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Document 52017XR1791

    Entschließung des Europäischen Ausschusses der Regionen zum Weißbuch der Europäischen Kommission zur Zukunft Europas „Die EU der 27 im Jahr 2025 — Überlegungen und Szenarien“

    ABl. C 306 vom 15.9.2017, p. 1–4 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    15.9.2017   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 306/1


    Entschließung des Europäischen Ausschusses der Regionen zum Weißbuch der Europäischen Kommission zur Zukunft Europas „Die EU der 27 im Jahr 2025 — Überlegungen und Szenarien“

    (2017/C 306/01)

    DER EUROPÄISCHE AUSSCHUSS DER REGIONEN (AdR)

    1.

    nimmt das Weißbuch der Europäischen Kommission zur Zukunft Europas:„Die EU der 27 im Jahr 2025 — Überlegungen und Szenarien“ als wichtigen Beitrag zu den aktuellen Debatten über die künftige Entwicklung der Union zur Kenntnis, die im Vorfeld der Europawahlen im Juni 2019 und darüber hinaus zu greifbaren Ergebnissen führen müssen;

    2.

    begrüßt die Erklärung von Rom, in der die Unterzeichner ihren Willen bekunden, „auf der Ebene zusammen [zu] arbeiten, auf der wirklich etwas bewirkt werden kann, sei es auf der Ebene der Europäischen Union, der Mitgliedstaaten, der Regionen oder der Gemeinde; dies wird im Geiste der vertrauensvollen und loyalen Kooperation sowohl zwischen Mitgliedstaaten als auch zwischen den Mitgliedstaaten und den Institutionen der EU im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip geschehen“;

    3.

    bekennt sich zur uneingeschränkten Achtung der Grundwerte Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte sowie zur Achtung der Ziele der EU einschließlich des in den Verträgen und in der EU-Grundrechtecharta festgeschriebenen Ziels, eine immer engere Union der Völker Europas zu schaffen;

    4.

    macht deutlich, dass die angeblich wichtige Rolle, die den dezentralen Gebietskörperschaften im Vertrag von Lissabon eingeräumt wurde, unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität und der Beteiligung am europäischen Rechtsetzungsprozess nicht vollständig in die Tat umgesetzt worden ist. Deshalb sind die Gebietskörperschaften nach wie vor fast immer nur die Adressaten der Unionspolitik, an deren Gestaltung (auch und vor allem in Bezug auf den Rechtsetzungsprozess) sie kaum beteiligt werden;

    5.

    weist darauf hin, dass die Politikbereiche der EU sowie ihre Organe und Einrichtungen nicht zum Selbstzweck geschaffen wurden, sondern im Dienste der Bürgerinnen und Bürger stehen müssen, wenn die übergeordneten Ziele und Werte der Europäischen Union erreicht werden sollen; unterstreicht, dass diese Politikbereiche und Institutionen auf Kompromissen beruhen, die zum Ausgleich verschiedener Interessen und Standpunkte als Ausdruck des demokratischen Prozesses der Union erforderlich sind; hofft daher, dass es bei der Suche nach einem möglichst breiten Konsens nicht so sehr zu Kompromissen als kleinstem gemeinsamen Nenner kommt, sondern dass politische Lösungen angestrebt werden, die von gemeinsamer Solidarität — dem Grundprinzip eines geeinten Europa — getragen werden. Das wird auch dazu beitragen, die derzeitige Europaskepsis zu überwinden und das Vertrauen der Bürger in das Projekt Europa wiederherzustellen;

    6.

    ist als politische Versammlung der Regional- und Kommunalvertreter der EU davon überzeugt, dass möglichst bürgernahe Beschlüsse auf der Grundlage einer geteilten Souveränität auf EU-Ebene getroffen werden sollten, um so die Möglichkeiten der einzelnen Unionsbürger zur Gestaltung ihres Schicksals zu verbessern;

    7.

