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Document 52020IR0594

    Stellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen — Vom Hof auf den Tisch: die lokale und regionale Dimension

    ABl. C 37 vom 2.2.2021, p. 22–27 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    2.2.2021   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 37/22


    Stellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen — Vom Hof auf den Tisch: die lokale und regionale Dimension

    (2021/C 37/04)

    Berichterstatter:

    Guido MILANA (IT/SPE), Mitglied des Gemeinderats von Olevano Romano (Rom)

    POLITISCHE EMPFEHLUNGEN

    DER EUROPÄISCHE AUSSCHUSS DER REGIONEN

    1.

    begrüßt nachdrücklich die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ (im Folgenden „die Strategie“), die zusammen mit der „EU-Biodiversitätsstrategie für 2030“ (1) im Mittelpunkt des europäischen Grünen Deals (2) steht und von wesentlicher Bedeutung ist, um Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen; betont, dass sich die beiden Strategien perfekt ergänzen müssen, um die negativen Auswirkungen der Lebensmittelsysteme auf Klima, nachhaltige Umwelt und biologische Vielfalt mittels Förderung der Bodengesundheit, des Schutzes von Bestäubern, der Nutzung biologischer Ressourcen für den integrierten Pflanzenschutz, der Wasserreserven und der Ökosysteme zu beschränken und um gleichzeitig sichere und gesunde Nahrungsmittel zu gewährleisten; weist darauf hin, dass sie auch dazu beitragen müssen, der Entvölkerung ländlicher Gebiete entgegenzuwirken; erachtet ebenfalls die Nahrungsmittelselbstversorgung als strategische Aufgabe, welche die Erhaltung der Produktionskapazitäten erfordert, wofür ausreichende finanzielle Unterstützung durch die EU erforderlich ist;

    2.

    unterstreicht, dass Kohärenz zwischen den verschiedenen lebensmittelbezogenen Sektoren wie Landwirtschaft, Viehzucht, Forstwirtschaft, Fischerei und maritime Angelegenheiten einerseits und den Maßnahmen in den Bereichen Umwelt, Energie, Gesundheit, Verbraucher, Produktion, Beschäftigung, Entwicklung des ländlichen Raums und Forstpolitik andererseits angestrebt werden muss. Mithilfe der Multi-Level-Governance können auf europäischer Ebene konzertierte Maßnahmen die Umsetzung der Strategie im Hinblick auf ehrgeizige und gemeinsame Reformziele unterstützen; betont, dass der Beitrag der lokalen Gemeinschaften und der ländlichen Gemeinschaften stärker anerkannt und in die Politik integriert werden muss; hält es für überaus wichtig, die kulturelle Identität der Regionen wieder an die Ökosysteme zu koppeln;

    3.

    bekräftigt, dass die COVID-19-Pandemie das Bewusstsein bezüglich der Wechselwirkungen zwischen unserer Gesundheit, den Ökosystemen, den Versorgungsketten, den Verbrauchsgewohnheiten und den Grenzen des Planeten extrem geschärft hat. Die derzeitige Pandemie ist dafür nur ein Beispiel: die zunehmende Häufigkeit von Dürren, Überschwemmungen, Waldbränden und neuen Schädlingen erinnert uns immer wieder daran, dass unser Lebensmittelsystem bedroht ist, nachhaltiger und widerstandsfähiger werden und in der Lage sein muss, jederzeit funktionstüchtig zu sein und den Bürgern eine angemessene Versorgung mit gesunden und ausreichenden Nahrungsmitteln zu erschwinglichen Preisen zu bieten;

    4.

    weist darauf hin, dass eine nachhaltige Landwirtschaft nicht weiterentwickelt werden kann, wenn die EU weiterhin Agrarerzeugnisse, die nicht den europäischen Produktionsstandards entsprechen, zu Niedrigpreisen einführt, die in unlauterem Wettbewerb zu europäischen Produktionszweigen stehen, und europäische Überschüsse zu Niedrigpreisen ausführt, welche die Erzeuger in Drittstaaten in den Ruin treiben; fordert die unverzügliche Festlegung neuer gerechterer, solidarischerer multilateraler Bestimmungen, damit die wirtschaftliche Tragfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe in der EU nicht beeinträchtigt wird; hofft, dass dieser neue Ansatz darauf ausgerichtet ist, die wirtschaftliche Perspektive der Erzeuger und die Verbindungen zwischen Erzeugern und Verbrauchern zu stärken, diversifizierte, alternative oder ergänzende Lebensmittelsysteme im Gegensatz zu den konventionellen Erzeugungssystemen zu fördern und auf eine gerechtere Verteilung der Wertschöpfung abzielt, durch die die Erzeuger für die Bereitstellung hochwertiger öffentlicher Güter und Ökosystemleistungen besser vergütet werden;

