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Document 52015IP0463

    Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. Dezember 2015 zu Ibrahim Halawa: Droht ihm die Todesstrafe? (2015/3016(RSP))

    ABl. C 399 vom 24.11.2017, p. 130–133 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    24.11.2017   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 399/130


    P8_TA(2015)0463

    Droht Ibrahim Halawa die Todesstrafe?

    Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. Dezember 2015 zu Ibrahim Halawa: Droht ihm die Todesstrafe? (2015/3016(RSP))

    (2017/C 399/14)

    Das Europäische Parlament,

    unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Ägypten, insbesondere die Entschließung vom 15. Januar 2015 zur Lage in Ägypten (1) und die Entschließung vom 8. Oktober 2015 zur Todesstrafe (2),

    unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates (Auswärtige Angelegenheiten) vom August 2013 und vom Februar 2014,

    unter Hinweis auf das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Ägypten von 2001, das 2004 in Kraft getreten ist und durch den Aktionsplan von 2007 ergänzt wurde,

    unter Hinweis auf den ENP-Fortschrittsbericht 2014 über Ägypten vom 25. März 2015,

    unter Hinweis auf die Erklärungen, die der Europäische Auswärtige Dienst unlängst zu Ägypten abgegeben hat, einschließlich der Erklärung vom 16. Juni 2015 zu den Gerichtsurteilen in Ägypten und der Erklärung vom 4. Februar 2015 zur Verurteilung von Aktivisten in Ägypten,

    unter Hinweis auf die Gemeinsame Erklärung vom 10. Oktober 2015 der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, im Namen der EU und des Generalsekretärs des Europarats, Thorbjørn Jagland, zum Europäischen und Internationalen Tag gegen die Todesstrafe,

    unter Hinweis auf die EU-Leitlinien zur Todesstrafe und die Leitlinien für die Politik der EU gegenüber Drittländern betreffend Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe,

    unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966, das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes und das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, zu deren Vertragsparteien Ägypten gehört, unter Hinweis auf die Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen, insbesondere die Resolution vom 18. Dezember 2014 zum Moratorium für die Anwendung der Todesstrafe (69/186),

    unter Hinweis auf die Verfassung der Arabischen Republik Ägypten,

    unter Hinweis auf das ägyptische Gesetz 107 vom 24. November 2013 über das Recht auf öffentliche Zusammenkünfte, Prozessionen und friedliche Demonstrationen,

    unter Hinweis auf den Präsidialerlass vom November 2014 (Gesetz 140), wonach im Falle der Erhebung einer Anklage gegen Ausländer wegen einer strafbaren Handlung die Möglichkeit der Rückführung in ihr Heimatland besteht,

    unter Hinweis auf die Grundsätze und Leitlinien der Afrikanischen Kommission für die Menschenrechte und Rechte der Völker zum Recht auf ein faires Verfahren und Rechtsbeistand in Afrika, unter Hinweis auf die Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker,

    gestützt auf Artikel 135 Absatz 5 und Artikel 123 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,

    A.

    in der Erwägung, dass der irische Staatsbürger Ibrahim Halawa seit mehr als zwei Jahren inhaftiert ist, weil er während eines Familienurlaubs in Kairo am 16. und 17. August 2013 an einer illegalen Demonstration teilgenommen hat, deren Teilnehmer für Todesfälle und Vandalismus verantwortlich gemacht werden; in der Erwägung, dass bei diesen Demonstrationen 97 Personen ums Leben kamen, wobei die meisten Todesfälle auf eine unverhältnismäßige Gewaltanwendung seitens der Sicherheitskräfte zurückzuführen sind; in der Erwägung, dass Ibrahim Halawa zum Zeitpunkt seiner Festnahme 17 Jahre alt, also sowohl nach ägyptischem Recht als auch nach dem Völkerrecht noch minderjährig war;

    B.

