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Document 52020IR1066

Stellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen — Eine EU-Strategie zur Wiederbelebung des ländlichen Raums

COR 2020/01066

ABl. C 37 vom 2.2.2021, p. 16–21 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

2.2.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 37/16


Stellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen — Eine EU-Strategie zur Wiederbelebung des ländlichen Raums

(2021/C 37/03)

Berichterstatter:

Enda STENSON (IE/EA), Mitglied des Grafschaftsrates von Leitrim

POLITISCHE EMPFEHLUNGEN

DER EUROPÄISCHE AUSSCHUSS DER REGIONEN

Einleitende Bemerkungen

1.

stellt fest, dass ländliche und mitteldicht besiedelte Gebiete 88 % der EU-Fläche ausmachen. Hier leben 55 % der Bevölkerung, werden 43 % der Bruttowertschöpfung erwirtschaftet und sind 56 % der Arbeitsplätze angesiedelt. Die ländlichen Gebiete befinden sich jedoch nicht alle in der gleichen Lage, vielmehr stehen einige von ihnen vor großen demografischen Herausforderungen (Bevölkerungsrückgang, Alterungsprobleme usw.), die ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung behindern. Die Entwicklung des ländlichen Raums ist daher ein sehr bedeutsames Thema für den AdR und ein wichtiger Hebel zur Verwirklichung des im Vertrag von Lissabon verankerten Ziels des territorialen Zusammenhalts;

2.

betont, dass die neue langfristige Vision für den ländlichen Raum in einen konkreten politischen Rahmen — eine Agenda für den ländlichen Raum — gegossen werden sollte. Die Agenda für den ländlichen Raum sollte integrierte Politikmaßnahmen umfassen, durch die Landgemeinden in die Lage versetzt bzw. befähigt werden, Herausforderungen in Standortvorteile zu verwandeln. Dazu gehören Dekarbonisierung, Klimawandel, Digitalisierung, eine aktive Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen, nachhaltige Mobilität und gute Arbeits- und Einkommensgelegenheiten, Generationswechsel, Integration neuer Zuwanderer und soziale Innovation;

3.

betont, dass die Agenda für den ländlichen Raum für Folgendes sorgen sollte:

In allen Politikbereichen der EU soll der Aufbau beidseitig vorteilhafter Verbindungen zwischen Stadt und Land im Einklang mit den Zielen des territorialen Zusammenhalts verankert werden. Die starken Wechselwirkungen zwischen ländlichen und städtischen Gebieten müssen optimal genutzt werden.

Fragen des ländlichen Raums sollten über breiter gestreute Ansatzpunkte Eingang in alle Politikbereiche der EU finden. Was die ländlichen Gebiete brauchen, geht weit über das hinaus, was die Politik zur Entwicklung des ländlichen Raum leisten kann. Die derzeit von der EU bereitgestellten Mittel sind allerdings sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht unzureichend.

Die diversen Rechtsbestimmungen sollten aufeinander abgestimmt werden und der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums sollte wieder in die Dachverordnung aufgenommen werden, um fondsübergreifende Projekte zu erleichtern, die nicht unbedingt mit der Landwirtschaft verknüpft sind.

Die EU-Ausgaben sollten unter dem Gesichtspunkt ihrer Auswirkungen auf den ländlichen Raum geprüft werden.

Die Stadt-Land-Typologie wäre zu überdenken, damit Hilfen gezielter eingesetzt werden können.

Der lokalen und regionalen Ebene muss mehr Mitsprache bei der Entwicklung und Steuerung der Politik für den ländlichen Raum gegeben werden. Lokale Aktionsgruppen müssen stärker in diese Art der Politikgestaltung eingebunden werden, da sie in der Lage sind, lokale Gebiete zu vertreten und Entwicklungsstrategien umzusetzen, die auf die Voraussetzungen und Bedürfnisse der Gebiete mit Bevölkerungsrückgang bzw. demographischen Risiken zugeschnitten sind, und die Akteure und Bewohner des ländlichen Raums sollten durch Bottom-up-Initiativen wie LEADER/CLLD beteiligt werden.

