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Document 52019AE5359

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ein Binnenmarkt für alle“ (Sondierungsstellungnahme)

    EESC 2019/05359

    ABl. C 311 vom 18.9.2020, p. 19–25 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    18.9.2020   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 311/19


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ein Binnenmarkt für alle“

    (Sondierungsstellungnahme)

    (2020/C 311/02)

    Berichterstatter:

    Antonio LONGO

    Befassung

    Schreiben des kroatischen EU-Ratsvorsitzes 10.9.2019

    Rechtsgrundlage

    Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

    Beschluss des Plenums

    24.9.2019

    Verabschiedung auf der Plenartagung

    10.6.2020

    Plenartagung Nr.

    552

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    224/1/2

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen (1)

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) erachtet den europäischen Binnenmarkt in all seinen Dimensionen — wirtschaftlich, sozial und ökologisch — als einen Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft. Er stellt das Schlüsselelement für eine harmonische und ausgewogene europäische Integration dar, damit das Vertrauen der Öffentlichkeit in die EU wiederhergestellt wird, neue Arbeitsplätze geschaffen werden, eine wettbewerbsfähigere Wirtschaft verwirklicht und die Rolle Europas in der Welt gestärkt wird.

    1.2.

    Nach Auffassung des EWSA könnte mit der Verwirklichung der Ziele des europäischen Grünen Deals ein entscheidender Beitrag zur Entwicklung des künftigen Binnenmarkts geleistet werden.

    1.3.

    Der EWSA ist der Überzeugung, dass der Binnenmarkt der Zukunft auf einer soliden wirtschaftlichen Grundlage in Verbindung mit einer starken sozialen Dimension aufbauen muss. Er betont die Notwendigkeit einer Aufwärtskonvergenz und einer wirksameren Sozialpolitik sowohl auf Ebene der EU als auch der Mitgliedstaaten.

    1.4.

    Der EWSA vertritt die Ansicht, dass bei einem neuen, integrierten und zukunftsorientierten Ansatz für den Binnenmarkt in allen relevanten Politikbereichen und für die Beseitigung der verbleibenden ungerechtfertigten Hindernisse — ohne die Schaffung neuer Barrieren — die Bürger, Verbraucher, Arbeitnehmer und Unternehmen unbedingt im Mittelpunkt stehen müssen, da sie zentrale Akteure bei der Gestaltung, Überprüfung und Überwachung des gesamten Prozesses sind.

    1.5.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass große Anstrengungen unternommen werden müssen, um das Niveau der digitalen Kompetenz und das Verständnis für die Risiken und Chancen der Datenverwaltung zu verbessern, damit die Bürger an vorausschauenden Entscheidungsprozessen teilnehmen und die damit verbundenen Möglichkeiten und Grenzen verstehen können.

    1.6.

    Überregulierung sowie mangelnde Umsetzung und Durchführung von EU-Richtlinien in regulatorischen Schlüsselbereichen für die Unternehmen sollten vermieden werden, weil sie vor allem Klein- und Kleinstunternehmen — auch vor dem Hintergrund des Small Business Acts — daran hindern, die Vorteile des Binnenmarktes voll auszuschöpfen.

    1.7.

    Nach Auffassung des EWSA müssen die Infrastrukturen zur Steuerung des Binnenmarkts dadurch gestärkt werden, dass Organisationen, die Bürger, Verbraucher und Unternehmen vertreten, proaktiv einbezogen werden, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf schutzbedürftige oder diskriminierungsgefährdete Bürger, die Sozialwirtschaft sowie Kleinst- und Kleinunternehmen gelegt werden muss. Ziel ist dabei, schlanke, benutzerfreundliche Ansätze zu entwickeln und für eine fristgerechte, transparente und effiziente Umsetzung und Anwendung der Normen des Binnenmarktes zu sorgen.

    1.8.

