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Document 52020AE5081

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums (Neufassung)“ (COM(2020) 579) und „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1139 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Fähigkeit der Agentur der Europäischen Union für Flugsicherheit, als Leistungsüberprüfungsgremium für den einheitlichen europäischen Luftraum zu handeln“ (COM(2020) 577)

    EESC 2020/05081

    ABl. C 56 vom 16.2.2021, p. 53–58 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    16.2.2021   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 56/53


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums (Neufassung)“

    (COM(2020) 579)

    und „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1139 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Fähigkeit der Agentur der Europäischen Union für Flugsicherheit, als Leistungsüberprüfungsgremium für den einheitlichen europäischen Luftraum zu handeln“

    (COM(2020) 577)

    (2021/C 56/07)

    Hauptberichterstatter:

    Dumitru FORNEA

    Befassung

    Rat der Europäischen Union, 26-27.10.2020

    Europäisches Parlament, 22.10.2020

    Rechtsgrundlage

    Artikel 100 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

    Beschluss des Präsidiums

    28.10.2020

    Verabschiedung auf der Plenartagung

    2.12.2020

    Plenartagung Nr.

    556

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    198/21/34

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Bemühungen der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments und der einschlägigen EU-Institutionen, neue rechtliche und administrative Lösungen zu finden, die die nachhaltige Entwicklung des Luftverkehrssystems zum Nutzen aller Bürgerinnen und Bürger, der Nutzerinnen und Nutzer des Luftraums sowie der Umwelt sicherstellen können. Wir alle teilen die Auffassung, dass es notwendig ist, die Flugsicherheit zu gewährleisten und die Gesamtleistung, die Skalierbarkeit und die Resilienz des Flugverkehrsmanagements (Air traffic management, ATM) und der Flugsicherungsdienste (Air navigations services, ANS) zu verbessern. Wir unterstützen auch das Ziel des einheitlichen europäischen Luftraums (SES) als zusammenhängendes europaweites Netz und eines schrittweise stärker integrierten und technologisch moderneren ATM/ANS.

    1.2.

    Der geänderte Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Neufassung des einheitlichen europäischen Luftraums wird von vielen Interessenträgern allgemein begrüßt und als notwendig erachtet, um die von der Kommission festgelegten Ziele zu erreichen: Reduzierung des CO2-Ausstoßes, Abbau von Verspätungen am Boden (Flughäfen) und mehr Kosteneffizienz bei der Erbringung von ATM-Diensten. Diese Ziele werden auch in anderen Berichten unterstützt, so beispielsweise im Bericht der Gruppe der Weisen über die Zukunft des einheitlichen europäischen Luftraums aus dem Jahr 2019 (1).

    1.3.

    Der geänderte Vorschlag für eine Neufassung des einheitlichen europäischen Luftraums sieht einen aktualisierten Rechtsrahmen vor, mit dem die ursprünglichen Ziele des einheitlichen europäischen Luftraums in Bezug auf die Verringerung der CO2-Emissionen, den Abbau von Verspätungen und die Verbesserung der Kosteneffizienz bei der Erbringung von ATM-Diensten umgesetzt werden sollen. Zwar stellt der Vorschlag der Kommission gegenüber der bisherigen Verordnung eine Verbesserung dar, doch ist nach wie vor unklar, ob er ausreicht, um die ursprünglichen Ziele im Zusammenhang mit dem einheitlichen europäischen Luftraum zu erreichen. Deshalb wollen wir eine Debatte über die Tragweite der neuen Verordnung über den einheitlichen europäischen Luftraum anstoßen.

    1.4.

    Die Funktion des Netzmanagers muss präzisiert werden, insbesondere im Hinblick auf den Gesamtumfang, die Auswirkungen auf die Flugplanung, das Kapazitätsmanagement, die Luftraumauslegung, die Umwelt und die Priorisierung bei der Nachfrage.

    1.5.

    Alle Interessenträger der Luftfahrt sollten an wichtigen Entscheidungen beteiligt werden. Der Rahmenvorschlag muss grundsätzlich eine aussagekräftige Konsultation vorsehen.

    1.6.

