitgliedstaaten und die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften auf, in den nationalen und regionalen Statistiksystemen die Geschlechterperspektive stärker zu berücksichtigen, um über zuverlässige und regelmäßige Daten zu verfügen, in Übereinstimmung mit dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE), aber auch mit Eurostat;

48.

weist darauf hin, dass die COVID-19-Krise eine klare geschlechtsspezifische Dimension hat, weshalb beim Aufbaufonds unbedingt der Geschlechterperspektive Rechnung getragen werden muss. Dies sollte durch Folgenabschätzungen und die Anwendung der Grundsätze einer gleichstellungsorientierten Haushaltsplanung bei allen Fonds erfolgen;

Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der Frauenrechte weltweit

49.

weist darauf hin, dass für die Beseitigung der Armut die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern beseitigt werden muss. Die wirtschaftliche und die geschlechtsspezifische Ungleichheit sind miteinander verknüpft, und es darf niemand zurückgelassen werden. Die Gleichstellung der Geschlechter ist nicht einfach nur eines der Ziele für nachhaltige Entwicklung, sondern ein Querschnittselement der gesamten Entwicklungsagenda;

50.

betont, dass die EU bei ihrem auswärtigen Handeln ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommen muss, in ihren internationalen Partnerschaften sowie in ihrer Handels-, Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik, insbesondere im Rahmen der Beitrittsverhandlungen, des Assoziierungsprozesses und der Asyl- und Migrationspolitik, die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern und die Rechte der Frau zu stärken. Dies entspricht Artikel 208 AEUV, in dem der Grundsatz einer kohärenten Entwicklungspolitik verankert ist, wonach die Nachhaltigkeitsziele und der Aktionsplan der EU für die Geschlechtergleichstellung und die Teilhabe von Frauen an der Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt werden müssen;

51.

fordert die Europäische Kommission auf, zu prüfen, wie die EU ihre Handelspolitik nutzen kann, um die Rechte der Frauen und ihre Teilhabe an der Wirtschaft über ihre Grenzen hinaus zu fördern;

52.

fordert die EU-Institutionen auf, die Zusammenarbeit mit Drittländern zu verstärken, um diese dazu zu bewegen, nationale Gesetze zu erlassen, durch die die Verstümmelung weiblicher Genitalien untersagt wird (2);

53.

betont, dass die dezentrale Zusammenarbeit dazu beitragen kann, weltweit eine demokratische und gerechte Entwicklung zu fördern, und die Finanzierungslücke für eine gleichstellungsorientierte öffentliche Entwicklungshilfe geschlossen werden muss;

54.

hebt hervor, dass all die bereits bestehenden Ungleichheiten durch die COVID-19-Pandemie weiter verstärkt wurden. Mädchen und Frauen aus Entwicklungsländern sind davon durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes ganz unmittelbar betroffen: Sie nehmen weniger am öffentlichen und politischen Leben teil, übernehmen Betreuung und Pflege in der Familie und sind geschlechtsbezogener Gewalt ausgesetzt. Für die Umkehrung dieser Entwicklungen ist die Strategie unabdingbar.

Brüssel, den 14. Oktober 2020

Der Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen

Apostolos TZITZIKOSTAS


(1)  Stand vom 5. Juni 2020.

(2)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. Februar 2020 zu einer Strategie der EU zur weltweiten Einstellung der Verstümmelung weiblicher Genitalien (2019/2988(RSP)).


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