    Nach Ansicht des EWSA muss die internationale Dimension des Binnenmarktes vor dem Hintergrund des europäischen Grünen Deals gestärkt werden. Die Marktüberwachung muss intensiviert werden, damit verhindert wird, dass illegale oder gefälschte Produkte oder solche, die den Umwelt-, Sozial- und Sicherheitsnormen nicht gerecht werden, über den zunehmenden elektronischen Handel aus Drittländern auf den europäischen Markt gelangen. Es gilt, unlauteren Wettbewerb einzudämmen.

    1.9.

    Der EWSA drängt nachdrücklich auf eine Stärkung des europäischen technischen Normungssystems (ESS); dieses ist für den Binnenmarkt und insbesondere für technische, soziale, ökologische und sicherheitsbezogene Normen wesentlich, da es Bürgern, Verbrauchern und Unternehmen, insbesondere Klein- und Kleinstunternehmen, eine klare Vorstellung von den Regeln und Verfahren vermittelt und sicherstellt, dass sie auf ausgewogene und wirksame Weise in den Normungsprozess eingebunden werden.

    1.10.

    Der EWSA fordert, die Verbraucherinteressen im Rahmen des REFIT-Programms, in der digitalen Welt und in Bezug auf die Sicherheit von Produkten und Dienstleistungen zu wahren. Die Maßnahmen zur Verringerung der Energie- und Konsumarmut müssen verstärkt und der Zugang zu Lebensmitteln, Arzneimitteln und zur Grundversorgung muss für alle Europäer sichergestellt werden. Die neuen Paradigmen der Ziele für nachhaltige Entwicklung müssen durch geeignete Anreize — auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene — unterstützt werden.

    1.11.

    Der EWSA unterstreicht, dass eine wirksame europäische Basisbewegung für Veröffentlichungen und interaktive Informationen mit einem Netz aus hochkarätigen Verbreitungszentren auf den Weg gebracht werden muss.

    1.12.

    Der EWSA vertritt die Ansicht, dass faire Bedingungen geschaffen werden müssen, damit Arbeitnehmer im gesamten Binnenmarkt, insbesondere in Grenzregionen, echte Freizügigkeit, Niederlassungsfreiheit und Arbeitsfreiheit genießen können. Die Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (2) muss besser umgesetzt werden. Darüber hinaus müssen enorme gemeinsame Anstrengungen unternommen werden, um auf europäischer Ebene finanzielle und strukturelle Ressourcen für lebenslanges Lernen und die Weiterbildung in neuen „grünen“ und digitalen Fertigkeiten bereitzustellen.

    2.   Hintergrund dieser Stellungnahme

    2.1.

    Der Binnenmarkt in all seinen Dimensionen — wirtschaftlich, sozial und ökologisch — steht im Mittelpunkt der europäischen Integration und bildet einen der Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft in Europa und der neuen Strategie für nachhaltiges Wachstum gemäß dem neuen europäischen Grünen Deal (3).

    2.2.

    Daher sind ständige Anstrengungen erforderlich, um für eine weitere Stärkung des Binnenmarkts zu sorgen. Nur wenn der Binnenmarkt vollendet wird, wird es möglich sein, mit seiner Hilfe das Vertrauen der Menschen in das europäische Projekt wiederherzustellen, neue Arbeitsplätze zu schaffen, eine wettbewerbsfähigere Wirtschaft zu verwirklichen und eine größere Rolle Europas in der Welt sicherzustellen.

    2.3.

    Die Vollendung des Binnenmarktes erfordert einen integrierten Ansatz, der es ermöglicht, einen Prozess zu steuern, bei dem alle maßgeblichen Politikbereiche und Dimensionen im Rahmen einer kohärenten und langfristigen Vision verknüpft werden. Damit soll den aktuellen und neu entstehenden globalen Herausforderungen in den Bereichen Technologie, Sicherheit und Nachhaltigkeit begegnet werden (4). Dafür wird der Investitionsplan für den europäischen Grünen Deal von zentraler Bedeutung sein (5).

    2.4.