    5.

    fordert die Europäische Kommission zur konsequenten Nutzung bestehender Indikatoren (z. B. die SDG Indikatoren) auf, um politikbereichsübergreifend zu überwachen, welche Fortschritte bei der Verwirklichung des Ziels, eine nachhaltige Nahrungsmittelerzeugung, die Bereitstellung von Ökosystemleistungen und gerechte wirtschaftliche Perspektiven für Landwirte und Beschäftigte miteinander zu vereinbaren, gemacht wurden; die Einführung neuer Indikatoren ist nur für Bereiche vorzusehen, die bisher nicht ausreichend abgebildet werden; fordert die aktive Beteiligung aller Akteure des Lebensmittelsystems an der Überwachung und Bewertung der Umsetzung der Strategie;

    6.

    erwartet, dass die Rolle der Städte und Regionen als wichtige Akteure der Ernährungswende anerkannt und gestärkt wird; der Europäische Ausschuss der Regionen ist u. a. ein Wissensreservoir für die Praxis in den europäischen Städten und Regionen. Er kann daher ein wichtiger Vermittler für die Kommunikation und das wechselseitige Lernen zwischen den Regierungs- und Verwaltungsebenen sein. Im Rahmen der Umsetzung und Definition der künftigen GAP ist es unerlässlich, dass die europäischen Regionen weiterhin ihre Aufgabe als Verwaltungsbehörden wahrnehmen können, um die in der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ genannten Veränderungen territorial fest verankert zu begleiten und sicherzustellen, dass die künftigen Strategiepläne den lokalen Bedürfnissen entsprechen. In diesem Zusammenhang wäre es grundlegend, die erste Säule in den Strategieplänen zu regionalisieren, damit die Öko-Regelungen als wichtige Instrumente zur Begleitung der Umsetzung der Strategie im Einklang mit den spezifischen Bedürfnissen jeder Region verwaltet werden können;

    Unterstützung der Erzeuger, Förderung kurzer und transparenter Versorgungsketten

    7.

    empfiehlt, die Tendenz zur Flächenkonzentration zugunsten der Agrarwirtschaft, des Anstiegs der Bodenpreise, der Landaufgabe in Randgebieten und des damit einhergehenden Schwunds der landwirtschaftlichen Flächen von kleinen und mittleren Erzeugern und Junglandwirten stärker zu überwachen; empfiehlt daher Änderungen an bestehenden Instrumenten der GAP — wie etwa ggf. die Senkung der Obergrenze für Direktzahlungen pro Betrieb —, um den Zugang einzelner oder zusammengeschlossener lokaler, kleiner und mittlerer landwirtschaftlicher Betriebe und agrarökologischen Landbau betreibender Junglandwirte zu landwirtschaftlichen Flächen zu erleichtern und den Verlust aktiver Landwirte zu vermeiden; empfiehlt, ein Gleichgewicht zwischen Wirtschaft und Ökologie in der GAP beizubehalten; ruft darüber hinaus zur Verwendung von aufbereitetem Wasser für die Bewässerung in Defizitgebieten und zur Förderung der Forstwirtschaft auf;

    8.

    begrüßt den Plan der Kommission — und ihren Willen, vorab eine Folgenabschätzung zu dieser Frage durchzuführen —, den ökologischen Landbau durch die Zuweisung von mindestens 25 % der landwirtschaftlichen Fläche der EU bis 2030 und eine erhebliche Zunahme der ökologischen Aquakultur zu stärken; fordert die Kommission zudem auf, auch andere Kultivierungs- und Produktionssysteme mit ökologischen Vorteilen zu prüfen; empfiehlt in diesem Zusammenhang, die Rolle der lokalen und regionalen territorialen Politik als Mittel zur Erhaltung und Vergrößerung der Flächen für eine ressourcenschonende ökologische/biologische, Präzisions- und integrierte Produktion mithilfe von Programmen wie der lokalen Ernährungspolitik (einschließlich Biocluster, Ökoregionen, Bioregionen (3)) sowie Berufsbildungsprozesse zu prüfen und zu unterstützen; hofft, dass dieser Übergang in der GAP mit der Entwicklung des Verbrauchs von Bioprodukten einhergeht; fordert zudem begleitende Maßnahmen zur Strukturierung der gesamten Öko-/Biobranche und nicht nur zur Entwicklung der Erzeugung, um den Mehrwert dieser Erzeugungs- und Verarbeitungsmethode in verschiedenen Regionen zu erhalten, u. a. die Schaffung von Anreizen für die Bereitstellung von Wassernetzen, um die Bio-Erzeuger mit Wasser zu versorgen, das mit den Vorschriften im Einklang steht;