    betont die wesentliche Bedeutung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts in der EU und unterstreicht, dass eine wirksame und ausgewogene wirtschaftliche und soziale Entwicklung entscheidend ist, um Unterschiede zwischen den EU-Regionen abzubauen; in dieser Hinsicht ist die Kohäsionspolitik der Politikbereich, in dem die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften am unmittelbarsten am europäischen Integrationsprozess mitwirken und Solidarität schaffen sowie die Vorteile der EU-Mitgliedschaft auf lokaler und regionaler Ebene verdeutlichen können. Die Kohäsionspolitik ist ein unverzichtbarer Politikbereich der EU, der sich durch einen besonderen Mehrwert für Europa auszeichnet; lehnt deshalb jegliches Szenario für die Zukunft der EU, das die Kohäsionspolitik einschränken oder komplett abschaffen würde, entschieden ab und äußert seine Bestürzung darüber, dass eine solche Hypothese in einem offiziellen Dokument der Kommission auch nur in Erwägung gezogen werden kann;

    8.

    sieht die in dem Weißbuch aufgezeigten Szenarien als Weckruf, mit dem die Chancen und Risiken für die EU dargestellt werden und warnend darauf hingewiesen wird, dass kein Teil des gemeinsamen Besitzstands als gesichert betrachtet werden kann; betont, dass die Debatte über die Geschwindigkeit oder Intensität der europäischen Integration nicht von der Tatsache ablenken sollte, dass die wirkliche Herausforderung darin besteht, ein Europa der verschiedenen Richtungen zu vermeiden; ist davon überzeugt, dass zur Gewährleistung einer nachhaltigen Zukunft für alle Unionsbürger der Schwerpunkt auf der Einheit sowie auf der Achtung der Vielfalt und der lokalen Besonderheiten liegen sollte;

    9.

    unterstreicht, dass die Struktur des Regierens auf mehreren Ebenen (Multi-Level-Governance) eines der einzigartigen Merkmale der Europäischen Union ist, und bedauert, dass dieser Aspekt im Weißbuch unberücksichtigt bleibt; bedauert auch, dass im Weißbuch nicht die Auswirkungen der unterschiedlichen Szenarien auf die Gebietskörperschaften dargelegt werden; hebt hervor, dass die Städte und Regionen insgesamt mehr Bürgervertrauen genießen; ist daher der Auffassung, dass die Bürgerinnen und Bürger und ihre Hoffnungen, Erwartungen und Anliegen im Mittelpunkt aller politischen Maßnahmen stehen müssen, und betont, dass sämtliche Debatten über die Zukunft der Europäischen Union sowie die aus diesen Debatten hervorgehenden Reformen von der Basis ausgehen und alle Regierungs- und Verwaltungsebenen einbeziehen müssen; erinnert gleichwohl daran, dass die Gemeinschaftsmethode und der Geist der Zusammenarbeit in allen Entscheidungsprozessen der EU Vorrang vor dem zwischenstaatlichen Ansatz haben müssen;

    10.

    befürwortet die in dem Weißbuch und in der Erklärung von Rom benannten zentralen Schwerpunktbereiche und ist der festen Überzeugung, dass die Europäische Kommission als überstaatliche Hüterin der EU-Verträge und als das mit der Förderung der allgemeinen Unionsinteressen betraute Organ detaillierte Vorschläge hierzu vorlegen sollte; der AdR ist bereit, seinen politischen Beitrag zu leisten und Anregungen aus lokaler und regionaler Perspektive zu liefern;

    11.

    fordert die Überarbeitung und Vereinfachung der Europäischen Bürgerinitiative, um eine stärkere europäische repräsentative und partizipative Demokratie zu ermöglichen; betont, dass die Europäische Kommission rechtlich dazu verpflichtet werden sollte, eine erfolgreiche Europäische Bürgerinitiative, bei der eine Million Unterschriften zusammengekommen sind, nicht nur zu prüfen, sondern auch eine Debatte mit anschließender Abstimmung im Rat der EU und im Europäischen Parlament anzustoßen, und schlägt vor, weitere Möglichkeiten zur Erleichterung der Teilnahme an der Beschlussfassung der EU auszuloten (1);

    12.

    hebt einige Punkte hervor, die aus Sicht der Städte und Regionen bei der Festlegung eines glaubwürdigen und ehrgeizigen Szenarios für die Zukunft der Europäischen Union unbedingt zu berücksichtigen sind:

    12.1

    eine aktive Unionsbürgerschaft, die zum Austausch und zur Zusammenarbeit mit und zwischen den Bürgern anregt, um eine europäische Identität und mehr Verantwortungsbewusstsein für das Projekt Europa zu fördern;

    12.2

    die durchgängige Anwendung der Grundsätze der Partnerschaft, der Multi-Level-Governance und der Subsidiarität in allen Politikbereichen sowie die Förderung einer Zusammenarbeit zwischen allen Gesellschaftsbereichen, um die EU demokratischer und effizienter zu machen und sie zu reformieren;

    12.3

    die Stärkung der sozialen Dimension der EU und der Wirtschafts- und Währungsunion; erwartet, dass ein Legislativvorschlag für eine europäische Säule sozialer Rechte es ermöglicht, dass Arbeitnehmerrechte und berufliche Mobilität in einem sich wandelnden Arbeitsmarkt unter Achtung des Subsidiaritätsprinzips thematisiert werden und dass dieser Vorschlag sich nicht auf einen nicht zwingenden Akt (soft law) zur Ergänzung des geltenden Besitzstands beschränken, sondern Maßnahmen beinhalten sollte, die ebenso wirkungsvoll sind wie diejenigen, die für die Wirtschafts- und Währungsunion angenommen wurden. Dies würde dazu beitragen, dass die Bürger eine stärker sozial geprägte EU wahrnehmen, die ihre Probleme lösen kann;

    12.4

    eine transparente und in vollem Umfang rechenschaftspflichtige EU, in der die Bürger klar erkennen können, wer für die in der Europäischen Union getroffenen Entscheidungen politisch verantwortlich und rechenschaftspflichtig ist und wo die einzelnen Regierungsebenen ihren Teil der Verantwortung für die Annahme und Umsetzung der Beschlüsse wahrnehmen;

    12.5

    eine umfassende, solide finanzierte, langfristige und glaubwürdige Strategie, die darauf ausgerichtet ist, das Fundament des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und der Konvergenz zwischen den Regionen in der EU zu legen weiter und zu verstärken und eine Aufwärtskonvergenz mit besonderem Schwerpunkt auf der Sicherheit des Menschen zu gewährleisten, wobei die Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung in die kurz- und mittelfristigen Programme der EU eingebunden und Maßnahmen durchgeführt werden, die im Einklang mit der Agenda 2030 stehen;

    12.6

    eine stärkere Einbeziehung der Regionen in die europäische Entscheidungsfindung, d. h. in die Ausarbeitung von Rechtsvorschriften, in die Beschlussfassung und bei der Umsetzung und Verbreitung der Beschlüsse, ist eine Grundvoraussetzung für eine positive und greifbare europäische Integration und die Stärkung des Vertrauens der Menschen in Europa. Zu diesem Zweck wäre es empfehlenswert, bei etwaigen Plänen für einen neuen europäischen politischen und institutionellen Rahmen auch die Möglichkeit der Schaffung einer repräsentativen Gesetzgebungskammer der Regionen und autonomen Gebiete zu prüfen;

    12.7

    eine soziale EU, die die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie gleiche Rechte und Chancen für alle fördert sowie Arbeitslosigkeit, Diskriminierung, soziale Ausgrenzung und Armut bekämpft; eine EU, in der jungen Menschen die beste allgemeine und berufliche Ausbildung erhalten, sodass sie auf dem gesamten Kontinent studieren und Arbeit finden können; eine EU, die unser kulturelles Erbe bewahrt und die kulturelle Vielfalt fördert;

    12.8

    ein innovatives, digitales und unternehmerisch denkendes Europa, in dem die Städte und Regionen als Katalysatoren und Wegbereiter für die Schaffung neuer Arbeitsplätze und nachhaltigen Wachstums fungieren, insbesondere zugunsten junger Menschen;

    12.9

    ein auf echten Eigenmitteln basierender EU-Haushalt, der den ehrgeizigen Zielen der EU gerecht wird und durch den die Rolle öffentlicher und privater Investitionen gestärkt wird, um Wachstum und Beschäftigung für die Unionsbürger zu fördern;