Maßnahmen gegen die Entvölkerung und die soziale Ausgrenzung müssen ergriffen werden, indem bspw. die Initiative für intelligente Dörfer, die Bioökonomie und soziale Innovation gefördert werden und die digitale Kluft geschlossen wird;

4.

unterstreicht, dass eine echte Agenda für die Wiederbelebung des ländlichen Raums mit folgenden Elementen formuliert werden sollte: Unterstützung für nachhaltige und lebendige Landgemeinden sowie für Unternehmen, allgemeine und berufliche Bildung, Beschäftigung und Arbeitsplatzschaffung, Förderung einer Stadtentwicklung je nach den örtlichen demografischen Gegebenheiten, Verbesserung der digitalen Konnektivität, der öffentlichen Dienste (Gesundheit, Bildung, Justiz u. a.) und der Infrastrukturen, nachhaltige Ressourcennutzung, stärkere Ankurbelung des ländlichen Tourismus in einer gesunden und vielfältigen natürlichen Landschaft, Erschließung der Kreativität und des kulturellen Potenzials ländlicher Gebiete;

5.

hebt hervor, dass die kulturelle und die biologische Vielfalt in ganz Europa eng miteinander verknüpft sind und eine einzigartige Identität der Regionen bilden. In ihrer stärkeren Verknüpfung liegt viel Potenzial für die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele der Europäischen Union. Es bedarf diesbezüglich eines tieferen Verständnisses, da traditionelles ökologisches Wissen in den Strategien zur Entwicklung des ländlichen Raums und den Naturschutzrichtlinien nicht berücksichtigt wird. Die Verbindungen zwischen Mensch und Natur müssen durch das Konzept der biokulturellen Vielfalt als wesentlichem Identitätselement in den Vordergrund gerückt werden. Das reiche Naturkapital der europäischen Regionen ist für die Wirtschaft von zentraler Bedeutung und trägt erheblich zu den Zielen der EU in den Bereichen nachhaltige Entwicklung und biologische Vielfalt bei. Die Verbindungen zwischen den lokalen Gemeinschaften und dem Land, auf dem sie leben, dem reichen traditionellen ökologischen Wissen und umweltfreundlichen Technologien sind vielfältig. Diese Elemente sind bereits heute in ganz Europa präsent, bedürfen jedoch einer stärkeren Vernetzung und Anerkennung auf allen Ebenen der Gesellschaft;

6.

betont, dass die derzeitige Pandemie die Folgen einer Reihe seit langem bestehender Herausforderungen für den ländlichen Raum offenbart und verschärft und die Revitalisierung des ländlichen Raums in den Regionen der EU noch dringlicher gemacht hat. Ländliche Gebiete, Landstädte und Dörfer wurden u. a. durch folgende Faktoren schwer getroffen: Rückgang der Nachfrage nach landwirtschaftlichen Erzeugnissen aufgrund des Shutdowns im Tourismus sowie im Hotel- und Gaststättengewerbe, schwierige Anwerbung systemrelevanter Saisonarbeitskräfte, ausgeprägte soziale Isolation, vergleichsweise höhere Anfälligkeit für die Pandemie aufgrund der begrenzten Versorgung in kleinen regionalen Krankenhäusern;

7.

stellt fest, dass die Pandemie langfristig Konsum- und Produktionsmuster aufbrechen, Arbeitsgewohnheiten in Bezug auf Telearbeit ändern und zu einer Neubewertung der Lebensqualität und der Mobilitätsformen führen könnte. Daraus können sich neue Chancen für nachhaltiges Wachstum in ländlichen Regionen ergeben, insbesondere in den Regionen, die über eine gute Anbindung an Großstadtregionen verfügen; weist darauf hin, dass eine Neubewertung der Verlagerung von Produktionsketten einigen ländlichen Gebieten ebenfalls neue Chancen bieten könnte;