    9.

    fordert, kurze Versorgungsketten stärker in den Mittelpunkt zu rücken und die Vielfalt der europäischen Produktionssysteme einschließlich alternativer Produktionssysteme anzuerkennen, die Formen der Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung lokaler/regionaler Produkte aufwerten und bei denen Nährwert, Tierwohl und ökologische Aspekte berücksichtigt werden; empfiehlt die Schaffung eines europäischen Rahmens für die Förderung und Stärkung kurzer Versorgungsketten, die von innovativen und erfolgreichen lokalen Verfahren ausgehen; fordert, gemeinsame territoriale Projekte unter Beteiligung von Verarbeitern, lokalen Behörden, landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Betrieben sowie lokalen Händlern und Verbrauchern zu fördern, um ein lokales Lebensmittelangebot zu entwickeln; fordert ferner, die Diversifizierung der lokalen und regionalen Erzeugung und Verarbeitung, die Entwicklung neuer Sektoren (z. B. pflanzliche Proteine, insbesondere Hülsenfrüchte und Qualitätsbereiche wie Beerenobst, Schalenfrüchte usw.) zu unterstützen, die auch die Nutzung sekundärer Versorgungsketten der Sekundär- und Abfallströme vorsehen, um in den verschiedenen Stufen der Lebensmittelkette Mehrwert zu schaffen. Dabei sollte die Möglichkeit erwogen werden, eine Zertifizierung im Sinne einer nachhaltigen Produktion einzuführen, bei der auch Aspekte wie Wasser- oder Bodenmanagement einbezogen werden; weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Begriffe wie lokal und regional im Lichte des betreffenden Produkts betrachtet werden sollten. Ausgangspunkt sind dabei ein geringer ökologischer Fußabdruck des Produkts, die Vermeidung unnötiger Transporte und eine verbesserte Beziehung zwischen Erzeugern und Verbrauchern;

    10.

    geht davon aus, dass die Herstellung, die Verarbeitung, der Einzelverkauf, die Verpackung und der Transport von Lebensmitteln einen Anteil an der Verschmutzung von Luft, Böden und Wasser und an den Treibhausgasemissionen sowie tiefgreifende Auswirkungen auf die biologische Vielfalt haben, und plädiert daher für eine Nutzung der Sekundärströme im Sinne eines Kreislaufwirtschaftsmodells; hält es wie die Europäische Kommission für zwingend erforderlich,

    a)

    bis 2030 den Einsatz von und das Risiko durch chemische Pestizide insgesamt um 50 % und den Einsatz von Pestiziden mit höherem Risiko (4) um 50 % zu verringern und dabei sicherzustellen, dass den Landwirten sowohl zu den Pestiziden als auch mit Blick auf die Bewirtschaftungsmethoden echte und ihre Produktivität nicht einschränkende Alternativen geboten werden, indem die Forschungsmittel in diesem Bereich aufgestockt werden und der Marktzugang beschleunigt wird;

    b)

    die Nährstoffverluste bei gleichbleibender Bodenfruchtbarkeit um mindestens 50 % zu verringern;

    c)

    den Einsatz von Düngemitteln bis 2030 um mindestens 20 % zu verringern;

    d)

    den Verkauf von für Nutztiere und für die Aquakultur bestimmten antimikrobiellen Mitteln bis 2030 um 50 % zu reduzieren;

    e)

    die Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft und Landnutzung, insbesondere von Distickstoffoxid und Methan, wobei letzteres auch aus der Tierhaltung sowie der landwirtschaftlichen Nutzung von Moorstandorten stammt, weiter zu senken und dadurch einen angemessenen Beitrag zu dem im Europäischen Klimagesetz vorgegebenen Prozess zu leisten; fordert diesbezüglich die Kommission auf, so bald wie möglich einen Klimazielplan 2030 vorzulegen, mit dem die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 noch stärker verringert werden sollen, nämlich um mindestens 55 % (5), und einen kohärenten Plan mit angemessenen finanziellen Verpflichtungen auszuarbeiten;

    f)

    den Anteil der Grünlandflächen in Europa zu erhöhen und mehr Eiweißfuttermittel zu erzeugen und dadurch weniger Futtermittel und Futtereiweiß zu importieren, die den europäischen Standards im Hinblick auf Klima- und Umweltschutz nicht genügen;