    Es besteht die Sorge, dass die Zielsetzung des Vorschlags zu weit gefasst ist. Deshalb sollten Umweltmaßnahmen außerhalb dieses Vorschlags genauer geprüft und weiterentwickelt werden. Bei einer solchen zusätzlichen Strategie sollten alle relevanten Nachhaltigkeitsmaßnahmen in der Luftfahrt berücksichtigt werden, einschließlich der Einführung und Integration nachhaltiger Flugkraftstoffe. Im Rahmen dieser Debatten sollte auch geprüft werden, ob die Differenzierung von Gebühren als Anreiz für ein besseres Umweltverhalten der Luftfahrtunternehmen dienen kann.

    1.7.

    Auch wenn das Flugverkehrsmanagement zur allgemeinen Reduzierung der CO2-Emissionen beitragen kann, kann auch der wirksame nachhaltige Einsatz entsprechender Technologie zur Senkung des CO2-Ausstoßes im Luftverkehr führen. Dieser Ansatz sollte als Mittel zur weiteren Reduzierung des Fußabdrucks der Luftfahrtindustrie angesehen werden. Anerkanntermaßen können Technologien wie nachhaltige Flugkraftstoffe die CO2-Emissionen erheblich senken — weitaus mehr, als sich mit dem vorliegenden Vorschlag erreichen lässt.

    1.8.

    Im Vorschlag werden die dramatischen Auswirkungen von COVID-19 auf die Branche nicht berücksichtigt. Insbesondere der im Vorschlag angeregte Strukturwandel birgt die Gefahr, zu einer weiteren Fragmentierung und größeren Komplexität in einer Zeit zu führen, in der die Branche eigentlich Stabilität braucht, um sich erholen zu können. Deshalb sind weitere Untersuchungen und Überlegungen erforderlich, um den sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sowohl für Arbeitnehmer als auch für Dienstleistungsnutzer angemessen Rechnung zu tragen. Darüber hinaus hat das Ziel des Vorschlags, die Kapazitäten im Flugverkehrsmanagement zu verbessern, an Bedeutung verloren, da der Luftverkehr seit Beginn der COVID-19-Pandemie drastisch zurückgegangen ist. Laut aktuellen Schätzungen von Eurocontrol ist davon auszugehen, dass der Luftverkehr erst im Jahr 2024 wieder das Niveau von 2019 erreichen wird (2).

    1.9.

    In Bezug auf das Leistungssystem sollten bei einem von der EASA geleiteten Top-down-Ansatz bei der Leistungsüberprüfung die lokalen Bedingungen angemessen berücksichtigt werden. Ein strukturierter sozialer Dialog über die Leistungen muss den örtlichen Gegebenheiten und Faktoren Rechnung tragen.

    1.10.

    Die Unabhängigkeit einer neuen wirtschaftlichen Regulierungsstelle muss gewährleistet und eine klare Trennung zwischen der Regulierung und der Erbringung von Dienstleistungen beibehalten werden. Deshalb sollten folgende Änderungen am Leistungssystem vorgenommen werden:

    Der wesentliche Leistungsbereich Sicherheit sollte auf demselben Niveau weiterentwickelt werden wie die anderen wesentlichen Leistungsbereiche (mit EU-weiten Zielvorgaben und Indikatoren).

    Auf lokaler Ebene sollten obligatorische Konsultationsmechanismen eingeführt werden, um eine angemessene Einbeziehung der Personalvertreter in die Annahme lokaler Leistungspläne zu gewährleisten.

    Die wechselseitige Abhängigkeit der verschiedenen wesentlichen Leistungsbereiche sollte anerkannt und angemessen gemindert werden.

    1.11.

    Es sollte sichergestellt werden, dass bei der strukturellen Trennung zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden und den zuständigen nationalen Behörden größere Interessenkonflikte vermieden werden, die die Wirksamkeit und Kosteneffizienz der Branche, das Leben der Arbeitnehmer und die Sicherheit der Luftfahrt beeinträchtigen könnten. Die nationalen Aufsichtsbehörden und die nationalen zuständigen Behörden müssen unabhängig von industriellem, wirtschaftlichem, sozialem oder politischem Druck handeln und sollten deshalb im Einklang mit den einzelstaatlichen Normen weiterhin im Rahmen des öffentlichen Sektors agieren. Vorschriften über die Verfahren zur Einstellung von Bediensteten der nationalen Aufsichtsbehörden und der nationalen zuständigen Behörden sollten nicht im Widerspruch zu den üblichen Auswahlverfahren für Beamte der Mitgliedstaaten stehen.