8.

stellt fest, dass die ländlichen Regionen der EU viele Lösungen zur Bewältigung aktueller und sich abzeichnender Herausforderungen anbieten können. Ländliche Regionen tragen wesentlich zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele und des europäischen Grünen Deals bei, wenn es darum geht, auf den Klimawandel, den Verlust an biologischer Vielfalt und die wirtschaftliche Depression zu reagieren, etwa durch Maßnahmen zur Reduzierung und Bindung (Senkeneffekt) von Treibhausgasemissionen, Biotope und wirtschaftliche Möglichkeiten in der Nahrungsmittelerzeugung und bei den erneuerbaren Energien, wobei natürlich in erster Linie in städtischen Gebieten angesetzt werden muss, um die Umweltbelastung durch Treibhausgasemissionen zu verringern;

9.

empfiehlt, im Sinne des territorialen Zusammenhalts und des Gleichgewichts zwischen Stadt und Land bei allen europäischen Maßnahmen und Ressourcen unbedingt die folgenden drei Grundsätze zu beachten:

Gleichwertige Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land. Dieser Grundsatz sollte alle europäischen Politikbereiche durchdringen;

Gleiche Rechte für alle Menschen, unabhängig davon, ob sie in der Stadt oder auf dem Land leben (vgl. Charta der Grundrechte);

Gleichbehandlung aller Akteure und Gebiete bei Mitteln und Verfahren. Insbesondere muss der Austausch gefördert und müssen gemeinsame Zuständigkeiten genutzt werden, um den speziellen Bedürfnissen ländlicher Gebiete nachzukommen;

Finanzierung der Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums

10.

dringt darauf, im nächsten Programmplanungszeitraum die ländlichen Gebiete besser zu berücksichtigen, indem der ELER aufgestockt wird; außerdem sollte die ländliche Entwicklung in allen EU-Politikbereichen im weiteren Sinne und nicht ausschließlich in Verbindung mit der Landwirtschaft berücksichtigt werden;

11.

fordert angesichts der Bedeutung der ländlichen Gebiete in Europa eine Aufstockung des EU-Haushalts für die Entwicklung des ländlichen Raums. Es ist beunruhigend, dass im neuen MFR deutlich weniger Mittel als im laufenden Programmplanungszeitraum vorgesehen sind. Der AdR fordert diesbezüglich eine Nachbesserung im Sinne einer Aufstockung der Mittel für den ländlichen Raum, insbesondere für die Jahre 2023-2027. Gleichzeitig plädiert er dafür, dass neue Fonds und Programme für Wiederaufbau und Resilienz in großem Maßstab zur Entwicklung des ländlichen Raums genutzt werden, da die ländlichen Gebiete zu den am stärksten gefährdeten Gebieten gehören;

12.

lehnt den Vorschlag einer höheren Kofinanzierung für die zweite Säule der GAP ab, da dies gerade die finanzschwächsten Landwirte, weniger entwickelte Regionen und ländlichen Gebiete am meisten benachteiligen würde;

13.

schlägt vor, bis zu 15 % der Mittel von Säule 1 der GAP auf Säule 2 ohne Kofinanzierung zu übertragen sowie zusätzlich 15 % für Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen und 2 % für Junglandwirte;

14.

spricht sich dafür aus, dass Fragen des ländlichen Raums über breiter gestreute Ansatzpunkte Eingang in alle Politikbereiche der EU finden. Im Einklang mit dem im Vertrag von Lissabon verankerten Ziel des territorialen Zusammenhalts sollte die Entwicklung des ländlichen Raums ein vorrangiges Ziel der gesamten Strukturpolitik sein;

15.

fordert, dass im neuen MFR ein Fonds für die Entwicklung des ländlichen Raums eingerichtet wird, der speziell den ländlichen Gebieten gilt;