    11.

    fordert die Kommission auf, im Rahmen der Umsetzung Folgenabschätzungen über die Art der Ausgestaltung der zahlenmäßigen Zielvorgaben durchzuführen. Länder, die große Mengen an Antibiotika, chemischen Pflanzenschutzmitteln und Pflanzennährstoffen einsetzen, sollten in stärkerem Maße veranlasst werden, ihren Einsatz zu verringern, als Länder mit bereits niedrigen Anwendungsmengen;

    12.

    schlägt vor, transparente und vermittelbare Folgenabschätzungen durchzuführen, um die mittelfristigen Ziele zu überwachen und die notwendigen Anpassungen in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten, den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und den Akteuren der Agrarindustrie neu auszuhandeln;

    13.

    empfiehlt die Einführung strengerer Maßnahmen gegen die Umweltauswirkungen der intensiven industriellen Viehwirtschaft; spricht sich dafür aus, die in der Strategie erwogene amtlich zertifizierte Tierwohlkennzeichnung verpflichtend auf EU-Ebene einzuführen; empfiehlt eine klare und verbindliche Kennzeichnung der Haltungsform, die den gesamten Lebenszyklus des Tieres abdeckt, damit die Erzeuger Anerkennung für ihre verbesserten Verfahren erhalten und die Verbraucher jene Produkte auswählen können, die ihren Ansprüchen genügen; schlägt die schrittweise und geplante Verringerung der Käfighaltung in der gesamten EU vor, auch durch die Festlegung von Obergrenzen für die Viehbesatzdichte in den betreffenden landwirtschaftlichen Betrieben und die Förderung einer extensiven Aquakultur; fordert, den Zugang zu GAP-Zahlungen von einer Obergrenze für die Tierbesatzdichte im landwirtschaftlichen Betrieb abhängig zu machen und die Konditionalität der GAP in Bezug auf die Tierschutzbestimmungen zu verschärfen;

    14.

    fordert, dass im Rahmen der neuen Öko-Regelungen eine angemessene, verpflichtende, wirksame und immer umfangreichere Finanzierung zur Förderung nachhaltiger Erzeugungsverfahren bereitgestellt wird, die u. a. die Kohlendioxidbindung (klimaeffiziente Landwirtschaft) durch Land- und Forstwirte sowie die Biodiversität erheblich verbessern; weist jedoch darauf hin, dass sich Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen aus der zweiten GAP-Säule bei Weitem als wirksamste Ökologisierungsmaßnahme der GAP erwiesen haben und dies mit dem Bottom-up-Ansatz zusammenhängt, der bei der Festlegung dieser Maßnahmen im Falle einer regionalisierten Bewirtschaftung verwendet wird; fordert daher, dass von den Möglichkeiten der Umschichtung von der ersten auf die zweite Säule der GAP Gebrauch gemacht wird und dass die regionalen Behörden sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene an der Festlegung der Öko-Regelungen beteiligt werden, um eine größere Kohärenz und Komplementarität zwischen den Öko-Regelungen und den Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen sowie eine bessere Berücksichtigung der territorialen Bedürfnisse zu gewährleisten; empfiehlt darüber hinaus die Unterstützung extensiver viehwirtschaftlicher Verfahren mit geringeren ökologischen Auswirkungen. Im Sinne eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Nachhaltigkeit muss es möglich sein, dass die Landwirte aus europäischen und nationalen Mitteln einen Ausgleich für bei der Agrarproduktion anfallende Zusatzkosten erhalten;

    15.

    hält es für notwendig, parallel zu den Veränderungen im Agrarsektor den Übergang zu einer nachhaltigen Fischproduktion zu beschleunigen; empfiehlt Maßnahmen zum Schutz und zur Aufwertung von Kleinfischern — wie jenen, die in den Gebieten in äußerster Randlage nachhaltigen Fischfang betreiben — und zur Bekämpfung von intensiver Käfighaltung und unzulässigen und zu Überfischung führenden Verfahren des industriellen Fischfangs. Ebenso sollten angemessenere Maßnahmen zur Überprüfung der GFP und in den Handelsabkommen getroffen werden;

    16.

    fordert die Ausarbeitung von Vorschlägen zur maritimen Raumplanung und zur Schaffung eines Netzes von Gebieten, in denen jede Art des Fischfangs für einen angemessenen Zeitraum verboten ist, um die Ziele eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Entnahme von Fischbeständen und ihrer Reproduktionsfähigkeit wirksamer zu erreichen; fordert außerdem Anstrengungen für mehr Effizienz bei der Aufstellung von Fischereibewirtschaftungsplänen für die ökologisch empfindlichsten Gebiete.