    12.10

    eine vertiefte, gerechtere und inklusivere Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, ausgestattet mit den nötigen politischen Instrumenten, um asymmetrische Schocks zu verhindern und den sozialen, wirtschaftlichen und territorialen Zusammenhalt zu fördern, sowie einer den EU-Haushalt ergänzenden Fiskalkapazität;

    12.11

    ein vollständig integrierter Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auf der Grundlage der Grundrechte, einer uneingeschränkten Freizügigkeit, eines gemeinsamen Schutzes der Außengrenzen und einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik, die auf den Menschenrechten sowie geteilten Verpflichtungen beruht, insbesondere bei den Bemühungen, die derzeitige Migrationskrise zu bewältigen;

    12.12

    Gewährleistung einer umfassenden Transparenz und der demokratischen Kontrolle auf allen Entscheidungsebenen bei der Gestaltung fairer und ausgewogener internationaler Handelsabkommen;

    12.13

    eine gemeinsame Außen-, Nachbarschafts- und Verteidigungspolitik für mehr globale Stabilität und die Verpflichtung zum Eintreten für die Werte der EU; Offenheit gegenüber einer Erweiterung, sofern die Bedingungen erfüllt sind, jedoch gleichzeitig Berücksichtigung der Aufnahmefähigkeit der EU;

    12.14

    eine bürgernahe EU, die in der Lage ist, den Menschen ihre Erfolge vor Augen zu führen und über künftige Herausforderungen in klarer und verständlicher Form zu informieren;

    13.

    macht es sich zur Aufgabe, einen von der Basis ausgehenden Prozess anzustrengen, in den Bürger und Mandatsträger in den Regionen, Städten und Gemeinden der EU sowie sonstige einschlägige Interessenträger einbezogen werden, um in den kommenden Monaten ihre Bedürfnisse und Erwartungen im Zusammenhang mit der EU zu ermitteln; die Ergebnisse dieses Prozesses werden neben konkreten Empfehlungen in die AdR-Stellungnahme „Überlegungen zu Europa: die Stimme der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften bei der Wiederherstellung des Vertrauens in die Europäische Union“ einfließen;

    14.

    fordert das Europäische Parlament auf, auch für die Europawahl 2019 einen Spitzenkandidaten zu benennen, und bekundet seine Bereitschaft, mithilfe seines Netzes von lokalen und regionalen Politikern das Bewusstsein der Menschen für diese Wahl und ihre Bedeutung zu schärfen;

    15.

    ist entschlossen, zu einem transparenten und demokratischen Prozess der institutionellen und politischen Reform beizutragen, bei dem die Bürgerinnen und Bürger der EU im Mittelpunkt stehen und die europäischen, nationalen, regionalen und lokalen Entscheidungsebenen berücksichtigt werden und deren Ergebnisse den Bürgern Europas rechtzeitig vor der Europawahl 2019 vorgelegt werden;

    16.

    betont, dass die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, die den Bürgern am nächsten stehen und die wichtigsten Erbringer öffentlicher Dienstleistungen sind, im Beschlussfassungsprozess der EU mehr Gewicht bekommen müssen, wenn die EU auch weiterhin in Bereichen tätig wird, die in die Zuständigkeit der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften fallen; fordert daher, dass Rechtsvorschriften, die Auswirkungen auf die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften haben, der Zustimmung des AdR unterliegen sollen;

    17.

    erinnert daran, dass einige der von den Bürgern möglicherweise für sehr wichtig erachteten Änderungen eine Überarbeitung der Verträge erforderlich machen könnten, und verweist nachdrücklich darauf, dass in diesem Falle nach Art. 48 Abs. 3 EUV ein Konvent einberufen werden muss und dass der AdR darin umfassend vertreten sein sollte.

    Brüssel, den 12. Mai 2017

    Der Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen

    Markku MARKKULA


    (1)  Entschließung zur Verbesserung der Funktionsweise der Europäischen Union: Vertrag von Lissabon und darüber hinaus (RESOL-VI/005)


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