16.

fordert, dass Finanzierungsinstrumente weiterentwickelt und auf kleinere Projekte zugeschnitten werden, möglicherweise indem „Banken für die Entwicklung des ländlichen Raums“ geschaffen werden. Letztere könnten als Intermediäre zwischen Darlehensgebern und -nehmern fungieren;

17.

fordert eine stärkere Harmonisierung zwischen dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und anderen europäischen Fonds wie dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und Horizont Europa, um die nachhaltige Entwicklung in ländlichen Gebieten zu fördern. Dank solcher Synergien könnten die Akteure im ländlichen Raum Querschnittsthemen besser angehen und die Zusammenarbeit und die Lebensqualität im ländlichen Raum verbessern;

18.

regt an, die Struktur- und Investitionsfonds zu vereinfachen, und fordert außerdem die Vereinfachung der Berichterstattungsverfahren und des Monitorings der Programme durch systematische Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien;

Stärkere Mitwirkung der lokalen und regionalen Ebene an der Gestaltung der Politik für den ländlichen Raum

19.

stellt fest, dass der Legislativvorschlag betreffend die GAP-Strategiepläne zu einer Marginalisierung oder sogar zu einer Infragestellung der Rolle und der Autonomie der europäischen Regionen bei der Verwaltung der GAP zu führen droht, denn ihre Aufgabe würde einzig und allein in der Ausführung der national beschlossenen Maßnahmen bestehen;

20.

spricht sich für eine künftige GAP aus, die durch die aktive Rolle der EU-Regionen, die bei der Festlegung und Umsetzung von Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums auf lokaler Ebene von entscheidender Bedeutung sind, eine direkte Beziehung zu den ländlichen Gebieten aufrechterhält;

21.

fordert Flexibilität bei den Vorschriften über staatliche Beihilfen und die Einführung von Programmen für ländliche Erneuerung und Dorferneuerung‚ die bei der Entwicklung des ländlichen Raums helfen. Darüber hinaus müssen lokale und regionale Strategien zur Entwicklung des ländlichen Raums stärker gewürdigt und in den nationalen Planungsrahmen eingebettet werden. Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften können als Innovationsvermittler auf dem Lande auftreten;

Bevölkerungsrückgang

22.

weist auf den besorgniserregenden, stetigen Bevölkerungsrückgang im ländlichen Raum hin. Er wird durch die Entwicklungen in der Landwirtschaft und dadurch angetrieben, dass Arbeitsplätze vor allem in Stadtnähe entstehen. So kommt es zu einer Erosion des Dienstleistungsangebots auf dem Land;

23.

spricht sich für die Festlegung von Kriterien zur Definition ländlicher Gebiete mit Bevölkerungsschwund unterhalb der NUTS-3-Ebene aus, um den Bevölkerungsrückgang in diesen Gebieten anzugehen und bestehende Ungleichgewichte zu verringern;

24.

glaubt, dass der Bevölkerungsrückgang ein Umdenken in Bezug auf die Entwicklung des ländlichen Raums auslösen sollte und nicht nur als Problem, sondern auch als Chance wahrgenommen werden kann;

25.

ist überzeugt, dass Maßnahmen für den ländlichen Raum und Investitionsentscheidungen eine neue Ausrichtung bekommen könnten, die für ein Wachstum auf einer grüneren und kleineren Basis sorgen würde, wenn es gelänge, sich auf die Bevölkerungsabnahme einzustellen. Dadurch könnten sich neue Möglichkeiten eröffnen, um innovativ zu sein und die Governance und die öffentlichen Dienste durch ganzheitliche, proaktive und ortsbezogene Strategien zu modernisieren;

26.

spricht sich für die Nutzung der Telearbeit und der Digitalisierung sowie für digitale Aus- und Weiterbildung aus; ist der Ansicht, dass Distanzunterricht und Telearbeit in der derzeitigen Pandemie gezeigt haben, was im ländlichen Raum machbar wäre, wenn die Dienste verfügbar wären;