    1.12.

    Die funktionalen Luftraumblöcke, die mit diesem Vorschlag aufgelöst werden sollen, haben bislang dazu beigetragen, eine gemeinsame Kultur unter allen Sozialpartnern zu schaffen und die Leistung zu verbessern.

    1.13.

    In Bezug auf die Erbringung der Unterstützungsdienste (Kommunikation, Navigation und Überwachung [CNS], Flugberatungsdienste [AIS], meteorologische Dienste [MET]) befürchten wir, dass mit diesem Vorschlag das Ziel der vorhergehenden Vorschläge (SES1 und SES2) verfolgt wird, den Sektor zu privatisieren und zu fragmentieren, was in der Zeit zwischen dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission und der Annahme der verschiedenen Texte bestritten wurde. Während im Rahmen des SES2-Prozesses ein Kompromiss erzielt wurde, ist der im vorliegenden Vorschlag verfolgte Ansatz nicht ausgewogen, da er eine Loslösung der Unterstützungsdienste und die Anwendung der Marktgrundsätze begünstigt. Im Rahmen des Vorschlags sollte eine ausgewogene Sichtweise gewährleistet werden, unter Berücksichtigung der negativen sozioökonomischen Folgen eines solchen Ansatzes, des Ziels der Schaffung eines effizienten und wirksamen Dienstes und des fehlenden politischen Willens, der in den vorhergehenden SES-Vorschlägen zum Ausdruck kam.

    1.14.

    Es wird empfohlen, während des Gesetzgebungsverfahrens einigen Aspekten dieses Vorschlags angemessen Rechnung zu tragen, insbesondere allen Vorschlägen zur Entflechtung oder Liberalisierung der Dienstleistungserbringung. Diese Faktoren können anerkanntermaßen nachteilige Folgen für die Arbeitnehmer haben, weshalb die Sozialpartner in diesen Prozess einbezogen werden sollten.

    2.   Kontext und allgemeine Bemerkungen

    2.1.   Bei der Annahme dieses Legislativpakets erklärte Absicht der Europäischen Kommission

    Die Kommission verfolgt das Ziel, die Organisation und Verwaltung des europäischen Luftraums durch eine Reform des Monopols der Anbieter von Flugverkehrsdiensten insgesamt effizienter zu gestalten. Das Paket ist längst überfällig. Die Vorschriften zum einheitlichen europäischen Luftraum sind seit mehr als zehn Jahren nicht mehr aktualisiert worden. Den Veränderungen bei der Entwicklung des Flugverkehrsmanagements wurde Rechnung getragen. Das europäische ATM-Netz muss reformiert werden, um sowohl der steten Zunahme des Luftverkehrs in den letzten zehn Jahren als auch wichtigen unvorhergesehenen Verkehrsschwankungen (wie beispielsweise infolge der COVID-19-Pandemie) gerecht zu werden. Dies erfordert Änderungen, die es ermöglichen, den Flugbetrieb unter den sichersten, kosteneffizientesten, flugeffizientesten und umweltfreundlichsten Bedingungen durchzuführen. Außerdem sind Maßnahmen erforderlich, die zur Verringerung der Luftverkehrsemissionen im Einklang mit den Zielen des europäischen Grünen Deals beitragen. Dies bedeutet, weiter gegen die Fragmentierung des europäischen Luftraums vorzugehen, Verspätungen zu reduzieren, Sicherheitsstandards und Flugeffizienz zu erhöhen, um den ökologischen Fußabdruck des Luftverkehrs zu senken, und Gebühren im Zusammenhang mit Monopolen bei der Erbringung von Dienstleistungen zu regulieren.

    Die Effizienz der Flugstrecken kann durch den Einsatz neuer digitaler Technologien gesteigert werden. Grundlage hierfür sind Zusammenarbeit und Vertrauensbildung zwischen den Ländern der Europäischen Union und den Interessenträgern der Branche.

    2.2.   Gesellschaftliche Akzeptanz für die Tätigkeit der Branche und Beziehungen zur organisierten Zivilgesellschaft

    2.2.1.