    Lebensmittelumfeld, Bekämpfung von Adipositas und Förderung eines verantwortungsvollen und kritischen Konsums

    17.

    bekräftigt die Bedeutung der Wahlmöglichkeiten und Essgewohnheiten der Verbraucher als Schlüsselfaktor für den Wandel des Lebensmittelsystems; unterstützt das Bestreben der Kommission, den Übergang zu einer gesunden und nachhaltigen Ernährung im Einklang mit Ziel 12 der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zu fördern (6); fordert die Kommission daher auf, ein kohärentes und zielgerichtetes Maßnahmenpaket zur Förderung der erwiesenermaßen gesunden mediterranen Ernährung sowie gesunder Ernährungsweisen mit mehr Gemüse und angemessenen und verantwortungsvollen Mengen an Fetten und Zucker umzusetzen;

    18.

    fordert die Kommission auf, angemessenere Regelungen für die Nährwertkennzeichnung von Erzeugnissen festzulegen, die auf europäischer Ebene abgestimmt sind und auf den aktuellsten wissenschaftlichen Forschungsdaten beruhen; fordert die Kommission ebenfalls auf, die Einrichtung einer europäischen Nährwert-Datenbank zu erwägen und ein europäisches Programm zur Nährwertkennzeichnung umzusetzen. Um einen bewussten Konsum zu fördern, sollte das Ziel darin bestehen, transparente, umfassende und klare Informationen über den Nährwert unter Berücksichtigung des Ursprungs der Erzeugnisse, der Umweltauswirkungen des Transports und der Erzeugungsarten bereitzustellen;

    19.

    betont ferner, wie wichtig es ist, über die informative Kennzeichnung hinauszugehen, und zwar mittels Bildungsmaßnahmen, Anreizen und strukturellen Maßnahmen. Mit diesen soll ein kritischer und verantwortungsvoller Konsum angestrebt und ein verantwortungsvolles und gesundes Lebensmittelumfeld für alle gefördert werden; empfiehlt daher Informationskampagnen und Bildungsprogramme zu gesunder und an Gemüse und Ballaststoffen reichhaltiger Ernährung; unterstützt steuerliche Anreize, um die Verbraucher zur Entscheidung für eine gesunde und nachhaltige Ernährung zu bewegen; fordert darüber hinaus Maßnahmen, die die Agrar- und Lebensmittelindustrie davon abhalten, stark verarbeitete und ungesunde Lebensmittel, die viel Zucker, Salz und gesättigte Fettsäuren enthalten, in Verkehr zu bringen und zu bewerben;

    20.

    unterstützt Maßnahmen, die sicherstellen, dass die Lebensmittelpreise die tatsächlichen ökologischen und sozialen Kosten widerspiegeln und dass Primärerzeuger ein gerechtes Einkommen für ihre Tätigkeit erhalten; fordert die Kommission daher auf, mit den Mitgliedstaaten Maßnahmen zu erörtern, um die Nachfragemacht der verarbeitenden Betriebe und des Einzelhandels zu begrenzen und die Verhandlungsposition der Primärerzeuger zu stärken. Dabei sind die auf wissenschaftlicher Ebene nachgewiesenen Kosten für Umwelt und öffentliche Gesundheit zu berücksichtigen; hält es für akzeptabel, dass ein fairer Preis für die Produkte einen höheren Preis für die Verbraucher erfordert (7);

    21.

    fordert die Kommission auf, das Recht auf Nahrung zu einer der Säulen für die Umsetzung der Strategie zu machen; empfiehlt daher, mit den Mitgliedstaaten und den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften im Hinblick auf kurz- bis mittelfristige Maßnahmen (z. B. wirtschaftliche Unterstützung) und langfristige Maßnahmen (strukturelle sozialpolitische Maßnahmen) zusammenzuarbeiten, um den Zugang der schwächsten Bevölkerungsgruppen zu nachhaltigeren und gesünderen Lebensmitteln zu fördern und so zur Bekämpfung von Adipositas und Mangelernährung beizutragen; fordert die Ausarbeitung eines Europäischen Aktionsplans zur Bekämpfung von Adipositas und Mangelernährung im Kindesalter für die Zeit nach 2020; unterstreicht, dass die Erschwinglichkeit gesunder Lebensmittel vorzugsweise durch direkte sozialpolitische Maßnahmen gefördert werden sollte, wobei gleichzeitig für die Landwirte und Beschäftigten gerechte Produktpreise sicherzustellen sind.