27.

ist der Ansicht, dass angesichts des Trends zur Landflucht und Hofaufgabe Maßnahmen und Strategien für den ländlichen Raum erarbeitet werden müssen, um die Widerstandsfähigkeit der verlassenen Gebiete gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels wie Erosion, Überschwemmungen oder Großbränden zu stärken. Außerdem muss die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks verstärkt und der Natur- und Landschaftsschutz gefördert werden; sieht daher in der Förderung der Forstwirtschaft und der Unterstützung von Eigentümergemeinschaften von Bergland ein großes Potenzial;

28.

hält es für notwendig, das Landleben aufzuwerten und die soziale und kulturelle Dominanz der urbanen Lebensweise durch die Beseitigung von Klischees zu brechen, um das Ansehen und den Ruf der am stärksten von demografischen Risiken betroffenen Gebiete zu bessern und regionale Empathie zu erzeugen, und ruft zu einem gebietsbezogenen Marketing auf. Ländliche Gebiete müssen ihr Image aufpolieren und mit der höheren Lebensqualität für diejenigen, die sich für ein Leben auf dem Lande entscheiden, werben. Dazu bedarf es einer besseren regionalen Vertretung, Begrüßungsmaßnahmen und einer besseren Kommunikation über offene Stellen in der Region, einschließlich Möglichkeiten zur Telearbeit und Onlinepraktika;

29.

plädiert dafür, besonders auf die Bedürfnisse junger Menschen einzugehen. Sie müssen zum Bleiben in den ländlichen Gebieten ermutigt werden, und ihnen müssen dort interessante Möglichkeiten der Weiterbildung bzw. Umschulung sowie der allgemeinen und beruflichen Bildung geboten werden, damit sie nicht zum Bildungserwerb abwandern müssen (ggf. auch durch Fernlernangebote); darüber hinaus müssen Maßnahmen zugunsten der Rückkehr in den Heimatort nach der Ausbildung ergriffen werden;

30.

ruft dazu auf, das Berufsbildungs-, Weiterbildungs- und Umschulungsangebot auf dem Land zu modernisieren und es auf die globalen Wettbewerbsbedingungen und den Bedarf der örtlichen Unternehmen auszurichten. Aus dem ESF müssen mehr Mittel für die Berufsbildung in ländlichen Gebieten bereitgestellt werden;

31.

bekräftigt seine an die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten gerichtete Forderung, die Niederlassung von Frauen in den ländlichen Gebieten durch die Förderung von Maßnahmen zu erleichtern, die zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben beitragen (1), u. a. durch ein breiteres Angebot an Pflege- und Betreuungsdiensten für Kinder und pflegebedürftige Familienangehörige;

Grünes Wachstum

32.

erkennt an, dass ländliche Gebiete die Möglichkeiten für die Entwicklung lokaler Energie- und Lebensmittelökosysteme und für eine stärkere Integration städtischer und ländlicher Räume nutzen müssen;

33.

hält es für unabdingbar, die Beteiligung und die Führungsrolle von Frauen in lokalen Aktionsgruppen und Netzen zur Entwicklung des ländlichen Raums zu verstärken und dadurch ihre Schlüsselrolle als entscheidender Faktor für die territoriale, wirtschaftliche und soziale Struktur ländlicher Gebiete anzuerkennen;

34.

begrüßt den europäischen Grünen Deal und die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“. Sie schaffen Arbeitsplätze und können die Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten aus ländlichen Gebieten verhindern. Es sind Investitionen erforderlich, um von nachhaltigen Projekten zu profitieren, die von der örtlichen Bevölkerung ausgehen und auf Kreislaufwirtschaftsmodelle ausgerichtet sind, die die Produktionsketten bestmöglich nutzen, Arbeitsplätze schaffen und den CO2-Fußabdruck verringern;