    Die Unternehmen — insbesondere Klein- und Kleinstunternehmen — sowie die Bürgerinnen und Bürger müssen im Mittelpunkt dieses Prozesses stehen und aktiv am Aufbau eines zukunftssicheren Binnenmarktes beteiligt werden. Dabei gilt es, einen stärker nutzerorientierten Ansatz zu verfolgen, der weitgehend auf einer eingehenden Analyse der Situation und der jeweiligen Bedürfnisse basiert. Bei einigen lebensnotwendigen Gütern und der Versorgung mit Arzneimitteln gibt es derzeit eine Abhängigkeit von Drittländern, die überwunden werden muss.

    3.   Hindernisse für die Vollendung des Binnenmarkts

    3.1.

    Die nach wie vor offenkundigen Probleme bei der Vollendung des Binnenmarkts hängen mit folgenden Voraussetzungen und Hindernissen zusammen:

    3.2.   Voraussetzungen

    Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit alle Menschen unter gleichen Bedingungen Zugang zum Binnenmarkt haben und von ihm profitieren können:

    a)

    die vollständige und rechtzeitige Umsetzung der Rechtsvorschriften des Binnenmarkts und der Abbau von Umsetzungsdefiziten, die einheitliche und kohärente Anwendung der EU-Vorschriften sowie ein einfacher, transparenter und benutzerfreundlicher Zugang zu diesen Vorschriften für alle, wobei Überregulierung zu vermeiden ist;

    b)

    wirksame Vollendung des Binnenmarkts für Gas, Strom, digitale Infrastruktur und Verkehr;

    c)

    die vollständige Zugänglichkeit des Binnenmarkts für alle, indem allen schutzbedürftigen oder benachteiligten Bürgern — z. B. Menschen mit Behinderungen oder von Armut gefährdeten Personen — Dienstleistungen und Waren zugänglich gemacht werden;

    d)

    harmonisierte Mechanismen zur Marktüberwachung (z. B. Sicherheit chemischer Produkte, Energieeffizienz und Umweltleistung von Produkten); volle Funktionsfähigkeit von Mechanismen der gegenseitigen Anerkennung;

    e)

    ein reibungslos funktionierender und harmonisierter Markt für Sekundärrohstoffe und Kreislaufprodukte, durch den der Rücklauf von Altprodukten erleichtert wird;

    f)

    ein vollständig umgesetzter Rahmen mit hohen technischen und regulatorischen Standards, insbesondere Umwelt- und Sozialstandards. Öffentliche Auftraggeber und betroffene Unternehmen müssen in der Anwendung der neuen Vorschriften im Rahmen des Binnenmarktprogramms geschult werden, und es sind Sensibilisierungsmaßnahmen für den Kauf vor Ort produzierter Erzeugnisse („Null-Kilometer-Produkte“) notwendig, um die regionale Wirtschaft zu stabilisieren und die Auswirkungen auf die Umwelt zu verringern;

    g)

    gemeinsame Standards für das öffentliche Beschaffungswesen mit einheitlichen Beschaffungskriterien in der gesamten EU für ein umweltgerechtes und sozial integratives Beschaffungswesen;

    h)

    ein integriertes digitales Ökosystem auf EU-Ebene mit neuen Geschäfts-, Vertriebs- und Verbrauchsmodellen sowie neuen E-Government-Beziehungen;

    i)

    integrierte und entwickelte Kapitalmärkte mit für alle leicht zugänglichen Finanzdienstleistungen;

    j)

    eine faire Datenwirtschaft, die die Verfügbarkeit, Zugänglichkeit und Mobilität von Daten innerhalb des Binnenmarkts gewährleisten und gleichzeitig die Sicherheit und Privatsphäre von Bürgern, Verbrauchern und Unternehmen schützen kann;

    k)

    eine Europäische Cloud für offene Wissenschaft, die Daten von öffentlichen und privaten, mit europäischen Mitteln geförderten Forschungszentren nutzt;

    l)

    ein vollständig integrierter Dienstleistungsmarkt, der auch Logistik- und Netzwerkdienstleistungen umfasst;

    m)

    wirksame Schutzmaßnahmen gegen Sozial- und Steuerdumping;

    n)

    die EU-Organe müssen in Zusammenarbeit mit den unmittelbar betroffenen Akteuren die Auswirkungen der Vorschriften auf Unternehmen sorgfältig prüfen und untersuchen, bevor sie geltende Vorschriften ändern oder neue Vorschriften vorschlagen;

    o)

    die Förderung aller Arten von Unternehmertum durch politische und gesetzgeberische Maßnahmen der EU, um die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten anzukurbeln, was auch den Schutz von Klein- und Kleinstunternehmen sowie Unternehmen der Sozialwirtschaft umfasst.