    Nachhaltiges öffentliches Beschaffungswesen, umweltgerechte Lebensmittelbeschaffung, Bildungsprogramme

    22.

    fordert eine zentralere Rolle des umweltgerechten öffentlichen Beschaffungswesens und der umweltgerechten Lebensmittelbeschaffung zur Unterstützung einer gesunden und nachhaltigen Ernährung und zur Stärkung und Förderung der lokalen und regionalen Landwirtschaft auf der Grundlage regionaler Besonderheiten, um Marktanteile für lokale und regionale Erzeuger sicherzustellen (8);

    23.

    dringt auf flexiblere Kriterien für die Einführung lokaler und regionaler Produkte im öffentlichen Beschaffungswesen, insbesondere durch die Anwendung des Prinzips der „Null Kilometer“ Produkte in Schulkantinen; fordert darüber hinaus, ein wirksames Beratungssystem oder einen vereinfachten europäischen Leitfaden anzunehmen, um den Behörden klare Orientierungshilfen für die Einführung weiterer Nachhaltigkeitskriterien an die Hand zu geben;

    24.

    begrüßt, dass die Kommission die Mitgliedstaaten und die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zur Umsetzung von Bildungsprogrammen zu Landwirtschaft, Ernährung, Umwelt und Klima in den Schulen anhält; hält es für wesentlich, den kritischen Konsum sowie die Bildung der jüngeren Generation und der am stärksten gefährdeten Gruppen in puncto Landwirtschaft, Ernährungskultur und Umweltbewusstsein zu fördern.

    Verringerung und Vermeidung von Lebensmittelverschwendung, Förderung einer Kreislaufwirtschaft

    25.

    fordert die Kommission nachdrücklich auf, ehrgeizige Rechtsvorschriften und verbindliche Ziele für die Vermeidung und Verringerung von Lebensmittelverschwendung vorzulegen; erwartet, dass die Kommission das verbindliche Ziel konsequent aufrechterhält, die Lebensmittelverschwendung — auf der Grundlage der Zusammenarbeit mit der EU-Plattform für Lebensmittelverluste und -verschwendung — bis 2030 zu halbieren; fordert die Kommission ebenfalls nachdrücklich dazu auf, den Gebieten in äußerster Randlage große Aufmerksamkeit und Unterstützung zukommen zu lassen, da für eine größere Kreislauffähigkeit ihrer Wirtschaft die Verbesserung der Bewirtschaftung, Wiederverwertung und Aufbereitung der Abfallstoffe und Nebenerzeugnisse des Agrar- und Lebensmittelsektors sowie des Fischereisektors äußerst wichtig ist;

    26.

    schlägt vor, die gesamte Lebensmittelkette im Blick zu haben und Maßnahmen zur Beschränkung von Verschwendung sowohl im vorgelagerten Bereich (Primärproduktion) und beim Verarbeitungsprozess als auch während des Transports von Lebensmitteln, ihrer Vermarktung und ihres Konsums innerhalb und außerhalb privater Haushalte vorzusehen; empfiehlt Anreize für Supermärkte zur effizienteren Lagerung der Erzeugnisse und Maßnahmen zur Besteuerung von Supermärkten bei ineffizienter Nutzung der Überschüsse; begrüßt den Vorstoß einiger Mitgliedstaaten, Überschussbestände verpflichtend zu spenden;

    27.

    fordert angemessenere Informationen über das Verfallsdatum auf Lebensmitteletiketten durch die Bezeichnungen „Mindesthaltbarkeit“ und „Ungenießbarkeit“; unterstreicht die Bedeutung von an die Verbraucher gerichteten Kommunikations- und Sensibilisierungskampagnen zur Förderung vorbildlicher Verhaltensweisen im Bereich der Begrenzung von Lebensmittelverschwendung; empfiehlt ferner einen basisorientierten Ansatz, der auf die Kenntnis und Stärkung von Innovationen und bewährten Verfahren, die in vielen Städten und Regionen entstehen, abzielt;

    28.