35.

unterstützt eine GAP, die in dreifacher Hinsicht — wirtschaftlich, sozial und ökologisch — nachhaltig ist. Mit ihren Umweltstandards muss sie zu einem der Hebel für die Umsetzung der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ und der Biodiversitätsstrategie werden und die Verwirklichung der Ziele des europäischen Grünen Deals vorantreiben;

36.

empfiehlt, Bauern, Viehhalter und Holzerzeuger zu schulen und ihnen die nötigen Mittel an die Hand zu geben, damit sie erkennen, welche Chancen sich ihnen bei der nachhaltigen Bewirtschaftung der natürlichen Umwelt und den Vermarktungsoptionen für ihre Erzeugnisse, ergänzt durch Tätigkeiten in den Bereichen Energie, Tourismus, Kohlenstoffspeicherung und lokale Ökosysteme, bieten. Stärker unterstützt werden sollte die Bildung von Genossenschaften, damit Kleinerzeuger in allen Sektoren ihre Kräfte bündeln können;

Digitale Konnektivität

37.

stellt fest, dass der Großteil der einschlägigen Investitionen in Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte fließt. Dennoch sollten Investitionen im ländlichen Raum Vorrang haben, um sicherzustellen, dass auf dem Land eine angemessene Infrastruktur für digitale Konnektivität vorhanden ist. Helfen könnten bspw. Digital- und Innovationszentren, die den Distanzunterricht und die Telearbeit erleichtern, Räumlichkeiten für unternehmerische Tätigkeiten zur Verfügung stellen und Schulungen zur Nutzung neuer Technologien anbieten. Dies wäre zum Beispiel bei der Förderung und Vermarktung regionaler Produkte hilfreich;

38.

betont, dass schnelle Telekommunikationsnetze für die Wettbewerbsfähigkeit des ländlichen Raums und das Wirtschaftswachstum entscheidend sind. Es muss etwas unternommen werden, damit alle Regionen die gleichen Kapazitäten bekommen, wie es in den in der Digitalen Agenda für Europa für 2020 festgelegten Zielen vorgesehen ist;

39.

fordert, dass über die mit 560 Mrd. EUR ausgestattete Aufbau- und Resilienzfazilität in mehr und bessere Konnektivität investiert wird. Gerade auch die Schließung der digitalen Kluft zwischen ländlichen und städtischen Gebieten muss angestrebt werden;

40.

fordert:

dass der Internetzugang als allgemeines Recht auf EU-Ebene anerkannt und die Entwicklung des schnellen Internets in ländlichen Gebieten vorangetrieben wird;

den Zugang zu Finanzmitteln für Investitionen in den Breitbandausbau zu erleichtern, gerade auch für Kleinprojekte;

die Digitalisierung öffentlicher Dienste zu verstärken, Schulungen für unterschiedliche Altersgruppen der Bevölkerung zur Nutzung digitaler Technologien durchzuführen und den Unterricht zielgruppengerecht zu gestalten;

Maßnahmen zur Förderung der IKT-Ausbildung, Sensibilisierung und Entwicklung für KMU zu ergreifen;

die Internetdienstleister darin zu unterstützen, dass sie eine flächendeckende Versorgung anbieten können;

Dienstleistungsangebot

41.

betont, dass die Menschen auf dem Lande ein Recht auf gewisse grundlegende Dienstleistungen haben, wie bspw. Gesundheitsversorgung (Hausärzte), Zugang zu Post-, Bank- und Versicherungsdienstleistungen in ländlichen Gebieten, politische Teilhabe sowie Kunst und Kultur;

42.