    Dieser SES2+-Vorschlag ist teilweise eine Neufassung eines früheren SES2+-Vorschlags, zu dem die Beratungen aufgrund einer bilateralen Meinungsverschiedenheit zwischen zwei Mitgliedstaaten auf Eis gelegt wurden. Da der vorliegende Vorschlag inhaltlich den früheren erfolglosen SES-Vorschlägen ähnelt, ist es nach wie vor möglich, dass kein politischer Konsens erzielt wird. Zu den von den Mitgliedstaaten angeführten Problemen zählen in der Regel politische Bedenken, Souveränitätsbedenken, sozioökonomische Faktoren, die Liberalisierung des nationalen Luftraums und erzwungene Privatisierungen. Es wird empfohlen, diesen Bedenken während des Gesetzgebungsverfahrens angemessen Rechnung zu tragen.

    2.2.2.

    Laut Europäischer Kommission wurden soziale Fragen in der Folgenabschätzung zum ursprünglichen SES2+-Vorschlag aus dem Jahr 2013 berücksichtigt. Derzeit wird eine Studie über die Arbeitsbedingungen von Fluglotsen und flugsicherungstechnischem Personal durchgeführt, die bei der Ausarbeitung von sekundärrechtlichen Vorschriften nach Annahme des SES-Vorschlags berücksichtigt wird. Die sozialen Rahmenbedingungen haben sich jedoch seitdem stark gewandelt. Bei der Studie zu den Arbeitsbedingungen wird hauptsächlich die aktuelle Situation beleuchtet, und die Rückmeldungen der Sozialpartner sind im Hinblick auf die künftigen Szenarien nicht allzu positiv.

    2.2.3.

    Eine Reihe von Problemen, die sich aus den Rückmeldungen der Interessenträger in früheren Diskussionen ergeben hatten, wurde nicht berücksichtigt. Dazu gehören Rundtischgespräche, die zur hochrangigen Erklärung zum digitalen europäischen Luftraum geführt haben, und bestehende Konsultationsinstrumente wie der sektorale soziale Dialog zum Flugverkehrsmanagement, die Gruppe der Weisen und die SES-Expertengruppe zur menschlichen Dimension. Vor diesem Hintergrund stellen sich nach wie vor einige sozioökonomische Fragen, darunter die Einführung neuer Technologien und eine Initiative der ATM-Sozialpartner zur Entwicklung eines Fahrplans für die soziale und menschliche Dimension des einheitlichen europäischen Luftraums.

    2.2.4.

    Führende Akteure in der Luftfahrt unterstützen die kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, den Flugsicherungsorganisationen und dem Netzmanager. Die SES-Initiative unterstützt ein solches grenzüberschreitendes Engagement und sollte fortgesetzt werden, um Instrumente zu entwickeln, mit denen Betriebssicherheit, Effizienz und Kosteneffizienz verbessert werden können, unter anderem durch den Zugang zu Schulungsprogrammen für das Personal, von dem die Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums abhängt.

    2.2.5.

    Häufigere Arbeitssitzungen zwischen den militärischen Luftverkehrsverwaltungen der Mitgliedstaaten und ein ständiger Dialog zwischen zivilen und militärischen Luftverkehrsverwaltungen können zu effizienteren Flugverbindungen führen, und zwar sowohl wirtschaftlich als auch insbesondere aus ökologischer Sicht und zum Nutzen für Fluggäste/Verbraucher.

    2.2.6.

    Die Festlegung der Umweltleistung muss stärker an konkreten Parametern als an den Kosten ausgerichtet werden. Eine Reform ist erforderlich, um das Gewicht der Ökologisierung der Flüge und damit der Dienste, die von Flugsicherungsorganisationen und Netzmanagern erbracht werden, zu stärken und die bestmögliche Nutzung des Netzes durch die Luftraumnutzer sicherzustellen.

    2.3.   Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie

    2.3.1.

    Von dem wirtschaftlichen Zusammenbruch infolge der COVID-19-Krise wurde die Luftfahrtindustrie besonders stark in Mitleidenschaft gezogen. Internationalen Schätzungen zufolge wird das Luftverkehrsaufkommen frühestens 2024 das Niveau von 2019 erreicht haben, vorausgesetzt im ersten Halbjahr 2021 kommt ein wirksamer Impfstoff gegen COVID-19 auf den Markt. Angesichts des zunehmenden Drucks auf die Industrie, in der einen oder anderen Form wieder ihren normalen Betrieb aufzunehmen, ist es wichtig, in vollem Umfang zu verstehen, welche Auswirkungen dieser Vorschlag angesichts der darin vorgeschlagenen erheblichen strukturellen Veränderungen der europäischen ATM-Branche haben wird. Der Vorschlag sollte die Fähigkeit des Flugverkehrsmanagements oder sonstiger Bereiche der Luftfahrt zur Wiederaufnahme des regulären Betriebs nicht beeinträchtigen.