    begrüßt, dass gezielte Maßnahmen zur Förderung der Einführung von Modellen der Produktion und der territorialen Entwicklung auf der Grundlage von „Null-Abfall“-Methoden, der Wiederverwendung und der Kreislaufwirtschaft entlang der Wertschöpfungskette, einschließlich des Bereichs der Kunststoffe, vorgesehen werden; betont, dass die Vergabe öffentlicher Aufträge ein wirksames Instrument ist, mit dem die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften Standards setzen und den Markt auf nachhaltigere und lokale Produkte und Dienstleistungen ausrichten können; empfiehlt einen basisorientierten Ansatz mit Programmen zur Unterstützung positiver Kreislaufmaßnahmen in städtischen, stadtnahen und ländlichen Gebieten (9) sowie in Gebieten in äußerster Randlage;

    Internationaler Handel, Solidarität und nachhaltige Entwicklung in Drittländern

    29.

    hält es für notwendig, einen umfassenden Ansatz für den Übergang zu nachhaltigen Agrar- und Lebensmittelsystemen durch die Zusammenarbeit mit Drittländern und die internationale Handelspolitik zu verfolgen; betont, dass die EU, die zum weltweit größten Importeur und Exporteur von Lebensmitteln geworden ist, ihre Abhängigkeit von Drittländern erhöht und bislang eine Handelspolitik entwickelt hat, die im Widerspruch zu ihren sozialen und ökologischen Zielen steht; appelliert eindringlich an die Europäische Kommission, aktiv entsprechende Lösungskonzepte auszuloten, insbesondere mit Blick auf die Regeln des internationalen Agrarhandels, die Preisentwicklung auf dem EU Markt und auf internationalen Märkten sowie auf ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen Nachfrage und Produktion im Fleisch- und Milchsektor;

    30.

    besteht darauf, dass Handelsabkommen unter Berücksichtigung des Ziels der Verringerung der Treibhausgasemissionen auf der Grundlage des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung bewertet werden; fordert, dass die Kapitel über nachhaltige Waldbewirtschaftung und die Bekämpfung von Entwaldung, für das Tierwohl und zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen gestärkt werden (10);

    31.

    ist der Auffassung, dass eine Handelspolitik, die nicht die Einhaltung der hohen europäischen Nachhaltigkeits- und Lebensmittelsicherheitsstandards durch die Außenmärkte sicherstellt, den Binnenmarkt ernsthaft beeinträchtigen und den Agrarsektor gefährden kann; hält die europäischen Handelsabkommen für ausschlaggebend, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen dem Binnen- und dem Außenmarkt zu gewährleisten und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Landwirte sowie faire Erträge zu sichern; fordert, mit Drittländern die strikte Gegenseitigkeit bei den Produktionsstandards auszuhandeln — wobei die Pflanzen- und Umweltschutzvorschriften anzugleichen sind und gegebenenfalls lokales Frühobst und -gemüse zu ermitteln ist — und die Erzeugnisse bei der Einfuhr in den Binnenmarkt stärker zu kontrollieren; unterstützt eine CO2-Grenzsteuer, um zu verhindern, dass EU Unternehmen die Produktion in Länder mit weniger strengen Umweltstandards auslagern;

    Steuerung, Umsetzung und Überwachung

    32.

    empfiehlt die konsequente Ausrichtung der künftigen GAP, der GFP, der operationellen Programme und nationalen GAP-Strategiepläne an den Zielen des europäischen Grünen Deals, insbesondere im Rahmen der Strategien „Vom Hof auf den Tisch“ und „Biodiversität für 2030“; fordert in diesem Zusammenhang, dass gemeinsame quantifizierbare und messbare europäische Ziele für die nationalen Strategiepläne in die GAP-Verordnung aufgenommen werden; schlägt klare Wirkungsindikatoren zur Festlegung von Zielen und zur Verfolgung der Ergebnisse vor; dringt darauf, den Regionen eine maßgebliche Rolle bei der Steuerung der Strategiepläne, insbesondere für die zweite Säule, zu geben; hofft, dass die Pläne zur GAP-Reform weiterhin von einem territorialen und regionalen Ansatz ausgehen;

    33.