stellt fest, dass fehlende digitale Infrastrukturen und unterentwickelte Dienstleistungen zwei Seiten derselben Münze sind; appelliert deshalb an die Mitgliedstaaten, eine gleichmäßige Verfügbarkeit für alle Bürger und die in den ländlichen Gebieten angesiedelten Unternehmen herzustellen. Es könnten Zentren für die Mehrzwecknutzung (Distanzunterricht, Telearbeit, Schulungen, Gesundheits- und E-Gesundheitszentren, Cafés, Postämter, kreative Räume, mobile „FabLabs“ und Gemeinschaftszentren) konzipiert werden;

43.

hält nachhaltige und innovative Verkehrssysteme für notwendig, um den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen zu ermöglichen, wobei diese Verkehrsmittel als Ausdehnung grundlegender öffentlicher Dienste von bevölkerungsreicheren Gemeinden bis in kleinere Gemeinden auf dem Lande zu verstehen sind;

Lebensqualität

44.

hält Wirtschaftswachstum und Arbeitsplatzschaffung für wichtig, erinnert aber zugleich daran, dass auch ein ausreichendes Angebot an hochwertigen Dienstleistungen, Wohnraum, allgemeine und berufliche Bildung, Möglichkeiten für lebenslanges Lernen, Gesundheitsversorgung usw. nicht vergessen werden darf, denn es sorgt dafür, dass ländliche Gebiete nicht nur zukunftsfähig, sondern auch lebenswert sind;

45.

begrüßt den Aufbau einer interoperablen Dateninfrastruktur nach der Datenstrategie der EU-Kommission vom 19. Februar 2020 mit fachspezifischen Datenräumen (z. B. Mobilitätsdatenraum, Umweltdatenraum, Agrardatenraum, Verwaltungsdatenraum, Gesundheitsdatenraum, Energiedatenraum), die sich auf die Infrastruktur für raumbezogene Daten in Europa nach der Richtlinie 2007/2/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (2) (INSPIRE) als Querschnittskomponente stützt und so öffentliche und private Dienstleistungen in der Fläche des ländlichen Raums dauerhaft effizient gewährleisten kann;

46.

befürwortet einen innovativen Aktionsplan zur Behebung der schlechten Verkehrsverbindungen auf dem Land, in Bergregionen und auf Inseln sowie in Gebieten in äußerster Randlage. Es gilt, die nachhaltige Mobilität aller Bürger zu fördern, und zwar durch neue, saubere und alternative Verkehrsformen für Menschen und Güter (Elektrofahrzeuge oder Fahrzeuge mit Wasserstofftechnik, Car-Sharing, Car-Pooling und eine Kombination verschiedener Arten von Diensten zur Kostensenkung — Transport auf Abruf);

47.

wirbt für die interkommunale Zusammenarbeit in Form so genannter „Gegenseitigkeitsverträge zwischen Stadt und Land“. Sie können die Vielfalt der ländlichen Gebiete abbilden und helfen, Verbindungen zwischen Stadt und Land zu verbessern;

48.

betont, dass eine derartige Raumplanung von breiteren Strategien flankiert werden muss. Diese müssen der Bedeutung eines polyzentrischen Städtenetzes für die Entwicklung von Gebieten gerecht werden, die mit diesen Metropolregionen einschließlich der umliegenden Klein- und Mittelstädte verbunden sind. Die Kluft zwischen Stadt und Land muss überbrückt werden, indem für beide Seiten vorteilhafte Partnerschaften in Bereichen wie Umwelt und Energiewende, wirtschaftliche Entwicklung, Dienstleistungsqualität und Verwaltungsorganisation gefördert werden. Gleiches gilt für die Kluft zwischen Stadt und Land bezüglich der allgemeinen und beruflichen Bildung;

49.

begrüßt die Ergebnisse des Projekts SIMRA (3) (Social Innovation in Marginalised Rural Areas). Es hat gezeigt, dass die soziale Innovation ein entscheidender Faktor für die Bewältigung der Herausforderungen auf dem Land sein kann, wie bspw. Abwanderung, Diversifizierung ländlicher Unternehmen, Klimawandel, veränderte Lebensweisen und Strukturwandel in der ländlichen Wirtschaft;