    3.3.   Hindernisse (6)

    3.3.1.

    Aus Sicht der Bürger, Verbraucher und Unternehmen wurden erhebliche Hindernisse für das Funktionieren des derzeitigen Binnenmarktes ermittelt. Diese betreffen folgende Aspekte:

    a)

    Komplexe Verwaltungsverfahren: Die Rechtsvorschriften zum Binnenmarkt umfassen oft Bestimmungen und Verfahren, die für die Endnutzer nur schwer zu verstehen oder zu befolgen sind.

    b)

    Unterschiedliche nationale technische Standards: Es gibt immer mehr technische Vorschriften auf nationaler Ebene, wie die zunehmende Zahl der behördlichen Notifizierungen (jährlich rund 700 für Güter) belegt.

    c)

    Schwierigkeiten beim Zugang zu Informationen über Standards und Anforderungen: Das einheitliche digitale Zugangstor ist ein Schritt in die richtige Richtung, um Unternehmen — insbesondere Kleinstunternehmen und KMU — den Zugang zu den einschlägigen Informationen zu erleichtern, allerdings gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Anlaufstellen. Eine zentrale Anlaufstelle in jedem Mitgliedstaat könnte bessere Orientierungshilfe zu den einzuhaltenden Vorschriften, Verfahren und erforderlichen Dokumenten sowie zu den behördlichen Ansprechpartnern bereitstellen.

    d)

    Mangelnde Koordinierung zwischen den einzelnen Ebenen der Marktüberwachung: Da die Überwachung in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und der Regionen fällt, können unterschiedliche Überwachungsebenen entstehen, wodurch es zu Verzerrungen zwischen auf dem Binnenmarkt befindlichen Produkten und solchen, die auf den Markt gelangen, kommen kann.

    e)

    Durch Überregulierung und mangelnde Umsetzung und Durchführung der EU-Richtlinien in regulatorischen Schlüsselbereichen für die Unternehmen entsteht ein kompliziertes Flickwerk von Rechtsvorschriften im Binnenmarkt, das vor allem KMU und Kleinstunternehmen daran hindert, die Vorteile des gesamten Binnenmarkts voll auszuschöpfen.

    f)

    Fehlen von Mechanismen zur Schulung und Zusammenarbeit, um sicherzustellen, dass die betroffenen Behörden, Einzelpersonen, Verbraucher und Unternehmen solide und einheitliche Kenntnisse über die (potenziell) anzuwendenden Standards besitzen.

    g)

    Versäumnisse in Bezug auf die Sicherstellung der Einheitlichkeit des Marktes in Schlüsselsektoren, z. B. Gas, Strom, digitale Infrastruktur und Verkehrsinfrastruktur.

    4.   Der Binnenmarkt als wesentlicher Punkt auf der neuen strategischen Agenda der EU

    4.1.

    Der EWSA ist der Überzeugung, dass ein Binnenmarkt zum Nutzen aller ein Schlüsselelement der europäischen Integration ist, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die EU wiederherzustellen, Arbeitsplätze zu schaffen, eine wettbewerbsfähige Wirtschaft zu verwirklichen und den Einfluss Europas in der Welt zu wahren.

    4.2.

    Nach Auffassung des EWSA könnte mit der Verwirklichung der Ziele des europäischen Grünen Deals, einschließlich z. B. des neuen Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft (7) und der Null-Schadstoff-Strategie, ein entscheidender Beitrag zur Entwicklung des künftigen Binnenmarkts geleistet werden.

    4.3.

    Der EWSA begrüßt, dass dieser Prozess eine der vier wesentlichen Prioritäten der strategischen Agenda 2019-2024 (8) darstellt und „erstmals in den Zyklus des Europäischen Semesters aufgenommen“ wurde (9).