    in der Erwägung, dass Ibrahim Halawa zusammen mit seinen drei Schwestern festgenommen wurde, als sie auf der Flucht vor der Gewalt, die plötzlich auf der Demonstration ausgebrochen war, in der Al-Fateh-Moschee Zuflucht suchten; in der Erwägung, dass die drei Schwestern anschließend von den Behörden wieder freigelassen wurden;

    C.

    in der Erwägung, dass die Staatsanwaltschaft bisher nicht den Nachweis dafür erbringen konnte, dass Ibrahim Halawa auf der Demonstration auch nur an einem einzigen Gewaltakt beteiligt war; in der Erwägung, dass sich die Staatsanwaltschaft ausschließlich auf Zeugenaussagen der Polizei und die Berichte und Ermittlungen des Geheimdiensts stützt; in der Erwägung, dass die Verhandlung vom ägyptischen Gericht wiederholt — zuletzt am 15. Dezember 2015 — verschoben und vertagt wurde; in der Erwägung, dass erst ein Jahr nach der Inhaftierung Anklage erhoben wurde; in der Erwägung, dass Ibrahim Halawa und 493 weitere, mehrheitlich volljährige Angeklagte am 19. Dezember 2015 ein Massenverfahren ohne Garantie auf Gewährleistung der Mindesterfordernisse eines öffentlichen und fairen Verfahrens erwartet und den Angeklagten im Falle einer Verurteilung die Todesstrafe droht; in der Erwägung, dass in Ägypten im Mai 2015 sechs Personen hingerichtet wurden, wobei eines der Opfer so alt wie Ibrahim Halawa war;

    D.

    in der Erwägung, dass seit 2013 viele mutmaßliche Mitglieder der Muslimbruderschaft und mutmaßliche Unterstützer des abgesetzten Präsidenten Mursi in Massenverfahren zum Tode verurteilt wurden; in der Erwägung, dass diese Verfahren gegen die Verpflichtungen verstoßen, an die Ägypten nach dem Völkerrecht gebunden ist;

    E.

    in der Erwägung, dass nach Artikel 10 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte „[j]eder […] bei der Feststellung seiner Rechte und Pflichten sowie bei einer gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Beschuldigung in voller Gleichheit Anspruch auf ein gerechtes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht [hat]“,

    F.

    in der Erwägung, dass Ibrahim Halawa festgenommen wurde, weil er friedlich sein Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wahrgenommen hat, und dass er aus Sicht von Amnesty International ein politischer Gefangener ist; in der Erwägung, dass Rede- und Versammlungsfreiheit unentbehrliche Säulen einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft sind; in der Erwägung, dass nach Artikel 73 der ägyptischen Verfassung gilt, dass die Bürger das Recht haben, öffentliche Zusammenkünfte, Märsche, Demonstrationen und alle Formen friedlichen Protests zu organisieren;

    G.

    in der Erwägung, dass Meldungen zufolge seit der Machtübernahme durch das Militär im Juni 2013 in Ägypten viele Demonstranten verhaftet und politische Gefangene inhaftiert worden sind; in der Erwägung, dass die Lage der Versammlungs-, Vereinigungs- und Redefreiheit seit Juli 2013 nach wie vor äußerst alarmierend ist;

    H.

    in der Erwägung, dass Ibrahim Halawa äußerst harten Haftbedingungen — bei der Festnahme und in der Haft mutmaßlich auch Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung — ausgesetzt war bzw. ist und ihm medizinische Versorgung und rechtlicher Beistand verweigert werden; in der Erwägung, dass sich Ibrahim Halawa nach Aussage seiner Angehörigen und seiner rechtlichen Vertreter aus Protest gegen seine anhaltende Inhaftierung seit dem 21. Oktober 2015 im Hungerstreik befindet, sein Gesundheitszustand also ernsthaft gefährdet ist;

    I.