    2.3.2.

    Festzustellen ist, dass der Vorschlag nicht an die neuen Bedingungen der COVID-19-Krise angepasst wurde. Dies belegen die bereits geäußerten Bedenken, dass der Vorschlag der Situation der Luftfahrtindustrie in der Zeit nach COVID-19 nicht Rechnung trägt. Alle Folgenabschätzungen des Vorschlags sind offenbar vor der COVID-19-Pandemie durchgeführt worden und folglich nicht mehr relevant.

    2.3.3.

    Die COVID-19-Krise hat dramatische Auswirkungen auf die Beschäftigten der Luftfahrt, wo Zehntausende Arbeitnehmer in Europa bereits ihren Arbeitsplatz verloren haben. Die „Unterstützungsfunktionen“ der ATM-Branche (wie CNS, AIS und MET) könnten weitere negative soziale Folgen haben, da der Vorschlag auf eine Entflechtung der Dienstleistungen abzielt. Dies gilt es anzuerkennen, und im Rahmen des Vorschlags sollten die sozioökonomischen Auswirkungen der Pandemie auf die Arbeitnehmer der Branche sowie die Volatilität des Sektors in der heutigen Zeit berücksichtigt werden.

    2.3.4.

    Da die Zukunft der Branche unsicher ist, ist es schwierig, Rechtsvorschriften auszuarbeiten, die ausreichende Lösungen für die Probleme bieten, die Gegenstand des Vorschlags sind. Darüber hinaus sind die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Krise bislang noch nicht in vollem Umfang absehbar. Es wäre verfrüht, Bewertungen oder Schlussfolgerungen auf der Grundlage aktueller Prognosen vorzunehmen, die sich mit der Entwicklung der Pandemie schnell ändern.

    2.4.   Anwendung der Marktgrundsätze

    2.4.1.

    Die Kommission fordert finanzielle Solidität. Die Flugsicherungsorganisationen könnten die vorgeschlagene neue institutionelle Struktur jedoch als recht bürokratisch empfinden, zumal sie mit neuen Kosten einhergeht, die nicht unbedingt mit der operativen Arbeit zusammenhängen. Ein weiterer Aspekt, der Fragen aufwerfen könnte, ist die Berufungsinstanz, die in der vorgeschlagenen Form möglicherweise nicht völlig unabhängig vom Leistungsüberprüfungsgremium ist — auch wenn die Absicht der Kommission in dieser Hinsicht eindeutig ist, nämlich die Schaffung einer Stelle, die Fälle im Rahmen eines außergerichtlichen Verfahrens lösen kann (und nicht nur vor dem Europäischen Gerichtshof).

    2.4.2.

    Im Gegensatz zu den anderen Bereichen der Branche muss die operative Kapazität des Flugverkehrsmanagements unabhängig von der Nachfrage im gewerblichen Luftverkehr auf einem hohen Niveau aufrechterhalten werden. Dieser Bereich und seine Arbeitnehmer arbeiten unabhängig von der Pandemie weiter und erbringen die notwendigen Dienstleistungen für den wesentlichen Luftverkehr (Frachtflüge, medizinische Flüge und Militärflüge u. a.).

    2.4.3.

    Aus sozioökonomischer Sicht besteht die Sorge, dass die Anwendung der Marktgrundsätze auf die Flugplatz- und Flugverkehrsdienste zu Instabilität auf dem Arbeitsmarkt und zu einer Absenkung der Arbeitsstandards in dieser Branche zum Nachteil der Arbeitskräfte und der Allgemeinheit führen kann. Dies würde dem Ziel einer Steigerung der Betriebseffizienz zuwiderlaufen und dürfte deshalb auch nicht zu einer Senkung der Kosten für die Dienstleistungen führen. Darüber hinaus würde dadurch möglicherweise die Zahl der Flugplätze sinken, an denen Flugverkehrsdienste bereitgestellt werden, was direkte Auswirkungen auf die Sicherheit solcher Flugplätze hätte.