    4.4.

    Der EWSA vertritt nicht nur die Ansicht, dass bei einem neuen, integrierten und zukunftsorientierten Ansatz für den Binnenmarkt in allen relevanten Politikbereichen die Bürger, Verbraucher, Arbeitnehmer und Unternehmen als diejenigen, denen diese Ziele zugutekommen, im Mittelpunkt stehen müssen. Sie müssen auch die zentralen Akteure bei der Gestaltung, Überprüfung und Überwachung des Prozesses sein. Dieser Prozess muss auf ihren tatsächlichen Bedürfnissen beruhen sowie einfach und leicht zugänglich und nutzbar sein.

    4.5.

    Der EWSA hält eine radikale Vereinfachung der Verwaltungsverfahren für notwendig und weist auf das Problem der Verhältnismäßigkeit hin. KMU und Kleinstunternehmen tragen hohe Kosten, ohne die Gewissheit zu haben, den Rechtsvorschriften zu entsprechen. Die Umsetzung des „Small Business Act“ und des „Think Small First“ (Vorfahrt für KMU) sollte eine Priorität darstellen und im Rahmen der Strategie für KMU und Kleinstunternehmen auf die kurzfristige politische Agenda gesetzt werden. Im Gesetzgebungsprozess sollten die kombinierten Auswirkungen mehrerer Vorschriften auf Unternehmen untersucht werden.

    4.6.

    Für alle betroffenen Akteure sollte ein Verfahren zur Unterstützung bei der Digitalisierung und des intensiven Aufbaus von Kapazitäten auf den Weg gebracht werden. Darüber hinaus sollte der Binnenmarkt für Dienstleistungen auf faire und transparente Weise geöffnet werden.

    4.7.

    Zur Verwirklichung eines zukunftsorientierten Binnenmarkts müssen große Anstrengungen unternommen werden, um das Niveau der digitalen Kompetenz und die Kenntnisse über Daten und deren Verwaltung zu verbessern, damit Bürger und Kleinunternehmen an diesen Prozessen teilnehmen können. Die Ungewissheit und Komplexität der Rahmenbedingungen müssen anerkannt werden; ferner muss die erforderliche individuelle und soziale Resilienz aufgebaut werden, um diese Herausforderungen zu bewältigen und das Potenzial sowie die Grenzen digitaler Plattformen und ihrer zugrunde liegenden Geschäftsmodelle und Governancestrukturen besser zu verstehen und so Manipulationen vorzubeugen.

    4.8.

    Darüber hinaus bedarf es einer Infrastruktur für die Steuerung des Binnenmarkts, die zwar auf den bestehenden Steuerungsinstrumenten der EU (z. B. SOLVIT, Binnenmarktinformationssystem (IMI), Portal Ihr Europa — Beratung, Binnenmarktanzeiger) aufbaut, auf EU-Ebene und nationaler Ebene jedoch dadurch gestärkt wird, dass Organisationen, die Bürger, Verbraucher und Unternehmen vertreten, proaktiv einbezogen werden. Ziel ist dabei, schlanke, benutzerfreundliche Lösungen auszubauen. Es muss für eine fristgerechte, transparente und effiziente Umsetzung und Anwendung der Normen des Binnenmarktes gesorgt werden. Dies würde einen erfolgreichen Übergang zu einem digitalisierten, effizienten, kohärenten, ausgewogenen und nachhaltigen Europa erleichtern.

    4.9.

    Um unlauteren Wettbewerb zu unterbinden und Sicherheits- und Gesundheitsrisiken für die Verbraucher zu vermeiden, muss die Marktüberwachung verstärkt werden. Es gilt zu verhindern, dass illegale oder gefälschte Produkte über den elektronischen Handel aus Drittländern auf den europäischen Markt gelangen. Dringend notwendig sind Maßnahmen zur Sensibilisierung der Verbraucher.

    5.   Der Binnenmarkt und die Bürgerinnen und Bürger

    5.1.