    in der Erwägung, dass die Staatsanwaltschaft und das Gericht von Nordkairo nicht berücksichtigt haben, dass Ibrahim Halawa bei seiner Verhaftung minderjähig war, und damit gegen die Verpflichtungen verstoßen haben, an die Ägypten als Vertragspartei des Übereinkommens über die Rechte des Kindes gebunden ist;

    J.

    in der Erwägung, dass die Verhängung und Vollstreckung eines Todesurteils bei Personen, die zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung jünger als 18 Jahre sind, den völkerrechtlichen Verpflichtungen Ägyptens zuwiderläuft;

    K.

    in der Erwägung, dass der irische Minister für auswärtige Angelegenheiten und Handel, Charles Flanagan, seine Enttäuschung darüber zum Ausdruck gebracht hat, dass das Verfahren gegen Ibrahim Halawa in Ägypten immer wieder vertagt wird; in der Erwägung, dass Bedienstete des irischen Konsulats bisher immer bei den Anhörungen zugegen waren und Ibrahim Halawa zudem bisher 48 konsularische Besuche abgestattet haben, was verdeutlicht, welche Bedeutung die irische Regierung diesem Fall beimisst;

    L.

    in der Erwägung, dass aufgrund eines Präsidialerlasses vom November 2014, wonach im Falle der Erhebung einer Anklage gegen Ausländer wegen einer strafbaren Handlung die Möglichkeit der Rückführung in ihr Heimatland besteht, bereits Ausländer von Ägypten freigelassen wurden;

    M.

    in der Erwägung, dass die Afrikanische Kommission für die Menschenrechte und Rechte der Völker Ägypten im März 2015 aufgefordert hat, die Unversehrtheit von Ibrahim Halawa und den anderen, mit ihm angeklagten Minderjährigen zu gewährleisten, indem sie umgehend gegen Kaution freigelassen werden, dass die diesbezüglich verlangten Übergangsmaßnahmen von Ägypten bisher jedoch nicht umgesetzt wurden;

    N.

    in der Erwägung, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten sich um engere Beziehungen zu Ägypten und zur ägyptischen Bevölkerung bemühen, da Ägypten in vielen Bereichen als Nachbarland und Partner wichtig ist; in der Erwägung, dass Ägypten mit mehr als 80 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste arabische Land ist und im südlichen Mittelmeerraum eine Schlüsselrolle spielt; in der Erwägung, dass das Land aufgrund der Lage in den Nachbarländern mit erheblichen Sicherheitsproblemen konfrontiert ist; in der Erwägung, dass sich die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Ägypten auf die gesamte Region und darüber hinaus auswirkt;

    1.

    ist zutiefst besorgt über die nicht hinnehmbare Verletzung der grundlegenden Menschenrechte, die die willkürliche Verhaftung des irischen Staatsbürgers Ibrahim Halawa darstellt, und fordert die ägyptische Regierung auf, Ibrahim Halawa gemäß dem Präsidialerlass, der im November 2014 mit dem ägyptischen Gesetz 140 in Kraft gesetzt wurde, sofort und bedingungslos an die irischen Behörden zu überstellen;

    2.

    ist in großer Sorge, weil sich der Gesundheitszustand von Ibrahim Halawa infolge seines Hungerstreiks verschlechtert und er im Gefängnis vermutlich schlechten Haftbedingungen ausgesetzt ist; fordert die ägyptische Regierung auf, den guten Gesundheitszustand und das Wohlergehen Ibrahim Halawas während der Haft als vorrangiges Anliegen sicherzustellen; fordert, dass in allen Fällen eines Verdachts auf Folterung und Misshandlung von Ibrahim Halawa gründlich und unabhängig ermittelt wird;

    3.

    fordert die ägyptische Regierung auf, sicherzustellen, dass Artikel 10 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte respektiert wird, wonach jeder, dem seine Freiheit entzogen ist, menschlich und mit Achtung vor der dem Menschen innewohnenden Würde behandelt werden muss;

    4.