    bedauert, dass mit dem vom Europäischen Rat im Juli festgelegten Standpunkt der Anteil der GAP am MFR 2021-2027 gegenüber dem derzeitigen Zeitraum um 6,4 % gesunken ist. Ehrgeizige Ziele für einen grünen Wandel bei der landwirtschaftlichen Produktion in Europa müssen mit einem anspruchsvollen Haushalt für die GAP und insbesondere für den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums einhergehen; bedauert zudem, dass die Bemühungen für einen Umbau der GAP für mehr Gemeinwohlorientierung, Nachhaltigkeit und Ressourcenschutz sich bislang nicht noch deutlicher in den Verordnungsvorschlägen niedergeschlagen haben und die enthaltenen Ansätze durch die langen Übergangszeiten erst mit deutlicher Verzögerung Wirkung zeigen werden;

    34.

    begrüßt die Absicht, alle Akteure des Lebensmittelsystems — nicht zuletzt die Zivilgesellschaft und die Vertreter der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften — bei der Umsetzung und Überwachung der Strategie einzubeziehen; hält es für erforderlich, die Einführung horizontaler und Multi-Level-Governance-Systeme in der Strategie vorzusehen, um ein bereichsübergreifendes Vorgehen der einschlägigen Generaldirektionen der Kommission zu ermöglichen; hofft, dass dabei partizipative Modelle wie die Ernährungsräte (food policy councils), die in vielen lokalen und regionalen Gebietskörperschaften geschaffen wurden, als Vorbilder dienen;

    35.

    schlägt vor, dass die Kommission bei der Umsetzung und Überwachung der Strategie nicht nur mit dem Europäischen Parlament, sondern auch mit dem Europäischen Ausschuss der Regionen und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss eng zusammenarbeitet.

    Brüssel, den 10. Dezember 2020.

    Der Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen

    Apostolos TZITZIKOSTAS


    (1)  COM(2020) 380 final.

    (2)  COM(2019) 640 final.

    (3)  Ein Beispiel hierfür ist das 2012 ins Leben gerufene Landesprogramm BioRegio Bayern mit dem Ziel, bis 2030 den Anteil der durch biologischen Landbau genutzten Fläche auf 30 % zu erhöhen (Quelle: The Role of Local and Regional Authorities in making food systems more sustainable, vom AdR in Auftrag gegebene Studie).

    (4)  Hierbei handelt es sich um Pflanzenschutzmittel, die Wirkstoffe enthalten, die den Ausschlusskriterien gemäß Anhang II Nummern 3.6.2 bis 3.6.5 sowie 3.8.2 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 309 vom 24.11.2009, S. 1) entsprechen oder die gemäß den Kriterien unter Nummer 4 des genannten Anhangs als Substitutionskandidaten eingestuft wurden.

    (5)  Diese Forderung wurde bereits in der Stellungnahme zum Thema „Europäisches Klimagesetz: Schaffung des Rahmens für die Verwirklichung der Klimaneutralität“ [COR-2020/01361 — Berichterstatter: Juan Moreno Bonilla (EVP/ES)] erhoben (ABl. C 324 vom 1.10.2020, S. 58).

    (6)  Nachhaltigkeitsziel 12 — Nachhaltige/r Konsum und Produktion.

    (7)  Siehe bspw. Willet, W. u. a. (2019). Food in the Anthropocene: the EAT–Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems. The Lancet Commissions, 393 (1170), 447-492. Siehe ebenso Howard, P. u. a. Global Meat: Social and Environmental Consequences of the Expanding Meat Industry. MIT Press, 2019.

    (8)  Der AdR unterstreicht und bekräftigt in diesem Zusammenhang Ziffer 19 seiner auf der 113. Plenartagung im Juli 2015 verabschiedeten Entschließung zum Thema Nachhaltige Ernährung (ABl. C 313 vom 22.9.2015, S. 5): „empfiehlt, die an nachhaltiger Produktion und verantwortungsvollem Konsum interessierten Kreise […] über die Möglichkeiten zur Anwendung von Nachhaltigkeitskriterien in ihren Ausschreibungen […] zu informieren“.

    (9)  Ein Beispiel ist die Stadt Maribor in Slowenien, wo Synergien zwischen Stadt und ländlichen Gebieten durch die Umwandlung von organischen Abfällen in Düngemittel erzielt werden (Quelle:„The Role of Local and Regional Authorities in making food systems more sustainable“, vom AdR in Auftrag gegebene Studie).

    (10)  Diese Forderung wurde auch in der Stellungnahme zum Thema „Intensivierung der EU-Maßnahmen zum Schutz und zur Wiederherstellung der Wälder in der Welt“ [COR-2019/04601 -Berichterstatter: Roby Biwer (SPE/LU)] (ABl. C 324 vom 1.10.2020, S. 48) gestellt.


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