    Die Bürger müssen im Mittelpunkt des gesamten Prozesses zur Schaffung des künftigen Binnenmarkts stehen, und zwar nicht nur als Hauptnutznießer der Errungenschaften des Binnenmarkts, sondern auch als proaktive Akteure im Rahmen dieses Prozesses; dabei gilt es, ihre Bedürfnisse und Erwartungen zu berücksichtigen.

    5.2.

    In einer früheren Stellungnahme (10) betonte der EWSA die Notwendigkeit einer „breit angelegte[n] Agenda für die allgemeine und berufliche digitale Bildung […], damit alle Bürger mit dem erforderlichen Wissen ausgestattet werden, um den Übergang so gut wie möglich zu meistern“.

    5.3.

    Die Beteiligung aller EU-Bürger sollte in jeder Phase sichergestellt sein; dies gilt insbesondere für schutzbedürftige oder diskriminierungsgefährdete Bürger. Der Zugang von Menschen mit Behinderungen oder von Armut gefährdeten Menschen zu Dienstleistungen und Gütern muss im Einklang mit der Richtlinie (EU) 2019/882 (11) und anderen rechtlichen Verpflichtungen, z. B. dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen garantiert werden.

    5.4.

    Der EWSA unterstreicht, dass eine wirksame europäische Kampagne für die Erstellung und interaktive Verbreitung von Informationen mit einem Netz öffentlichkeitswirksamer Verbreitungszentren an zentralen und abgelegenen intermodalen Knotenpunkten des Binnenmarkts auf den Weg gebracht werden muss. Ziel ist es dabei, eine proaktive Beteiligung der Öffentlichkeit zu fördern, indem Anregungen, Schwierigkeiten und Lösungen mit der aktiven Unterstützung der organisierten Zivilgesellschaft aufgegriffen werden.

    6.   Der Binnenmarkt und die Arbeitnehmer

    6.1.

    Der EWSA ist davon überzeugt, dass der Binnenmarkt der Zukunft auf einer soliden wirtschaftlichen Grundlage in Verbindung mit einer starken sozialen Dimension aufbauen muss (12). Er spricht sich „seit jeher konsequent für eine Aufwärtskonvergenz und eine wirksamere Sozialpolitik sowohl auf Ebene der EU als auch der Mitgliedstaaten aus“ (13). Ebenso hat er „einen klaren und koordinierten Fahrplan“ gefordert, in dem „die Prioritäten für die Umsetzung der Säule und die Durchsetzung der geltenden sozialen Rechte und Standards festgelegt sind“.

    6.2.

    Der EWSA betont erneut, dass „mit einem neuen Europäischen Semester […] im Rahmen der Überwachung sozialer Ungleichgewichte soziale Ziele umgesetzt […] und […] neue, messbare Indikatoren sowie gezielte länderspezifische Empfehlungen für den sozialen Bereich eingeführt werden“ (14) sollten. Ferner unterstreicht er, dass übermäßige Unterschiede vermieden werden sollten: Sie sind zwar Ausdruck nationaler Eigenheiten, können aber zu Sozialdumping und ungleichen Wettbewerbsbedingungen für den gesamten europäischen Binnenmarkt führen.

    6.3.

    Nach Auffassung des EWSA müssen faire Bedingungen gewährleistet werden, damit Arbeitnehmer im gesamten Binnenmarkt, insbesondere in Grenzregionen, echte Freizügigkeit genießen können. Die Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (15) muss besser umgesetzt werden. Darüber hinaus müssen enorme gemeinsame Anstrengungen unternommen werden, um auf europäischer Ebene finanzielle und strukturelle Ressourcen für lebenslanges Lernen und die Weiterbildung in neuen „grünen“ und digitalen Fertigkeiten bereitzustellen.

    6.4.

    Der EWSA betont erneut, dass „die neuen Technologien, die künstliche Intelligenz und die Big Data […] Umwälzungen in den Produktionsverfahren und der Wirtschaft im Allgemeinen [bewirken] und […] auch den Arbeitsmarkt tief greifend verändern“ werden und dass „diese Veränderungen […] sich […] im Rahmen eines fruchtbaren sozialen Dialogs und unter Wahrung der Rechte und der Lebensqualität der Arbeitnehmer (16) vollziehen“ müssen, um Fallen zu vermeiden, die zu Armut und prekären Verhältnissen führen.