50.

begrüßt die gezielten Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen für Horizont 2020 je nach dem Entwicklungsstand der sozialen Innovation empfiehlt, dass diese Verbesserung für alle Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds) umgesetzt wird;

Digitale ländliche Gebiete und Dörfer

51.

begrüßt, dass die Europäische Kommission eine Initiative für EU-Maßnahmen zur Schaffung digitaler Dörfer ergriffen hat. Sie ist ein erster Schritt, mit dem anerkannt wird, dass es gezielter Maßnahmen zur Redynamisierung ländlicher Gebiete bedarf, damit man dort auch in Zukunft gut leben, studieren und arbeiten kann. Allerdings reicht dies noch nicht aus;

52.

verweist darauf, dass der AdR in seiner Stellungnahme zum Thema „Digitale Dörfer“ die Verflechtung dieser Agenda mit allen Politikbereichen und allen Finanzierungsmöglichkeiten gefordert hat. Dabei geht es nicht nur um Breitbandanschlüsse, sondern auch um die Suche nach intelligenten Lösungen für die Energieversorgung und für Community-Dienste. Auch in der Frage, wie Einrichtungen in ländliche Gebiete integriert werden können, muss völlig neu gedacht werden;

53.

begrüßt die Instrumente des Europäischen Netzwerks für die Entwicklung des ländlichen Raums (ENRD). Sie können von den Mitgliedstaaten eingesetzt werden, um intelligente Dörfer und damit soziale Innovation in folgenden Bereichen zu unterstützen: Zusammenarbeit (insbesondere LEADER), Wissensaustausch, GAP-Netze, Niederlassung von Jungunternehmern, Gründung von Unternehmen und Industrien im ländlichen Raum, Investitionen usw. Zugleich wird aber auch betont, dass es eine flexiblere Innovationsförderung in anderen Bereichen als der Landwirtschaft geben muss, und zwar durch integrierte Maßnahmen, die der Kerntätigkeit dienen, die Bioökonomie fördern und eine Aufwertung der Region ermöglichen; dazu gehört neben der Förderung von Existenzgründungen auch die Möglichkeit der Förderung von Unternehmensentwicklungen außerhalb der Landwirtschaft; diese sollte in Artikel 69 der Verordnung über die GAP-Strategiepläne aufgenommen werden;

54.

fordert, dass auch Mittelstädte auf dem Lande die Finanzierungsmöglichkeiten für Städte abrufen können. Diese für den ländlichen Raum so wichtigen Städte sind nämlich aufgrund ihrer Größe häufig von den Programmen ausgeschlossen;

55.

hebt die positive Rolle des künftigen LEADER-Programms und fondsübergreifender Initiativen zur lokalen Entwicklung (CLLD) sowie anderer Bottom-up-Initiativen hervor;

56.

unterstreicht, dass es bei den ländlichen Gebieten letztlich um die Menschen, ihr soziales Umfeld und ihre Lebensumwelt geht. Der AdR ist überzeugt, dass durch eine aktive Bewirtschaftung und Erhaltung der Umwelt in der EU und durch programm- und politikfeldübergreifendes Arbeiten stärker dazu beigetragen werden könnte, die ländlichen Gebiete zu Orten zu machen, wo man gerne lebt, arbeitet, etwas produziert und eine Familie gründet.

Brüssel, den 10. Dezember 2020.

Der Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen

Apostolos TZITZIKOSTAS


(1)  ABl. C 225 vom 27.7.2012, S. 174, und ABl. C 207 vom 30.6.2017, S. 57.

(2)  Richtlinie 2007/2/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2007 zur Schaffung einer Geodateninfrastruktur in der Europäischen Gemeinschaft (INSPIRE) (ABl. L 108 vom 25.4.2007, S. 1).

(3)  http://www.simra-h2020.eu/.


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