    weist die ägyptische Regierung darauf hin, dass Ägypten durch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, an unanfechtbare völkerrechtliche Verpflichtungen gebunden ist, die auch im Fall von Ibrahim Halawa gelten; fordert, dass die ägyptische Regierung die Todesstrafe, die Ibrahim Halawa im Falle einer Verurteilung droht, kategorisch ausschließt, da er zum Zeitpunkt der Festnahme minderjährig war;

    5.

    weist erneut darauf hin, dass die EU die Anwendung der Todesstrafe unter allen Umständen und kategorisch ablehnt, und fordert in Bezug auf die Vollstreckung der Todesstrafe in Ägypten ein vollständiges Moratorium; fordert Ägypten nachdrücklich auf, das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1996 zur Abschaffung der Todesstrafe zu ratifizieren;

    6.

    ist äußerst besorgt darüber, dass die ägyptische Regierung im Fall Ibrahim Halawas und der 493 mit ihm Angeklagten das Recht auf ein faires Verfahren missachtet, dass insbesondere nicht die Möglichkeit zur Prüfung oder Anfechtung ihrer anhaltenden Inhaftierung und der gegen sie erhobenen Vorwürfe besteht, ihnen immer wieder der Zugang zu einem Anwalt verweigert wird und sich ihre Untersuchungshaft inzwischen auf einen maßlos langen Zeitraum erstreckt, der mit dem ägyptischen Recht und den völkerrechtlichen Verpflichtungen Ägyptens nicht vereinbar ist;

    7.

    ist und bleibt davon überzeugt, dass es Ibrahim Halawas Anwälten kaum gelingen dürfte, eine persönliche Verteidigung zu erwirken, wenn sein Fall im Rahmen eines Massenverfahrens gegen alle Angeklagten vor Gericht kommt, die im Zusammenhang mit den Protesten vom August 2013 festgenommen wurden;

    8.

    verurteilt die Anwendung eines Massenverfahrens in dem Fall aufs Schärfste und fordert die ägyptische Regierung auf, das Völkerrecht zu achten und in Bezug auf das Recht auf ein ordentliches und faires Verfahren für höchste international anerkannte Standards zu sorgen; fordert die ägyptische Regierung auf, alle freizulassen, die wegen der friedlichen Ausübung ihres Rechts auf Rede-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit in Haft sind, zumal dieses Recht in der ägyptischen Verfassung und in den völkerrechtlichen Übereinkommen, zu deren Vertragsparteien Ägypten gehört, verankert ist; äußert seine tiefe Besorgnis angesichts der gravierenden Verschlechterungen in der Medienlandschaft; verurteilt die in Abwesenheit geführten Verfahren und entsprechend verhängten Urteile gegen ägyptische und ausländische Journalisten;

    9.

    fordert, dass der Europäische Auswärtige Dienst — über die EU-Delegation in Kairo — und die Mitgliedstaaten, vor allem Irland, alle Anhörungen im Verfahren gegen Ibrahim Halawa und die mit ihm Angeklagten beobachten; erwartet, dass der EAD diesen Fall im Rahmen des Dialogs mit Ägypten zur Priorität erklärt und das Parlament regelmäßig über die Beobachtung des Verfahrens unterrichtet; fordert die irischen Behörden, aber auch die EU-Delegation auf, Ibrahim Halawa und seinen Angehörigen weiter umfassende rechtliche, konsularische und sonstige Unterstützung zukommen zu lassen und ihn regelmäßig im Gefängnis zu besuchen; fordert die ägyptische Regierung auf, der irischen Regierung in Anbetracht der EU-Bürgerschaft Ibrahim Halawas weiter konsularischen Zugang zu dem Angeklagten zu gewähren;

    10.

    beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, den Parlamenten und Regierungen der Mitgliedstaaten sowie dem Präsidenten der Arabischen Republik Ägypten und seiner Übergangsregierung zu übermitteln.


    (1)  Angenommene Texte, P8_TA(2015)0012.

    (2)  Angenommene Texte, P8_TA(2015)0348.


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