    6.5.

    Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die nachhaltige Entwicklung große gemeinsame Anstrengungen erfordert, um auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene finanzielle und strukturelle Ressourcen für lebenslanges Lernen und die Weiterbildung in neuen „grünen“ und digitalen Fertigkeiten bereitzustellen, die den sich verändernden Arbeitsmarktbedingungen im Rahmen des neuen europäischen Grünen Deals gerecht werden.

    7.   Der Binnenmarkt und die Verbraucher

    7.1.

    Die Verbraucherpolitik ist eine wesentliche Komponente im Prozess der Vollendung des Binnenmarktes, die auf die Interessen der Bürgerinnen und Bürger ausgerichtet und in der Lage ist, das Engagement der Menschen für den Prozess der Integration der EU zu beeinflussen. Nach Auffassung des EWSA muss mehr unternommen werden, um für einen wirksamen Schutz der Verbraucher zu sorgen, wenn die Wirtschaftsakteure die Vorschriften nicht einhalten und wenn nicht gegen die derzeitige fragmentierte Anwendung dieser Vorschriften in den Mitgliedstaaten vorgegangen wird und die anhaltenden Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten nicht abgebaut werden.

    7.2.

    Der EWSA fordert, die Verbraucherinteressen im Rahmen des REFIT-Programms, in der digitalen Welt und in Bezug auf die Sicherheit von Produkten und Dienstleistungen zu wahren. Die Maßnahmen zur Verringerung der Energie- und Konsumarmut müssen verstärkt und der Zugang zu Lebensmitteln, Arzneimitteln und zur Grundversorgung muss für alle Europäer verbessert werden.

    7.3.

    Das Problem der nicht durch objektive und überprüfbare Gründe gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Verbrauchern in verschiedenen Ländern beim Direktkauf oder elektronischen Handel in Bezug auf Preise sowie Verkaufs- und Lieferbedingungen muss gelöst werden. Besonders gravierend ist nach wie vor das Problem des Geoblockings.

    7.4.

    Der EWSA begrüßt die bereitgestellten Informationen über die Ergebnisse, die im Verbraucherschutz mit der Plattform zur Online-Streitbeilegung (17) erreicht wurden, hofft jedoch, „dass die Instrumente zur außergerichtlichen Streitbeilegung, vor allem im grenzüberschreitenden Bereich, ausgebaut werden“.

    7.5.

    Der EWSA ist davon überzeugt, dass Transparenz und Vergleichbarkeit der Informationen von entscheidender Bedeutung sind, damit Verbraucher intelligente Entscheidungen treffen können, nicht zuletzt im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Umwelt und die Nachhaltigkeit.

    8.   Der Binnenmarkt und die Unternehmen

    8.1.

    Nach Ansicht des EWSA bedarf es folgender Maßnahmen, um den Bedürfnissen der Unternehmen in Bezug auf die vollständige Umsetzung des Binnenmarkts gerecht zu werden:

    8.1.1.

    weitere Öffnung und Integration der Waren- und Dienstleistungsmärkte, einschließlich Logistik- und Netzwerkdienstleistungen, um das volle wirtschaftliche Potenzial der EU auszuschöpfen und eine solide Grundlage für den langfristigen globalen Wettbewerb zu schaffen. Die Vielfalt und der Pluralismus im Einzelhandel müssen geschützt und gefördert werden (18);

    8.1.2.

    stärkere Förderung der Digitalisierung als Schlüsselfaktor für die europäische Wettbewerbsfähigkeit, d. h. Schaffung eines Rahmens, der die Einführung digitaler Technologien erleichtert. Programme, die sich an KMU und Kleinstunternehmen richten, müssen die KMU-Kultur respektieren und lokale KMU-Verbände einbeziehen;

    8.1.3.

    mehr Maßnahmen, die Klein- und Kleinstunternehmen grundlegende und fortgeschrittene digitale Kompetenzen vermitteln und verschiedene technologische Lösungen an die Hand geben, sowie die Festlegung fairer Regeln für den Zugang zu Daten, den freien Datenfluss und entsprechende Verantwortlichkeiten mithilfe eines umfassenden politischen Ansatzes;

    8.1.4.