    2.4.4.

    In der Flugverkehrsdienstleistungsbranche gibt es seit jeher erhebliche Spannungen, zumal es Versuche gab, den Sektor zu liberalisieren. Viele dieser Spannungen hingen speziell mit den früheren Vorschlägen zum einheitlichen europäischen Luftraum zusammen. Es ist durchaus möglich, dass der vorliegende Vorschlag in seiner jetzigen Form zu weiteren sozialen Spannungen und Arbeitskonflikten führen wird, da er eine stärkere Liberalisierung der Branche und weitere Privatisierung und eine Fragmentierung des Flugverkehrsmanagements, insbesondere in den sogenannten „Unterstützungsfunktionen“, zum Ziel hat.

    2.5.   Trennung zwischen der Aufsichtsbehörde und der Erbringung von Dienstleistungen

    Gemäß der SES1-Verordnung besteht eine obligatorische Trennung zwischen Aufsicht und Dienstleistungserbringung, zumindest auf der Funktionsebene. Diese Änderung sollte im SES+-Vorschlag berücksichtigt werden, da die Erfahrung im Rahmen der funktionalen Trennung gezeigt hat, dass die Leistung auf demselben Niveau aufrechterhalten werden kann wie in einem strukturell getrennten Sektor. Ebenso wäre eine weitere Klarstellung des Gesamtumfangs des Vorschlags begrüßenswert.

    Brüssel, den 2. Dezember 2020.

    Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Christa SCHWENG


    (1)  https://www.sesarju.eu/node/3330.

    (2)  Eurocontrol, Market Update [10. November 2020]. Erläutert von Eamonn Brennan auf https://www.youtube.com/watch?v=-VSQe97wDmc.


    ANHANG

    Die folgenden Textstellen des Stellungnahmeentwurfs wurden aufgrund von im Plenum angenommenen Änderungsanträgen geändert, erhielten jedoch mindestens ein Viertel der Stimmen (Artikel 54 Absatz 4 der Geschäftsordnung):

    a)    Ziffer 1.14

    1.14

    Es wird empfohlen, während des Gesetzgebungsverfahrens Zu einigen Aspekten dieses Vorschlags sollte eine soziale Folgenabschätzung durchgeführt werden angemessen Rechnung zu tragen, insbesondere zu allen Vorschlägen zur Entflechtung oder Liberalisierung der Dienstleistungserbringung. Diese Faktoren können anerkanntermaßen nachteilige Folgen für die Arbeitnehmer haben, weshalb die Sozialpartner in diesen Prozess einbezogen werden sollten.

    Abstimmungsergebnis:

    Ja-Stimmen:

    119

    Nein-Stimmen:

    104

    Enthaltungen:

    26

    b)    Ziffer 2.2.1

    2.2.1

    Dieser SES2+-Vorschlag ist teilweise eine Neufassung eines früheren SES2+-Vorschlags, zu dem die Beratungen aufgrund einer bilateralen Meinungsverschiedenheit zwischen zwei Mitgliedstaaten auf Eis gelegt wurden. Da der vorliegende Vorschlag inhaltlich den früheren erfolglosen SES-Vorschlägen ähnelt, ist es nach wie vor möglich, dass kein politischer Konsens erzielt wird. Zu den von den Mitgliedstaaten angeführten Problemen zählen in der Regel politische Bedenken, Souveränitätsbedenken, sozioökonomische Faktoren, die Liberalisierung des nationalen Luftraums und erzwungene Privatisierungen. Eine gezielte Reihe von Folgenabschätzungen würde dazu beitragen, diese Bedenken offenzulegen und möglichst auszuräumen. Es wird empfohlen, diesen Bedenken während des Gesetzgebungsverfahrens angemessen Rechnung zu tragen.

    Abstimmungsergebnis:

    Ja-Stimmen:

    113

    Nein-Stimmen:

    113

    Enthaltungen:

    23

    Gemäß Artikel 61 der Geschäftsordnung gibt bei Stimmengleichheit (gleiche Anzahl an Ja- und Nein-Stimmen) in einer Abstimmung die Stimme des Sitzungsleiters den Ausschlag. Dieser hat für den Änderungsantrag gestimmt.


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