    Schaffung eines ordnungspolitischen und finanziellen Rahmens zur Förderung von Investitionen in die Infrastruktur, damit physische und digitale Infrastrukturen erheblich verbessert und interoperabel gemacht werden können; Innovation und Flexibilität für Unternehmen, um sie bei der Anpassung an eine sich rasch verändernde Welt zu unterstützen und neue Geschäftsmodelle zu fördern, sowie technologische Neutralität durch Binnenmarktrechtsvorschriften, die den Markteintritt durch den Abbau von Hindernissen erleichtern;

    8.1.5.

    vorrangige Berücksichtigung der Grundsätze der besseren Rechtsetzung und ihrer praktischen Umsetzung, damit der Binnenmarkt zum besten Wirtschafts- und Arbeitsstandort wird.

    8.2.

    Besonderes Augenmerk muss auf die Unterschiede zwischen den nationalen Steuersystemen gelegt werden. Nach Auffassung des EWSA muss das Sozial- und Steuerdumping im Binnenmarkt bekämpft werden, da es zu Wettbewerbsverzerrungen und ansonsten ungerechtfertigten Standortverlagerungen führt.

    8.3.

    Ebenso wichtig ist es, die Infrastruktur- und Regelungslücken bei der Verbindung lokaler Märkte im Binnenmarkt zu schließen, insbesondere in Schlüsselsektoren wie Gas, Elektrizität und Verkehr, da diese Lücken Hindernisse für einen fairen und transparenten Wettbewerb darstellen.

    8.4.

    Der EWSA weist darauf hin, dass das europäische Normungssystem gestärkt werden muss, vor allem in Bezug auf technische Normen in den Bereichen Soziales, Umwelt und Sicherheit, damit Unternehmen, insbesondere Klein- und Kleinstunternehmen, eine klare Vorstellung von den zu befolgenden Regeln und Verfahren vermittelt wird und sichergestellt ist, dass alle einschlägigen Akteure auf ausgewogene und wirksame Weise in den Normungsprozess eingebunden werden.

    Brüssel, den 10. Juni 2020

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Luca JAHIER


    (1)  Die Kommission veröffentlichte am 10. März 2020 die Mitteilung „Langfristiger Aktionsplan für eine bessere Umsetzung und Durchsetzung der Binnenmarktvorschriften“ und „Ermittlung und Beseitigung von Binnenmarkthindernissen“.

    (2)  Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 255 vom 30.9.2005, S. 22).

    (3)  COM(2019) 640 final.

    (4)  9743/19 COMPET 437 MI 487.

    (5)  EESC-2020-00463 ECO/505 (Berichterstatter: Trias Pintó) (siehe Seite 63 dieses Amtsblatts).

    (6)  Die Kommission hat am 10. März 2020 eine wichtige Mitteilung veröffentlicht: „Hindernisse für den Binnenmarkt ermitteln und abbauen“ (COM(2020) 93 final).

    (7)  COM(2020) 98 final, vorgelegt am 11. März 2020.

    (8)  https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2019/06/20/a-new-strategic-agenda-2019-2024/.

    (9)  IP/19/6770 vom 17. Dezember 2019.

    (10)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 102.

    (11)  ABl. L 151 vom 7.6.2019, S. 70.

    (12)  ABl. C 353 vom 18.10.2019, S. 23.

    (13)  ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 40; ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 145 und ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 135.

    (14)  ABl. C 14 vom 15.1.2020, S. 1.

    (15)  Siehe Fußnote 2.

    (16)  ABl. C 353 vom 18.10.2019, S. 6.

    (17)  Nach Angaben von Kommissionsmitglied Jourová konnten im ersten Jahr mehr als 24 000 Fälle gelöst werden.

    (18)  ABl. C 110 vom 22.3.2019, S. 41.


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